08.036 Botschaft zur Volksinitiative «Gegen Tierquälerei und für einen besseren Rechtsschutz der Tiere (Tierschutzanwalt-Initiative)» vom 14. Mai 2008

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen die Botschaft zur Volksinitiative «Gegen Tierquälerei und für einen besseren Rechtsschutz der Tiere (Tierschutzanwalt-Initiative)» und beantragen Ihnen, diese Volk und Ständen mit der Empfehlung auf Ablehnung zur Abstimmung vorzulegen.

Wir unterbreiten Ihnen keinen Gegenvorschlag.

Der Entwurf für den Bundesbeschluss liegt bei.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

14. Mai 2008

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Pascal Couchepin Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2008-0498

4313

Übersicht Am 26. Juli 2007 reichte der Schweizer Tierschutz STS die Volksinitiative «Gegen Tierquälerei und für einen besseren Rechtsschutz der Tiere (TierschutzanwaltInitiative)» ein.

Die Initiative sieht eine Änderung von Artikel 80 der Bundesverfassung (BV) vor, der durch zwei neue Absätze ergänzt werden soll: ­

Mit Absatz 4 soll in der Verfassung der Grundsatz verankert werden, dass der Bund den Rechtsschutz von Tieren als empfindungsfähigen Lebewesen regeln muss.

­

Mit Absatz 5, dem Hauptanliegen der Initiative, sollen die Kantone verpflichtet werden, dafür zu sorgen, dass die Interessen der geschädigten Tiere in Strafverfahren von Amtes wegen durch geeignete Rechtsbeistände vertreten werden. Mit anderen Worten: Die Initiative möchte den geschädigten Tieren in Prozessen, die den Vollzug der Tierschutzbestimmungen betreffen, auf der Verfahrensebene eine günstigere Position verschaffen.

Der von den Initiantinnen und Initianten vorgeschlagene Absatz 4 soll die Stellung des Tieres in der schweizerischen Rechtsordnung regeln. Eine solche Bestimmung ist nicht notwendig. Gestützt auf Artikel 122 und 123 BV hat der Bund von seiner Kompetenz bereits Gebrauch gemacht und die Rechtsstellung des Tieres gesetzlich geregelt. Diese wurde durch die Einführung neuer gesetzlicher Bestimmungen verbessert, namentlich im Anschluss an die parlamentarische Initiative Marty «Die Tiere in der schweizerischen Rechtsordnung».

Gemäss der neuen Strafprozessordnung (StPO), die vom Parlament am 5. Oktober 2007 verabschiedet wurde, haben die Kantone die Möglichkeit, eine öffentliche Tieranwältin oder einen öffentlichen Tieranwalt einzusetzen, falls sie dies wünschen.

Bisher ist allerdings die Institution einer Tieranwältin oder eines Tieranwalts in unterschiedlicher Ausprägung erst in drei Kantonen vorgesehen. Die Kantone zu zwingen, einen solchen Mechanismus vorzusehen, würde somit einen unnötigen Eingriff in ihre Organisationsautonomie darstellen.

Der Bundesrat beantragt den eidgenössischen Räten, die Tierschutzanwalt-Initiative Volk und Ständen mit der Empfehlung auf Ablehnung zu unterbreiten.

4314

Botschaft 1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative

1.1

Form der Initiative

1.1.1

Wortlaut

Die in Form eines ausgearbeiteten Entwurfs abgefasste Volksinitiative «Gegen Tierquälerei und für einen besseren Rechtsschutz der Tiere (TierschutzanwaltInitiative)» wurde am 17. Januar 2006 von der Bundeskanzlei einer Vorprüfung unterzogen1 und am 26. Juli 2007 mit 144 844 gültigen Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht. Sie lautet: Die Bundesverfassung vom 18. April 1999 wird wie folgt geändert: Art. 80 Abs. 4 und 5 (neu) 4

Der Bund regelt den Rechtsschutz von Tieren als empfindungsfähigen Lebewesen.

In Strafverfahren wegen Tierquälerei oder anderen Verstössen gegen das Tierschutzgesetz vertritt eine Tierschutzanwältin oder ein Tierschutzanwalt die Interessen der misshandelten Tiere. Mehrere Kantone können eine gemeinsame Tierschutzanwältin oder einen gemeinsamen Tierschutzanwalt bestimmen.

5

1.1.2

Zustandekommen

Am 13. August 2007 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Volksinitiative «Gegen Tierquälerei und für einen besseren Rechtsschutz der Tiere (TierschutzanwaltInitiative)» formell zustande gekommen ist.2

1.1.3

Behandlungsfristen

Nach Artikel 97 Absatz 1 Buchstabe a des Bundesgesetzes vom 13. Dezember 2002 über die Bundesversammlung (ParlG; SR 171.10) unterbreitet der Bundesrat der Bundesversammlung spätestens ein Jahr nach Einreichung einer Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung eine Botschaft und den Entwurf eines Bundesbeschlusses. Der Bundesrat muss die vorliegende Botschaft daher bis spätestens am 26.

Juli 2008 der Bundesversammlung unterbreiten. Nach Artikel 100 ParlG muss die Bundesversammlung ihrerseits innerhalb von 30 Monaten nach der Einreichung der Initiative beschliessen, ob sie diese Volk und Ständen zur Annahme oder zur Ablehnung empfiehlt.

