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Bundesblatt

Bern, 25. Oktober 1976

128. Jahrgang Band III

Nr. 42 Erscheint wöchentl. Preis : Inland Fr. 8 5.- im Jahr, Fr. 48.50 im Halbjahr ; Ausland Fr. 103 .im Jahr, zuzüglich Nachnahme- und Postzustellgebühr. Inseratenverwaltung : Permedia, Publicitas-Zentraldienst für Penodika, Hirschmattstrasse 36, 6002 Luzern. Tel. 041/23 66 66

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Botschaft über einen Konjunkturartikel in der Bundesverfassung Vom 27. September 1976

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, Wir unterbreiten Ihnen den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über einen Konjunkturartikel in der Bundesverfassung (Änderung des Artikels 31 qumqmes gy).

Wir beantragen Ihnen ferner, folgendes Postulat abzuschreiben: 1975 P 75.338 Konjunkturartikel (N 13. 3. 75. Sozialdemokratische Fraktion) Wk versichern Sie. sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, 27. September 1976 Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Gnägi

Der Bundeskanzler: Huber 1976-640

Bundesblatt 128 Jahrg Bd III

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Übersicht Der geltende Artikel 31
Wir sind der Auffassung, dass der Ausgang der Volksabstimmung uns nicht von der nach wie vor dringenden Aufgabe entbindet, eine ausreichende Verfassungsgrundlage für die Konjunkturpolitik zu schaffen. An der Notwendigkeit eines neuen Konjunkturartikels hat sich in der Zwischenzeit nichts geändert. Im Gegenteil, sie hat im Zeichen der jüngsten Erfahrungen mit der Rezessionsbekämpfung eher noch zugenommen, da sich zeigte, dass der bestehende Artikel J7?"'"5"le' der Bundesverfassung auch nicht alle sich aufdrängenden vorbeugenden Massnahmen zur Abwehr von Beschäftigungseinbrüchen abdeckt. Wir erachteten es deshalb als unsere Pflicht, möglichst rasch eine neue Vorlage auszuarbeiten, die den bisher vorgebrachten Einwänden und Anregungen Rechnung trägt. Diesem Anliegen dürfte der Entwurf, den wir Ihnen nun unterbreiten, weitgehend entsprechen.

Diese Botschaft nimmt zuerst, ausgehend von den Erfahrungen mit den bisherigen Stabilisierungsbemühungen, zur Frage der Notwendigkeit eines neuen Konjunkturartikels Stellung. Anschliessend werden die grundsätzlichen Aufgaben und Grenzen der Konjunkturpolitik und die sachlichen Anforderungen an eine neue Verfassungsgrundlage skizziert. Nach einer kurzen Analyse des bisherigen Werdegangs und der Ergebnisse des Mitte Juli 1976 abgeschlossenen Vernehmlassungsverfahrens folgt das eigentliche Hauptkapitel, in dem der neue Konjunkturartikel absatzweise erläutert wird.

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Botschaft i i

I

Notwendigkeit eines neuen Konjunkturartikels

II

Konjunkturpolitische Erfahrungen

Bis Ende der fünfziger Jahre war die Entwicklung der schweizerischen Volkswirtschaft durch ein massiges, aber ausgewogenes Wachstum gekennzeichnet. Die Ziele Vollbeschäftigung und Geldwertstabilität waren weitgehend erfüllt, so dass sich der Wirtschaftspolitik aus dieser Sicht keine allzu grossen Aufgaben stellten.

Das Fehlen eines wirksamen konjunkturpolitischen Instrumentariums machte sich noch wenig bemerkbar. Es genügten Empfehlungen zur Mässigung der Ansprüche an die Leistungskraft der Wirtschaft.

In die Zeit nach der Wiederherstellung der Konvertibilität der wichtigsten europäischen Währungen im Jahre 1958 fällt der Beginn einer neuen, hektischeren Konjunkturentwicklung mit beschleunigtem Wachstum und ständig steigenden Inflationsraten. Wie in den vorangegangenen Zyklen leitete die rasch zunehmende Exportnachfrage den neuen Aufschwung ein. Die Möglichkeit eines fast uneingeschränkten Rückgriffes auf ausländische Arbeitskräfte und zusehends auch der unterbewertete Schweizerfranken verstärkten die Expansionstendenzen. Der Exportaufschwung zog seinerseits eine steigende Investitionsnachfrage nach sich, und beide bewirkten über die Ausweitung der Einkommen ein entsprechendes Wachstum der Nachfrage nach Gütern und Diensten. Nicht zuletzt trug die stark zunehmende Wohnbevölkerung zur immer kräftigeren und eigenständigeren Expansion der Binnenkonjunktur, namentlich der Baukonjunktur, bei.

Mit nur geringem Erfolg versuchte die Nationalbank zu Beginn der sechziger Jahre infolge des massiven Kapitalzuflusses aus dem Ausland, die Ausweitung des Kreditvolumens zu bremsen: frei-willige Vereinbarungen zwischen ihr und den Geschäftsbanken, die sich in ruhigeren Zeiten bewährt hatten, erwiesen sich als ungenügend. Da sich die Auftriebstendenzen weiter verstärkten, versuchten Bundesrat und Parlament 1964, durch den Erlass zweier dringlicher Bundesbeschlüsse (Kredit- und Baubeschluss : AS 1964 213 und 218) den besonders ausgeprägten Nachfrageüberhang im Bereich der Investitionen, namentlich auf dem Baumarkt, abzubauen.

Die folgende Konjunkturentspannung war nur von kurzer Dauer, die Inflation, im Gegensatz zu früheren Jahren, noch nicht völlig überwunden. Bereits Mitte 1967 zeichnete sich wieder ein Aufschwung ab, der durch eine starke Zunahme der Ausfuhren ausgelöst wurde und bald auch auf den
Investitionsbereich übergriff. Mit verschiedenen Massnahmen, wie Sterilisierungsaktionen, zurückhaltender Personalvermehrung in der Bundesverwaltung, Rückstellung öffentlicher

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Bauvorhaben, versuchte der Bundesrat die Konjunkturentwicklung zu dämpfen.

Die vorerst an den Bundesrat zurückgewiesene Vorlage über die Einführung eines zeitlich begrenzten Exportdepots wurde, da sich die Auftriebstendenzen zunehmend auf den Binnenmarkt verlagerten, nicht in Kraft gesetzt. Die in die Wege geleitete Revision des Nationalbankgesetzes wurde 1969 durch Beschluss des Parlamentes zugunsten einer freiwilligen Vereinbarung mit den Banken zurückgestellt.

Die weltweite Unruhe im Währungsbereich, die einmal mehr zu einem übermässigen Zustrom ausländischen Geldes führte, liess den Bundesrat im Mai 1971 den Schweizerfranken um rund 7 Prozent aufwerten. Mit flankierenden binnenwirtschaftlichen Massnahmen sollte die von der Aufwertung erhoffte Dämpfungswirkung verstärkt werden. Diesem Zweck diente namentlich ein neuer dringlicher Bundesbeschluss vom 25. Juni 1971 über Massnahmen zur Stabilisierung des Baumarktes (AS 1971 961) sowie die Ermächtigung an die Notenbank, Devisentermingeschäfte zu tätigen (AS 1971 960). Die anhaltende Währungskrise zwang Bundesrat und Nationalbank zu weiteren Massnahmen zur Abwehr ausländischer Gelder (insbesondere dringlicher Bundesbeschluss vom 8. Okt. 1971 über den Schutz der Währung; AS 7977 1449). Um eine unverantwortbare Verstärkung des inflationären Auftriebs infolge des ungebrochenen Konjunkturaufschwungs zu verhindern, beantragte der Bundesrat den eidgenössischen Räten im Dezember 1972 zusätzliche Massnahmen zur Dämpfung der Überkonjunktur. Einmal mehr erwies es sich als unumgänglich, zum Mittel dringlicher, nicht auf entsprechende Verfassungsbestimmungen abgestützter Bundesbeschlüsse zu greifen. Das neue Massnahmenpaket vom 20. Dezember 1972, dessen Schwergewicht auf Vorkehren im Bereich des Geld- und Kreditwesens lag, umfasste den Bundesbeschluss über Massnahmen auf dem Gebiete des Kreditwesens (AS 1972 3068), den Bundesbeschluss über die Einschränkung der steuerwirksamen Abschreibungen bei den Einkommenssteuern von Bund, Kantonen und Gemeinden (AS 1972 2994), einen weiteren Bundesbeschluss über Massnahmen zur Stabilisierung des Baumarktes (AS 1972 3049) sowie als neues Instrument in der schweizerischen Wirtschaftspolitik den Bundesbeschluss über Massnahmen zur Überwachung der Preise, Löhne und Gewinne (AS 1972 3059). Der Bundesbeschluss über die Erhebung
eines Exportdepots wurde verlängert, aber nicht in Kraft gesetzt. Im Rahmen des Vollzugs von Bau- und Kreditbeschluss bemühte man sich, vor allem durch die Schaffung des sogenannten Härtekontingentes, strukturellen Unterschieden angemessen Rechnung zu tragen.

Der gewaltige Zustrom ausländischer Gelder infolge der weltweiten Währungsunruhen und des Zusammenbruchs der Währungsordnung von Bretton Woods zwang die Nationalbank schliesslich, ihre Interventionen am Devisenmarkt einzustellen. Die Schweiz ging deshalb im Januar 1973 zu flottierenden Wechselkursen über. Dadurch konnten, zwar um den Preis einer starken Aufwertung des Schweizerfrankens, die Voraussetzungen für eine konjunkturgerechte Regulierung der inländischen Geldmenge verbessert werden. An der Notwendigkeit zusätzlicher

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Massnahmen zur Konjunkturstabilisierung, für welche die rechtlichen Voraussetzungen in unserem Land zum Teil noch fehlen, ändert sich dadurch nichts.

In der zweiten Jahreshälfte 1974 geriet die schweizerische Volkswirtschaft in den Sog der weltweiten rezessiven Kräfte sowie der Auswirkungen des sich stark verlangsamenden Bevölkerungswachstums. Der wirtschaftliche Abschwung beschleunigte sich in der Folge von Monat zu Monat; die Rezession breitete sich schliesslich über die ganze Volkswirtschaft aus. Am deutlichsten kommt das Konjunkturtief in der Entwicklung des Bruttosozialprodukts zum Ausdruck.

Dieses verminderte sich 1975 gegenüber dem Vorjahr um rund 7 Prozent, das heisst stärker als in allen ändern OECD-Staaten. Mit einer gewissen Verzögerung beeinflusste der konjunkturelle Rückgang auch die Lage am Arbeitsmarkt; die Zahl der Ganz- und Teilarbeitslosen nahm standig zu und erreichte um die Jahreswende 1975/76 mit über 130000 Teilarbeitslosen und gut 32000 Ganzarbeitslosen den Höhepunkt. Das einzige positive Ergebnis war die Rückbildung der Teuerungsrate, was auf eine konsequente Geld- und Kreditpolitik, wechselkursbedingte Importverbilligungen sowie den Wirtschaftsabschwung zurückzuführen ist.

Die Ursachen dieses stärksten und längsten Konjunktureinbruches der Nachkriegszeit sind recht vielfältig. Einmal fiel die Rezession in der Schweiz mit einem Konjunkturrückschlag in sämtlichen westlichen Industrieländern zusammen. Im OECD-Raum zählte man im Herbst 1975 knapp 16 Millionen Arbeitslose. Die gleichzeitige Abwärtsbewegung der Konjunktur aller OECD-Länder nach der Auslösung der Erdölkrise machte eine Kompensation von Absatzverlusten in einem Land durch Absatzgewinne m einem ändern unmöglich. Der Kampf der schweizerischen Exportwirtschaft um die schrumpfenden Weltmärkte wurde durch den heftigen Kursanstieg des Schweizerfrankens zusätzlich erschwert.

In den vergangenen Jahrzehnten waren infolge des lange anhaltenden Nachfrageüberhanges, des massiven Zuzugs ausländischer Arbeitskräfte und des unterbewerteten Schweizerfrankens Strukturen entstanden, die dem plötzlichen Anpassungsdruck nach dem Übergang zu freien Wechselkursen grossenteils nicht mehr gewachsen waren. Der unumgänglich gewordene strukturelle Schrumpfungsprozess ist heute um so schmerzhafter, als er in eine Zeit allgemein abnehmender
Wirtschaftstätigkeit fällt.

Der Bundesrat versuchte, im Rahmen seiner beschränkten Möglichkeiten dem wirtschaftlichen Abschwung entgegenzutreten. Die schrittweise Lockerung und Aufhebung der Massnahmen zur Dämpfung der Überkonjunktur erwies sich rasch als ungenügend. Gezielte Vorkehren zur Wiederbelebung der Nachfrage, besonders im Investitionsbereich, wurden unumgänglich. Diesem Ziel dienten die Investitionsprogramme vom Sommer und Winter 1975 sowie das Massnahmenpaket vom Frühling dieses Jahres mit dem erstmals zur Anwendung gelangenden Investitionsbonus. Namentlich durch wesentliche Verbesserungen bei der Export-

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risikogarantie sowie durch Erleichterungen bei der Exportfinanzierung versuchten Bundesrat und Nationalbank zudem, die Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft auf den Weltmärkten zu stärken. Gleichzeitig wurden mit dem Ausbau der Arbeitslosenversicherung soziale Härten gemildert und die Wiedereingliederung Arbeitsloser gefördert.

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Unzureichende Rechtsgrundlagen

Wie bereits erwähnt, wird der Bund durch Artikel 31quln<)ules der Bundesverfassung beauftragt, in Verbindung mit den Kantonen und der privaten Wirtschaft Massnahmen zur Verhütung von Wirtschaftskrisen und nötigenfalls zur Bekämpfung eingetretener Arbeitslosigkeit zu treffen sowie Vorschriften über die Arbeitsbeschaffung zu erlassen. Diese 1947 geschaffene Verfassungsnorm ist durch die Erfahrungen mit der Weltwirtschaftskrise und durch die Befürchtung einer Nachkriegsdeflation geprägt. Sie ist insofern einseitig, als sie nur auf die Gewährleistung der Vollbeschäftigung ausgerichtet ist. Der damalige Verfassungsgesetzgeber verstand unter einer aktiven Konjunkturpolitik in erster Linie die Krisenverhütung und -bekämpfung, nicht hingegen die Verhütung und Bekämpfung der Teuerung. Hier liegt auch der Grund, weshalb sich in der bisherigen Auseinandersetzung um die Verfassungsmässigkeit von Stabilisierungsmassnahmen eine beide Ungleichgewichte umfassende Auslegung nicht durchzusetzen vermochte.

Als Folge davon mussten sämtliche in den vergangenen Jahren ergriffenen Massnahmen zur Teuerungsbekämpfung auf Notrecht, das heisst auf Artikel 89b>s Absatz 3 der Bundesverfassung, abgestützt werden.

