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Bundesblatt

Bern, 4 Oktobei 1976

128. Jahrgang Band III

Nr. 39 Erscheint wöchentl. Preis : Inland Fr. 85.-- im Jahr, Fr 48.50 im Halbjahr; Ausland Fr. 103.-- im Jahr, zuzüglich Nachnahme- und PostzustelLgebii.hr. Inseratemerwaltung: Permedia, Publicitas-Zentraldienst für Penodika, Hirschmattstrasse 36, 6002 Luzern. Tel. 041/23 66 66

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Bericht über die 60. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz und

Botschaft über zwei Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation Vom 1. September 1976 Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren.

Wie es die Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) verlangt, erstatten wir Ihnen Bericht über die 60. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz mit dem Antrag, davon in zustimmendem Sinn Kenntnis zu nehmen. Gleichzeitig unterbreiten wir Ihnen eine Botschaft zur Genehmigung des Übereinkommens (Nr. 141) über die Verbände ländlicher Arbeitskräfte und ihre Rolle in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, sowie des Übereinkommens (Nr. 142) über die Berufsberatung und die Berufsbildung im Rahmen der Erschliessung des Arbeitskräftepotentials mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

Bern, I.September 1976 Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundesprâsident : Gnägi Der Bundeskanzler: Huber 1976-569

Bundesblatt 128 Jahrg Bd III

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Übersicht Bericht und Botschaft sind in fünf Teile gegliedert. Der erste gibt Auskunft über den Ablauf der 60. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz und die von ihr beschlossenen Instrumente. Es handelt sich dabei im wesentlichen um die Übereinkommen (Nr. 141) über die Verbände ländlicher Arbeitskräfte und ihre Rolle in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung (Teil2 des Berichts), (Nr. 142) betreffend die Berufsberatung und die Berufsbildung im Rahmen der Erschliessung des Arbeitskräftepotentials (Teil3) und (Nr. 143) über Missbräuche bei Wanderungen und die Förderung der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung der Wanderarbeitnehmer (Teil4). Überdies hat die Konferenz zum Jahr der Frau eine Erklärung über die Chancengleichheit und die Gleichbehandlung der berufstätigen Frauen angenommen sowie verschiedene Entschliessungen und Empfehlungen (Teil5).

Die Übereinkommen (Nr. 141) und (Nr. 142) werden den Räten zur Genehmigung beantragt.

Das Übereinkommen (Nr. 141) gewährleistet vor allem das Recht der ländlichen Arbeitskräfte, unabhängige Verbände zu gründen und sich solchen frei anzuschliessen, sowie das Recht dieser Verbände, sich im Rahmen der Gesetzgebung ungehindert zu entwickeln. Die Bundesverfassung garantiert die Vereinsfreiheit, was in der Praxis zur Bildung starker und unabhängiger Verbände geführt hat. Eine Ratifikation ist ohne Änderung unserer Gesetzgebung möglich.

Das Übereinkommen (Nr. 142) verlangt von den ratifizierenden Staaten die Verwirklichung von umfassenden Grundsatzmassnahmen und Programmen der Berufsberatung und Berufsbildung, die in Zusammenarbeit mit den Organisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer aufzustellen sind. Die Berufsberatung muss jedermann zugänglich sein. Die Berufsbildung ist so umfassend zu gestalten, dass sie allen Bedürfnissen gerecht wird. Unsere Systeme der Berufsberatung und der Berufsbildung genügen diesen Anforderungen.

Dagegen hat eine Analyse des Übereinkommens (Nr. 143) über die Wanderarbeitnehmer ergeben, dass zwischen ihm und unserer Ausländerpolitik und -gesetzgebung Gegensätze bestehen, die sich einer Ratifikation in den Weg stellen.

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Bericht und Botschaft l

Tagesordnung, Verhandlungen und Beschlüsse der Konferenz 1. Die 60. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz fand vorn 4. bis 25. Juni 1975 im Palais des Nations in Genf statt. Die Tagesordnung lautete wie folgt: 1. Bericht des Generaldirektors, 2. Programm- und Voranschlagsentwürfe und andere finanzielle Fragen, 3. Mitteilungen und Berichte über die Anwendung der Übereinkommen und Empfehlungen, 4. Die Verbände ländlicher Arbeitskräfte und ihre Rolle in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung (2. Beratung), 5. Wanderarbeitnehmer (2. Beratung), 6. Erschliessung von Arbeitskraftreserven: Berufsberatung und berufliche Ausbildung (2. Beratung), 7. Schaffung dreigliedriger innerstaatlicher Einrichtungen zur besseren Durchführung der IAO-Normen, 8. Chancengleichheit und Gleichbehandlung der berufstätigen Frau (allgemeine Beratung), 9. Bericht der Arbeitsgruppe für Strukturfragen.

2. Die schweizerische Delegation war nach den Regeln der IAO dreigliedrig zusammengesetzt. Sie bestand aus den Regierungsvertretern Fürsprecher Jean-Pierre Bonny. Direktor des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit, und Minister Dr. Cristoforo Motta, stellvertretender Direktor des Bundesamtes für Sozialversicherung, sowie Dr. Georg Pedotti und René Grever, BIGA, als stellvertretende Delegierte, Es gehörten ihr ferner Rudolf Huber-Rübel, Präsident des Verwaltungsrates der Maschinenfabrik Oerlikon, als Arbeitgeberdelegierter und Jean Clivaz. Sekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, als Arbeitnehmerdelegierter an. Einige technische Berater ergänzten die Delegation.

3. 119 der 126 Mitgliedstaaten waren an der 60. Tagung vertreten, die vom philippinischen Staatssekretär für Arbeit, Blas F. Ople. präsidiert wurde.

4. Die ersten drei Traktanden (Bericht des Generaldirektors, Voranschlag sowie Mitteilungen und Berichte über die Anwendung der Übereinkommen und Empfehlungen) stehen jedes Jahr auf der Tagesordnung.

In seinem Bericht «Für eine humanere Arbeit» skizzierte der Generaldirektor vor allem die grossen Linien eines Programmes zur Förderung nationaler Massnahmen zur Verbesserung der Arbeitsumwelt und zu deren Anpassung an

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die Bedürfnisse und Möglichkeiten von Ländern mit unterschiedlichem Entwicklungsstand. An der Diskussion zu diesem Thema beteiligten sich ungefähr 230 Redner.

5. Die Konferenz hat ein Budget für die IAO von 81 041 000 Dollar für das Jahr 1976 beschlossen, gegenüber 45 134500 Dollar für 1975. Diese Erhöhung ist fast ausschliesslich auf die Dollarentwertung und die Inflation zurückzuführen. Eingeschlossen ist eine ausnahmsweise erfolgende Zuwendung von 8 000 000 Dollar an das praktisch erschöpfte Betriebskapital.

Trotz erneuter Herabsetzung des schweizerischen Anteils von 1,02 Prozent auf 0,90 Prozent wird unser Beitrag von 496480 Dollar im Jahr 1975 auf 729 369 Dollar für 1976 steigen.

6. Die zweite Beratung über die Frage der Verbände ländlicher Arbeitskräfte (Punkt 4 der Tagesordnung) führte zur Annahme eines Übereinkommens und einer Empfehlung. Diese Instrumente werden unter Abschnitt 2 behandelt ; die Texte des Übereinkommens und der Empfehlung sind im Anhang l wiedergegeben.

7. Die Konferenz hat ferner im Anschluss an die zweite Beratung ein Übereinkommen und eine Empfehlung über die Berufsberatung und die Berufsbildung im Rahmen der Erschliessung des Arbeitskräftepotentials (Punkt 6) angenommen. Die Analyse dieser Instrumente sowie unsere Stellungnahme zum Übereinkommen sind im Abschnitt 3 enthalten ; die Texte werden im Anhang 2 wiedergegeben.

8. Im Anschluss an eine zweite Beratung hat die Konferenz ein Übereinkommen und eine Empfehlung über die Wanderarbeitnehmer (Punkt 5) angenommen. Wir verweisen für die Erläuterungen dieser Texte auf Abschnitt 4 und für den Wortlaut auf Anhang 3.

9. Die Konferenz prüfte in erster Beratung die Entwürfe zu einem Übereinkommen und einer Empfehlung über die Schaffung dreigliedriger innerstaatlicher Einrichtungen zur besseren Durchführung der IAO-Normen (Punkt 7). Diese Instrumente werden 1976 in einer zweiten Beratung bereinigt werden.

10. Aus Anlass des Jahres der Frau fand eine allgemeine Beratung über die Chancengleichheit und Gleichbehandlung der berufstätigen Frau (Punkt 8) statt. Die daraus hervorgegangenen Entschliessungen und die Erklärung werden im Abschnitt 5 analysiert. Der Text der wichtigsten Entschliessung wird im Anhang 4 wiedergegeben.

11. Nachdem die Konferenz die Schlussfolgerungen der 1974 gebildeten Arbeitsgruppe für Strukturfragen
der IAO geprüft hatte, wurde beschlossen, das Mandat dieser Gruppe um ein Jahr zu verlängern.

12. Ausser den oben erwähnten Instrumenten nahm die Konferenz sechs Entschliessungen an, wovon die erste politischer Natur war und Chile betraf.

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Unter den ändern ist die Entschliessung betreffend künftige Massnahmen der Internationalen Arbeitsorganisation auf dem Gebiet der Arbeitsbedingungen und der Arbeitsumwelt zu erwähnen.

13. Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass sich die Konferenz mit einem Antrag auf Zulassung der Organisation für die Befreiung Palästinas (PLO) als Beobachter an der Konferenz zu befassen hatte. Der Antrag wurde mit grosser Mehrheit angenommen. Zuvor waren einige Zusatzanträge abgelehnt worden, darunter einer, wonach nur Befreiungsbewegungen zuzulassen seien, die die Grundsätze der IAO und das Recht aller Mitgliedstaaten auf Existenz und Teilnahme an den Arbeiten der Organisation voll anerkennen.

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Übereinkommen (Nr. 141) und Empfehlung (Nr. 149) über die Verbände ländlicher Arbeitskräfte und ihre Rolle in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung

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Zweck und Inhalt des Übereinkommens und der Empfehlung

211 Das Übereinkommen und die Empfehlung über die Verbände ländlicher Arbeitskräfte und ihre Rolle in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung erstreben eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen auf dem Land. Sie gehen vom Gedanken aus, dass es. vorab in den Entwicklungsländern, bestimmte herkömmliche Herrschafts- und Besitzstrukturen sind, die es einem grossen Teil der Arbeitenden verunmöglichen, die wirtschaftliche und soziale Entwicklung aktiv mitzubestimmen; das hat zur Folge, dass teilweise bedrückende und elende Verhältnisse weiterhin bestehenbleiben. Übereinkommen und Empfehlung sind denn auch in erster Linie für die Entwicklungsländer von Bedeutung, doch enthalten sie auch Bestimmungen, die geeignet sind, in manchen Industrieländern noch Verbesserungen herbeizuführen oder das Erreichte zu sichern.

212 Das Übereinkommen ist nach Artikel l auf alle Arten von Verbänden ländlicher Arbeitskräfte anwendbar, einschliesslich von Verbänden, die nicht auf ländliche Arbeitskräfte beschränkt sind, diese aber vertreten.

Nach Artikel 2 bezieht sich der Begriff «ländliche Arbeitskraft» auf alle Personen - Arbeitnehmer und Selbständigerwerbende -, die in ländlichen Gebieten einen landwirtschaftlichen, handwerklichen oder verwandten Beruf ausüben (Abs. 1).

Im Bereich der Landwirtschaft fallen neben den Arbeitnehmern nur jene selbständigen Bauern unter den Geltungsbereich des Übereinkommens, die den Boden selbst bewirtschaften, allenfalls zusammen mit ihren Familienangehörigen und der gelegentlichen Mithilfe familienfremder Arbeitskräfte (Abs. 2).

Artikel 3 befasst sich mit dem Recht aller Gruppen ländlicher Arbeitskräfte, Verbände nach ihrer Wahl zu gründen und solchen Verbänden beizutreten

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(Abs. 1). Die Organisationen müssen unabhängig sein (Abs. 2). Sie sind gehalten, die Gesetze zu beachten (Abs. 4). Anderseits dürfen die nationalen Gesetzgebungen die Bildung und Entwicklung von Verbänden ländlicher Arbeitskräfte nicht behindern (Abs. 3 und 5).

Nach Artikel 4 muss eines der Ziele der innerstaatlichen Politik zur Entwicklung ländlicher Gebiete darin bestehen, die Gründung und Entwicklung starker und unabhängiger Verbände ländlicher Arbeitskräfte zu erleichtern.

Artikel 5 verpflichtet die Staaten, die dieses Übereinkommen ratifizieren, eine Politik zu verfolgen, die diesen Organisationen förderlich ist. Insbesondere sind alle Hindernisse, namentlich in der innerstaatlichen Gesetzgebung, zu beseitigen, die der Gründung und Entwicklung solcher Verbände im Wege stehen.

Nach Artikel 6 sind Massnahmen zu treffen, die geeignet sind, das grösstmögliche Verständnis für die Verbände ländlicher Arbeitskräfte zu wecken. Sie sollen insbesondere zeigen, welchen Beitrag solche Verbände zur Verbesserung der Beschäftigungsmöglichkeiten und der Arbeits- und Lebensbedingungen in ländlichen Gebieten sowie zur Steigerung und besseren Verteilung des Volkseinkommens leisten können.

Die Artikel 7-14 enthalten die üblichen Schlussbestimmungen.

213 Die Empfehlung enthält einerseits die gleichen Bestimmungen wie das Übereinkommen, allerdings in der einer Empfehlung angemessenen Form. Anderseits enthält sie eine Vielzahl zusätzlicher Bestimmungen, wonach die Entwicklung der Verbände ländlicher Arbeitskräfte in einer Weise gefordert werden sollte, dass diese imstande sind, eine Reihe von Aufgaben zu erfüllen, welche die Empfehlung in Punkt 5 aufführt. Zu diesen Aufgaben zählen nebst der Vertretung, Förderung und Wahrung der Interessen der ländlichen Arbeitskräfte durch Verhandlungen und Beratungen die Mitarbeit bei der Ausarbeitung und Durchführung von Entwicklungsprogrammen sowie die Mitwirkung bei der Verbesserung der allgemeinen und der beruflichen Bildung und Ausbildung auf dem Land.

Die sehr detaillierten Empfehlungen sind vorab auf die Bedürfnisse in Entwicklungsländern ausgerichtet.

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Stellungnahme der Schweiz

Wir befürworten das im Übereinkommen und in der Empfehlung enthaltene Ziel, die Arbeits- und Lebensbedingungen der ländlichen Arbeitskräfte zu verbessern, und erachten auch die Mitwirkung der arbeitenden Menschen und ihrer Verbände an der Entwicklung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse für unerlässlich, um für die Betroffenen zufriedenstellende Zustände zu schaffen.

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Artikel 56 der Bundesverfassung garantiert die Vereinsfreiheit, was uns bereits 1940 erlaubte, das Übereinkommen (Nr. 11) der IAO über das Vereinigungs- und Koalitionsrecht der landwirtschaftlichen Arbeitnehmer zu ratifizieren. Tatsächlich haben denn auch unsere Landwirte aufgrund der freiheitlichen Ordnung in unserem Land starke und unabhängige Vereine, Vereinigungen und Verbände gegründet und entwickelt, die das wirtschaftliche und soziale Leben, namentlich der in der Landwirtschaft Tätigen, auf kommunaler, regionaler, kantonaler und eidgenössischer Ebene massgeblich beeinflussen.

Der Schweizerische Bauernverband als stärkste bäuerliche Organisation vertritt, fördert und wahrt die Interessen der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte. Der Grossteil der schweizerischen Bauern sind heute «Pächter, Teilpächter oder Kleinlandwirte» im Sinne von Artikel 2 des Übereinkommens. Die landwirtschaftlichen , Arbeitnehmer sind in der Arbeitsgemeinschaft der Berufsverbände landwirtschaftlicher Angestellter vereinigt. Sie haben sich freiwillig als Sektion dem Schweizerischen Bauernverband angeschlossen aus der Überzeugung, auf diese Weise ihre eng mit dem Schicksal der Bauern verknüpften Interessen am besten wahren und fördern zu können. Somit umfasst der Schweizerische Bauernverband - eine schweizerische Eigenart - ebenfalls die landwirtschaftlichen Arbeitnehmer. Auch die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Bergbevölkerung ist ihm angeschlossen.

Als Dachorganisation der in der Landwirtschaft Tätigen schliesst der Schweizerische Bauernverband neben den oben erwähnten Arbeitsgemeinschaften die landwirtschaftlichen Kantonalvereine sowie die Verbände der einzelnen Produktionsrichtungen in sich. Neben dem Schweizerischen Bauernverband vertreten auch noch die Union des producteurs suisses in der französischsprachigen und einzelne bäuerliche Komitees in der deutschsprachigen Schweiz landwirtschaftliche Interessen.

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Schlussfolgerungen

Sowohl auf rechtlichem wie auf politischem Gebiet entspricht die Lage in der Schweiz den Anforderungen des Übereinkommens. Einer Ratifikation steht somit nichts im Weg. Mit der Ratifikation wird unser Land sein Einstehen für eine demokratische Regelung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse bekunden und zugleich die Bestrebungen der IAO zugunsten der ländlichen Gebiete unterstützen, in welchen mehr als zwei Drittel der Erdbevölkerung leben dürften.

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Verfassungsmässigkeit

Die Verfassungsmässigkeit des Bundesbeschlusses beruht auf Artikel 8 der Bundesverfassung, der den Bund ermächtigt, Staatsverträge mit dem Ausland abzuschliessen. Die Zuständigkeit der Bundesversammlung ergibt sich aus Artikel 85

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Ziffer 5 der Verfassung. Das Übereinkommen kann nach Artikel 9 nach Ablauf von zehn Jahren seit Inkrafttreten sowie anschliessend jeweils nach Ablauf eines Zeitraumes von weiteren zehn Jahren gekündigt werden. Der Bundesbeschluss unterliegt somit nicht dem Staatsvertragsreferendum nach Artikel 89 Absatz 4 der Bundesverfassung.

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Übereinkommen (Nr. 142) und Empfehlung (Nr. 150) betreffend die Berufsberatung und die Berufsbildung im Rahmen der Erschliessung des Arbeitskräftepotentials

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Zweck und Inhalt des Übereinkommens und der Empfehlung

In den Bereichen der Berufsberatung und der Berufsbildung hat die IAO bereits mehrere Empfehlungen gutgeheissen, insbesondere die Empfehlung (Nr. 87) betreffend die Berufsberatung, 1949, die Empfehlung (Nr. 101) betreffend die berufliche Ausbildung in der Landwirtschaft, 1956, und die Empfehlung (Nr. 117) betreffend die berufliche Ausbildung, 1962. Zahlreiche Kreise waren der Ansicht, dass nun der Zeitpunkt gekommen sei, um im Rahmen der Erschliessung des Arbeitskräftepotentials über neue Grundlagen zu verfügen, wobei das Schwergewicht auf die Berufsberatung und die Berufsbildung zu legen sei. Die Notwendigkeit, neue Grundlagen zu schaffen, findet ihren Ursprung in der mehr und mehr verallgemeinerten Feststellung, dass die Erziehung, die Berufsberatung, die Berufsbildung und die Beschäftigung in einer viel näheren Beziehung zueinander stehen sollten, als dies bis anhin der Fall war, und dass die Erstausbildung eines Menschen für die ganze Dauer seines aktiven Lebensabschnittes nicht genügt. Es wurde anerkannt, dass gewissen Gesellschaftskreisen mehr Gelegenheit geboten werden muss, sich in einem grösseren Ausmass am sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt zu beteiligen und gleichzeitig daraus einen grösseren Nutzen zu ziehen. Von diesem Tatbestand ausgehend, beginnt sich nun allmählich eine neue Konzeption der Erschliessung des Arbeitskräftepotentials abzuzeichnen. Die erwähnten Empfehlungen sind bestimmt nach wie vor wertvoll.

Damit sie, im Rahmen einer Politik zur Erschliessung des Arbeitskräftepotentials, den ganzen Bereich der Berufsberatung und der Berufsbildung erfassen können, war es jedoch notwendig, sie in wesentlichen Punkten zu ergänzen. Ebenso war es nötig, den Problemen, welche den Entwicklungsländern aus der Organisation und der Verwaltung von Systemen der Berufsberatung und Berufsbildung entstehen, mehr Beachtung zu schenken. Alle diese Ziele werden mit den neuen Instrumenten erreicht. Schliesslich ist zu erwähnen, dass die UNESCO an der Allgemeinen Konferenz von 1974 eine Empfehlung über fachliche und berufliche Bildung angenommen hat. Die IAO und die UNESCO haben beim Erlass der zwei Empfehlungen eng zusammengearbeitet, aber jeder Empfehlung den ihr zugrunde liegenden spezifischen Charakter belassen.

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Artikel l Absatz l des Übereinkommens verpflichtet die Mitgliedstaaten, «umfassende und koordinierte Grundsatzmassnahmen und Programme für die Berufsberatung und die Berufsbildung festzulegen und zu entwickeln». Diese verbindliche Formulierung erfährt im zweiten und dritten Absatz dieses Artikels eine Milderung, indem bestimmt wird, dass die Grundsatzmassnahmen und Programme die Bedürfnisse, die Möglichkeiten und die Stufe der Entwicklung zu berücksichtigen haben und Methoden anzuwenden sind, die den jeweiligen nationalen Verhältnissen entsprechen. Absatz 5 hält fest, dass der Zweck dieser Grundsatzmassnahmen und Programme darin besteht, alle Personen ohne jegliche Diskriminierung zu ermutigen und in die Lage zu versetzen, ihre beruflichen Eignungen in ihrem eigenen wohlverstandenen Interesse und entsprechend ihren Wunschzielen zu entwickeln und einzusetzen, wobei aber auf die Bedürfnisse der Gesellschaft Rücksicht zu nehmen ist.

Artikel 2 sieht vor, dass die erarbeiteten Systeme anpassungsfähig sein müssen und einander zu ergänzen haben, damit eine harmonische Entwicklung des einzelnen, der über die Berufsberatung und die Berufsbildung von der Schule zur Beschäftigung gelangt, gewährleistet ist Artikel 3 ist ganz der Berufsberatung gewidmet, welche allen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zugänglich sein muss. Die ihr zufallenden Aufgaben sind ausführlich beschrieben.

Artikel 4, der sich ausschliesslich mit der Berufsbildung befasst, hält fest, dass diese so konzipiert sein muss, dass sie allen Ausbildungsbedürfnissen der Jugendlichen und Erwachsenen in allen Bereichen der Wirtschaft und auf allen Befähigungs- und Verantwortungsstufen gerecht wird.

Artikel 5 erwähnt, dass die Grundsatzmassnahmen und Programme der Berufsberatung und Berufsbildung in Zusammenarbeit mit den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden zu erarbeiten sind.

Die Artikel 6-13 des Übereinkommens enthalten die üblichen Schlussbestimmun-

Die Empfehlung übernimmt die Grundsätze des Übereinkommens und erläutert und entwickelt sie näher.

So werden im Kapitel III über die Berufsberatung die Ziele, Aufgaben, Systeme und Mittel ausführlich und konkret umschrieben.

Im Kapitel IV über die Berufsbildung wird das Schwergewicht auf die Fortbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten, die den Arbeitnehmern gegeben werden sollten, gelegt. Auch wird die Wichtigkeit von gutdurchdachten Ausbildungsprogrammen für am Arbeitsplatz ausgebildete Jugendliche unterstrichen; ebenso

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sollten die in Vollzeitschulen ausgebildeten Jugendlichen die Möglichkeit haben, in einem Betrieb mit den Arbeitsanforderungen konfrontiert zu werden.

Es ist interessant festzustellen, dass die Empfehlung ein Kapitel (V) enthält, das der «Ausbildung für leitende Kräfte und selbständig Erwerbstätige» gewidmet ist.

Es wird dort die Ausarbeitung von spezifischen Programmen für die Ausbildung zu Leitungs- und Vorgesetztenfunktionen sowie für selbständig Erwerbende empfohlen. Ziffer 30 erläutert den Inhalt dieser Programme.

Die neue Empfehlung ersetzt die drei zu Beginn dieses Kapitels erwähnten Empfehlungen, darunter diejenige von 1956 (Nr. 101) über die Landwirtschaft. Aus diesem Grund werden im Kapitel VI A die Programme für ländliche Gebiete umschrieben.

Kapitel VII umschreibt die Massnahmen, die im Bereich der Berufsberatung und der Berufsbildung für bestimmte Bevölkerungsgruppen getroffen werden sollten, namentlich für: - Personen, die nie eine Schule besucht oder diese vorzeitig verlassen haben; - ältere Arbeitnehmer; - Angehörige von Minderheiten; - geistig oder körperlich behinderte Personen.

Ein besonderes Kapitel (VIII) ist der «Förderung der Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen in Ausbildung und Beschäftigung» gewidmet. Es wird darin empfohlen, den Mädchen und Frauen die gleichen Berufsberatungsdienste, die gleiche Ausbildung und die gleichen Fortbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten zu bieten wie den Männern.

Die letzten Kapitel der Empfehlung befassen sich mit den Wanderarbeitnehmern (IX), der Ausbildung der Berufsberater und Berufsausbilder (X), der Forschung (XI) sowie der internationalen Zusammenarbeit (XIV).

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Stellungnahme der Schweiz

Die Nützlichkeit eines internationalen Instrumentes über die Berufsberatung und die Berufsbildung ist unbestritten. Die sehr ausführliche Empfehlung sollte es auch den am wenigsten entwickelten Ländern ermöglichen, Grundsatzmassnahmen und zusammenhängende Programme aufzustellen.

Zur Lage unseres Landes hinsichtlich der Anforderungen des Übereinkommens ist folgendes auszuführen: Die berufliche Ausbildung ist seit 1930 bundesrechtlich geregelt. Das Bundesgesetz vom 20. September 1963 (SR 412.10), welches dasjenige von 1930 ersetzt hat,

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regelt die Berufsberatung und die Berufsbildung. Die Vorschriften des Gesetzes über die Berufsberatung sind auf alle Berufe anwendbar. Die Bestimmungen über die berufliche Ausbildung und die Weiterbildung finden dagegen nur in den Berufen der Industrie, des Handwerks, des Handels, des Bank-. Versicherungs-, Transport- und Gastgewerbes und anderer Dienstleistungsgewerbe und der Hauswirtschaft Anwendung. Die berufliche Ausbildung in der Landwirtschaft ist im Bundesgesetz über die Förderung der Landwirtschaft und die Erhaltung des Bauernstandes (Landwirtschaftsgesetz) vom 3. Oktober 1951 (SR 910.1) geregelt.

Die berufliche Ausbildung in der Forstwirtschaft ist im Bundesgesetz betreffend die eidgenössische Oberaufsicht über die Forstpolizei vom 11. Oktober 1902 (SR 921.0) (Art. 9. 10 und 41) verankert. Hingegen .ist der Bund nicht befugt, die berufliche Ausbildung in den Berufen der Kunst, der Wissenschaft, der Erziehung und der Krankenpflege zu regeln.

Seit dem Inkrafttreten der erwähnten Gesetze hat die Schweiz Grundsatzmassnahmen und Ausbildungsprogramme entwickelt.

Die Berufe, die der Gesetzgebung des Bundes nicht unterstellt sind (Kunst, Wissenschaft, Erziehung, paramedizinische Berufe), fallen in die Zuständigkeit der Kantone, die entsprechende Vorschriften aufgestellt haben. Die Ausbildung des Pflegepersonals (Krankenschwester und Krankenpflegerin) sowie der medizinischen Laborantinnen wird, gemäss Bundesbeschluss vom 13. Juni 1951 (SR 513.51), durch das Schweizerische Rote Kreuz geregelt.

Die in Artikel l des Übereinkommens festgehaltenen Anforderungen sind in unserem Land heute schon erfüllt ; dies namentlich dank der Tatsache, dass nach Absatz 3 die Grundsatzmassnahmen und Programme der Berufsberatung und Berufsbildung mit Methoden verwirklicht werden können, die den innerstaatlichen Verhältnissen entsprechen.

In den Artikeln 2 und 4 wird die Ausarbeitung, Anpassung und ständige Verbesserung der Systeme vorgeschrieben. Dem entsprechen die Bestrebungen unserer zuständigen Behörde bestens, wie durch die zur Zeit im Gang befindliche Revision des Berufsbildungsgesetzes, die ständige Revision der Ausbildungsreglemente. die Schaffung von Reglementen für neue Berufe belegt wird. Wir können demnach diese beiden Artikel des Übereinkommens annehmen.

Die in Artikel 3 festgehaltenen Bestimmungen
über die Berufsberatung sind durchaus realistisch. Sie weisen der Berufsberatung die Aufgabe zu, den einzelnen in die Lage zu versetzen, seinen beruflichen Eignungen entsprechend seine Wunschziele zu entwickeln und einzusetzen, wobei auf die Bedürfnisse der Gesellschaft Rücksicht zu nehmen ist. In der Schweiz verfügen die Ämter für Berufsberatung über die nötigen Programme, Dokumentationen und Informationsmaterial, um den Anforderungen dieses Artikels zu genügen. Artikel 4 Absatz 2 de's Bundesgesetzes über die Berufsbildung schreibt vor, dass die Berufsberatung

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sachkundigen Personen zu übertragen ist. Der Bund «gewährt nur dann einen Beitrag an die Gehälter der Berufsberater, wenn ihre berufliche Ausbildung gewisse Kriterien erfüllt. Damit ist die Qualität der Berufsberatung gewährleistet.

In Artikel 3 der Verordnung zum Bundesgesetz wird erläutert, wie die Berufsberatung zu erfolgen hat. Artikel 3 des Übereinkommens enthält eine abschliessende Liste der den Ratsuchenden abzugebenden Informationen. Die in der Schweiz gültigen gesetzlichen Vorschriften vermögen den Anforderungen dieses Artikels zu genügen.

Das geltende Gesetz bestimmt, dass vor dem Erlass von neuen Gesetzen, Verordnungen, Reglementen oder Programmen die betroffenen Kreise anzuhören sind.

Zu diesen gehören auch die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände. Artikel 5 des Übereinkommens wird somit in der Schweiz bereits angewendet.

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Schlussfolgerungen

Es darf festgestellt werden, dass wir in bezug auf die Berufsberatung und die Berufsbildung die Auffassung der IAO teilen. Die diesbezüglichen Vorschriften des Übereinkommens Nr. 142 finden in der Schweiz praktisch bereits Anwendung.

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Verfassungsmässigkeit

Die Verfassungsmässigkeit des Bundesbeschlusses beruht auf Artikel 8 der Bundesverfassung, der den Bund ermächtigt, Staatsverträge mit dem Ausland abzuschliessen. Die Zuständigkeit der Bundesversammlung ergibt sich aus Artikel 85 Ziffer 5 der Verfassung. Das Übereinkommen kann gemäss Artikel 8 nach Ablauf von zehn Jahren seit Inkrafttreten sowie anschliessend jeweils nach Ablauf eines Zeitraumes von weiteren zehn Jahren gekündigt werden. Der Bundesbeschluss unterliegt somit nicht dem Staatsvertragsreferendum nach Artikel 89 Absatz 4 der Bundesverfassung.

