08.010 Botschaft zur Änderung des Patentgesetzes (Systementscheid bei der Erschöpfung im Patentrecht) vom 21. Dezember 2007

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf zu einer Änderung des Patentgesetzes.

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, den folgenden parlamentarischen Vorstoss abzuschreiben: 2007 M

06.3633

Klärung der Möglichkeiten und Folgen im Bereich der patentrechtlichen Erschöpfung (N 20.12.06, Kommission für Rechtsfragen NR [05.082]; S 14.3.07)

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

21. Dezember 2007

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Micheline Calmy-Rey Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2007-1152

303

Übersicht Der geltende Grundsatz der nationalen Erschöpfung wird durch eine Änderung des Patentgesetzes auf Gesetzesstufe festgeschrieben.

Ausgangslage Mit Urteil vom 7. Dezember 1999 stellte das Bundesgericht für den Bereich des Patentrechts den Grundsatz der nationalen Erschöpfung auf. Patentinhaber können sich demnach dem Import von im Ausland veräusserten patentgeschützten Erzeugnissen in die Schweiz widersetzen, sofern damit nicht eine kartellrechtswidrige Wettbewerbsbeschränkung verbunden ist. Das Urteil löste eine Kontroverse aus, die bis heute anhält.

Der Bundesrat nahm in drei Berichten zur Erschöpfung im Patentrecht Stellung: Er verwarf einen Wechsel zum System der internationalen oder regionalen Erschöpfung im Patentrecht, weil der erwartete wirtschaftliche Nutzen die Nachteile eines solchen Wechsels nicht aufwiegt. Der Bundesrat hielt am geltenden System der nationalen Erschöpfung fest. Diese Haltung bekräftigte er seither mehrfach. Er befürwortete jedoch Massnahmen zur Verhinderung eines Missbrauchs des Patentrechts. Die Botschaft vom 23. November 2005 zur Änderung des Patentgesetzes und zum Bundesbeschluss über die Genehmigung des Patentrechtsvertrags und der Ausführungsordnung (BBl 2006 1) setzte diese Haltung um.

Am 20. Dezember 2006 beschloss der Nationalrat, die Frage der Erschöpfung im Patentrecht aus der Vorlage herauszulösen. Zugleich stimmte er einer Motion zu, die den Bundesrat ersucht, auf die Frage der patentrechtlichen Erschöpfung zurückzukommen und bis Ende 2007 in einer Botschaft eine Lösung vorzuschlagen. Am 14. März 2007 beschloss auch der Ständerat die Annahme der Motion.

Inhalt der Vorlage Der Bundesrat bekräftigt seine Präferenz für den Grundsatz der nationalen Erschöpfung. Er spricht sich dafür aus, dieses Prinzip im Patentgesetz zu verankern.

Der Bundesrat schlägt zudem vor, die Konfliktregelung in Artikel 9a des Patentgesetzes in der Fassung vom 22. Juni 2007 (BBl 2007 4593, 4597) auf solche Fälle auszudehnen, in denen ein Erzeugnis einen patentierten Bestandteil aufweist, der für die funktionelle Beschaffenheit nur von untergeordneter Bedeutung ist. Eine Beweisregelung soll die Wirksamkeit dieser Konfliktregelung weiter verbessern.

304

Inhaltsverzeichnis Übersicht

304

Abkürzungsverzeichnis

307

1 Grundzüge der Vorlage 1.1 Ausgangslage 1.2 Erschöpfung und Parallelimporte 1.2.1 Erschöpfung 1.2.2 Parallelimporte 1.3 Hochpreisdebatte und Stellenwert der nationalen Erschöpfung im Patentrecht 1.3.1 Ökonomische Überlegungen zum Patentrecht 1.3.2 Ursachen für Preisdifferenzen 1.3.3 Stellenwert der nationalen Erschöpfung 1.4 Untersuchte Lösungsmöglichkeiten 1.4.1 Nationale Erschöpfung 1.4.1.1 Grundoption: nationale Erschöpfung ohne Ausnahmen 1.4.1.2 Variante: Ausnahme bei landwirtschaftlichen Produktionsmitteln und Investitionsgütern (internationale Erschöpfung) 1.4.1.3 Variante: Ausnahme bei landwirtschaftlichen Produktionsmitteln (regionale Erschöpfung) 1.4.1.4 Variante: Ausnahme bei Märkten mit vergleichbaren Vermarktungsbedingungen 1.4.2 Regionale Erschöpfung 1.4.2.1 Grundoption: regionale Erschöpfung ohne Ausnahmen 1.4.2.2 Varianten 1.4.3 Internationale Erschöpfung 1.4.3.1 Grundoption: internationale Erschöpfung ohne Ausnahmen 1.4.3.2 Variante: Ausnahme bei Märkten mit administrierten Preisen 1.4.3.3 Variante: Ausnahme bei Märkten mit abweichenden Rahmenbedingungen 1.4.4 Einschränkung zugunsten des Marktzugangs nach dem Bundesgesetz über die technischen Handelshemmnisse 1.5 Ergebnis der Vernehmlassung 1.6 Beantragte Lösung 1.7 Begründung und Bewertung der beantragten Lösung 1.8 Rechtsvergleich und Verhältnis zum europäischen Recht 1.8.1 Rechtsvergleich 1.8.2 Verhältnis zum europäischen Recht 1.9 Erledigung parlamentarischer Vorstösse

308 308 309 309 310

332 333 337 337 340 340 341 342

2 Erläuterung der einzelnen Artikel

342

3 Auswirkungen

344

311 311 314 314 317 317 317 320 322 322 324 324 326 327 327 330 331

305

3.1 Finanzielle und personelle Auswirkungen auf den Bund, die Kantone und Gemeinden 3.2 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

344 344

4 Verhältnis zur Legislaturplanung

345

5 Rechtliche Aspekte 5.1 Verfassungs- und Gesetzmässigkeit 5.2 Vereinbarkeit mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz 5.3 Erlassform

345 345 346 346

Literaturverzeichnis

350

Bundesgesetz über die Erfindungspatente (Entwurf)

351

306

Abkürzungsverzeichnis BV

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV); SR 101

EG

Europäische Gemeinschaft

EWR

Europäischer Wirtschaftsraum

GATT 1994

Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (General Agreement on Tariffs and Trade) vom 15. April 1994, Anhang 1A.1 zum Abkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation); SR 0.632.20

KG / Kartellgesetz

Bundesgesetz vom 6. Oktober 1995 über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz, KG); SR 251

LwG / Landwirtschaftsgesetz

Bundesgesetz vom 29. April 1998 über die Landwirtschaft (Landwirtschaftsgesetz, LwG); SR 910.1

PatG / Patentgesetz

Bundesgesetz vom 25. Juni 1954 über die Erfindungspatente (Patentgesetz, PatG); SR 232.14

THG / Bundesgesetz über die technischen Handelshemmnisse

Bundesgesetz vom 6. Oktober 1995 über die technischen Handelshemmnisse (THG); SR 946.51

TRIPS-Abkommen

Abkommen vom 15. April 1994 über handelsbezogene Aspekte an geistigem Eigentum (Anhang 1C zum Abkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation); SR 0.632.20

WTO

Welthandelsorganisation mit Sitz in Genf (World Trade Organization)

307

Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

In der Schweiz ist die Erschöpfung der durch das Patentrecht vermittelten Ausschlussrechte an einem patentgeschützten Erzeugnis im Patentgesetz nicht geregelt.