Die entscheidende Lücke des geltenden Konjunkturartikels besteht also darin, dass er keine eindeutige Verfassungsgrundlage für die wirksame Bekämpfung einer konjunkturell bedingten Teuerung bietet. Wie aus dem folgenden Kapitel über die Bedeutung des Stabilitätsziels hervorgeht, ist dieser Mangel angesichts der weitreichenden Auswirkungen der Inflation, die früher oder später zu Arbeitslosigkeit und Rezession führt, weder wirtschafts- noch gesellschaftspolitisch tragbar. Der bisher in der Teuerungsbekämpfung beschrittene Ausweg der extrakonstitutionellen dringlichen Bundesbeschlüsse stellt ihrer vielschichtigen Problematik wegen keine echte Alternative dar.

Der Hauptnachteil der auf Notrecht abgestützten Massnahmen liegt namentlich im Umstand, dass sie erst bei hoher Dringlichkeit, das heisst bei verhältnismässig fortgeschrittener Rezession oder Konjunkturüberhitzung, erlassen werden können. Die eigentlichen Ursachen der konjunkturellen Störungen lassen sich so kaum mehr wirksam bekämpfen. Es kann in der Regel nur noch bei den Symptomen angesetzt werden, weshalb die Massnahmen stärker dosiert werden müssen, was eine entsprechend grössere Einschränkung des privatwirtschaftlichen Freiheitsgrades bedeutet.

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Da die Vorkehren in Form dringlicher Bundesbeschlüsse einer zeitlichen Befristung unterliegen und, falls sie sich nicht auf die Verfassung abstützen, Volk und Ständen innert Jahresfrist zur Abstimmung unterbreitet werden müssen, ist eine langfristig ausgerichtete und ausgewogene Stabilitätspolitik unter diesen Bedingungen von vornherein ausgeschlossen. Es besteht zudem die Gefahr, dass es bei einem raschen Wechsel der konjunkturellen Entwicklung zu einer die Öffentlichkeit verunsichernden Häufung von Volksabstimmungen kommt. Eine immer wieder auf dringliche Notrechtserlasse abgestützte Konjunkturpolitik ist nicht zuletzt auch aus verfassungs- und staatsrechtlicher Sicht fragwürdig.

Trotz gegenwärtig tiefen Teuerungsraten in unserem Land ist das Inflationsproblem, besonders in seiner weltweiten Dimension, noch lange nicht gelost. Gerade die Verbindung von Teuerung einerseits und Stagnation oder Produktionsrückgang mit Arbeitslosigkeit andererseits dürfte die Wirtschaftspolitik auch künftig vor grosse Schwierigkeiten stellen. Ein Blick auf die bisherige Entwicklung zeigt zudem, dass sich Preise und Einkommen zum Teil kaum mehr nach unten bewegen und dass die durchschnittliche Inflationsrate in jeder neuen Aufschwungsphase höher war als in der vorangegangenen. Es ist also ohne weiteres möglich, ja sogar wahrscheinlich, dass sich das Inflationsproblem im Zusammenhang mit den künftig zu erwartenden Konjunkturschwankungen wieder in wachsender Schärfe stellen wird.

Umgekehrt weist die jetzige Verfassungsbestimmung aber auch für die Verhütung und Bekämpfung der Rezession gewisse Lücken auf. Es geht namentlich darum, dass Vorkehren m Abweichung von der Handels- und Gewerbefreiheit nicht gedeckt sind. So wäre es beispielsweise nicht möglich, die private Wirtschaft zu veranlassen, vorsorgliche Massnahmen für Rezessionszeiten zu ergreifen, also sie zu verpflichten, Arbeitsbeschaffungsreserven in irgendeiner Form anzulegen. Die Erfahrungen mit den bisher freiwilligen Arbeitsbeschaffungsreserven der privaten Wirtschaft zeigen, dass es gerade jene Unternehmungen versäumt haben, in guten Zeiten Reserven anzulegen, die sie heute am dringendsten benötigen. Dass mit diesem Instrument bei wirkungsvolleren Emsatzmòglichkeiten ein ins Gewicht fallender Beitrag zur Erhaltung von Arbeitsplätzen geleistet werden kann,
legen wir im Kapitel 52 dar.

Ein nicht zu unterschätzender Mangel der gegenwärtigen i Konjunkturpolitik besteht sodann in den vielfach noch unzulänglichen und verbesserungsbedürftigen statistischen Voraussetzungen. Obwohl in letzter Zeit diesbezüglich bereits gewisse Fortschritte, so etwa im Bereich der Arbeitsmarkt- und der Baumarktstatistik, erzielt wurden, bedarf es noch einiger Anstrengungen, um zu einer gründlichen Konjunkturdiagnose und -prognose zu gelangen. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang, dass der Bund noch keinen wirklichen verfassungsmässigen Auftrag zur Durchführung der nötigen Erhebungen hat und daher eine eigentliche Auskunftspflicht rechtlich nicht eindeutig abgedeckt ist.

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Ferner ist von Bedeutung, dass im geltenden Recht das an sich unbestrittene Anliegen, bei der Ergreifung konjunkturpolitischer Massnahmen den regionalen Unterschieden angemessen Rechnung zu tragen, nicht ausdrücklich erwähnt wird.

Wie in Kapitel 54 gezeigt wird, geht es hauptsächlich darum, zu vermeiden, dass die finanziell und wirtschaftlich schwächeren Gebiete des Landes durch eine gesamtwirtschaftlich ausgerichtete expansive oder restriktive Stabilitätspolitik benachteiligt und strukturpolitische Zielsetzungen durchkreuzt werden.

Wäre es schliesslich verfassungsmässig möglich gewesen, in der Hochkonjunktur Gelder zweckgebunden aus dem wirtschaftlichen Kreislauf abzuschöpfen und zu sterilisieren, hätten entsprechend mehr Mittel zur privaten und öffentlichen Rezessionsbekämpfung zur Verfügung gestanden. Wohl erwies sich der Anleihensmarkt bisher als recht flüssig ; die Aufnahme hoher Mittel durch den Bund grossenteils zur Finanzierung der Arbeitsbeschaffungsmassnahmen - haben indessen tendenziell den Zinsabbau gehemmt und damit nicht zur Belebung der privaten Investitionstätigkeit beigetragen.

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Bedeutung konjunktureller Stabilität

Wir stehen heute vor der Perspektive, dass die Wachstumsmöglichkeiten unserer Volkswirtschaft auf längere Sicht, insbesondere infolge der demographischen Entwicklung, eng begrenzt sind und bei weitem nicht mehr das Ausmass der fünfziger und sechziger Jahre erreichen werden. Bei stark verlangsamtem Wohlstandsanstieg dürfte nun aber die Anfälligkeit der Wirtschaft gegenüber konjunkturellen Störungen zunehmen. Es muss deshalb mit verstärkten kurzfristigen Schwankungen der wirtschaftlichen Aktivitäten nach oben und nach unten gerechnet werden. Wegen der schwerwiegenden Folgen konjunktureller Ungleichgewichte für Wirtschaft und Gesellschaft kommt daher einer Stabilisierungspolitik, die Konjunkturschwankungen vorzubeugen bzw. ihnen wirksam entgegenzutreten versucht, immer grössere Bedeutung zu.

Am offensichtlichsten sind die Nachteile konjunktureller Störungen wohl bei der Rezession. Die allgemeine Nachfrageschrumpfung zieht einen Rückgang der Produktion nach sich, was eine ungenügende Auslastung der personellen und technischen Kapazitäten der Privatwirtschaft und der Infrastruktur zur Folge hat. Die aus sozialer Sicht unerfreulichsten Folgen des wirtschaftlichen Rückganges sind die Zunahme von Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit sowie die Stagnation oder gar der Rückgang der realen Einkommen. Gleichzeitig verhärtet sich das Ringen um die einzelnen Anteile am kaum mehr wachsenden oder gar schrumpfenden Sozialprodukt. Da die Unternehmungen vielfach versuchen, durch vermehrte Fabrikation auf Lager die Produktion so lange als möglich aufrechtzuerhalten, vergrössern sich die Lagerbestände. Damit verbunden sind eine kostspielige Bindung von Kapital, Liquiditätsschwierigkeiten sowie die Gefahr rascher technischer Überalterung der geäufneten Lager. Die Rezession verursacht also volkswirtschaftliche

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Verluste, eine Verminderung des Volksemkommens und des allgemeinen Wohlstandes sowie soziale Härten. Je weniger es gelingt, im Rahmen der begrenzten Möglichkeiten des Staates die Rezession zu bekämpfen, desto grösser wird auch die Gefahr sich verschärfender Spannungen zwischen den einzelnen Bevòlkerungsgruppen und Interessenkreisen.

Dazu kommt, dass veraltete und überholte Strukturen, die sich im Zeichen der Hoch- und Überkonjunktur noch halten konnten, bei rückläufiger Nachfrage nicht mehr lebensfähig sind ; der Strukturwandel wird unumgänglich. Da er sich aber in einem konjunkturellen Tief vollzieht, ist er für die Betroffenen um so schmerzlicher. In diesem für unser Land sehr aktuellen Fall hat die Stabilisierungspolitik die schwierige Aufgabe, das konjunkturelle Gleichgewicht wiederherzustellen, ohne dabei die volkswirtschaftlich notwendige Strukturbereinigung zu behindern.

Ebenso schwer wiegen auf der ändern Seite die Auswirkungen anhaltender Inflation, auch wenn sie nicht immer so sichtbar und spürbar sind wie jene der Rezession. Die Erfahrung im In- und Ausland zeigt, dass die Teuerung auf lange Sicht ohne wirksame Gegenmassnahmen nicht «auf kleinem Feuer» gehalten werden kann, da ihr eine Neigung zur Selbstbeschleunigung innewohnt. Nach einer gewissen Zeit macht sich zwar mit der Verstärkung der Inflation ein allgemeines Unbehagen über das wechselseitige Hinauftreiben der Preise, Löhne und Kosten bemerkbar. Die zerstörerische Kraft der Inflation wird aber dennoch meist nicht in ihrer vollen Tragweite erkannt.

Eine anhaltend starke Teuerung hat besonders schwere Folgen für die Einkommens- und Vermögensverteilung. Die Inhaber festverzinsbarer Guthaben erleiden einen ständigen Kaufkraftverlust, wogegen die Schuldner eines nominal gleichbleibenden Geldbetrages entsprechend profitieren. Ähnlich bevorteilt werden die Eigentümer von stark nachgefragten Sachwerten, deren Preise überdurchschnittlich ansteigen. Leidtragende dieser Wohlstandsumverteilung sind in erster Linie Leute mit unterdurchschnittlichen Einkommen und Vermögen, die solche inflationsbedingte Wertumschichtungen als besonders ungerecht empfinden müssen.

In unserer Gesellschaft, die auf eine möglichst breite Streuung des Volkswohlstandes Gewicht legt, ist diesem Zusammenhang volle Aufmerksamkeit zu schenken.

Die Flucht in die
Sachwerte und die nominelle Aufblähung der Gewinne, Löhne und Kapitalerträge bewirken sodann, dass die Produktivkräfte nicht mehr in ergiebigster Weise verwendet werden können. Es können sich Grenzbetriebe über Wasser halten, die unter härteren Konkurrenzbedingungen keinen Bestand hätten. Die damit verbundenen Produkti\ itätseinbussen schwächen die Wettbewerbskraft unserer Wirtschaft. Die Preise üben die ihnen zugedachte Steuerungsund Antriebsfunktion im Wirtschaftsgeschehen um so unzulänglicher aus, je stärker die Geldentwertung ist. Wenn aufgrund der Inflationserwartungen stei-

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gende Preise die Nachfrage noch anregen, ist die Marktwirtschaft in weiten Bereichen nicht mehr funktionsfähig und unser freiheitliches Wirtschaftssystem in seiner Existenz gefährdet.

i Infolge der erwähnten Auswirkungen trägt die Inflation nicht nur den Keim zu einer späteren Krise in sich, sondern beeinflusst in ihrer Höhe und Dauer bereits auch das Ausmass der nachfolgenden Rezession. Die weltwirtschaftliche Entwicklung der letzten 20 bis 25 Jahre zeigt, dass jene Länder, welche die Inflation am wenigsten zu meistern vermochten, in der Regel auch die grösste Arbeitslosigkeit aufweisen. Eine ausgesprochen schwierige Aufgabe bietet der Konjunkturpolitik die sogenannte Stagflation, das gleichzeitige Auftreten von Arbeitslosigkeit und Teuerung. Verschiedene Länder liefern in dieser Hinsicht eindrückliche Beispiele.

Die Stagflation ist weitgehend die Folge einer anhaltenden Inflationserwartung und des ständigen Versuchs, die nachteiligen Folgen der allgemeinen Teuerung auf andere abzuwälzen, was sich schliesslich in einer Verschlechterung des sozialen Klimas niederschlägt.

Die bisherigen Überlegungen zeigen, dass die Frage, wie weit es dem Bund im Rahmen seiner Wirtschaftspolitik gelingt, das konjunkturelle Stabilitätsziel zu erreichen, von entscheidender Bedeutung für den Fortbestand unserer Volkswirtschaft ist. Sowohl Teuerung wie Arbeitslosigkeit führen zu kostspieligen volkswirtschaftlichen Verlusten, zu ungerechten Einkommens- und Vermögensumschichtungen und oft zu sozialen Spannungen. Letztlich steht unsere freiheitliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung auf dem Spiel.

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'

Aufgaben und Grenzen der Konjunkturpolitik Marktkonforme Stabilitätspolitik

Wie im letzten Kapitel dargelegt, zeitigen konjunkturelle Ungleichgewichte schwerwiegende Folgen für unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Es liegt somit im Gesamtinteresse unseres Landes, möglichst günstige Voraussetzungen für eine wirksame Stabilitätspolitik zu schaffen, die konjunkturelle Schwankungen ausgleicht oder soweit als möglich verhindert.

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Zielvorstellungen

Die Aufgabe der Stabilitätspolitik besteht grundsätzlich darin, für eine ausgeglichene konjunkturelle Entwicklung zu sorgen. Dies geschieht letztlich zur Förderung der allgemeinen Wohlfahrt, des umfassenden Zieles nach Artikel 2 der Bundesverfassung, das für den ganzen Bereich der Bundespolitik gilt. Während noch bis vor wenigen Jahren unter Wohlfahrt in erster Linie materieller und sozialer Fortschritt verstanden wurde, kamen in der jüngeren Vergangenheit

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immer mehr qualitative Faktoren wie namentlich die Forderung eines umweltgerechten und die Lebensqualität verbessernden Wirtschaftswachstums dazu. Nach heutiger Auffassung soll die Wohlstandsentwicklung aber auch bezüglich der einzelnen Landesgegenden, Wirtschaftszweige und Bevölkerungsgruppen möglichst harmonisch verlaufen.

i Konjunkturelle Stabilität bedeutet im einzelnen die Sicherung von Vollbeschäftigung, Preisstabilität und Zahlungsbilanzgleichgewicht. Diese Ziele sind nicht in absolutem Sinne zu verstehen, da sie sich in der Praxis kaum je gleichzeitig und vollständig i erreichen lassen. Auch können sie im einzelnen untereinander in Konflikt stehen. Die staatliche Wirtschaftspolitik hat sich dabei besonders demjenigen Ziel anzunehmen, das sich am stärksten vom Gleichgewichtsziel zu entfernen droht. Die Stabilitätspolitik muss also, je nach konkreter Wirtschaftslage, mit wechselnden Prioritäten arbeiten können. Daneben hat sie auch noch auf eine Reihe von Nebenzielen, wie zum Beispiel die Stabilisierung der ausländischen Wohnbevölkerung, Rücksicht zu nehmen.

