08.075 Botschaft über ein Doppelbesteuerungsabkommen mit Chile vom 29. Oktober 2008

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen mit dem Antrag auf Zustimmung den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über die Genehmigung des am 2. April 2008 unterzeichneten Abkommens mit Chile zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

29. Oktober 2008

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Pascal Couchepin Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2008-1347

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Übersicht Am 2. April 2008 wurde mit Chile ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen unterzeichnet.

Wirtschaftlich gehört Chile zu den wichtigsten Staaten Lateinamerikas. Die bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und Chile sind ausgezeichnet.

Schweizerischerseits besteht seit einiger Zeit ein Interesse, das bereits bestehende Investitionsschutzabkommen durch ein Doppelbesteuerungsabkommen zu ergänzen.

Entsprechende Verhandlungen wurden im November 2001 aufgenommen. Nach drei Verhandlungsrunden konnten diese Verhandlungen am 26. April 2007 mit der Paraphierung eines Entwurfs für ein Einkommens- und Vermögenssteuerabkommen abgeschlossen werden.

Das Abkommen enthält Regeln, die einen wirksamen Schutz vor Doppelbesteuerungen bieten, und unterstützt den Ausbau der gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen.

Damit dient es auch der Sicherung und der Entwicklung schweizerischer Direktinvestitionen in Chile.

Die Kantone und die interessierten Wirtschaftsverbände haben den Abschluss dieses Abkommens begrüsst.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1 Grundzüge des Abkommens 1.1 Ausgangslage, Verlauf und Ergebnis der Verhandlungen 1.2 Würdigung

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2 Erläuterungen zu einzelnen Artikeln des Abkommens

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3 Finanzielle Auswirkungen

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4 Verfassungsmässigkeit

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Bundesbeschluss über die Genehmigung eines Doppelbesteuerungsabkommens mit Chile (Entwurf)

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Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Chile zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen

8871

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Botschaft 1

Grundzüge des Abkommens

1.1

Ausgangslage, Verlauf und Ergebnis der Verhandlungen

Chile gehört wirtschaftlich zu den wichtigsten Staaten Lateinamerikas und weist im internationalen Vergleich eine beachtliche Wettbewerbsfähigkeit auf (27. Rang, noch vor Spanien, gemäss dem «Global Competitiveness Report 2006­2007» des World Economic Forum). Die Schweiz nahm 2006 in Bezug auf Direktinvestitionen in Chile den 10. Rang ein, hinter den Niederlanden und Frankreich. Im Jahre 2005 erhielt Chile den Status eines Beobachters bei der Organisation für Wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD), und im vergangenen Jahre wurde das Land eingeladen, Vollmitglied der OECD zu werden.

Auf wirtschaftlichem Gebiet haben die Schweiz und Chile bereits ein Investitionsabkommen (Abkommen vom 24. September 1999; SR 0.975.224.5) sowie Handelsabkommen (Abkommen vom 31. Oktober 1897; SR 0.946.292.451) und Freihandelsabkommen vom 26. Juni 2003 zwischen den EFTA-Staaten und Chile (SR 0.632.312.451) abgeschlossen. Aufgrund des Interesses der Schweiz, diese Vereinbarungen durch ein Doppelbesteuerungsabkommen zu ergänzen, wurden im November 2001 Verhandlungen zwischen der Schweiz und Chile aufgenommen.

Wegen der unterschiedlichen Auffassungen Chiles und der Schweiz über die Ausgestaltung eines solchen Abkommens erwiesen sich diese Verhandlungen eher schwierig. Dennoch gelang es, die Verhandlungen nach drei Runden am 26. April 2007 mit der Paraphierung eines Entwurfs für ein Einkommens- und Vermögenssteuerabkommen abzuschliessen. Es ist darauf hinzuweisen, dass gestützt auf den Bundesbeschluss vom 1. Oktober 1952, der den Bundesrat ermächtigt, Gegenrechtserklärungen betreffend die Besteuerung von Unternehmen der Seeschifffahrt, der Binnenschifffahrt und der Luftfahrt auszutauschen (SR 672.1), am 1. Juni 2007 ein Abkommen über eine rückwirkend ab 1. Januar 2006 gültige gegenseitige Steuerbefreiung von Unternehmen der Luftfahrt unterzeichnet worden ist. Weil die Bestimmungen dieses Abkommens formell und materiell in das vorliegende Doppelbesteuerungsabkommen übernommen wurden, wird jenes Abkommen mit dem Inkrafttreten des Doppelbesteuerungsabkommens aufgehoben.

