Rechtmässigkeit und Wirksamkeit des Funkaufklärungssystems «Onyx» Bericht vom 9. November 2007 der Geschäftsprüfungsdelegation der Eidgenössischen Räte Stellungnahme des Bundesrates vom 14. März 2008

Sehr geehrter Herr Präsident der Geschäftsprüfungsdelegation Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht vom 9. November 2007 der Geschäftsprüfungsdelegation über die Rechtmässigkeit und Wirksamkeit des Funkaufklärungssystems «Onyx» nehmen wir nach Artikel 158 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

14. März 2008

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Pascal Couchepin Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

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Stellungnahme Der Bundesrat hat von der Verabschiedung des jüngsten Berichts zum Aufklärungssystem Onyx Kenntnis genommen. Zum gleichen Thema hat die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) bereits vor vier Jahren einen umfassenden Bericht veröffentlicht, zu dem der Bundesrat im Frühjahr 2004 schriftlich Stellung genommen hat.

Der Bundesrat anerkennt die aus den beiden Berichten deutlich erkennbare Absicht der GPDel, die Tätigkeiten der Nachrichtendienste allgemein sowie die Entwicklungen im Bereich der Funkaufklärung im Besonderen eng zu verfolgen und kritisch zu begleiten, auf allfällige Schwächen oder Mängel hinzuweisen sowie entsprechende Verbesserungsmassnahmen abzuleiten und als Empfehlungen gegenüber der Regierung und Verwaltung zu deponieren.

Der Bundesrat stellt fest, dass er mit den von der Delegation abgegebenen Empfehlungen in weiten Teilen einverstanden ist. Die sechs Empfehlungen aus der ersten Berichterstattung sowie die teils deckungsgleichen beziehungsweise erneuerten Empfehlungen im aktuell zur Diskussion stehenden Bericht werden insgesamt als wertvolle Orientierungspunkte für weitere Optimierungen im Bereich der nachrichtendienstlichen Funkaufklärung gesehen. Nicht in allen Teilen einverstanden ist er jedoch mit gewissen Feststellungen und Einschätzungen im neuesten Bericht, insbesondere bei der Abhandlung der Themenfelder «Wirksamkeit von Onyx» und «Mehrjahresbeschaffungsstrategie des SND». Der Bundesrat verzichtet an dieser Stelle auf umfassende Gegendarstellungen und beschränkt sich in seiner Stellungnahme vor allem auf die Erörterung der von der parlamentarischen Aufsicht abgegebenen Empfehlungen.

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Zum Bericht im Allgemeinen

Aus der umfassenden Berichterstattung der GPDel vom 9. November 2007 nimmt der Bundesrat mit Befriedigung zur Kenntnis, dass in den letzten Jahren in verschiedener Hinsicht wesentliche Fortschritte im Bereich der Aufklärung von Satellitenkommunikationen durch die Nachrichtendienste erreicht werden konnten. Für den Bundesrat sind insbesondere die im Bericht klar zum Ausdruck kommenden Feststellungen von besonderer Bedeutung, dass: ­

das Aufklärungssystem Onyx rechtmässig eingesetzt wird,

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das äusserst komplexe System technisch funktioniert und unter Einhaltung der Termine und Kosten im Lauf des Jahres 2006 planmässig den Vollbetrieb aufnehmen konnte,

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das System gute Ergebnisse zuhanden der Nachrichtendienste zu liefern vermag,

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sich die Schaffung einer unabhängigen interdepartementalen Kontrollinstanz (UKI) bewährt hat,

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die zuständigen Stellen sich mit grossem Aufwand und viel Engagement seit Jahren für weitere System- und Prozessanpassungen einsetzen, um einen optimalen Systemnutzen generieren zu können,

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bisher alle Empfehlungen sowohl der UKI wie auch der parlamentarischen Aufsicht von den zuständigen Stellen entgegengenommen und mehrheitlich bereits umgesetzt worden sind.