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Übereinkommen (Nr. 143) über Missbräuche bei Wanderungen und die Förderung der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung der Wanderarbeitnehmer sowie Empfehlung (Nr. 151) betreifend Wanderarbeitnehmer in Beschäftigungsländern

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Zweck und Inhalt des Übereinkommens und der Empfehlung

411 Die Probleme der Wanderarbeitnehmer bilden, sei es speziell oder mehr allgemein, bereits Gegenstand verschiedener Instrumente der IAO. Zu erwähnen

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sind namentlich das Übereinkommen (Nr. 97) und die Empfehlung (Nr. 86) über Wanderarbeiter (Neufassungen) 1949. die Empfehlung (Nr. 100) betreffend den Schutz der Wanderarbeiter (unterentwickelte Länder) 1955, das Übereinkommen (Nr. 122) und die Empfehlung (Nr. 122) über die Beschäftigungspolitik 1964, das Übereinkommen (Nr. 88) über die Organisation der Arbeitsmarktverwaltung 1948 (von der Schweiz 1952 ratifiziert) und die Empfehlung (Nr. 83) über den gleichen Gegenstand, das Übereinkommen (Nr. 96) über Büros für entgeltliche Arbeitsvermittlung (revidiert) 1949.

Infolge der Bedeutung, die die Wanderung von Arbeitnehmern im Verlauf der letzten 15 Jahre erlangt hat, hat es die IAO als angezeigt erachtet, neue Instrumente zur Forderung der Gleichbehandlung zugunsten dieser Arbeitnehmer aufzustellen und dabei gleichzeitig - als neues Element - unerlaubte Wanderungen zu bekämpfen.

412 Das neue Übereinkommen enthält, von den Schlussbestimmungen abgesehen, zwei Teile. Teil I betrifft die Missbräuche bei Wanderungen, während Teil II der Chancengleichheit und Gleichbehandlung gewidmet ist. Diese Trennung ist im Hinblick auf Artikel 16 Absatz l des Übereinkommens von besonderer Bedeutung. Nach dieser Bestimmung kann nämlich jedes Mitglied, welches das Übereinkommen ratifiziert, entweder den Teill oder den Teil II von der Annahme des Übereinkommens ausschliessen.

413 Teil I (Missbräuche bei Wanderungen) umfasst die Artikel 1-9 des Übereinkommens. Er umschreibt die jedem «Mitglied, für das dieses Übereinkommen in Kraft ist» auferlegten Verpflichtungen. Diese Formulierung ist nicht ganz befriedigend : denn ob ein Staat durch die Bestimmungen von Teil I gebunden sei, hängt nicht allein von der Ratifikation des Übereinkommens ab. Vielmehr ist zudem erforderlich, dass er diesen Teil nicht von der Annahme des Übereinkommens ausgeschlossen hat. Man darf aber davon ausgehen, dass das stillschweigend vorausgesetzt wird.

Artikel l verpflichtet jedes Mitglied, «die grundlegenden Menschenrechte aller Wanderarbeitnehmer zu achten».

Nach Artikel 2 hat jedes Mitglied systematische Anstrengungen zu unternehmen, um festzustellen ob sein Gebiet Ausgangs-, Durchgangs- oder Zielgebiet von illegalen Wanderungen sei. Zu diesem Zweck sind die repräsentativen Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer anzuhören.

Artikel 3
verlangt von jedem Mitglied, dass es. wenn nötig in Zusammenarbeit mit ändern Mitgliedern, die erforderlichen Massnahmen trifft, um heimliche Wanderungen zur Arbeitsaufnahme und die unrechtmässige Beschäftigung von Wanderarbeitnehmern zu unterbinden und gegen Organisatoren solcher unrecht-

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massiger Wanderbewegungen sowie gegen Arbeitgeber, die unrechtmässig eingereiste Arbeitnehmer beschäftigen, vorzugehen.

Im Hinblick auf die Durchführung von Artikel 3 verpflichtet Artikel 4 die Mitglieder, in Beratung mit den Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer einen systematischen Informationsaustausch mit den ändern Staaten zu pflegen.

Nach Artikel 5 sollen die in den Artikeln 3 und 4 vorgesehenen Massnahmen es vor allem ermöglichen, Personen, die mit Schwarzarbeitern Handel treiben, strafrechtlich zu belangen, gleichgültig, von welchem Land aus sie tätig sind.

Artikel 6 sieht vor, dass im Rahmen der innerstaatlichen Gesetzgebung Massnahmen zu treffen sind zur Aufdeckung einer unrechtmässigen Beschäftigung von Wanderarbeitnehmern und zur Festsetzung von Sanktionen, die bei der unrechtmässigen Beschäftigung von Wanderarbeitnehmern, bei der Organisierung von unrechtmässigen Wanderungen zur Arbeitsaufnahme und bei der Mithilfe zu solchen Wanderungen bis zur Verhängung von Gefängnisstrafen gehen können (Abs. 1). Wird ein Arbeitgeber strafrechtlich verfolgt, so soll er das Recht haben, nachzuweisen, dass er in gutem Glauben gehandelt hat (Abs. 2). Die massgebenden Organisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sind anzuhören, und es ist ihnen die Möglichkeit zuzuerkennen, Initiativen zur Verhütung oder Beseitigung von Missbräuchen im Sinn des Übereinkommens zu ergreifen (Art. 7).

Artikel 8 Absatz l bestimmt, dass die Lage eines Wanderarbeitnehmers, der sich rechtmässig zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Land aufgehalten hat, nicht allein wegen des Verlustes eines Arbeitsplatzes als rechts- oder ordnungswidrig angesehen werden darf. Der Arbeitsplatzverlust allein darf auch nicht zum Entzug der Aufenthaltsbewilligung führen. Absatz 2 will ihm die Gleichbehandlung mit den eigenen Staatsangehörigen zusichern. So namentlich in bezug auf die Arbeitsplatzsicherung, Wiedereingliederung, Notstandsarbeiten und Umschulung.

Nach Artikel 9 Absatz l muss der Wanderarbeitnehmer, dessen Situation widerrechtlich ist und nicht legalisiert werden kann, dennoch für sich und seine Familie in den Genuss der Gleichbehandlung hinsichtlich der ihm aus früheren Beschäftigungen zustehenden Rechte auf Entlöhnung, soziale Sicherheit und andere Vorteile kommen. Bei Streitigkeiten muss der Arbeitnehmer die
Möglichkeit haben, seine Rechte selber oder durch einen Vertreter geltend zu machen (Abs. 2).

Absatz 3 bestimmt, dass im Fall einer Ausweisung des Arbeitnehmers oder seiner Familie die Kosten nicht von ihnen zu tragen sind.

414 Teil II des Übereinkommens über die Chancengleichheit und Gleichbehandlung umfasst die Artikel 10-14.

Artikel 10 stellt den Grundsatz auf, dass jedes Mitglied eine innerstaatliche Politik zu verfolgen hat, die darauf abzielt, die Chancengleichheit und Gleichbehand-

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lung in bezug auf Beschäftigung und Beruf, soziale Sicherheit, gewerkschaftliche und kulturelle Rechte sowie individuelle und kollektive Freiheiten für die Wanderarbeitnehmer und ihre Familie, die sich rechtmässig auf seinem Gebiet befinden, zu fordern und sicherzustellen.

Artikel 11 begrenzt den Anwendungsbereich des Teils II des Übereinkommens. In Absatz l wird der Begriff des «Wanderarbeitnehmers» umschrieben, während Absatz 2 die von diesem Begriff ausgeschlossenen Personenkategorien aufzählt.

Es geht daraus namentlich hervor, dass dieser Teil des Übereinkommens auf Saisonarbeitnehmer, jedoch nicht auf Grenzgänger, anwendbar ist.

Nach Artikel 12 hat jedes Mitglied mit seinen innerstaatlichen Verhältnissen und Gepflogenheiten entsprechenden Methoden a. sich um die Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern und anderen geeigneten Stellen zu bemühen, um die Anwendung der m Artikel 10 umschriebenen Politik zu begünstigen; b. im Hinblick auf diese Zwecksetzung Gesetze zu erlassen und Büdungsprogramme zu fördern; c. Massnahmen zur Information der Wanderarbeitnehmer über ihre Rechte und Pflichten zu treffen; d. frühere Massnahmen. die mit der erwähnten Politik im Widerspruch stehen, aufzuheben; e. eine angemessene Sozialpolitik festzulegen, die es den Wanderarbeitnehmern und ihren Familien ermöglicht, an den den eigenen Staatsangehörigen gewährten Vorteilen teilzuhaben und zugleich auf deren besondere Bedürfnisse Rücksicht nimmt; / alles daran zu setzen, den Wanderarbeitnehmern und ihren Familien bei der Bewahrung ihrer nationalen und ethnischen Eigenart und der kulturellen Bindung an ihre Heimatländer behilflich zu sein; g. allen Wanderarbeitnehmern, die die gleiche Tätigkeit verrichten, Gleichbehandlung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen zu sichern.

Nach Artikel 13 kann jedes Mitglied die erforderlichen Massnahmen treffen, um die Zusammenführung der Familien aller Wanderarbeitnehmer zu erleichtern, die sich rechtmässig in seinem Gebiet aufhalten. Als Familienangehörige gelten neben dem Ehegatten die Kinder und die Eltern, sofern sie gegenüber dem Wanderarbeitnehmer unterhaltsberechtigt sind.

Nach Artikel 14 hat jedes Mitglied den Wanderarbeitnehmern die geographische Freizügigkeit zu gewährleisten, kann aber die berufliche Mobilität während höchstens zwei Jahren einschränken (Bst. a). Die Mitglieder
können nach Anhörung der Sozialpartner die Voraussetzungen einer Anerkennung von im Ausland erworbenen beruflichen Ausweisen regeln (Bst. b) und den Zugang zu bestimmten

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Beschäftigungen einschränken, wenn dies im Interesse des Staates erforderlich ist (Bst. c).

415 Teil III des Übereinkommens (Art. 15-24) enthält die üblichen Schlussbestimmungen. Wir haben bereits auf Artikel 16 Absatz l hingewiesen, wonach jedes Mitglied, das das Übereinkommen ratifiziert, durch eine beigefügte Erklärung entweder den Teil I oder den Teil II des Übereinkommens von der Annahme ausschliessen kann.

416 Die Empfehlung (Nr. 151) betreffend Wanderarbeitnehmer in Beschäftigungsländern nimmt in ihrem ersten Teil über die Chancengleichheit und Gleichbehandlung die Grundsätze des zweiten Teils des Übereinkommens auf und erläutert sie näher. Sie nennt die Bereiche, in denen Chancengleichheit und Gleichbehandlung verwirklicht werden sollten (Ziff. 2) und umschreibt die Rolle der Einwanderungsbehörden (Ziff. 3).

Nach Ziffer 4 sollten Massnahmen getroffen werden zur Information der Öffentlichkeit über die Grundsätze des Übereinkommens sowie zur Prüfung von Beschwerden über die Nichtbeachtung dieser Grundsätze.

Die Ausübung der vom Übereinkommen garantierten Rechte sollte unter keinen Umständen die Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung rechtfertigen (Ziff. 5).

Ziffer 7 zählt die Massnahmen auf, die m Beratung mit den massgebenden Organisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer getroffen werden sollten, um die Wanderarbeitnehmer über ihre Rechte zu unterrichten, ihre Kenntnisse in der Landessprache und ihre Anpassung an die Gesellschaft des Beschäftigungslandes zu verbessern. Ausserdem ist eine Orientierung der Wanderarbeitnehmer vor dem Verlassen ihres Herkunftslandes erwünscht.

Ziffer 9 der Empfehlung übernimmt teilweise Artikel 9 des Übereinkommens und befasst sich zudem mit der Legalisierung der Lage von Wanderarbeitnehmern, die unrechtmässig in das Beschäftigungsland eingereist sind.

Der zweite Teil der Empfehlung behandelt Fragen der Sozialpolitik, die in Beratung mit den massgebenden Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer von jedem Mitglied ausgearbeitet werden sollte, um auch die Wanderarbeitnehmer und ihre Familien in den Genuss der den eigenen Staatsangehörigen gewährten Vorteile kommen zu lassen. Er regelt in drei Hauptabschnitten die Familienzusammenführung, den Gesundheitsschutz der Wanderarbeitnehmer und das Sozialwesen. Es werden ein regelmässiger Informationsaustausch sowie eine ständige Zusammenarbeit zwischen Beschäftigungs- und Herkunftsländern empfohlen.

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Gegenstand des dritten und letzten Teils der Empfehlung sind Beschäftigung und Aufenthalt der Wanderarbeitnehmer. Es wird darin namentlich Artikel 8 Absatz l des Übereinkommens wieder aufgenommen. Darüber hinaus werden die Fristen und die Leistungen festgelegt, die jedem Wanderarbeitnehmer zustehen sollten, wenn er das Land infolge Arbeitsplatzverlustes verlassen muss.

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Stellungnahme der Schweiz

Am Anfang dieses Kapitels finden sich kurze allgemeine Betrachtungen über die neuen Instrumente betreffend die Wanderarbeitnehmer. Sodann wird im besondern auf die Umstände eingegangen, unter denen die Abstimmungen stattfanden (Ziff. 421). Anschliessend werden wir die Bestimmungen dieser Instrumente im einzelnen prüfen, indem wir sie unserer Gesetzgebung gegenüberstellen (Ziff. 422425). Diese Analyse zwingt uns, die Probleme - zum Nachteil der Gesamtbetrachtung - isoliert darzulegen. Abschliessend scheint es uns aber unerlässlich, sie wieder in ihren Gesamtzusammenhang zu stellen, indem wir die grossen Linien unserer Fremdarbeiterpolitik in Erinnerung rufen (Ziff. 426).

421 Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass die Beratungen über die beiden Instrumente in der Ad-hoc-Kommission der Arbeitskonferenz sich für die Regierungen der hauptsächlichen westlichen Einwanderungsländer unter ungünstigen Bedingungen abwickelten. Tatsächlich hatten sie grosse Mühe, ihren Standpunkt zu verteidigen ; denn sie sahen sich einer starken Mehrheit gegenüber. Diese setzte sich vor allem aus Auswanderungsländern und vielen ändern Ländern zusammen, die von den Problemen der Wanderarbeitnehmer nicht betroffen sind und folglich bereit waren, allen Forderungen zuzustimmen. Die durch ihre Erfolge ermutigte Mehrheit zeigte sich kaum zu Konzessionen bereit und neigte in den meisten Fragen dazu, der Minderheit unannehmbare Bestimmungen aufzuzwingen. Das erklärt auch, weshalb die Regierungsvertreter der meisten wichtigen Einwanderungsländer Westeuropas in der Plenarversammlung gegen die Annahme des Übereinkommens und der Empfehlung stimmten, so beispielsweise die Vertreter der Bundesrepublik Deutschland, Österreichs, Dänemarks. Frankreichs (das nur der Empfehlung zustimmte), der Niederlande, des Vereinigten Königreichs und unseres eigenen Landes.

Dem ist beizufügen, dass das Übereinkommen - von den eigentlichen Sachfragen abgesehen - auch rein juristisch unter dem Ungleichgewicht der Verhandlungen gelitten hat. Es wird noch zu zeigen sein, dass es schlecht aufgebaut ist und mancher Bestimmung die Klarheit oder Präzision fehlt. Das ist um so mehr zu bedauern, als man die Bedeutung der durch die IAO angestrebten Ziele vorbehaltlos anerkennen und ihre Sorge, den Wanderarbeitnehmern einen angemessenen Schutz zu sichern, begrüssen muss.

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422 Diese Bemerkungen beziehen sich namentlich auf Teil I des Übereinkommens. Das Bestreben, den illegalen Handel mit Arbeitskräften durch internationale Vorschriften zu bekämpfen, ist durchaus lobenswert. Leider sind die daraus entstandenen Bestimmungen teils unbefriedigend.

Artikel l des Übereinkommens verpflichtet die Mitglieder, «die grundlegenden Menschenrechte aller Wanderarbeitnehmer zu achten». Dieser Artikel ist in Übereinstimmung mit den von den Vereinten Nationen im Bereich der Menschenrechte angenommenen Texte auszulegen, insbesondere der Allgemeinen Menschenrechtserklärung und den völkerrechtlichen Verträgen über die Menschenrechte. Die Annahme dieser Bestimmung könnte uns insoweit Schwierigkeiten bereiten, als das schweizerische Recht die Gleichbehandlung zwischen einheimischen und ausländischen Arbeitnehmern in verschiedenen Bereichen wie Beschäftigung und Ausübung einer beruflichen Tätigkeit, soziale Sicherheit sowie Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit (geographische Mobilität) nicht gewährleistet.

Bedenken sind auch gegenüber der Verpflichtung von Artikel 2 Absatz l am Platz, «systematische Anstrengungen zu unternehmen, um festzustellen», ob sich auf dem Staatsgebiet rechtmässig beschäftigte Wanderarbeitnehmer aufhalten. Eine präzisere Umschreibung von Tragweite und Inhalt dieser Verpflichtung wäre vorzuziehen gewesen. Dem Absatz 2 können wir ohne weiteres zustimmen, weil wir die Anhörung der Sozialpartner in allen Angelegenheiten, die für sie von Interesse sind, bereits kennen.

Wir dürfen annehmen, dass unsere Gesetzgebung auch den Anforderungen von Artikels genügt: Artikel23 Absatz l des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG) (SR 142.20) ermöglicht eine strafrechtliche Verfolgung von Verletzungen des Fremdenpolizeirechts und Artikel 23 Absatz 2 der Verordnung des Bundesrates vom 9. Juli 1975 über die Begrenzung der Zahl der erwerbstätigen Ausländer (SR 823.21) sieht unabhängig von der Durchführung eines Strafverfahrens administrative Massnahmen gegen Arbeitgeber vor, die wiederholt oder in schwerer Weise fremdenpolizeiliche Bestimmungen übertreten haben.

Aufgrund unserer Politik gegenüber den ausländischen Arbeitskräften sind wir auch in der Lage, Artikel 4 zuzustimmen, der die Aufnahme von Kontakten und eines systematischen
Informationsaustausches mit ändern Staaten vorschreibt.

Artikels will die strafrechtliche Verfolgung von Urhebern eines Handels mit Arbeitskräften ermöglichen, gleichgültig, von welchem Land aus sie tätig werden.

Wir haben in der Stellungnahme zu Artikel 3 bereits darauf hingewiesen, dass Artikel 23 Absatz l ANAG die strafrechtliche Ahndung von Verletzungen des Fremdenpolizeirechts ermöglicht. Dem ist beizufügen, dass der allgemeine Teil des Strafgesetzbuchs (StGB) auf die Verfolgung und Beurteilung solcher Übertre-

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tungen anwendbar ist. Nach Artikel 3 Ziffer l StGB ist dem Gesetz unterworfen, wer in der Schweiz ein Verbrechen oder Vergehen verübt. Als Ort der Begehung gelten nach Artikel 7 Absatz l des Gesetzes der Ort, an dem der Täter das Delikt ausführt, und zugleich der Ort, an dem der Erfolg eingetreten ist. Man kann also davon ausgehen, dass unsere Gesetzgebung die Anforderungen von Artikel 5 des Übereinkommens erfüllt.

Gegenüber den Bestimmungen des Artikels 6 Absatz l über Verwaltungs-. Zivilund strafrechtlichen Sanktionen sind gewisse Vorbehalte anzubringen. Zwar sehen Artikel 23 ANAG und Artikel 23 der Verordnung des Bundesrates vom 9. Juli 1975 über die Begrenzung der Zahl der erwerbstätigen Ausländer strafrechtliche Sanktionen und verwaltungsrechtliche Massnahmen vor; die Androhung von Gefängnisstrafen ist aber auf ganz bestimmte Delikte beschränkt, während die Bestimmungen des Übereinkommens allgemeinen Charakters sind.

Zu Absatz 2 von Artikel 6 sind keine Bemerkungen anzubringen.

Gegen eine Anhörung der Sozialpartner, wie Artikel 7 sie vorsieht, ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Immerhin ist es zu bedauern, dass die «Möglichkeit, entsprechende Initiativen zu ergreifen», die den massgebenden Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer zuzuerkennen ist, nicht näher umschrieben wird.

Artikels verlangt, dass Wanderarbeitnehmer, die rechtmässig in das Land eingereist sind und ihren Arbeitsplatz verloren haben, gleich zu behandeln sind, wie die eigenen Staatsbürger, und zwar insbesondere hinsichtlich Sicherung der Beschäftigung, der Bereitstellung einer anderweitigen Beschäftigung. Notstandsarbeiten und Umschulung. Diese Bestimmung nimmt sich im Teil I des Übereinkommens wie ein Fremdkörper aus. Ihrem Gegenstand nach gehört sie in Teil II des Übereinkommens, der ausdrücklich die Frage der Gleichbehandlung regelt.

Jedenfalls ist festzustellen, dass sich die Anforderungen von Artikel 8 mit unseren Vorschriften über den Schutz der einheimischen Arbeitskräfte und über den diesen zu gewährenden Vorrang auf dem Arbeitsmarkt nicht vertragen.

Den Absätzen l, 2 und 4 von Artikel 9 kann unser Land zustimmen. Wir möchten namentlich darauf hinweisen, dass die von der Schweiz abgeschlossenen bilateralen Abkommen in der' Frage der sozialen Sicherheit über Artikel 9 Absatz l des Übereinkommens hinausgehen,
da sie die Aufrechterhaltung erworbener oder in Entstehung begriffener Rechte und die Erbringung von Leistungen ausserhalb unseres Staatsgebietes vorsehen, ohne zu unterscheiden, ob sich der Wanderarbeitnehmer legal oder illegal in der Schweiz aufhält. Problematisch ist dagegen Absatz 3. Obschon diese Bestimmung nicht klar abgefasst ist, steht fest, dass unter «Kosten» die Auslagen für die Rückkehr in das Herkunftsland zu verstehen sind. Damit aber geht die Bestimmung über Artikel 23 Absatz 3 der erwähnten Verordnung des Bundesrates vom 9. Juli 1975 hinaus. Darnach hat der Arbeitgeber zwar die Kosten für die Unterstützung und Rückreise von Ausländern zu

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tragen, die ohne Bewilligung beschäftigt wurden, doch erstreckt sich diese nur auf den Arbeitnehmer selber und nicht etwa auch auf die Familienangehörigen, wie es das Übereinkommen verlangt.

423 Den Bemerkungen zu Teil II des Übereinkommens (Gleichbehandlung) sei vorausgeschickt, dass dessen Bestimmungen auch auf Saisonarbeitnehmer anwendbar sind.

Artikel 10 der Gleichbehandlung hinsichtlich Beschäftigung und Beruf verlangt, ist in der Schweiz nur für die niedergelassenen Ausländer erfüllt. Das Statut der Jahresaufenthalter ist hier insofern problematisch, als diese - je nach Arbeitsmarktlage - Beschränkungen unterworfen werden können. Das gilt noch verstärkt für die Saisonarbeitnehmer. Eine Annahme der Bestimmung ist unter diesen Bedingungen ausgeschlossen. Selbstverständlich gelten die gleichen Überlegungen für die entsprechenden Bestimmungen der Empfehlung, insbesondere deren Ziffer 2 Buchstabe d.

Auch gegenüber der im gleichen Artikel vorgeschriebenen Gleichbehandlung in bezug auf «individuelle und kollektive Freiheiten» ist grösste Zurückhaltung am Platz. Der französische Regierungsvertreter in der Ad-hoc-Kommission beantragte, den von den Arbeitnehmern bei der ersten Lesung vorgeschlagenen Text dahingehend zu präzisieren, dass die politischen Rechte von dieser Formel ausgeschlossen bleiben sollten, weil andernfalls eine zu extensive Auslegung derselben zu befürchten sei. Leider wurde dieser Antrag trotz Unterstützung durch mehrere Regierungsvertreter, darunter denjenigen der Schweiz, mit starkem Mehr abgelehnt. Dieser Beschluss gab zu einer ebenso lebhaften wie wirren Debatte Anlass, aus der zu schliessen war, dass die durchgedrungene Mehrheit in der Formel «individuelle und kollektive Freiheiten» nicht notwendigerweise auch die politischen Rechte enthalten sah, diese aber auch nicht gerade ausschliessen wollte.

In der Vollversammlung, der der Übereinkommensentwurf nach dieser ersten Lesung unterbreitet wurde, haben die Regierungsvertreter des Vereinigten Königreichs und Frankreichs die Unklarheit der Bestimmung erneut kritisiert; allerdings ohne Erfolg, denn sie wurde unverändert in den endgültigen Text aufgenommen. Es braucht kaum betont zu werden, dass wir schwerlich eine Vorschrift annehmen können, deren Sinn nicht klar ist und von der nicht feststeht, welche Verpflichtungen sie mit
sich bringt.

Artikel 11, der den Begriff des Wanderarbeitnehmers umschreibt, schliesst - wie bereits erwähnt - auch die Saisonarbeitnehmer in den Anwendungsbereich des Übereinkommens ein. Die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten werden bei der Stellungnahme zu den betreffenden Bestimmungen dargelegt.

Die Bestimmungen von Artikel 12 Buchstaben b und d schreiben auf nationaler Ebene zu treffende Massnahmen vor, um die Anwendung des in Artikel 10

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festgesetzten Grundsatzes der Gleichbehandlung sicherzustellen. Die Bedenken, die wir gegen eine Annahme von Artikel 10 vorgebracht haben, sind gleichermassen auch gegenüber dieser Bestimmung am Platz. Dasselbe gilt für Ziffer 3 der Empfehlung.

Artikeln enthält eine seltsam abgefasste Bestimmung, die den Mitgliedern gar keine Verpflichtung auferlegt. Sie sieht lediglich vor, dass jedes Mitglied Massnahmen zur Familienzusammenführung treffen «kann». Es ist jedoch eine Selbstverständlichkeit, dass diese Befugnis einem souveränen Staat dank seiner Souveränität von vornherein zusteht, und sie braucht ihm deshalb nicht durch ein internationales Übereinkommen erst übertragen zu werden. In der vorliegenden Formulierung gehörte diese Bestimmung demnach nicht in das Übereinkommen.

Es ist dagegen durchaus angebracht, dass sie - in angemessener Form - in den Ziffern 13 und 15 der Empfehlung wieder aufgenommen wird.

Abgesehen von diesen Überlegungen, ist festzuhalten, dass sich Artikel 13 mit unserer Gesetzgebung über die Familienzusammenführung nicht verträgt, da sie sich auch auf die Saisonarbeitnehmer und - aufgrund von Absatz 2 - auf die Unterhaltsberechtigten Eltern des Wanderarbeitnehmers bezieht.

Auch Artikel 14 ist unglücklich abgefasst. Die Einleitung («Jedes Mitglied kann») ist richtig in bezug auf die Buchstaben a und c, die es den Mitgliedern erlauben, die Gleichbehandlung bei der Beschäftigung gewissen Beschränkungen zu unterwerfen. Buchstabe b dagegen gehörte weder in diesen Zusammenhang noch überhaupt in das Übereinkommen.

Buchstabe a erlaubt zwar, die Gewährung der beruflichen Mobilität von gewissen einschränkenden Voraussetzungen abhängig zu machen. Damit wäre aber für uns hinsichtlich des Saisonarbeitnehmersstatuts nichts gewonnen. Zudem ist die Bestimmung insofern unklar als geographische und berufliche Mobilität voneinander getrennt werden.

Zu Buchstabe b, der es den Mitgliedern überlässt, die Voraussetzungen der Anerkennung von im Ausland erworbenen beruflichen Ausweisen zu regeln, sind die gleichen Bemerkungen wie zu Artikel 13 anzubringen. Ein souveräner Staat ist ohnehin befugt, ausländische Zeugnisse und Diplome zu anerkennen, und es ist seine Sache, festzulegen, unter welchen Voraussetzungen er das tun will. Die fragliche Bestimmung schafft daher kein neues Recht, ebenso wenig
wie sie neue Verpflichtungen auferlegt. Sie ist eher als eine Art Aufforderung zu verstehen und sollte deshalb ausschliesslich in der Empfehlung enthalten sein, wo sie tatsächlich in Ziffer 16 zu finden ist, die Artikel 14 des Übereinkommens wörtlich übernimmt.

Buchstabe c gibt zu keinen Bemerkungen Anlass.

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424 Teil III des Übereinkommens (Schlussbestimmungen) ist weiter oben besprochen worden (41, Ziff. 5) und bedarf keiner weiteren Erläuterungen.

425 Wir haben bereits oben einige Bemerkungen über die Empfehlung gemacht. Ganz allgemein lässt sich beifügen, dass die Lage in bezug auf Bestimmungen der Empfehlung die gleiche ist wie jene gegenüber ähnlich lautenden Bestimmungen des Übereinkommens.

426 Unsere Stellungnahme zu den neuen Instrumenten der IAO soll nicht abgeschlossen werden, ohne noch kurz auf unsere Ausländerpolitik hingewiesen zu haben. Sie stützt sich insbesondere auf unsere Bundesgesetzgebung, den Bericht des Bundesrates vom 28. Januar 1976 über die Richtlinien der Regierungspolitik in der Legislaturperiode 1975-1979 und den Entwurf zu einem neuen Ausländergesetz. Danach sollen unsere formalrechtlichen Bestimmungen über die Ein- und Ausreise, den Aufenthalt und die Niederlassung von Ausländern den gegenwärtig herrschenden nationalen und internationalen Verhältnissen angepasst werden. Sodann soll - unter Berücksichtigung der politischen, ökonomischen, demographischen, sozialen und kulturellen Interessen unseres Landes ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Bestand der schweizerischen und der ausländischen Wohnbevölkerung angestrebt werden. Ferner soll den Ausländern ein Rechtsstatus eingeräumt werden, der ihre Eingliederung in die schweizerische Gemeinschaft unter Berücksichtigung der Aufenthaltsdauer erleichtert. Schliesslich soll den Ausländern der erforderliche Rechtsschutz gewährt werden. Das neue Ausländergesetz wird unserer Politik den klar umgrenzten rechtlichen Rahmen liefern. Es wird auch die Rolle umschreiben, die den Ausländern in unserer Gemeinschaft und der Erfüllung ihrer menschlichen und sozialen Wünsche zukommt indem es ihre persönliche, familiäre und berufliche Stellung umschreibt, ihnen sozialen Schutz gewährt und ihre Eingliederung erleichtert.

427 Obschon manche Bestimmungen des Übereinkommens für unser Land annehmbar sind, vermögen doch unsere Gesetzgebung und unsere Politik - wie oben erläutert - in ändern wichtigen Fragen den Anforderungen des Übereinkommens nicht zu genügen. Es bleibt uns deshalb verwehrt, sowohl Teil I (Missbräuche bei Wanderungen) als auch Teil II (Gleichbehandlung) anzunehmen, ganz abgesehen von den Risiken der Ratifikation eines Instrumentes,
dessen fragwürdige Konzeption und Ungenauigkeit jeglicher extensiver Auslegung Tür und Tore öffnen würden. Unter diesen Umständen verzichten wir darauf, Ihnen das Übereinkommen zur Genehmigung vorzuschlagen. Das wird uns selbstverständlich nicht daran hindern, unsere Anstrengungen im Sinn der dargelegten Politik und entsprechend unseren Bedürfnissen und Möglichkeiten weiter zu verfolgen, um den Wanderarbeitnehmern und ihren Familien eine menschliche Behandlung zu sichern.