Die Kantone und die interessierten Wirtschaftsverbände haben dieses mit Chile ausgehandelte Einkommens- und Vermögenssteuerabkommen gutgeheissen. Es wurde am 2. April 2008 in Santiago unterzeichnet.

1.2

Würdigung

Das vorliegende Abkommen enthält insgesamt Lösungen, die sich vorteilhaft auf die Entwicklung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen mit einem wichtigen lateinamerikanischen Staat auswirken dürften. Obwohl in diversen Bereichen Anpassungen an die relativ starre chilenische Abkommenspolitik erforderlich waren, werden die vereinbarten Rahmenbedingungen es im Interesse beider Staaten gestatten, die gegenseitigen Direktinvestitionen auszubauen. Schweizerische Investoren kommen 8860

in den Genuss desselben Schutzes wie ihre Konkurrenten aus anderen Staaten, die mit Chile ein Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen haben. Es entsprach ausserdem den Wunsch der schweizerischen Wirtschaft, eine Lücke im schweizerischen Abkommensnetz zu schliessen.

2

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln des Abkommens

Das Abkommen folgt sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht weitgehend dem von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erarbeiteten Musterabkommen sowie der schweizerischen Vertragspraxis auf diesem Gebiet. Wir beschränken uns deshalb im Folgenden darauf, bedeutende Abweichungen vom Musterabkommen oder von der schweizerischen Vertragspraxis zu erläutern.

Art. 2

Unter das Abkommen fallende Steuern

Das Abkommen gilt sowohl für Steuern vom Einkommen als auch für Steuern vom Vermögen. Chile kennt zwar zurzeit keine Vermögenssteuer, doch ist nicht ausgeschlossen, dass eine solche Steuer in den kommenden Jahren eingeführt werden wird. Um für diesen Fall die Revision seiner Doppelbesteuerungsabkommen zu vermeiden, ist Chile bestrebt, in seinen neuen Doppelbesteuerungsabkommen auch die Vermögenssteuern einzuschliessen.

Art. 3

Begriffsbestimmungen

Absatz 1 Buchstabe i(ii) über die Umschreibung des Ausdrucks «Staatsangehöriger» erstreckt sich einzig auf juristische Personen, dies im Gegensatz zum Musterabkommen der OECD, das auch Personengesellschaften und andere Personenvereinigungen aufzählt. Nach chilenischem Recht verfügen Personengesellschaften über eine eigene Rechtspersönlichkeit, dies im Gegensatz zur schweizerischen Rechtsordnung. Umgekehrt sind Personenvereinigungen in der Schweiz, nicht aber in Chile, juristische Personen. Hieraus ergibt sich, dass Personengesellschaften und andere Personenvereinigungen entweder über eine Rechtspersönlichkeit verfügen und deshalb unter die Definition des Staatsangehörigen fallen oder aber als transparent behandelt werden und somit die daran beteiligten Personen Schutz der Gleichbehandlungsbestimmung (Art. 23) beanspruchen können.

Art. 4

Ansässige Person

Weil das chilenische Recht das Kriterium der tatsächlichen Geschäftsleitung nicht kennt, gilt eine nach schweizerischem Recht errichtete Gesellschaft, deren Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung sich in Chile befindet, nicht als in Chile ansässig. Bei dieser Sachlage hätte die Bestimmung des Musterabkommens der OECD, die bei Doppelansässigkeit einer anderen als einer natürlichen Person dem Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung den Vorrang einräumt, je nach Situation entweder für die Schweiz oder für Chile zu einem unbefriedigenden Ergebnis geführt. Aus diesem Grund wurde in Absatz 3 vereinbart, solche Doppelansässigkeiten im Rahmen des Verständigungsverfahrens zu regeln. Diese Lösung findet sich auch im Doppelbesteuerungsabkommen der Schweiz mit den USA (SR 0.672.933.61).