Der Bericht der GPDel zeigt hingegen zutreffend auch auf, dass trotz aller Fortschritte und Erfolge beim Systemaufbau und -betrieb von Onyx noch weitere Verbesserungen angestrebt und erzielt werden müssen. Hauptsächlichen Handlungsbedarf sieht die parlamentarische Aufsicht bei Verbesserungen der Wirksamkeit von Onyx, bei der Formulierung einer neuen, den heutigen Realitäten umfassend gerecht werdenden ND-Beschaffungsstrategie sowie bei der raschen EMRK-kompatiblen Ausgestaltung der gesetzlichen Grundlagen für das System Onyx. Dieser Beurteilung entsprechend hat die GPDel in ihrem neuesten Bericht drei Empfehlungen formuliert.

Dieser Handlungsbedarf wird im Grundsatz weder vom Bundesrat noch von dem in dieser Sache primär betroffenen Departement (VBS) bestritten. Wie die GPDel in ihrer Medienmitteilung zum Bericht von Ende November 2007 selbst festhält, sind die Rechtsetzungsarbeiten zur EMRK-kompatiblen Ausgestaltung der Rechtsgrundlagen für Onyx bereits am Laufen. Die baldige Rechtsabgleichung und somit Erledigung der Sache ist absehbar.

Hingegen bedauert der Bundesrat, dass in Bezug gerade auf den Themenkreis rund um die Verbesserung der Wirksamkeit des Systems Onyx, die von den zuständigen Stellen in jüngster Vergangenheit gemachten Überlegungen kaum adäquat in den Bericht Eingang gefunden haben. Diese Umstände vermögen in gewissen Abschnitten des Berichts leider den tatsachenwidrigen Eindruck zu begünstigen, dass das zuständige Departement (VBS) sowie dessen Fachstellen die Kernprobleme schlicht nicht erkannt hätten oder einfach untätig gewesen seien sowie einen unverhältnismässigen internen Kontrollaufwand betrieben. Dies rührt vermutlich daher, dass im Bericht notgedrungen aus verschiedenen einzelnen Beobachtungen unvermittelt Gesamtschlüsse gezogen werden.

Der Bundesrat legt grossen Wert auf die Feststellung, dass der Aufbau, der Betrieb sowie die Weiterentwicklung eines Funkaufklärungssystems wie Onyx eine in verschiedener Hinsicht (u.a. technisch, rechtlich, führungsmässig) äusserst anspruchsvolle Aufgabe darstellt. Dies wird in der Berichterstattung der Delegation nur ganz am Rande erwähnt. Die Einführung eines auch für die Schweiz völlig neuartigen, hochmodernen und komplexen Aufklärungssystems verlangt zwingend nach einem etappierten Vorgehen. Für jeden Teilschritt ist das entsprechende
Knowhow aufzubauen. Machbarkeiten sind in experimentellen Schritten auszuloten. Über Praxiserfahrungen sind notwendige Optimierungen für den Systembetrieb sowie für Weiterentwicklungen und Nutzungsverbesserungen zu erreichen. Das bedeutet aber auch, dass diesbezüglich nicht alles im Voraus genau plan- und voraussehbar ist und die vermeintlich perfekten Lösungen nicht auf Anhieb zu haben sind.

Der Bundesrat ist sich bewusst, dass es in den letzten Jahren bei der Umsetzung einzelner Optimierungsmassnahmen im ND- resp. Onyx-Kontext gelegentlich Verzögerungen gegeben hat. Dies ist aber keineswegs auf mangelnden Willen oder mangelndes Engagement zurückzuführen. Vielmehr waren die zuständigen Stellen gefordert, die unkoordiniert eintreffenden Reformierungsforderungen in einen logischen, interdepartemental (VBS, EJPD, EDA) und möglichst «top down» zu führenden Aufarbeitungsprozess unter Berücksichtigung verschiedenster Abhängig-

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keiten zu integrieren. Der Bundesrat verweist an dieser Stelle exemplarisch auf das von ihm Ende Januar 2007 verabschiedete ND-Paket.

