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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Erneuerung der Krisenhilfe zugunsten der freiwilligen Krankenversicherung.

(Vom 12. Mai 1986.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, Ihnen den Entwurf eines Bundesbeschlusses über dio Erneuerung der Krisenhilfe an dio freiwillige Krankenversicherung mit folgender Botschaft vorzulegen.

1. Durch den dringlichen Bundesbeschluss vom 27. März 1934 ist den anerkannten Krankenkassen für die Jahre 1934 und 1935 eine ausserordentliche Subvention von jährlich höchstens Fr. 300,000 aus dem eidgenössischen Versicherungsfonds bewilligt worden, zur teilweisen Übernahme von Ausfällen an Mitgliederbeiträgen in diesen Jahren, die infolge der AVirtschaftskrise entstanden sind. Diese Subvention blieb ausdrücklich auf die freiwillige Krankenversicherung beschränkt, indem der Bund bereits auf Grund von Art. 38 des Bundesgesetzes über die Kranken- und Unfallvorsicherung, vom 13. Juni 1911, Kantonen oder Gemeinden, welche die Versicherung allgemein oder für einzelne Bevölkerungsldassen obligatorisch erklären und dabei die Beiträge dürftiger Kassenmitglieder ganz oder teilweise auf sich nehmen, Subventionen bis zu einem Drittel der daherigen Auslagen gewähren kann.

Die Vollziehung der Krisenhilfe in der freiwilligen Versicherung ist dem ßundesrat überlassen worden, der in seiner Verordnung vom 26. Juni 1984/ 17. Juni 1935 die nähern Bestimmungen aufgestellt hat.

2. Die Krisenhilfe in der freiwilligen Versicherung will denjenigen Kassenmitgliedern, die infolge einer durch die Krise verursachten Notlage mit ihren Prämien in Bückstand gekommen sind und die daher Gefahr laufen, auf Grund der Kassenstatuten ihre Mitgliedschaft zu verlieren, deren Aufrechterhaltung durch finanzielle Beteiligung des Bundes an der Deckung der Ausstände erleichtern. In der Tat erscheint es durchaus begründet, dass der Bund Personen, welche, ohne gesetzlich dazu gezwungen zu sein, aus eigenem Antrieb einer anerkannten Krankenkasse beigetreten sind, in der Folge seine Hilfe leihe,

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wenn eine allgemeine Erschwerung der Existenzbedingungen, für die sie nicht verantwortlich sind, die Aufrechterhaltung der Versicherung in Frage stellt.

Solches entspricht überdies dem Gedanken einer Verbindung von Selbsthilfe und Staatshilfe, wie er der bnndesreehtlichen Ordnung der Krankenversicherung in der Form der Subventionierung der anerkannten Krankenkassen zugrunde liegt. Dementsprechend und schon mit Rücksicht auf die Finanzlage des Bundes war bei der Vollziehung des Bundesbeschlusses dafür zu sorgen, dass der gewährte Kredit unter allen Umständen ausreiche und dass auch die Krankenkassen einen erheblichen Teil der Prämienrückstände infolge der Wirtschaftskrise zu ihren eigenen Lasten übernehmen. Endlich und da die Krisenhilfo des Bundes nicht sowohl den Kassen, sondern vor allem den Mitgliedern helfen will, ihre Mitgliedschaft weiterzuführen, erschien es gegeben, von den Kassen, welche auf die Krisenhilfe Anspruch erheben, zu verlangen, dass sie gegenüber den für die Hilfe in Betracht fallenden Mitgliedern die statutarisch vorgesehenen Verzugsfolgen bei nicht rechtzeitiger Bezahlung der Prämien sistieren.

Die Beteiligung des Bundes an der Krisenhilfe besteht nach der Verordnung vom 26. Juni 1934 in der Übernahme der ausstehenden Prämien zur Hälfte vom dritten Monat an, während die Bückstände der beiden ersten Monate voll zu Lasten der Kassen gehen, die auch später mindestens die vom Bunde nicht aufgebrachte Hälfte zu decken haben. Gleichzeitig wurde ein Maximum der für die Krisenhilfe in Betracht fallenden Prämiensätze bestimmt, sowie ausdrücklich die Krisenhili'e auf die Krankenversicherung beschränkt, während andere Versicherungszweige, zu deren Betrieb die anerkannten Krankenkassen nach Art. S des Bundesgesotzes befugt sind, für die Krisonhilfe nicht in Betracht fallen.