8861

Art. 5

Betriebstätte

Chile wünschte ein weitgehendes Besteuerungsrecht des Quellenstaates und verlangte deshalb, dass nach Absatz 3 Bauausführungen und Montagen sowie die damit zusammenhängenden Überwachungstätigkeiten ab einer Dauer von sechs Monaten, das Erbringen von Dienstleistungen durch ein Unternehmen oder durch Selbständigerwerbende während mehr als 183 Tagen innerhalb einer Zwölfmonatsperiode sowie die Tätigkeiten von Versicherungsgesellschaften eine Betriebstätte begründen.

In Rahmen eines Kompromisses und in Berücksichtigung der Gesamtheit der abkommensrechtlichen Lösungen wurde vereinbart, für Bauausführungen und Montagen sowie für damit zusammenhängende Überwachungstätigkeiten von mehr als sechs Monaten sowie für während mehr als 183 Tagen innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten vor Ort erbrachte Dienstleistungen eine Betriebstätte vorzusehen. In Ziffer 2 des Protokolls wurde klargestellt, dass zur Verhinderung von Missbräuchen die in einem Vertragsstaat ausgeübten Tätigkeiten eines Unternehmens des anderen Vertragsstaats, das mit einem nicht im erstgenannten Vertragsstaat ansässigen Unternehmen verbunden ist, für die Berechnung der Dauer von 183 Tagen mit gleichartigen Tätigkeiten des verbundenen Unternehmens zusammengerechnet werden können. Sind beide oder mehrere verbundene Unternehmen gleichzeitig tätig, so wird die Dauer dieser gleichzeitig ausgeübten Tätigkeiten nur einmal gezählt. Entgegen dem ursprünglichen chilenischen Begehren in Bezug auf die Zusammenrechnung der Dauer von Tätigkeiten verbundener Unternehmen konnte diese Bestimmung auf Missbrauchsfälle begrenzt werden.

Materiell entspricht diese Lösung derjenigen, die die Schweiz bereits in Abkommen mit anderen Staaten, z.B. mit Argentinien und China, vereinbart hat.

Art. 7

Unternehmensgewinne

Der im Musterabkommen der OECD verankerte Grundsatz, wonach die Gewinne einer Betriebstätte nur aufgrund der dieser Betriebstätte zurechenbaren Tätigkeiten berechnet werden darf, wird in Ziffer 3 des Protokolls ausdrücklich bestätigt.

Nach Absatz 3 sind bei der Ermittlung der Gewinne einer Betriebstätte die «geschäftsmässig begründeten Aufwendungen» zum Abzug zugelassen. Chile hatte anfänglich verlangt, anstelle dieses dem schweizerischen Recht entstammenden Grundsatzes den Abzug auf «notwendige Aufwendungen» zu beschränken, weil sein innerstaatliches Recht sowohl bei Gesellschaften als auch bei Betriebstätten nur den Abzug dieser notwendigen Aufwendungen erlaubt. Nach chilenischer Auffassung sei dieser Ausdruck klarer als der sich aus dem Musterabkommen der OECD ergebende flexiblere, auf dem Vergleich mit einem unabhängigen Unternehmen beruhende Ansatzpunkt. Um eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden, wurde in Ziffer 4 des Protokolls auf chilenisches Begehren klargestellt, dass der in Absatz 3 verwendete Ausdruck «geschäftsmässig begründete Aufwendungen» im Sinne der chilenischen Rechtsprechung zu verstehen sei und die gleiche Bedeutung habe wie der im chilenischen Recht verwendete Ausdruck «notwendige Aufwendungen».

Art. 8

Seeschifffahrt und Luftfahrt

Wie verschiedene andere schweizerische Doppelbesteuerungsabkommen (z.B. mit Kanada und der Ukraine) übernimmt Absatz 2 die im Kommentar zum Musterabkommen der OECD enthaltenen Grundsätze, wonach der Begriff «Betrieb von 8862

Seeschiffen und Luftfahrzeugen» auch die Einkünfte aus der blossen Vermietung von Seeschiffen und Luftfahrzeugen sowie von Containern und ähnlichen Ausrüstungen umfasst.