1 2

BBl 2006 1065 BBl 2007 6071

4315

1.2

Gültigkeit

1.2.1

Einheit der Form

Nach den Artikeln 139 (alt) Absätze 2 und 3 und 194 Absatz 3 BV kann eine Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung nur die Form einer allgemeinen Anregung oder eines ausgearbeiteten Entwurfs haben. Mischformen sind nicht zulässig. Die Tierschutzanwalt-Initiative hat die Form eines ausgearbeiteten Entwurfs. Sie erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Form.

1.2.2

Einheit der Materie

Der Grundsatz der Einheit der Materie im Sinne von Artikel 139 (alt) Absatz 3 und 194 Absatz 2 BV soll gewährleisten, dass sich der Initiativtext, der dem Souverän zur Abstimmung vorgelegt wird, nicht auf verschiedene Punkte bezieht, zwischen denen kein objektiver Zusammenhang besteht. Damit soll gewährleistet werden, dass sich in der Abstimmung der freie und unverfälschte Volkswille ausdrückt.

Das einzige Thema der Tierschutzanwalt-Initiative ist der Tierschutz, genauer die Vertretung der Interessen der geschädigten Tiere in Strafverfahren. Die Initiative sieht vor, dass Tiere in Verfahren durch Anwältinnen und Anwälte vertreten werden.

Sie erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Materie.

1.2.3

Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht

Nach den Artikeln 139 (alt) Absatz 3 und 194 Absatz 2 BV dürfen Volksinitiativen auf Teilrevision der Bundesverfassung keine zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts verletzen. Die Initiative verpflichtet die Kantone, eine Anwältin oder einen Anwalt vorzusehen, die oder der die Interessen der geschädigten Tiere in Strafverfahren vertritt. Damit will sie einen spezifischen Aspekt des Schweizerischen Strafprozessrechts reformieren. Sie verstösst somit nicht gegen zwingende völkerrechtliche Bestimmungen.

1.2.4

Durchführbarkeit

Obwohl die Bundesverfassung es nicht ausdrücklich vorsieht, ist nach langjähriger Praxis zu prüfen, ob Volksinitiativen konkret umsetzbar sind.3 Die vorliegende Initiative verlangt die obligatorische Einsetzung einer Anwältin oder eines Anwalts, die oder der die Interessen der geschädigten Tiere in Verfahren vertritt. Dieses Ziel ist in faktischer Hinsicht realisierbar. Die Initiative ist somit gültig.

3

Vgl. insbesondere BBl 1998 274 und zitierte Verweise

4316

2

Ausgangslage

Die eingereichte Initiative widerspiegelt das Volksempfinden gegenüber Tieren. Ihr Hauptziel ist die Verbesserung der Stellung des Tieres in Strafverfahren wegen Widerhandlungen gegen die Tierschutzgesetzgebung.

Nach der derzeitigen rechtlichen Regelung gelten Tiere nicht als gefühllose Wesen.

Dies geht aus Artikel 1 des Tierschutzgesetzes vom 9. März 19784 (TSchG) hervor, das dem Schutz und Wohlbefinden des Tieres dient und sich somit auf das Tier als Lebewesen bezieht. Die Rechtsstellung des Tieres wurde bereits verbessert, vor allem im Anschluss an die parlamentarische Initiative Marty «Die Tiere in der schweizerischen Rechtsordnung» (99.467). Namentlich wurde ein neuer Grundsatzartikel (Art. 641a ZGB)5 erlassen, wonach Tiere keine Sachen sind (Abs. 1) und nur soweit als Sachen behandelt werden dürfen, als keine abweichenden Vorschriften bestehen (Abs. 2).

Verstösse gegen das TSchG werden von Amtes wegen verfolgt (Art. 27-29 TSchG).

Sie gelten als Übertretungen oder Vergehen. Nach Artikel 32 Absatz 1 TSchG sind Verfolgung und Beurteilung strafbarer Handlungen Sache der Kantone.6 Somit sind die kantonalen Behörden für den Vollzug dieser Strafbestimmungen zuständig. Wie bereits in den Strafprozessordnungen der Kantone und in der neuen, vom Parlament am 5. Oktober 2007 verabschiedeten Schweizerischen Strafprozessordnung7 (StPO) vorgesehen, ist jede Person berechtigt, ihr bekannte Verstösse gegen das Tierschutzgesetz einer Strafverfolgungsbehörde anzuzeigen (Art. 301 Abs. 1 StPO). Eine Anzeige verleiht jedoch der anzeigenden Person keine weiter gehenden Rechte, insbesondere keine eigentlichen Verfahrensrechte, sofern sie weder geschädigte Person noch Privatklägerin oder Privatkläger ist. Nach dem Bundesrecht, das die Parteifähigkeit definiert, können Tiere nicht Partei sein. Somit gelten die Tieranwältinnen und die Tieranwälte auch nicht als Rechtsvertretung einer Partei und können folglich keine Parteirechte wahrnehmen, wenn an Tieren eine Straftat begangen wurde.