Vollbeschäftigung heisst nicht, dass die gesamte arbeitsfähige und arbeitswillige Bevölkerung ständig beschäftigt ist. Aus verschiedenen Gründen, so namentlich infolge des technischen Fortschritts, des Strukturwandels, der Weiterbildung und Umschulung sowie des Arbeitsplatzwechsels, steht gezwungenermassen immer ein Teil der aktiven Bevölkerung ausserhalb des Erwerbsprozesses. Mit ändern Worten, es wird stets ein gewisses Ausmass an sogenannter «friktioneller Arbeitslosigkeit» geben. Vollbeschäftigung bedeutet somit im wesentlichen Vermeidung einer über dieses Mass hinausgehenden Arbeitslosigkeit.

Ebensowenig ist es möglich, während längerer Zeit vollständige Stabilität der Preise zu gewährleisten. Änderungen der Konsumstruktur, brauchen-, regionsund betriebsweise unterschiedliche Entwicklungen sowie vielfältige Wettbewerbsbeschränkungen sind meist mit gewissen Preissteigerungen verbunden. Daneben können auch inflationäre Bewegungen auf den Weltmärkten sowie Wechselkursveränderungen die Preisentwicklung im Inland massgeblich beeinflussen. Diese Erkenntnis darf aber nicht dazu führen, im Kampf gegen die Teuerung nachzulassen oder gar zu resignieren.1 Im Gegenteil, angesichts der geschilderten zersetzenden Folgen der Inflation muss das
Ziel bestmöglicher Geldwertstabilität weiterhin im Vordergrund der Konjunkturpolitik stehen. Dies besonders auch deshalb, weil Inflationsschübe plötzlich entstehen und sich über die vielschichtigen Verflechtungen einer Volkswirtschaft sehr rasch ausbreiten können.

Mit einer ausgeglichenen Zahlungsbilanz soll die Binnenw irtschaft gegen aussenwirtschaftlich bedingte Gleichgewichtsstörungen abgeschirmt werden. Dieses dritte Ziel, das längerfristig ausgerichtet ist, bietet seit dein Übergang zu fiottierenden Wechselkursen weniger Probleme als noch zur Zeit der festen Wechselkurse. Als Folge der besonders stabilen politischen und sozialen Verhältnisse üben die Schweiz und ihre Währung trotz massivem Kursanstieg nach wie vor

eine grosse Anziehungskraft auf ausländisches Kapital aus, so dass sich die Nationalbank infolge der anhaltenden Kapitalzuflüsse wiederholt zu ausgedehnten Devisenkäufen veranlasst sah, um allzu hektischen Kursausschlägen entgegenzutreten.

Konjunkturelle Stabilität ist eine entscheidende Voraussetzung für ein harmonisches Wirtschaftswachstum. Obwohl, wie dargelegt, namentlich aus demographischen und strukturellen Gründen die Wachstumsmöglichkeiten unserer Wirtschaft praktisch auf den Produktivitätsfortschritt beschränkt sind, ist eine gewisse Zunahme der volkswirtschaftlichen Produktion unerlässlich, um den Ausbau unserer Infrastruktur und der sozialen Werke sowie letztlich die Erhöhung der sogenannten Lebensqualität zu gewährleisten. Ebenso wichtig ist in diesem Zusammenhang sowohl aus gesamtwirtschaftlichen wie aus staatspolitischen Gründen die Forderung nach einer ausgeglichenen regionalen Entwicklung. Es ist deshalb darauf zu achten, dass mit konjunkturpolitischen Eingriffen die Einkommensunterschiede zwischen den einzelnen Landesteilen zumindest nicht noch verstärkt werden.

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Massnahmenbereiche

'

Konjunkturelle Stabilität ist grundsätzlich dann gewährleistet, wenn sich Gesamtangebot und Gesamtnachfrage im Gleichgewicht entwickeln. Da sich die Faktoren, die das reale Güterangebot bestimmen, wie Kapital, Entwicklung der Zahl der Erwerbstätigen, Arbeitszeit, technischer Fortschritt und Strukturwandel, in der Regel nur längerfristig verändern, werden konjunkturelle Gleichgewichtsstörungen zumeist durch kurzfristige Schwankungen der Nachfrage und der sie stützenden Geldmenge hervorgerufen. Die Stabilitätspolitik muss somit primär bei der Nachfrage ansetzen.

In unserem Wirtschaftssystem, das grundsätzlich auf der freien, wettbewerbsgesteuerten Marktwirtschaft beruht, ist das Stabilitätsziel in erster Linie auf dem Weg der sogenannten Globalsteuerung anzugehen. Dabei verändert der Staat die Rahmenbedingungen des Wirtschaftsprozesses, um die Nachfrageträger (Verbraucher, Investoren) zu veranlassen, sich konjunkturgerechter zu verhalten. Dies geschieht, im Gegensatz zur zentralistischen Wirtschaftsordnung, wo durch Gebote und Verbote ein bestimmtes Marktverhalten vorgeschrieben wird, in der Regel ohne staatlichen Zwang. Je früher und rascher die auf die Beeinflussung der wirtschaftlichen Gesamtgrössen gerichtete Globalpolitik zum Einsatz gelangt, desto geringer wird die notwendige Intervention sein, desto marktgerechter lässt sie sich ausgestalten.

Eine zentrale Stellung innerhalb der Stabilitätspolitik nimmt die Regulierung der Geldmenge ein. Da die Wirtschaftstätigkeit massgeblich durch die Geld- und Kreditversorgung der Haushalte, der Unternehmungen und der öffentlichen Kör-

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perschaften beeinfhisst wird, besteht die Aufgabe monetärer Vorkehren darin, die Geldversorgung laufend der Güterversorgung anzupassen. Mit dem Übergang zu flexiblen Wechselkursen haben sich die Voraussetzungen der Geldmengenregulierung entscheidend verbessert. So ist die Notenbank nicht mehr gesetzlich verpflichtet, die ihr angebotenen Devisen in Schweizerfranken umzutauschen und so die Geldmenge zu erhöhen. Störend wirkt sich in diesem Zusammenhang indessen - wie erwähnt - der anhaltende Aufwertungsdruck auf den Schweizerfranken aus.

Das geltende Notenbankgesetz vom 23. Dezember 1953 vermag den heutigen Anforderungen an eine wirksame Geld- und Kreditpolitik in verschiedener Hinsicht nicht mehr zu genügen. Vorarbeiten für eine Revision des Gesetzes wurden deshalb schon frühzeitig an die Hand genommen, durch die Verwerfung des Konjunkturartikels in der Volksabstimmung von Frühling 1975 aber verzögert.

Ein Revisionsentwurf, der sich auf Artikel 39 der Bundesverfassung stützt und in einem neuen Konjunkturartikel eine Verstärkung der Verfassungsgrundlage finden wird, ist den Kantonen, politischen Parteien und interessierten Kreisen der Wirtschaft vor kurzem zur Vernehmlassung unterbreitet worden. Das darin vorgesehene Hauptinstrument besteht in der Möglichkeit der Nationalbank, von den Banken Mindestreserven einfordern bzw. freigeben zu können. Dies erlaubt eine Anpassung der Notenbankgeldmenge an die Bedürfnisse einer ausgeglichenen konjunkturellen Entwicklung, wodurch über die Liquidität der Banken deren Geldschöpfungspotential beeinflusst wird. Weitere Revisionspunkte betreffen die Offenmarktpolitik, die Emissionskontrolle und die Abwehr von Geldern aus dem Ausland. Von der Möglichkeit direkter Kreditbegrenzungen soll abgesehen werden, da solche Eingriffe in die Marktwirtschaft systemwidrig sind.

Mit geldpolitischen Massnahmen allein lässt sich - gerade im Falle der Rezession - das konjunkturelle Gleichgewicht oft nicht oder nur ungenügend erreichen. Die Geld- und Kreditpolitik bedarf deshalb einer Ergänzung durch die Finanzpolitik.

Angesichts des Umfangs der öffentlichen Haushalte und der Bedeutung der Einnahmen- und Ausgabengestaltung für den Wirtschafts- und Geldkreislauf bietet die Finanzpolitik an sich grosse Möglichkeiten zur Beeinflussung der monetären Nachfrage. Die Voraussetzungen
eines konsequenten Einsatzes sind jedoch in unserem Land weniger günstig als auf dem Gebiet der Geld- und Kreditpolitik. Dies ist namentlich auf die grossen Entscheidungs- und Wirkungsverzögerungen in diesem Bereich sowie auf politische und föderalistische Hemmnisse zurückzuführen. Um so wichtiger sind deshalb die Bemühungen, im Rahmen der praktischen Möglichkeiten eine konjunkturgerechte Gestaltung des gesamten öffentlichen Haushaltes zu erreichen.

Unter Massnahmen auf dem Gebiet der Aussenwirtschaftspolitik fallen solche zur Beeinflussung des grenzüberschreitenden Güter-, Dienstleistungs- und Produktionsmittelverkehrs. Angesichts der weitgetriebenen internationalen Liberalisierung im Aussenhandelsbereich sowie des Übergangs zu flexiblen Wechselkur-

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sen fallen die herkömmlichen handelspolitischen Instrumente weitgehend ausser Betracht. Auf protektionistische Massnahmen ist, gerade in einem so eng mit der Weltwirtschaft verflochtenen Land wie der Schweiz, wenn immer möglich zu verzichten. Da zudem die Bestimmungsfaktoren der Auslandnachfrage in den ausländischen Volkswirtschaften wurzeln, ist der eigentliche Nachfrageträger nicht direkt, sondern lediglich indirekt durch Veränderung der aussenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen an der Grenze oder im Inland beeinflussbar. Einer der massgeblichen Bestimmungsfaktoren, die Wechselkursentwicklung, entzieht sich seit dem Übergang der westlichen Welt zu flexiblen Wechselkursen weitgehend einer direkten Beeinflussung, ist aber indirekt eine Folge der konjunkturellen Entwicklung und der Stabilisierungsbemühungen.

Die Aussenwirtschaftspolitik hat sich deshalb im wesentlichen auf die Beeinflussung des Geld- und Kapitalverkehrs mit dem Ausland zur Vermeidung einer allzu hektischen Wechselkursentwicklung und längerfristig auf Massnahmen zur Produktivitätsförderung sowie zur Verbesserung der Wettbewerbsstellung unserer Exportindustrie zu beschränken. Da bei der heutigen Labilität der Weltwährungsordnung laufend mit internationalen Geldbewegungen zu rechnen ist, die zu konjunkturellen Ungleichgewichten führen, sind die nötigen Verfassungsgrundlagen bereitzustellen, um allfällige Massnahmen zum Schutz unserer Währung rasch treffen zu können.

Weil einerseits die Ursachen konjunktureller Störungen meist sehr vielschichtig sind und andererseits die einzelnen Nachfragekomponenten in einem gewissen Zusammenhang zueinander stehen, ist eine Koordination der einzelnen Stabilisierungsmassnahmen unerlässlich. Selbst bei Erfüllung dieser Bedingung vermag indessen unter den heutigen Gegebenheiten die Globalpolitik allein nicht immer zum erwünschten Stabilisierungserfolg zu führen. So kann die Gesamtwirkung unzureichend sein, oder aber es zeichnen sich eine ungerechte Verteilung der Lasten, Strukturverzerrungen, Wachstumshemmungen oder gar soziale Spannungen ab. Mit ändern Worten: Gezielte flankierende Eingriffe erweisen sich unter gewissen Voraussetzungen als unerlässlich. · Einmal haben gerade die jüngsten Erfahrungen im In- und Ausland deutlich gezeigt, dass sich bei der Rezessionsbekämpfung gezielte Arbeitsbeschaffungsmassnahmen
aufdrängen, um die nötigen Nachfrageimpulse, besonders im Investitionsbereich, auszulösen. Globalpolitische Vorkehren allein vermögen in einer solchen Konjunkturphase wenig zur Verbesserung der Lage in den einzelnen Wirtschaftszweigen beizutragen. So lassen sich in Zeiten der Rezession die Unternehmer bei pessimistischen Erwartungen auch durch eine fast beliebige Erweiterung der Geldmenge nicht zum Investieren veranlassen.

Die Erscheinungsformen der Konjunktur haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten zusehends gewandelt; bezeichnend ist namentlich die raschere Aufeinanderfolge und die grosse Intensität der Konjunkturschwankungen. Mehr und

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mehr treten Teuerung und Arbeitslosigkeit gleichzeitig auf (Stagflation). Dadurch werden einer Politik der Nachfragebeeinflussung nach klassischem Muster Grenzen gesetzt. Versucht man mit konjunkturdämpfenden Massnahmen die Teuerung in Griff zu bekommen, so riskiert man die Beschäftigung zu gefährden.

Andererseits können nachfragefbrdernde Einspritzungen in den Geldkreislauf zur Bekämpfung von Beschäftigungseinbrüchen leicht neue Inflationsschübe auslösen.

Obwohl das Hauptgewicht der Konjunkturstabilisierung heute und auch künftig auf der Globallenkung zu liegen hat, muss man sich doch bewusst sein, dass auch wegen der vielfachen Wettbewerbsbeschränkungen und der wachsenden Umgehungsmöglichkeiten globaler Massnahmen deren Wirkung häufig begrenzt ist.

Schliesslich zeigt sich immer mehr, dass eine globale Konjunkturpolitik keineswegs strukturneutral ist. Sie übt im Gegenteil gerade durch ihre Undifferenziertheit einen wesentlichen Einfluss auf die Strukturen aus, was um so nachteiliger ist, je grösser die branchen- und regionsweisen Unterschiede sind. Dieser Zusammenhang ist für unser Land von besonderer Bedeutung, da sich das Gefalle zwischen armen und reichen Gebieten in den letzten Jahren eher verschärft hat.

Zudem konzentrieren sich häufig konjunkturelle Ungleichgewichte - zumindest zu Beginn der Störungsphase - auf einzelne Branchen oder Landesgegenden. Eine Differenzierung der Stabilisierungsmassnahmen und eine «strukturelle Absicherung» der wirtschaftlich und finanziell schwächeren Regionen drängt sich somit auf.

Marktgemässe Stabilitätspolitik bedeutet also im Grundsatz soviel Globalsteuerung als möglich und sowenig punktuelle Eingriffe als nötig. Sich als unerlässlich erweisende gezielte Eingriffe haben die Wirtschaftsfreiheit sowenig als möglich einzuschränken und sind - im Gegensatz zur Globallenkung -- in der Regel nur vorübergehend zu erlassen. Aus dieser ordnungspolitischen Sicht ist beispielsweise eine eigentliche Einkommenspolitik, das heisst die direkte Beeinflussung der Preis-, Lohn- und Gewinngestaltung, aus dem ordentlichen; konjunkturpolitischen Instrumentarium auszuschliessen. Dazu kommt, dass in Anbetracht der verhältnismässig dezentralisierten schweizerischen Vertragspolitik und wegen des offenen Charakters unserer Wirtschaft eine zentralistische Einkommenspolitik
hierzulande verfehlt wäre und noch weniger Aussicht auf Erfolg hätte als in ändern Staaten. Damit ist nicht gesagt, dass eine auf Missbrauchsbekämpfung ausgerichtete Preisüberwachung im Sinne des Bundesbeschlusses von 1972/75 in Zeiten hektischer Preisentwicklung nicht zur Teuerungsbekämpfung beizutragen vermag.