Insgesamt hält der Bundesrat fest, dass, auch wenn Optimierungen noch möglich sind, die verantwortlichen Stellen bis heute das sehr komplexe und anspruchsvolle Projekt Onyx im Rahmen der Vorgaben erfolgreich entwickelt und umgesetzt sowie dabei stets eine grosse Beweglichkeit und Lernbereitschaft gezeigt haben.

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Zu den Empfehlungen

Zur Empfehlung 1 der GPDel Wortlaut der Empfehlung 1: Die GPDel fordert den Bundesrat auf, umgehend auf Verordnungsstufe die auftraggebenden Stellen von Onyx aufzuführen. Auch verlangt die GPDel vom Bundesrat, dass er ihr im Anschluss an die Behandlung des nächsten Jahresberichts der UKI Bericht erstattet, ob Onyx in Übereinstimmung mit der EMRK weiter betrieben werden kann.

Der Bundesrat ist bereit, die Empfehlung 1, die bereits auf dem Wege der Umsetzung ist, entgegenzunehmen: Das VBS hat bereits eine Revision der Verordnung über die elektronische Kriegführung (VEKF) in Angriff genommen. Diese sieht vor, dass die Auftraggeber des Satellitenaufklärungssystems Onyx im Verordnungstext ausdrücklich aufgeführt werden.

Der Bericht über die EMRK-Kompatibilität des Systems Onyx wird der GPDel wie gewünscht im Anschluss an den Jahresbericht 2007 der UKI erstattet.

Zur Empfehlung 2 der GPDel Wortlaut der Empfehlung 2: Die GPDel empfiehlt dem Bundesrat, das VBS zu beauftragen, eine von den Nachrichtendiensten unabhängige Verwaltungskontrolle aufzubauen, welche die Wirksamkeit insbesondere von Onyx prüft.

Der Bundesrat ist bereit, die Empfehlung 2 zu prüfen und gegebenenfalls umzusetzen: Wie aus dem Bericht hervorgeht, kommt dem Verbund der nachrichtendienstlichen Beschaffungssensoren insbesondere bei der Aufklärung asymmetrischer Ziele (d.h.

global vernetzte, nichtstaatliche Akteure) immer grössere Bedeutung zu. Aus diesem Grund erscheint eine zusätzliche Fraktionierung der Wirksamkeitskontrolle zum gegenwärtigen Zeitpunkt als wenig zielführend. Sie widerspricht auch dem angestrebten Paradigmenwechsel hin zu der horizontalen Vernetzung und der integralen Kontrolle der Wirksamkeit der gesamten Leistung der nachrichtendienstlichen Beschaffungs- und Auswertemittel. Erst im Rahmen der allfälligen Schaffung eines 2574

Sicherheitsdepartements bzw. der Unterstellung der Nachrichtendienste unter eine politische Führung erachtet der Bundesrat diese Art der Wirksamkeitskontrolle als prüfenswert; dabei wird der Definition von aussagekräftigen und objektiven Messkriterien zur Beurteilung des nachrichtendienstlichen Mehrwerts der Sensoren besondere Beachtung zu schenken sein.

Der Bundesrat erachtet daher unter den gegebenen Umständen und angesichts der bereits existierenden Kontrollorgane (Linienführung, FINDel, GPDel und UKI) den Aufbau einer zusätzlichen Verwaltungskontrolle als wenig sachdienlich. Dies vor allem, weil dadurch der Ressourcenaufwand für die nachrichtendienstliche Beschaffung einerseits und der Kontrollaufwand andererseits in ein Missverhältnis geraten würden. Zudem sollten nach Ansicht des Bundesrates weitere Parallelitäten in der Wahrnehmung von Kontrollaufgaben vermieden werden. Die Praxis hat gezeigt, dass trotz der im Bericht erwähnten Bemühungen der Aufsichtsorgane jede zusätzliche Kontrolle eben doch erheblichen Mehraufwand bei den Nachrichtendiensten generiert. Für das Jahr 2006 beispielsweise betrug der Kontroll- und Reportingaufwand im SND über 300 Arbeitstage d.h. er entsprach der Leistung von mehr 150 Stellenprozenten, und zwar allesamt auf der Führungsstufe.