Art. 9

Verbundene Unternnehmen

Wie in den meisten in letzter Zeit abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen gelang es, die der schweizerischen Abkommenspraxis entsprechenden Absätze 2 und 3 aufzunehmen. Absatz 2 hält fest, dass Gewinnaufrechnungen, die in einem Vertragsstaat vorgenommen werden, vom anderen Vertragsstaat nur dann zu berichtigen sind, wenn er die Aufrechnung als richtig anerkennt. Gewinnaufrechnungen können nach Absatz 3 nur innerhalb einer Periode von maximal fünf Jahren nach Ablauf des Jahres, in dem die Gewinne erzielt wurden, die Gegenstand einer Aufrechnung sind. Diese zeitliche Begrenzung gilt nicht in Fällen von Betrug und vorsätzlicher Unterlassung.

Art. 10

Dividenden

Chile kennt ein integriertes System für die Besteuerung von Unternehmensgewinnen und ausgeschütteten Dividenden, mit dem die wirtschaftliche Doppelbesteuerung der Dividenden vermieden wird. Auf den von einer chilenischen Gesellschaft ausgeschütteten Gewinnen wird eine Steuer der ersten Kategorie («impuesto de primera categoria») von 17 % erhoben. Der Bruttobetrag dieser Dividenden unterliegt beim in Chile ansässigen nutzungsberechtigten Empfänger der ordentlichen Einkommenssteuer mit einem Höchstsatz von bis zu 40 %, an die ihm die Steuer der ersten Kategorie von 17 % angerechnet wird. Gewinne, die an nicht in Chile ansässige Personen ausgeschüttet werden, unterliegen einer Zusatzsteuer («impuesto adicional») von 35 %. Hieran wird ebenfalls die von der Gesellschaft entrichtete Gewinnsteuer von 17 % angerechnet, womit die Gesamtbelastung 35 % beträgt.

Obwohl in Chile somit keine eigentliche Quellensteuer auf Dividenden erhoben wird, verlangte Chile ­ wie in seinen Abkommen mit anderen Staaten ­ die Anerkennung der Gleichartigkeit. Ausserdem stellte sich Chile wegen seines integrierten Systems, das die wirtschaftliche Doppelbesteuerung beseitigt, auf den Standpunkt, dass die schweizerische Methode für die Vermeidung der Doppelbesteuerung den in der Schweiz ansässigen Personen im Vergleich zu einem abkommenslosen Zustand einen Vorteil in der Form einer Anrechnung verschaffen müsse. Unter der Voraussetzung, dass in Absatz 2 ein einheitlicher Quellensteuersatz von 15 % festgelegt und dass darin auch die Anrechnung der chilenischen Steuer erster Kategorie an die Zusatzsteuer bestätigt wird, wurden diese Begehren schweizerischerseits als berechtigt anerkannt und in Artikel 22 Absatz 2 Buchstabe c eine Steueranrechnung von 15 % vorgesehen.

Art. 11

Zinsen

Chile verfolgt im Bereich der Zinsen eine starre Abkommenspolitik und war nicht bereit, gegenüber der Schweiz davon abzuweichen. Die vereinbarten Lösungen entsprechen somit der chilenischen Abkommenspolitik. Zugunsten schweizerischer Personen wurde in Ziffer 6 des Protokolls eine automatische Meistbegünstigungsklausel vereinbart, sollte Chile einem anderen Mitgliedstaat der OECD eine günstigere Lösung gewähren.

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Der Staat, aus dem die Zinsen stammen, kann eine Steuer von 5 % erheben, sofern die Zinsen für ein von einer Bank oder einer Versicherungsgesellschaft gewährtes Darlehen, auf regelmässig und in erheblichem Ausmass an einer anerkannten Börse gehandelten Obligationen oder anderen Wertschriften oder im Zusammenhang mit Kreditverkäufen von Maschinen oder Ausrüstungen gezahlt werden (Abs. 2 Bst. a).

In den übrigen Fällen ist die Steuer auf 15 % begrenzt (Abs. 2 Bst. b).

Art. 12

Lizenzgebühren

Lizenzgebühren können im Quellenstaat mit 10 % besteuert werden (Abs. 2 Bst. b).

Dies entspricht der Regelung in zahlreichen schweizerischen Abkommen mit weniger entwickelten Staaten. Für Leasinggebühren gilt ein ermässigter Satz von 5 %.