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Erklärung über die Chancengleichheit und die Gleichbehandlung der berufstätigen Frauen ; Entschliessung über einen Aktionsplan zur Förderung der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung der berufstätigen Frauen ; Entschliessung über die Gleichstellung und die Chancengleichheit von Frauen und Männern in Beschäftigung und Beruf

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Zweck und Inhalt der Erklärung und der Entschliessungen

511 Die Stellung der berufstätigen Frauen hat sich in jüngerer Zeit gegenüber früher in vielen Ländern, |insbesondere der industrialisierten Welt, verbessert. Noch immer aber stehen der vollen Eingliederung der Frau ms Wirtschaftsleben, ihrer Chancengleichheit und Gleichbehandlung, Hindemisse entgegen. In einer besonders schwierigen Lage befinden sich die Frauen in den Entwicklungsländern, wo i sie aufgrund weitverbreiteter Unterbeschäftigung und Arbeitslosigkeit oft in mehrfacher Weise benachteiligt sind. Die von der Konferenz angenommenen Instrumente sollen die Aufmerksamkeit der Mitgliedländer, der Sozialpartner und der internationalen Organisationen auf die Lage der Frauen in den verschiedenen Regionen der Welt lenken.

512 Die Erklärung über die Chancengleichheit und die Gleichbehandlung der berufstätigen Frauen wurde aus Anlass des Internationalen Jahres der Frau abgegeben. In die Präambel fanden daher die Befürchtungen, Wünsche und Forderungen der Frauen in Ländern mit verschiedenster Sozial- und Wirtschaftsstruktur und verschiedener wirtschaftlicher Entwicklung Eingang. Die eigentliche Erklärung enthält einen Katalog von Forderungen, die den berufstätigen Frauen Chancengleichheit und Gleichbehandlung ermöglichen sollen. Als wichtigste dieser Postulate erscheinen: - Verbot jeglicher Benachteiligung der Arbeitnehmerinnen aufgrund des Geschlechts, von Schwangerschaft und Niederkunft; - Forderung nach Beachtung der internationalen Übereinkommen, Entschliessungen, Erklärungen, Pakten und Empfehlungen der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen gegen die Diskriminierung der Frau; - Gewährleistung der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Frauen und Männern im Arbeitsleben durch gesetzgeberische Massnahmen, Gesamtarbeitsverträge oder vertragliche Vorkehrungen zwingender Natur sowie die Durchführung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in Beschwerde-, Schlichtungs- und Berufungsverfahren und Inanspruchnahme der Gerichte; - Gewährleistung des Rechtes der Frau auf Arbeit als unveräusserliches Recht des Menschen;

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- Sicherung der gleichen Grund- und Berufsausbildung sowie Bereitstellung besonderer Massnahmen, um die Fortbildung und Weiterbildung der Frauen während und nach einer Unterbrechung ihrer Berufstätigkeit zu erleichtern; - Bereitstellung der sozialen Infrastruktur, Überprüfung der sozialen Sicherheit und der Steuersysteme.

513 Die Entschliessung über einen Aktionsplan zur Förderung der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung der berufstätigen Frauen, deren Text im Anhang 4 wiedergegeben ist, sieht vor, dass jede Massnahme zur Verwirklichung der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung der berufstätigen Frauen auf dem Grundsatz beruhen muss, dass alle Menschen (Männer und Frauen) ein unbestreitbares Recht auf Arbeit haben. Ausgehend von diesem Grundsatz, sieht der Aktionsplan nationale Massnahmen und Massnahmen der IAO vor.

Die Mitgliedstaaten sollten sich verpflichten, im Rahmen der nationalen Entwicklungsplanung besondere Massnahmen zu treffen, um die Changengleichheit und die Gleichbehandlung der berufstätigen Frauen in Bildung, Ausbildung, Beschäftigung und Beruf zu fördern, und wirksame Verfahren und Einrichtungen auf dreigliedriger Grundlage und unter Beteiligung der Frauen für die Planung, Anregung und Auswertung solcher Massnahmen und für die Anwendung der Politik der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung auf allen Stufen zu schaffen. Die Massnahmen im einzelnen decken sich weitgehend mit denjenigen, die in der Erklärung enthalten sind.

Als Massnahmen der IAO werden regionale und internationale Massnahmen gefordert. Die regionalen Massnahmen betreffen insbesondere die Aufnahme der Frage der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung der berufstätigen Frauen in die Tagungen der beratenden Regionalausschüsse und der Regionalkonferenzen, die Durchführung regionaler Aktionsprogramme und Untersuchungen der spezifischen Hindernisse zur Eingliederung der Frauen in den einzelnen Regionen.

Die IAO wird eingeladen, die Instrumente über die Beschäftigung der Frauen auf internationaler Ebene zu überprüfen und wenn nötig zu ergänzen. Ausserdem sollte das IAA statistische Daten aus industrialisierten wie auch Entwicklungsländern sammeln und auswerten.

514 Die Entschliessung über die Gleichstellung und die Chancengleichheit von Frauen und Männern in Beschäftigung und Beruf hat den Zweck,
die IAO zu veranlassen, ihre Tätigkeit nach Ablauf des internationalen Jahres der Frau fortzusetzen um Fortschritte in Richtung auf die Gleichstellung und die Chancengleichheit von Männern und Frauen in Beschäftigung und Beruf sowie die Verwirklichung einer besseren Arbeitsumwelt für Männer und Frauen zu erzielen. Zu diesem Zweck werden die zuständigen Organe der IAO ersucht,

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- die Notwendigkeit der Schaffung neuer internationaler Instrumente, allenfalls der Ergänzung der bestehenden zu prüfen, - eingehende und umfassende Untersuchungen über Fragen im Zusammenhang mit besondern Schutzmassnahmen für Frauen bzw. für Männer durchzuführen, - die Mitglieder aufzufordern, Berichte über die Übereinkommen betreffend die arbeitende Mutter zu erstatten, damit überprüft wird, ob die Bestimmungen dieser Übereinkommen angesichts der heutigen Vorstellungen über das Recht auf Mutterschutz angemessen sind, - die Frage der Arbeitnehmer mit Familienpflichten zum Zwecke der Annahme eines neuen Instruments in die Tagesordnung der frühest möglichen Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz aufzunehmen.

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Stellungnahme der Schweiz

Die Instrumente über die Chancengleichheit und Gleichstellung der berufstätigen Frauen zeugen von einer sehr fortschrittlichen, vielleicht nicht in allen Punkten ganz realistischen Haltung. Sie sind offensichtlich als Stimme der erwerbstätigen Frauen im Internationalen Jahr der Frau zu verstehen. In diesem Sinne wird auch den Begehren der Entwicklungsländer, die eine Verbesserung der Lage ihrer Frauen nur im Rahmen einer international ausgeglicheneren wirtschaftlichen Entwicklung sehen, Rechnung getragen. Dadurch erhalten die Dokumente eine politische Färbung, die dem eigentlichen Anliegen der Chancengleichheit der Arbeitnehmerinnen mit den Arbeitnehmern abträglich sein könnte.

Die Zahl der berufstätigen Frauen hat in den letzten Jahrzehnten auch in der Schweiz zugenommen. Dabei ist auffallend, dass vor allem der Anteil derjenigen erwerbstätigen Frauen gestiegen ist, die nicht die volle gesetzliche oder betriebliche Arbeitszeit erfüllen. Daraus ergibt sich, dass viele verheiratete Frauen in der Schweiz zwar ein Interesse an einer ausserhäuslichen Tätigkeit bekunden, dass sie aber in der Regel nicht bereit sind, ihre angestammten Funktionen der Hausfrau und Mutter hintanzusetzen. In unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung, die dem Individuum einen grossen persönlichen Entscheidungsspielraum belässt und wo die öffentliche Meinung das traditionelle Familienbild hochhält, dürfte daher die Verwirklichung eines Teiles der Forderungen, wie sie in der Erklärung und den Entschliessungen formuliert sind, einigen Vorbehalten begegnen.

Einige Forderungen, wie zum Beispiel diejenigen über die Berufsberatung und die Berufsbildung, sind in der Schweiz weitgehend erfüllt. Dazu sei auf die Ausführungen zum Übereinkommen (Nr. 142) und die Empfehlung (Nr. 150) über die Erschliessung des Arbeitskräftepotentials (siehe Kap. 3 oben) verwiesen. Auch hat die Schweiz die Übereinkommen (Nr. 100) betreffend die Gleichheit des Entgelts für eine gleichwertige Arbeit und (Nr. 111) über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf ratifiziert. Damit hat die Schweiz kundgetan, dass sie bereit ist, die Interessen der berufstätigen Frauen im Rahmen einer harmonischen Entwicklung zu berücksichtigen.

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(Entwurf)

Bundesbeschluss über zwei internationale Arbeitsübereinkommen

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Artikel 8 der Bundesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 1. September 1976 D, beschliesst :

Art. l \ 1 Die nachstehenden^ an der 60. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz angenommenen Übereinkommen werden genehmigt: a. Übereinkommen (Nr. 141) über die Verbände ländlicher Arbeitskräfte und ihre Rolle in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, 1975 ; b. Übereinkommen (Nr. 142) über die Berufsberatung und die Berufsbildung im Rahmen der Erschliessung des Arbeitskräftepotentials, 1975.

2

Der Bundesrat wird ermächtigt, sie zu ratifizieren.

Art. 2 Dieser Beschluss unterliegt nicht dem Staatsvertragsreferendum.

» BEI 1976 III 417

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Anhang l

Übereinkommen (Nr. 141) über die Verbände ländlicher Arbeitskräfte und ihre Rolle in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation.

die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 4. Juni 1975 zu ihrer sechzigsten Tagung zusammengetreten ist.

hält es in Anbetracht der Bedeutung der ländlichen Arbeitskräfte m der Welt für dringend, dass diese an den Massnahmen zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung beteiligt werden, wenn ihre Arbeits- und Lebensbedingungen auf die Dauer wirksam verbessert werden sollen; stellt fest, dass in zahlreichen Ländern der Welt, vor allem in den Entwicklungsländern, der Boden ganz unzureichend genutzt wird und die Arbeitskräfte weitgehend unterbeschäftigt sind und dass die ländlichen Arbeitskräfte deshalb zur Entwicklung von freien und lebensfähigen Verbänden ermutigt werden müssen, die in der Lage sind, die Interessen ihrer Mitglieder zu schützen und zu fördern, und die die Gewähr dafür bieten, dass sie einen wirksamen Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung leisten; ist der Auffassung, dass solche Verbände zur Linderung der anhaltenden Lebensmittelknappheit in verschiedenen Teilen der Welt beitragen können und sollen ; erkennt an, dass die Bodenreform in vielen Entwicklungsländern eine wesentliche Voraussetzung für die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ländlichen Arbeitskräfte ist und dass die Verbände dieser Arbeitskräfte infolgedessen zusammenarbeiten und aktiv an der Durchführung dieser Reformen mitwirken sollten; verweist auf die Bestimmungen der bestehenden internationalen Arbeitsübereinkommen und Empfehlungen - insbesondere auf das Übereinkommen über das Vereinigungsrecht (Landwirtschaft), 1921, das Übereinkommen über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes, 1948, und das Übereinkommen über das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivverhandlungen,

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1949 -, in denen das Recht aller Arbeitnehmer einschliesslich der ländlichen Arbeitnehmer bekräftigt wird, freie und unabhängige Verbände zu gründen, sowie auf die Bestimmungen der zahlreichen internationalen Arbeitsübereinkommen und Empfehlungen, die für die ländlichen Arbeitnehmer gelten und in denen unter anderem gefordert wird, dass die Arbeitnehmerverbände an ihrer Durchführung beteiligt werden; stellt fest, dass die Vereinten Nationen und die Sonderorganisationen, insbesondere die Internationale Arbeitsorganisation und die Organisation der Vereinten Nationen für Ernährung und Landwirtschaft, an der Bodenreform und der ländlichen Entwicklung interessiert sind; stellt fest, dass die nachstehenden Normen in Zusammenarbeit mit der Organisation der Vereinten Nationen für Ernährung und Landwirtschaft erarbeitet worden sind und dass zur Vermeidung von Überschneidungen die Zusammenarbeit mit dieser Organisation und den Vereinten Nationen fortgesetzt werden wird, um die Anwendung dieser Normen zu fördern und sicherzustellen; hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend die Verbände ländlicher Arbeitskräfte und ihre Rolle in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, eine Frage, die den vierten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 23. Juni 1975, das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über die Verbände ländlicher Arbeitskräfte, 1975, bezeichnet wird.

Artikel l Dieses Übereinkommen gilt für alle Arten von Verbänden ländlicher Arbeitskräfte, einschliesslich von Verbänden, die nicht auf ländliche Arbeitskräfte beschränkt sind, sie aber vertreten.

Artikel 2 1. Im Sinne dieses Übereinkommens bezeichnet der Ausdruck «ländliche Arbeitskräfte» alle in der Landwirtschaft, im Handwerk oder in verwandten Berufen in ländlichen Gebieten tätigen Personen, gleichviel ob sie Lohnempfänger sind oder nach Massgabe von Absatz 2 dieses Artikels selbständig erwerbstätig sind, wie etwa Pächter, Teilpächter oder Kleinlandwirte.

2. Dieses Übereinkommen gilt nur für diejenigen Pächter, Teilpächter oder Kleinlandwirte, die ihr Einkommen hauptsächlich aus der Landwirtschaft beziehen, den Boden selbst bewirtschaften, und zwar nur mit Hilfe ihrer Familienangehörigen oder mit gelegentlicher Hilfe familienfremder Arbeitskräfte, und die nicht

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a) ständig Arbeitskräfte beschäftigen; oder b) eine erhebliche Anzahl von Saisonarbeitern beschäftigen; oder c) ihr Land von Teilpächtern oder Pächtern bewirtschaften lassen.

Artikel 3 1. Alle Gruppen ländlicher Arbeitskräfte, ob Lohnempfänger oder selbständig Erwerbstätige, haben das Recht, ohne vorherige Genehmigung Verbände nach eigener Wahl zu bilden und solchen Verbänden beizutreten, wobei lediglich die Bedingung gilt, dass sie deren Satzungen einhalten.

2. Die Grundsätze der Vereinigungsfreiheit sind in vollem Masse zu achten ; die Verbände ländlicher Arbeitskräfte müssen unabhängig sein, auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhen und dürfen keinerlei Eingriffen, Zwang oder Druck ausgesetzt werden.

3. Der Erwerb der Rechtspersönlichkeit durch Verbände ländlicher Arbeitskräfte darf nicht an Bedingungen geknüpft werden, die geeignet sind, die Anwendung der vorstehenden Absätze dieses Artikels zu beeinträchtigen.

4. Bei der Ausübung der ihnen in diesem Artikel zuerkannten Rechte haben sich die ländlichen Arbeitskräfte und ihre Verbände gleich anderen Personen oder organisierten Gemeinschaften an die Gesetze zu halten.

5. Die in diesem Artikel vorgesehenen Rechte dürfen weder durch die innerstaatliche Gesetzgebung noch durch die Art ihrer Anwendung geschmälert werden.

Artikel 4 Eines der Ziele der innerstaatlichen Politik zur Entwicklung ländlicher Gebiete hat darin zu bestehen, die Gründung und Entwicklung starker und unabhängiger Verbände ländlicher Arbeitskräfte auf freiwilliger Grundlage zu erleichtern, um die Beteiligung der ländlichen Arbeitskräfte an der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und an den sich daraus ergebenden Vorteilen auf wirksame Weise und ohne Diskriminierung - im Sinne des Übereinkommens über die Diskriminierung (Beschäftigung und Beruf), 1958 - sicherzustellen.

Artikel 5 1. Damit die Verbände ländlicher Arbeitskräfte ihre Rolle im Rahmen der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung spielen können, hat jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, eine Politik der aktiven Förderung dieser Verbände festzulegen und zu verfolgen, um insbesondere die Hindernisse, die der Gründung und Entwicklung solcher Verbände und der Ausübung ihrer rechtmäs-

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sigen Tätigkeit im Wege stehen, sowie jegliche Diskriminierung zu beseitigen, der die Verbände ländlicher Arbeitskräfte und ihre Mitglieder seitens der Gesetzgebung oder Verwaltung möglicherweise ausgesetzt sind.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, hat sicherzustellen, dass die innerstaatliche Gesetzgebung unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse im ländlichen Bereich die Gründung und Entwicklung von Verbänden ländlicher Arbeitskräfte nicht behindert.

Artikel 6 Es sind Massnahmen zu treffen, um soweit wie möglich Verständnis dafür zu wecken, wie notwendig die Förderung der Entwicklung von Verbänden ländlicher Arbeitskräfte ist und welchen Beitrag sie zur Verbesserung der Beschäftigungsmöglichkeiten und der allgemeinen Arbeits- und Lebensbedingungen in ländlichen Gebieten sowiex zur Steigerung und besseren Verteilung des Volkseinkommens leisten können.

Artikel 7 Die förmlichen Ratifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung mitzuteilen.

Artikel 8 1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Ratifikation durch den Generaldirektor eingetragen ist.

2. Es tritt in Kraft zwölf Monate nachdem die Ratifikationen zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind.

3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner Ratifikation in Kraft.

Artikel 9 1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum erstenmal in Kraft getreten ist, durch Anzeige an den Generaldirektor des internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung ein.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und innerhalb eines Jahres nach Ablauf des im vorigen Absatz genannten Zeitraumes von zehn

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Jahren von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht, bleibt für einen weiteren Zeitraum von zehn Jahren gebunden. In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf eines Zeitraumes von zehn Jahren nach Massgabe dieses Artikels kündigen.

Artikel 10 1. Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes gibt allen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation Kenntnis von der Eintragung aller Ratifikationen und Kündigungen, die ihm von den Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

2. Der Generaldirektor wird die Mitglieder der Organisation, wenn er ihnen von der Eintragung der zweiten Ratifikation, die ihm mitgeteilt wird, Kenntnis gibt, auf den Zeitpunkt aufmerksam machen, in dem dieses Übereinkommen in Kraft tritt.

Artikeln Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes übermittelt dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zwecks Eintragung nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen vollständige Auskünfte über alle von ihm nach Massgabe der vorausgehenden Artikel eingetragenen Ratifikationen und Kündigungen.

Artikel 12 Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat, sooft er es für nötig erachtet, der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und zu prüfen, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

Artikel 13 1. Nimmt die Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise abändert, und sieht das neue Übereinkommen nichts anderes vor, so gelten folgende Bestimmungen: a) Die Ratifikation des neugefassten Übereinkommens durch ein Mitglied schliesst ohne weiteres die sofortige Kündigung des vorliegenden Übereinkommens in sich ohne Rücksicht auf Artikel 9, vorausgesetzt, dass das neugefasste Übereinkommen in Kraft getreten ist.

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b) Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neugefassten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.

2. Indessen bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt jedenfalls m Kraft für die Mitglieder, die dieses, aber nicht das neugefasste Übereinkommen ratifiziert haben.

Artikel 14 Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind m gleicher Weise massgebend.

(Es folgen die Unterschriften)

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Empfehlung (Nr. 149) betreffend die Verbände ländlicher Arbeitskräfte und ihre Rolle in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 4. Juni 1975 zu ihrer sechzigsten Tagung zusammengetreten ist, hält es in Anbetracht der Bedeutung der ländlichen Arbeitskräfte in der Welt für dringend, dass diese an den Massnahmen zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung beteiligt werden, wenn ihre Arbeits- und Lebensbedingungen auf die Dauer wirksam verbessert werden sollen; stellt fest, dass in zahlreichen Landern der Welt, vor allem in den Entwicklungsländern, der Boden ganz unzureichend genutzt wird und die Arbeitskräfte weitgehend unterbeschäftigt sind und dass die ländlichen Arbeitskräfte deshalb zur Entwicklung von freien und lebensfähigen Verbanden ermutigt werden müssen, die in der Lage sind, die ' Interessen ihrer Mitglieder zu schützen und zu fördern, und die die Gewahr dafür bieten, dass sie einen wirksamen Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung leisten; ist der Auffassung, dass solche Verbände zur Linderung der anhaltenden Lebensmittelknappheit in verschiedenen Teilen der Welt beitragen können und sollen ; erkennt an, dass die Bodenreform in vielen Entwicklungsländern eine wesentliche Voraussetzung für die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ländlichen Arbeitskräfte ist und dass die Verbände dieser Arbeitskräfte infolgedessen zusammenarbeiten und aktiv an der Durchführung dieser Reformen mitwirken sollten; verweist auf die Bestimmungen der bestehenden internationalen Arbeitsübereinkommen und Empfehlungen - insbesondere auf das Übereinkommen über das Vereinigungsrecht (Landwirtschaft), 1921, das Übereinkommen über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes, 1948. und das Überein-

Bundesblätt 128 Jahrg Bd III

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kommen über das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivverhandlungen, 1949 -, in denen das Recht aller Arbeitnehmer einschliesslich der ländlichen Arbeitnehmer bekräftigt wird, freie und unabhängige Verbände zu gründen, sowie auf die Bestimmungen der zahlreichen internationalen Arbeits übereinkommen und Empfehlungen, die für die ländlichen Arbeitnehmer gelten und in denen unter anderem gefordert wird, dass die Arbeitnehmerverbände an ihrer Durchführung beteiligt werden ; stellt fest, dass die Vereinten Nationen und die Sonderorganisationen, insbesondere die Internationale Arbeitsorganisation und die Organisation der Vereinten Nationen für Ernährung und Landwirtschaft, an der Bodenreform und an der ländlichen Entwicklung interessiert sind; stellt fest, dass die nachstehenden Normen in Zusammenarbeit mit der Organisation der Vereinten Nationen für Ernährung und Landwirtschaft erarbeitet worden sind und dass zur Vermeidung von Überschneidungen die Zusammenarbeit mit dieser Organisation und den Vereinten Nationen fortgesetzt wird, um die Anwendung dieser Normen zu fördern und sicherzustellen; hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend die Verbände ländlicher Arbeitskräfte und ihre Rolle in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, eine Frage, die den vierten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form einer Empfehlung erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 23. Juni 1975, die folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend die Verbände ländlicher Arbeitskräfte, 1975, bezeichnet wird.

T. Allgemeine Bestimmungen 1. (1) Diese Empfehlung gilt für alle Arten von Verbänden ländlicher Arbeitskräfte, einschliesslich von Verbänden, die nicht auf ländliche Arbeitskräfte beschränkt sind, sie aber vertreten.

(2) Die Empfehlung betreffend die Genossenschaften (Entwicklungsländer), 1966, gilt weiterhin für die Verbände ländlicher Arbeitskräfte, die in ihren Anwendungsbereich fallen.

2. (1) Im Sinne dieser Empfehlung bezeichnet der Ausdruck, «ländliche Arbeitskräfte» alle in der Landwirtschaft, im Handwerk oder in verwandten Berufen in ländlichen Gebieten tätigen Personen, gleichviel ob sie Lohnempfänger sind oder nach Massgabe von Unterabsatz (2) dieses Absatzes selbständig erwerbstätig sind, wie etwa Pächter, Teilpächter oder Kleinlandwirte.

(2) Diese Empfehlung gilt nur für diejenigen Pächter, Teilpächter oder Kleinlandwirte, die ihr Einkommen hauptsächlich aus der Landwirtschaft bezie-

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hen, den Boden selbst bewirtschaften, und zwar nur mit Hilfe ihrer Familienangehörigen oder mit gelegentlicher Hilfe familienfremder Arbeitskräfte, und die nicht a) ständig Arbeitskräfte beschäftigen; oder b) eine erhebliche Anzahl von Saisonarbeitern beschäftigen: oder c) ihr Land von Teilpächtern oder Pächtern bewirtschaften lassen.

3. Alle Gruppen ländlicher Arbeitskräfte, ob Lohnempfänger oder selbständig Erwerbstätige, sollten das Recht haben, ohne vorherige Genehmigung Verbände nach eigener Wahl zu bilden und solchen Verbänden beizutreten, wobei lediglich die Bedingung gilt, dass sie deren Satzungen einhalten.

II. Die Rolle der Verbände ländlicher Arbeitskräfte 4. Es sollte eines der Ziele der innerstaatlichen Politik zur Entwicklung ländlicher Gebiete sein, die Gründung und Entwicklung starker und unabhängiger Verbände ländlicher Arbeitskräfte auf freiwilliger Grundlage zu erleichtern, um die Beteiligung der ländlichen Arbeitskräfte an der wirtschaftlichen und sozialen Entw icklung und an den sich daraus ergebenden Vorteilen auf wirksame Weise und ohne Diskriminierung -- im Sinne des Übereinkommens über die Diskriminierung (Beschäftigung und Beruf)- 1958 - sicherzustellen.

5. Die Verbände ländlicher Arbeitskräfte sollten je nach Sachlage imstande sein, a) die Interessen der ländlichen Arbeitskräfte zu vertreten, zu fördern und zu wahren, beispielsweise durch Verhandlungen und Beratungen auf allen Ebenen im Namen der Gesamtheit dieser Arbeitskräfte: b) die ländlichen Arbeitskräfte bei der Ausarbeitung, Durchführung und Bewertung von Programmen zur Entwicklung ländlicher Gebiete und in allen Phasen und auf allen Stufen der innerstaatlichen Planung zu vertreten ; c) die verschiedenen Gruppen ländlicher Arbeitskräfte entsprechend den Interessen jeder Gruppe von Anfang an aktiv an der Durchführung von Programmen folgender Art zu beteiligen : i) Programme zur Entwicklung der Landwirtschaft einschliesslichder Verbesserung der Verfahren der Produktion, der Lagerhaltung, der Verarbeitung, des Transports und der Vermarktung; ii) Agrarreform-, Besiedlungs- und Landerschliessungsprogramme; iii) Programme für öffentliche Arbeiten, landliche Gewerbe und handwerkliche Betriebe; iv) Programme zur Entwicklung ländlicher Gebiete, einschliesslich solcher, die in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen, der Internationalen Arbeitsorganisation und anderen Sonderorganisationen durchgeführt werden;

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v) die in Absatz 15 dieser Empfehlung genannten Aufklärungs- und Bildungsprogramme und sonstigen Tätigkeiten; d) den Zugang der ländlichen Arbeitskräfte zu Einrichtungen wie Kredit-, Versorgungs-, Vermarktungs- und Transporteinrichtungen und technischen Diensten zu fördern und sicherzustellen; e) bei der Verbesserung der allgemeinen und beruflichen Bildung auf dem Lande und bei der Ausbildung für die Entwicklung von Gemeinwesen, für genossenschaftliche und andere Tätigkeiten von Verbänden ländlicher Arbeitskräfte und bei der Ausbildung von Führungskräften für deren Verwaltung aktiv mitzuwirken; f) zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der ländlichen Arbeitskräfte einschliesslich des Arbeitsschutzes beizutragen; g) die Entwicklung der Sozialen Sicherheit und grundlegender sozialer Dienste auf Gebieten wie Wohnungswesen, Gesundheitsschutz und Erholung zu fördern.

III. Mittel zur Förderung der Entwicklung von Verbänden ländlicher Arbeitskräfte 6. Damit die Verbände ländlicher Arbeitskräfte ihre Rolle im Rahmen der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung spielen können, sollten die Mitgliedstaaten eine Politik der aktiven Förderung dieser Verbände festlegen und verfolgen, um insbesondere a) die Hindernisse, die der Gründung und Entwicklung solcher Verbände und der Ausübung ihrer rechtmässigen Tätigkeit im Wege stehen, sowie jegliche Diskriminierung zu beseitigen, der die Verbände ländlicher Arbeitskräfte und ihre Mitglieder seitens der Gesetzgebung oder Verwaltung möglicherweise ausgesetzt sind; b) den Verbänden ländlicher Arbeitskräfte und ihren Mitgliedern die gleichen Möglichkeiten zur beruflichen Bildung zu bieten, die anderen Arbeitnehmerverbänden und ihren Mitgliedern offenstehen; c) den Verbänden ländlicher Arbeitskräfte zu ermöglichen, eine Politik zu verfolgen, die darauf abzielt, soziale und wirtschaftliche Schutzmassnahmen und Vorteile, die Arbeitnehmern in der Industrie oder gegebenenfalls Arbeitnehmern ausserhalb der Industrie zugute kommen, auch für ihre Mitglieder sicherzustellen.

7. (1) Die Grundsätze der Vereinigungsfreiheit sollten in vollem Masse geachtet werden ; die Verbände ländlicher Arbeitskräfte sollten unabhängig sein, auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhen und keinerlei Einmischung, Zwang oder Druck ausgesetzt sein.

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(2) Der Erwerb der Rechtspersönlichkeit durch Verbände ländlicher Arbeitskräfte sollte nicht an Bedingungen geknüpft werden, die geeignet sind, die Anwendung von Absatz 3 und von Unterabsatz (1) dieses Absatzes zu beeinträchtigen.

(3) Bei der Ausübung der ihnen in Absatz 3 und in diesem Absatz zuerkannten Rechte sollten die ländlichen Arbeitskräfte und ihre Verbände sich gleich anderen Personen oder organisierten Gemeinschaften an die Gesetze halten.

(4) Die in Absatz 3 und in diesem Absatz vorgesehenen Rechte sollten weder durch die innerstaatliche, Gesetzgebung noch durch die Art ihrer Anwendung geschmälert werden.

A. Massnahmen der Gesetzgebung und der Verwaltung 8. (1) Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass die innerstaatliche Gesetzgebung unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse im ländlichen Bereich die Gründung und Entwicklung von Verbänden ländlicher Arbeitskräfte nicht behindert.

(2) Insbesondere sollte aj den Grundsätzen des Vereinigungsrechtes und des Rechtes zu Kollektiwerhandlungen, wie sie vor allem im Übereinkommen über das Vereinigungsrecht (Landwirtschaft), 1921, im Übereinkommen über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes, 1948, und im Übereinkommen über das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivverhandlungen, 1949. festgelegt sind, durch Anwendung der einschlägigen allgemeinen Gesetzgebung auf den ländlichen Bereich oder gegebenenfalls durch den Erlass einer besonderen Gesetzgebung volle Geltung verschafft werden, wobei den Bedürfnissen aller Gruppen ländlicher Arbeitskräfte in Bollern Masse Rechnung getragen werden sollte; b) dafür gesorgt werden, dass die einschlägigen Rechtsvorschriften den besonderen Erfordernissen der ländlichen Gebiete in vollem Masse angepasst sind, so dass insbesondere i) verhindert wird, dass Mindestanforderungen betreffend Mitgliederzahl, Schulbildung und Finanzmittel die Entwicklung von Verbänden in ländlichen Gebieten mit geringer Bevölkerungsdichte, niedrigem Bildungsstand und geringem Einkommen behindern; ii) die Probleme, die sich in den Beziehungen der Verbände ländlicher Arbeitskräfte zu ihren Mitgliedern ergeben könnten, in einer die Rechte aller Beteiligten wahrenden Weise und im Einklang mit den Bestimmungen des Übereinkommens über die Vereinigungsfreineit und den Schutz des Vereinigungsrechtes, 1948, und des Übereinkommens über Arbeitnehmervertreter, 1971, gelöst werden;

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lii) den betroffenen ländlichen Arbeitskräften ein wirksamer Schutz gegen Entlassung oder Besitzentziehung auf Grund ihrer Stellung oder Tätigkeit als Führungskräfte oder Mitglieder eines Verbandes ländlicher Arbeitnehmer gewährt wird.