Von einer Heranziehung der Kantone und Gemeinden wurde abgesehen, weil nach dem Bundesgesetzo selber die Förderung der freiwilligen Krankenversicherung und die Kontrolle über die anerkannten Krankenkassen ausschliesslich dem Bunde vorbehalten ist, während die Kompetenzen der Kantone, abgesehen von der bundesrechtlichen Delegation zur Einführung des Obligatoriums, sich auf gewisse mit ihrer Medizinalhoheit zusammenhängende Fragen der Beziehungen zwischen der Ärzteschaft und den anerkannten Krankenkassen beschränken. Überdies
war zu berücksichtigen, dass gerade diejenigen Kantone, in denen besonders grosse Beitragsrückstände in der freiwilligen Krankenversicherung bestehen, nicht in der Lage und auch kaum gewillt sein werden, im Hinblick auf die besprochene Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen aus eigenen Mitteln Zuschüsse an die Deckung der Rückstände zu leisten und dass es infolgedessen gegenüber den Vorsicherten und den Krankenkassen unbillig wäre, die Hilfe des Bundes von einer Beteiligung des Kantons abhängen zu lassen. Anderseits sieht dio Verordnung vor, dass, wenn Kantone und Gemeinden ebenfalls eine Krisenhilfe zum nämlichen Zwecke gewähren, der Bund seine Zuwendungen um 10 % erhöhen könne, dies in der Erwartung, dass eine derartige Vermehrung der Bundeshilfe Kantono und Ge-

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meinden zum mindesten zu einer Beteiligung ansporne, sofern ihnen eine solche überhaupt möglich ist.

Im Bundosratsbeschluss vom 17. Juni 1985 sodann wurde, unter Aufrechterhaltung der erwähnten Grundsätze, im einzelnen die getroffene Regelung dahin abgeändert, dass die Kasse selber nur soweit für die Ausfälle an Prämien aufzukommen hat, als unter Berücksichtigung der Verpflichtung des Bundes sowie allfälliger Leistungen von Kanton und Gemeinden die entsprechend verminderten Beitragsrückstände bei den Kassenmitgliedern nicht eingebracht werden können. Es sollte damit den Krankenkassen überlassen werden, von Mitgliedern, die im Prinzip für die Krisenhilfe des Bundes angemeldet sind, das ihnen Zumutbare an Eückständen noch einzubringen, bevor die Kasse selber dafür aufkommt. Sodann wurde im Hinblick auf die Verschärfung der Krise in gewissen Landesgebieten bestimmt, dass das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement ausnahmsweise und auf Zusehen hin für die in diesen Gebieten tätigen Krankenkassen die Übernahme der Hälfte der Beitragsrückstände durch den Bund schon vom ersten ausstehenden Monatsbeitrag anstatt vom dritten gestatten könne. Von dieser Ermächtigung hat das Departement für das Gebiet des Kantons Neuenburg Gebrauch gemacht; ein Gesuch um Anwendung dieser Ausnahme auf ein weiteres Gebiet ist zurzeit beim Departement anhängig.

Die Verordnung vom 26. Juni 1934, welche die Krisenhilfe als Ganzes regelt, sieht endlich bezüglich des Verfahrens vor, dass Krankenkassen, die auf die Hilfe Anspruch erheben, ein bezügliches Gesuch unter Verwendung eines besondern Formulars beim Bundesamt für Sozialversicherung einzureichen haben. In diesem Formular sind die Mitglieder, zu deren Gunsten die Kasse eine Übernahme von Prämionrückständen durch den Bund wegen Krisenfolgen wünscht, namentlich aufzuführen. Die Gesuche werden durch das Amt im einzelnen und gegebenenfalls an Ort und Stelle anhand der Bücher der Kasse nachgeprüft und im Umfange ihrer Berechtigung berücksichtigt.

Die Krisenhilfe ist, wie oben erwähnt, für die Jahre 1984 und 1935 bewilligt worden. Es kamen infolgedessen nur Eückstände aus diesen Jahren in Betracht.