Dies entspricht der chilenischen Abkommenspolitik. Wie im Falle der Zinsen enthält Ziffer 6 des Protokolls auch für Lizenzgebühren eine Meistbegünstigungsklausel mit automatischer Wirkung.

Art. 13

Gewinne aus der Veräusserung von Vermögen

Nach chilenischem Recht wird auf den meisten Veräusserungsgewinnen eine Quellensteuer von 35 % erhoben. Dies gilt namentlich für Gewinne aus der Veräusserung von Aktien von Gewinnauffanggesellschaften. Wenn die Aktien einer Kapitalgesellschaft während mehr als eines Jahres gehalten worden waren und wenn die Veräusserung nicht zwischen verbundenen Unternehmen oder in einem beruflichen Rahmen erfolgte, beträgt der Steuersatz 17 %. Ausnahmen gelten für die Veräusserung von Aktien an einer Börse sowie für Verkäufe durch Pensionskassen, Anlagefonds oder Banken.

Die chilenische Abkommenspolitik beruht insbesondere für Gewinne aus der Veräusserung von Direktbeteiligungen auf einem Besteuerungsrecht des Quellenstaates.

Damit soll für Veräusserungsgewinne eine Besteuerung herbeigeführt werden, die derjenigen für ausgeschüttete Gewinne vergleichbar ist. Chile zeigte sich ausserstande, von der hiervor dargestellten, in seinem innerstaatlichen Recht vorgesehenen Besteuerung von Gewinnen aus der Veräusserung von Gesellschaftsanteilen abzuweichen. Die Aufnahme einer Lösung, die Chile auch in anderen kürzlich abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen, beispielsweise mit Spanien und Grossbritannien, vereinbart hat, stellte deshalb aus chilenischer Sicht eine unverzichtbare Bedingung für den Abschluss eines Abkommens mit der Schweiz dar. Die Schweiz hat im Übrigen bereits mit anderen Staaten (z.B. mit Indien, Thailand und Vietnam) ähnliche Bestimmungen akzeptieren müssen. Die nunmehr vereinbarte Lösung in Absatz 4 entspricht derjenigen im Abkommen zwischen Chile und Grossbritannien: Nach Buchstabe a können Gewinne aus der Veräusserung von Gesellschaftsanteilen im Quellenstaat besteuert werden, wenn der Veräusserer zu irgendeinem Zeitpunkt in den letzten zwölf Monaten zu mindestens 20 % am Kapital dieser Gesellschaft beteiligt war oder wenn Anteile an einer Gesellschaft veräussert werden, deren Aktiven zu mehr als 50 % aus im Quellenstaat gelegenem unbeweglichem Vermögen bestehen. Für andere Gewinne aus der Veräusserung von Anteilen ist das Besteuerungsrecht des Quellenstaats nach Buchstabe b auf 17 % begrenzt. Buchstabe c schliesslich sieht für die von einer Pensionseinrichtung erzielten Gewinne ein ausschliessliches Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats des Veräusserers vor.

In Artikel 22 Absatz 2 Buchstabe a wird festgehalten, dass die Schweiz die Gewinne aus der Veräusserung von zu einer Beteiligung von mehr als 20 % gehörenden 8864

Gesellschaftsanteilen oder von Anteilen an Immobiliengesellschaften nur dann von der Steuer befreit, wenn deren Besteuerung in Chile nachgewiesen wird. Nach Artikel 22 Absatz 2 Buchstabe d gewährt die Schweiz für die Veräusserungsgewinne, die einer auf 17 % begrenzten Steuer unterliegen, eine Anrechnung an die schweizerischen Steuern.

Art. 18

Pensionen

Beide Seiten einigten sich auf ein auf 15 % beschränktes Besteuerungsrecht des Quellenstaates für Pensionen. Dies gilt für Pensionen sowohl privater als auch öffentlich-rechtlicher Anstalten. Die Schweiz vermeidet die Doppelbesteuerung durch Anrechnung der chilenischen Quellensteuer.