9. Die wirksame Durchführung der für die Verbände ländlicher Arbeitskräfte und ihre Mitglieder geltenden Gesetzgebung sollte durch angemessene Einrichtungen und Verfahren, etwa in Form einer Arbeitsaufsicht, besonderer Dienste oder anderer Stellen sichergestellt werden.

10. (1) Falls die ländlichen Arbeitskräfte unter den bestehenden Verhältnissen Schwierigkeiten haben, die Initiative zur Gründung und Führung eigener Verbände zu ergreifen, sollten die bestehenden Verbände ermutigt werden, den ländlichen Arbeitskräften auf Wunsch in geeigneter und ihren Interessen entsprechender Weise Rat und Hilfe zu gewähren.

(2) Diese Hilfe könnte nötigenfalls auf Wunsch durch Beratungsdienste ergänzt werden, deren Mitarbeiter befähigt sind, Beratung in Rechts- und Sachfragen zu erteilen und Bildungslehrgänge durchzuführen.

11. Es sollten geeignete Massnahmen getroffen werden, um in allen die Arbeits- und Lebensbedingungen auf dem Lande betreffenden Fragen eine wirksame Anhörung und Mitsprache der Verbände ländlicher Arbeitskräfte zu gewährleisten.

12. (1) Bei der Ausarbeitung und gegebenenfalls bei der Durchführung wirtschaftlicher und sozialer Pläne und Programme und bei allen anderen allgemeinen Massnahmen zur wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Entwicklung ländlicher Gebiete sollten die Verbände ländlicher Arbeitskräfte an den Planungsverfahren und den entsprechenden Einrichtungen, wie z.B. amtlichen Stellen und Ausschüssen, Entwicklungsämtern und Wirtschafts- und Sozialräten, beteiligt werden.

(2) Insbesondere sollten geeignete Massnahmen getroffen werden, die eine effektive Mitwirkung dieser Verbände bei der Ausarbeitung, Durchführung und Bewertung von Agrarreformprogrammen ermöglichen.

13. Die Mitgliedstaaten sollten die Schaffung von Verfahren und Einrichtungen fördern, die die Kontakte zwischen den Verbänden ländlicher Arbeitskräfte, den Arbeitgebern und ihren Verbänden und den zuständigen Behörden begünstigen.

B. Aufklärung der Öffentlichkeit 14. Es sollten Massnahmen getroffen werden, vor allem durch die zuständige Stelle, um a) bei den unmittelbar Beteiligten, wie den zentralen, örtlichen und sonstigen Behörden, den landwirtschaftlichen Arbeitgebern und Grundeigentümern

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das Verständnis dafür zu fördern, welchen Beitrag Verbände ländlicher Arbeitskräfte zur Steigerung und besseren Verteilung des Volkseinkommens, zur Erweiterung der Möglichkeiten für eine produktive und entgeltliche Beschäftigung auf dem Lande, zur Hebung des allgemeinen Bildungs- und Ausbildungsstandes der verschiedenen Gruppen ländlicher Arbeitskräfte sowie zur Verbesserung der allgemeinen Arbeits- und Lebensbedingungen in ländlichen Gebieten leisten können; b) in der Öffentlichkeit, insbesondere bei den in nichtländlichen Bereichen der Wirtschaft Tätigen, das Verständnis dafür zu fördern, welche Bedeutung einer ausgewogenen Entwicklung von Land und Stadt zukommt, und dass die Förderung von Verbänden ländlicher Arbeitskräfte als Beitrag zur Erhaltung dieses Gleichgewichts erwünscht ist.

15. Hierzu könnten folgende Massnahmen gehören: a) breit angelegte Aufklärungs- und Bildungskampagnen, vor allem im Hinblick auf eine umfassende und praktische Aufklärung der ländlichen Arbeitskräfte über ihre Rechte, damit sie diese nötigenfalls ausüben können ; b) Rundfunk-, Fernseh- und Lichtspielprogramme sowie regelmässige Artikel in der lokalen und überregionalen Presse zur Darstellung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in ländlichen Gebieten und zur Erläuterung der Ziele der Verbände ländlicher Arbeitnehmer und der Ergebnisse ihrer Tätigkeit; c) Seminare und Tagungen auf lokaler Ebene unter Beteiligung von Vertretern der verschiedenen Gruppen ländlicher Arbeitskräfte, der Arbeitgeber und Grundeigentümer, anderer Bevölkerungsgruppen und der örtlichen Behörden; d) Besuche von Journalisten, von Vertretern der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer in Gewerbe und Handel, von Schülern und Studenten in Begleitung ihrer Lehrkräfte und von Vertretern anderer Bevölkerungsgruppen in ländlichen Gebieten; e) die Ausarbeitung geeigneter Lehrpläne für die verschiedenen Schultypen und -stufen, in denen die Probleme der landwirtschaftlichen Produktion und das Leben der ländlichen Arbeitskräfte in geeigneter Weise berücksichtigt sind.

C. Bildung und Ausbildung 16. Um zu gewährleisten, dass sich die Verbände ländlicher Arbeitskräfte gedeihlich entwickeln und ihre Aufgaben im Rahmen der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung rasch und in vollem Umfang übernehmen, sollten u. a. von der zuständigen Stelle Massnahmen getroffen werden, um a) den Führungskräften und den Mitgliedern dieser Verbände Kenntnisse auf folgenden Gebieten zu vermitteln:

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i) innerstaatliche Gesetzgebung und internationale Normen über die Tätigkeit dieser Verbände unmittelbar betreffende Fragen, vor allem das Vereinigungsrecht; ii) die Grundregeln für die Gründung und die Arbeitsweise von Verbänden ländlicher Arbeitskräfte; iii) Fragen der ländlichen Entwicklung als Teil der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des Landes, einschliesslich Fragen der landwirtschaftlichen und handwerklichen Produktion, der Lagerhaltung, der Verarbeitung, des Transports, der Vermarktung und des Handels ; iv) Grundsätze und Verfahren der innerstaatlichen Planung auf verschiedenen Ebenen; v) Ausbildungshandbücher und -programme, die von den Vereinten Nationen, der Internationalen Arbeitsorganisation oder anderen Sonderorganisationen veröffentlicht oder erarbeitet werden und für die Bildung und Ausbildung ländlicher Arbeitskräfte bestimmt sind; b) die Bildung der ländlichen Arbeitskräfte auf allgemeinen, fachlichen, wirtschaftlichen und sozialen Gebieten zu verbessern und zu fördern, damit sie besser in der Lage sind, ihre Verbände zu entwickeln, sich ihrer Rechte bewusst zu werden und sich aktiv an der ländlichen Entwicklung zu beteiligen ; hierbei sollte der Ausbildung von des Lesens und Schreibens unkundigen oder teilweise unkundigen Arbeitskräften mit Hilfe von Alphabetisierungsprogrammen zusammen mit der praktischen Erweiterung ihrer Tätigkeiten besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden; c) Programme zu fördern, die der Rolle Rechnung tragen, welche die Frauen in der ländlichen Gemeinschaft spielen können und sollen; solche Programme sollten in allgemeine, Frauen und Männern unter den gleichen Bedingungen zugängliche Bildungsprogramme eingegliedert sein; d) eine speziell für Ausbilder ländlicher Arbeitskräfte bestimmte Ausbildung zu bieten, die es ihnen beispielsweise ermöglicht, zur Entwicklung genossenschaftlicher und anderer geeigneter Dienste beizutragen, mit deren Hilfe die Verbände unmittelbar den Bedürfnissen ihrer Mitglieder entsprechen könnten, wobei gleichzeitig ihre Unabhängigkeit durch die Stärkung ihrer wirtschaftlichen Selbständigkeit gefördert würde; e) Programme zur Förderung der Landjugend im weitesten Sinne zu unterstützen.

17. (1) Zur wirksamen Vermittlung der in Absatz 16 erwähnten Bildung und Ausbildung sollten Arbeiter- oder Erwachsenenbildungsprogramme
ausgearbeitet und durchgeführt werden, die den innerstaatlichen und örtlichen Gegebenheiten sowie den sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedürfnissen der verschiedenen Gruppen ländlicher Arbeitskräfte, einschliesslich der besonderen Bedürfnisse von Frauen und Jugendlichen entsprechen.

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(2) In Anbetracht ihrer besonderen Kenntnisse und Erfahrungen auf diesen Gebieten könnten die Gewerkschaftsbewegungen und schon bestehenden Verbände, die ländliche Arbeitskräfte vertreten, an der Ausarbeitung und Durchführung solcher Programme unmittelbar beteiligt werden.

D. Finanzielle und materielle Unterstützung 18. (1) Falls Verbände ländlicher Arbeitskräfte, besonders im Anfangsstadium ihrer Entwicklung, der Auffassung sind, dass sie finanzielle und materielle Unterstützung benötigen - et\va zur Durchführung von Bildungs- und Ausbildungsprogrammen -, und falls sie «ine solche Unterstützung beantragen und erhalten, sollte diese in der Weise gewährt werden, dass ihre Unabhängigkeit und ihre Interessen sowie die ihrer Mitglieder voll gewahrt bleiben. Diese Unterstützung sollte die Initiative und die Bemühungen der ländlichen Arbeitskräfte ergänzen, ihre Verbände selbst zu finanzieren.

(2) Die vorstehenden Grundsätze gelten für jede finanzielle und materielle Unterstützung, auch dann, wenn es die Politik eines Mitgliedstaates ist. diese Unterstützung selbst zu leisten.

(Es folgen die Unterschriften)

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Anhang 2

Übereinkommen (Nr. 142) über die Berufsberatung und die Berufsbildung im Rahmen der Erschliessung des Arbeitskräftepotentials

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 4. Juni 1975 zu ihrer sechzigsten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend die Erschliessung des menschlichen Arbeitspotentials : Berufsberatung und Berufsbildung, eine Frage, die den sechsten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 23. Juni 1975, das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über die Erschliessung des Arbeitskräftepotentials, 1975, bezeichnet wird.

Artikel l 1. Jedes Mitglied hat umfassende und koordinierte Grundsatzmassnahmen und Programme für die Berufsberatung und die Berufsbildung festzulegen und zu entwickeln, die eng auf die Beschäftigung bezogen sind, insbesondere mit Hilfe der für den Arbeitsmarkt zuständigen Behörden.

2. Diese Grundsatzmassnahmen und Programme haben zu berücksichtigen : a) die regionalen und nationalen Bedürfnisse, Möglichkeiten und Probleme auf dem Gebiet der Beschäftigung; b) den Stand und die Stufe der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung; und c) die Wechselbeziehungen zwischen den Zielen der Erschliessung des Arbeitskräftepotentials und anderen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Zielen.

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3. Die Methoden für die Durchführung der Grundsatzmassnahmen und Programme haben den innerstaatlichen Verhältnissen zu entsprechen.

4. Ziel der Grundsatzmassnahmen und Programme muss es sein, den Einzelnen besser zu befähigen, die Arbeitsumwelt und die soziale Umwelt zu verstehen und sie, einzeln oder gemeinsam, zu beeinflussen.

5. Die Grundsatzmassnahmen und Programme haben alle Personen in gleicher Weise und ohne jegliche Diskriminierung zu ermutigen und in die Lage zu versetzen, ihre beruflichen Eignungen in ihrem eigenen Interesse und entsprechend ihren Bestrebungen zu entwickeln und einzusetzen, wobei die Bedürfnisse der Gesellschaft zu berücksichtigen sind.

Artikel 2 Im Hinblick auf die vorstehenden Ziele hat jedes Mitglied offene, anpassungsfähige und einander ergänzende Systeme des allgemeinen und berufsbildenden Unterrichts, der Bildungs- und Berufsberatung und der Berufsbildung zu erarbeiten und zu entwickeln, ohne Rücksicht darauf, ob diese Tätigkeiten innerhalb oder ausserhalb des Schulsystems ausgeübt werden.

Artikel 3 1. Jedes Mitglied hat seine Systeme der Berufsberatung, unter Einbeziehung ständiger Arbeitsmarktinformationen, schrittweise auszubauen, um sicherzustellen, dass allen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen-umfassende Informationen und die denkbar umfassendste Beratung, einschliesslich geeigneter Programme für alle behinderten Personen, zur Verfügung stehen.

2. Diese Informations- und Beratungstätigkeiten haben sich auf die Berufswahl, die Berufsbildung und damit zusammenhängende Bildungsmöglichkeiten, die Beschäftigungslage und die Beschäftigungsaussichten, die Aufstiegsmöglichkeiten, die Arbeitsbedingungen, den Arbeitsschutz und andere Aspekte des Arbeitslebens in den verschiedenen Bereichen der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Tätigkeit und auf allen Stufen der Verantwortung zu erstrecken.

3. Die Informations- und Beratungstätigkeiten sind durch Informationen über die allgemeinen Aspekte der Gesamtarbeitsverträge und der Rechte und Pflichten aller Beteiligten auf Grund der Arbeitsgesetzgebung zu ergänzen ; diese Informationen sind entsprechend der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis und unter Berücksichtigung der Funktionen und Aufgaben der beteiligten Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer bereitzustellen.

Artikel 4 Jedes Mitglied hat seine Berufsbildungssysteme schrittweise auszubauen, anzupassen und aufeinander abzustimmen, um den Bedürfnissen der Jugend-

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liehen und Erwachsenen nach Berufsbildung während ihres ganzen Lebens in a'len Wirtschaftsbereichen und -zweigen und auf allen Stufen der beruflichen Befähigung und Verantwortung gerecht zu werden.

Artikel 5 Die Grundsatzmassnahmen und Programme der Berufsberatung und Berufsbildung sind in Zusammenarbeit mit den Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer und, soweit dies angebracht ist und mit der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis im Einklang steht, mit anderen beteiligten Stellen zu erarbeiten und durchzuführen.

Artikel 6 Die förmlichen Ratifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung mitzuteilen.

Artikel 7 1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Ratifikation durch den Generaldirektor eingetragen ist.

2. Es tritt in Kraft zwölf Monate nachdem die Ratifikationen zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind.

3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner Ratifikation in Kraft.

Artikel 8 1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum erstenmal in Kraft getreten ist, durch Anzeige an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung ein.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und innerhalb eines Jahres nach Ablauf des im vorigen Absatz genannten Zeitraumes von zehn Jahren von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht, bleibt für einen weiteren Zeitraum von zehn Jahren gebunden. In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf eines Zeitraumes von zehn Jahren nach Massgabe dieses Artikels kündigen.

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Artikel 9 1 Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes gibt allen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation Kenntnis von der Eintragung dller Ratifikationen und Kündigungen die ihm von den Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden 2 Der Generaldirektor wird die Mitglieder der Organisation wenn ei ihnen von der Eintragung dei zweiten Ratifikation die ihm mitgeteilt wird, Kenntnis gibt, auf den Zeitpunkt aufmerksam machen, in dem dieses Übereinkommen m Kiaft tritt Aitikel 10 Der Generaldirektoi des Internationalen Arbeitsamtes übermittelt dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zwecks Eintragung nach Artikel 102 der Charta der Vereinten îsationen vollständige Auskünfte über alle von ihm nach Massgabe der \oiausgehenden Artikel eingetragenen Ratifikationen und Kündigungen Artikel 11 Der Veiwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat, sooft ei es für notig erachtet der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und zu prüfen, ob die Frage seiner gänzlichen oder tedweisen Abänderung auf die Tagesoidnung der Konferenz gesetzt werden soll Artikel 12 1 Nimmt die Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise abändert, und sieht das neue Übereinkommen nichts andeies vor, so gelten folgende Bestimmungen a) Die Ratifikation des neugefassten Übereinkommens durch ein Mitglied schliesst ohne weiteies die sofortige Kündigung des vorliegenden Übereinkommens in sich ohne Rucksicht auf Artikel 8, vorausgesetzt, dass das neugefasste Übereinkommen m Kraft getieten ist bj Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neugefassten Übereinkommens an kann das voi liegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden 2 Indessen bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt jedenfalls m Kraft für die Mitglieder, die dieses, aber nicht das neugefasste Übereinkommen ratifiziert haben

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Artikel 13 Der franzosische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise massgebend.

(Es folgen die Unterschriften)

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Empfehlung (Nr. 150) betreffend die Berufsberatung und die Berufsbildung im Rahmen der Erschliessung des Arbeitskräftepotentials

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation,

'

die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am-4. Juni 1975 zu ihrer sechzigsten Tagung zusammengetreten ist, verweist auf die Bedeutung der Berufsberatung und Berufsbildung bei der Durchführung von Beschäftigungsmassnahmen und -Programmen: nimmt Kenntnis von den Bestimmungen der bestehenden internationalen Arbeitsübereinkommen und Empfehlungen, die für die Beschäftigungspolitik von unmittelbarer Bedeutung sind, insbesondere des Übereinkommens und der Empfehlung über die Diskriminierung (Beschäftigung und Beruf), 1958, und des Übereinkommens und der Empfehlung über die Beschäftigungspolitik. 1964; nimmt zur Kenntnis, dass die Allgemeine Konferenz der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur auf ihrer achtzehnten Tagung (1974) eine Empfehlung über fachliche und berufliche Bildung angenommen hat; stellt fest, dass die Internationale Arbeitsorganisation und die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kiiltur eng zusammengearbeitet haben, um zu gewährleisten, dass mit den Urkunden der beiden Organisationen aufeinander abgestimmte Ziele verfolgt und Doppelarbeit sowie Kompetenzkonflikte vermieden werden, und dass sie zur wirksamen Durchführung dieser Urkunden auch weitherhin eng zusammenarbeiten werden; hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend die Erschliessung des menschlichen Arbeitspotentials : Berufsberatung und Berufsbildung, eine Frage, die den sechsten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form einer Empfehlung erhalten sollen.

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Die Konferenz nimmt heute, am 23. Juni 1975, die folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend die Erschliessung des Arbeitskräftepotentials, 1975, bezeichnet wird.

I. Allgemeine Bestimmungen 1. Diese Empfehlung gilt für die Berufsberatung und Berufsbildung von Jugendlichen und Erwachsenen für alle Bereiche des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens und für alle Stufen der beruflichen Befähigung und Verantwortung.

2. (1) Im Sinne dieser Empfehlung bedeutet der Zusatz «Berufs-» vor den Wörtern «Beratung» und «Bildung», dass Beratung und Bildung darauf abzielen, die menschlichen Fähigkeiten zur Gestaltung eines produktiven und befriedigenden Arbeitslebens festzustellen und zu entwickeln, sowie in Verbindung mit den verschiedenen Bildungsformen den Einzelnen besser zu befähigen, die Arbeitsbedingungen und die soziale Umwelt zu verstehen und sie, einzeln oder gemeinsam, zu beeinflussen.

(2) Die in Unterabsatz (1) dieses Absatzes enthaltene Begriffsbestimmung gilt für die Beratung, die Erstausbildung, die Weiterbildung und die Umschulung, ungeachtet der Art und Weise, in der sie erteilt werden, und ungeachtet der Stufe der beruflichen Befähigung und Verantwortung.

3. Bei der Durchführung dieser Empfehlung sollten die Mitgliedstaaten die ihre Bestimmungen ergänzenden Richtlinien berücksichtigen, die gegebenenfalls von Regionalkonferenzen, Industrieausschüssen und von Sachverständigen- und Beratertagungen der Internationalen Arbeitsorganisation und von anderen zuständigen Stellen ausgearbeitet werden.

II. Grundsatzmassnahmen und Programme 4. (1) Die Mitglieder sollten umfassende und koordinierte Grundsatzmassnahmen und Programme für die Berufsberatung und die Berufsbildung festlegen und entwickeln, die eng auf die Beschäftigung bezogen sind, insbesondere mit Hilfe der für den Arbeitsmarkt zuständigen Behörden.

(2) Diese Grundsatzmassnahmen und Programme sollten berücksichtigen: a) die regionalen und nationalen Bedürfnisse, Möglichkeiten und Probleme auf dem Gebiet der Beschäftigung ; b) den Stand und die Stufe der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung; und

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e) die Wechselbeziehungen zwischen den Zielen der Erschliessung des Arbeitskräftepotentials und anderen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Zielen.

(3) Die Methoden für die Durchführung der Grundsatzmassnahmen und Programme sollten den innerstaatlichen Verhältnissen entsprechen.

(4) Die Grundsatzmassnahmen und Programme sollten alle Personen in gleicher Weise und ohne jegliche Diskriminierung ermutigen und in die Lage versetzen, ihre beruflichen Eignungen in ihrem eigenen Interesse und entsprechend ihren Bestrebungen zu entwickeln und einzusetzen, wobei die Bedürfnisse der Gesellschaft zu berücksichtigen sind.

(5) Die Grundsatzmassnahmen und Programme sollten auch die Betriebe zur Übernahme der Verantwortung für die Ausbildung der von ihnen beschäftigten Arbeitnehmer ermutigen. Die Betriebe sollten bei der Planung ihrer Ausbildungsprogramme mit den Vertretern ihrer Arbeitnehmer zusammenarbeiten und, soweit möglich, gewährleisten, dass diese Programme mit den Programmen des öffentlichen Ausbildungssystems übereinstimmen.

(6) Die Grundsatzmassnahmen und Programme sollten folgendes zum Ziel haben : a) Die Aufnahme einer produktiven Beschäftigung einschliesslich einer selbständigen Erwerbstätigkeit zu gewährleisten, die den persönlichen Eignungen und Bestrebungen entspricht, und die berufliche Mobilität zu erleichtern; b) schöpferische Fähigkeiten, Dynamik und Initiative zu fördern, um die Arbeitsleistung zu erhalten und zu verbessern; c) Personen vor Arbeitslosigkeit, Einkommensverlusten in anderer Form oder Minderung der Erwerbsfähigkeit infolge mangelnder Nachfrage nach ihren beruflichen Fertigkeiten sowie vor Unterbeschäftigung zu schützen; d) Personen vor übermässiger körperlicher oder psychischer Belastung in der Beschäftigung zu schützen; e) Personen vor Berufsgefahren zu schützen, indem ein qualifizierter Unterricht über Arbeitsschutz in die Ausbildung für jeden Beruf einbezogen wird ; f) Personen, die nach beruflicher Befriedigung, nach persönlicher Leistung und Entfaltung und nach einer Verbesserung ihrer Lebenslage streben, ' dabei zu helfen, durch eigene Anstregung ihren Beitrag zur Volkswirtschaft zu verbessern oder zu ändern; g) den sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Fortschritt sowie fortlaufende Anpassungen an Veränderungen unter Mitwirkung aller Beteiligten bei der
Neugestaltung der Arbeitserfordernisse zu fordern; h) die vollständige Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen am Entwicklungsprozess und an den sich hieraus ergebenden Vorteilen zu erreichen.

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5. (1) Im Hinblick auf die vorstehenden Ziele sollten die Mitglieder offene, anpassungsfähige und einander ergänzende Systeme des allgemeinen und berufsbildenen Unterrichts, der Bildungs- und Berufsberatung und der Berufsbildung erarbeiten und entwickeln, ohne Rücksicht darauf, ob diese Tätigkeiten innerhalb oder ausserhalb des Schulsystems ausgeübt werden.

(2) Die Mitglieder sollten sich insbesondere bemühen, a) sicherzustellen, dass alle gleichen Zugang zur Berufsberatung und Berufsbildung haben; b) den verschiedenen Bevölkerungsgruppen fortlaufend eine breitangelegte, wirklichkeitsnahe Berufsberatung zu gewähren, die sich auf alle Wirtschaftszweige erstreckt; c) umfassende Systeme der Berufsbildung zu entwickeln, die alle Aspekte der produktiven Arbeit in allen Wirtschaftszweigen berücksichtigen; d) die Mobilität zwischen verschiedenen Ausbildungsgängen, zwischen und innerhalb von verschiedenen Berufen und Wirtschaftsbereichen und zwischen verschiedenen Verantwortungsstufen zu erleichtern; e) die Berufsbildung für einen Wirtschaftsbereich oder -zweig mit der Berufsbildung für andere Bereiche oder Zweige abzustimmen; f) Modelle einer systematischen Berufsbildung in allen Wirtschaftszweigen und für alle Arten von Arbeiten und alle Stufen der beruflichen Befähigung und Verantwortung aufzustellen ; g) allen Arbeitnehmern die tatsächliche Möglichkeit zur Wiedereingliederung in das Bildungssystem auf einer ihrer Berufserfahrung entsprechenden Stufe zu bieten; h) enge Zusammenarbeit und Koordinierung zwischen der ausserhalb des Schulsystems vermittelten Berufsberatung und Berufsbildung auf der einen und der Bildungsberatung und dem Schulsystem auf der anderen Seite herzustellen; i) die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Arbeitnehmer ihre Berufsbildung durch gewerkschaftliche Bildung, die ihre massgebenden Verbände vermitteln, ergänzen können; j) Forschungen durchzuführen und die Verwaltungsvorschriften und -verfahren so anzupassen, wie es die Durchführung der Programme der Berufsberatung und Berufsbildung verlangt.

6. Die Grundsatzmassnahmen und Programme für die Berufsberatung und Berufsbildung sollten a) auf Grundsatzmassnahmen und grössere Programme für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung - z. B. Arbeitsförderung, gesellschaftliche Eingliederung, Entwicklung ländlicher Gebiete, Förderung von Handwerk und

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Industrie, die Anpassung der Arbeitsmethoden und -organisation an die Bedürfnisse des Menschen sowie die Verbesserung der Arbeitsbedingungen abgestimmt sein; b) die internationale wirtschaftliche und technologische Wechselwirkung und Zusammenarbeit berücksichtigen; c) im Hinblick auf die gegenwärtige und geplante soziale und wirtschaftliche Entwicklung regelmässig überprüft werden; d) Tätigkeiten fördern, die die Arbeitnehmer dazu anregen, einen Beitrag zur Verbesserung der internationalen Beziehungen zu leisten; e) zum besseren Verständnis technischer, wissenschaftlicher, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Fragen beitragen; f) eine geeignete Infrastruktur für die Bereitstellung einer angemessenen Ausbildung unter Berücksichtigung der wesentlichen Arbeitsschutznormen schaffen und weiterentwickeln.

III. Berufsberatung 7. (1) Die Mitglieder sollten ihre Systeme der Berufsberatung, unter Einbeziehung ständiger Arbeitsmarktinformationen, schrittweise ausbauen, um sicherzustellen, dass allen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen umfassende Informationen und die denkbar umfassendste Beratung einschliesslich geeigneter Programme für alle behinderten Personen zur Verfügung stehen.

(2) Diese Informations- und Beratungstätigkeiten sollten sich auf die Berufswahl, die Berufsbildung und damit zusammenhängende Bildungsmöglichkeiten, die Beschäftigungslage und die Beschäftigungsaussichten, die Aufstiegsmöglichkeiten, die Arbeitsbedingungen, den Arbeitsschutz und andere Aspekte des Arbeitslebens in den verschiedenen Bereichen der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Tätigkeit und auf allen Verantwortungsstufen | erstrecken.

(3) Die Informations- und Beratungstätigkeiten sollten durch Informationen über die allgemeinen Aspekte der Gesamtarbeitsverträge und der Rechte und Pflichten aller Beteiligten auf Grund der Arbeitsgesetzgebung ergänzt werden; diese Informationen sollten entsprechend der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis und unter Berücksichtigung der Funktionen und Aufgaben der beteiligten Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer bereitgestellt werden.

8. (1) Die Hauptziele der Berufsberätungsprogramme sollten darin bestehen, a) Kindern und noch nicht berufstätigen Jugendlichen eine Grundlage für die Wahl eines ihren Eignungen, Fähigkeiten und Interessen und den Beschäftigungsmöglichkeiten entsprechenden Bildungs- oder Berufsbildungsweges zu bieten;

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b) Teilnehmern an Bildungs- und Berufsbildungsprogrammen zu helfen, den grösstmöglichen Nutzen aus diesen Programmen zu ziehen und sich entweder auf eine ergänzende Bildung oder Berufsbildung oder auf den Eintritt in einen Beruf und die weitere Bildung und Berufsbildung je nach den Erfordernissen ihres Erwerbslebens vorbereiten zu können; c) Personen, die in das Arbeitsleben eintreten, einen Berufswechsel anstreben oder arbeitslos sind, bei der Wahl eines Berufs und bei der Planung der entsprechenden Bildung und Berufsbildung zu helfen; d) Personen, die eine Beschäftigung ausüben, über Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer beruflichen Entwicklung, ihres Leistungsstandes, ihres Einkommens und ihrer Stellung, über die hierzu erforderliche Bildung und Berufsbildung und über die für diesen Zweck zur Verfügung stehenden Mittel und Wege zu informieren; e) in der Öffentlichkeit allgemein Verständnis für den Beitrag zu wecken, den die verschiedenen Wirtschaftsbereiche und -zweige einschliesslich derjenigen, die bisher traditionsgemäss wenig Ansehen genossen haben, zur allgemeinen Entwicklung und zur Ausweitung der Beschäftigung leisten und zu leisten imstande sind; f) die beteiligten Institutionen bei der Bereitstellung von Informationen und Berichten über die Wirksamkeit besonderer Ausbildungsprogramme als Bestandteil der Berufsberatung zu unterstützen.

(2) Die Mitglieder sollten sicherstellen, dass solche Programme mit dem Recht auf freie Berufswahl und gerechte Aufstiegsmöglichkeiten sowie mit dem Recht auf Bildung vereinbar sind.

9. Bei der Ausweitung des Wirkungsbereichs ihrer Systeme der Berufsberatung sollten die Mitglieder besonders auf folgendes achten: a) Kindern und Jugendlichen, die eine Schule besuchen, zu helfen, den Wert und die Bedeutung der Arbeit schätzen zu lernen, eine Vorstellung von der Arbeitswelt zu erhalten und sich mit den Arbeitsbedingungen in möglichst vielen Berufen - unter Berücksichtigung der ihnen voraussichtlich offenstehenden Beschäftigungs- und Aufstiegsmöglichkeiten - sowie mit den Voraussetzungen zur Nutzung dieser Möglichkeiten vertraut zu machen; b) Kinder und Jugendliche, die nie eine Schule besucht oder die Schule vorzeitig verlassen haben, über so viele Berufe wie möglich und über die Beschäftigungsmöglichkeiten in diesen Berufen zu informieren sowie über den
Zugang zu diesen Berufen zu beraten; c) Erwachsene, die Arbeitnehmer oder selbständig erwerbstätig sind, über Entwicklungstendenzen und -ziele, die sie berühren, und insbesondere über die Auswirkungen der sozialen, technischen und wirtschaftlichen Veränderungen auf ihren Tätigkeitsbereich zu unterrichten;

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d) Arbeitslosen und Unterbeschäftigten jede erforderliche Information und Beratung über Möglichkeiten zur Erlangung eines Arbeitsplatzes oder zur Verbesserung ihrer Beschäftigungssituation und die zur Erreichung dieses Ziels verfügbaren Mittel zu gewähren; e) Personen, für die sich im Zusammenhang mit Fragen der Bildung, der Berufsbildung oder der Beschäftigung besondere Probleme stellen, im Rahmen umfassender, auf den sozialen Fortschritt gerichteter Massnahmen zu helfen, diese Probleme zu überwinden.