Die Auszahlung des Bundesbeitrages konnte jedoch, da zuvor der Ablauf des Beitragsjahres abgewartet werden musste, zur Hauptsache erst im folgenden Jahre stattfinden.

3. Auf
Grund der eben erörterten strengen und sehr einschränkenden Subventionsbedingungen ist es gelungen, die Aufwendungen des Bundes für die Krisenhilfe in sehr bescheidenem Eahmen zu halten. Für das Jahr 1934 sind insgesamt bloss von 50 Kassen Gesuche um Krisenhilfe beim Bundesamt für Sozialversicherung eingegangen, und es sind dafür Bundesbeiträge im Ausmass von Fr, 88,578.80 zur Ausrichtung gelangt. Ein Teil von Fr. 7655 der genannten Summe entfällt auf die Anwendung von Art. 8 der Verordnung, der das Volkswirtschaftsdepartement ermächtigt, Mitgliedern einer anerkannten Krankenkasse, die infolge von Krisenwirkungen aufgelöst werden muss, den Übertritt in andere anerkannte Kassen zu erleichtern.

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Für das Jahr 1935 können Gesuche noch bis 30. Juni 1986 eingereicht werden. Auch bereits eingelangte Gesuche bedürfen noch der nähern Prüfung, so dass endgültige Mitteilungen über das Mass der Inanspruchnahme der Krisenhilfe durch die Kassen nicht möglich sind. Dagegen dürfte auch für das abgelaufene zweite Beitragsjahr die Summe nicht wesentlich höher sein als der Betrag, der für das Jahr 1984 verlangt und vom Amte anerkannt worden ist, während gemäss dem Bundesbeschluss über die Krisenhilfe für jedes Beitragsjahr ein Kredit von Er. 800,000 zar Verfügung stand.

Aus diesen Zahlen ergibt sich, dass die Krisenhilfe in der vorgesehenen Durchführungsform nur in höchst geringem Masse Wirkungen entfaltet hat.

Es wäre aber verfehlt, daraus zu schliosson, dass ein Bedürfnis für die Hilfe des Bundes nicht bestand. Der wesentlichste Grund ist vielmehr in den oben auseinandergesetzten einschränkenden Bedingungen zu suchen, der vielfach die Krankenkassen davor zurückschrecken liess, sich für die Krisenhilfe anzumelden und sie veranlasste, lieber auf dio Inanspruchnahme des Bundes zu verzichten und dafür die Mitglieder, die mit ihren Prämien längere Zeit im Bückstande waren, nach Massgabe der Kassonstatuten wegen Nichterfüllung ihrer Verpflichtungen auszuschlieesen. Damit war aber den Interessen der infolge der Krise in Bedrängnis geratenen Mitglieder, für die dio Krisenhilfe vornehmlich bestimmt war, nicht gedient, 4. Untor diesen Umständen wird man sich vielleicht fragen, ob eine Erneuerung der Krisenhilfe für die Zukunft überhaupt notwendig sei. Wir möchten diese Frage unbedingt bejahen. In unserer Botschaft vom 11. Dezember 1938, in der wir uns einlässlich über die erstmalige Verwirklichung einer temporären Krisenhilfe aussprachen, haben wir über eine vom Bundesamt für Sozialversicherung bei zahlreichen Krankenkassen durchgeführte Erhebung über die schon im Jahre 1982 bestehenden Prämienrückstände Auskunft gegeben.

Diese Erhebung zeigte damals, dass bei den erfassten Kassen, mit einer gesamten Prämiensumme von ungefähr 26 Millionen Franken, in Wirklichkeit bloss 25 Millionen Franken eingegangen waren, während Prämienrückstände von durchschnittlich 8 % bestanden. Damals standen wir jedoch orst am Beginn der schweren Wirtschaftskrise, welche uns erfasst hat. Seither hat sich die Krise erheblich verschärft,
das Volkseinkommen ist zurückgegangen, und ein Ende des Schrumpfungsprozesses ist vorläufig noch nicht abzusehen. Diese Erscheinungenmachen sich besonders in den breiten Schichten unserer Bevölkerung geltend, die mit bescheidenem Einkommen rechnen müssen, und aus denen sich in weit überwiegendem Masse die Mitglieder der anerkannten Krankenkassen rekrutieren. Es darf somit bestimmt angenommen werden, dass die Ausstände bei den heutigen Verhältnissen noch wesentlich gròsser geworden sind als sie es bereits im Jahre 1932 waren. Wir hielten infolgedessen dafür, es könne mit Becht von einer nochmaligen Sondererhebung Umgang genommen werden, dies ganz besonders, weil derartige Enqueten nicht ohne eine gewisse finanzielle Belastung des Bundes und der Krankenkassen durchgeführt werden können, was heute, da die Lage des Bundes und der Krankenkassen ohnehin finanziell