Ziffer 7 des Protokolls bestimmt, dass Kapitalleistungen sowie Leistungen aus schweizerischen anerkannten Formen der gebundenen Selbstvorsorge nicht unter Artikel 18 fallen. Dieser Ausschluss von Kapitalleistungen aus dem sachlichen Geltungsbereich des Abkommens wahrt das schweizerische Besteuerungsrecht für solche Leistungen und vermeidet deren doppelte Nichtbesteuerung. Weil das Abkommen keine Bestimmung über die Besteuerung sonstiger Einkünfte enthält, richtet sich die Besteuerung solcher Leistungen nach den Regeln des innerstaatlichen Rechts, was in Ziffer 1 des Protokolls ausdrücklich bestätigt wird.

Art. 22

Vermeidung der Doppelbesteuerung

Chile vermeidet die Doppelbesteuerung durch Anrechnung der schweizerischen Steuern. Wird das ausschliessliche Besteuerungsrecht der Schweiz zugewiesen, so gewährt Chile eine Befreiung unter Progressionsvorbehalt.

Die Schweiz befolgt wie üblich die Befreiungsmethode mit Progressionsvorbehalt und gewährt für nicht rückforderbare Steuern auf Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren die pauschale Steueranrechnung. Im Übrigen wird auf die Ausführungen zu den Artikeln 10 (Dividenden), 13 (Veräusserungsgewinne) und 18 (Pensionen) verwiesen.

Art. 25

Informationsaustausch

Chile forderte anfänglich eine Ausdehnung der Bestimmung über den Informationsaustausch auf die Anwendung des innerstaatlichen Rechts, insbesondere für die Bekämpfung der Steuerflucht. Diese Forderung konnte auf den Austausch der für die ordnungsgemässe Anwendung des Abkommens und für die Durchsetzung des innerstaatlichen Rechts in Fällen von Steuerbetrug notwendigen Informationen begrenzt werden. Als Steuerbetrug im Sinne dieser Bestimmung gilt ein mit Freiheitsstrafe bedrohtes betrügerisches Verhalten. Eine analoge Bestimmung hat die Schweiz bereits in mehreren Abkommen mit OECD-Staaten und mit anderen Staaten (z.B. Südafrika, Kolumbien und Costa Rica) zugestanden. Ziffer 8 des Protokolls bestätigt die von der Schweiz auf diesem Gebiet verfolgten Grundsätze der doppelten Strafbarkeit, des direkten Zusammenhangs zwischen dem betrügerischen Verhalten und der verlangten Amtshilfemassnahmen, der Reziprozität und der Beschränkung der Geltung für ab dem 1. Januar des auf das Inkrafttreten des Abkommens folgenden Jahres begangene Straftaten.

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Weil Chile gegenwärtig den Status eines Beobachters bei der OECD innehat und in absehbarer Zeit Vollmitglied dieser Organisation werden soll, wird ausserdem ein Informationsaustausch für Holdinggesellschaften vorgesehen, der jedoch erst ab dem 1. Januar des auf die Erlangung der Vollmitgliedschaft Chiles bei der OECD folgenden Jahres anwendbar wird. Diese in Ziffer 9 des Protokolls vereinbarte Lösung entspricht der von der Schweiz gegenüber der OECD eingegangenen Verpflichtung.

Art. 27

Verschiedene Bestimmungen

Nach chilenischem Recht sind gewisse chilenische Anlageformen mit ausländischem Kapital, die von einer in Chile ansässigen Person verwaltet werden, in- und ausländischen Personen zugänglich. Die Investitionen solcher Anlageformen müssen ausschliesslich in Chile getätigt werden. Diese Anlageformen sind steuerlich transparent und gelten nicht als in Chile ansässig. Sie werden auf ihren Ausschüttungen besteuert, ungeachtet der Natur der erzielten Erträge (Dividenden, Zinsen usw.).

Absatz 1 bestätigt, dass keine andere Abkommensbestimmung Chile daran hindert, diese Ausschüttungen zu besteuern.

Wie bereits im Doppelbesteuerungsabkommen mit Kanada legt Absatz 2 fest, dass eine im Rahmen des Allgemeinen Abkommens über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement of Trade in Services, GATS; SR 0.632.20, Anhang 1.B) aufgetauchte Meinungsverschiedenheit über die Frage, ob eine Massnahme unter den Anwendungsbereich des Doppelbesteuerungsabkommens fällt, nur mit Zustimmung beider Staaten vor den Rat für Dienstleistungshandel gebracht werden kann.