Am 7. Dezember 1999 erging das Bundesgerichtsurteil in Sachen Kodak SA gegen Jumbo Markt AG1. In diesem Urteil schloss das Bundesgericht die Lücke und stellte für den Bereich des Patentrechts den Grundsatz der nationalen Erschöpfung auf.

Patentinhaber können sich demnach der Einfuhr von im Ausland veräusserten patentgeschützten Gütern in die Schweiz widersetzen, sofern damit keine kartellrechtswidrige Wettbewerbsbeschränkung verbunden ist. Das Urteil löste eine Kontroverse aus, die bis heute anhält.

Der Bundesrat nahm in drei Berichten2 zur Erschöpfung im Patentrecht Stellung. Er verwarf ­ gestützt auf umfangreiche externe Studien ­ einen Wechsel zum System der internationalen oder regionalen Erschöpfung im Patentrecht. Der erwartete wirtschaftliche Nutzen wog seiner Ansicht nach die Nachteile eines solchen Wechsels nicht auf. Der Bundesrat hielt daher am geltenden System der nationalen Erschöpfung fest. Diese Haltung bekräftigte er seither mehrfach. Der Bundesrat befürwortete jedoch Massnahmen zur Verhinderung eines Missbrauchs des Patentrechts. Hierzu gehörte die Klärung der Anwendung des Kartellgesetzes auf Einfuhrbeschränkungen. Dieses Ziel wurde durch eine Neufassung von Artikel 3 Absatz 2 des Kartellgesetzes3 realisiert. Weiter erklärte sich der Bundesrat bereit, eine Regelung von Konflikten zwischen divergierenden Erschöpfungsregelungen bei mehrfach geschützten Waren ins Patentgesetz aufzunehmen: Der nach geltendem Recht mögliche Parallelimport von marken- oder urheberrechtlich geschützten Waren solle nicht unterbunden werden können, indem den Waren ein patentierter Bestandteil von nebensächlicher Bedeutung beigefügt werde. Auch dieser Vorschlag wurde realisiert. Die eidgenössischen Räte haben der Konfliktregelung zusammen mit der Revision des Patentgesetzes zugestimmt (Art. 9a PatG in der Fassung vom 22. Juni 20074).

Der Nationalrat beschloss bei der Beratung der Vorlage zur Änderung des Patentgesetzes5, die Frage der Erschöpfung von Patentrechten aus der Vorlage herauszulösen. Zugleich stimmte er einer Motion der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 3. November 20066 zu. Mit diesem Vorstoss ersucht der Nationalrat den Bundesrat, auf die Frage der patentrechtlichen Erschöpfung zurückzukommen

1 2

3 4 5 6

308

BGE 126 III 129 Parallelimporte und Patentrecht, Bericht des Bundesrates vom 8. Mai 2000; Parallelimporte und Patentrecht, Bericht des Bundesrates vom 29. Nov. 2002; Parallelimporte und Patentrecht: Regionale Erschöpfung, Bericht des Bundesrates vom 3. Dez. 2004.

BBl 2003 4517 BBl 2007 4593 4597 05.082 ­ Patentrechtsvertrag. Genehmigung und Ausführungsverordnung sowie Änderung des Patentgesetzes.

06.3633 M Klärung der Möglichkeiten und Folgen im Bereich der patentrechtlichen Erschöpfung (N 20.12.20, Kommission für Rechtsfragen NR [05.082]; S 14.3.20).

und dem Parlament bis Ende 2007 im Rahmen einer eigenen Vorlage eine Lösung zu unterbreiten. Am 14. März 2007 beschloss auch der Ständerat die Annahme der Motion.

1.2

Erschöpfung und Parallelimporte

1.2.1

Erschöpfung

Bei der Erschöpfung von Patentrechten geht es um das Verhältnis der Verbotsrechte eines Patentinhabers zu den Benutzungsrechten des Erwerbers eines patentrechtlich geschützten Erzeugnisses. Veräussert die an einem Patent berechtigte Person ein durch das Patent geschütztes Erzeugnis, so geraten ihre durch das Patentrecht vermittelten Verbotsrechte bezogen auf dieses Erzeugnis mit den Befugnissen des Erwerbers aus sachenrechtlichem Eigentum in Konflikt. Lehre und Rechtsprechung haben unterschiedliche Ansätze entwickelt, um in diesem Konflikt zwischen geistigem Eigentum und Sacheigentum einen Ausgleich zwischen dem Interesse des Patentinhabers und demjenigen des Erwerbers herzustellen. Nach dem Erschöpfungsgrundsatz werden die durch das Patentrecht vermittelten Verbotsrechte an einem patentgeschützten Erzeugnis verbraucht oder eben erschöpft, wenn die am Patent berechtigte Person dieses Erzeugnis veräussert oder wenn dieses mit ihrem Einverständnis in Verkehr gesetzt wird. Die am Patent berechtigte Person verliert durch das Inverkehrbringen eines patentgeschützten Erzeugnisses das Recht, dessen gewerbsmässigen Gebrauch sowie weiteren Verkauf durch den Erwerber von ihrer Zustimmung abhängig zu machen. Nach einem zweiten Ansatz wird das freie Gebrauchs- und Weiterveräusserungsrecht des rechtmässigen Erwerbers mit einer stillschweigend erteilten Benutzungserlaubnis des Patentinhabers (implied license) erklärt. Der Umfang dieser Benutzungserlaubnis richtet sich diesem Ansatz zufolge nach dem Zweck des Erwerbs.

Die aktuelle Rechtspraxis in Europa folgt der Lehre der Erschöpfung. Dies allerdings nicht konsequent bei allen Erwerbstatbeständen. Bei der Veräusserung einer Vorrichtung, mit der sich ein patentgeschütztes Verfahren durchführen lässt, wird die Befugnis des rechtmässigen Erwerbers zur Benutzung des geschützten Verfahrens beispielsweise als stillschweigend erteilte Benutzungserlaubnis qualifiziert.

Gleiches gilt für die Vermehrung von rechtmässig erworbenem biologischem Material.

Bei der Kontroverse um die Erschöpfung von Patentrechten (Ziff. 1.1) geht es um die territoriale Reichweite des Erschöpfungsgrundsatzes. Der Streitpunkt ist, ob die Abwehrrechte aus einem in der Schweiz wirksamen Patent an einem dadurch geschützten Erzeugnis erschöpft werden, wenn die Sache vom Patentinhaber oder mit
seiner Zustimmung ausserhalb der Schweiz in Verkehr gesetzt wurde. Hier gibt es drei Grundoptionen: das System der nationalen, der regionalen und der internationalen Erschöpfung. Diese Grundoptionen werden in der politischen Diskussion durch Einschränkungen bezüglich bzw. Ausnahmen zugunsten bestimmter Warengruppen oder Branchen variiert. Nachstehend sollen die Grundvarianten begrifflich umrissen werden.