Eine beschränkte Wirksamkeitskontrolle von Onyx kann die UKI wahrnehmen, welche schon die Rechts- und Verhältnismässigkeit der strategischen Funkaufklärung überprüft; allerdings nur insofern sie im Zusammenhang mit der Beurteilung der Verhältnismässigkeit (Art. 15 Abs. 2 Bst. c VEKF) von Aufklärungsaufträgen notwendig ist.

Auch hier gilt zudem die Einschränkung, dass es sich dabei um die Wirksamkeitskontrolle eines einzelnen Sensors handelt, der wiederum für verschiedene Auswertebereiche der Dienste eine ganz unterschiedliche Relevanz hat.

Zur Empfehlung 3 der GPDel Wortlaut der Empfehlung 3: Die GPDel empfiehlt dem Bundesrat, das VBS mit der Überarbeitung seiner Fünfjahresstrategie für den Bereich der Funkaufklärung im Sinne der ursprünglichen Empfehlung der GPDel zu beauftragen. Die Strategie soll die Aufträge des SND und der militärischen Dienste berücksichtigen und für alle geplanten Aufklärungsgebiete die Machbarkeit in Abhängigkeit der technischen und personellen Ressourcen abklären. Falls die Umsetzung der Strategie neue
gesetzliche Grundlagen verlangt, ist dies auszuweisen.

Der Bundesrat ist bereit, die Empfehlung 3 umzusetzen: Der Bundesrat ist sich bewusst, dass die vorliegende Fünfjahresstrategie («Beschaffungsstrategie») für den Bereich Funkaufklärung primär die Aufklärungsbedürfnisse in den Bereichen Terrorismus, Proliferation und organisierte Kriminalität berücksichtigt. Die Strategie geht dabei bewusst vom nachrichtendienstlichen Bedarf und nicht primär vom gegenwärtig technisch Möglichen aus. Dass sich wegen vieler unbekannter Faktoren dabei Wirksamkeitsdefizite ergeben, ist nichts Aussergewöhnliches. Die im Bericht erwähnte Studie «Kommunikationsverhalten» zeigt die diesbezüglichen kritischen Erfolgspositionen auf. Eine Überarbeitung der Fünfjahresstrategie im Bereich Funkaufklärung unter besonderer Berücksichtigung der 2575

technischen Machbarkeiten und zwischenzeitlich aufgetretenen technologischen Entwicklungen erscheint daher folgerichtig.

Allerdings haben die Erfahrungen in der nachrichtendienstlichen Informationsbeschaffung bezüglich der erwähnten asymmetrischen Bedrohungsformen gezeigt, dass nur grösste Flexibilität und unkonventionelle Operationsmethoden erfolgversprechend sind. Eine zusätzliche Schwierigkeit bei der Strategiedefinition stellt der rasante und oft unvorhersehbare Wechsel der verwendeten Kommunikationskanäle durch die Zielobjekte dar. Folglich stellt die operative Realisierung des dazu angestrebten Sensorverbundes eine äusserst heikle, komplexe und anspruchsvolle Aufgabe dar, insbesondere auch, was die Geheimhaltung betrifft. Aus diesem Grund unterstützt der Bundesrat die Empfehlung, dass sich die Fünfjahresstrategie der strategischen Funkaufklärung auf die technische Machbarkeit und die erforderlichen personellen Ressourcen fokussieren soll.

Damit das VBS dieser Empfehlung am besten nachkommen kann, würde es der Bundesrat begrüssen, wenn die betroffenen Amtsstellen im VBS der GPDel das Strategiekonzept vor dessen detaillierter Ausgestaltung präsentieren könnten, um die von der Delegation im Bericht postulierte Vision der Gesamtschau der nachrichtendienstlichen Beschaffungsmittel zu erreichen.

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