Die für den Vollzug der Tierschutzgesetzgebung zuständigen Behörden müssen bei jedem festgestellten Verstoss gegen das TSchG Anzeige erstatten.8 Die Strafbehörden ihrerseits sind verpflichtet, alle Straftaten, die sie bei ihrer amtlichen Tätigkeit festgestellt haben oder die ihnen gemeldet worden sind, entweder selber zu verfolgen
oder der zuständigen Behörde anzuzeigen, soweit sie für die Verfolgung nicht selber zuständig sind (Art. 302 StPO). Wird eine Widerhandlung gegen das TSchG vermutet, muss die Staatsanwaltschaft selbst oder unter deren Leitung die Polizei (die auch aus eigenem Antrieb oder auf Anzeige von Privaten bzw. Behörden han4 5

6

7 8

SR 455 Für nähere Einzelheiten zu den anderen Gesetzesbestimmungen vgl. den Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates vom 25. Januar 2002, BBl 2002 4164 und die Stellungnahme des Bundesrates vom 27. Februar 2002 zu diesem Bericht, BBl 2002 5806.

Diesbezüglich ist eine Ausnahme zu erwähnen: Für die Untersuchung und Beurteilung von Widerhandlungen im internationalen Handel (Art. 28 TSchG) ist das Bundesamt für Veterinärwesen zuständig. Die Verfahren beruhen auf dem Verwaltungsstrafrecht. Die Untersuchung wird in der Regel von der Zollverwaltung durchgeführt.

BBl 2007 6977; ihr Inkrafttreten auf der Ebene der Kantone ist für den 1. Januar 2010 vorgesehen.

Vgl. Art. 24 Abs. 3 des neuen Tierschutzgesetzes vom 16. Dezember 2005, BBl 2006 327.

4317

delt [Art. 15 Abs. 2 StPO]) den relevanten Sachverhalt feststellen. Sie führt die notwendigen Ermittlungen und die Beweiserhebung durch, damit das Vorverfahren möglichst rasch durch Strafbefehl, Anklageerhebung oder Einstellung abgeschlossen werden kann. In Anwendung des Opportunitätsprinzips (Art. 8 StPO) und unter den in dieser Bestimmung genannten Bedingungen können die Staatsanwaltschaft und die Gerichte jedoch von einer Strafverfolgung oder einer Bestrafung der Täterin oder des Täters ­ im Tierschutzbereich meist die Tierhalterin oder der Tierhalter ­ absehen.

2.1

Allgemeines zur Institution Tieranwältin/Tieranwalt

2.1.1

Die derzeitigen Regelungen in der Schweiz

Die Institution einer Tieranwältin oder eines Tieranwalts besteht zurzeit in unterschiedlicher Ausprägung in drei Kantonen: Der Kanton Zürich sieht in § 17 seines kantonalen Tierschutzgesetzes vom 2. Juni 19919 vor, dass die zuständige Direktion sowie der Rechtsanwalt für Tierschutz in Strafsachen die Rechte eines Geschädigten wahrnehmen. Diesen beiden Stellen kommt somit im Rahmen von Strafverfahren Parteistellung mit allen damit verbundenen Rechten zu. Der Zürcher Rechtsanwalt für Tierschutz in Strafsachen wird vom Regierungsrat auf Vorschlag der Tierschutzorganisationen ernannt. Er handelt völlig unabhängig und ist weder in eine Behörde eingebunden noch einer Behörde unterstellt. Er ist auch nicht an die Weisungen und Instruktionen der Halterin oder des Halters des geschädigten Tieres, der Tierschutzvereine oder anderer Privater gebunden.

Im Kanton St. Gallen übt das Volkswirtschaftsdepartement die Funktion des Tieranwalts aus. Bei Verstössen gegen Tierschutzvorschriften kommt ihm die Stellung eines Klägers zu (Art. 50 Abs. 2 des Strafprozessgesetzes von SG10). Daneben hat der Kanton St. Gallen einen spezialisierten Beamten eingesetzt, der Straftaten zulasten von Tieren oder der Umwelt untersucht.

Der Kanton Bern hat eine Spezialnorm geschaffen. Gemäss dieser Norm verfügt die Dachorganisation der Berner Tierschutzorganisationen in Strafverfahren über die Rechte einer Privatklägerin. In dieser Eigenschaft kann sie somit Parteirechte ausüben, wenn Tierschutzbestimmungen verletzt wurden. Davon ausgenommen ist der Bereich der Tierversuche.11

2.1.2

Rechtsvergleich

In keinem der umliegenden Länder ist die Institution einer Tieranwältin oder eines Tieranwalts im Rahmen von Strafverfahren, wie sie die Initiative vorsieht, bekannt.

Österreich sieht zwar nach § 41 des Tierschutzgesetzes, das seit dem 1. Januar 2005 in Kraft ist, einen Tierschutzombudsmann vor, der die Interessen der Tiere vertritt.

9 10 11

SR-ZH 554.1 SGS 962.1 Art. 13 Abs. 2 und 3 des Landwirtschaftsgesetzes des Kantons BE (BSG 910.1) in Verbindung mit Art. 47 Abs. 2 Ziff. 1 des Gesetzes über Strafverfahren (BSG 321.1).

4318

Im Strafverfahren kommt ihm jedoch keine Parteistellung zu. In Liechtenstein wiederum verfügt der Tierschutzbeauftragte nur über ein Informationsrecht. Dieses umfasst das Recht, über die Einreichung von Strafanzeigen informiert zu werden, das Akteneinsichtsrecht (Art. 18b Abs. 4 des Tierschutzgesetzes) sowie das Recht, über den Abschluss von Strafverfahren informiert zu werden (Art. 20a).12 Deutschland sieht in § 8b seines Tierschutzgesetzes13 einen Tierschutzbeauftragten vor. Dieser verfügt aber im Verfahren über keine Kompetenzen.