10. (1) Es sollten sowohl Programme zur Gruppenberufsberatung - d.h. die Verbreitung von einschlägigem Material und die Beratung von Gruppen mit gleichen Berufsbedürfnissen - wie auch eine Einzelberatung geboten werden.

(2) Die Einzelberatung sollte insbesondere Jugendlichen und Erwachsenen zur Verfügung stehen, die bei der Ermittlung ihrer beruflichen Eignungen, Fähigkeiten und Interessen, der Beurteilung der ihnen voraussichtlich offenstehenden Bildungs-, Berufsbildung«- und Beschäftigungsmöglichkeiten und der Wahl eines Bildungs- oder Berufsbildungsweges oder einer Beschäftigung besonderer Hilfe bedürfen.

(3) Bei der Einzelberatung - und je nach Sachlage auch bei der Gruppenberatung - sollte das spezifische Informations- und Unterstützungsbedürfnis der betreffenden Personen berücksichtigt werden, wobei körperlich und geistig behinderte sowie in sozialer und bildungsmässiger Hinsicht benachteiligte Personen besondere Beachtung erhalten sollten. Hierzu könnten Übungen in der Informationsbeschaffung und -auswertung und Entscheidungsfindung sowie in der Auswahl erweiterter Laufbahnmöglichkeiten und -ziele gehören, um die Fähigkeit zu entwickeln, eine auf sachgerechter Unterrichtung beruhende Wahl zu treffen.

Hierbei sollte stets das Recht jedes Menschen geachtet werden, auf der Grundlage umfassender einschlägiger Informationen selbst seine Wahl zu treffen.

(4) Die Einzelberatung sollte, wann immer erforderlich, durch Hinweise auf Hilfsmassnahmen und andere Formen der Unterstützung ergänzt werden, die für die berufliche Anpassung nützlich sein können.

11. Die Mitglieder, deren Berufsberatungsprogramme sich im Anfangsstadium der Entwicklung befinden, sollten vor allem folgende Ziele anstreben: a) die Jugendlichen darauf aufmerksam zu machen, wie wichtig es ist, die allgemeine Bildung und die
Berufsbildung unter voller Berücksichtigung der bestehenden Beschäftigungsaussichten, der Tendenzen der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung sowie ihrer persönlichen Eignungen und Interessen zu wählen; b) diejenigen Bevölkerungsgruppen zu unterstützen, die zur Überwindung traditionsbedingter Schranken bei ihrer freien Bildungs-. Berufsbildungs- oder Berufswahl der Hilfe bedürfen;

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c) den Bedürfnissen derjenigen Rechnung zu tragen, die über besondere Fähigkeiten auf Arbeitsgebieten verfügen, denen wesentliche Bedeutung zukommt.

12. Die Mitglieder sollten im Rahmen ihrer Berufsberatungsprogramme alle verfügbaren Einrichtungen und Medien voll nutzen, durch die sie die verschiedenen in Betracht kommenden Bevölkerungsgruppen am wirksamsten erreichen können.

13. (1) Nach Möglichkeit sollten im Rahmen der Berufsberatung geeignete Fähigkeits- und Eignungstests, die sich sowohl auf die körperlichen als auch auf die psychischen Eigenschaften erstrecken, und andere Prüfungsmethoden entsprechend den Bedürfnissen im Einzelfall angewandt werden.

(2) Solche Tests und andere Prüfungsmethoden sollten nur mit Zustimmung der Beratung suchenden Personen und in Verbindung mit anderen Verfahren zur Feststellung der individuellen Eigenschaften angewandt werden; sie sollten ausschliesshch von Fachleuten durchgeführt werden.

(3) Die bei der Anwendung solcher Tests und anderer Prüfungsmethoden erzielten Ergebnisse sollten ohne die ausdrückliche Zustimmung der geprüften Personen nicht an Dritte weitergegeben werden.

14. (1) Wird im Rahmen der Berufsberatung auf Tests und andere Prüfungsmethoden zurückgegriffen, so sollten diese für die betroffenen Altersgruppen, Bevölkerungsgruppen und Kulturkreise genormt und auf ihre Tauglichkeit für die konkreten Zwecke, für die sie gedacht sind, überprüft sein.

(2) Es sollte ein fortlaufendes Programm zur Weiterentwicklung und regelmässigen Neuanpassung solcher Tests und anderer Prüfungsmethoden bestehen, um veränderten Bedingungen und Lebensformen Rechnung zu tragen.

IV. Berufsbildung A. Allgemeine Bestimmungen 15. (1) Die Mitglieder sollten die Berufsbildungssysteme ihrer Länder schrittweise ausbauen, anpassen und aufeinander abstimmen, um den Bedürfnissen der Jugendlichen und Erwachsenen nach Berufsbildung während ihres ganzen Lebens in allen Wirtschaftsbereichen und -zweigen und auf allen Stufen der beruflichen Befähigung und Verantwortung gerecht zu werden.

(2) Sie sollten hierbei insbesondere darauf achten: a) Aufstiegsmöglichkeiten zu schaffen, die soweit möglich Personen offenstehen sollten, die den Wunsch und die Fähigkeit haben, höhere Stufen der beruflichen Befähigung und Verantwortung zu erreichen;

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b) die Berufsbildung in denjenigen Wirtschaftsbereichen und -zweigen zu verbessern, in denen sie vorwiegend unsystematisch erfolgt und in denen veraltete Techniken und Arbeitsmethoden vorherrschen; c) Angehörigen der Bevölkerung, die bisher nicht ausreichend berücksichtigt worden sind, insbesondere wirtschaftlich oder sozial benachteiligten Gruppen, eine Berufsbildung zukommen zu lassen; d) die allgemeine Bildung und die Berufsbildung, den theoretischen und praktischen Unterricht sowie die Erstausbildung und die Weiterbildung wirksam aufeinander abzustimmen.

(3) Die Berufsbildungsprogramme sollten so gestaltet sein, dass sie die Vollbeschäftigung und die Entwicklung der Fähigkeiten des Einzelnen fördern.

16. Die Berufsbildungsprogramme für einzelne Berufe und Wirtschaftszweige sollten gegebenenfalls in aufeinander aufbauenden Stufen gestaltet werden, damit auf diese Weise angemessene Möglichkeiten geschaffen werden für a) die Erstausbildung von Jugendlichen und Erwachsenen mit geringer oder ohne Arbeitserfahrung: b) die Weiterbildung, die Berufstätige in die Lage versetzen sollte, i) ihre Leistung zu verbessern oder ihre beruflichen Betätigungsmöglichkeiten zu erweitern, eine höherwertige Tätigkeit auszuüben oder eine höhere Stellung zu erlangen; ii) ihre Kenntnisse und Fertigkeiten entsprechend den Entwicklungen in dem betreffenden Beruf auf den neuesten Stand zu bringen ; c) die Umschulung, um Erwachsenen die Möglichkeit zu bieten, neue Befähigungen für einen anderen Beruf zu erwerben ; d) jede zur Ergänzung der Ausbildung erforderliche Weiterbildung; e) die Ausbildung im Arbeitsschutz am Arbeitsplatz, insbesondere für Jugendliche und Erwachsene mit geringer Arbeitserfahrung; f) die Information über Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit der Beschäftigung, darunter auch über Systeme der Sozialen Sicherheit.

17. (1) Es sollte alles unternommen werden, erforderlichenfalls mit Hilfe öffentlicher Finanzmittel, um die vorhandenen und potentiellen Berufsbildungskapazitäten einschliesslich der Möglichkeiten der Betriebe voll zu entwickeln und zu nutzen, damit Programme der permanenten Berufsbildung bereitgestellt werden können.

(2) Soweit zweckmässig, sollte bei der Ausbildung auf Massenmedien, nicht ortsgebundene Unterrichtseinrichtungen, Fernlehrgänge und andere Formen des Selbstunterrichts zurückgegriffen werden.

18. Die Programme zur Erstausbildung von Jugendlichen mit geringer oder ohne Arbeitserfahrung sollten insbesondere vermitteln:

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a) eine auf die praktische Ausbildung und den berufsbezogenen theoretischen Unterricht abgestimmte Allgemeinbildung; b) eine Grundausbildung in Kenntnissen und Fertigkeiten, die mehreren verwandten Berufen gemeinsam sind, und die von Bildungs- oder Berufsbildungseinrichtungen oder in einem Betrieb, sei es am Arbeitsplatz oder in anderer Form, vermittelt werden könnten; c) eine Spezialisierung m unmittelbar verwertbaren Kenntnissen und Fertigkeiten im Hinblick auf Beschäftigungsmöglichkeiten, die bereits bestehen oder geschaffen werden sollen; d) eine beaufsichtigte Einführung in eine konkrete Arbeitssituation.

19. (1) Die Erstausbildung in Form von Vollzeitlehrgängen sollte so weit wie möglich eine angemessene zeitliche Abstimmung zwischen dem theoretischen Unterricht in den Ausbildungseinrichtungen und der Ausbildung am Arbeitsplatz in den Betrieben vorsehen, um zu gewährleisten, dass der theoretische Unterricht auf die konkrete Arbeitssituation bezogen ist ; ebenso sollte die praktische Ausbildung, sofern sie nicht am Arbeitsplatz erfolgt, so weit wie möglich auf konkrete Arbeitssituationen bezogen sein.

(2) Die Ausbildung am Arbeitsplatz als Teil der von den Ausbildungsemrichtungen veranstalteten Lehrgänge sollte von den beteiligten Betrieben, Einrichtungen und Arbeitnehmervertretern gemeinsam geplant werden, um a) den Auszubildenden die Möglichkeit zu geben, das ausserhalb des Arbeitsplatzes Gelernte in der Praxis anzuwenden; b) sie mit Aspekten ihres Berufes bekanntzumachen, die ausserhalb der Betriebe nicht erfasst werden können; c) Jugendliche mit geringer oder ohne Arbeitserfahrung mit den Anforderungen und Bedingungen, die sie bei der Arbeit voraussichtlich vorfinden werden, und mit ihrer Verantwortung innerhalb einer Arbeitsgruppe vertraut zu machen.

20. Die Personen, die nach Abschluss der in Absatz 19 erwähnten Vollzeitlehrgänge eine Beschäftigung aufnehmen, sollten erhalten: a) eine Einweisung, die mit der Art und dem Zweck des Betriebes und den Bedingungen vertraut macht, unter denen dort die Arbeit verrichtet wird; b) eine systematische ergänzende Ausbildung am Arbeitsplatz, verbunden mit den notwendigen theoretischen Lehrgängen; c) soweit möglich die planmässige Erwerbung von Erfahrungen in einer Reihe von Arbeiten und Aufgaben, die für die Ausbildung von Wert sind, einschliesslich
der Anpassung an den Arbeitsplatz.

21. Die zuständigen Stellen sollten in Übereinstimmung mit der staatlichen Planung und der innerstaatlichen Gesetzgebung und nach Anhörung der Arbeit-

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geber- und i der Arbeitnehmerverbände nationale oder regionale Pläne für die Weiterbildung aufstellen, die auf die Beschäftigungslage bezogen sind.

22. (1) Die Betriebe sollten in Beratung mit den Arbeitnehmervertretern, den beteiligten Personen und den für deren Arbeit Verantwortlichen Pläne für die Weiterbildung aller bei ihnen Beschäftigten auf allen Stufen der beruflichen Befähigung und Verantwortung aufstellen und regelmässig überprüfen: zu diesem Zweck könnte ein gemeinsamer Ausschuss eingesetzt werden.

(2) Diese Pläne sollten a) Möglichkeiten bieten, sich für den Aufstieg zu höheren Stufen der beruflichen Befähigung und Verantwortung zu qualifizieren; b) die technische und sonstige Ausbildung und die Arbeitserfahrung erfassen, die den beteiligten Personen vermittelt werden sollen; c) die Fähigkeiten und Interessen der beteiligten Personen sowie die Arbeitsanforderungen berücksichtigen.

(3) Die für die Arbeit anderer Personen Verantwortlichen sollten verpflichtet sein, einen wirksamen Beitrag zum Erfolg der Weiterbildungspläne zu leisten.

(4) Die organisatorische Verantwortung für die Aufstellung, Durchführung und Überprüfung der Weiterbildungspläne sollte klar abgegrenzt und so weit wie möglich einer besonderen Einheit oder einer oder mehreren Personen übertragen werden, deren Tätigkeit auf einer dieser Verantwortung angemessenen Stufe liegt.

23. (1) Die Arbeitnehmer, die in einem Betrieb ausgebildet werden, sollten a) angemessene Zuwendungen oder ein angemessenes Entgelt erhalten; bj unter das gleiche System der Sozialen Sicherheit fallen wie die ständige Belegschaft des Betriebs.

(2) Den Arbeitnehmern, die ausserhalb des Arbeitsplatzes ausgebildet werden, sollte Bildungsurlaub nach den Bestimmungen des Übereinkommens und der Empfehlung über den bezahlten Bildungsurlaub. 1974, gewährt werden.

B. Normen und Richtlinien für die Berufsbildung 24. (1) Die zu anerkannten Berufsqualifikationen führende Erstausbildung und Weiterbildung sollten, so weit wie möglich durch allgemeine, von der zuständigen Stelle nach Anhörung der beteiligten Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer festgesetzte oder genehmigte Normen geregelt werden.

(2) Diese Normen sollten folgendes angeben: a) den von Bewerbern für die verschiedenen Berufsbildungslehrgänge geforderten Grad der Fertigkeiten und Kenntnisse; b) das Leistungsniveau, das in jeder wichtigeren Tätigkeit oder Funktion des betreffenden Berufs auf jeder Ausbildungsstufe erreicht werden muss, und so

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weit wie möglich Inhalt und Dauer der Ausbildung sowie die erforderlichen Einrichtungen und Geräte, mit deren Hilfe das angegebene Leistungsniveau erreicht werden kann; c) den Teil der Berufsbildung, der jeweils im Rahmen des Schulsystems, in Berufsbildungseinrichtungen, in den Betrieben durch Ausbildung am Arbeitsplatz oder auf andere Weise zu erteilen ist; d) die Art und die Dauer der Arbeitserfahrung, die im Rahmen der Berufsbildungsprogramme gegebenenfalls verlangt werden kann; e) den Ausbildungsinhalt, der auf den Grundsätzen der Vielzweckausbildung und der beruflichen Mobilität beruhen sollte; f) die anzuwendenden Methoden, wobei den Zielen der Ausbildung und den Eigenschaften der Auszubildenden Rechnung zu tragen ist; g) Prüfungen oder andere Mittel zur Beurteilung des Ausbildungserfolges; h) die Zeugnisse, die bei erfolgreichem Abschluss der Berufsbildung auszustellen sind.

25. (1) Für den gleichen Beruf kann mehr als eine Berufsbildungsnorm gelten, falls und solange die Voraussetzungen, unter denen die Arbeit verrichtet wird, und die damit verbundenen Tätigkeiten in verschiedenen Wirtschaftsbereichen oder -zweigen oder in Betrieben von unterschiedlicher Grosse voneinander stark abweichen.

(2) Die für den gleichen Beruf geltenden Normen sollten aufeinander abgestimmt sein, damit der Arbeitsplatzwechsel erleichtert wird, wobei die bereits erworbenen Qualifikationen und die Arbeitserfahrung in dem betreffenden Beruf in vollem Umfang anerkannt werden.

26. (1) Für Berufe, für die Stufen der beruflichen Befähigung, des Wissens und der Verantwortung, für die sich die in Absatz 24 dieser Empfehlung vorgesehenen Normen als nicht zweckmässig erweisen, sollten Richtlinien zur Regelung der erwünschten Organisationsform und des Inhalts der Berufsbildung erlassen werden.

(2) Solche Richtlinien könnten insbesondere notwendig sein für: a) Die Ausbildung von künftigen Aufsichts-, Fach und Führungskräften sowie von Personen, die bereits in solcher Eigenschaft tätig sind; b) die Schulung von Ausbildern und Ausbildungsleitern sowie Aufsichts- und Lehrkräften der Berufsbildung; c) die Berufsbildung für Wirtschaftszweige mit einer grossen Zahl von selbständig Erwerbstätigen oder von Kleinbetrieben; d) die Verbesserung der Berufsbildung für Wirtschaftszweige, in denen bisher wenig oder nichts für die notwendige systematische Berufsbildung getan worden ist, und für Betriebe mit veralteten Techniken und Arbeitsmethoden.

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(3) Solche Richtlinien könnten auch für die erste Ausbildung am Arbeitsplatz von Personen geeignet sein, die ihre Erstausbildung im Rahmen von Vollzeitlehrgängen an allgemeinbildenden oder berufsbildenden Einrichtungen gerade abgeschlossen haben.

27. Die Normen und Richtlinien für die Berufsbildung sollten unter Mitwirkung der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerverbände regelmässig bewertet und überprüft sowie an die sich verändernden Erfordernisse angepasst werden, und zwar in Zeitabständen, die dem Tempo der Veränderungen m dem betreffenden Beruf entsprechen.

28. (1) Die Mitglieder sollten schrittweise Normen und Richtlinien festsetzen oder gegebenenfalls deren Anwendungsbereich erweitern, bis alle wichtigeren Berufe und alle Stufen der beruflichen Befähigung und Verantwortung erfasst sind.

(2) Die Berufsbildung für Berufe und für Stufen der beruflichen Befähigung und Verantwortung, die für den sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt von entscheidender Bedeutung sind, sollte den Vorrang erhalten.

V. Ausbildung für Führungspersonal und selbständig Erwerbstätige 29. (1) Eine Ausbildung für Führungs- und Aufsichtsfunktionen sollten diejenigen erhalten, die für die Arbeit anderer Personen verantwortlich sind, die als wissenschaftliches und technisches Personal an der Betriebsleitung beteiligt sind, sowie Personen, die sich darauf vorbereiten, Führungs- und Aufsichtsfunktionen zu übernehmen.

(2) Die zuständigen Stellen sollten im Einklang mit der nationalen Planung und der innerstaatlichen Gesetzgebung und nach Anhörung der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerverbände Pläne für die Ausbildung für Führungs- und Aufsichtsfunktionen sowie für selbständig Erwerbstätige aufstellen.

30. (1) Der Inhalt der Programme für die Ausbildung für Führungs- und Aufsichtsfunktionen sollte der jeweiligen Stufe der bisherigen und der voraussichtlichen Verantwortung der Auszubildenden entsprechen.

(2) Die Programme sollten insbesondere darauf abzielen, a) ein angemessenes Wissen und Verständnis für die wirtschaftlichen und sozialen Aspekte der Entscheidungsfmdung zu entwickeln; b) die zur Führung und Motivierung anderer Personen unter gleichzeitiger Achtung der Würde des Menschen sowie zur Entwicklung guter Arbeitsbeziehungen erforderlichen Verhaltensweisen und Fähigkeiten zu fördern;

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c) Initiative und eine positive Einstellung zu Veränderungen sowie die Fähigkeit zur Beurteilung der Auswirkungen von Veränderungen auf andere Menschen zu entwickeln; d) die Fähigkeit zur Übernahme neuer Verantwortungen bei der Arbeit zu entwickeln; e) das Verständnis für die Bedeutung zu entwickeln, die der Bildung, der Berufsberatung und der Berufsbildung für die Belegschaft des Betriebs zukommt; f) das Verständnis für die Situation der Arbeitnehmer im Berufsleben, das Interesse für ihr Wohlergehen und die Kenntnisse des Arbeitsrechts und der Systeme der Sozialen Sicherheit zu entwickeln; g) das Verständnis für den Wert der Bemühungen um eigene Weiterbildung zu entwickeln; h) die Grundlage für eine neuen Anforderungen gerecht werdende Weiterbildung zu schaffen.

31. (1) Die Berufsbildungsprogramme für eine selbständige Erwerbstätigkeit sollten der sozialen Lage des Erwerbstätigen Rechnung tragen und a) über die spezifische Ausbildung für den betreffenden Fachbereich hinaus eine Ausbildung in den Grundsätzen und Verfahren der Betriebsleitung und der Ausbildung anderer Personen umfassen; b) die Einsicht fördern, dass Initiativen ergriffen und Risiken beurteilt und eingegangen werden müssen.

(2) Diese Programme sollten regelmässige Gelegenheiten für Auffrischungskurse bieten und durch fortlaufende Informationen über Entwicklungen im betreffenden Fachbereich sowie über Finanzierungsquellen und erforderlichenfalls über die wirksamsten Marketingmethoden ergänzt werden.

VI. Programme für bestimmte Gebiete oder Wirtschaftszweige 32. (1) Geeignete Programme der Berufsberatung und Berufsbildung sollten für bestimmte Gebiete oder Wirtschaftszweige aufgestellt werden, in denen umfassende Verbesserungsmassnahmen oder grössere strukturelle Veränderungen geboten sind.

(2) Diese Programme sollten Bestandteil der nationalen Berufsberatungsund Berufsbildungsprogramme in ihrer Gesamtheit sein und auf Massnahmen zur Entwicklung der betreffenden Gebiete oder Wirtschaftszweige abgestimmt sein.

33. Unter den Gebieten oder Wirtschaftszweigen, für die solche Programme erforderlich sein könnten, dürften die ländlichen Gebiete, Wirtschaftszweige mit veralteten Techniken und Arbeitsmethoden, Industrien und Betriebe, die im

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Rückgang begriffen sind oder die ihre Tätigkeit umstellen, sowie geplante oder neu errichtete Industrien besondere Aufmerksamkeit verdienen.

A. Ländliche Gebiete 34. (1) Programme für ländliche Gebiete sollten darauf abzielen, in bezug auf die Berufsberatung und die Berufsbildung volle Chancengleichheit zwischen der ländlichen und der städtischen Bevölkerung herzustellen.

(2) Sie sollten sich in den Rahmen der nationalen Entwicklungspolitik einfügen und u.a. die Merkmale und Tendenzen der Wanderungsbewegungen zwischen Land und Stadt berücksichtigen.

35. (1) In den Programmen für ländliche Gebiete sollten die besonderen Bedürfnisse der folgenden Personengruppen auf dem Gebiet der Berufsberatung und der Berufsbildung angemessen berücksichtigt werden: a) landwirtschaftliche Arbeitskräfte einschhesslich Plantagenarbeitern. Kleinlandwirten, Pächtern und Teilpächtern sowie anderen in der Landwirtschaft und verwandten Bereichen tätigen Personen, insbesondere im Zusammenhang mit Agrarreformen und anderen wesentlichen Veränderungen- im Versorgungs-, Produktions- und Verteilungssystem in den betreffenden Gebieten; b) in nichtlandwirtschaftlichen Berufen tätige Personen unter besonderer Berücksichtigung der Berufe im Bildungs-, Verkehrs- und Nachrichtenwesen und in anderen Dienstleistungszweigen sowie im Handwerk.

(2) In diesen Programmen sollte den unterschiedlichen Bedürfnissen je nach der Art der betreffenden ländlichen Tätigkeit, dem Grad ihrer Mechanisierung, Spezialisierung und Modernisierung und ihrer Grössenordnung Rechnung getragen werden.

(3) Die Programme für ländliche Gebiete sollten auch die Ausbildung m der Organisation von Genossenschaften und in der Betriebsleitung umfassen.

36. (1) Länder, in denen Einrichtungen und Programme der Berufsberatung und Berufsbildung für ländliche Gebiete noch wenig entwickelt sind, sollten zunächst bestrebt sein, a) Jugendliche und Erwachsene in ländlichen Gebieten über beabsichtigte Massnahmen für Verbesserungen oder zur Durchführung grösserer struktureller Veränderungen im betreffenden Gebiet sowie über deren Zweck und die Auswirkungen dieser Massnahmen auf ihre Arbeit und ihr Leben zu informieren; b) berufstätigen Jugendlichen systematische Bildung und Berufsbildung auf Voll- oder Teilzeitbasis zur Ergänzung des Lernens am Arbeitsplatz zu vermitteln;

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c) im Rahmen der vorhandenen Berufsbildungseinrichtungen oder der Informations- oder Beratungsdienste Kurzprogramme für die berufliche Weiterbildung oder Umschulung von Erwachsenen vorzusehen; d) soziale und wirtschaftliche Führungskräfte in ländlichen Gebieten heranzubilden und die Beteiligung grösserer Bevölkerungskreise an Entwicklungsmassnahmen zu fördern; e) den Wunsch nach eigener Weiterbildung zu fördern.

(2) Diese Länder sollten ihre Prioritäten für die ländlichen Gebiete laufend überprüfen, um fortschreitend a) umfassende Berufsinformations- und Beratungsdienste für die gesamte Landbevölkerung zu entwickeln; b) eine systematische Erstausbildung für Jugendliche einzuführen oder allen Jugendlichen zugänglich zu machen; c) umfassende Programme für die ständige oder periodische berufliche Weiterbildung einzuführen, um den Bedürfnissen Erwachsener gerecht zu werden.

37. Länder, die aus finanziellen Gründen oder wegen Mangels an ausgebildetem Personal nicht in der Lage sind, angemessene Dienste für die gesamte Landbevölkerung vorzusehen, könnten die Möglichkeit erwägen, a) die entsprechenden Massnahmen vorübergehend auf geographisch begrenzte Gebiete zu beschränken, in denen wichtige Erkenntnisse für spätere Massnahmen in anderen Gebieten gewonnen werden können; b) Arbeitskräfte ohne Grundbesitz und andere wirtschaftlich schwache Gruppen in ländlichen Gebieten, die wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit am dringendsten benötigen, bevorzugt zu behandeln.

/ B. Wirtschaftszweige mit veralteten Techniken und Arbeitsmethoden 38. (1) Für Wirtschaftszweige und Berufe mit veralteten Techniken und Arbeitsmethoden sollten je nach Bedarf ähnliche Programme entwickelt werden wie für ländliche Gebiete.

(2) Das Ziel sollte darin bestehen, Personen, die in diesen Wirtschaftszweigen oder Berufen beschäftigt sind oder beschäftigt sein werden, die Berufsberatung und Berufsbildung zukommen zu lassen, die es ihnen ermöglicht, an der Modernisierung der Methoden und Erzeugnisse mitzuwirken oder hierzu beizutragen und aus den eingeführten Veränderungen Nutzen zu ziehen.

39. Informations- und Beratungsdienste für selbständig Erwerbstätige und Kleinunternehmer in diesen Wirtschaftszweigen und Berufen sollten diese Personen über Möglichkeiten zur Einführung von Neuerungen bei ihrer Arbeit und die damit zusammenhängenden Berufsbildungsgelegenheiten und anderen Dienste unterrichten.

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40. Bei der Planung der Berufsbildung für diese Wirtschaftszweige und Berufe sollte folgendes berücksichtigt werden: a) inwieweit es notwendig und möglich ist, den Tätigkeitsbereich der Betriebe auszuweiten oder zu spezialisieren, und wie sich diese Ausweitung oder Spezialisierung auf die Berufsbildung auswirkt; b) die Möglichkeiten zur Verbesserung der Methoden der Berufsbildung und insbesondere zur Schaffung von Gelegenheiten für eine fortlaufende Berufsbildung; c) inwieweit es möglich ist, die Ausbildung von Betriebsleitern mit anderen Massnahmen zur Anhebung des Leistungsniveaus zu verbinden ; d) die Schaffung neuer Erwerbsmöglichkeiten.

41. Die Berufsbildung für diese "Wirtschaftszweige und Berufe a) kann zunächst als Ergänzung der Lernsysteme gestaltet sein, durch die üblicherweise berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt werden: b) sollte den Bedürfnissen der Jugendlichen, die eine Erstausbildung erhalten, sowie auch der in diesen Wirtschaftszweigen und Berufen bereits tätigen Personen Rechnung tragen einschliesslich der Kleinunternehmer und anderer Personen, die Jugendlichen eine Erstausbildung am Arbeitsplatz vermitteln.

C. Industrien und Betriebe, die im Rückgang begriffen sind oder die ihre Tätigkeit umstellen 42. Arbeitnehmer, die von einem beginnenden Rückgang eines Industriezweiges oder eines Betriebes betroffen sind, sollten rechtzeitig eine Berufsberatung und Berufsbildung erhalten, damit ihnen der Erwerb neuer Befähigungen erleichtert und ihnen Gelegenheit gegeben wird, eine neue Beschäftigung zu finden.

43. Arbeitnehmern, die von einer Umstellung der Produktion und der Produktionsmethoden oder der Dienstleistungen in einem Industriezweig oder einem Betrieb betroffen sind, sollte rechtzeitig eine in Zusammenarbeit mit den betroffenen Industriezweigen oder Betrieben gestaltete Ausbildung geboten werden, die ihnen die Anpassung an ihre neuen Aufgaben ermöglicht.

D. Neue Industrien 44. Bei der Planung der Berufsberatung und Berufsbildung im Zusammenhang mit der Ansiedlung neuer Industrien sollte berücksichtigt werden : a) der Bedarf an Arbeits-. Fach-, Führungs- und Verwaltungskräften während der Bauphase und nach der Inbetriebnahme der neuen Werksanlagen sowie

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die Notwendigkeit der Umschulung der während der Bauphase beschäftigten Personen im Hinblick auf ihre Unterbringung an anderen Arbeitsplätzen nach Inbetriebnahme der Werksanlagen; b) der Bedarf an selbständig Erwerbstätigen und Unternehmern, die Zulieferaufträge für die neuen Industrien durchführen können; c) die Notwendigkeit von Informationen und Berufsbildung in bezug auf neue Tätigkeitsbereiche, die infolge von Veränderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse in dem betreffenden Gebiet möglich oder notwendig geworden sind; d) die Notwendigkeit der Berufsberatung und beruflichen Umschulung für Personen, deren Kenntnisse und Fertigkeiten infolge von Veränderungen in der Struktur der Nachfrage nach Arbeitskräften in dem betreffenden Gebiet überholt sind ; e) die Notwendigkeit, neue Möglichkeiten für selbständig Erwerbstätige und Unternehmer, deren Geschäftstätigkeit unter dem Wettbewerb durch die neuen Industrien leiden könnte, vorzusehen.

VII. Bestimmte Bevölkerungsgruppen 45. (1) Es sollten Massnahmen getroffen werden, um bestimmtenBevölkerungsgruppen eine wirksame und angemessene Berufsberatung und Berufsbildung zukommen zu lassen, damit sie Chancengleichheit in der Beschäftigung gemessen und sich leichter in die Gesellschaft und Wirtschaft eingliedern können.

(2) Besondere Aufmerksamkeit sollte folgenden Personengruppen gewidmet werden : a) Personen, die nie eine Schule besucht oder die Schule vorzeitig verlassen haben ; b) älteren Arbeitnehmern; c) Angehörigen sprachlicher oder anderer Minderheiten; d) körperlich oder geistig behinderten Personen.