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angespannt ist, vermieden werden muss. Immerhin sollen einige Zahlen über den Umfang der Ausstände mitgeteilt werden, wie sie den Antwortschreiben einer Eeiho grösscrer Krankenkassen auf ein Zirkular des Konkordates der Schweizerischen Krankenkassen von Ende November 1985 betreffend eine allfällige Erneuerung der Krisenhilfe des Bundes entnommen werden können.

Darnach waren bei der Schweizerischen Grütlikrankonkasse, deren Tätigkeit sich über die ganze Schweiz erstreckt, zu Ende 1985 rund 22 % der Gesamtmitgliederzahl mit ihren Beiträgen für das 8. Quartal 1985 im Bückstande.

Die ausstehende Prämiensumme belief sich auf rund Fr. 115,000. Der Zentralverband ostschweizerischer Krankenkassen, der zur Hauptsache in St. Gallen sowie den benachbarten Gebieten tätig ist und Ende 1985 ungefähr 40,000 Mitglieder zählte, weist rund 8000 Mitglieder auf, die nur mit grösster Mühe die Prämien aufbringen können oder die zum guten Teil infolge der Nichtbezahlung der Prämien aus der Kasse ausgeschlossen werden mussten. Überdies sind zahlreiche Betreibungen notwendig geworden. Ein ähnliches Bild ergibt sich aus den Mitteilungen der Kantonalen Krankenkasse Solothurn mit ungefähr 80,000 Mitgliedern, bei der Ende September 1935 ein Totalbetrag von Fr. 80,000 an ausstehenden Prämien festgestellt wurde, wobei 190 Mitglieder mit ihren Prämien seit 5 Monaten oder mehr im Bückstand waren und die Ausstandssumme den Botrag von ungefähr Fr. 5000 erreichte. Auch bei dieser Kasse waren zahlreiche Betreibungen notwendig, z. B. in einem Monat allein 50 für eine Summe von ungefähr Fr. 2000.

Auf Grund dieser Mitteilungen lässt sich eine Verschlimmerung der Lage der Krankenversicherung im ganzen Lande konstatieren, wobei speziell in den Industriegebieten mit wenigen Ausnahmen, entweder wegen der Arbeitslosigkeit oder wegen des ßückganges der Löhne für zahlreiche Mitglieder die Aufbringung der Krankenkassenprämien viel schwieriger oder gar unmöglich geworden ist.

Anderseits können die Kosten der Krankenpflege infolge der Fortschritte der Medizin und aus andern hier nichtnäher zu erörterndenUrsachennuräusserst schwer gesenkt und dem allgemeinen Bückgang des Volkseinkommens angepasst werden. Gleichzeitig darf bemerkt werden, dass die Verwaltungskosten der meisten Krankenkassen nach den Feststellungen des Bundesamtes für Sozialversicherung
durchaus angemessene und sogar bescheidene sind, wobei natürlich die zunehmenden Schwierigkeiten, welche die Einbringung der Prämien bietet, einer weitem Senkung des Verwaltungskostensatzes hindernd entgegenstehen oder sogar zu oinom höhern Verwaltungsaufwand nötigen, 5. Bei dieser Sachlage haben sich sowohl das Konkordat der Schweizerischen Krankenkassen, das fast sämtliche Kassen der deutschen Schweiz gruppiert, als auch die Fédération des sociétés de secours mutuels de la Suisse romande und in Verbindung mit dieser die ihr angeschlossenen Unterverbände, die Fédération des sociétés de secours mutuels du Jura bernois und die Fédération cantonale neuchâteloise des sociétés de secours mutuels, in deren Gebieten sich die Krise besonders intensiv auswirkt, mit Eingaben an das Bundesamt für Sozialversicherung für eine Erneuerung der Krisonhilfe des Bundes verwendet.