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Grenzen der Konjunkturpolitik

Auf die im Konjunkturverlauf, namentlich aber im Rezessionsfall unterschiedlichen Möglichkeiten der Globallenkung haben wir im vorangehenden Kapitel bereits hingewiesen. Die Schranken direkter Eingriffe in einzelne Wirtschaftsbereiche auf der ändern Seite ergeben sich im Rahmen unserer freiheitlichen Markt-

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Wirtschaft in erster Linie aus ordnungspolitischen Überlegungen. Branchen-, régions- oder unternehmungsspezifische Massnahmen bergen die Gefahr einseitiger Bevorzugung beziehungsweise Benachteiligung in sich. Sie können auch zur Einfrierung überholter Strukturen führen und damit den Produktivitätsfortschritt behindern. Interventionistische Vorkehren sind deshalb an die Voraussetzung zu binden, dass sie vom Stabilitätsziel her erforderlich sind, nicht produktivitätsverschlechternd wirken und letztlich zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit unserer Marktwirtschaft beitragen.

Wir sind uns bewusst, dass die Wirksamkeit der Konjunkturpolitik auch bei verbessertem Instrumenteneinsatz an gewisse Grenzen gebunden ist. So haben wir denn auch bereits festgestellt, dass die Stabilitätsziele, namentlich Geldwertstabilität und Vollbeschäftigung, nicht in absolutem Sinne verstanden werden können.

Die Gründe dafür sind vielschichtig: Eine wesentliche Rolle spielt einmal die grosse Abhängigkeit unserer Volkswirtschaft vom Ausland, die zur Folge hat, dass ein grosser Teil der die Inlandkonjunktur bestimmenden Faktoren (z. B.

Exportnachfrage, Rohstoffpreise) im Ausland liegt und konjunkturpolitischen Massnahmen weitgehend entzogen ist. Ins Gewicht fällt in diesem Zusammenhang auch der Umstand, dass die konjunkturelle Entwicklung branchen-, regionsund betriebsweise meist sehr unterschiedlich verläuft, so dass selbst bei einer Differenzierung der Stabilisierungsmassnahmen deren Wirksamkeit im einzelnen zum Teil beschränkt bleiben muss. Erschwerend wirkt sich ferner die Tatsache aus, dass die Beweggründe wirtschaftlichen Handelns und somit konjunktureller Erscheinungen, wie etwa die Selbstbeschleunigungskraft der Inflation, häufig im psychologischen Bereich liegen und deshalb dem staatlichen Einfluss nur beschränkt, ja oft überhaupt nicht zugänglich sind.

Eine weitere Grenze der Stabilisierungspolitik, auf die wir bereits im vorangegangenen Kapitel hingewiesen haben, ergibt sich in strukturpolitischer Hinsicht.

Einmal ist grundsätzlich davon auszugehen, dass mit konjunkturpolitischen Massnahmen nicht Strukturpolitik betrieben werden kann und soll, dass von ihnen aber gewichtige strukturbeeinflussende Auswirkungen ausgehen können.

Hauptaufgabe der Konjunkturpolitik ist es bekanntlich, kurzfristige nachfragebedingte
Schwankungen im Auslastungsgrad des gesamtwirtschaftlichen Produktionspotentials soweit möglich zu vermeiden oder zumindest abzuschwächen.

Konjunkturelle Stabilität erleichtert strukturelle Anpassungen und schafft die Voraussetzungen zu vermehrter Berücksichtigung besonderer Probleme bestimmter Wirtschaftszweige und Gebiete. Zugleich wird eine Fehllenkung der Produktivkräfte vermieden und die internationale Wettbewerbsfähigkeit gestärkt.

Im Gegensatz zur Konjunkturpolitik zielt die eigentliche Strukturpolitik auf die Veränderung von Angebotsbedingungen; so sollen beispielsweise durch die Förderung der angewandten Forschung und der Diversifikation oder durch Vorkehren auf dem Gebiete der Regionalpolitik die sektoralen oder regionalen Rahmenbedingungen für das Wirtschaftswachstum verbessert werden.

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Angesichts des erheblichen Wohlstandsgefalles zwischen reichen und armen Regionen unseres Landes enveist es sich aber als immer drmgender auch im Rahmen konjunkturpolitischer Massnahmen vermehrt auf die unterschiedhche Entwicklung der emzelnen Gebiete Rucksicht zu nehmen Wesenthch beschrankter sind auf der andern Seite die Moghchkeiten des Staates, bediangten Wiitschaftszweigen oder Unternehmungen direkt beizustehen Die Schwelle zu Protektiomsmus und Strukturerhaltung, die langfnstig Produktivitatsembussen und zusatzhche soziale Kosten nach sich ziehen, ist rasch einmal tiberschritten Der staatliche Beitrag muss sich somit unter Beachtung der Marktkiafte im wesentlichen auf Hilfe zur Selbsthilfe beschranken Nicht zuletzt muss man sich der politischen Schranken, die der Wirtschaftspolitik und somit auch der Konjunkturpolitik gesetzt sind, bewusst sem Es erweist sich immer wieder, dass lange nicht alles, was sachhch wunschbar auch polmsch machbar ist Die Ergebnisse massgebender eidgenossischer Abstimmungen der jungsten Vergangenheit (z B erster Konjunkturartikel, Verfassungsartikel uber Bildungswesen, Raumplanungsgesetz) zeigen deuthch, dass Volk und Stande in der Erteilung von Kompetenzen an den Bund zuruckhaltend sind Diesem Urn stand versuchten wir bei der Neuformulierung des Konjunkturartikels bestmoglich Rechnung zu tragen Das Verhaltnis zwischen Staat und \\ irtschaft ist auch fur die Stabihsierungspolitik von grosster Bedeutung und muss immer wieder neu uberdacht werden So ist es beispielsweise widerspruchhch auf der emen Seite dem Bund konjunkturpohtische Befugmsse zu verwehren, auf der andern Seite aber in ihm den Motor der Konjunkturentwicklung zu sehen und von ihm weitgehende Unterstützung zu verlangen Gerade m Rezessionszeiten \\ird gerne vergessen dass in unserer freiheithchen Wrrtschaftsordnung m erster Lime private Imtiatn e und Wille zur Selbsthilfe fur das wirtschafthche Gedeihen unseres Landes entscheidend smd Es kann und darf nicht Aufgabe des Staates sem, der Pnvat\\ irtschaft die Verantwortung fur ihr Handeln abzunehmen Das Ziel marktgerechten stabihtatspohtischen Handelns hat vielmehr dann zu bestehen laufend die wirtschafthchen Rahmenbedmgungen den konjunkturellen \ erhaltmssen anzupassen und bloss ausnahmsweise das heisst wenn die pnvatw rrtschafthchen Selbstreguherungskrafte
nicht ausreichen und es rm Gesamtmteresse des Landes hegt, gezielt korngierend einzugreifen Dazu bedarf es aber der Emsichtdasssderl Bund nui dann erne erfolgversprechende Konjunkturpolitik betreiben kann wenn ihm die notigen Kompetenzen ubertragen und seme Stabihsierungsmoghchkeiten nicht allzu eng begrenzt werden Wenn wir einleitend auf die der Konjunkturpolitik aus mancherlei Grunden gesetzten Grenzen hingevuesen haben, bedeutet dies kemeswegs dass wir die Erfolgschancen ernes neuen Artikels 31qu > quies der Bundes\erfassung von \ornherem als germg betrachten Wir smd im Gegenteil der Memung, dass es nut den anbegehrten Kompetenzen moglich sem \\ird, erne ausgeghchenere Entwicklung

Bundesbiatt Pg Jahrg Bd III

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unserer Wirtschaft herbeizuführen. Gerade die jüngsten Entwicklungen haben auch unter Berücksichtigung der derzeitigen Sonderfaktoren - gezeigt, dass es gelingt, die Teuerungsrate in verhältnismässig engen Schranken zu halten, wenn das Wachstum der Geldmenge auf die Produktion ausgerichtet und soweit möglich verstetigt wird. Es geht denn auch weniger darum, Bund und Nationalbank Befugnisse zu rigorosem Eingreifen zu geben, als vielmehr die Voraussetzungen zu rechtzeitigem, zielgerichtetem Handeln zu schaffen.

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Anforderungen an die konjunkturpolitische Verfassungsgrundlage

Der geltende Artikel 31 qumqmes vermag den Anforderungen einer wirksamen, marktgemässen Stabilitätspolitik in verschiedener Hinsicht nicht zu genügen. Die Hauptlücke besteht in der einseitigen Ausrichtung dieser Verfassungsbestimmung auf die Verhütung und Bekämpfung von Rezession und Krise. Aber auch zur Erreichung dieses Ziels deckt er nicht alle sachlich notwendigen Präventivmassnahmen verfassungsmässig ab. Welche Bedingungen hat deshalb ein neuer Konjunkturartikel zu erfüllen, um die bestehenden Rechtslücken zu schliessen und die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Stabilitätspolitik zu verbessern?

Einmal ist der Bund ausdrücklich zu ermächtigen, die sich vom Stabilisierungsziel her aufdrängenden Massnahmen, also sowohl Vorkehren zur Verhütung und Bekämpfung von Arbeitslosigkeit wie von Teuerung, ergreifen zu können. Entsprechend den marktwirtschaftlichen Spielregeln hat der Bund grundsätzlich nur subsidiär in Erscheinung zu treten, das heisst erst dann in den Wirtschaftsablauf einzugreifen, wenn die Selbsthilfebestrebungen der Privatwirtschaft nicht zum Ziel zu führen vermögen. Er hat sich ferner im Rahmen der Stabilisierungsmassnahmen an das Erfordernis der Verhältnismässigkeit zu halten, das für alle Bereiche staatlicher Aktivität gilt. Mit ändern Worten: Es ist darauf zu achten, dass das Stabilitätsziel mit einem möglichst geringen Interventionsgrad erreicht wird. In erster Linie ist der konjunkturelle Gleichgewichtszustand durch Veränderung der Rahmenbedingungen, also durch grundsätzlich global wirkende Vorkehren, wiederherzustellen. Direkte Eingriffe in einzelne Wirtschaftsbereiche sind nur ausnahmsweise und unter den früher erwähnten Voraussetzungen gerechtfertigt.

Als zweites sind die Bedingungen dafür zu schaffen, dass der Bund die sich aufdrängenden Massnahmen möglichst frühzeitig ergreifen und sich rasch neuen Gegebenheiten anpassen kann. Je schneller man gegen konjunkturelle Störungen vorzugehen vermag, desto weniger stark muss in der Regel in den Wirtschaftsablauf eingegriffen werden. Wie die bisherigen konjunkturpolitischen Erfahrungen deutlich zeigen, wird der Erfolg globaler Massnahmen massgeblich durch den Zeitpunkt ihres Einsatzes mitbestimmt. Dies gilt auch für Vorkehren zur Verhütung von Konjunkturschwankungen, deren Wirksamkeit nur bei frühestmöglichem Einsatz gewährleistet ist.

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Drittens soll der Bund befugt werden, im Rahmen der drei «klassischen» Massnahmenbereiche nötigenfalls von der Handels- und Gewerbefreiheit abzuweichen.

Eine Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit ist ebenfalls an die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismässigkeit gebunden und demzufolge nur zulässig, wenn sie sich zur Erreichung des Stabilitätsziels aufdrängt und somit im Gesamtinteresse des Landes liegt. Dies ist etwa dann der Fall, wenn undifferenzierte Globalmassnahmen im monetären Bereich infolge unterschiedlicher Kreditbedürfnisse zu besondern Härten führen oder-die Verwirklichung wichtiger Infrastruktureinrichtungen gefährden könnten. Eine ausdrückliche Erwähnung der Abweichungsmöglichkeit von der Handels- und Gewerbefreiheit ist deshalb nötig.

weil dieses Individualrecht in Artikel 31 der Bundesverfassung verankert ist. Weiter soll dadurch vermieden werden, dass bei der Beurteilung der Frage, ob mit einer bestimmten Massnahme von der Handels- und Gewerbefreiheit tatsächlich abgewichen wird oder nicht, allenfalls keine Einigung zustande kommt.

Die einzelnen Gebiete des Landes werden bekanntlich von den Konjunkturschwankungen und dem durch sie verstärkten Strukturwandel sehr unterschiedlich betroffen. Der Verfassungsartikel hat deshalb den Bund ausdrücklich zu verpflichten, beim Vollzug der Stabilisierungsmassnahmen auf die regional unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung Rücksicht zu nehmen.

Der Wirkungsgrad der Stabilisierungsbemühungen wird, namentlich auf dem Gebiet der Finanzpolitik, wesentlich vom Verhalten der Kantone und Gemeinden mitbestimmt. So wäre beispielsweise den jüngsten Bemühungen zur Bekämpfung der Rezession nicht der gleiche Erfolg beschieden gewesen, wenn nicht auch viele Gemeinwesen namhafte Arbeitsbeschaffungsprogramme realisiert hätten. Die Kantone und Gemeinden haben sich deshalb im Rahmen ihrer Möglichkeiten auf die konjunkturpolitischen Bemühungen des Bundes auszurichten.

Der Erfolg der Konjunkturpolitik hängt nicht zuletzt entscheidend von der richtigen Analyse der Konjunkturlage und -aussiebten ab. Es sind somit die rechtlichen Voraussetzungen für den Aufbau einer umfassenden Konjunkturdiagnose und -prognose zu schaffen. Es geht dabei namentlich darum, dem Bund einen klaren Auftrag zu geben, laufend die zur Beurteilung des Konjunkturverlaufs nötigen Erhebungen durchzuführen.

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Bisheriger Werdegang

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Die Vorlage vom 4. Oktober 1974

Wie einleitend dargelegt, zeigte sich im Verlauf der sechziger Jahre zusehends, dass die Befugnisse und Instrumente des Bundes nicht ausreichen, um dem sich verstärkenden Inflationsauftrieb Herr zu werden. Diese Erkenntnis führte denn auch Mitte der sechziger Jahre zu einem parlamentarischen Vorstoss, in welchem

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der Bundesrat aufgefordert wurde, den Entwurf eines Verfassungsartikels für eine wachstumsgerechte Konjunkturpolitik auszuarbeiten. Die dadurch ausgelösten wissenschaftlichen Vorarbeiten dauerten bis zu Beginn der siebziger Jahre.