309

Nationale Erschöpfung Nach dem Grundsatz der nationalen Erschöpfung gehen die Verbotsrechte aus einem für das Inland erteilten Schutzrecht an einem Erzeugnis unter, wenn dieses mit der Zustimmung des Patentinhabers im Inland in Verkehr gebracht wird. Der rechtmässige Erwerber des Erzeugnisses erlangt ein freies Gebrauchs- und Weiterveräusserungsrecht. Wird ein geschütztes Erzeugnis im Ausland in Verkehr gebracht, so erschöpfen sich die daran bestehenden Schutzrechte im Inland nicht. Für die Einfuhr der im Ausland in Verkehr gebrachten Erzeugnisse ist die Zustimmung des Schutzrechtsinhabers erforderlich.

Regionale Erschöpfung Nach dem Grundsatz der regionalen Erschöpfung gehen die Verbotsrechte aus den für die Länder eines gemeinsamen Wirtschaftsraums (z.B. EG, EWR) erteilten Schutzrechten an einem Erzeugnis unter, wenn dieses mit der Zustimmung des Patentinhabers in einem Land dieses Wirtschaftsraums in Verkehr gebracht wird.

Der Patentinhaber kann sich dem Weiterverkauf der geschützten Erzeugnisse innerhalb des Wirtschaftsraums nicht widersetzen. Beim Inverkehrbringen der geschützten Erzeugnisse ausserhalb dieses Wirtschaftsraums bleiben dem Patentinhaber die Verbotsrechte in den Ländern dieses Wirtschaftsraums erhalten.

Internationale Erschöpfung Nach dem Grundsatz der internationalen Erschöpfung gehen die Verbotsrechte aus einem für das Inland erteilten Schutzrecht an einem Erzeugnis unter, wenn dieses mit der Zustimmung des Patentinhabers entweder im Inland oder im Ausland in Verkehr gebracht wurde. Der Patentinhaber kann sich dem grenzüberschreitenden Weiterverkauf der im Ausland in Verkehr gesetzten Erzeugnisse nicht widersetzen.

1.2.2

Parallelimporte

In einem weiten Sinn bezeichnet der Ausdruck «Parallelimporte» den grenzüberschreitenden Handel, bei dem der Importeur das Preisgefälle zum Ausland nutzt und ein im Ausland erworbenes Erzeugnis für den Weiterverkauf im Inland ausserhalb der Vertriebskanäle des Herstellers einführt. Der Parallelimporteur tritt somit auf der Stufe des Vertriebs in Konkurrenz zum Hersteller und zu dessen Vertriebshändlern.

Einen wesentlichen Anreiz für den Parallelimporteur bildet die Differenz zwischen dem Einkaufspreis im Ausland und dem Verkaufspreis im Inland, wobei staatliche Abgaben, Kosten und die eigene Marge eingerechnet werden. Die Existenz von Preisunterschieden ist indes keineswegs die alleinige Voraussetzung dafür, dass private Akteure die Möglichkeit der Arbitrage nutzen. Trotz Preisgefälles können Parallelimporte ausbleiben, wenn beispielsweise die internationale Handelbarkeit wegen staatlicher Vorschriften (z.B. wegen unterschiedlicher Produktanforderungen oder wegen anderer technischer Handelshemmnisse) eingeschränkt ist. Die umfassende Analyse und Beurteilung derartiger Schranken für den Parallelhandel ist indessen nicht Gegenstand dieser Vorlage.

In einem engen Sinn bezieht sich der Ausdruck «Parallelimporte» auf den grenzüberschreitenden Handel von Erzeugnissen, an denen Schutzrechte des geistigen Eigentums bestehen. Die Möglichkeit von Parallelimporten wird bei geschützten Erzeugnissen durch das System der Erschöpfung der jeweiligen Schutzrechte mit310

bestimmt, ist aber nicht ausschliesslich von diesem abhängig. Das System der internationalen Erschöpfung im Marken- und Urheberrecht hat wohl bei einigen Erzeugnissen (z.B. bei Compact Discs und Personenfahrzeugen) zu günstigeren Preisen in der Schweiz im Vergleich zur EU beigetragen. Die internationale Erschöpfung hat jedoch nicht dazu geführt, dass Preisunterschiede zum Ausland bei marken- und urheberrechtlich geschützten Erzeugnissen durchgehend beseitigt wurden. So ist das Preisniveau in der Schweiz z.B. bei Kleidern, Schuhen und Büchern im Vergleich zur EU wesentlich höher. Dies ist ein Abbild der Tatsache, dass die Preisbildung im Handel von einer Vielzahl von Faktoren abhängt, und ein mögliches Indiz dafür, dass eine Begünstigung des Intrabrand-Wettbewerbs durch einen Systemwechsel Anreiz zu ökonomisch ineffizienten Leistungen geben kann.

Im Patentrecht gilt in der Schweiz nach der Rechtsprechung der Grundsatz der nationalen Erschöpfung. Der Patentinhaber kann sich damit der Einfuhr von patentierten Erzeugnissen widersetzen, die er im Ausland auf den Markt gebracht hat. Es besteht allerdings kein gesetzliches Verbot von Parallelimporten. Einfuhrbeschränkungen müssen vom Patentinhaber durchgesetzt werden, der dabei der kartellrechtlichen Kontrolle untersteht.

Da der Ausdruck «Parallelimporte» ganz unterschiedlich verstanden wird und eine Gleichsetzung mit der Frage der Erschöpfung im Patentrecht unzutreffend ist, wird der Ausdruck im Folgenden gemieden.

1.3

Hochpreisdebatte und Stellenwert der nationalen Erschöpfung im Patentrecht

1.3.1

Ökonomische Überlegungen zum Patentrecht

Patente beheben ein Marktversagen Erfindungen sind technisch anwendbares Wissen. Wissen hat die Eigenschaften eines öffentlichen Guts. Ein solches Gut weist im Vergleich zu anderen Wirtschaftsgütern die Eigenheit auf, dass Dritte von der Nutzung dieses Gutes nicht effektiv ausgeschlossen werden können. Unter den Bedingungen eines freien Marktes ist die Versorgung mit einem öffentlichen Gut wegen dieser Eigenheit nicht gewährleistet: Ist die Entwicklungsleistung erbracht und das öffentliche Gut geschaffen, so können sich andere Marktteilnehmer dieses aneignen und wirtschaftlich nutzen, ohne die Gestehungskosten mittragen zu müssen (Trittbrettfahrerproblematik). Weil die Kosten zur Entwicklung eines öffentlichen Gutes regelmässig hoch sind, besteht in einem freien Markt angesichts potenzieller Trittbrettfahrer kein Anreiz zur Erzeugung solcher Güter.