A. Personen, die nie eine Schule besucht oder die Schule vorzeitig verlassen haben 46. Es sollten Massnahmen getroffen werden, um eine Schule besucht oder die Schule verlassen haben, Eingliederung in eine in der Modernisierung begriffene schaft ausreichende Allgemeinbildung erworben haben,

allen Personen, die nie bevor sie eine für die Gesellschaft und WirtBerufsberatung, Allge-

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meinbüdung und eine Ausbildung m grundlegenden Fertigkeiten zu \ ermitteln, wobei die Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigt werden sollten 47 Die Berufsberatung für Personen, die me eine Schule besucht oder die Schule verlassen haben, bevor sie ausreichende Kenntnisse im Lesen Schreiben und Rechnen erworben haben, sollte so breit wie möglich angelegt sein, wobei gleichzeitig besondere Einrichtungen der Bildung und Berufsbildung sowie andeie sich ihnen voraussichtlich bietende Bildungs-, Ausbildungs- und Beschaftigungsmoghchkeiten berücksichtigt werden sollten 48 (1) Die Vorkehrungen für die Vermittlung grundlegender Fertigkeiten und einer Allgemeinbildung an diese Personen konnten folgendes umfassen a) Teilzeitunterncht für Kinder, die auf dem Familienhof im Familienbetrieb oder m anderen Wirtschaftsbereichen beschäftigt sind, um ihnen arbeitsbezogene Kenntnisse und Fertigkeiten sowie m Verbindung mit diesem Unterricht eine Allgemeinbildung zu vermitteln.

b) der beruflichen Grundausbildung dienende und damit zusammenhangende allgemeinbildende Kurse für Jugendliche und gegebenenfalls für Erwachsene, um ihnen den Zugang zu einer systematischen Berufsbildung zu erleichtern oder ihnen grossere Beschaftigungs- und Aufstiegsmöglichkeiten zu bieten, c) Vorkehrungen für besondere Berufsbildungsmassnahmen verbunden mit produktiver Arbeit für jugendliche Arbeitslose, erforderlichenfalls ergänzt durch allgemeinbildende Kurse um ihnen die Bildung, Fertigkeiten und Aibeitsgewohnheiten zu vermitteln, die für eine nutzbringende Erwerbstatigkeit notwendig sind, d) Unteincht im Lesen Schreiben und Rechnen besonders für Erwachsene, in Verbindung mit einer beruflichen Ausbildung in den Kenntnissen und Fertigkeiten, die für einen bestimmten Beruf oder eine bestimmte Art von Arbeit und für eine aktive Beteiligung an Entwicklungsvorhaben erfoiderhch sind, dieser Lnterncht sollte mit allgemeinen Massnahmen zur Beseitigung des Analphabetentums koordiniert werden ej Sonderlehrgange zur allgemeinen und fachlichen Fortbildung von berufstätigen Jugendlichen und Erwachsenen, um ihr Leistungsniveau anzuheben oder ihre Aufstiegsmöglichkeiten zu verbessern, f) Sonderkurse zur Veimittlung dringend benötigter beruflichei Fertigkeiten für Personen mit geringer oder ohne Schulbildung (2) Zur Durchführung der in diesem
Absatz vorgesehenen Massnahmen sollten besondere Berufsbildungsmethoden entwickelt und angewandt werden 49 Die Zeugnisse, die auf Grund dieser Vorkehrungen erworben werden können, sollten mit den Zeugnissen abgestimmt werden, die im Schulsystem sowie von Personen erworben werden können, die auf anderen Wegen ausgebildet worden sind

Bundesblatt 128 Jahrg Bd III

482 B. Ältere Arbeitnehmer 50. (1) Die Massnahmen, mit denen den Schwierigkeiten älterer Arbeitnehmer im Berufsleben begegnet werden soll, könnten je nach Sachlage folgendes umfassen : a) Arbeitsbedingungen, die geeignet sind, den Prozess des körperlichen und geistigen Alterns zu beschleunigen, sollten festgestellt und nach Möglichkeit geändert werden; b) ältere Arbeitnehmer sollten die Berufsberatung und Berufsbildung erhalten, die sie benötigen, wobei besonders zu berücksichtigen ist, dass es notwendig sein kann, i) ihre Kenntnisse und Fertigkeiten auf den neuesten Stand zu bringen, indem ihnen zur rechten Zeit einschlägige Informationen vermittelt werden; h) ihre Allgemeinbildung und ihre beruflichen Qualifikationen durch den Einsatz von Fachkräften für die Berufsbildung von Erwachsenen auf ein Niveau anzuheben, das demjenigen von Jugendlichen mit besserer Bildung und Berufsbildung entspricht, die den gleichen Beruf aufnehmen oder bereits ausüben; iii) sie zum geeigneten Zeitpunkt über die für die Weiterbildung zur Verfügung stehenden Einrichtungen zu unterrichten und diese Weiterbildung zum geeigneten Zeitpunkt durchzuführen, nämlich vor der Einführung neuer Arbeitstechniken und Arbeitsmethoden; iv) älteren Arbeitnehmern gegebenenfalls, andere Arbeitsplätze in ihrem oder in einem anderen Beruf zur Verfügung zu stellen, in denen sie ihre Fähigkeiten und Erfahrungen nutzen können, und zwar so weit wie möglich ohne Einkommenseinbusse; v) sicherzustellen, dass sie nicht durch wirklichkeitsfremde Altersgrenzen von der Zulassung zur Berufsbildung ausgeschlossen werden; vi) den Bedürfnissen älterer Arbeitnehmer angepasste Methoden der Berufsbildung zu entwickeln; vii) alle erforderlichen Massnahmen zur Bereitstellung fachlich und pädagogisch befähigter Ausbilder zu treffen, die die Voraussetzungen mitbringen, eine auf die besonderen Bedürfnisse älterer Arbeitnehmer zugeschnittene Weiterbildung durchzuführen; c) ältere Arbeitnehmer sollten ermutigt werden, die Einrichtungen der Berufsberatung und Berufsbildung oder die Versetzungsmöglichkeiten zu nutzen, die ihnen bei der Überwindung ihrer Schwierigkeiten helfen könnten; d) die Öffentlichkeit, insbesondere Berufsberater und Ausbilder, das Personal von Arbeitsvermittlungsstellen und anderen einschlägigen Sozialdiensten, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten darüber aufgeklärt werden, dass

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ältere Arbeitnehmer im Berufsleben unter Umständen zu einer Anpassung gewzungen sind und dass ihnen bei dieser Anpassung geholfen werden sollte.

(2) So weit wie möglich sollten auch Massnahmen getroffen werden, um den besonderen Bedürfnissen älterer Arbeitnehmer angepasste Arbeitsmethoden, Werkzeuge und Geräte zu entwickeln und eine Ausbildung in deren Anwendung zu bieten.

C. Sprachliche und andere Minderheiten 51. Angehörige sprachlicher und anderer Minderheiten sollten eine Berufsberatung erhalten, die sie in ihrer eigenen oder in einer ihnen geläufigen Sprache oder nötigenfalls durch Dolmetscher über die Bedingungen und Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt, die Rechte und Pflichten aller Beteiligten und über die Unterstützung aufklärt, die ihnen für die Lösung ihrer besonderen Probleme zur Verfügung steht.

52. Für sprachliche und andere Minderheiten sollten nach Bedarf besondere Berufsbildungsprogramme geboten werden. Im Fall von sprachlichen Minderheiten sollte diese Ausbildung, wenn möglich, in der Muttersprache der Auszubildenden erfolgen und, soweit angebracht, Sprachkurse einschliessen.

D. Körperlich oder geistig behinderte Personen 53. (1) Behinderte Personen sollten, soweit sie daraus Nutzen ziehen können, Zugang zu den Programmen der Berufsberatung und Berufsbildung für die gesamte Bevölkerung haben.

(2) Ist dies wegen der Schwere oder der Art der Behinderung oder der Bedürfnisse bestimmter Gruppen von Behinderten nicht zweckmässig, so sollten besonders angepasste Programme geboten werden.

(3) Es sollten alle Anstrengungen unternommen werden, um die Öffentlichkeit, die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer sowie die Arzte und medizinischen Hilfskräfte und die Sozialarbeiter aufzuklären über die Notwendigkeit, Behinderten eine Berufsberatung und Berufsbildung zu erteilen, die es ihnen ermöglichen, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Beschäftigung zu finden, über die eventuell erforderlichen Anpassungen des Arbeitsplatzes sowie darüber, dass eine besondere Unterstützung für sie in ihrer Beschäftigung wünschenswert ist.

(4) Es sollten Massnahmen getroffen werden, um nach Möglichkeit die Eingliederung oder Wiedereingliederung der Behinderten in das Erwerbsleben in einer normalen Arbeitsumwelt zu gewährleisten.

(5) Die Empfehlung betreffend die berufliche Eingliederung und Wiedereingliederung der Behinderten. 1955, sollte berücksichtigt werden.

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VIII. Förderung der Chancengleichheit für Frauen und Männer in Ausbildung und Beschäftigung 54. (1) Es sollten Massnahmen zur Förderung der Chancengleichheit für Frauen und Männer in der Beschäftigung und in der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit getroffen werden.

(2) Diese Massnahmen sollten Bestandteil aller wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Massnahmen der Regierungen zur Verbesserung der Beschäftigungslage der Frauen sein und so weit wie möglich folgendes umfassen: a) die Öffentlichkeit und insbesondere Eltern, Lehrer, Berufsberater und Ausbilder, das Personal der Arbeitsvermittlungsstellen und der sonstigen sozialen Dienste, Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten darüber aufgeklärt werden, dass es notwendig ist, Frauen und Männer zur gleichberechtigten Teilnahme am Leben der Gesellschaft und der Wirtschaft zu ermutigen und traditionelle Auffassungen von der Arbeit von Frauen und Männern zu Hause und im Berufsleben zu ändern; b) Mädchen und Frauen sollten eine Berufsberatung über den gleichen Bereich von Bildungs-, Berufsbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten erhalten wie Jungen und Männer; sie sollten ermutigt werden, diese Möglichkeiten voll zu nutzen, und es sollten die dafür notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden; c) der gleichberechtigte Zugang von Mädchen und Frauen zu allen Arten der Bildung und zur Berufsbildung für alle Arten von Berufen, einschliesslich derjenigen, die bisher traditionsgemäss nur für Jungen und Männer zugänglich waren, sollte, vorbehaltlich der Bestimmungen internationaler Arbeitsübereinkommen und Empfehlungen, gefördert werden; d) die Weiterbildung von Mädchen und Frauen zur Gewährleistung ihrer persönlichen Entwicklung und ihres Aufstiegs zu qualifizierten Tätigkeiten und verantwortlichen Positionen sollte gefördert und die Arbeitgeber sollten aufgefordert werden, ihnen die gleichen Möglichkeiten zur Erweiterung ihrer Arbeitserfahrung zu bieten wie den Männern mit gleicher Bildung und gleichen Qualifikationen ; e) es sollten so weit wie möglich Tagesheime und andere Einrichtungen für Kinder verschiedener Altersgruppen eingerichtet werden, damit Mädchen und Frauen mit Familienpflichten Zugang zu einer normalen Berufsbildung haben, und es sollten besondere Vorkehrungen getroffen werden, z. B. in Form von Teilzeit- oder Fernkursen oder von etappenweise
oder durch Massenmedien vermittelten Berufsbildungsprogrammen; f) es sollten Berufsbildungsprogramme für Frauen über dem normalen Berufseintrittsalter vorgesehen werden, die erstmalig eine Tätigkeit aufzunehmen wünschen oder nach einer Unterbrechung wieder berufstätig werden möchten.

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55. Besondere Berufsbildungsmassnahmen und -programme, ähnlich denjenigen, wie sie in Absatz 54 Unterabsatz (2) Buchstaben e) und/) dieser Empfehlung in Aussicht genommen werden, sollten auch Männern mit gleichartigen Problemen zur Verfügung stehen.

56. Bei der Anwendung von Massnahmen zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in Ausbildung und Beschäftigung sollten das Übereinkommen und die Empfehlung über die Beschäftigungspolitik, 1964, berücksichtigt werden.

IX. Wanderarbeitnehmer 57. Wanderarbeitnehmer sollten zur Sicherung ihrer Chancengleichheit in der Beschäftigung eine wirksame Berufsberatung und Berufsbildung erhalten.

58. Bei der Berufsberatung und Berufsbildung für Wanderarbeitnehmer sollte berücksichtigt werden, dass ihre Kenntnisse in der Sprache des Beschäftigungslandes möglicherweise begrenzt sind. Die Absätze 51 und 52 dieser Empfehlung sollten auf sie Anwendung finden.

59. Bei der Berufsberatung und Berufsbildung der Wanderarbeitnehmer sollte folgendes berücksichtigt werden: a) die Bedürfnisse des Beschäftigungslandes; b) die etwaige Wiedereingliederung der Wanderarbeitnehmer in die Wirtschaft ihrer Herkunftsländer.

60. In bezug auf die Berufsberatung und Berufsbildung für Wanderarbeitnehmer sollten die einschlägigen Bestimmungen der für diese Arbeitnehmer geltenden internationalen Arbeitsübereinkommen und Empfehlungen berücksichtigt werden. Diese Fragen sollten auch Gegenstand von Abkommen zwischen den Herkunfts- und den Beschäftigungsländern sein.

X. Ausbildung des Personals für Berufsberatung und Berufsbildung 61. Die Vorkehrungen für die Ausbildung des Personals sollten alle Personen erfassen, die ganz- oder teilzeitig für die Berufsberatung und Berufsbildung oder für deren Planung, Organisation, Verwaltung, Entwicklung oder Beaufsichtigung verantwortlich sind.

62. (1) Neben ihrer Ausbildung in der Berufsberatung, einschliesslich der Einzelberatung, sollten die Berufsberater mit der Arbeitswelt allgemein, mit den Arbeitsbedingungen und Aufgaben der Beschäftigten in zahlreichen Berufen auf allen Stufen der beruflichen Befähigung und Verantwortung, mit den Beschäfti-

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gungs- und Aufstiegsmöglichkeiten in diesen Berufen und mit den ihnen zur Verfügung stehenden Ausbildungslehrgängen und -einrichtungen vertraut gemacht werden. Sie sollten auch über die allgemeinen Aspekte der Gesamtarbeitsverträge und der Rechte und Pflichten auf Grund der Arbeitsgesetzgebung informiert sein.

(2) Die Ausbildung von Berufsberatern sollte, soweit angebracht, das Studium der physiologischen, psychischen und soziologischen Merkmale verschiedener Gruppen sowie das Studium spezieller Beratungsmethoden umfassen.

63. (1) Personen, die mit der Vermittlung der Berufsbildung befasst sind, sollten über umfassende theoretische und praktische Kenntnisse sowie ausgedehnte Berufserfahrung in dem betreffenden Fach- oder Aufgabenbereich verfügen und eine fachliche und pädagogische Ausbildung in Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen erhalten haben.

(2) Die Ausbildung dieser Personen sollte je nach Sachlage das Studium der unterschiedlichen Merkmale und Verhaltensweisen verschiedener Gruppen von Auszubildenden sowie das Studium spezieller Ausbildungsniethoden umfassen.

64. (1) In der Berufsbildung für bestimmte Wirtschaftszweige tätige Personen sollten mit den sozialen, wirtschaftlichen und technischen Aspekten und Bedingungen des betreffenden Wirtschaftszweiges vertraut gemacht werden.

(2) So sollten z. B. die in der Entwicklung ländlicher Gebiete tätigen Personen über die berufliche Bildung und die Ausbildung in ihrem Spezialfach hinaus u. a. eine Ausbildung in folgenden Bereichen erhalten : a) die Ökonomik der Land- und Forstwirtschaft und anderer ländlicher Erwerbszweige ; b) betriebswirtschaftliche Methoden und Techniken in der Land- und Forstwirtschaft ; c) ländliche Soziologie und Institutionen; d) Techniken der Massenkommunikation und der Information; e) die Tätigkeiten der Genossenschaften, soweit solche bestehen.

65. In der Berufsberatung und Berufsbildung für bestimmte Bevölkerungsgruppen tätige Personen sollten mit den besonderen sozialen und wirtschaftlichen Problemen dieser Gruppen vertraut gemacht werden.

66. (1) Personen, die für die Planung, Organisation, Verwaltung oder Beaufsichtigung der Berufsberatungs- und Berufsbildungsprogramme zuständig sind, einschliesslich der Direktoren und Leiter von Berufsberatungs- oder Berufsbildungseinrichtungen oder -diensten, der betrieblichen
Ausbildungsleiter und Ausbilder und der Berater im Rahmen der Berufsberatung und Berufsbildung sollten über Erfahrung in der Berufsberatung oder in der Berufsbildung verfügen.

(2) Personen, die im Zusammenhang mit Berufsbildungsprogrammen Aufgaben dieser Art zu erfüllen haben, sollten so weit wie möglich zusätzlich zu ihrer

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Erfahrung im Berufsbildungswesen über Erfahrung in der praktischen Arbeit im Betrieb verfügen.

67. Allen in der Berufsberatung und Berufsbildung tätigen Personen sollte oft Gelegenheit geboten werden, ihr Wissen über die für ihren Arbeitsbereich wesentlichen sozialen, wirtschaftlichen, technischen und psychologischen Gegebenheiten aufzufrischen und auf dem neuesten Stand zu halten und sich über neue, für ihre Arbeit gültige Methoden und Techniken zu unterrichten.

XI. Forschung 68. Die Mitglieder sollten Vorkehrungen für Forschungs- und Versuchsprogramme treffen, mit dem Ziel, , a) Kriterien für die Festlegung von Prioritäten und die Aufstellung von Strategien zur Entwicklung der Berufsberatung und Berufsbildung für bestimmte Wirtschaftszweige und Bevölkerungsgruppen zu ermitteln; b) die Beschäftigungsmöglichkeiten in den einzelnen Wirtschaftzweigen und Berufen zu bestimmen und vorauszuschätzen ; c) die Kenntnisse über die psychologischen, soziologischen und pädagogischen Askpekte der Berufsberatung und Berufsbildung zu erweitern; d) die Leistungsfähigkeit und Wirksamkeit der Berufsberatungs- und Berufsbildungssysteme in allen ihren Einzelheiten beurteilen zu können; e) die direkten und indirekten Kosten und Vorteile verschiedener Modelle und Methoden der Berufsberatung und Berufsbildung bestimmen zu können; f) die psychologischen Tests und sonstigen Bewertungsmethoden zu verbessern, die für die betreffenden Bevölkerungskreise bei der Feststellung der Begabungen, der Beurteilung der Eignungen und Interessen und der Bewertung der durch Berufsbildung erreichten Stufe des Wissens und der beruflichen Befähigung verwendet werden ; g) die vorhandenen Informationen über Berufe und ihre Anforderungen zu erweitern.

XII. Verwaltungsfragen und Vertretungsorgane 69. (1) Die für Allgemeinbildung und Berufsberatung. Berufsbildung einschliesslich des berufsbildenden Unterrichts, die Ausbildung von Personal für die Erschliessung des Arbeitskräftepotentials und die Ausbildung von Führungskräften zuständigen Behörden und Stellen, die für die Planung und Durchführung von beschaftigungs- und sonstigen sozial- und wirtschaftspolitischen Massnahmen zuständigen Behörden und Stellen und die Organe, die die einzelnen Wirt-

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schaftszweige und Berufe und die verschiedenen Bevölkerungsgruppen vertreten, sollten bei der Ausarbeitung von Grundsatzmassnahmen und bei der Planung und Durchführung von Berufsberatungs- und Berufsbildungsprogrammen zusammenarbeiten.

(2) Vertreter der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerverbände sollten den Organen angehören, die mit der Leitung öffentlicher Ausbildungseinrichtungen und mit der Überwachung ihrer Tätigkeit betraut sind; wo es keine solchen Organe gibt, sollten Vertreter der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerverbände auf andere Weise an der Errichtung, Leitung und Überwachung solcher Einrichtungen teilnehmen.

70. Über die Beteiligung an der Ausarbeitung von Grundsatzmassnahmen und an der Planung und Durchführung von Programmen hinaus sollten Vertretungsorgane vorbehaltlich der innerstaatlichen Gesetzgebung und im Rahmen der nationalen Planung a) ihre Mitglieder ermutigen und ihnen dabei helfen, i) Möglichkeiten und Einrichtungen der Berufsberatung und Berufsbildung bereitzustellen; ii) die Bereitstellung solcher Möglichkeiten und Einrichtungen zu unterstützen ; iii) diese voll zu nutzen; b) die zur Vervollständigung der Tätigkeiten anderer Stellen, Dienste oder Personen erforderliche Berufsberatung und Berufsbildung erteilen und Informatiqnen zur Erleichterung dieser Tätigkeiten bereitstellen; c) sich an Forschungsarbeiten beteiligen.

71. Die Aufgaben und Zuständigkeiten aller mit der Erschliessung des Arbeitskräftepotentials befassten Stellen sollten klar abgegrenzt sein.

72. Bei der Durchführung von Berufsberatungs- und Berufsbildungsprogrammen sollte folgendes vorgesehen werden: a) die Beratung der betreffenden Stellen, Dienste, Einrichtungen und Betriebe über die mit der Durchführung der Programme verbundenen sozialen, technischen und methodologischen Aspekte; b) die Bereitstellung von Hilfsdiensten und -mittein, wie z. B. Forschung, Normen und Richtlinien für die Organisation der Berufsberatung und Berufsbildung, die Bereitstellung von audiovisuellen Hilfsmitteln und die Aufklärung über zweckmässige Techniken und Methoden; c) die Abhaltung von Prüfungen unter öffentlicher Aufsicht oder die Anwendung anderer Mittel zur Beurteilung des Ausbildungserfolges für Berufe, für die Berufsbildungsnormen gelten; d) die Ausbildung des Personals;

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e) die Weitergabe der Forschungsergebnisse und anderer Erfahrungen an die für die Planung und Durchführung der Programme zuständigen Personen oder Stellen; f) die Bereitstellung angemessener finanzieller Mittel für die Durchführung der Programme.

Xin. Regelmässige Überprüfungen 73. Die Mitglieder sollten ihre Berufsberatungs- und Berufsbildungsprogramme regelmässig überprüfen, um a) den bestmöglichen Einsatz des Personals, der Einrichtungen und Mittel zu erreichen; b) Organisation, Inhalt und Methoden der Berufsberatung und Berufsbildung an die sich verändernden Verhältnisse und Anforderungen in den verschiedenen Wirtschaftszweigen, an die Bedürfnisse bestimmter Bevölkerungsgruppen sowie an die neuen Erkenntnisse auf diesem Gebiet anzupassen; c) festzustellen, welche weiteren Massnahmen erforderlich sein können, um die nationale Politik zur Erreichung der in den Absätzen 4 und 6 dieser Empfehlung erwähnten Ziele wirksam zu gestalten.

XIV. Internationale Zusammenarbeit 74. Die Staaten sollten so eng wie möglich und, falls gewünscht, unter Mitwirkung i staatlicher und nichtstaatlicher regionaler und internationaler Organisationen sowie nichtstaatlicher nationaler Organisationen bei der Planung, Ausarbeitung und Durchführung von Berufsberatungs- und Berufsbildungsprogrammen zusammenarbeiten.

75. Diese Zusammenarbeit könnte folgendes umfassen: a) bilaterale oder multilaterale Hilfe an andere Staaten bei der Planung, Ausarbeitung oder Durchführung solcher Programme; b) das Organisieren gemeinsamer Forschungsarbeiten und Versuche, um eine leistungsfähigere und wirksamere Planung und Durchführung der Programme zu erreichen; c) die Bereitstellung von Einrichtungen oder die Gründung gemeinsamer Einrichtungen, damit die mit der Berufsberatung und Berufsbildung befassten Personen Gelegenheit erhalten, Wissen, Fertigkeiten und Erfahrungen zu erwerben, die sie im eigenen Land nicht erwerben können; d) den systematischen Austausch von Informationen über Fragen der Berufsberatung und Berufsbildung einschliesslich der Ergebnisse von Forschungs-

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und Versuchsprogrammen mit Hilfe von Sachverständigentagungen, Seminaren, Studiengruppen oder durch den Austausch von Veröffentlichungen; e) die fortschreitende Abstimmung der Berufsbildungsnormen für den gleichen Beruf zwischen mehreren Staaten, um die berufliche Mobilität und den Zugang zur Ausbildung im Ausland zu erleichtern; f) die Ausarbeitung und Verbreitung von Grandlagenmaterial und Hilfsmitteln für die Berufsberatung und Berufsbildung einschliesslich von Lehrplänen und Berufsbildern zwecks Verwendung in einer Gruppe von Ländern oder einer Region, die ähnliche Bedürfnisse haben oder ihre Berufsbildungsniveaus und Berufsberatungsmethoden aufeinander abzustimmen suchen.

76. Die Staaten sollten die Einrichtung beziehungsweise die Mitarbeit bei der gemeinsamen Einrichtung oder Unterhaltung von Zentren für eine Region oder eine Gruppe von Ländern erwägen, um den Erfahrungsaustausch zu erleichtern und die Zusammenarbeit bei der Programmentwicklung und Methodenforschung zu fördern.

XV. Auswirkung auf frühere Empfehlungen 77. (1) Diese Empfehlung tritt an die Stelle der Empfehlung betreffend die Berufsberatung, 1949, der Empfehlung betreffend die berufliche Ausbildung (Landwirtschaft), 1956, und der Empfehlung betreffend die berufliche Ausbildung, 1962.

(2) Die Empfehlung betreffend die berufliche Eingliederung und Wiedereingliederung der Behinderten, 1955, die Empfehlung betreffend die berufliche Ausbildung (Fischer), 1966, die Empfehlung betreffend Sonderprogramme für Jugendliche, 1970, und die Empfehlung betreffend die berufliche Ausbildung der Seeleute, 1970, gelten weiterhin für die von ihnen erfassten Personengruppen.

(Es folgen die Unterschriften)

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AnhangS

Übereinkommen (Nr. 143) über Missbräuche bei Wanderungen und die Förderung der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung der Wanderarbeitnehmer Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 4. Juni 1975 zu ihrer sechzigsten Tagung zusammengetreten ist, stellt fest, dass der Internationalen Arbeitsorganisation in der Präambel zu ihrer Verfassung die Aufgabe zugewiesen wird, die «Interessen der im Auslande beschäftigten Arbeitnehmer» zu schützen; weist darauf hin. dass die Erklärung von Philadelphia als einen der leitenden Grundsätze, auf die sich die Organisation stützt, «Arbeit, ist keine Ware» und «Armut, wo immer sie besteht, gefährdet den Wohlstand aller» bekräftigt und die feierliche Verpflichtung der IAO anerkennt, Programme zu fördern, die insbesondere zur Vollbeschäftigung durch «Arbeitsplatzwechsel einschliesslich der Wanderungsbewegung zur Erlangung von Beschäftigung...» führen; verweist auf das Weltbeschäftigungsprogramm der IAO und das Übereinkommen und die Empfehlung über die Beschäftigungspolitik, 1964, und betont die Notwendigkeit, die übermässige und unkontrollierte bzw. nicht unterstützte Zunahme von Wanderungsbewegungen wegen ihrer negativen sozialen und menschlichen Folgen zu vermeiden; stellt fest, dass die Regierungen vieler Länder zunehmend betonen, dass es zur Überwindung der Unterentwicklung und der strukturellen und der chronischen Arbeitslosigkeit wünschenswerter ist, den Transfer von Kapital und Technologie anstelle des Transfers von Arbeitskräften zu ermutigen, weil dies den Bedürfnissen und Wünschen dieser Länder entspricht und im gegenseitigen Interesse der Herkunftsländer und der Beschäftigungsländer liegt; stellt fest, dass nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und nach dem Weltpakt für bürgerliche und politische Rechte jeder Mensch das Recht hat, jedes Land, auch sein eigenes, zu verlassen sowie sein eigenes Land zu betreten;

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verweist auf die Bestimmungen des Übereinkommens und der Empfehlung über Wanderarbeiter (Neufassung), 1949, der Empfehlung betreffend den Schutz der Wanderarbeiter (unterentwickelte Länder), 1955, des Übereinkommens und der Empfehlung über die Beschäftigungspolitik, 1964, des Übereinkommens und der Empfehlung über die Arbeitsmarktverwaltung, 1948, und des Übereinkommens über Büros für entgeltliche Arbeitsvermittlung (Neufassung), 1949, die Angelegenheiten wie die Regelung der Anwerbung, Hereinnahme und Arbeitsvermittlung von Wanderarbeitnehmern, die Erteilung genauer Informationen in bezug auf Wanderungen, die Mindestnormen, welche Wanderarbeitnehmern während der Reise und nach der Ankunft zugute kommen, die Anwendung einer aktiven Beschäftigungspolitik und die internationale Zusammenarbeit in derartigen Angelegenheiten behandeln; ist der Ansicht, dass die durch die Arbeitsmarktverhältnisse bedingte Auswanderung von Arbeitnehmern unter der Verantwortung amtlicher Arbeitsvermittlungsstellen oder in Übereinstimmung mit den einschlägigen bilateralen oder multilateralen Abkommen, insbesondere denjenigen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, erfolgen sollte; ist der Ansicht, dass das nachweisliche Bestehen eines rechtswidrigen und heimlichen Handels mit Arbeitskräften zusätzliche Normen erforderlich macht, um solche Missbräuche abzustellen; verweist auf die Bestimmungen des Übereinkommens über Wanderarbeiter (Neufassung), 1949, die jedes Mitglied, das es ratifiziert hat, verpflichten, Einwanderer, die sich rechtmässig in seinem Gebiet aufhalten, in bezug auf verschiedene darin aufgeführte Angelegenheiten nicht weniger günstig zu behandeln als seine eigenen Staatsangehörigen, soweit diese Angelegenheiten gesetzlich geregelt oder der Aufsicht durch die Verwaltungsbehörden unterstellt sind; weist darauf hin, dass die Definition des Begriffs «Diskriminierung» im Übereinkommen über die Diskriminierung (Beschäftigung und Beruf), 1958, nicht zwangsläufig Unterscheidungen auf Grund der Staatsangehörigkeit einschliesst; ist der Ansicht, dass weitere Normen, auch über Soziale Sicherheit, erwünscht sind, um die Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Wanderarbeitnehmern zu fördern und um in bezug auf die Angelegenheiten, die gesetzlich geregelt oder der Aufsicht durch die Verwaltungsbehörden unterstellt sind,
ihnen zumindest die gleiche Behandlung wie den eigenen Staatsangehörigen zu gewährleisten; stellt fest, dass ein voller Erfolg der Massnahmen, die sehr unterschiedliche Probleme von Wanderarbeitnehmern betreffen, nur durch enge Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen und mit anderen Sonderorganisationen ermöglicht wird; stellt fest, dass bei der Formulierung der nachstehenden Normen die Tätigkeit der Vereinten Nationen und anderer Sonderorganisationen berücksichtigt

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worden ist und dass zur Vermeidung von Doppelarbeit und zur Gewährleistung einer angemessenen Koordinierung bei der Förderung und Gewährleistung der Durchführung dieser Normen fortlaufend zusammengearbeitet wird ; hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend die Wanderarbeitnehmer, eine Frage, die den fünften Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Antrage die Form eines internationalen Übereinkommens zur Ergänzung des Übereinkommens über Wanderarbeiter (Neufassung), 1949, und des Übereinkommens über die Diskriminierung (Beschäftigung und Beruf), 1958, erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 24. Juni 1975, das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über Wanderarbeitnehmer (ergänzende Bestimmungen). 1975, bezeichnet wird.

I. Missbräuche bei Wanderungen Artikel l Jedes Mitglied, für das dieses Übereinkommen in Kraft ist. verpflichtet sich, die grundlegenden Menschenrechte aller Wanderarbeitnehmer zu achten.