Im Herbst 1971 lag der Entwurf eines neuen Artikels 31i«mquies vor. Das anschliessende Vernehmlassungsverfahren widerspiegelte eindrücklich die grosse wirtschaftliche und gesellschaftliche Tragweite eines Ausbaus der konjunkturpolitischen Verfassungsgrundlage. Im Mittelpunkt der damaligen Diskussion standen die Fragen, wie weit dem Bund Stabilisierungskompetenzen zu übertragen seien, ob und unter welchen Voraussetzungen er dabei von der Handels- und Gewerbefreiheit abweichen könne und ob die vorgesehenen finanzpolitischen Befugnisse die kantonale und kommunale Steuerhoheit nicht zu weitgehend berühren würden. Einzelne Kreise forderten auch bereits eine Rücksichtnahme auf regional-, Struktur- und wachstumspolitische Erfordernisse. Im Frühjahr 1973 unterbreitete der Bundesrat den eidgenössischen Räten den wesentlich überarbeiteten und namentlich nach politischen Gesichtspunkten modifizierten Entwurf zu einem neuen Konjunkturartikel.

Die Behandlung der Vorlage durch die eidgenössischen Räte zog sich bis in den Herbst 1974 hinein und führte zu einer nochmals in wesentlichen Punkten geänderten und erweiterten Fassung (Bundesbeschluss vom 4. Okt. 1974). Diese zur Volksabstimmung gelangende Vorlage unterschied sich vom Beschluss des Bundesrates hauptsächlich in einer weiteren Verstärkung der Subsidiarität von Massnahmen ausserhalb der Bereiche des Geld- und Kreditwesens, der öffentlichen Finanzen und der Aussenwirtschaft. Ferner brachte sie neu die Rückerstattungspflicht abgeschöpfter Mittel, eine Verstärkung der Rücksichtnahme auf die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Landesgegenden sowie zusätzliche Kontrollmöglichkeiten des Parlaments.

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Knapper Ausgang der ersten Volksabstimmung

In der eidgenössischen Volksabstimmung vom 2. März 1975 sprachen sich bei einer gesamtschweizerischen Stimmbeteiligung von nur 28,4 Prozent etwas mehr als die Hälfte der Stimmenden (543 000 bzw. 53%) für und rund 486 000 (47%) gegen die Neufassung von Artikel 31 qumqmes der Bundesverfassung aus. Obwohl die Vorlage eine absolute Stimmenmehrheit erreichte, vermochte sie die Abstimmungshürde nicht zu nehmen, da je elf Kantone verwarfen bzw. annahmen und somit das für eine Verfassungsrevision erforderliche Ständemehr nicht erreicht wurde.

Eine Analyse des Abstimmungsergebnisses ist nicht einfach. Die Ablehnung des Entwurfs - nach einem eher lauen Abstimmungskampf - erfolgte wahrscheinlich aus sehr verschiedenen Gründen. Jedenfalls dürfte es nicht ein einzelnes Argument, sondern ein ganzes Bündel unterschiedlicher Überlegungen gewesen sein,

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die sich summierten und schhesslich zur knappen Verwerfung dei \ orlage führten Unseres Erachtens lasst sich das Abstimmungsergebnis vor allem auf folgende Hauptgrunde zurückfuhren Die Ablehnung durch die Hälfte der Kantone kann in erster Linie als Ausdruck der föderativen Tradition unseres Landes betrachtet werden Sie widerspiegelt die Skepsis gegenüber einem möglichen zentralistischen Trend und namentlich emei konjunkturpolitisch motivierten Beeinflussung des Finanzwesens von Kantonen und Gemeinden Der potentielle Eingriff in die kantonale und kommunale Finanzautonomie wurde von vielen als Stein des Anstosses betrachtet Zwar nahm das Parlament gerade aus solchen Überlegungen einen Absatz in die Vorlage auf, wonach der Bund die unterschiedliche regionale Entwicklung zu berücksichtigen habe Im \veitern konnte auf zahlreiche wirtschaftspolitische Massnahmen des Bundes verwiesen werden die der unter schiedhchen Lage der einzelnen Landesgegenden Rechnung tragen Dennoch blieb vor allem in den wirtschaftlich weniger entwickelten Kantonen die Furcht verbreitet, die Konjunkturpolitik konnte den föderalistischen Anliegen und den regionalen Gegebenheiten zu wenig Rechnung tragen Diese Bedenken vvaien letztlich starker als die Einsicht, dass eine wirksame Konjunkturpolitik ohne Embezug der Kantone und Gemeinden Stuckwerk bleiben rnuss Verbreitet war und ist nach wie vor die Befürchtung dass umfassende Stabilisie rungsmassnahmen mit einer allzu starken Einschränkung der Wutschaftstreiheit verbunden seien Dabei wird meist übersehen dass dies um so weniger der Fall ist, je rascher der Bund die sich aufdrangenden Massnahmen ergreifen kann Nicht beachtet wird häufig auch, dass sich in gewissen Fallen Vorkehren, mit denen die auf Kosten anderer ausgenutzte Freiheit einzelner im Gesamtinteresse vorübergehend beschrankt wird oft gerade aus marktwirtschaftlicher Sicht aufdrangen können Nicht zuletzt durfte der Zeitpunkt der Abstimmung den negativen Ausgang teilweise mitverursacht haben Hauptgrund für die Revision des Konjunkturartikels war ursprunglich die Notwendigkeit einer Dampfung der Uberkonjunktur und einer Bekämpfung der Inflation Deshalb ist es \veitei nicht verwunderlich dass viele Stimmburger mit Blick auf die überhandnehmenden Kräfte der Rezession wenig Verständnis für eine langfristig ausgerichtete, weitgehend mit der Teuerungsbekampfung motivierte Verfassungsrevision zeigten

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Erarbeitung einer Neufassung

Seit der Volksabstimmung vom 2 März 1975 hat sich an der Notwendigkeit einer neuen konjunkturpolitischen Verfassungsgrundlage nichts geändert Im Gegenteil Das Erfordernis einer umfassenden Neugestaltung der Rechtsgrundlage für eine wirksame Stabilitatspohtik wird durch die konjunkturelle Entwicklung m

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den westlichen Industrieländern und durch die jüngsten Stabilisierungserfahrungen erhärtet. Es besteht zwar heute ähnlich wie in der vergangenen Überhitzungsphase die Gefahr, dass man sich bei der Beurteilung der Verfassungsrevision zu sehr von der gegenwärtigen Wirtschaftslage beeinflussen lässt. Das Argument, auf einen Ausbau der Verfassungsgrundlage könne verzichtet werden, da diese ja zur Bekämpfung von Flaute und Arbeitslosigkeit weitgehend ausreiche, ist angesichts der Ungewissen Zukunft nicht stichhaltig.

Konjunkturschwankungen sind in einer Marktwirtschaft nicht vermeidbar, weshalb eine ausgeglichene konjunkturelle Entwicklung nur auf eine befriedigende Weise gewährleistet werden kann, wenn die Stabilisierungspolitik als eine langfristig ausgerichtete Aufgabe verstanden und konzipiert wird. Aufgrund dieser Überlegungen beauftragte der Bundesrat im Herbst 1975 eine aus Juristen, Ökonomen und Politikern zusammengesetzte Expertengruppe mit der Erarbeitung einer Neufassung des Konjunkturartikels. Sie hatte dabei namentlich die Ergebnisse der Volksabstimmung zur ersten Vorlage sowie die neuesten konjunkturpolitischen Entwicklungen und Erkenntnisse zu berücksichtigen.

Anfang 1976 unterbreitete die Kommission dem Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement einen neuen Entwurf zum Konjunkturartikel. Die vorgeschlagene Neuformulierung trägt der vorgebrachten Kritik weitgehend Rechnung. Sie wurde gegenüber der Fassung vom 4. Oktober 1974 in etlichen Punkten entlastet und gestrafft. Die Vorlage fand im Vernehmlassungsverfahren, das Mitte Juli 1976 abgeschlossen werden konnte, denn auch weitgehend Zustimmung. Abgesehen von einer teilweisen Neuregelung der finanzpolitischen Befugnisse, entspricht deshalb der vom Bundesrat am 27. September 1976 verabschiedete Entwurf zu einem neuen Artikel 31iumiules der Bundesverfassung grösstenteils dem Vernehmlassungstext.

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Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

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Grundsätzliche Bemerkungen

Der lange Reifeprozess des neuen Konjunkturartikels hat zu einer Vorlage geführt, die in ihren Grundzügen heute von praktisch allen Seiten als sachlich und politisch tragbar erachtet wird. Dies kann als Hauptergebnis der zahlreichen Stellungnahmen bezeichnet werden. Die Notwendigkeit eines Ausbaus der verfassungsmässigen Grundlagen für die Konjunkturpolitik wird kaum noch bestritten und der eingeschlagene Weg grundsätzlich als richtig bezeichnet. Die Meinung herrscht vor, der im Zusammenhang mit der Volksabstimmung vom 2. März 1975 vorgebrachten Kritik sei in verantwortbarem Masse Rechnung getragen worden.

Die konkreten Änderungsvorschläge berühren in der Regel nicht grundsätzliche Fragen der Vorlage. Eine Ausnahme stellen die finanzpolitischen Befugnisse des

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Bundes in Absatz 3 dar, die von verschiedener Seite als zu eingriffig bezeichnet werden. Umgekehrt betrachten mehrere Vernehmlasser die gegenüber der ersten Vorlage vorgenommenen Abstriche an Stabilisierungskompetenzen als zu weitgehend.

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Kritik zu einzelnen Absätzen

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Absatz l Der Bund trifft Vorkehren für eine ausgeglichene konjunkturelle Entwicklung, insbesondere zur Verhütung und Bekämpfung \on Arbeitslosigkeit und Teuerung. Er arbeitet mit den Kantonen und der privaten Wirtschaft zusammen.

Die im Vergleich zum Vernehmlassungstext eindeutigere Umschreibung des ersten Absatzes, der nun über die blosse Zielumschreibung hinaus auch eine klare Kompetenzregelung enthält, findet allgemein Zustimmung. Der Bund müsse verfassungsmässig beauftragt werden, im Rahmen der Handels- und Gewerbefreiheit alle sich aufdrängenden Vorkehren zur Stabilisierung der Konjunktur zu treffen.

Besondere Bedeutung wird dem Umstand beigemessen, dass die Möglichkeit zu vorbeugenden Massnahmen eindeutig abgedeckt ist. Dadurch werde es leichter sein, den marktkonformen Charakter der Stabilisierungsmassnahmen zu wahren.

Es wird jedoch auch zu bedenken gegeben, dass durch Absatz l nicht der Eindruck erweckt werden dürfe, der Bund sei in der Lage, eine ausgeglichene konjunkturelle Entwicklung zu garantieren.

Der überwiegende Teil der Vernehmlasser, namentlich die Kantone, findet es angebracht, die Zusammenarbeit des Bundes mit den Kantonen und der Wirtschaft bzw. ihren Organisationen ausdrücklich zu erwähnen. Die Notwendigkeit einer engen Kooperation zwischen der öffentlichen Hand und der privaten Wirtschaft, die gerade im Bereich der Konjunkturpolitik unerlässliche Voraussetzung für einen Erfolg darstelle, komme so besser zum Ausdruck. Es empfehle sich indes, «private Wirtschaft» durch den umfassenderen Begriff «Wirtschaft» zu ersetzen. Einzig von einer Seite wird der zweite Satz von Absatz l abgelehnt, da er die Gefahr einer Tendenz in Richtung «ständestaatlicher Ordnung» in sich berge.

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Absatz 2 Bei Massnahmen auf den Gebieten des Geld- und Kreditwesens, der öffentlichen Finanzen und der Aussenwirtschaft ist der Bund befugt, nötigenfalls von der Handels- und Gewerbefreiheit abzuweichen. Er kann ferner die Wirtschaft zur Bildung von Arbeitsbeschaffungsreserven verhalten.

Im allgemeinen wird es begrüsst. dass die Befugnis des Bundes, nötigenfalls von der Handels- und Gewerbefreiheit abzuweichen, auf die drei «klassischen» Massnahmenbereiche beschränkt wird. Eine volle Ausschöpfung der bereitgestellten Instrumente ermögliche im wesentlichen eine wirksame Konjunkturpolitik. Der

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Rückgriff auf extrakonstitutionelle Bundesbeschlüsse sei nötigenfalls nach wie vor möglich; Notlage und Ausnahmesituationen sollen indessen auch verfassungsrechtlich als solche behandelt werden.

In einzelnen Stellungnahmen wird die Abweichungsmöglichkeit von der Handelsund Gewerbefreiheit immer noch als zu weitgehend empfunden und eine zeitliche Befristung aller die Wirtschaftsfreiheit beschränkender Massnahmen gefordert.

Andere Vernehmlasser wiederum bedauern die Streichung der in der ersten Vorlage vorgesehenen Kompetenz, ausnahmsweise auch ausserhalb der drei «klassischen» Bereiche von der Handels- und Gewerbefreiheit abweichen zu können.

Die Vorschläge und Anregungen, die namentlich von Verbraucherseite stammen, reichen hier von der zusätzlichen Erwähnung einzelner weiterer Massnahmenbereiche (Bauwirtschaft, Preisüberwachung) bis zur Wiederaufnahme des früheren Absatzes 3. Nicht zuletzt wird zu bedenken gegeben, dass eine Rücksichtnahme auf wirtschaftlich schwächere Regionen nach Absatz 4 bei einer Beschränkung des konjunkturpolitischen Instrumentariums auf die erwähnten drei Bereiche erschwert wird.

Breite Zustimmung findet die neu vorgeschlagene Möglichkeit, die Wirtschaft zur Bildung von Arbeitsbeschaffungsreserven zu verpflichten. Vielfach ist man der Ansicht, dass die Förderung der Arbeitsbeschaffungsreserven in der privaten Wirtschaft in Zukunft attraktiver gestaltet werden sollte, damit in Zeiten der Rezession und Krise mehr private Mittel für die Belebung der Wirtschaft zur Verfügung stünden. Von einer Seite wird sogar gefordert, dass die Pflicht zur Anlegung von Arbeitsbeschaffungsreserven «mit Massnahmen zur Förderung der kleineren und mittleren Unternehmungen» zu koppeln sei. Um eindeutig zum Ausdruck zu bringen, dass die Äufnung von Arbeitsbeschaffungsreserven nur unternehmungsweise und nicht etwa auf Branchen- oder gesamtwirtschaftlicher Ebene verlangt werden kann, wird beantragt, den Begriff «Wirtschaft» durch «Unternehmungen» zu ersetzen.

Das vorgesehene Obligatorium der privaten Arbeitsbeschaffungsreserven findet jedoch auch eine - zwar kleine - Zahl von Gegnern; so wird zum Beispiel eine derartige Kompetenznorm mit der Begründung abgelehnt, die Reservepolitik sei eine Angelegenheit der selbstverantwortlichen Unternehmensleitung, «staatliche Zwangsmassnahmen» seien hier nicht am Platz.

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Absatz 3 Bund, Kantone und Gemeinden haben ihre Haushalte auf die Erfordernisse der Konjunkturlage auszurichten. Der Bund kann zur Stabilisierung der Konjunktur vorübergehend auf bundesrechtlichen Abgaben Zuschlage erheben oder Rabatte gewähren. Die abgeschöpften Mittel sind entsprechend der Konjunkturlage stillzulegen oder zur Arbeitsbeschaffung zu verwenden.