2.2

Die Varianten nach der StPO

Die StPO verpflichtet die Kantone nicht, eine Tieranwältin oder einen Tieranwalt einzusetzen14, die oder der die Interessen der geschädigten Tiere im Strafprozess wahrt. Den Kantonen steht es jedoch frei, eine solche Institution einzuführen. Dabei bestehen die folgenden Alternativen:

2.2.1

Einrichtung einer spezialisierten Staatsanwaltschaft für die Verfolgung von Widerhandlungen gegen das Tierschutzgesetz (Art. 14 Abs. 2 und 3 StPO)

Artikel 14 Absatz 2 StPO, der von wesentlicher Bedeutung ist, lässt den Kantonen die Möglichkeit, Bestimmungen über die Organisation und die Zuständigkeiten ihrer Strafbehörden zu erlassen. Sie können folglich ihre Staatsanwaltschaft frei organisieren, insbesondere mehrere Hierarchiestufen vorsehen oder eine Staatsanwaltschaft einsetzen, die auf die Verfolgung bestimmter Straftaten spezialisiert ist. Für Widerhandlungen gegen das Tierschutzgesetz könnte eine solche spezialisierte Staatsanwaltschaft eingesetzt werden. Wird diese Möglichkeit gewählt, lässt die Staatsanwaltschaft Widerhandlungen gegen das TSchG untersuchen und feststellen.

Sie entscheidet nach Abschluss der Untersuchung über das weitere Vorgehen15. Die spezialisierte Staatsanwaltschaft hat somit nicht die alleinige Aufgabe, die Interessen der Tiere zu vertreten, sondern soll ­ wie jede Staatsanwaltschaft ­ die materielle Wahrheit aufdecken. Sie hat, mit anderen Worten, in Strafsachen alle belastenden und entlastenden Umstände zu ermitteln. Somit würden die Interessen der Tiere ausschliesslich von den Strafbehörden vertreten.

Es wird Sache der Kantone sein, eine praktikable Lösung zu finden, die auf ihre Bedürfnisse und Mittel abgestimmt ist. Die Bedürfnisse der Kantone variieren je nach Bevölkerung (eine spezialisierte Staatsanwaltschaft für einen Halbkanton?), Fläche (geografische Flexibilität der spezialisierten Staatsanwaltschaft in einem grossflächigen Kanton) und Finanzkraft (Kosten der Einrichtung einer derartigen Behörde für einen kleinen Kanton?).

12 13 14 15

Beide Länder gewähren dem Beauftragten bzw. Ombudsmann Parteistellung im Rahmen von Verwaltungsverfahren.

Tierschutzgesetz; Bundesgesetzblatt 1998 I S. 1105 BBl 2006 1113 f.

Vgl. vorne Ziff. 2

4319

Sollten sich mehrere Kantone für diese Möglichkeit entscheiden, könnten sie sogar in Betracht ziehen, gemeinsame Behörden zu schaffen, das heisst eine spezialisierte Staatsanwaltschaft einzurichten, die auf dem Gebiet mehrerer Kantone tätig wäre (Art. 14 StPO in Verbindung mit Art. 191b Abs. 2 BV).

2.2.2

Einrichtung einer Behörde, die die öffentlichen Interessen wahrt (Art. 104 Abs. 2 StPO)

Die Kantone haben gemäss Artikel 104 Absatz 2 StPO auch die Möglichkeit, Behörden einzusetzen, denen sie volle oder beschränkte Parteirechte einräumen.

Möchte ein Kanton somit eine Tieranwältin oder einen Tieranwalt zur Vertretung der Interessen der geschädigten Tiere einsetzen, müsste er einer Behörde, wie zum Beispiel dem kantonalen Veterinäramt, die Parteifähigkeit mit vollen oder beschränkten Rechten gewähren. Die öffentliche Tieranwältin oder der öffentliche Tieranwalt muss in eine Behörde eingebunden sein. Diese soll nicht in erster Linie die Interessen des betreffenden Tieres vertreten, sondern das öffentliche Interesse an der Verfolgung von Verstössen gegen das Tierschutzgesetz wahren. Im Geltungsbereich der StPO haben die Kantone keine Möglichkeit, «private» Tieranwältinnen und Tieranwälte vorzusehen.

Nach Artikel 14 Absatz 1 StPO können die Kantone die Bezeichnung dieser Behörde frei wählen.