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An einer Konferenz im Amte, an der sowohl führende Vertreter der deutschschweizerischen als auch der westschweizerischen Krankenkassen teilnahmen, wurden die Fragen dor Fortführung der Krisenhilfe, sowie deren Umfang und Modalitäten eingehend besprochen. Dabei ergab eich eine weitgehende Übereinstimmung darüber, dass im grossen und ganzen das bisherige System, wie es in der Verordnung des Bundesrates vom 26. Juni 1934/17. Juni 1985 festgelegt ist, beibehalten werden sollte.

Im folgenden möchten wir uns, ausgehend vomErgebnisdieserBesprechung, noch über einige grundsätzliche Gesichtspunkte, die an der Konferenz zum Ausdruck gelangten, näher auslassen.

6. Dìo Mitglieder der anerkannten Krankenkassen sind entweder Angestellte und Lohnarbeiter oder endlich selbständig Erwerbende, insbesondere Gewerbetreibende, Handwerker, Bauern usw. Infolgedessen war es von vornherein unzulässig, die Krisenhilfe etwa, unter Weglassung der Selbständigen, auf die unselbständig erwerbende Bevölkerung zu beschränken. Die Folgen der Krise wirken sich überall aus, und auch die Stützungsmassnahmen des Bundes in andern Gebieten der Wirtschaft unterscheiden vielfach nicht nach der Form der Erwerbstätigkeit. Sodann war es auch nicht angängig, etwa innerhalb des ganzen Landesgebietes bestimmte Bezirke mit grösserer Arbeitslosigkeit abzugrenzen, in der Meinung, dass die Krisenhilfe des Bundes auf die dort tätigen Krankenkassen zu konzentrieren wäre. Überall gibt es, besonders bei Einbezug der selbständig erwerbenden Personen, kleinere oder grössere Kreise von Kassenmitgliedern, denen heute die Aufbringung der Prämien schwer fällt, und ganz besonders auf dem Lande und in den Gebirgsgegenden, wo es ohnehin oft an genügenden Barmitteln fehlt, stösst der Beitragseinzug auf zunehmende Erschwerungen.

Gestützt auf diese Erwägungen gelangte man schon im ersten Bundesbeschlusse über die Krisenhilfe an die Krankenversicherung dazu, sie jodermann zugänglich zu machen, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt waren, wie sie in dor Folge in der bundesrätlichen Verordnung vom 26. Juni 1984 festgesetzt worden sind. An diesem aus der Natur unserer Krankenversicherung sich ergebenden System möchten wir in Gutheissuug dor an der vorstehend erwähnten Konferenz gefallenen Anträge auch für die Zukunft festhalten.-" Die Krisenhilfe ist sodann im
Bundesbeschluss des Jahres 1933 selber auf die freiwillig vorsicherten Mitglieder der Krankenkassen beschränkt worden.

Was dagegen die Mitglieder betrifft, die entweder zufolge eines kantonalen oder oines gemeindeweise verhängten Obligatoriums einer Krankenkasse beitreten müssen, so steht es ihnen frei, bei der öffentlichen oder einer Vertragskrankenkasse sich zu versichern, oder endlich bei einer privaten Kasse Versicherung zu nehmen, dio im Bereich des Obligatoriums ihre Tätigkeit ausübt.

Der bereits eingangs zitierte Art. 88 des Bundesgesetzes hinsichtlich der Bundessubventionen an die Übernahme unerhältlicher Beiträge obligatorisch verBundesblatt. 88. Jahrg. Bd. I.

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870 sicherter Personen durch Kantone und Gemeinden überlässt es diesen, zu bestimmen, ob sie für unerbältliche Beiträge obligatorisch versicherter Personen zugunsten aller Krankenkassen einstehen oder ob sie sich darauf beschränken wollen, bloss die Beitragsverpflichtungen gegenüber den öffentlichen und den Vertragskrankenkassen abzulösen. Da der Bund sich hier bloss an den Aufwendungen der Kantone und Gemeinden beteiligt, so hängt es von der getroffenen Entscheidung dieser ab, ob Mitglieder, die ihre Versicherungspflicht in einer privaten Kasse erfüllen, die in keiner engern Beziehung zum Kanton oder der Gemeinde steht, von den Bundesbeiträgen Nutzen ziehen können. Einzelne Kantone und Gemeinden haben die Übernahme der Prämien für bedürftige Kassenmitglieder im Sinne des Art, 88 auf die Angehörigen der öffentlichen und der Vertragskrankenkassen beschränkt, so dass an diesen Orten die Mitglieder, welche ihrer Versicherungspflicht anderwärts genügen, leer ausgehen.