Im allgemeinen stösst der Versuch, die finanzpolitischen Kompetenzen aufgrund der früher vorgebrachten Kritik wesentlich enger zu fassen, auf Zustimmung. Die

701 vorgenommenen Abstriche erscheinen aus politischen und insbesondere föderalistischen Gründen als unumgänglich. Verschiedentlich wird zwar daraufhingewiesen, dass die öffentliche Hand insgesamt ihre Finanzpolitik auf die Konjunkturlage auszurichten habe und dass der Bund im Rahmen seiner Stabilisierungsbemühungen auf die Unterstützung durch die Kantone und Gemeinden angewiesen sei. Zur Durchsetzung dieses Erfordernisses besitze er nun aber zu wenig Einflussmöglichkeiten. So wird denn auch vereinzelt gefordert, die frühere Bestimmung, wonach der Bund die Ausrichtung von Bundesbeiträgen und Kantonsanteilen an Bundessteuern der Konjunkturlage anpassen kann, sei wieder aufzunehmen. In wenigen Fällen wird die erneute Einführung weiterer Instrumente (Abschreibungspolitik, Sonderabgaben) gewünscht.

Im Mittelpunkt der Vernehmlassungskritik steht der letzte Satz von Absatz 3.

Dieser Bestimmung wird namentlich von den Finanzdirektoren, einigen Kantonen und Verbänden vorgeworfen, sie enthalte zusammen mit dem vorangehenden Satz eine praktisch unbeschränkte Steuerkompetenz des Bundes. Die neu vorgesehene Regelung gehe wesentlich weiter als der abgelehnte Konjunkturartikel, da die abgeschöpften Mittel zwar stillzulegen, jedoch nicht mehr zwingend zurückzuerstatten seien. Es lasse sich leicht erkennen, «dass der in Zeiten der Rezession eher grössere Verschuldungsspielraum einfach zur Finanzierung jener nicht der Arbeitsbeschaffung dienenden Konsumausgaben im Bundeshaushalt ,missbraucht' und damit den Zwang zur recht verstandenen Ausgabendisziplin mindern würde». Es werden auch Bedenken laut, dass mit der Erhebung von Zuschlägen auf bundesrechtlichen Abgaben grundsätzlich das kantonale Steuersubstrat geschmälert werde.

Ein grosser Teil der Vernehmlasser beantragt deshalb, neben der Verwendung der abgeschöpften Mittel zur Arbeitsbeschaffung die Möglichkeit einer Rückerstattung ausdrücklich vorzusehen. Diese habe entweder individuell oder in Form von Satzreduktionen zu erfolgen. Von einer politischen Partei wird angeregt, dass die zur Rückerstattung gelangenden Gelder von den anspruchsberechtigten Unternehmen in erster Linie für Arbeitsbeschaffungszwecke bzw. zur Bildung von Arbeitsbeschaffungsreserven verwendet werden sollten. Schliesslich dränge sich eine klarere Zweckumschreibung für den Einsatz der vorher stillgelegten Mittel auf.

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Absatz 4 Der Bund hat auf die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Gebiete des Landes Rücksicht zu nehmen.

Diese Bestimmung stösst, abgesehen von einigen Ausnahmen, nicht auf Opposition. Besonders jene Kantone, welche die Probleme der Strukturschwäche bestimmter Gebiete aus eigener Anschauung kennen, messen einer strukturellen Absicherung konjunkturpolitischer Massnahmen grosse Bedeutung bei. Eine Berücksichtigung der unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklung der einzelnen

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Landesgegenden im Rahmen der Konjunkturpolitik müsse sich an Leitbildern orientieren können, die aber mit Ausnahme der Berggebietsförderung noch ausstehen. Es fehlt auf der ändern Seite auch nicht an Stimmen, die davor warnen, auf dem Umweg über Absatz 4 eigentliche strukturpolitische Kompetenzen in die Bundesverfassung aufzunehmen.

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Absatz 5 Der Bund führt die konjunkturpolitisch erforderlichen Erhebungen durch.

Die Notwendigkeit, den Bund verfassungsmässig mit dem Aufbau einer systematischen Konjunkturdiagnose und -prognose zu beauftragen, ist unbestritten.

Diese Bestimmung gab deshalb, abgesehen von einigen redaktionellen Änderungsvorschlägen, kaum zu Bemerkungen Anlass.

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Absatz 6 Der Bundesrat hat der Bundesversammlung jährlich über die Konjunkturlage und die getroffenen Massnahmen Bericht zu erstatten.

Eine Institutionalisierung der konjunkturpolitischen Rechenschaftsablegung des Bundesrates wird allgemein befürwortet. Damit lasse sich nicht nur aufgrund der Erfahrungen und der jeweiligen Lage der weitere Einsatz der Stabilisierungsinstrumente diskutieren, sondern auch die dringend erforderliche Information einer breiteren Öffentlichkeit verbessern. Ebenfalls begrüsst wird, dass auf eine ausdrückliche Regelung der Möglichkeit der Übertragung von Kompetenzen an Bundesrat und Nationalbank verzichtet wird, wie sie die verworfene Fassung des Konjunkturartikels noch vorsah. Einzelne Vernehmlasser schlagen vor, die Bestimmung, wonach die Stabilisierungsmassnahmen in Form von Bundesgesetzen oder allgemeinverbindlichen Bundesbeschlüssen zu erlassen sind, wie auch die Anhörungspflicht der Kantone, politischen Parteien und interessierten Organisationen der Wirtschaft im Sinne der früheren Absätze 9 und 10 wieder aufzuneh-

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Neufassung des Artikels 31iui"iuies der Bundesverfassung

Trotz wesentlicher materieller Abstriche entspricht die neue Vorlage in ihrer Grundkonzeption der Fassung vom 4. Oktober 1974. Ziele und Aufgaben der Konjunkturpolitik haben sich in der Zwischenzeit nicht geändert. Wegen der eingehenden Erörterungen in den vorangehenden Kapiteln- können wir uns bei der absatzweisen Besprechung des neuen Entwurfs kurz fassen und uns namentlich den wesentlichen Änderungen zuwenden. Aus Gründen des besseren Verständnisses und der Übersichtlichkeit stellen wir jeweils die beiden Textvarianten zu den einzelnen Absätzen einander gegenüber.

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Absatz l Fassung vom 4. Oktober 1974: Der Bund fördert eine ausgeglichene konjunkturelle Entwicklung, insbesondere zur Verhütung und Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Teuerung.

Neuformulierung : Der Bund trifft Vorkehren für eine ausgeglichene konjunkturelle Entwicklung, insbesondere zur Verhütung und Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Teuerung. Er arbeitet mit den Kantonen und der Wirtschaft zusammen.

Absatz l ermächtigt den Bund, alle geeigneten Massnahmen zur Stabilisierung der Konjunktur zu treffen, sofern er dabei die Handels- und Gewerbefreiheit respektiert. Der erste Satz ist somit entgegen der abgelehnten Fassung nicht nur eine Ziel-, sondern auch eine Kompetenznorm. Er stellt gewissermassen die erste Einsatzstufe konjunkturpolitischer Massnahmen dar. Die Neuformulierung bezweckt ferner, das verfassungsrechtlich ungeeignet erscheinende Wort «fördern», das bisher immer im Sinne einer Leistung staatlicher Hilfe verstanden wurde, zu ersetzen.

Was unter einer ausgeglichenen konjunkturellen Entwicklung und den sich davon ableitenden Teilzielen zu verstehen ist, wurde bereits in Kapitel 211 und in der Botschaft vom 10. Januar 1973 dargelegt. Entscheidend ist, dass «ausgeglichen» sowohl zeitlich (Konjunkturstabilisierung als Daueraufgabe) wie - soweit möglich - auch räumlich (interregional) und branchenweise (intersektoral) zu verstehen ist. Dabei kann eine in diesem Sinn harmonische Konjunkturentwicklung um so besser erreicht werden, je früher sich abzeichnenden Gleichgewichtsstörungen durch vorbeugende Massnahmen («Verhütung») entgegengetreten wird.

Mit der neuen Bestimmung, wonach der Bund mit den Kantonen und der Wirtschaft zusammenzuarbeiten hat, möchten wir der bereits engen Kooperation zwischen den einzelnen Gemeinwesen einerseits und zwischen Bund und Privatwirtschaft andererseits Rechnung tragen. Der Bundesrat schliesst beispielsweise mit den Kantonsregierungen schon seit mehreren Jahren Vereinbarungen über gemeinsame auf das Stabilisierungsziel ausgerichtete Richtlinien zur Aufstellung der Voranschläge ab. Auch mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft unterhält der Bund enge und vielfältige Beziehungen. Unter Berücksichtigung eines Einwandes im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens ersetzten wir den ursprünglich vorgesehenen Begriff «private Wirtschaft» durch den umfassenderen Ausdruck «Wirtschaft». So ist auch die Zusammenarbeit des Bundes mit der «öffentlichen» Wirtschaft sowie im Rahmen pluralistisch zusammengesetzter Gremien (z. B. Gesprächsforum für Baufragen) abgedeckt.

Die neue Regelung bringt sodann zum Ausdruck, dass auf dem Gebiet der Stabilisierungspolitik den Kantonen weiterhin Aufgaben übertragen, aber auch Pflichten auferlegt sind. Die durch den Konjunkturartikel abgedeckten Gesetzge-

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bungskompetenzen stehen dem Bund nur insoweit allein zu, als sie entweder ohnehin in seinen ausschliesslichen Kompetenzbereich fallen (Geldwesen, Aussenwirtschaft und Bundessteuern) oder aber Abweichungen von der Handels- und Gewerbefreiheit gestatten.

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Absatz 2 Fassung vom 4. Oktober 1974 (Abs. 2 und 3) : 2 Der Bund trifft zu diesem Zwecke, nötigenfalls in Abweichung von der Handels- und Gewerbefreiheit, Massnahmen auf den Gebieten des Geld- und Kreditwesens, der öffentlichen Finanzen und der Aussenwirtschaft.

3 Reichen die Massnahmen aufgrund von Absatz 2 nicht aus, so ist der Bund befugt, auch auf ändern Gebieten Vorkehren zu treffen. Weichen diese von der Handels- und Gewerbefreiheit ab, so sind sie zu befristen.

Neuformulierung : Bei Massnahmen auf den Gebieten des Geld- und Kreditwesens, der öffentlichen Finanzen und der Aussenwirtschaft ist der Bund befugt, nötigenfalls von der Handels- und Gewerbefreiheit abzuweichen. Er kann die Unternehmungen zur Bildung von Arbeitsbeschaffungsreserven verpflichten.

Bereits verschiedentlich wiesen wir darauf hin, dass das Schwergewicht der Konjunkturpolitik in den Bereichen des Geld- und Kreditwesens, der öffentlichen Finanzen und der Aussenwirtschaft zu liegen hat. Wir erläuterten auch näher, welche konkreten Einsatzmöglichkeiten von Stabilisierungsmassnahmen sich auf den einzelnen Gebieten ergeben. Der Bund soll nun ermächtigt werden, bei Massnahmen in diesen Bereichen nötigenfalls, das heisst, wenn es vom Gesamtinteresse her als unerlässlich erscheint, von der Handels- und Gewerbefreiheit abweichen zu können. Diese Konzeption wird kaum bestritten und kann daher in die neue Vorlage übernommen werden.

Ein wesentlicher Teil der Kritik im Zusammenhang mit der ersten Volksabstimmung richtete sich gegen den früheren Absatz 3, also gegen die Möglichkeit des Bundes, auch ausserhalb der drei erwähnten konjunkturpolitischen Bereiche befristet von der Handels- und Gewerbefreiheit abzuweichen. Die unterschiedlich motivierte Opposition gegen eine solche Bestimmung trug zweifellos zur Verwerfung des Konjunkturartikels am 2. März 1975 bei. Dieser Widerstand ist auf der politischen Ebene nach wie vor stark und trat auch im jetzigen Vernehmlassungsverfahren deutlich zutage. Die Übernahme des umstrittenen Absatzes müsste zur gleichen Konfrontation wie vor anderthalb Jahren und damit zur Gefährdung der Vorlage in der Volksabstimmung führen. Wir entschlossen uns deshalb, diese Befugnis fallenzulassen.

Im neuen Absatz 2, der an die Stelle der früheren Absätze 2 und 3 tritt, wird dem Bund somit lediglich die Möglichkeit eingeräumt, bei Massnahmen auf den Gebieten des Geld- und Kreditwesens, der öffentlichen Finanzen und der Aussen-

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wirtschaft von der Handels- und Gewerbefreiheit abzuweichen Die Erwähnung der öffentlichen Finanzen ist trotz der finanzpolitischen Bestimmungen m Absatz 3 notwendig, da sich die Möglichkeit von Abweichungen von der Handelsund Gewerbefreiheit im Bereich der öffentlichen Finanzen nicht ausschhessen lasst Der überwiegend politisch bedingte Verzicht aut «eitergehende Kompetenzen wird m gewissen Fallen die Erreichung des Stabilisierungsziel erschweren Die jüngsten konjunkturpolitischen Erfahrungen im In- und Ausland zeigen deutlich, dass die globalen Instrumente der Stabihsierungspohtik m -v erschiedenen Situationen nur beschrankt wirksam sind und sich differenzierte Eingriffe aufdrangen (vgl Kap 212) Man hat sich deshalb bei der Beurteilung des vorliegenden Entwurfs bewusst zu sein, dass auch inskünftig Ungleichgewichtslagen entstehen können, die sich nicht \ ollstandig aufgrund der verfassungsmassigen Befugnisse, sondern nur durch einen vorübergehenden Ruckgriff auf extrakonstitutionelle dringliche Bundesbeschlusse nach Artikel 89bls Absatz 3 der Bundesverfassung werden bekämpfen lassen Deren mögliche Inhalte sind in Folge dei stark dezentralisierten Struktur der schweizerischen Wirtschaft ihres hohen Spezialisierungsgrades und der durch die freie Wechselkursbildung geschaffenen Verhältnisse kaum voraussehbar Wie die Erfahrungen der letzten Zeit belegen, kommen dabei nicht nur restriktive Emgiiffe m Frage Sie können unter Umstanden auch unterstutzende Massnahmen beinhalten Eine \ ollig ersatzlose Streichung des früheren \bsatzes 3 wurde es dem Bund verunmoghchen, zur Verhütung \on Krise und Arbeitslosigkeit vorbeugende Massnahmen zu treffen welche die Handels- und Gewerbefieiheit tangieien So konnten insbesondere die Unternehmungen nicht zui Bildung von Aibeitsbeschaffungsreserven verpflichtet werden Nach geltender Regelung (BG vom 3 Okt 1951 ubei die Bildung l> on Arbeitsbeschaffungsreserven der privaten Wirtschaft , SR 823 32) ist die Aufnung von Arbeitsbeschaffungsreserven nur auf freiwilliger Basis möglich Den Unternehmungen, die Reserven bilden, werden im Sinne eines Anreizes die auf den Einlagen entrichteten Wehrsteuein sowie aufgrund kantonaler Regelungen zumeist auch die kantonalen und kommunalen Steuern rückvergütet sofern die Reserven «in Zeiten der Arbeitslosigkeit» zur Durchführung von
Arbeitsbeschaffungsaktionen verwendet werden Mit Beschluss vom 9 April 1975 loste der Bundesrat eistmals eine Arbeitsbeschaffungsaktion zugunsten der Uhren- sowie der Textü- und Bekleidungsindustrie aus Am l März 1976 wurde diese auf Unternehmungen des Baugewerbes und der bauverwandten Branchen so« ie der Papierindustrie ausgeweitet Aus den bisherigen Erfahrungen mit diesem Instrument geht hervor, dass die freiwillige Reservenbildung zu ungenügenden Resultaten tuhrt Dies ist auf verschiedene Grunde zurückzuführen So betrug 1965, als die Arbeitsbeschatfungsreserven ihren Höchststand erreichten, die Zahl der Unternehmungen mit freiwillig geaufneten Reserven lediglich 1000 bzw SPiozent der Gesamtzahl aller von der

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Betriebszählung erfassten Betriebe mit 20 und mehr Beschäftigten. Meistens bildeten zudem gerade jene Unternehmungen keine oder nur ungenügende Reserven - und zwar häufig unbesehen ihrer früheren Ertragslage - die sie in Rezessionszeiten am dringendsten benötigten.