Da es wünschenswert ist, dass solche Güter dennoch geschaffen werden, sind Mechanismen erforderlich, die Dritte von der Nutzung dieser Güter ausschliessen oder dazu zwingen, einen Beitrag an die Gestehungskosten zu leisten. Der Patentschutz ist ein derartiger Mechanismus. Die Anerkennung und Zuweisung von übertragbaren Ausschliesslichkeitsrechten gibt dem Wissen während einer beschränkten Zeitspanne den Charakter eines privaten Gutes und macht es wirtschaftlich handelund nutzbar: Nicht bezahlende Trittbrettfahrer sind von der Verwendung des Wissens ausgeschlossen. Damit setzt der Patentschutz die erforderlichen Anreize, in die Forschung und Entwicklung zu investieren. Der Zwang zur Offenlegung der Erfindung in der Patentanmeldung sorgt für eine frühe Verbreitung des technisch 311

anwendbaren Wissens. Mit Ablauf der Patentschutzdauer wird dieses zum Gemeingut: Jedermann kann die Erfindung frei nutzen.

Patente sind nicht nur Kopierschutz Zuweilen wird der Patentschutz als Kopierschutz charakterisiert. Dies zeugt von einem verkürzten Verständnis des Patentrechts. Diese Sicht übersieht, dass Patentschutz nicht nur Schutz vor der kommerziellen Herstellung durch nicht lizenzierte Dritte ist. Dem Patentinhaber ist die wirtschaftliche Nutzung der Erfindung insgesamt vorbehalten. Er soll den von ihm errungenen Marktvorsprung nicht mit Konkurrenten teilen müssen.

Ein Bündel von Abwehrrechten erlaubt dem Patentinhaber, Konkurrenten bis zum Ablauf der Schutzdauer von der wirtschaftlichen Nutzung seiner Erfindung auszuschliessen. Als solche gilt neben der Herstellung und dem Verkauf auch der Import eines patentrechtlich geschützten Erzeugnisses. Der patentrechtliche Schutz der Einfuhr erlaubt dem Patentinhaber, den Import von Erzeugnissen verbieten zu lassen, die seine Erfindung gewerbsmässig nutzen. Dieses Importverbotsrecht ist ein wesentlicher Gehalt des Patentschutzes.

In Verbindung mit der nationalen Erschöpfung bezweckt das Importverbotsrecht die Gewährleistung des Erfindungsschutzes für den Fall, dass die Waren mit Einverständnis des schweizerischen Patentinhabers im Ausland unter nicht mit dem Inland vergleichbaren Bedingungen in Verkehr gesetzt worden sind. Dies erlaubt dem Patentinhaber, sein Angebot den jeweils unterschiedlichen Rahmenbedingungen, den Kosten der Vermarktung sowie dem Angebot und der Nachfrage in den verschiedenen Ländern anpassen und optimieren. Dabei ergeben sich Preis- und Produktdifferenzierungen nach Ländern. Diese sind nicht Ausdruck dafür, dass der Wettbewerb durch Patente ausgeschaltet wäre. Denn das Importverbotsrecht verleiht auch in Verbindung mit der nationalen Erschöpfung auf den jeweiligen relevanten Produktmärkten nicht systematisch ein (Import-)Monopol. Der Patentinhaber kann sich nämlich bei der Festsetzung des Preises für das patentierte Erzeugnis nicht prinzipiell unabhängig von Mitbewerbern verhalten. Vielmehr stehen seine Erzeugnisse in aller Regel im Wettbewerb mit aus Kundensicht austauschbaren Erzeugnissen anderer Hersteller. Es besteht im Normalfall somit funktionierender InterbrandWettbewerb.

Auf der Grundlage der nationalen
Erschöpfung gewährleistet das Importverbotsrecht die wirtschaftliche Gestaltungsfreiheit des Patentinhabers. Die der nationalen Erschöpfung inhärente Beschränkung des Intrabrand-Wettbewerbs dient dem Schutz von Investitionen und damit von Eigentum. Sie verhindert, dass der Patentinhaber den von ihm geschaffenen Marktvorsprung und seine dafür getätigten Investitionen mit dem Handel teilen oder auf weniger effiziente und folglich die Produkte verteuernde Art (beispielweise durch vertikale Integration) sichern muss. Die nationale Erschöpfung schützt so vor einem Trittbrettverhalten der Händler, die den Patentinhaber mit dem von ihm geschaffenen Mehrwert konkurrenzieren. Eine Aufgabe der nationalen Erschöpfung würde das Importverbotsrecht auf einen blossen Schutz vor Piraterie reduzieren.

Patente machen Innovationsgewinne möglich Dank seiner Ausschliesslichkeitsrechte kann der Patentinhaber bei entsprechender Nachfrage auch höhere Preise für seine innovativen Produkte durchsetzen. Der Patentschutz ist aber kein Garant für Markterfolg. Der Patentschutz entzieht das 312

patentrechtlich geschützte Erzeugnis nämlich nicht dem freien Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage.

Die durch höhere Preise ermöglichten Gewinne tragen zur Finanzierung der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten bei, die für das Bestehen auf dem Markt notwendig sind. Die Gewinne sind Lohn für geschaffene Innovationen und Anreiz für den Innovationswettbewerb. Sie bilden die Essenz des Patentrechts und sind als solche legitim.

Preisvergleiche bei patentrechtlich geschützten Erzeugnissen tragen dem durch Patente geförderten Wettbewerb auf dem Feld der Innovation nicht zureichend Rechnung. Sie blenden tendenziell sowohl den Mehrwert innovativer Produkte für Konsumentinnen und Konsumenten als auch den Wohlfahrtseffekt einer innovativen inländischen Industrie für die Volkswirtschaft aus.

Patente verschaffen keine Monopolrenten Patente schützen nicht vor Konkurrenz durch austauschbare Erzeugnisse anderer Hersteller (Interbrand-Wettbewerb). Konsumentinnen und Konsumenten haben im Normalfall die Wahlmöglichkeit zwischen dem patentrechtlich geschützten Erzeugnis und mit diesem in Wettbewerb stehenden vergleichbaren Erzeugnissen anderer Hersteller. Der Wettbewerb findet dabei sowohl auf der Ebene des Preises als auch auf der Ebene der Innovation statt. Weist das patentierte Erzeugnis einen Mehrwert in Form innovativer Elemente auf, so können die Konsumentinnen und Konsumenten frei entscheiden, ob sie den dafür geforderten Mehrpreis zahlen oder auf ein preiswerteres Erzeugnis anderer Hersteller ausweichen wollen. Dieser Wettbewerb zwischen substituierbaren Produkten schliesst zwar hohe Preise für patentierte Erzeugnisse nicht aus, er verhindert aber Monopolrenten.