Infolgedessen ist von verschiedenen Seiten vorlangt worden, es sollte die bisherige Krisenhilfe zugunsten der freiwilligen Versicherung wenigstens auf die soeben erwähnte Kategorie obligatorisch versicherter Personen erstreckt werden. Wir möchten diesem Verlangen nicht stattgeben. Im Prinzip ist festzuhalten, dass die Krisenhilfe in erster Linie den Kassenmitgliedern die weitere Aufrechterhaltung ihrer Mitgliedschaft und ihrer Zugehörigkeit zur Versicherung, die durch die Krisenwirkungen gefährdet erscheint, ermöglichen will.

Dies ist aber nur notwendig bei freiwillig, d. h. aus eigenem Antrieb versicherten Personen, Wo dagegen ein Obligatorium in Frage kommt, werden Mitglieder, welche bis dahin ibre Versicherungspflicht bei einer privaten Kasse erfüllten, sofern sie wegen Nichtbezahlung der Prämien aus dieser Kasse ausgeschlossen werden müssen, von Amtes wegen, wie es auch dem Wesen der Zwangsversicherung entspricht, den öffentlichen Kassen oder den Vertragskrankenkassen zugeteilt, die sich gegenüber dem Gemeinwesen zur Versicherung sämtlicher Personen verpflichtet haben, die ihrer Versicherungspflicht nicht mehr anderwärts genügen oder genügen können. Die Versicherung entfällt somit in diesen Fällen keineswegs im Zeitpunkt des allfälligen Ausschlusses aus einer privaten Kasse; ein Grund für die Intervention der Krisenhilfe des Bundes
liegt nicht vor. Endlich ist auch zu berücksichtigen, dass die Kantone und Gemeinden an die Krisenhilfe des Bundes zugunsten der freiwilligen Krankenversicherung nichts beizutragen haben. Es darf ihnen infolgedessen wohl zugemutet werden, auch für die Prämien obligatorisch versicherter Personen, die in privaten Kassen ihre Versicherungspflicht erfüllen, wenigstens teilweise aufzukommen, dies um so mehr, als ja auch der Bund nach Art. 38 des Gesetzes ihnen an ihre daherigen Aufwendungen, wie eingangs erwähnt, maximal einen Drittel zurückvergüten kann.

7. Im weitern wurde an der vorerwähnten Konferenz der Kassenvertreter einhellig der Auffassung Ausdruck gegeben, es sollte das bisherige System der Krisenhilfe auch m verwaltungstechnischer Beziehung aufrechterhalten werden. Wie oben erwähnt wird die Hilfe von Seiten des Bundesamtes für Sozialversicherung denjenigen Krankenkassen ausgerichtet, welche unter

871 Anführung der einzelnen hilfsbedürftigen Mitglieder im Sinne der bundesrätlichen Verordnung die Bundesunterstützung verlangen. Gewiss weist dieses Verfahren Mängel und Schwerfälligkeiten auf. Nicht nur bringt die Führung des namentlichen Verzeichnisses den Krankenkassen ein Mehr an Verwaltungsarbeit, auch die Kontrolle der Verzeichnisse durch das Bundesamt und vor allem die Überprüfung des Gesuches daraufhin, ob wirklich die verordnungsgemäss bezeichneten Krisenfolgen für jedes einzelne auf das Verzeichnis aufgetragene Mitglied die Hilfe des Bundes rechtfertigen, ist sehr oft nicht leicht.