Artikel 2 1. Jedes Mitglied, für das dieses Übereinkommen in Kraft ist. hat systematische Anstrengungen zu unternehmen, um festzustellen, ob sich in seinem Gebiet unrechtmässig beschäftigte Wanderarbeitnehmer aufhalten und ob sein Gebiet Ausgangs-, Durchgangs- oder Zielgebiet für Wanderungen zwecks Arbeitsaufnahme ist, bei denen die Wanderarbeitnehmer während der Reise, bei der Ankunft oder während der Zeit ihres Aufenthalts und ihrer Beschäftigung Bedingungen ausgesetzt sind, die eine Verletzung einschlägiger internationaler, multilateraler oder bilateraler Urkunden oder Abkommen oder der innerstaatlichen Gesetzgebung darstellen.

2. Die massgebenden Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sind ausführlich'anzuhören, und es ist ihnen Gelegenheit zur Bekanntgabe aller ihnen verfügbaren einschlägigen Informationen zu geben.

Artikel 3 Jedes Mitglied hat sowohl in seinem eigenen Zuständigkeitsbereich als auch in Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedern alle erforderlichen und geeigneten Massnahmen zu treffen, um

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a) heimliche Wanderungen zwecks Arbeitsaufnahme und die unrechtmässige Beschäftigung von Wanderarbeitnehmern zu unterbinden; und b) gegen die Organisatoren rechtswidriger oder heimlicher Wanderungen zwecks Arbeitsaufnahme, deren Ausgangs-, Durchgangs- oder Zielgebiet sein Land ist, und gegen diejenigen, die unrechtmässig eingereiste Arbeitnehmer beschäftigen, vorzugehen, um die in Artikel 2 dieses Übereinkommens erwähnten Missbräuche zu verhüten und zu beseitigen.

Artikel 4 Die Mitglieder haben in Beratung mit den massgebenden Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer insbesondere die erforderlichen Vorkehrungen auf nationaler und internationaler Ebene zu treffen, um mit anderen Staaten systematische Kontakte und einen Informationsaustausch in dieser Angelegenheit zu pflegen.

Artikel 5 Die nach Artikel 3 und 4 dieses Übereinkommens zu treffenden Massnahmen haben insbesondere darauf abzuzielen, dass gegen die Urheber eines Handels mit Arbeitskräften strafrechtlich vorgegangen werden kann, von welchem Land aus auch immer sie tätig werden.

Artikel 6 1. Im Rahmen der innerstaatlichen Gesetzgebung sind Vorkehrungen zu treffen zur wirksamen Aufdeckung einer unrechtmässigen Beschäftigung von Wanderarbeitnehmern und zur Festsetzung und Anwendung von verwaltungs-, zivil- und strafrechtlichen Sanktionen bis zur Verhängung von Gefängnisstrafen bei unrechtmässiger Beschäftigung von Wanderarbeitnehmern, der Organisierung von Wanderungen zwecks Arbeitsaufnahme, wenn es dabei zu den in Artikel 2 dieses Übereinkommens genannten Missbräuchen kommt, und bei der wissentlichen Beihilfe zu solchen Wanderungen, gleich ob in gewinnsüchtiger Absicht oder nicht.

2. Wird gegen einen Arbeitgeber auf Grund der nach diesem Artikel zu treffenden Vorkehrungen strafrechtlich vorgegangen, so hat er das Recht nachzuweisen, dass er in gutem Glauben gehandelt hat.

Artikel 7 Die massgebenden Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sind in bezug auf die Gesetzgebung und die anderen Massnahmen zur Verhütung und Beseitigung der vorgenannten Missbräuche anzuhören, die in diesem Überein-

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kommen vorgesehen sind, und es ist ihnen die Möglichkeit zuzuerkennen, entsprechende Initiativen zu ergreifen.

Artikel 8 1. Hat sich ein Wanderarbeitnehmer rechtmässig zum Zwecke der Beschäftigung im Lande aufgehalten, so darf seine Lage nicht allein deshalb als rechtsoder ordnungswidrig angesehen werden, weil er seinen Arbeitsplatz verloren hat; der blosse Verlust des Arbeitsplatzes darf nicht den Entzug seiner Aufenthaltserlaubnis beziehungsweise seiner Arbeitserlaubnis zur Folge haben.

2. Dementsprechend ist ihm die gleiche Behandlung zu gewähren wie den eigenen Staatsangehörigen, insbesondere in bezug auf die Sicherheit der Beschäftigung, die Bereitstellung einer anderweitigen Beschäftigung. Notstandsarbeiten und Umschulung.

Artikel 9 1. Unbeschadet der Massnahmen zur Überwachung von Wanderungen zwecks Arbeitsaufnahme, durch die sichergestellt werden soll, dass die Einreise von Wanderarbeitnehmern in das Staatsgebiet und ihre Zulassung zur Beschäftigung im Einklang mit der einschlägigen Gesetzgebung erfolgt, ist dem Wanderarbeitnehmer und seiner Familie in den Fallen, in denen diese Gesetzgebung nicht eingehalten worden ist und seine Lage nicht legalisiert werden kann, Gleichbehandlung hinsichtlich der sich aus seiner früheren Beschäftigung ergebenden Rechte in bezug auf Entlohnung, Soziale Sicherheit und sonstige Leistungen zu gewähren.

2. Im Falle von Streitigkeiten über die im vorstehenden Absatz erwähnten Rechte muss der Arbeitnehmer die Möglichkeit haben, seinen Fall selbst oder durch einen Vertreter einer zuständigen Stelle vorzutragen.

3. Im Falle der Ausweisung des Arbeitnehmers oder seiner Familie sind die Kosten nicht von ihnen zu tragen.

' 4. Keine Bestimmung dieses Übereinkommens hindert die Mitglieder daran, Personen, die sich unrechtmässig in ihrem Land aufhalten oder unrechtmässig in ihrem Land arbeiten, das Recht zum Aufenthalt und zur Aufnahme einer rechtmassigen Beschäftigung einzuräumen.

II. Chancengleichheit und Gleichbehandlung Artikel 10 Jedes Mitglied, für das dieses Übereinkommen in Kraft ist. verpflichtet sich, eine innerstaatliche Politik festzulegen und zu verfolgen, die darauf abzielt, mit den innerstaatlichen Verhältnissen und Gepflogenheiten entsprechenden Metho-

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den die Chancengleichheit und Gleichbehandlung in bezug auf Beschäftigung und Beruf, Soziale Sicherheit, gewerkschaftliche und kulturelle Rechte sowie individuelle und kollektive Freiheiten für Personen, die sich als Wanderarbeitnehmer oder als deren Familienangehörige rechtmässig in seinem Gebiet aufhalten, zu fördern und zu garantieren.

Artikeln 1. Im Sinne dieses Teils des Übereinkommens bezeichnet der Ausdruck «Wanderarbeitnehmer» eine Person, die sich von einem Land in ein anderes Land begibt beziehungsweise begeben hat, um eine unselbständige Beschäftigung aufzunehmen; er schliesst jede Person ein, die ordnungsgemäss als Wanderarbeitnehmer zugelassen worden ist.

2. Dieser Teil des Übereinkommens gilt nicht für a) Grenzgänger; b) Künstler und Angehörige der freien Berufe, die zu einem kurzen Aufenthalt in das Land eingereist sind; c) Seeleute; d) Personen, die ausdrücklich zu Bildungs- oder Ausbildungszwecken einreisen; e) Angestellte von im Gebiet eines Landes tätigen Organisationen oder Betrieben, denen auf Antrag ihres Arbeitgebers die Einreise zur Durchführung besonderer Aufgaben oder Aufträge für einen begrenzten, genau festgelegten Zeitraum gestattet wurde, und die das Land nach Erfüllung ihrer Aufgaben oder Aufträge wieder verlassen müssen.

Artikel 12 Jedes Mitglied hat mit den innerstaatlichen Verhältnissen und Gepflogenheiten entsprechenden Methoden a) die Zusammenarbeit mit den Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer und anderen geeigneten Stellen anzustreben, um die Annahme und Befolgung der in Artikel 10 dieses Übereinkommens vorgesehenen Politik zu fördern; b) Gesetze zu verabschieden und' Bildungsprogramme zu fördern, die geeignet sind, die Annahme und Befolgung dieser Politik zu gewährleisten; c) Massnahmen zu treffen, Bildungsprogramme zu fördern und andere Tätigkeiten zu entwickeln, die darauf abzielen, Wanderarbeitnehmer so weitgehend wie möglich mit dieser Politik, mit ihren Rechten und Pflichten sowie mit Tätigkeiten vertraut zu machen, die ihnen Schutz und eine wirksame Unterstützung bei der Ausübung ihrer Rechte bieten sollen;

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d) gesetzliche Bestimmungen aufzuheben und Verwaltungsvorschriften oder -gepflogenheiten zu ändern, die mit dieser Politik unvereinbar sind; e) in Beratung mit den massgebenden Verbanden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer eine den innerstaatlichen Verhältnissen und Gepflogenheiten entsprechende Sozialpolitik festzulegen und durchzuführen, die es den Wanderarbeitnehmern und ihren Familien ermöglicht, an den seinen Staatsangehörigen zugute kommenden Vorteilen teilzuhaben, und die gleichzeitig ohne Beeinträchtigung des Grundsatzes der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung die etw aigen besonderen Bedürfnisse dieser Personen berücksichtigt, bis ihre Anpassung an die Gesellschaft des Beschäftigungslandes vollzogen ist; f) die Bemühungen der Wanderarbeitnehmer und ihrer Familien zur Wahrung ihrer nationalen und ethnischen Eigenart und ihrer kulturellen Bindungen an ihre Herkunftsländer einschliesslich der Möglichkeit, den Kindern eine gewisse Kenntnis ihrer Muttersprache zu vermitteln, nach besten Kräften zu unterstützen und zu fördern; g) allen Wanderarbeitnehmern, die die gleiche Tätigkeit verrichten, ungeachtet ihrer jeweiligen Beschäftigungsbedingungen Gleichbehandlung in bezug auf die Arbeitsbedingungen zu sichern.

Artikel 13 1. Jedes Mitglied kann alle erforderlichen Massnahmen treffen, die in seinen Zuständigkeitsbereich fallen, und mit anderen Mitgliedern zusammenarbeiten, um die Zusammenführung der Familien aller Wanderarbeitnehmer zu erleichtern, die sich rechtmässig in seinem Gebiet aufhalten.

2. Die Familienangehörigen der Wanderarbeitnehmer, für die dieser Artikel gilt, sind der Ehegatte und, soweit sie unterhaltsberechtigt sind, die Kinder, der Vater und die Mutter.

Artikel 14 Jedes Mitglied kann a; die freie Wahl der Beschäftigung unter gleichzeitiger Gewährung der geographischen Freizügigkeit davon abhängig machen, dass sich der Wanderarbeitnehmer zum Zwecke der Beschäftigung während einer vorgeschriebenen, zwei Jahre nicht übersteigenden Dauer rechtmässig in seinem Gebiet aufgehalten hat, oder, falls seine Gesetzgebung Verträge für eine bestimmte Dauer von weniger als zwei Jahren vorsieht, davon, dass sein erster Arbeitsvertrag abgelaufen ist; b) nach entsprechender Beratung mit den massgebenden Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer die Anerkennung von im Ausland erwor-

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benen beruflichen Befähigungen einschliesslich von Zeugnissen und Diplomen regeln; c) den Zugang zu begrenzten Gruppen von Beschäftigungen oder Tätigkeiten einschränken, wenn dies im Interesse des Staates erforderlich ist.

III. Schlussbestimmungen Artikel 15 Dieses Übereinkommen hindert die Mitglieder nicht daran, multilaterale oder bilaterale Abkommen zur Lösung der sich aus seiner Anwendung ergebenden Probleme zu schliessen.

Artikel 16 1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, kann durch eine seiner Ratifikationsurkunde beigefügte Erklärung entweder den Teil I oder den Teil II von der Annahme des Übereinkommens ausschliessen.

2. Jedes Mitglied, das eine solche Erklärung abgegeben hat, kann diese Erklärung jederzeit durch eine spätere Erklärung widerrufen.

3. Jedes Mitglied, für das eine gemäss Absatz l dieses Artikels abgegebene Erklärung in Kraft ist, hat in seinen Berichten über die Durchführung dieses Übereinkommens über den Stand seiner Gesetzgebung und Praxis in bezug auf die Bestimmungen des von der Annahme ausgeschlossenen Teils Auskunft zu erteilen und anzugeben, in welchem Umfang diesen Bestimmungen entsprochen wurde oder entsprochen werden soll und ferner die Gründe anzugeben, weshalb es sie noch nicht in seine Annahme des Übereinkommens aufgenommen hat.

Artikel 17 Die förmlichen Ratifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung mitzuteilen.

Artikel 18 1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Ratifikation durch den Generaldirektor eingetragen ist.

2. Es tritt in Kraft zwölf Monate nachdem die Ratifikationen zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind.

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3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner Ratifikation in Kraft.

Artikel 19 1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum erstenmal in Kraft getreten ist, durch Anzeige an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung ein.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und innerhalb eines Jahres nach Ablauf des im vorigen Absatz genannten Zeitraumes von zehn Jahren von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht, bleibt für einen weiteren Zeitraum von zehn Jahren gebunden. In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf eines Zeitraumes von zehn Jahren nach Massgabe dieses Artikels kündigen.

Artikel 20 1. Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes gibt allen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation Kenntnis von der Eintragung aller Ratifikationen und Kündigungen, die ihm von den Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

2. Der Generaldirektor wird die Mitglieder der Organisation, wenn er ihnen von der Eintragung der zweiten Ratifikation, die ihm mitgeteilt wird, Kenntnis gibt, auf den Zeitpunkt aufmerksam machen, in dem dieses Übereinkommen in Kraft tritt.

Artikel 21 Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes übermittelt dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zwecks Eintragung nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen vollständige Auskünfte über alle von ihm nach Massgabe der vorausgehenden Artikel eingetragenen Ratifikationen und Kündigungen: Artikel 22 Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat, sooft er es für nötig erachtet, der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und zu prüfen, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

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Artikel 23 1. Nimmt die Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise abändert, und sieht das neue Übereinkommen nichts anderes vor, so gelten folgende Bestimmungen: a) Die Ratifikation des neugefassten Übereinkommens durch ein Mitglied schliesst ohne weiteres die sofortige Kündigung des vorliegenden Übereinkommens in sich ohne Rücksicht auf Artikel 19, vorausgesetzt, dass das neugefasste Übereinkommen in Kraft getreten ist.

b) Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neugefassten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.

2. Indessen bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt jedenfalls in Kraft für die Mitglieder, die dieses, aber nicht das neugefasste Übereinkommen ratifiziert haben.

Artikel 24 Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise massgebend.

(Es folgen die Unterschriften)

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Empfehlung (Nr. 151) betreffend Wanderarbeitnehmer in Beschäftigungsländern

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 4. Juni 1975 zu ihrer sechzigsten Tagung zusammengetreten ist, stellt fest, dass der Internationalen Arbeitsorganisation in der Präambel zu ihrer Verfassung die Aufgabe zugewiesen wird, die «Interessen der im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer» zu schützen; verweist auf die Bestimmungen des Übereinkommens und der Empfehlung über Wanderarbeiter (Neufassung), 1949, und der Empfehlung betreffend den Schutz der Wanderarbeiter (unterentwickelte Länder), 1955, die Angelegenheiten wie die Vorbereitung und Organisation von Wanderungen, Sozialdienste für Wanderarbeitnehmer und ihre Familien, insbesondere vor und während ihrer Reise, die Gleichbehandlung in bezug auf verschiedene in diesen Urkunden aufgeführte Angelegenheiten und die Regelung des Aufenthalts und der Rückkehr der Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen behandeln; hat das Übereinkommen über Wanderarbeitnehmer (ergänzende Bestimmungen), 1975, angenommen; ist der Ansicht, dass weitere Normen in bezug auf Chancengleichheit und Gleichbehandlung, sozialpolitische Massnahmen für Wanderarbeitnehmer und Beschäftigung und Aufenthalt erwünscht sind; hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend die Wanderarbeitnehmer, eine Frage, die den fünften Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form einer Empfehlung erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 24. Juni 1975, die folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend Wanderarbeitnehmer. 1975, bezeichnet wird.

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l. Die Mitglieder sollten die Bestimmungen dieser Empfehlung im Rahmen einer Gesamtpolitik in bezug auf internationale Wanderungen zwecks Arbeitsaufnahme anwenden. Diese Politik sollte auf den wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnissen der Herkunftsländer wie der Beschäftigungsländer beruhen; sie sollte nicht nur den Bedarf und die Reserven an Arbeitskräften auf kurze Sicht, sondern auch die langfristigen sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Wanderungsbewegungen sowohl für die Wanderarbeitnehmer als auch für die betroffenen Gemeinwesen berücksichtigen.

I. Chancengleichheit und Gleichbehandlung 2. Wanderarbeitnehmern und ihren Familienangehörigen, die sich rechtmässig im Gebiet eines Mitglieds aufhalten, sollte in bezug auf folgende Sachfragen tatsächliche Chancengleichheit und Gleichbehandlung wie den Staatsangehörigen des betreffenden Mitglieds gewährt werden: a) Zugang zur Berufsberatung und Arbeitsvermittlung; b) Zugang zur Berufsbildung und Beschäftigung nach eigener Wahl auf Grund der persönlichen Eignung für eine solche Ausbildung oder Beschäftigung, wobei im Ausland und im Beschäftigungsland erworbene Befähigungen zu berücksichtigen sind; ' c) beruflicher Aufstieg entsprechend den persönlichen Eigenschaften, der Erfahrung, den Fähigkeiten und dem Arbeitswillen jedes Einzelnen; d) Sicherheit der Beschäftigung, Bereitstellung einer anderweitigen Beschäftigung, Notstandsarbeiten und Umschulung; e) Entgelt für gleichwertige Arbeit; f) Arbeitsbedingungen einschliesslich Arbeitszeit, Ruhezeiten, bezahlten Jahresurlaubs, Arbeitsschutzmassnahmen und Sozialer Sicherheit sowie Sozialeinrichtungen und -leistungen im Zusammenhang mit der Beschäftigung; g) Zugehörigkeit zu Gewerkschaften, Ausübung gewerkschaftlicher Rechte und Wählbarkeit für gewerkschaftliche Funktionen und in Vertretungsorgane zur Regelung der Arbeitsbeziehungen einschliesslich betrieblicher Vertretungsorgane der Arbeitnehmer; h) das Recht, Genossenschaften jeder Art als Vollmitglieder anzugehören; i) Lebensbedingungen einschliesslich Wohnung, Leistungen der Sozialdienste und Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen.

3. Jedes Mitglied sollte die Anwendung der in Absatz 2 dieser Empfehlung niedergelegten Grundsätze bei allen unter der Aufsicht einer Behörde stattfindenden Tätigkeiten sicherstellen und ihre Beachtung bei allen anderen Tätigkeiten durch Mittel und Wege fördern, die den innerstaatlichen Verhältnissen und Gepflogenheiten entsprechen.

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4. In Zusammenarbeit mit den Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer und anderen beteiligten Stellen sollten geeignete Massnahmen getroffen werden, um a) darauf hinzuarbeiten, dass die oben erwähnten Grundsätze in der Öffentlichkeit Verständnis und Billigung finden.

b) Beschwerden über die Nichtbeachtung dieser Grundsätze zu prüfen und durch Einigungsverfahren oder andere geeignete Mittel die Abstellung von Praktiken zu erwirken, die als diesen Grundsätzen zuwiderlaufend erachtet werden.

5. Jedes Mitglied sollte gewährleisten, dass die innerstaatliche Gesetzgebung über den Aufenthalt in seinem Gebiet so angewendet wird, dass die rechtmässige Ausübung der nach diesen Grundsätzen zustehenden Rechte keinen Grund für die Nichtverlängerung einer Aufenthaltserlaubnis oder für eine Ausweisung bilden kann und dass sie nicht durch die Androhung derartiger Massnahmen behindert wird.

6. Jedes Mitglied kann a) die freie Wahl der Beschäftigung unter gleichzeitiger Gewährung der geographischen Freizügigkeit davon abhängig machen, dass sich der Wanderarbeitnehmer zum Zwecke der Beschäftigung während einer vorgeschriebenen, zwei Jahre nicht übersteigenden Dauer rechtmässig in seinem Gebiet aufgehalten hat, oder, falls seine Gesetzgebung Verträge für eine bestimmte Dauer von weniger als zwei Jahren vorsieht, davon, dass sein erster Arbeitsvertrag abgelaufen ist; b) nach entsprechender Beratung mit den massgebenden Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer die Anerkennung von im Ausland erworbenen beruflichen Befähigungen einschliesslich von Zeugnissen und Diplomen regeln; c) den Zugang zu begrenzten Gruppen von Beschäftigungen oder Tätigkeiten einschränken, wenn dies im Interesse des Staates erforderlich ist.

7. (1) Damit die Wanderarbeitnehmer und Ihre Familien ihre Rechte und Möglichkeiten in bezug auf Beschäftigung und Beruf in vollem Umfang wahrnehmen können, sollten in Beratung mit den massgebenden Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer die erforderlichen Massnahmen getroffen werden.

a) um sie, soweit möglich in ihrer Muttersprache oder andernfalls in einer ihnen geläufigen Sprache, über die ihnen nach der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis zustehenden Rechte in bezug auf die in Absatz 2 dieser Empfehlung behandelten Angelegenheiten zu unterrichten; b) um ihre Kenntnisse der Sprache oder der Sprachen des Beschäftigungslandes zu verbessern, soweit möglich während der bezahlten Arbeitszeit:

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c) um allgemein ihre Anpassung an die Gesellschaft des Beschäftigungslandes zu fördern und die Bemühungen der Wanderarbeitnehmer und ihrer Familien zur Wahrung ihrer nationalen und ethnischen Eigenart und ihrer kulturellen Bindungen an ihre Herkunftsländer emschliesslich der Möglichkeit, den Kindern eine gewisse Kenntnis ihrer Muttersprache zu vermitteln, zu unterstützen und zu fördern.

(2) Wurden zwischen Mitgliedern Vereinbarungen über die kollektive Anwerbung von Arbeitnehmern geschlossen, so sollten diese vor der Abreise der Wanderarbeitnehmer aus ihrem Herkunftsland gemeinsam die erforderlichen Massnahmen treffen, um sie mit der Sprache des Beschäftigungslandes und mit dessen wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Umwelt bekanntzumachen.

8. (1) Unbeschadet der Massnahmen, durch die sichergestellt werden soll, dass die Einreise von Wanderarbeitnehmern und ihren Familien in das Staatsgebiet und ihre Zulassung zur Beschäftigung im Einklang mit der einschlägigen Gesetzgebung erfolgt, sollte in Fällen, in denen diese Gesetzgebung nicht eingehalten wurde, so bald wie möglich eine Entscheidung getroffen werden, damit der Wanderarbeitnehmer weiss, ob seine Lage legalisiert werden kann oder nicht.

(2) Wanderarbeitnehmer, deren Lage legalisiert worden ist, sollten Anspruch auf alle Rechte haben, die gemäss Absatz 2 dieser Empfehlung allen Wanderarbeitnehmern zustehen, die sich rechtmässig im Gebiet eines Mitglieds aufhalten.

(3) Wanderarbeitnehmer, deren Lage nicht legalisiert worden ist oder nicht legalisiert werden konnte, sollten für sich und ihre Familien hinsichtlich der aus ihrer gegenwärtigen und früheren Beschäftigung erwachsenden Rechte in bezug auf Entgelt, Soziale Sicherheit und andere Leistungen sowie im Hinblick auf die Zugehörigkeit zu Gewerkschaften und die Ausübung gewerkschaftlicher Rechte Gleichbehandlung gemessen.

(4) Im Falle von Streitigkeiten über die in den vorstehenden Unterabsätzen erwähnten Rechte sollte der Arbeitnehmer die Möglichkeit haben, seinen Fall selbst oder durch einen Vertreter einer zuständigen Stelle vorzutragen.

(5) Im Falle der Ausweisung des Arbeitnehmers oder seiner Familie sollten die Kosten nicht von ihnen getragen werden.

II. Sozialpolitik 9. Jedes Mitglied sollte in Beratung mit den massgebenden Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer eine den innerstaatlichen Verhältnissen und Gepflogenheiten entsprechende Sozialpolitik festlegen und durchführen, die es den Wanderarbeitnehmern und ihren Familien ermöglicht, an den seinen Staatsangehörigen zugute kommenden Vorteilen teilzuhaben, und die gleichzeitig ohne Beeinträchtigung des Grundsatzes der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung die etwaigen besonderen Bedürfnisse dieser Personen berücksichtigt, bis ihre Anpassung an die Gesellschaft des Beschäftigungslandes vollzogen ist.

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10. Um den echten Bedürfnissen der Wanderarbeitnehmer und ihrer Familien so weitgehend wie möglich zu entsprechen, sollte dieser Politik insbesondere eine Prüfung der Verhältnisse nicht nur in dem Gebiet des Mitglieds, sondern auch in den Herkunftsländern der Wanderarbeitnehmer zugrunde liegen.

11. Bei dieser Politik sollte die Notwendigkeit berücksichtigt werden, die sozialen Kosten der Wanderungen so breitgestreut und gerecht wie möglich auf die gesamte Gemeinschaft des Beschäftigungslandes zu verteilen, insbesondere auf diejenigen, die aus der Arbeit der Wanderarbeitnehmer den grössten Nutzen ziehen.

12. Diese Politik sollte in regelmässigen Zeitabständen überprüft und bewertet und, soweit erforderlich, revidiert werden.

A. Familienzusammenführung 13. (1) Sowohl von den Beschäftigungsländern als auch von den Herkunftsländern sollten alle möglichen Massnahmen getroffen werden, um eine möglichst schnelle Zusammenführung der Familien von Wanderarbeitnehmern zu erleichtern. Zu diesen Massnahmen sollten, soweit erforderlich, der Erlass innerstaatlicher Rechtsvorschriften sowie bilaterale und multialterale Vereinbarungen gehören.

(2) Voraussetzung für die Familienzusammenführung sollte sein, dass der Arbeitnehmer über eine angemessene Unterkunft für seine Familie verfügt, die den üblicherweise für Staatsangehörige des Beschäftigungslandes geltenden Normen entspricht.

14. Vertreter aller Beteiligten, insbesondere der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, sollten in bezug auf die zur Erleichterung der Familienzusammenführung zu treffenden Massnahmen angehört, und ihre Mitarbeit bei der Durchführung dieser Massnahmen sollte angestrebt werden.

15. Im Sinne der in dieser Empfehlung enthaltenen Bestimmungen über die Familienzusammenführung sollten zur Familie eines Wanderarbeitnehmers dessen Ehegatte und. soweit sie unterhaltsberechtigt sind, die Kinder, der Vater und die Mutter gezählt werden.

16. Um eine möglichst schnelle Familienzusammenführung gemäss Absatz 13 dieser Empfehlung zu erleichtern, sollte jedes Mitglied die Bedürfnisse der Wanderarbeitnehmer und ihrer Familien, insbesondere hinsichtlich seiner Wohnungsbaupolitik, der Hilfe bei der Wohnungsbeschaffung und bei der Entwicklung geeigneter Aufnahmedienste voll berücksichtigen.

17. Kann ein Wanderarbeitnehmer, der seit mindestens einem Jahr im Beschäftigungsland beschäftigt ist, seine Familie nicht in dieses Land nachkommen lassen, so sollte er das Recht haben,

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a) während seines bezahlten Jahresurlaubs, auf den er nach der Gesetzgebung und Praxis des Beschäftigungslandes Anspruch hat, in das Land zu reisen, in dem seine Familie sich aufhält, ohne durch das Verlassen des Beschäftigungslandes bereits erworbene Rechte oder die Anwartschaft auf solche zu verlieren, und insbesondere ohne dass während dieser Zeit sein Arbeitsverhältnis beendet oder ihm das Recht zum Aufenthalt im Beschäftigungsland entzogen wird; oder b) während einer mindestens seinem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub entsprechenden Zeitdauer von seiner Familie besucht zu werden.

18. Es sollte die Möglichkeit erwogen werden, den Wanderarbeitnehmern eine Beihilfe zu den Kosten der im vorstehenden Absatz erwähnten Reisen zu gewähren oder die normalen Reisekosten, etwa durch die Veranstaltung von Gruppenreisen, zu ermässigen.

19. Unbeschadet etwa anwendbarer günstigerer Bestimmungen sollten den Personen, die auf Grund internationaler Abkommen über die Freizügigkeit von Arbeitskräften zugelassen worden sind, die in den Absätzen 13 bis 18 dieser Empfehlung vorgesehenen Massnahmen zugute kommen.

B. Gesundheitsschutz der Wanderarbeitnehmer 20. Es sollten alle geeigneten Massnahmen getroffen werden, um alle besonderen gesundheitlichen Gefahren zu verhüten, denen Wanderarbeitnehmer ausgesetzt sein können.

21. (1) Es sollten alle Anstrengungen unternommen werden, um sicherzustellen, dass Wanderarbeitnehmer in Verbindung mit und soweit möglich als Teil ihrer praktischen Ausbildung oder sonstigen beruflichen Vorbereitung auch eine Ausbildung und Unterweisung auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes und der Arbeitshygiene erhalten.

(2) Ausserdem sollte ein Wanderarbeitnehmer während der bezahlten Arbeitszeit und unmittelbar nach Aufnahme seiner Beschäftigung in seiner Muttersprache oder andernfalls in einer Sprache, die ihm geläufig ist, ausreichend über das Wesentliche der Gesetzgebung und über die Bestimmungen von Gesamtarbeitsverträgen betreffend den Schutz der Arbeitnehmer und die Unfallverhütung sowie über besondere Sicherheitsvorschriften und -verfahren informiert werden, die der Art der zu verrichtenden Arbeit entsprechen.

22. (1) Die Arbeitgeber sollten durch alle ihnen zu Gebote stehenden Massnahmen dafür sorgen, dass die Wanderarbeitnehmer den Sinn von Anweisungen, Warnschildern, Symbolen und sonstigen Zeichen, die sich auf den Arbeitsschutz und gesundheitliche Gefahren bei der Arbeit beziehen, vollkommen erfassen.

(2) Sofern die anderen Arbeitnehmern erteilte Ausbildung oder Unterweisung für Wanderarbeitnehmer wegen ihrer mangelnden Vertrautheit mit den

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Arbeitsvorgängen, wegen Sprachschwierigkeiten oder aus anderen Gründen nicht ausreicht, sollte durch besondere Massnahmen dafür gesorgt werden, dass auch für sie diese Ausbildung oder Unterweisung voll verständlich ist.

(3) Die Mitglieder sollten über eine Gesetzgebung zur Anwendung der m diesem Absatz aufgestellten Grundsätze verfügen und vorsehen, dass gegen Arbeitgeber oder andere diesbezüglich Verantwortung tragende Personen oder Organisationen, die diese Gesetzgebung nicht einhalten, verwaltungs-, zivil- und strafrechtliche Sanktionen verhängt werden können.

C. Sozialdienste 23. Gemäss den in Absatz 2 dieser Empfehlung vorgesehenen Bestimmungen sollten die Leistungen von Sozialdiensten auch den Wanderarbeitnehmern und ihren Familien zugute kommen und unter den gleichen Voraussetzungen wie den Staatsangehörigen des Beschäftigungslandes zugänglich sein.