2.3

Lancierung der Initiative

Der Schweizer Tierschutz STSlancierte diese Initiative, nachdem es das Parlament bei der Revision des Tierschutzgesetzes im Dezember 2005 abgelehnt hatte, die Kantone zur Einsetzung von Anwältinnen und Anwälten für geschädigte Tiere zu verpflichten.16 Nach Ansicht der Initiantinnen und Initianten lässt sich aufgrund des Spielraums, den die Kantone in Bezug auf die Einsetzung oder Nichteinsetzung derartiger Tieranwältinnen und Tieranwälte haben, eine wirkungsvolle Verfolgung von Straftaten im Bereich des Tierschutzes nicht gewährleisten. Werde den Kantonen die Wahl überlassen, ob sie eine derartige Anwältin oder einen derartigen Anwalt einsetzen möchten, werde bloss der Status quo beibehalten: An Tieren begangene Straftaten würden immer noch zu wenig hart oder gar nicht bestraft. Die Höhe der Busse, die den Zuwiderhandelnden (in den meisten Fällen die Tierhalterin oder der Tierhalter) auferlegt werde, habe keine abschreckende Wirkung. Die Strafverfolgungsbehörden setzten sich im Rahmen von Strafverfahren zu wenig ein und gingen bei der Beweiserhebung zu wenig sorgfältig vor, da sie sich nur auf die Aussagen der beschuldigten Person abstützen könnten. Dies sei darauf zurückzuführen, dass die geschädigten Tiere in den meisten Kantonen17 über keine Vertretung verfügten, während beschul-

16

17

In diesem Zusammenhang wird die Initiative nicht vor dem Hintergrund des geltenden TSchG, sondern in Bezug auf das Tierschutzgesetz vom 16. Dezember 2005 analysiert.

Die nachstehenden Verweise beziehen sich deshalb auf das revidierte TSchG (nTSchG).

Vgl. vorne Ziff. 2.1.1

4320

digte Tierhalterinnen und Tierhalter alle Rechte wahrnehmen könnten, die ihnen als Prozesspartei zustünden.

2.4

Politische Diskussion

Die Frage, ob Tieranwältinnen und Tieranwälte eingesetzt werden sollten, wird bereits seit einiger Zeit diskutiert. Zunächst kam sie im Rahmen der eidgenössischen Volksinitiative vom 16. November 2000 «Tiere sind keine Sachen!» zur Sprache.

Die Initiative sah einen neuen Artikel 79a BV vor, dessen Absatz 2 den Gesetzgeber beauftragte, dafür zu sorgen, dass Tiere in Verfahren von Amtes wegen durch geeignete Anwältinnen und Anwälte vertreten werden können. In der Botschaft zur Initiative18 vertrat der Bundesrat damals die Auffassung, der Grundsatz der stufengerechten Regelung würde durch Aufnahme von Verfassungsbestimmungen, die verfahrensrechtliche Einzelfragen regelten, verletzt. Die Initiative wurde in der Folge zurückgezogen.19 Die am 23. Juli 2003 eingereichte Volksinitiative «Für einen zeitgemässen Tierschutz (Tierschutz - Ja!)» sah in Artikel 80 BV einen neuen Absatz 3 Buchstabe b vor, wonach die Kantone einen Anwalt einsetzen sollten, der in Strafverfahren die Interessen der Tiere vertritt. Der Bundesrat war damals der Ansicht, dass eine Vorschrift, die von den Kantonen die «Einrichtung der Stelle eines «Tierschutzanwalts» verlangt, eine Misstrauensbezeugung gegenüber den kantonalen Gerichten darstellen könnte».20 Auch diese Initiative wurde zurückgezogen.21 Bei der Beratung der Revision des Tierschutzgesetzes vom 16. Dezember 2005 im Parlament beantragte eine Minderheit, eine Gesetzesbestimmung einzuführen, mit der die Kantone beauftragt werden, eine spezialisierte Tierschutzanwältin oder einen spezialisierten Tierschutzanwalt einzusetzen. Dieser Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, die Einsetzung solcher Anwältinnen und Anwälte bilde Teil des Strafprozessrechts, das zu jenem Zeitpunkt in die kantonale Hoheit fiel.22 In seiner Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts lehnte es der Bundesrat ausdrücklich ab, das Instrument des «besonderen Tieranwalts»23 einzuführen, wie es im Kanton Zürich bereits besteht.24 Er erachtete es als nicht angemessen, den Kantonen einen Tierschutzanwalt nach zürcherischem Modell vorzuschreiben, da die StPO den Kantonen im Rahmen ihrer Vollzugs- und Organisationsautonomie verschiedene Möglichkeiten belässt, den Rechtsschutz von Tieren zu regeln. Bei der Beratung dieses Entwurfs ging der Ständerat nicht auf die Problematik ein. Der Nationalrat
prüfte im Plenum einen Antrag seiner Kommission für Rechtsfragen, der die obligatorische Einführung eines öffentlichen Tierschutzanwalts vorsah. Dieser Antrag wurde mit nur einer Stimme (79 gegen 78 Stimmen) abgelehnt.25

18 19 20 21 22 23 24 25

BBl 2001 2521, insbesondere 2533 BBl 2002 7125 BBl 2004 3306 BBl 2006 355 AB 2004 S 614, 2005 N 819 BBl 2006 1113 Vgl. vorne Ziff. 2.2.1 AB 2007 N 951

4321

3

Ziele und Inhalt der Initiative

Der von den Initiantinnen und Initianten vorgeschlagene neue Absatz 4 von Artikel 80 BV beauftragt den Bund, den Rechtsschutz von Tieren gesetzlich zu regeln.

Der neue Absatz 5 von Artikel 80 BV verpflichtet die Kantone, im Rahmen von Strafverfahren eine Tierschutzanwältin oder einen Tierschutzanwalt vorzusehen, die oder der die Interessen der geschädigten Tiere vertritt.