Absatz 3 bezieht sich auf ein chilenisches Gesetz, das es einem ausländischen Investor erlaubt, im Rahmen einer Vereinbarung mit dem chilenischen Staat eine Besteuerung zu einem Satz von 42 % während 20 Jahren zu wählen. Derartige Wahlmöglichkeiten sind in Lateinamerika relativ weit verbreitet. Sie bieten dem Steuerpflichtigen einen gewissen Schutz vor möglichen künftigen Steuersatzerhöhungen.

Weil die Steuersätze vor allem nach innerstaatlichem Recht festgelegt werden, hat diese Bestimmung im Wesentlichen deklaratorischen Charakter. Aus Gründen der Transparenz erschien es dennoch angezeigt, sie in das Abkommen aufzunehmen.

Auf chilenisches Begehren hält Absatz 4 die Bereitschaft der zuständigen Behörden fest, für den Fall, dass das Abkommen für die Erlangung von darin nicht vorgesehenen und damit nicht bezweckten Abkommensvorteilen beansprucht wird, Gegenmassnahmen zu prüfen und Verhandlungen über eine Abkommensrevision aufzunehmen. Dieser Absatz 4 entspricht der schweizerischen Auffassung, wonach eine Vertragspartei jederzeit die Aufnahme von Revisionsverhandlungen verlangen kann, auch wenn eine entsprechende ausdrückliche Bestimmung fehlt.

Absatz 5 bestätigt das Recht Chiles, auf den einer chilenischen Betriebstätte einer in der Schweiz ansässigen Person
zurechenbaren Gewinnen die zusätzliche Steuer zu erheben, solange die Steuer erster Kategorie daran angerechnet wird.

Missbrauchsbestimmung Chile wünschte die Aufnahme einer umfassenden Bestimmung gegen Missbräuche im Zusammenhang mit Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren. Aus chilenischer Sicht rechtfertigte es sich, Abkommensvorteile zu verweigern, wenn einer der Gründe für die Errichtung einer Gewinndurchlaufregelung aus der Inanspruchnahme von Abkommensvorteilen besteht. Dieses Begehren ging der Schweiz zu weit. Es gelang, die Bestimmung, die in das Protokoll (Ziff. 5) aufgenommen wurde, auf 8866

Fälle zu begrenzen, in denen die Beanspruchung von Abkommensvorteilen der Hauptzweck der Errichtung der Gewinndurchlaufregelung darstellt.

Die vereinbarte Lösung folgt weitgehend der Missbrauchsbestimmung, die kürzlich in das schweizerische Doppelbesteuerungsabkommen mit Grossbritannien aufgenommen wurde. Sie entspricht der Entwicklung der schweizerischen Abkommenspolitik auf diesem Gebiet und der von der Schweiz befolgten Praxis im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Abkommensmissbräuchen.

Es ist zu vermeiden, dass Abkommensvorteile einer Person zugute kommen, die in einem Drittstaat ohne Doppelbesteuerungsabkommen mit dem Quellenstaat ansässig ist und die eine im anderen Vertragsstaat ansässige Person (in den meisten Fällen eine Gesellschaft) als Empfängerin von abkommensbegünstigten Erträgen zwischenschaltet, in der hauptsächlichen Absicht, in den Genuss solcher Abkommensvorteile zu gelangen. Die Auslegung der Frage, ob die Beanspruchung solcher Abkommensvorteile der Hauptzweck der Errichtung einer Gewinndurchlaufregelung war, kann im Rahmen eines Verständigungsverfahrens nach Artikel 24 geklärt werden.

Art. 28

Inkrafttreten

Das Abkommen tritt am Tage des Eingangs der späteren der beiden Notifikationen über den Abschluss des dafür erforderlichen innerstaatlichen Verfahrens in Kraft.

Seine Bestimmungen finden ab dem 1. Januar des Folgejahres Anwendung.