Auf der ändern Seite zeigt aber die jüngste Arbeitsbeschaffungsaktion, dass dieses Mittel durchaus geeignet ist, einen Beitrag zur Überwindung der anstehenden Schwierigkeiten zu leisten. Angesichts der zahlreichen Verwendungsmöglichkeiten der Gelder lassen sich zudem die damit verbundenen Beschäftigungseffekte breit streuen. Ein weiterer Vorteil dieser Art Reservebildung ist darin zu erblicken, dass sie sich reibungslos in die normale Geschäftstätigkeit einfügt und die Dispositionsfreiheit der Unternehmer kaum einschränkt. Während die Arbeitsbeschaffung durch direkte Aktionen der öffentlichen Hand zur Hauptsache dem Baugewerbe und den mit ihm verbundenen Branchen zugute kommt, die übrigen Wirtschaftszweige jedoch nur mittelbar begünstigt werden, unterscheidet sich die aufgrund freigegebener privater Reserven ausgelösten Arbeiten kaum von den üblicherweise durch die Unternehmungen getätigten Aktivitäten.

Auch wenn die Wirkung obligatorisch erklärter Arbeitsbeschaffungsreserven nicht überbewertet werden soll, dürfte ihre Bildung in Zeiten des Aufschwungs und allgemein steigender Gewinne zu einer Begrenzung der Selbstfmanzierungsmöglichkeiten der Unternehmungen und damit der Auftriebskräfte führen. Die abgeschöpften Mittel wären zumindest während einer gewissen, allerdings begrenzten Zeit stillzulegen. Gleichzeitig müssten die Freigabekriterien gegenüber der heutigen Regelung liberalisiert werden. So wären die Reserven nicht nur bei konjunkturellen, sondern auch bei strukturellen Schwierigkeiten freizugeben. Solche Reserven könnten nicht nur eine breitere Anstosswirkung auf die Beschäftigung auslösen, sondern es den Unternehmungen zugleich ermöglichen, selbst aktiv auf markt- und systemgerechte Weise an der Konjunkturstabilisierung teilzunehmen. Damit würde gleichzeitig unterstrichen, dass die Arbeitsbeschaffung auch Aufgabe der Wirtschaft ist und der Staat erst dann helfend einzugreifen hat, wenn die Eigenkräfte der privaten Wirtschaft zur Sicherung der Beschäftigung nicht mehr ausreichen.

Im Vernehmlassungsverfahren zum jetzigen Entwurf
des Konjunkturartikels wurde beantragt, im letzten Satz nicht von «Wirtschaft», sondern von «Unternehmungen» zu sprechen. Wir können uns diesem Vorschlag anschliessen, da so unmissverständlich zum Ausdruck gebracht wird, dass nur die unternehmungsweise und nicht etwa auch eine branchenweise oder gesamtwirtschaftliche Bildung von Arbeitsbeschaffungsreserven vorgesehen ist.

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Absatz 3 Fassung vom 4. Oktober 1974 (Abs. 4, 5 und 6) :
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einführen. Die abgeschöpften Mittel sind so lange stillzulegen, als es die Konjunkturlage erfordert, und hierauf individuell oder in Form von Satzreduktionen zurückzuerstatten.

5 Der Bund kann die Abschreibungsmöglichkeiten für die direkten Steuern von Bund, Kantonen und Gemeinden ausdehnen oder einschränken

6 Bund, Kantone und Gemeinden und ihre Betriebe und Anstalten haben ihre Haushalte auf die Erfordernisse der Konjunkturlage auszurichten und für eine mehrjährige Finanzplanung zu sorgen. Der Bund kann die Ausrichtung von Bundesbeiträgen und von Kantonsanteilen an Bundessteuern der Konjunkturlage anpassen.

Neuformulienmg : Bund. Kantone und Gemeinden haben ihre Haushalte auf die Erfordernisse der Konjunkturlage auszurichten. Der Bund kann zur Stabilisierung der Konjunktur t orü ber gehend auf bundesrechtlichen Abgaben Zuschläge erheben oder Rabatte gewähren. Die abgeschöpften Mittel sind stillzulegen und bei rückläufiger Konjunktur zur Gewährung von Rabatten oder zur Arbeitsbeschaffung zu verwenden.

Wie wir bereits darlegten, scheiterte der Konjunkturartikel nicht nur am Widerstand gegenüber dem als zu interventionistisch empfundenen früheren Absatz 3, sondern ebensosehr an der föderalistischen Hürde. Obwohl wir nach wie vor der Meinung sind, dass eine zielkonforme Stabilisierungspolitik nicht ohne ein gutausgebautes finanzpolitisches Instrumentarium auskommt und auch der Unterstützung durch die nachgelagerten Gebietskörperschaften bedarf, verzichteten wir auf wesentliche der in den früheren Absätzen 4. 5 und 6 vorgesehenen Befugnisse.

Zum ersten wird von der Möglichkeit abgesehen. Sonderabgaben zur Konjunkturstabilisierung einzuführen. Die diesbezüglichen Kompetenzen sollen sich nunmehr auf die Erhebung von Zuschlägen bzw. die Gewährung von Rabatten auf bundesrechtlichen Abgaben beschränken. Ferner verzichteten wir unter Berücksichtigung der vorgebrachten Kritik darauf, durch Variierung der Abschreibungsbedingungen das Investitionsverhalten jener Wirtschaftskreise beeinflussen zu können, die infolge ausreichender Eigenfinanzierung nicht auf Kredite angewiesen sind. Dass die Beeinflussung der Abschreibungspolitik erst bei Einführung der Gegenwartsbesteuerung in sinnvoller Weise geschehen könnte, ist hingegen in längerfristiger Sicht kein Argument gegen eine verfassungsmässige Verankerung dieses Instrumentes.

Nach dem neuen Absatz 3 entfällt zudem auf Wunsch einer Mehrheit von Kantonen die Möglichkeit, die Ausrichtung von Bundesbeiträgen und von Kantonsanteilen an Bundessteuern der Konjunkturlage anzupassen. Obwohl dies von einigen Vernehmlassern bedauert wird, wäre ein Festhalten an einer solchen Bestimmung politisch kaum tragbar. Dadurch werden zwar die Möglichkeiten, die Kantone und Gemeinden zu einer konjunkturgerechten Finanzpolitik anzuhalten, eingeschränkt. Unproblematisch erscheint uns dagegen der Verzicht auf die Pflicht zu einer mehrjährigen Finanzplanung nach dem früheren Absatz 6, da

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diese in den Kantonen und in vielen Gemeinden bereits verwirklicht ist. Sie ist zudem für die Konjunkturpolitik nur insofern von Bedeutung, als sie zu einer längerfristig gleichmässigeren Entwicklung der Nachfrage der Gemeinwesen beiträgt.

Da das Finanzverhalten der Gemeinwesen bedeutsam ist, scheint es uns unerlässlich, sie in der Verfassung ausdrücklich anzuhalten, ihre Haushalte auf die Erfordernisse der Konjunkturlage auszurichten. Diese Forderung gilt für die Kantone und Gemeinden nicht weniger als für den Bund, da erstere immerhin mehr als zwei Drittel der öffentlichen Ausgaben auf sich vereinen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach Artikel 30 Absatz 2 des Bundesgesetzes über den eidgenössischen Finanzhaushalt vom 18. Dezember 1968 (SR 611.0) «die Zusicherung von Bundesbeiträgen zum Ausbau der Infrastruktur davon abhängig gemacht werden kann, dass die beteiligten Kantone hiefür ein mehrjähriges Gesamtprogramm vorlegen. Dabei werden unter Mitberücksichtigung der konjunktur- und wachstumspolitischen Erfordernisse Dringlichkeiten festgelegt.» Nach der neuen Formulierung des Absatzes 3 kann der Bund im Rezessionsfall Rabatte auf bundesrechtlichen Abgaben gewähren, das heisst durch Steuersenkungen den privaten Konsum und die Investitionen zu beleben. Angesichts ausländischer Erfahrungen, etwa in der Bundesrepublik Deutschland, mit Steuerrabatten darf jedoch von diesem Instrument keine allzu grosse Nachfragewirkung erwartet werden. In der Regel reagieren die privaten Haushalte und die Unternehmungen in der Abschwungsphase auf Steuererleichterungen nämlich mit verstärktem Sparen und nicht mit einer erhöhten Konsum- bzw. Investitionsneigung.

Andererseits soll der Bund bei drohender Inflation vorübergehend Zuschläge auf den bundesrechtlichen Abgaben erheben können und damit zur Nachfragedämpfung beitragen. Er ist - gemäss Vorlage - verfassungsrechtlich aber verpflichtet, sämtliche abgeschöpften Mittel zu sterilisieren; sie können nicht für die Finanzierung des Bundeshaushaltes herangezogen werden.

Unter Berücksichtigung der von verschiedener Seite zum letzten Satz von Absatz 3 geäusserten Kritik im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens nahmen wir die ausdrückliche Rückerstattungspflicht der abgeschöpften Mittel wieder auf.

Diese sind gemäss Neuformulierung bei rückläufiger
Konjunktur durch Gewährung von Rabatten auf den bundesrechtlichen Abgaben, das heisst in erster Linie global durch Steuersenkungen, zurückzuerstatten. Sie sollen aber auch für die private und öffentliche Arbeitsbeschaffung verwendet werden können. Unseres Erachtens wäre damit der Vorteil verbunden, dass die in Zeiten gutgehender Konjunktur abgeschöpften Gelder bei drohender Arbeitslosigkeit für die Finanzierung von Arbeitsbeschaffungsmassnahmen zur Verfügung ständen und nicht der kostspielige sowie zins- und währungspolitisch allenfalls heikle Weg der Verschuldung beschritten werden müsste. Sie können zudem gezielt zur Nachfrageförderung in den am meisten betroffenen Branchen und Landesgegenden eingesetzt werden.

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Es gilt auch zu bedenken, dass eine breitangelegte Arbeitsbeschaffungsaktion des Bundes zur finanziellen Entlastung der Kantone beitragt Je grosser die \om Bund ausgelosten Aktivitäten sind, m desto bescheidenerem Rahmen können die Kantone m der Regel ihre Eigenanstrengungen halten Daneben kann man sich durchaus vorstellen, dass aus den abgeschöpften und sterilisierten Mitteln den Kantonen im Rezessionsfall eine gewisse Quote für autonome Arbeitsbeschaffungsmassnahmen zugeteilt wird Sie wurden damit von den Abschöpfungen, die zudem zur überwiegenden Hauptsache bei den indirekten Bundessteuern zu erheben waren, ebenfalls angemessen profitieren Da der Verwendungszweck (Gewahrung von Rabatten auf bundesrechthchen Abgaben und Arbeitsbeschaffung) eindeutig umschrieben und auch der Verwendungszeitpunkt (rückläufige Konjunktur) festgelegt ist, besteht keine Gefahr eines Missbrauchs oder einer Zweckentfremdung der stillgelegten Mittel Von einer Einfuhrung zusätzlicher fiskalischer Kompetenzen durch die Hintertür kann angesichts des vorübergehenden Charakters, der eindeutigen Zweckbindung der abgeschöpften Gelder und der Ruckerstattungspflicht nicht die Rede sein Im übrigen ist zu beachten dass zusätzliche für die Arbeitsbeschaffung aufgewendete Mittel m jedem Fall früher oder spater durch öffentliche Einnahmen finanziert werden müssen 54

Absatz 4 Fassung vom 4 Oktobei 1974 (Abs 7) Der Bund hat bei Massnahmen im Smne dieses Artikels auf die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Gebiete des Landes Rucksicht zu nehmen

Neujoi muhei ung Der Bund nimmt auf die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung der ein zelnen Gebiete des Landes Rucksicht

In Anbetracht der Strukturschwachen gewisser Regionen drangt sich im Rahmen der Stabihsierungspohtik eine angemessene Berücksichtigung der unterschiedlichen Entwicklung der einzelnen Landesgegenden auf Die entsprechende Vorschrift im abgelehnten Konjunkturartikel konnte daher materiell unverändert in die neue Vorlage übernommen werden Zur sprachlichen Vereinfachung verzichteten wir lediglich auf die \Vendung «bei Massnahmen im Sinne dieses Artikels» da sich Absatz 4 ohnehin auf alle konjunkturpolitischen Massnahmen des Bundes bezieht Durch diese Bestimmung wird der Bund beauftragt, unterschiedliche Auswirkungen konjunkturpohtischer Vorkehrungen auf einzelne Gebiete des Landes zu mildern oder auszugleichen Mit der regionalen Differenzierung konjunkturpohtischer Massnahmen soll und kann aber keine aktne Strukturpohtik betrieben werden, wie von einzelnen Vernehmlassern befürchtet wird Es geht allem darum, auf die unterschiedliche wirtschaftliche und finanzielle Lage der einzelnen Gebiete

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des Landes angemessen Rücksicht zu nehmen. Im besonderen sollen Härten vermieden und die auf anderer Grundlage beruhenden entwicklungs- und strukturpolitischen Förderungsmassnahmen nicht durchkreuzt werden.

Die Verbesserung der Voraussetzungen für eine kontinuierliche und vorbeugende Konjunkturpolitik wirkt sich auf die Absicherung strukturschwacher Gebiete insofern positiv aus, als die Stabilisierungsmassnahmen früher eingesetzt und daher in der Regel schwächer dosiert werden können. Bei der Ermittlung der regionalen Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung Hesse sich beispielsweise, ähnlich wie bei der Förderung der Berggebiete (Bundesgesetz vom 28. Juni 1974 über Investitionshilfe für Berggebiete; SR 901.1), vom Durchschnittseinkommen, von der Ausstattung mit Infrastrukturanlagen und der Beschäftigungslage ausgehen. Wesentlich ist, dass sowohl herkömmliche Problemgebiete und benachteiligte Regionen (vor allem Berggebiete) wie neue regionale Krisenherde (strukturschwache Industriegebiete) berücksichtigt werden.