Die patentrechtliche Ausschliesslichkeit an einer Erfindung führt folglich nicht prinzipiell, sondern nur dann zur Marktbeherrschung oder zu einem Monopol, wenn auf einem bestimmten Produktmarkt neben den patentierten Erzeugnissen keine austauschbaren Erzeugnisse (Substitutionsgüter) bestehen. Es ist unzutreffend, Patente prinzipiell als Monopole begreifen zu wollen, die eine volkswirtschaftlich nachteilige Abschottung gegenüber der Konkurrenz begünstigen würden. Dies liefe auf eine enge, auf das jeweilige patentierte Erzeugnis beschränkte Abgrenzung des relevanten Markts hinaus, die als Gesetzmässigkeit unvertretbar wäre. Hohe Preise bei
patentierten Produkten können somit nicht auf eine künstliche, durch das Patentsystem planmässig herbeigeführte Marktabschottung zurückgeführt werden. Sie sind primär Ausdruck eines durch Innovation errungenen und von den Nachfragern honorierten Marktvorsprungs. Der resultierende Innovationsgewinn ist keine Monopolrente. Er ist die Belohnung für geleistete Anstrengungen und trägt zur Finanzierung weiterer Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten bei. Wie hoch eine optimale Innovationsrendite sein soll, ist ökonomisch nicht schlüssig zu bestimmen.

Die Beurteilung des Verhältnisses zwischen unterschiedlichen Preisen und unterschiedlichen Marktbedingungen ist Sache des Wettbewerbsrechts. Mit der Einführung direkter Sanktionen (Art. 49a KG) ist das wettbewerbsrechtliche Instrumentarium erheblich verschärft worden. Es verhindert im Einzellfall auch missbräuchlich überhöhte Preise. Aufgrund der Ergänzung des Kartellgesetzes (Art. 3 Abs. 2 zweiter Satz KG) sind Einfuhrbeschränkungen gestützt auf Rechte des geistigen Eigentums ausdrücklich einer Beurteilung durch das Kartellrecht zugänglich.

313

1.3.2

Ursachen für Preisdifferenzen

Die Preisbildung steht in engem Zusammenhang mit der internationalen Handelbarkeit eines Gutes. Ist es international nicht handelbar (z. B. Gewerbefläche in Miete), so führt dies auf verschiedenen räumlichen Märkten zu unterschiedlichen Preisen. Preisunterschiede bei handelbaren Gütern sind auf eine Reihe von Faktoren zurückzuführen, welche die Handelbarkeit einschränken. Der Vergleich des Preisniveaus der Schweiz mit demjenigen der EU (Anhang, Abb. 1 und 2) zeigt, dass die Preisunterschiede vor allem in denjenigen Bereichen bestehen, die unter starkem staatlichem Einfluss stehen (Gesundheitswesen, Infrastrukturbereich, Nahrungsmittelbereich). Unter den vom Staat ausgehenden Ursachen für Preisunterschiede wirken sich namentlich staatliche Abgaben und technische Handelshemmnisse auf das Preisniveau aus.7 Auf das Preisniveau handelbarer Güter haben aber auch Standortfaktoren (Boden- oder Mietpreise, Kleinräumigkeit des Marktes, Mehrsprachigkeit, Wechselkurse), Lohnkosten, Qualitätsunterschiede sowie private Marktstrategien (differenzierte Service- und Garantieleistungen, Produktdifferenzierungen, gestaffelte Produkteinführung) einen Einfluss. Nach Massgabe der Art des jeweiligen Gutes und der Struktur des Marktes kommt den einzelnen Faktoren unterschiedliche Bedeutung zu.

Preisunterschiede zwischen Ländern dürfen nicht pauschal als willkürlich und wettbewerbswidrig angesehen werden. Es ist im Gegenteil normal, dass ein und dasselbe Gut in verschiedenen Ländern einen unterschiedlichen Wert besitzt und sei dies nur, weil die Bedürfnisse, Ansprüche oder Erwartungen der Konsumentinnen und Konsumenten unterschiedlich sind.

1.3.3

Stellenwert der nationalen Erschöpfung

Die nationale Erschöpfung im Patentrecht gibt dem Inhaber die Möglichkeit, nach Absatzländern differenzierte Preise durchzusetzen. Die resultierenden Preisdifferenzierungen sind Ausdruck der jeweiligen Marktbedingungen. Da ein funktionsfähiger (Interbrand-)Wettbewerb im Regelfall vorausgesetzt werden kann, sind die Preisunterschiede bei patentrechtlich geschützten Erzeugnissen keineswegs Ausdruck dafür, dass der Wettbewerb durch Patente und die nationale Erschöpfung ausgeschaltet wäre. Höhere Preise reflektieren eine vorhandene höhere Zahlungsbereitschaft der Konsumentinnen und Konsumenten.

Diese Aussage ist für den Arzneimittelmarkt zu relativieren: Dieser Markt weist gegenüber anderen Konsumgütermärkten einige Besonderheiten auf. Er ist sowohl auf der Nachfrageseite (externe Effekte, Informationsunvollkommenheiten, geringe Preiselastizität) als auch auf der Angebotsseite (öffentliches Gut Forschung, vermehrte Monopolstellung auf gewissen Teilmärkten) von Marktversagen gekennzeichnet. Die Voraussetzungen für das Funktionieren der Marktprozesse sind auf dem Arzneimittelmarkt deshalb nicht gegeben. Der Staat hat hier korrigierend mit der Schaffung einer Marktordnung eingegriffen. Die Regulierung dient neben den ökonomischen auch gesundheits- und sozialpolitischen Zielsetzungen. Im Vorder-

7

314

Parallelimporte und Patentrecht: Regionale Erschöpfung, Bericht des Bundesrates vom 3. Dez. 2004, S. 5 ff.

grund stehen folgende Ziele: Sicherheit und Qualität der Arzneimittel, flächendeckende Versorgung, Zugang aller zu notwendigen Behandlungen.8 Eine Analyse des Verhältnisses zwischen Patentintensität und Preisunterschieden zum Ausland verdeutlicht, dass höhere Preise sowie auch Preisdifferenzen zum Ausland keineswegs generell und kaum je ausschliesslich eine Folge des Patentschutzes sind. Dies zeigt das Beispiel der Investitionsgüterindustrie (Metall-, Elektro- und Maschinenindustrie): Obschon Investitionsgüter forschungs- und patentintensiv sind (Anhang, Abb. 2),9 bestehen im Mittel keine Preisdifferenzen zum europäischen Ausland (Anhang, Abb. 1). Dies ungeachtet des Umstands, dass wegen der relativ geringen Standardisierung die Handelbarkeit von Investitionsgütern und damit die Möglichkeit von grenzüberschreitenden Wiederverkäufen eingeschränkt sind.10 Das Fehlen von Preisunterschieden dürfte auf die starke internationale Konkurrenz unter den zwar sehr spezialisierten, aber doch substituierbaren Erzeugnissen zurückzuführen sein.11 Ein weiteres Beispiel liefert die Automobilindustrie. Obschon Personenfahrzeuge zu den (in geringem Mass) patentgeschützten Konsumgütergruppen zählen,12 liegt das Preisniveau für Personenfahrzeuge in der Schweiz mittlerweile unter demjenigen in der EU (Anhang, Abb. 1). Der Abbau von technischen Handelshemmnissen sowie eine Verschärfung des Wettbewerbsrechts haben die Absenkung des Preisniveaus verursacht.13 Das tiefere Preisniveau zeigt, dass Patentrechte nicht dazu genutzt wurden, um höhere Preise durchzusetzen. Dieser Umstand ist wohl auf die präventive Wirkung des verschärften Kartellgesetzes zurückzuführen. Seit der einvernehmlichen Regelung im Fall Citroën14 muss die Branche gewärtigen, dass Einfuhrbeschränkungen, die sich auf Patentrechte stützen, als kartellrechtswidrige Wettbewerbsbeschränkung eingestuft würden.