Das Hauptanliegen der Initiative (Art. 80 Abs. 5 BV) soll die Kantone verpflichten, im Rahmen von Strafverfahren einen Tierschutzanwalt einzuführen, der die Interessen der geschädigten Tiere in Strafverfahren vertritt. Die Initiative erwähnt die Fälle, in denen solche Tierschutzanwältinnen und -anwälte tätig werden könnten. Der Begriff Tierquälerei betrifft hier die strafbaren Verhaltensweisen, die in Artikel 26 Absatz 1 Buchstabe a­e nTSchG abschliessend aufgezählt sind. Die anderen Verstösse gegen das Tierschutzgesetz beziehen sich auf die Widerhandlungen, die in Artikel 28 nTSchG aufgeführt sind.26

3.1

Auslegungsregel

Bei der Auslegung des Textes einer Volksinitiative ist grundsätzlich auf deren Wortlaut und nicht auf die subjektive Absicht der Initiantinnen und Initianten abzustellen. Der Volkswille, die von den Initiantinnen und Initianten geäusserten Meinungen und die Umstände, die zu der Initiative geführt haben, können jedoch berücksichtigt werden.

3.2

Anliegen der Initiative

Die Ziele der Initiative wurden oben kurz dargelegt.27 Sie sollen im Folgenden genauer analysiert werden, damit festgestellt werden kann, inwieweit sie durch die Initiative erreicht werden könnten.

Der von den Initiantinnen und Initianten vorgeschlagene neue Absatz 4 beauftragt den Bund, den Rechtsschutz von Tieren zu regeln.

Diese Bestimmung ist darauf ausgerichtet, die Stellung des Tieres in der schweizerischen Rechtsordnung zu regeln. Eine solche Bestimmung ist nicht notwendig.

Gestützt auf Artikel 122 und 123 BV hat der Bund die Stellung des Tieres bereits gesetzlich geregelt.28 Sie wurde insbesondere durch die Einführung neuer Bestimmungen im Zivilgesetzbuch (ZGB)29 und im Obligationenrecht (OR)30 verbessert.

26 27 28

29 30

Betreffend die Verfolgung und Beurteilung von Widerhandlungen im internationalen Handel vgl. Fussnote 6.

Vgl. oben Ziff. 3 Vgl. dazu insbesondere die parlamentarische Initiative Marty «Die Tiere in der schweizerischen Rechtsordnung» (99.467), den Bericht der Kommission für Rechtsfragen, BBl 2002 4164, vor allem 4165, 4166 und 4168, sowie die Stellungnahme des Bundesrates zu diesem Bericht, BBl 2002 5806.

SR 210 SR 220

4322

Der von den Initiantinnen und Initianten vorgeschlagene neue Absatz 5 soll den Kantonen zusätzliche Instrumente in die Hand geben, um Widerhandlungen gegen das TSchG wirkungsvoller zu bekämpfen.

Bisher umfasst die Rechtsprechung des Bundesgerichts noch keinen Fall, der die Anwendung der Strafbestimmungen in den Artikeln 27 ff. TSchG betrifft.31 Die letzten Entscheide des Bundesgerichts zu strafbaren Handlungen im Bereich des Tierschutzes ergingen vor dem Inkrafttreten des TSchG. Sie stützen sich somit noch auf den alten Artikel 264 des Strafgesetzbuchs32, der mit dem Tierschutzgesetz vom 9. März 1978 aufgehoben wurde.

Zieht man die im Jahr 2007 veröffentlichten Zahlen zur kantonalen Strafrechtspraxis im Bereich des Tierschutzes heran, sind erhebliche Unterschiede festzustellen.33 Der Bundesrat teilt die Auffassung, dass die kantonalen Unterschiede in der Verfolgung von Verstössen gegen die Tierschutzgesetzgebung vermindert werden sollten.

Er ist hingegen der Ansicht, dass bereits die konsequente Anwendung der durch die StPO eingeführten rechtlichen Instrumente eine Verringerung dieser kantonalen Unterschiede erlauben sollte.34

3.3

Erläuterung des Initiativtextes

3.3.1

Wahl der Regelungsstufe

Im Bereich des Verfahrensrechts beschränkt sich die Verfassung darauf, allgemeine Grundsätze festzulegen und Zuständigkeitsfragen zu regeln.35 Im Rahmen der allgemeinen Rechtsgrundsätze36 und des Grundrechtskatalogs37 sind in der Verfassung eine Reihe von Verfahrensgarantien38 festgelegt. Die Verankerung der Pflicht der Kantone zur Einführung von Tieranwältinnen und Tieranwälten auf Verfassungsstufe stünde im Widerspruch zur Systematik, die der Verfassung zu Grunde liegt: Die für die einzelnen Sachgebiete in der Verfassung verankerten Ziele stehen auf der gleichen Stufe. Verlangt wird, dass die in ihr verankerten Ziele in jedem der geregelten Sachgebiete auf der gleichen Stufe stehen. Würde der Initiative Folge gegeben, erhielte ein Aspekt des Strafverfahrensrechts eine unverhältnismässig grosse Bedeutung. Die Verfassung ermöglicht dem Gesetzgeber bereits jetzt, die von den Initiantinnen und Initianten gewünschte Reform auf Gesetzesstufe durchzuführen. So hat der Bund die Kompetenz nach Artikel 123 BV, der am 1. April 2003 in Kraft getreten ist, bereits genutzt: Am 5. Oktober 2007 hat das Parlament die Schweizerische Strafprozessordnung verabschiedet.