Das Amt hat denn auch wiederholt die Frage aufgeworfen, ob das bestehende System, das sich im übrigen zwar durchaus bewährt hat, nicht durch ein einfacheres ersetzt werden könnte. Dabei wurde insbesondere daran gedacht, von den Krankenkassen die Ausscheidung eines gewissen Teiles ihres Vermögens in einem besondern Fonds zwecks Übernahme rückständiger Beiträge durch die Kassen zu verlangen, in der Meinung, dass der Bund an diesen Spezialfonds einen Beitrag leisten würde, abgestuft nach dem Masse der Belastung der einzelnen Kassen durch die Übernahme von Beitragsrückständen. Bei diesem System wäre vom Amte bei jeder Kasse auf Grund ihrer Betriebsrechnungen und gegebenenfalls durch Untersuchung an Ort und Stelle abzuklären, wie gross die Bestände an Mitgliedern sind, die zufolge der Wirtschaftskrise nicht mehr oder nur noch mit grossen Verspätungen in der Lage sind, ihren Prämienverpflichtungen gegenüber der Kasse nachzukommen. Gestützt auf die Feststellungen des Amtes wären für jeden einzelnen Fall hierauf die Beiträge an den Prämienhilfsfonds der Kasse, der auch von mehreren Krankenkassen zusammen gebildet werden könnte, zu bemessen. So sehr aber auch auf den ersten Blick ein solches Verfahren wegen seiner anscheinenden Einfachheit einzuleuchten vermag, glauben wir doch, es sollte von seiner Einführung abgesehen und das schon bisher geltende System auch weiterhin beibehalten werden.

Es ist in der Tat die Befürchtung nicht von der Hand zu weisen, dass gerade wegen der vorangehenden Untersuchungen durch das Bundesamt für Sozialversicherung bei den Krankenkassen die Ansprüche auf eine Krisenhilfe des Bundes wachsen. Die Errichtung eines besondern Hilfsfonds der einzelnen Krankenkassen dürfte die Begehrlichkeit
auf einen Bundesbeitrag an diesen Fonds im allgemeinen eher erhöhen, während beim gegenwärtigen System die Krankenkassen darnach trachten werden, solange sie nur vereinzelte Mitglieder haben, die ihre Beiträge nicht zahlen können, sich ohne Intervention des Bundes zu behelfen. Endlich kommt noch in Betracht, dass die Vermögenserträgnisse der meisten Krankenkassen bei der Berechnung der Prämien, welche die Mitglieder zu leisten haben, berücksichtigt und infolgedessen für diesen Zweck im Kassenhausbalt gebunden sind. Die Ausscheidung von besondern Prämienhilfsfonds dürfte daher in vielen Fällen die grössten Schwierigkeiten bieten und eine Lücke in der Finanzgebarung eröffnen, die auf andere Weise wieder ausgefüllt werden müsste. Auch die Erfahrungen der vom Bundesamt für Sozialversicherung in der Konferenz angehörten Vertreter und Verwalter grösserer Krankenkassen, die dahin gehen, dass das bisher angewendete System trota

872 aller Schwächen vor andern den Vorzug verdient, lassen es als angezeigt erscheinen, an ihm festzuhalten.

8. Dagegen erscheint eine gewisse Lockerung der Belastung der Krankenkassen aus der Krisenhilfe des Bundes zugunsten ihrer Mitglieder notwendig.

Sie ist auch an der mehrerwähnten Konferenz allseitig und mit Entschiedenheit verlangt worden, beschränkt sich aber materiell darauf, dass der Bund, statt dass er, wie bisher, erst vom dritten Monat an die Hälfte der ausstehenden Beiträge zu übernehmen hat, in Zukunft im gleichen Verhältnis schon vom ersten Monat an seinen Beitrag leisten würde. Die im Abänderungsbeschluss vom 17. Juni 1985 vorgesehene Ausnahme zugunsten der freiwilligen Versicherung in ausgesprochenen Krisengebieten würde damit zur allgemeinen Begel erhoben. Ein solches Verlangen erweist sich -wegen der Zunahme und Verschärfung der Krise wohl als ohne weiteres berechtigt. Da mit der Aufnahme eines Mitgliedes auf das von der Kasse eingereichte Gesuch um Krisenhilfe die Pflicht verbunden ist, vom statutarisch zulässigen Ausschluss Umgang zu nehmen, wird diese Aufnahme wie schon bisher in der Eogel erst stattfinden, wenn die Kasse dem Mitglied die Beiträge schon seit einiger Zeit gestundet hat, nunmehr aber, schon wegen ihrer finanziellen Belastung, nicht wohl länger zuwarten kann. Das Prinzip, dass die Bundeshilfe anknüpfe an eine vorgängige und auch in Zukunft gleichmässige Anstrengung der Kasse, wird somit auch aufrechterhalten, wenn man diese Belastung durch die sofortige teilweise Intervention im Sinne der Streichung der zweimonatigen Karenzzeit, für welche die Kasse allein einzustehen hat, mildert. Eine erheblich stärkere Inanspruchnahme des Bundes infolge von eintretenden Missbräuchen ist auch beim neuen System daher nicht zu befürchten. Gerade die günstigen Erfahrungen, die man mit dem gegenwärtigen Bundesbeschluss gemacht hat, lassen die Erwartung als berechtigt erscheinen, dass auch nach Verwirklichung der erörterten Lockerung und trotz der Erschwerung der Wirtschaftslage die Gesuche der Kassen sich in durchaus angemessenen Grenzen halten werden.