Das Schwergewicht einer gebietsweisen Differenzierung der Stabilisierungsmassnahmen, die in den einzelnen Gesetzeserlassen näher zu regeln sein wird, dürfte in den Bereichen der Finanzpolitik und der Geld- und Kreditpolitik liegen. Regionalen Gesichtspunkten ist aber auch bei der Freigabe von Arbeitsbeschaffungsreserven der Wirtschaft und ändern gezielten Arbeitsbeschaffungsmassnahmen Rechnung zu tragen.

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Absatz 5 Fassung vom 4. Oktober 1974 (Abs. 8) : Der Bund führt laufend die konjunkturpolitisch erforderlichen Erhebungen durch.

Neuformulierung : Der Bund führt die konjunkturpolitisch erforderlichen Erhebungen durch.

Auch dieser politisch unbestrittene Absatz bietet uns keinen Anlass zu materiellen Änderungen. Eine geringfügige formelle Vereinfachung stellt die Streichung des an sich überflüssigen Wortes «laufend» dar.

Der Aufbau einer möglichst lückenlosen Konjunkturstatistik ist - wie wir eingangs darlegten - eine entscheidende Voraussetzung für die Konjunkturanalyse und -prognose und somit für eine wirksame Stabilisierungspolitik. In dieser Hinsicht weist unser Land trotz verschiedener Verbesserungen in der jüngsten Zeit immer noch einen Nachholbedarf auf. Dieser ist besonders gross im Bereich der sogenannten vorauseilenden Indikatoren (z. B. Auftragseingänge, Kreditzusagen), die eine unerlässliche Hilfe zur Beurteilung der künftigen Konjunkturentwicklung darstellen.

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Der Bund muss deshalb einen klaren Auftrag erhalten, alle zur Analyse des Konjunkturverlaufs nötigen statistischen Erhebungen durchzuführen. Diese Befugnis ist nur dann eindeutig abgedeckt und rechtlich unbestritten, wenn sie verfassungsmässig verankert wird. Es versteht sich in diesem Zusammenhang, dass die Erhebungsstellen auf Gesetzesebene zu verpflichten sind, sämtliche Angaben, die Rückschlüsse auf einzelne Auskunftspflichtige erlauben, geheimzuhalten. Auf der ändern Seite müssen jedoch die Ergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich sein, soweit dadurch das Geheimhaltungsgebot nicht verletzt wird. Auch in diesem Bereich wird eine enge Zusammenarbeit mit den Kantonen und der Wirtschaft anzustreben sein.

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Absatz 6 Fassung vom 4. Oktober 1974 (Abs. 9 und 10) : 9

Zur Ausführung dieses Artikels sind Bundesgesetze oder allgemeinverbindliche Bundesbeschlüsse zu erlassen. Darin können der Bundesrat und in ihrem Aufgabenbereich die Nationalbank ermächtigt werden, die Massnahmen näher zu ordnen und deren Anwendungsdauer festzusetzen. Der Bundesrat hat der Bundesversammlung jährlich über die getroffenen Massnahmen Bericht zu erstatten. Die Bundesversammlung entscheidet, soweit die Ausführungserlasse es vorsehen, ob die Massnahmen weiterhin in Kraft bleiben.

1( > Vor Erlass der Bundesgesetze und der allgemeinverbindlichen Bundesbeschlüsse, dringliche Bundesbeschlüsse ausgenommen, sind die Kantone, die politischen Parteien und die interessierten Organisationen der Wirtschaft anzuhören. Die Kantone und Wirtschaftsorganisationen können beim Vollzug der Ausführungsvorschriften herangezogen werden.

Neuformulierung : Der Bundesrat erstattet der Bundesversammlung jährlich über die Konjunkturlage und die getroffenen Massnahmen Bericht.

Bekanntlich sahen wir in der ersten Fassung des Konjunkturartikels ausdrücklich die Möglichkeit der Zuweisung eines Verordnungsrechts an Bundesrat und Nationalbank durch Gesetzesdelegation vor, um die Bedingungen für rasches stabilisierungspolitisches Handeln zu verbessern. Da gewisse Kreise befürchten, dass diese Bestimmung zu einem allzu grossen Machtzuwachs namentlich der Notenbank führen könnte, haben wir sie gestrichen. Dies kann deshalb ohne Nachteil geschehen, weil das Institut der Gesetzesdelegation auf Bundesebene an sich kaum mehr in Frage gestellt ist und weil überdies auch der ausdrückliche Gesetzesvorbehalt von Artikel 32 Absatz l der Bundesverfassung es dem Bundesgesetzgeber nicht verbietet, seine Befugnis zur Rechtsetzung bei wirklicher Notwendigkeit in begrenztem Ausmass an den Bundesrat oder gar an diesem nachgeordnete Vollzugsorgane zu delegieren. Der Bundesgesetzgeber soll nur nicht ohne zwingende Gründe und schrankenlos delegieren. Das im Gesetzesvorbehalt des Artikels 32 Absatz l der Bundesverfassung mitenthaltene Delegationsverbot erscheint damit als Regel, von der bei Erforderlichkeit Ausnahmen gemacht werden dürfen.

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Wir halten es dagegen für angebracht, die Pflicht des Bundesrates zur jährlichen Berichterstattung über die getroffenen Massnahmen beizubehalten und auf eine Erläuterung der Konjunkturlage auszudehnen. Obwohl hiefür rechtlich keine Notwendigkeit besteht - das Parlament kann eine solche Bestimmung in jedem Rechtserlass einbauen - hat eine ausdrückliche Erwähnung der Berichterstattung unseres Erachtens den Vorteil, dass neben der Konjunkturentwicklung der künftige Stabilisierungskurs diskutiert sowie der Informationsaustausch zwischen Exekutive und Legislative, aber auch gegenüber einer breiteren Öffentlichkeit, vertieft werden können.

Im neuen Absatz 6 nahmen wir indessen die Bestimmung, wonach die Bundesversammlung entscheiden kann, ob die Massnahmen weiterhin in Kraft bleiben sollen, sowohl aus rechtlichen wie aus arbeitsökonomischen Gründen nicht mehr auf. Dies scheint uns besonders in Anbetracht der verschiedenen materiellen Abstriche gegenüber der früheren Fassung sowie des Verzichts auf eine ausdrückliche Erwähnung der Kompetenzdelegation verantwortbar. Die Bundesversammlung hat es im Rahmen der Gesetzgebungshoheiten des Bundes ohnehin in der Hand, die sich als notwendig erweisenden Revisionen geltender Erlasse der Gesetzesstufe selbst in die Wege zu leiten.

Auf den früheren Absatz 10 kann ebenfalls verzichtet werden, da nach Artikel 32 der Bundesverfassung die Kantone und die zuständigen Organisationen der Wirtschaft vor Erlass der Ausführungsgesetze anzuhören sind und zur Mitwirkung beim Vollzug herangezogen werden können. Verloren geht lediglich der Hinweis auf die politischen Parteien, was jedoch weiter nicht von Bedeutung ist, da sie aufgrund der Richtlinien über das Vorverfahren der Gesetzgebung vor wichtigen Erlassen ohnehin anzuhören sind.

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Finanzielle und personelle Auswirkungen

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Finanzielle Auswirkungen

Die direkten finanziellen Auswirkungen, die dem Bund aus der vorgeschlagenen Verfassungsänderung entstehen werden, dürften sich gesamthaft betrachtet in sehr engem Rahmen halten. Geringfügige Aufwendungen werden sich allenfalls aus der verstärkten wissenschaftlichen Abklärung konjunktur- und strukturpolitisch bedeutsamer Zusammenhänge ergeben.

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Personelle Auswirkungen

Die Auswirkungen auf den Personalbedarf des Bundes dürften sich ebenfalls bescheiden ausnehmen. Zur Betreuung der neuen Aufgabenbereiche aufgrund des Konjunkturartikels wird sich indessen ein weiterer Ausbau der Dienststelle des

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Delegierten für Konjunkturfragen aufdrängen. Auch möchten wir an dieser Stelle nochmals an unseren seinerzeitigen Beschluss (vgl. Botschaft vom 10. Jan. 1973 betreffend Änderung der Art. 3lqumqmes und 32 Abs. l BV, S. 61) erinnern, die genannte Dienststelle in ein Bundesamt für Fragen der Konjunktur-, Wachstumsund Strukturpolitik umzuwandeln, wie dies der Vorschlag der Expertenkommission für die Totalrevision des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesverwaltung vorsieht. Ebenfalls wird ein gewisser Ausbau der wirtschaftsstatistischen Dienste notwendig sein.

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Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden

Da die Geld- und Kreditpolitik in erster Linie in den Zuständigkeitsbereich der Nationalbank, die Finanz- und Aussenwirtschaftspolitik in jenen des Bundes fällt, dürften die Kantone in der Regel mit keinen Vollzugsaufgaben belastet werden. Dagegen werden sie - wie bereits bisher - auf dem Gebiet der Arbeitsbeschaffungsreserven der privaten Wirtschaft, bei weiteren Arbeitsbeschaffungsmassnahmen (z. B. Investitionsbonus) sowie teilweise bei der Konjunkturstatistik mitzuarbeiten haben.

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Schlussbemerkungen

Der aus der Nachkriegszeit stammende Artikel 3 Iqumqmes der Bundesverfassung hat sich in den vergangenen Jahren immer deutlicher als unzureichende Rechtsgrundlage für eine wirksame und möglichst marktkonforme Konjunkturpolitik erwiesen. Sein Hauptmangel besteht im Umstand, dass er lediglich Massnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Krise und Arbeitslosigkeit abdeckt und keine Kompetenzen zur Bekämpfung der Teuerung enthält. Der Bundesrat sah sich deshalb genötigt, im Rahmen semer Stabilisierungsbemühungen in zunehmendem Masse zu extrakonstitutionellen dringlichen Bundesbeschlüssen Zuflucht zu nehmen. Die vermehrte Abstützung von Stabilisierungsmassnahmen auf das Notrecht ist aber nicht nur konjunkturpolitisch, sondern ebenso aus Staats- und verfassungsrechtlicher Sicht höchst fragwürdig. Hier liegt der Hauptgrund für eine Revision von Artikel SliTM^11":5 der Bundesverfassung. Daneben fällt auch der Umstand ins Gewicht, dass der geltende Konjunkturartikel ebenfalls als Grundlage für Massnahmen zur Verhütung von Krise und Arbeitslosigkeit eine Lücke enthält, da es nicht möglich ist, die Wirtschaft zu vorsorglichen Massnahmen für den Rezessions- und Krisenfall zu verhalten.

Seit Ende der fünfziger Jahre zeigte sich immer klarer, dass die Konjunkturpolitik zu einer ständigen und erstrangigen Bundesaufgabe geworden ist. Die Gewährleistung konjunktureller Stabilität stellt jedoch ein ausserordentlich anspruchsvolles Ziel dar, aus dem den Behörden grosse Verantwortung erwächst. Sollen sie dieser

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Aufgabe, die im Gesamtinteresse des Landes liegt, gerecht werden, so müssen ihnen die notwendigen Befugnisse übertragen werden. Im wesentlichen vermag der vorliegende Entwurf zu einem neuen Konjunkturartikel, der die verfassungsmässige Grundlage für die konjunkturelle Stabilisierungspolitik entscheidend erweitert, diesem Anliegen zu entsprechen.

Obwohl die Notwendigkeit einer Neufassung von Artikel31quiniules der Bundesverfassung weitgehend unbestritten ist, wird etwa darauf hingewiesen, dass heute die meisten Staaten mit besser ausgebautem konjunkturpolitischem Instrumentarium von den Stabilitätszielen wesentlich weiter entfernt seien als unser Land. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass diese Feststellung als Argument gegen die Schaffung eines neuen Konjunkturartikels nicht stichhaltig ist. Der vergleichsweise schlechte Erfolg der Stabilitätspolitik gewisser Länder ist nämlich weniger eine Folge der geltenden Rechtsgrundlagen und der verfügbaren Instrumente, als vielmehr politischer Umstände, die infolge falscher Zielprioritäten einen frist- und sachgerechten Mitteleinsatz verunmöglichen oder doch wesentlich erschweren. So sind beispielsweise hohe Teuerungsraten nicht selten auf ein früheres konjunkturpolitisches Fehlverhalten zurückzuführen, wie etwa auf eine allzu expansive Geldpolitik. Was die Entwicklung in unserem Land anbelangt, ist es ohne weiteres denkbar, dass bei günstigeren konjunkturpolitischen Voraussetzungen die verantwortlichen Behörden die Teuerung früher in Griff bekommen hätten und der wirtschaftliche Umschwung nicht so schlagartig erfolgt wäre.

Mit der Schaffung eines neuen konjunkturpolitischen Verfassungsartikels wird wohl eine unerlässliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Konjunkturstabilisierung erfüllt, diese selbst damit aber noch nicht gewährleistet. Die Frage, wie weit die Ziele im einzelnen auch tatsächlich erreicht werden, hängt in entscheidendem Masse vom Willen der Behörden ab, von den eingeräumten Befugnissen richtig und rechtzeitig Gebrauch zu machen. Wir sind entschlossen, das Nötige zu tun, um dieser Verantwortung gerecht zu werden. Dazu bedürfen wir aber der Unterstützung des Parlaments und nicht zuletzt des ganzen Volkes.

715 (Entwurf)

Bundesbeschluss über den Konjunkturartikel der Bundesverfassung

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 27. September 1976 D, beschliesst:

I Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert: Art. 3ltu""iul" 1 Der Bund trifft Vorkehren für eine ausgeglichene konjunkturelle Entwicklung, insbesondere zur Verhütung und Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Teuerung. Er arbeitet mit den Kantonen und der Wirtschaft zusammen.

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Bei Massnahmen auf den Gebieten des Geld- und Kreditwesens, der öffentlichen Finanzen und der Aussenwirtschaft ist der Bund befugt, nötigenfalls von der Handels- und Gewerbefreiheit abzuweichen. Er kann die Unternehmungen zur Bildung von Arbeitsbeschaffungsreserven verpflichten.

3 Bund. Kantone und Gemeinden haben ihre Haushalte auf die Erfordernisse der Konjunkturlage auszurichten. Der Bund kann zur Stabilisierung der Konjunktur vorübergehend auf bundesrechtlichen Abgaben Zuschlage erheben oder Rabatte gewähren. Die abgeschöpften Mittel sind stillzulegen und bei rückläufiger Konjunktur zur Gewährung von Rabatten oder zur Arbeitsbeschaffung zu verwenden.

4

Der Bund nimmt auf die unterschiedliche w irtschaftliche Entwicklung der einzelnen Gebiete des Landes Rücksicht.

D BEI 1976 III 677

716 6

Der Bund führt die konjunkturpolitisch erforderlichen Erhebungen durch.

6 Der Bundesrat erstattet der Bundesversammlung jährlich über die Konjunkturlage und die getroffenen Massnahmen Bericht.

II

Dieser Beschluss untersteht der Abstimmung des Volkes und der Stände.

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Botschaft über einen Konjunkturartikel in der Bundesverfassung Vom 27. September 1976

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Foglio federale

Jahr

1976

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

42

Cahier Numero Geschäftsnummer

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

25.10.1976

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677-716

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