31 32 33 34 35 36 37 38

Hingegen besteht im Bereich des Verwaltungsstrafrechts eine Rechtsprechung auf Bundesebene.

SR 311.0 Quelle: Stiftung für das Tier im Recht, Schweizer Tierschutzstrafpraxis 2006, Bern/Zürich, 15. Oktober 2007, S. 11-13.

Vgl. hinten Ziff. 4.1 Die Art. 189 und 190 BV legen die Zuständigkeiten des Bundesgerichts fest und beauftragen den Gesetzgeber mit der Regelung der Modalitäten.

Art. 5 Abs. 2 und 3 BV Art. 7 ff. BV Zum Beispiel Art. 29 (allgemeine Verfahrensgarantien), Art. 30 (gerichtliche Verfahren), Art. 31 (Freiheitsentzug) und Art. 32 BV (Strafverfahren).

4323

3.3.2

Problematische Formulierung

Die Formulierung von Absatz 5 ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Der Begriff «Tierschutzanwalt» ermöglicht es den Kantonen, sowohl öffentliche als auch private Tieranwältinnen und Tieranwälte vorzusehen.

Wird die Aufgabe öffentlichen Tieranwältinnen und Tieranwälten zugewiesen, könnten die Kantone eine Behörde (zum Beispiel das Veterinäramt oder die nach Art. 33 nTSchG39 eingerichtete Fachstelle) bestimmen, der namentlich die Kompetenz zukäme, die Interessen der geschädigten Tiere im Strafverfahren zu vertreten.

Diese Behörde hätte den Auftrag, für das öffentliche Interesse an der Verfolgung von Verstössen gegen das Tierschutzgesetz einzutreten.40 Diese Auffassung widerspiegelt die Idee, die dem Strafverfahren zu Grunde liegt: Für die Verfolgung und die Vertretung der öffentlichen Interessen muss der Staat zuständig bleiben.

Die Einführung von privaten Tieranwälten ist aus folgenden Gründen problematisch: ­

Nach Artikel 104 Absatz 1 StPO haben im Rahmen eines Strafverfahrens die beschuldigte Person, die Privatklägerschaft sowie, im Haupt- und im Rechtsmittelverfahren, die Staatsanwaltschaft Parteistellung. Die geschädigten Tiere können im Strafverfahren nicht Partei (Privatklägerschaft) sein (siehe Ziff. 2). Somit können auch ihre Anwältinnen und Anwälte keine Parteistellung beanspruchen. Nach Artikel 118 StPO kann nämlich nur als Privatklägerschaft auftreten, wer geschädigt ist. In Artikel 115 StPO ist der Begriff «geschädigte Person» jedoch abschliessend definiert. Als geschädigte Person gilt, wer durch die Straftat in seinen Rechten unmittelbar verletzt worden ist. Nach dieser Definition kann die Tieranwältin oder der Tieranwalt nicht als geschädigte Person gelten, da ihre oder seine Rechte nicht unmittelbar durch eine Straftat verletzt wurden. Eine Parteistellung der privaten Tieranwältin oder des privaten Tieranwalts in der Funktion einer Staatsanwältin oder eines Staatsanwalts muss ebenfalls verneint werden. Da die Tieranwältin oder der Tieranwalt keiner Behörde angegliedert ist, unabhängig handelt und an keine Weisungen gebunden ist, übt sie oder er nicht die Tätigkeit einer «spezialisierten» Staatsanwaltschaft aus, die in Strafsachen alle belastenden und entlastenden Umstände ermittelt. Würden somit private Tieranwältinnen und -anwälte mit der Vertretung der öffentlichen Interessen (Verfolgung von Verstössen gegen das Tierschutzgesetz) beauftragt, würde ein Fremdkörper in die Strafprozessordnung aufgenommen.

­

Private Tieranwältinnen und -anwälte, die völlig unabhängig handeln und von keiner Behörde Weisungen erhalten, könnten eine übermässige Tätigkeit entfalten, was erhebliche Kosten zu Lasten der Kantone auslösen könnte.

Die Initiative beauftragt die Tierschutzanwältinnen und -anwälte mit der Vertretung der Interessen der Tiere, ohne ihre Rechte zu definieren. Die Konkretisierung dieser Rechte wäre Aufgabe des Gesetzgebers.

39

40

Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates (RK-N) hatte vorgeschlagen, die Kantone zu verpflichten, öffentliche Tierschutzanwältinnen und -anwälte vorzusehen, indem insbesondere der kantonalen Fachstelle für Tierschutz (Art. 33 nTSchG) Parteifähigkeit mit allen damit verbundenen Rechten gewährt werden sollte, vgl. AB 2007 N 952.

Dies ist in den Kantonen SG und ZH der Fall, vgl. vorne Ziff. 2.1.1.

4324

4

Stellungnahme des Bundesrates

4.1

Allgemeine Bemerkungen

Keines der umliegenden Länder kennt einen Tierschutzanwalt. In der Schweiz war der Kanton Zürich der erste Kanton, der in seinem Tierschutzgesetz von 1991 eine solche Stelle geschaffen hat. Seinem Beispiel ist bisher der Kanton St. Gallen teilweise gefolgt: Er hat jedoch nur dem zuständigen Departement Parteistellung im Rahmen von Strafverfahren gewährt.41 In den Kantonen Thurgau und Solothurn ist die Einführung einer solchen Institution abgelehnt worden.