9. Im abgelaufenen Bundesbeschluss vom 27. März 1984 ist, wie bereits erwähnt, für die Krisenhilfe ein jährlicher Betrag von Fr. 800,000 ausgesetzt worden. Diese Summe wurde dem eidgenössischen Versicherungsfonds entnommen,
der nach seiner Zweckbestimmung in erster Linie dienen soll, die Zuwendungen des Staates an die Einrichtungen der Kranken- und Unfallversicherung zu finanzieren, wenn die Schwierigkeiten der Lage, wie heute, nicht gestatten, auf dem Budgetwege dafür aufzukommen. Der Versicherungsfonds beträgt, trotz Einstellung seiner Verzinsung gemäss Art. 19 des Überbrückungsprogramms, gegenwärtig noch etwa 10 Millionen Franken.

Wenn man die neue Krisenhilfe an die Krankenversicherung, wie wir es vorschlagen, für die Jahre 1936 und 1987 auf dem jährlichen Betrag von Er. 300,000 belässt, in der Meinung, dass bis zum Ablauf des Jahres 1987 bestimmte, in der Botschaft zum Überbrückungsprogramm in Aussicht gestellte Vorschläge über die Neuordnung der Krankenversicherung vorliegen sollen,

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so wird durch die zukünftige Entnahme von insgesamt maximal Fr. 600,000 aus dem Versicherungsfonds dessen Bestand nicht wesentlich vermindert.

Nach Ablauf dieser Periode von 2 Jahren werden wir wahrscheinlich in der Krankenversicherung vor einer umfassenden Neuordnung stehen. Dannzumal wird sich erweisen, ob die Krisenhilfe noch weiterhin notwendig sein wird und, wenn ja, welche Form im Eahmen der allalligen Neuordnung der staatlichen Finanzen und der Krankenversicherung ihr gegeben werden kann.

Aus allen diesen im Vorstehenden angebrachten Erwägungen beehren wir uns, Ihnen den nachfolgenden Entwurf eines Bundesbeschlusses mit dem Ersuchen um Zustimmung zu unterbreiten.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 12. Mai 1986.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates: Der Bundespräsident : Meyer.

Der Bundeskanzler: G. Bovet.

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(Entwurf.)

Bundesbeschluss über

die Gewährung einer Krisenhilfe an die freiwillige Krankenversicherung.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Art. 34bis der Bundesverfassung, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 12. Mai 1936, beschliesst :

Art. 1.

Der Bund gewährt für die Jahre 1936 und 1987 den anerkannten Krankenkassen mit freiwilliger Krankenversicherung eine ausserordentliche Subvention von höchstens 300,000 Franken jährlich zur teilweisen Übernahme von Ausfällen an Mitgliederbeiträgen, die infolge der Wirtschaftskrise entstanden sind.

Art. 2.

Die Subvention wird aus dem eidgenössischen Versicherungsfonds geleistet.

Art. 3.

Der Bundesrat setzt die Bedingungen für die Gewährung der Subvention fest.

Art. 4.

Der Beschluss wird als dringlich erklärt und tritt sofort in Kraft.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Erneuerung der Krisenhilfe zugunsten der freiwilligen Krankenversicherung. (Vom 12. Mai 1936.)

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