Es gibt auch Bereiche, in denen grosse Preisunterschiede zwischen der Schweiz und der EU festgestellt werden, aber das Patentrecht als Ursache für diese Preisunterschiede kaum in Betracht kommt: Bei Nahrungsmitteln, beim Wohnen sowie bei der Freizeit und der Kultur etwa spielt der Patentschutz eine untergeordnete oder gar marginale Rolle (Anhang, Abb. 3).15 Die Preisunterschiede zwischen der Schweiz und der EU sind im Bereich der Nahrungsmittel besonders
gross. Hier ermöglicht vor allem ein massiver tarifärer Schutz der Inlandproduktion die markanten Preisunterschiede.16 Mit dem System der nationalen Erschöpfung von Patentrechten können die Preisdifferenzen in den genannten Bereichen nicht erklärt werden.

Neben der bereits erwähnten Investitionsgüterindustrie sind laut einer Studie im Auftrag des Bundesrates die chemisch-pharmazeutische Industrie sowie der Bereich Instrumente und Elektronik patentintensiv.17 Daneben zeichnen sich auch gewisse 8 9 10 11

12 13 14 15 16 17

Zum Vorstehenden: Infras/BASYS, Auswirkungen staatlicher Eingriffe auf das Preisniveau im Bereich Humanarzneimittel, Bern 2002, S. 32 ff.

Frontier Economics/Plaut 2002, S. 84 f. und 94 f.

Frontier Economics/Plaut 2002, S. 97.

Martin Eichler et al., Preisunterschiede Schweiz ­ EU: Eine branchenspezifische Bestandesaufnahme, Die Volkswirtschaft, 7/2003, S. 15; Frontier Economics/Plaut 2002, S. 100 f.

Frontier Economics/Plaut 2002, S. 86 und 96.

Elias/Balastèr 2006, S. 50.

Système de distribution Citroën, RPW 2002/3, S. 455.

Frontier Economics/Plaut 2002, S. 87.

Elias/Balastèr 2006, S. 48.

Frontier Economics/Plaut 2002, S. 85 ff.

315

Konsumgütergruppen als relativ patentintensiv aus. Zu erwähnen sind besonders die Produktgruppen Büromaschinen, Radio- und Fernsehapparate, Küchen- und Haushaltsgeräte sowie Fotoartikel. Bei den Arzneimitteln und gewissen patentrelevanten Konsumgütern ist Arbitragepotenzial vorhanden. Das Potenzial ist im Vergleich zu den gesamten Konsumausgaben indes klein.18 Im Bereich der Konsumgüter gilt es zudem zu berücksichtigen, dass ein grosser Teil der Produkte in den Produktgruppen, die als relativ patentintensiv identifiziert wurden, nicht patentgeschützt sind.

Diese können somit bereits heute ohne Einschränkungen durch das Patentrecht gehandelt werden. Durch einen Regimewechsel im Patentrecht ergäbe sich keine Änderung.19 Als Erklärungsansatz für das höhere Preisniveau kommt bei den genannten Produktgruppen eine Reihe von Ursachen in Frage. Die Abschätzung des Anteils der nationalen Erschöpfung als Ursache für die Preisdifferenzen ist angesichts der Interdependenz der preisbestimmenden Faktoren ausserordentlich schwierig. Immerhin kann festgestellt werden, dass mit zunehmender Bedeutung der technischen Handelshemmnisse die Preisdifferenzen zum umliegenden Ausland signifikant zunehmen.20 Diese oft sozial-, gesundheits- und umweltpolitisch motivierten öffentlichrechtlichen Regulierungen können daher zu den bedeutenden Ursachen für höhere Preise gerechnet werden.21 Für die Schweiz wurde bislang nicht systematisch untersucht, welche Ursachen für ein höheres Preisniveau in der jeweiligen Branche verantwortlich sind und welchen Anteil die einzelnen preistreibenden Faktoren an den Preisdifferenzen haben. Der Stellenwert der nationalen Erschöpfung im Patentrecht im Vergleich zu allen übrigen preisbestimmenden Faktoren wurde in einer vom Bundesrat in Auftrag gegebenen Studie zum Systemwechsel bei der Erschöpfung nur annähernd bestimmt.22 Es bestehen allerdings Anhaltspunkte, dass die nationale Erschöpfung als Ursache für Preisunterschiede von untergeordneter Bedeutung ist und die hohen Preise in der Schweiz primär durch andere Faktoren zu erklären sind.23 Mehrheitlich wirken dabei verschiedene Ursachen zusammen und machen in ihrer Gesamtheit das Preisniveau aus.

Massnahmen, die das Preisniveau in der Schweiz günstig beeinflussen können, wurden bereits umgesetzt oder sind in Vorbereitung. Das Kartellrecht
wurde verschärft, insbesondere durch die Unterstellung gewisser vertikaler Abreden unter die Vermutung einer Wettbewerbsbeschränkung sowie durch die Einführung direkter Sanktionen. Mit der laufenden Vernehmlassung zur Revision des Bundesgesetzes über technische Handelshemmnisse setzt sich der Bundesrat für einen konsequenten Abbau von öffentlich-rechtlichen Hürden für den Zutritt zum schweizerischen Markt ein. Zollschranken werden in internationalen Verhandlungen weiter reduziert werden. In Zukunft könnten Einfuhrbeschränkungen gestützt auf das Patentrecht als verbleibende Handelsschranke daher an relativer Bedeutung gewinnen.

18 19 20 21 22 23

316

Frontier Economics/Plaut 2002, S. 84 ff.

Frontier Economics/Plaut 2002, S. 130.

Elias/Balastèr 2006, S. 51.

Plaut 2004b, S. 44.

Frontier Economics/Plaut 2002, S. 126 ff.

Plaut 2004b, S. 44.

Zusammenfassend lassen sich folgende Aussagen machen: ­

Preisdifferenzen zum Ausland sind auf eine Reihe von Faktoren und nicht primär auf das System der nationalen Erschöpfung von Patentrechten zurückzuführen. Bei den vom Staat ausgehenden Faktoren stehen die Zölle und die technischen Handelshemmnisse im Vordergrund.

­

Die grössten Preisunterschiede bestehen in Branchen, in denen der Patentschutz keine oder eine bloss untergeordnete Rolle spielt.

­

Patente spielen vor allem in der Investitionsgüterindustrie (Metall-, Elektround Maschinenindustrie), der chemisch-pharmazeutischen Industrie sowie im Bereich Instrumente und Elektronik eine Rolle. Daneben zeichnen sich auch gewisse Konsumgütergruppen als relativ patentintensiv aus, vor allem Produkte in den Produktgruppen Büromaschinen, Radio- und Fernsehapparate, Küchen- und Haushaltsgeräte sowie Fotoartikel.