Im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens zur StPO hatten nur zwei Organisationen verlangt, dass in der vereinheitlichten Strafprozessordnung eine Tieranwältin oder ein Tieranwalt vorgesehen wird.42 Weder der Kanton Zürich als hauptsächlich Betroffener noch ein anderer Kanton hat sich zu dieser Frage geäussert.

Wie der Bundesrat bereits in seiner Botschaft zur eidgenössischen Volksinitiative «Für einen zeitgemässen Tierschutz (Tierschutz - Ja!)» festgehalten hat, ist er der Auffassung, dass eine Vorschrift, die von den Kantonen die «Einrichtung der Stelle eines «Tierschutzanwalts» verlangt, eine Misstrauensbezeugung gegenüber den kantonalen Gerichten darstellen könnte».43 Da die zuständigen kantonalen Behörden Widerhandlungen gegen das Tierschutzgesetz von Amtes wegen verfolgen müssen, würde die Einführung einer derartigen Institution die Effizienz der Strafverfolgungsbehörden und der Gerichte in Zweifel ziehen. Diese Behörden unterstehen sowohl einer administrativen als auch einer materiellen Aufsicht. Die Einführung von Tieranwältinnen und -anwälten könnte zudem einen Präzedenzfall schaffen und andere Interessenvertreterinnen und -vertreter dazu verleiten, eine solche Institution, beispielsweise auch für die Umwelt, den Wald und die Gewässer zu fordern.

Der Bundesrat kann sich dem Ziel der Initiative anschliessen: eine wirkungsvollere Verfolgung von Personen, die gegen das Tierschutzgesetz verstossen. In der derzeitigen Situation kann die Forderung der Initiantinnen und Initianten als berechtigt erachtet werden.44 Die Einführung der neuen, vereinheitlichten Strafprozessordnung wird die Effizienz der Strafverfolgung jedoch verbessern. Der Verzicht auf das VierAugen-Prinzip im Rahmen des ordentlichen Verfahrens und die Übertragung der Gesamtverantwortung von der Untersuchung bis zur Anklageerhebung an die Staatsanwaltschaft erlauben die Beschleunigung
des Verfahrens und die Verhinderung der Verjährung. Die besonderen Verfahren werden ebenfalls eine Entlastung der Gerichte bewirken.45 Gemäss der StPO bleibt es den Kantonen freigestellt, eine öffentliche Tieranwältin oder einen öffentlichen Tieranwalt vorzusehen: Sie können entweder einer Behörde Parteirechte gewähren und sie beauftragen, das öffentliche Interesse der Verfolgung von Verstössen gegen das Tierschutzgesetz zu wahren oder sie können eine spezialisierte Staatsanwaltschaft vorsehen.46 Die Kantone können gemeinsame Staatsanwaltschaften einsetzen47 oder interkantonale Verträge abschliessen und damit 41 42 43 44 45 46 47

Vgl. vorne Ziff. 2.1.1 Schweizer Tierschutz (STS) und Stiftung für das Tier im Recht Vgl. Fussnote 20 Vgl. vorne Ziff. 3.2 Vgl. Art. 352 ff. StPO Vgl. vorne Ziff. 2.2 Vgl. vorne Ziff. 2.2.1

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gemeinsame Organisationen und Institutionen schaffen (Art. 48 Abs. 1 BV). Nichts würde sie somit daran hindern, eine gemeinsame Behörde aufzubauen und diese mit der Umsetzung des Bundesrechts, in diesem Fall der Tierschutzgesetzgebung, zu beauftragen (Art. 46 Abs. 1 BV). Dieser Spielraum der Kantone korrespondiert mit dem Willen der Initiantinnen und Initianten (Art. 80 Abs. 5 zweiter Satz BV).

Wie bereits in der parlamentarischen Beratung der StPO zum Ausdruck gebracht wurde, ist der Bundesrat der Ansicht, dass die Pflicht zur Einführung einer solchen Institution in unnötiger Weise in die Organisationsfreiheit der Kantone (Art. 47 Abs. 2 BV) eingreifen würde.

4.2

Gegenvorschlag

Der Bundesrat hat die Möglichkeit eines Gegenvorschlags zur Initiative geprüft. Die Gründe, aus denen darauf verzichtet wird, wurden bereits in Ziff. 3.3.1 dargelegt.

Der Bundesrat hat auch geprüft, ob der Initiative ein indirekter Gegenvorschlag in Form einer Änderung der StPO gegenübergestellt werden sollte. Er ist zur Ansicht gelangt, dass darauf ebenfalls verzichtet werden muss (siehe dazu Ziff. 4.1).

5

Schlussfolgerungen

Der Bundesrat vertritt aus den genannten Gründen die Ansicht, dass die Kantone über die notwendigen Instrumente verfügen, um die von den Initiantinnen und Initianten formulierten Forderungen in die Praxis umzusetzen.

Er beantragt deshalb, die Initiative Volk und Ständen mit der Empfehlung auf Ablehnung zur Abstimmung zu unterbreiten, und verzichtet auf einen Gegenvorschlag.

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