3

Finanzielle Auswirkungen

In einem Doppelbesteuerungsabkommen verzichten beide Vertragsstaaten auf gewisse Steuereinnahmen. Für die Schweiz ergeben sich solche Einbussen einerseits durch die vollständige oder teilweise Rückerstattung der Verrechnungssteuer auf Dividenden und Zinsen und andererseits durch die Anrechnung der von Chile nach den Artikeln 10, 11 und 12 auf Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren, nach Artikel 13 auf Kapitalgewinnen und nach Artikel 18 auf Pensionen einbehaltenen Quellensteuern. Diese mangels geeigneter Statistiken nicht bezifferbaren Einbussen werden jedoch dank der durch das Abkommen bewirkten Verbesserung der Attraktivität des Standortes Schweiz teilweise ausgeglichen, was sich mittelfristig in zusätzlichen Einnahmen bei den direkten Steuern auswirken dürfte.

Im vorliegenden Abkommen konnten mit Chile Lösungen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vereinbart werden, die für die Schweiz und für die schweizerische Wirtschaft im bilateralen Verhältnis eine tragfähige Grundlage abgeben und mögliche steuerliche Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen Staaten beseitigen, die mit Chile ein Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen haben. Das Abkommen verstärkt die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz, was sich wirtschaftlich und finanziell positiv auswirken wird. Insgesamt bringt das Abkommen für die Entwicklung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen wesentliche Vorteile, und es ist geeignet, zur Förderung schweizerischer Direktinvestitionen in Chile beizutragen.

Die Kantone und die interessierten Wirtschaftsverbände haben seinen Abschluss begrüsst. Im Übrigen ist daran zu erinnern, dass Doppelbesteuerungsabkommen in erster Linie im Interesse der Steuerpflichtigen abgeschlossen werden und dass sie ganz allgemein der Förderung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit dienen, was ein Hauptanliegen der schweizerischen Aussenwirtschaftspolitik ist.

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4

Verfassungsmässigkeit

Verfassungsgrundlage für das vorliegende Abkommen ist Artikel 54 der Bundesverfassung (BV; SR 101), der die Zuständigkeit für auswärtige Angelegenheiten dem Bund zuweist. Zuständig für die Genehmigung des Abkommens ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV die Bundesversammlung. Das Abkommen ist zwar auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, kann aber jederzeit unter Einhaltung einer Frist von sechs Monaten auf das Ende eines Kalenderjahres gekündigt werden. Es sieht keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation vor. Dem fakultativen Staatsvertragsreferendum gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV unterstehen seit dem 1. August 2003 Staatsverträge, die wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert. In Anlehnung an Artikel 22 Absatz 4 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 2002 (SR 171.10) gilt eine Bestimmung eines Staatesvertrages dann als rechtsetzend, wenn sie auf unmittelbar verbindliche und generell-abstrakte Weise Pflichten auferlegt, Rechte verleiht oder Zuständigkeiten festlegt. Um eine einheitliche Praxis bei der Anwendung von Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV zu gewährleisten und zu vermeiden, dass Abkommen von ähnlicher Tragweite wiederholt dem Referendum unterworfen werden, hat der Bundesrat in seiner Botschaft vom 19. September 2003 über ein Doppelbesteuerungsabkommen mit Israel (BBl 2003 6467) in Aussicht gestellt, dem Parlament künftig zu empfehlen, internationale Abkommen nicht dem fakultativen Referendum zu unterstellen, sofern sie für die Schweiz keine neuen Verpflichtungen enthalten. Das vorliegende Abkommen schafft vorteilhafte Bedingungen, insbesondere in Bezug auf die Besteuerung von Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren. Die Amtshilfe für die Anwendung des innerstaatlichen Rechts in Fällen von Steuerbetrug wurde bereits gegenüber anderen Staaten (z.B. Deutschland und Südafrika) zugestanden und erstreckt sich nur auf Auskünfte, die bereits heute auf dem Rechtshilfeweg beschafft werden können. Eine solche Bestimmung stärkt die Schweizer Position auf diesem Gebiet im internationalen Umfeld.

Das Abkommen bringt für die Schweiz keine neuen, als wichtig zu bezeichnenden Verpflichtungen, die über die Verpflichtungen hinausgehen, die die Schweiz gegenüber anderen Staaten eingegangen ist. Der Bundesbeschluss
über den Abschluss eines Doppelbesteuerungsabkommens mit Chile unterliegt daher nicht dem fakultativen Staatsvertragsreferendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV.

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