­

Bei den patentintensiven Arzneimitteln und gewissen patentrelevanten Konsumgütern (Computer, Unterhaltungselektronik, Küchengeräte, Fahrzeuge und Uhren) ist Arbitragepotenzial vorhanden. Das Potenzial ist im Vergleich zu den gesamten Konsumausgaben klein.

­

In den Bereichen, in denen der Patentschutz von Bedeutung ist, erklären sich Preisunterschiede durch eine Mehrheit preissteigernder Faktoren, namentlich durch technische Handelshemmnisse. Die nationale Erschöpfung von Patenten ist als Ursache von untergeordneter Bedeutung.

1.4

Untersuchte Lösungsmöglichkeiten

1.4.1

Nationale Erschöpfung

1.4.1.1

Grundoption: nationale Erschöpfung ohne Ausnahmen

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts24 gilt im Patentrecht die nationale Erschöpfung. Das Kartellrecht setzt der nationalen Erschöpfung jedoch Grenzen.

Bereits das Bundesgericht erklärte das Kartellgesetz für anwendbar.25 Ausgehend von dieser Rechtsprechung wurde im Zuge der Revision des Kartellgesetzes26 Artikel 3 Absatz 2 durch einen zweiten Satz ergänzt. Demnach werden Einfuhrbeschränkungen, die sich auf Rechte des geistigen Eigentums stützen, nach dem Kartellrecht beurteilt. Im Ergebnis kann sich der Patentinhaber dem grenzüberschreitenden Weiterverkauf patentrechtlich geschützter Erzeugnisse aus dem Ausland in die Schweiz zwar widersetzen, nach der präzisierenden Rechtsprechung des Bundesgerichts aber nur so weit, als damit nicht eine kartellrechtswidrige Wettbewerbsbeschränkung verbunden ist.

24 25 26

BGE 126 III 129 BGE 126 III 129, E. 9 SR 251

317

Befürwortende Argumente: ­

Die nationale Erschöpfung im Patentrecht gibt dem Inhaber die Möglichkeit, bei entsprechender Nachfrage nach Absatzländern differenzierte Preise durchzusetzen. Der Patentinhaber kann somit die Preise seiner patentgeschützten Erzeugnisse den räumlich sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen anpassen. Die Durchsetzung unterschiedlicher Preise bei entsprechender Marktlage ermöglicht Gewinne, die zur Finanzierung von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten beitragen, die für die Verteidigung der errungenen Marktposition notwendig sind. Die nationale Erschöpfung entspricht somit den Grundprinzipien des Wettbewerbs- und Patentrechts.

­

Die nationale Erschöpfung schützt die positiven Wirkungen von Preisdifferenzierungen. Zu denken ist hier insbesondere an die Versorgung von Ländern, die über eine geringe Kaufkraft verfügen, mit innovativen Erzeugnissen. Vertikale Vereinbarungen kommen als alternatives Instrument zu Schutzrechten kaum in Betracht, da die Transaktionskosten solcher Verträge zu hoch sind und die Verträge zudem kartellrechtlich zugelassen werden müssten.

­

Eine Analyse des Verhältnisses zwischen Patentintensität und Preisunterschieden zum Ausland zeigt, dass der Patentschutz nur in wenigen Teilmärkten als ins Gewicht fallender Faktor für Preisunterschiede in Betracht kommt. In den Bereichen, in denen der Patentschutz von Bedeutung ist, erklären sich Preisunterschiede allerdings durch eine Mehrheit preissteigernder Faktoren, namentlich durch technische Handelshemmnisse. Die nationale Erschöpfung von Patenten ist als Ursache von untergeordneter Bedeutung.

­

Soweit Preise staatlich festgelegt oder kontrolliert und damit dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage entzogen sind, verhindert die nationale Erschöpfung von Patenten einen Wettbewerb der Regulierungen. Die innenpolitische Abwägung zwischen sozialpolitischen Interessen einerseits und innovationspolitischen Anreizen andererseits wird somit nicht unterlaufen, sondern bleibt gewahrt. Dies gilt namentlich für den Teil des schweizerischen Arzneimittelmarkts, bei dem die Preise staatlich geregelt sind.

­

Ein Patent führt nicht systematisch, sondern nur in Einzelfällen zu Marktbeherrschung. Da häufig auf dem in Frage stehenden Produktmarkt Substitutionsgüter zu patentrechtlich geschützten Erzeugnissen existieren, besteht funktionierender Wettbewerb zwischen diesen austauschbaren Erzeugnissen (Interbrand-Wettbewerb) (vgl. Ziff. 1.3.1).

­

Die Beurteilung des Verhältnisses zwischen unterschiedlichen Preisen und unterschiedlichen Marktbedingungen ist Sache des Wettbewerbsrechts. Die Preisbildung durch den Patentinhaber unterliegt seit der Revision des Kartellgesetzes der wettbewerbsrechtlichen Missbrauchskontrolle. Die kombinierte Wirkung des neuen Artikels 5 Absatz 4 des Kartellgesetzes und der Präzisierung von Artikel 3 Absatz 2 des Kartellgesetzes sowie die Präventivwirkung der mit Artikel 49a des Kartellgesetzes eingeführten direkten Sanktionen stehen wettbewerbsschädlichen Einfuhrbeschränkungen gestützt auf das Patentrecht entgegen. Obschon sich auf das Patentrecht abgestützte Ein-

318

fuhrbeschränkungen nur auf Einzelfallbasis beurteilen lassen, ist die Präventivwirkung erheblich.

­

Die nationale Erschöpfung ist mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz, namentlich mit dem TRIPS-Abkommen, vereinbar. Eine Minderheit der Lehre vertritt sogar die Ansicht, das TRIPS-Abkommen schreibe im Patentrecht die nationale Erschöpfung vor, entziehe diese Frage allerdings einem Streitregelungsverfahren nach dem TRIPS-Abkommen.27 Die nationale Erschöpfung sollte indessen nicht auf diese Minderheitsmeinung abgestützt werden.

Ablehnende Argumente:

27 28

­

Bei einer Festschreibung der nationalen Erschöpfung behält der Patentinhaber die Möglichkeit, nach Gebieten differenzierte Preise durchzusetzen.

Die Märkte patentgeschützter Güter können während der Dauer des Patents teilweise abgeschottet werden. Dadurch wird der positive Effekt einer Beseitigung aller übrigen preistreibenden Faktoren auf das Preisniveau zumindest teilweise zurückgenommen. Der systematische und lückenlose Abbau aller beeinflussbaren preistreibenden Faktoren erfordert daher auch die Aufgabe oder Einschränkung der nationalen Erschöpfung im Patentrecht.