24. Darüber hinaus sollten Sozialdienste zur Verfügung stehen, die für die Wanderarbeitnehmer und ihre Familien insbesondere die folgenden Aufgaben erfüllen: a) Wanderarbeitnehmern und ihren Familien in jeder W'eise dabei behilflich zu sein, sich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Umwelt des Beschäftigungslandes anzupassen; bj Wanderarbeitnehmern und ihren Familien dabei behilflich zu sein, Auskünfte und Rat von den zustandigen Stellen zu erhalten - beispielsweise durch die Bereitstellung von Dolmetsch- und Übersetzungsdiensten -, Verwaltungs-und sonstige Formalitäten zu erledigen und die auf dem Gebiet des Bildungswesens, der Berufsbildung, des Sprachunterrichts, der Gesundheitsdienste, der Sozialen Sicherheit, des Wohnungswesens, des Verkehrswesens, der Erholung und auf ähnlichen Gebieten verfügbaren Leistungen und Einrichtungen voll zu nutzen ; es wird hierbei vorausgesetzt, dass Wanderarbeitnehmer und ihre Familien so weit wie möglich berechtigt sein sollten, sich mit den Behörden des Beschäftigungslandes in ihrer eigenen Sprache oder in einer ihnen geläufigen Sprache zu verständigen, insbesondere im Zusammenhang mit Rechtsbeistand und gerichtlichen Verfahren: c) Behörden und Stellen, die für die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Wanderarbeitnehmern und ihren Familien zuständig sind, bei der Feststellung der Bedürfnisse dieser Personen und bei der Einstellung auf dieselben behilflich zu sein; · ' d) die zuständigen Behörden
bei der Ausarbeitung. Durchführung und Bewertung einer Sozialpolitik für Wanderarbeitnehmer zu informieren und gegebenenfalls zu beraten; e) Arbeitskollegen, Vorarbeiter und andere Vorgesetzte über die Situation und die Probleme der Wanderarbeitnehmer zu unterrichten.

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25. (1) Die in Absatz 24 dieser Empfehlung erwähnten Sozialdienste könnten entsprechend den innerstaatlichen Verhältnissen und Gepflogenheiten durch Behörden, durch anerkannte gemeinnützige Organisationen oder Stellen oder durch eine Verbindung beider erbracht werden. Den Behörden sollte die Gesamtverantwortung dafür obliegen zu gewährleisten, dass diese Sozialdienste den Wanderarbeitnehmern und ihren Familien zur Verfügung stehen.

(2) Die Dienstleistungen, die von den im Interesse der Staatsangehörigen des Beschäftigungslandes tätigen Behörden, Organisationen und Stellen einschliesslich der Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer geboten werden oder geboten werden können, sollten voll genutzt werden.

26. Jedes Mitglied sollte die erforderlichen Massnahmen treffen, um zu gewährleisten, dass für die in Absatz 24 dieser Empfehlung vorgesehenen Sozialdienste genügend Mittel und entsprechend ausgebildetes Personal zur Verfügung stehen.

27. Jedes Mitglied sollte die Zusammenarbeit und Koordinierung zwischen den verschiedenen Sozialdiensten in seinem Gebiet und, soweit angebracht, zwischen diesen Diensten und den entsprechenden Diensten in anderen Ländern fördern, ohne dass jedoch die Staaten durch diese Zusammenarbeit und Koordinierung von ihrer Verantwortung in diesem Bereich entbunden würden.

28. Jedes Mitglied sollte auf nationaler, regionaler oder örtlicher Ebene oder, soweit angebracht, innerhalb eines Wirtschaftszweiges, in dem Wanderarbeitnehmer in grosser Zahl beschäftigt werden, regelmässig Tagungen zum Austausch von Informationen und Erfahrungen veranstalten und zu ihrer Veranstaltung anregen. Auch der Austausch von Informationen und Erfahrungen mit anderen Beschäftigungsländern sowie mit den Herkunftsländern der Wanderarbeitnehmer sollte erwogen werden.

29. Vertreter aller Beteiligten, insbesondere der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, sollten im Zusammenhang mit der Organisation der betreffenden Sozialdienste angehört, und ihre Mitarbeit zur Erreichung der gesetzen Ziele sollte angestrebt werden.

III. Beschäftigung und Aufenthalt 30. In Übereinstimmung mit Absatz 18 der Empfehlung betreffend Wanderarbeiter (Neufassung), 1949, wonach die Mitglieder so weit wie möglich davon absehen sollten, einen ordnungsgemäss in ihrem Gebiet zugelassenen Wanderarbeiter wegen unzureichender Unterhaltsmittel oder wegen der Arbeitsmarktlage aus ihrem Gebiet auszuweisen, sollte einem Wanderarbeitnehmer, der seine Beschäftigung verliert, nicht allein aus diesem Grund die Aufenthaltserlaubnis entzogen werden.

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31 Einem Wanderarbeitnehmer, der seme Beschäftigung verloren hat, sollte genügend Zeit gelassen werden, um eine andere Beschäftigung zu finden, und zwar mindestens so lange, wie er gegebenenfalls Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit hatte, die Aufenthaltserlaubnis sollte dementsprechend -verlängert werden 32 (1) Einem Wandel arbeitnehmer, der gegen die Beendigung seines Abeitsverhaltmsses im Rahmen der gebotenen Möglichkeiten ein Rechtsmittel eingelegt hat, sollte genügend Zeit bis zur Erlangung eines endgültigen Entscheids gelassen werden (2) Wird die Beendigung des Arbeitsverhaltmsses als ungerechtfertigt befunden, so sollte der Wanderarbeitnehmer zu den gleichen Bedingungen wie einheimische Arbeitnehmer Anspruch auf Wiederemstellung. auf Entschädigung für Lohnausfall oder andere Zahlungen auf Grund ungerechtfertigter Beendigung des Arbeitsverhaltnisses oder auf einen neuen Arbeitsplatz mit dem Ansprach auf Entschädigung haben Wird er nicht wieder eingestellt, so sollte ihm genügend Zeit gelassen werden um eine andere Beschäftigung zu finden 33 Ein Wanderarbeitnehmer, gegen den eine Aus\\eisungsverfugung erlassen wird, sollte das Recht haben, vor einer Verwaltungs- oder Genchtsmstanz gemass den in der innerstaatlichen Gesetzgebung niedergelegten Bedingungen ein Rechtsmittel einzulegen Dieses Rechtsmittel sollte die Vollstreckung der Ausweisungsverfugung aufschieben vorbehaltlich der ordnungsgemass begründeten Erfordernisse der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung Der Wanderarbeitnehmer sollte das gleiche Recht auf Rechtsbeistand haben wie Arbeitnehmer, die Staatsangehörige des Beschaftigungslandes sind, und er sollte die Möglichkeit haben, die Hilfe eines Dolmetschers m Anspruch zu nehmen 34 (1) Ein Wanderarbeitnehmer, der das Beschaftigungsland verlasst, sollte ohne Rucksicht darauf, ob sein Aufenthalt m diesem Land rechtmassig war oder nicht, Anspruch haben a) auf das ausstehende Entgelt für geleistete Arbeit emschliesslich der bei Vertragsbeendigung üblicherweise zu zahlenden Entschädigung b) auf Leistungen auf Grund et« a erlittener Arbeitsunfàlle und Berufskrankheiten.

c) gemass den innerstaatlichen Gepflogenheiten i) auf eine Entschädigung für nicht genommenen Jahresurlaub, u) auf die Erstattung von Beitragen zur Sozialen Sicherheit, die nach der innerstaatlichen
Gesetzgebung oder nach internationalen Vereinbarungen keine Leistungsanspruche begründet haben oder begründen, jedoch sollte in den Fallen, in denen Beitrage zur Sozialen Sicherheit keinen Leistungsanspruch begründen können, alles getan werden, um bilaterale oder multilaterale Abkommen zum Schütze der Rechte von Wanderarbeitnehmern abzuschhessen

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(2) Ist ein Anspruch auf die im Unterabsatz (1) erwähnten Leistungen strittig, so sollte der Wanderarbeitnehmer die Möglichkeit haben, seine Interessen vor der zuständigen Stelle vertreten zu lassen, und in bezug auf Rechtsbeistand Gleichbehandlung mit den einheimischen Arbeitnehmern gemessen.

(Es folgen die Unterschriften)

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Anhang 4

Entschliessung über einen Aktionsplan zur Förderung der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung der berufstätigen Frauen

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation stellt fest, dass der Verwirklichung der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung der berufstätigen Frauen nach wie vor Hindernisse entgegenstehen; ist der Ansicht, dass anhaltende Bemühungen auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene erforderlich sind, um diese Hindernisse zu überwinden und um es den Frauen zu ermöglichen, die volle Gleichstellung mit den Männern, ohne Diskriminierung in bezug auf Beschäftigung und Beriuf, Berufsbildung und Arbeits- und Lebensbedingungen, zu geniessen; hat eine Erklärung über die Chancengleichheit und die Gleichbehandlung der berufstätigen Frauen angenommen nimmt den folgenden Aktionsplan an, um die Durchführung der in der Erklärung über die Chancengleichheit und die Gleichbehandlung der berufstätigen Frauen niedergelegten Grundsätze zu gewährleisten:

Grundlegendes Prinzip Jede Massnahme zur Verwirklichung der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung der berufstätigen Frauen muss auf dem grundlegenden Prinzip beruhen, dass alle Menschen (Männer und Frauen) das unbestreitbare Recht auf Arbeit haben.

I. Nationale Massnahmen 1. Allgemeine Politik Die Mitgliedstaaten sollten sich verpflichten, im Rahmen der nationalen Entwicklungsplanung besondere Massnahmen zu treffen, um die Chancengleich-

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heit und die Gleichbehandlung der berufstätigen Frauen in Bildung, Ausbildung, Beschäftigung und Beruf zu fördern, und wirksame Verfahren und Einrichtungen auf dreigliedriger Grundlage und unter Beteiligung der Frauen für die Planung, Anregung und Auswertung solcher Massnahmen und für die Anwendung der Politik der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung auf allen Stufen zu schaffen.

2. Eingliederung der Frauen in die Erwerbsbevölkerung Es sollten Massnahmen getroffen werden, um das Recht auf Arbeit und auf freie Wahl des Berufs zu gewährleisten, und um Frauen zu den gleichen Bedingungen und ohne Diskriminierung in das Berufsleben voll einzugliedern, darunter insbesondere den innerstaatlichen Gegebenheiten entsprechende Massnahmen: a) Durchführung einer Politik der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, die Frauen und Männern die Vollbeschäftigung gewährleistet, und Erschliessung aller Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen durch Beseitigung aller bestehenden Hemmnisse für ihre Beschäftigung in bestimmten Arbeitsbereichen, die auf eine geschlechtsbedingte Arbeitsteilung bzw. auf ihren Familienstand oder ihr Alter gegründet sind; b) Entwicklung einer Beratungs-, Ausbildungs- und Beschäftigungspolitik, die Fähigkeiten, Neigungen und Interessen jedes einzelnen Menschen, unabhängig von seinem Geschlecht, berücksichtigt; c) Anregung und Schaffung echter Möglichkeiten für Frauen, zu höheren Fertigkeits- und Verantwortungsstufen in den jeweiligen Berufen aufzusteigen; d) Analyse regionaler Unterschiede bei der Erwerbsquote von Frauen und bei der Art ihrer Beteiligung an der Erwerbsbevölkerung und positive Massnahmen zur Schaffung gleicher Beschäftigungsmöglichkeiten für Männer und Frauen im Rahmen aller regionalen Entwicklungspläne und -massnahmen; e) ausreichende und angemessene Berücksichtigung der Eingliederung der Frauen in das Berufsleben bei allen nationalen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsplänen und -massnahmen; f) ausreichende und angemessene Berücksichtigung aller besonderen Gruppen von Frauen, die gegebenenfalls besonderen Schwierigkeiten begegnen, wie weibliche Wanderarbeitnehmer, die häufig das Opfer von Diskriminierung und Ausbeutung und ausserdem sozial gefährdet sind; g) Anwendung der gleichen Kriterien auf alle Arbeitnehmer bei Einschränkungsmassnahmen oder Entlassungen;
h) Förderung neuer Einstellungen gegenüber der Beschäftigung von Frauen unabhängig vom Familienstand oder vom Alter (unter Berücksichtigung der Bestimmungen der Übereinkommen und Empfehlungen über das Mindestal-

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ter für die Zulassung zur Beschäftigung) einschliesslich der Förderung positiver Einstellungen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer und ihrer Verbände, der Männer und der Frauen selbst sowie der gesamten Öffentlichkeit gegenüber der Beschäftigung von Frauen; i) stärkere Beachtung der berufstätigen Frauen im ländlichen Bereich, um ihre stärkere Beteiligung an der Erwerbsbevölkerung und an der nationalenEntwicklung zu fördern.

3. Berufsberatung und Berufsbildung Die Chancengleichheit und Gleichbehandlung der Mädchen und Frauen in bezug auf Berufsberatung und Berufsbildung sollte entsprechend den Grundsätzen in dem einschlägigen Teil der Empfehlung betreffend die Berufsberatung und die Berufsbildung im Rahmen der Erschliessung des Arbeitskräftepotentials, 1975, gefördert werden, der wie folgt lautet: «VIII. Förderung der Chancengleichheit für Frauen und Männer in Ausbildung und Beschäftigung

54. (1) Es sollten Massnahmen zur Förderung der Chancengleichheit zwischen Mann und Frau in der Beschäftigung und in der Gesellschaft als Ganzes getroffen werden.

(2) Diese Massnahmen sollten Bestandteil aller wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Massnahmen der Regierungen zur Verbesserung der Beschäftigungslage der Frauen sein und so weit wie möglich folgendes umfassen: a) die Öffentlichkeit und insbesondere Eltern. Lehrer, Berufsberater und Ausbilder, das Personal der Arbeitsvermittlungen und der sonstigen sozialen Dienste, Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten dahingehend aufgeklärt werden, dass es erforderlich ist, Männer und Frauen zu ermutigen, gleiche Rollen in Gesellschaft und Wirtschaft zu übernehmen, und traditionelle Einstellungen gegenüber der Arbeit im Hause und im Beruf zu ändern; b) Mädchen und Frauen sollten eine Berufsberatung über den gleichen weiten Bereich von Bildungs-, Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten erhalten wie Jungen und Männer; sie sollten ermutigt werden, diese Möglichkeiten voll zu nutzen, und es sollten die dafür notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden; c) der gleichberechtigte Zugang von Mädchen und Frauen zu allen Bildungswegen und zur Ausbildung für alle Arten von Berufen, einschliesslich derjenigen, die traditionsgemäss nur für Jungen und Männer zugänglich gewesen sind, sollte, vorbehaltlich der Bestimmungen internationaler Arbeitsübereinkommen und -empfehlungen, gefördert werden;

Bundesblatt 128 Jahrg Bd III

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d) die Fortbildung von Mädchen und Frauen zur Gewährleistung ihrer persönlichen Entwicklung und ihres Aufstiegs zu Fachtätigkeiten und Verantwortungspositionen sollte gefördert und die Arbeitgeber sollten aufgefordert werden, ihnen die gleichen Möglichkeiten zur Erweiterung ihrer Arbeitserfahrung zu bieten wie den Männern mit gleicher Bildung und gleichen Qualifikationen; e) es sollten so weit wie möglich Tagesheime und andere Einrichtungen für Kinder verschiedener Altersgruppen eingerichtet werden, damit Arbeitnehmer mit Familienpflichten Zugang zu einer normalen Berufsbildung haben, und insbesondere Vorkehrungen getroffen werden, z. B. in Form von Teilzeit- oder Fernkursen, regelmässig wiederkehrenden Berufsbildungsprogrammen oder Programmen, die sich auf Massenmedien stützen; f) es sollten Berufsausbildungsprogramme für Frauen über dem normalen Berufseintrittsalter vorgesehen werden, die erstmalig eine Tätigkeit aufzunehmen oder nach einer Unterbrechung wieder berufstätig zu werden wünschen.

55. Ähnliche besondere Berufsbildungsmassnahmen und -programme, wie sie in Absatz 54 Unterabsatz (2) Buchstaben e) und f) der Empfehlung in Aussicht genommen werden, sollten auch Männern mit gleichartigen Problemen zur Verfügung stehen.

56. Bei der Anwendung von Massnahmen zur Förderung der Gleichheit von Mann und Frau in Ausbildung und Beschäftigung sollten das Übereinkommen und die Empfehlung über die Beschäftigungspolitik, 1964, berücksichtigt werden.»

4. Förderung der Chancengleichheit und Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf Es sollten alle erforderlichen Massnahmen getroffen werden, um a) soweit erforderlich, das Übereinkommen (Nr. 100) über die Gleichheit des Entgelts, 1951, das Übereinkommen (Nr. 111) über die Diskriminierung, 1958, und alle anderen einschlägigen Übereinkommen der IAO zu ratifizieren, soweit sie Diskriminierungen auf der Grundlage des Geschlechts betreffen. Die Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sollten, über Gesamtarbeitsverträge oder auf andere Weise, die uneingeschränkte Durchführung der Bestimmungen dieser Urkunden unterstützen; b) alle Formen der Diskriminierung der Frauen in allen Bereichen sozialer und wirtschaftlicher Tätigkeit und auf allen Fertigkeits- und Verantwortungsstufen zu beseitigen; c) Frauen den Zugang zu qualifizierten Beschäftigungen in allen Bereichen sozialer und wirtschaftlicher Tätigkeit und ihre Ausbildung während der Beschäftigung zu gewährleisten;

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d) insbesondere durch staatliche Massnahmen, die Chancengleichheit der Frauen zu fördern, wobei diese Massnahmen die Ausarbeitung von Gesetzen über die Chancengleichheit der berufstätigen Frauen und die Schaffung wirksamer Verfahren und Einrichtungen unter öffentlicher Aufsicht zur Durchführung dieser Gesetze umfassen sollten; und die strikte Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung in allen Bereichen, vor allem soweit sie der öffentlichen Aufsicht unterliegen, zu gewährleisten; e) unter anderem mit Hilfe von Bildungs- und Aufklärungstätigkeiten im Rahmen der Massenmedien und Schulen positive gesellschaftliche Einstellungen gegenüber der Beschäftigung von Frauen, und insbesondere von verheirateten Frauen und Frauen mit Familienpflichten, zu schaffen; f) zu gewährleisten, dass das Recht der Frauen auf Arbeit nicht von der herrschenden Wirtschaftslage oder von anderen Gesichtspunkten abhängt und dass Sozialmassnahmen für Familien daher zu jedem Zeitpunkt ohne Diskriminierung angewandt werden, damit Frauen nicht von einer Beteiligung am wirtschaftlichen Leben abgehalten werden.

5. Soziale Sicherheit Es sollten Massnahmen getroffen werden, um jede diskriminierende Behandlung in Systemen der Sozialen Sicherheit, insbesondere in bezug auf die Zahlung von Beihilfen, zu beseitigen und die Stellung von Familienvorstand und Ledigen in bezug auf ihre Ansprüche auf Leistungen der Sozialen Sicherheit zu überprüfen.

6. Überprüfung von Schutzgesetzen Es sollten Massnahmen getroffen werden, um alle für Frauen geltenden Schutzgesetze unter Berücksichtigung moderner wissenschaftlicher Erkenntnisse und technologischer Fortschritte zu überprüfen und diese rechtlichen Massnahmen entsprechend den innerstaatlichen Gegebenheiten zu ändern, zu ergänzen, auf alle Arbeitnehmer auszudehnen, beizubehalten oder au'sser Kraft zu setzen, um hierdurch die Lebensqualität zu verbessern.

7. Recht auf Mutterschutz Es sollten alle erforderlichen Massnahmen getroffen werden, um a) im Hinblick auf wissenschaftliche Erkenntnisse und technologische Fortschritte den Umfang und die Normen des Mutterschutzes zu erweitern, wobei die entstehenden Kosten von dem jeweiligen System der Sozialen Sicherheit, aus anderen öffentlichen Mitteln oder von Einrichtungen der Sozialpartner getragen werden müssten;

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b) allen Ehepaaren und Einzelpersonen Zugang zu den notwendigen Informationen, Bildungsmöglichkeiten und Mitteln zu gewährleisten, damit sie ihr Grundrecht auf freie und verantwortliche Wahl der Anzahl und des Altersabstandes ihrer Kinder ausüben können; c) weiblichen Arbeitnehmern die Möglichkeit zu bieten, Urlaub von angemessener Länge unmittelbar nach dem Mutterschaftsurlaub zu nehmen, ohne ihre Beschäftigung aufzugeben und unter völliger Wahrung aller Rechte, die sich aus ihrer Beschäftigung ergeben.

8. Ausbau der sozialen Infrastruktur (1) Um das Recht der Frauen auf Beschäftigung ausserhalb des eigenen Haushalts ohne Diskriminierung in der Praxis möglich zu machen, sollten Massnahmen entsprechend den in der Empfehlung (Nr. 123) betreffend die Beschäftigung von Frauen mit Familienpflichten, 1965, aufgestellten Richtlinien getroffen werden, insbesondere: a) die Ausrichtung des Arbeitslebens auf die Bedürfnisse der Arbeitnehmer, soweit dies möglich ist; b) die Bereitstellung von Leistungen und Einrichtungen zur Befriedigung der Bedürfnisse der Kinder aller Altersstufen und der anderen abhängigen Angehörigen der Arbeitnehmer, unter besonderer Berücksichtigung der Notwendigkeit, eine Wanderarbeitnehmerin, unabhängig von ihrem Herkunftsland, nicht von ihren Kindern zu trennen; c) die Bereitstellung von Informationen, Unterstützung, Kommunaldiensten und sozialen Einrichtungen für alle Arbeitnehmer (Männer und Frauen), um die harmonische Wahrnehmung von Haushalts- und Berufspflichten zu erleichtern; d) die Verminderung beschwerlicher Haushaltsarbeiten.

(2) Es sollten, soweit erforderlich, Bildungs- und Aufklärungsmassnahmen getroffen werden, um eine gerechtere Aufteilung der Haushaltspflichten, einschliesslich der Kinderpflege und -erziehung, unter den Familienmitgliedern zu fördern.

(3) Die Zweckmässigkeit gleitender und kürzerer Arbeitszeiten für alle Arbeitnehmer sollte, soweit die innerstaatlichen Gegebenheiten eine solche Massnahme zulassen, eingehend geprüft werden, um eine reibungslose Erfüllung von Familien- und Berufspflichten zu erleichtern und die Chancengleichheit und Gleichbehandlung der berufstätigen Frauen in der Praxis zu fördern.

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9. Verwaltungsvorkehrungen zur Förderung der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung der berufstätigen Frauen Es sollten, soweit erforderlich und zweckmässig, Massnahmen getroffen werden, um a) nationale dreigliedrige Ausschüsse für die Stellung der berufstätigen Frauen zu errichten, deren Aufgabe darin bestehen würde, Massnahmen zur Forderung der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung der Frauen im wirtschaftlichen und im sozialen Leben einzuleiten; b) eine zentrale Stelle oder geeignete Verwaltungseinrichtungen zu schaffen, die als Sekretariat der nationalen Ausschüsse für die Stellung der berufstätigen Frauen fungieren könnten. Diese Stellen oder Einrichtungen sollten die Forschungstätigkeiten und Statistiken, Pläne. Programme und Massnahmen in bezug auf die Chancengleichheit und die Gleichbehandlung der berufstätigen Frauen entwickeln.und aufeinander abstimmen, die Vorbereitung der Frauen auf das Arbeitsleben und ihre Integrierung in die Erwerbsbevölkerung betreffende Kenntnisse und Informationen verbreiten und Möglichkeiten für eine systematische Anhörung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände bereitstellen.

10. Wirksame Teilnahme der Frauen an der Arbeit nationaler, regionaler und internationaler Organe (1) Die wirksame Vertretung der Frauen m allen nationalen Entscheidungsorganen, Regierungsausschüssen. Beiräten, Räten, Konferenzen sowie in allen geeigneten nationalen innerregionalen und kommunalen Organen sollte gewähr; leistet werden.

(2) Es sollten Massnahmen getroffen werden, um zu gewährleisten, dass Frauen auf der gleichen Grundlage und nach den gleichen Nonnen wie Männer bei der Aufstellung von Delegationen zur Internationalen Arbeitskonferenz, zu Regionalkonferenzen der IAO oder zu anderen von der IAO und anderen innerstaatlichen Organisationen einberufenen nationalen, regionalen und internationalen Tagungen berücksichtigt und entsprechend ernannt werden.

11. Allgemeine Massnahmen Um die volle Chancengleichheit und Gleichbehandlung der berufstätigen Frauen zu gewährleisten, sollten Massnahmen ergriffen werden, um a) die Chancengleichheit und die Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer auf den Gebieten: Bildung, Ausbildung, Beschäftigung und Beruf zu erreichen;

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b) die immer noch vorherrschenden traditionellen Einstellungen der Männer und Frauen gegenüber ihren Rollen im Berufsleben, in der Familie und in der Gesellschaft zu verändern.

II. Massnahmen der IAO 1. Regionale Massnahmen Um die Tätigkeit der IAO auf regionaler Ebene zur Förderung der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung der berufstätigen Frauen zu verstärken, sollten Massnahmen getroffen oder in Aussicht genommen werden, und zwar insbesondere : a) die Aufnahme der Frage der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung der berufstätigen Frauen in die Tagesordnung künftiger Tagungen der beratenden Regionalausschüsse und der Regionalkonferenzen; b) die Prüfung der Möglichkeiten regionaler Ausschüsse für Fragen der berufstätigen Frauen, die regionale Aktionsprogramme zur Förderung der Frauen im wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben sowie ihrer Chancengleichheit und Gleichbehandlung einleiten würden, und die Verstärkung des regionalen Aufbaus der Aussenstellen des IAA, damit diese Programme wirksam durchgeführt werden können und damit die IAO in Fragen, die für die Frauen von Bedeutung sind, auf regionaler Ebene eng mit anderen Organisationen im Verband der Vereinten Nationen sowie mit nichtstaatlichen Organisationen, insbesondere mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden, zusammenarbeiten kann; c) die Förderung gemeinsam mit anderen Organen eingehender Untersuchungen über Hindernisse für die Erwerbstätigkeit berufstätiger Frauen bei verschiedenen kulturellen und wirtschaftlichen Gegebenheiten sowie über Möglichkeiten, diese hemmenden Zugänge zu verringern oder zu beseitigen; d) die Gewährleistung, dass die in Verbindung mit dem Weltbeschäftigungsprogramm oder im Rahmen von Vorhaben der technischen Zusammenarbeit von der IAO allein oder in Zusammenarbeit mit anderen Sonderorganisationen der Vereinten Nationen in den verschiedenen Regionen durchgeführten Tätigkeiten zu einer wirksamen Eingliederung der Frauen in den Entwicklungsprozess beitragen, wobei darauf zu achten ist, dass diese Tätigkeiten nicht zu einer Verewigung, Unterstützung oder Förderung von Diskriminierungen der Frauen führen und dass die Durchführung internationaler Arbeitsnormen, insbesondere der Übereinkommen Nr. 100, 103 und 11 gewährleistet ist.

519 2. Internationale Massnahmen (1) Es sollten die erforderlichen Massnahmen getroffen werden, um die Möglichkeiten zu schaffen, a) soweit erforderlich, IAO-Normen betreffend die Beschäftigung von Frauen und andere einschlägige Urkunden, einschliesslich der Übereinkommen Nr. 100 und 111 und alle Schutzurkunden, zu überprüfen und neuzufassen, um festzustellen, ob die darin enthaltenen Bestimmungen im Hinblick auf die seit ihrer Annahme gemachten Erfahrungen weiterhin angemessen sind, und um sie neugewonnenen wissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen anzupassen; b) neue Normen über die Diskriminierung auf der Grundlage des Geschlechts in Bereichen, die von bestehenden Normen nicht erfasst werden, zu entwikkeln und1 die de facto und de jure Gleichstellung aktiv zu fördern.

(2) Es sollten Massnahmen getroffen werden, um Forschungstätigkeiten über Probleme, die für Frauen von besonderem Interesse sind, wie Probleme im Zusammenhang mit den Auswirkungen des technologischen Fortschritts auf Beschäftigung und Beschäftigungsbedingungen der Frauen, der Familienfürsorge und -planung und anderen Aspekten der sozialen Infrastruktur, einzuleiten und zu verstärken. Im ländlichen Bereich der Entwicklungsländer sollten Forschungstätigkeiten über die Probleme der Armut, des Analphabetentums und des Mangels an technischen Fertigkeiten, die eine unmittelbare Auswirkung auf die Beschäftigungsmöglichkeiten und Arbeitsbedingungen der Frauen haben, sowie über Probleme der Familienfürsorge und -planung und anderer Aspekte der sozialen Infrastruktur eingeleitet werden.

(3) Die Industrieausschüsse und ähnliche Organe sollten aufgefordert werden, mehr weibliche Sachverständige einzusetzen, die Lage und die Probleme der berufstätigen Frauen in den jeweiligen Wirtschaftszweigen stärker zu berücksichtigen und die Beteiligung von mehr Frauenvertretern, besonders aus Wirtschaftsbereichen, in denen Frauen die Mehrheit der Beschäftigten bilden, zu fördern.

(4) Es sollten Massnahmen getroffen werden, um den Beitrag und die Stellung der berufstätigen Frauen in einer sich wandelnden Welt am Ende des Zweiten und zu Beginn des Dritten Entwicklungsjahrzehnts zu überprüfen, beispielsweise durch das Ansetzen einer Konferenzaussprache im Jahre 1980, um Fortschritte in Richtung auf bessere praktische Chancengleichheit und Gleichbehandlung
der berufstätigen Frauen zu bewerten und weitere Massnahmen zu diesem Ziel zu planen.

(5) Das Internationale Arbeitsamt sollte Massnahmen treffen, um in seinen eigenen Reihen dadurch ein Beispiel zu geben, dass jede Diskriminierung der Frauen vermieden wird und Frauen in gleicher Weise Zugangsmöglichkeiten zu allen Stellen erhalten. Darüber hinaus sollte eine Abteilung des Internationalen Arbeitsamtes dafür zuständig sein, die Probleme der berufstätigen Frauen einge-

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hender zu untersuchen, ihre Chancengleichheit und Gleichbehandlung zu fördern und zu gewährleisten, dass die Bedürfnisse der berufstätigen Frauen bei allen Aspekten und in allen Bereichen der Tätigkeit des Amtes, einschliesslich Beschäftigung, Ausbildung, Arbeitsbeziehungen, Arbeitsrecht, Arbeitsverwaltung, Soziale Sicherheit und anderer hiermit zusammenhängender Probleme, gebührend berücksichtigt werden. Die Internationale Arbeitsorganisation sollte ferner die bestehende Dreigliedrigkeit neu gestalten und aktivieren, um die Chancengleichheit und Gleichbehandlung für berufstätige Frauen in den genannten sowie in anderen Bereichen zu fördern.

(6) Die IAO sollte in Verbindung mit anderen Stellen und Sachverständigen der betroffenen Länder statistische und sonstige Angaben über Frauen und Männer aus Entwicklungsländern und entwickelten Ländern sammeln und analysieren, soweit sie erforderlich sind, um die Lage der berufstätigen Frauen zu überprüfen und ihren Gesamtbeitrag zum wirtschaftlichen 'und sozialen Leben zu bestimmen.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht über die 60. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz und Botschaft über zwei Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation Vom 1. September 1976

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1976

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04.10.1976

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