­

Preisdifferenzierungen, die durch die nationale Erschöpfung erleichtert werden, führen zu einer Umverteilung der Profite von den Nachfragern zu den Produzenten. Aufgrund der schweizerischen Aussenhandelsstruktur ist davon auszugehen, dass insgesamt gesehen die Schweizer Nachfrager zu den Verlierern gehören, während ausländische Produzenten erhöhte Gewinne erzielen. Diese Aussage gilt noch verstärkt, wenn man nur diejenigen Güter berücksichtigt, deren Preise nicht administriert sind.

­

Der Schutz vor Nachahmung ist von einem Systemwechsel nicht betroffen.

Unabhängig vom System der Erschöpfung ist es einem Konkurrenten verboten, das patentgeschützte Produkt nachzuahmen und auf den Markt zu bringen. Patentinhaber können deshalb bei einem Systemwechsel weiterhin einen angemessenen Preis für die erbrachte Innovationsleistung verlangen.

Die Aufhebung des Verbotes beschränkt nur die Möglichkeit der länderspezifischen Preisdifferenzierung und löst dementsprechend Anpassungen der internationalen Preissetzungsstrategien aus. Die Innovationsprämie wird anders auf die verschiedenen Märkte verteilt.

­

Die Wirksamkeit des Kartellgesetzes als Korrektiv zur nationalen Erschöpfung ist umstritten. Hinweise dazu wird erst die für 2008 in Aussicht genommene Berichterstattung gestützt auf Artikel 59a des Kartellgesetzes erlauben.28

Christian von Kraak, TRIPS oder Patentschutz weltweit: Zwangslizenzen, Erschöpfung, Parallelimporte, Diss. Bonn 2005, Berlin 2006, S. 62.

Vgl. 06.3634 P Bericht über wettbewerbswidrige vertikale Vertriebsabreden nach Kartellgesetz (N 20.12.06, Kommission für Rechtsfragen NR [05.082]).

319

1.4.1.2

Variante: Ausnahme bei landwirtschaftlichen Produktionsmitteln und Investitionsgütern (internationale Erschöpfung)

Als Varianten zum Grundsatz der nationalen Erschöpfung kommen Ausnahmen bei bestimmten Warengruppen in Frage, für welche die internationale und/oder regionale Erschöpfung festgelegt werden könnte. Soweit bei der Erschöpfung nach Warengruppen differenziert wird, bejaht ein vom Bundesrat in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten29 die Frage der Vereinbarkeit eines solchen Systems mit dem TRIPS-Abkommen. Eine zusätzliche Differenzierung nach Ländern ist nach diesem Rechtsgutachten demgegenüber nicht einseitig möglich (dazu eingehender Ziff. 1.4.2).

Im Rahmen der Agrarpolitik 2011 haben National- und Ständerat einen neuen Artikel 27b des Landwirtschaftsgesetzes30 beschlossen. Dieser statuiert als Ausnahme von der nationalen Erschöpfung im Patentrecht die internationale Erschöpfung für patentgeschützte landwirtschaftliche Produktionsmittel und Investitionsgüter.

Befürwortende Argumente: ­

In der Schweizer Landwirtschaft besteht bezüglich der Effizienz im Einsatz von Produktionsmitteln und Faktoren ein beträchtliches Kostensenkungspotenzial. Die Agrarpolitik 2011 will dieses Potenzial nutzen. Mit dem wirtschaftlichen Druck, der sich aufgrund der Agrarpolitik 2011 für die Landwirtschaft ergibt, erhöht sich der Anreiz, Kapazitäten und Grösseneffekte besser auszunutzen und den technischen Fortschritt zur Kostensenkung einzusetzen. Dieses Ziel soll durch eine Reihe von Massnahmen erreicht werden. Es sollen alle Mittel ausgeschöpft werden. Dazu gehört auch der Wechsel zur internationalen Erschöpfung bei patentgeschützten landwirtschaftlichen Produktionsmitteln und Investitionsgütern. Neben den anderen Massnahmen verspricht man sich vom Wechsel zur internationalen Erschöpfung eine Senkung des Preisniveaus in der Schweiz.

­

Interessenvertreter beziffern die potenziellen Einsparungen für die Landwirtschaft bei einem Systemwechsel bei der Erschöpfung im günstigsten Fall auf schätzungsweise 25 Mio. Franken/Jahr (0,45 % der landwirtschaftlichen Vorleistungen); davon kommen 20 Mio. Franken (entsprechend 65 % der geschätzten Kostendifferenz zum Ausland) von den Pflanzenschutzmitteln und 5 Mio. (entsprechend 12 % der geschätzten Kostendifferenz zum Ausland) von den Tierarzneimitteln (die von Art. 27b LwG indes nicht erfasst sind). Das Einsparungspotenzial bei landwirtschaftlichen Investitionsgütern wurde bislang nie beziffert, dürfte aber weit geringer ausfallen.

­

Die wachsende europaweite Integration der Märkte für Agrarerzeugnisse begründet die Forderung, dass die im Wettbewerb stehenden Konkurrenten über vergleichbare Einkaufsmöglichkeiten verfügen sollen, weshalb die Rechte am geistigen Eigentum in den betreffenden Staaten nicht unterschiedlich festgelegt werden sollten.

29 30

320

Straus/Katzenberger 2002, S. 42.

BBl 2007 4677 4679

Ablehnende Argumente:

31 32

33

34 35 36

­

Die Vorleistungen der Landwirtschaft werden wegen des Patentschutzes auf landwirtschaftlichen Investitionsgütern und Produktionsmitteln nicht verteuert. Der Patentschutz ist als Ursache für die Preisunterschiede bei landwirtschaftlichen Investitionsgütern und Produktionsmitteln vollkommen nachrangig. Die Landwirtschaft ist nämlich eine der Branchen in der Schweiz mit der geringsten Patentintensität.31 Der Patentschutz spielt hauptsächlich bei den Pflanzenschutzmitteln und den Tierarzneimitteln eine Rolle.

Tierarzneimittel sind von Artikel 27b des Landwirtschaftsgesetzes indessen gar nicht erfasst. Das Gesamtvolumen des Pflanzenschutzmittelmarkts beträgt 120 Mio. Franken. Davon entfallen 70 Mio. Franken auf patentgeschützte Produkte. Die Realisierung eines Kostensenkungspotenzials von 20 Mio. Franken auf diesem Volumen ist nicht realistisch. Düngemittel sind kaum patentgeschützt, und bei Saatgut steht der Sortenschutz im Vordergrund.32 Zu landwirtschaftlichen Investitionsgütern gibt es keine separate Untersuchung. Es deutet indes nichts darauf hin, dass Patente hier von Tragweite sind. Der Anteil patentgeschützter landwirtschaftlicher Produktionsmittel und Investitionsgüter an den Gesamtkosten der Produktion ist in jedem Fall klein. Artikel 27b des Landwirtschaftsgesetzes wird folglich kaum dazu beitragen, die Produktionskosten in der Landwirtschaft in relevanter Weise zu senken. Erst recht wird der Artikel keine Senkung der Produzentenpreise geschweige denn der Konsumentenpreise bewirken.

­

Eine im Auftrag des BLW von der Schweizer Hochschule für Landwirtschaft durchgeführte Studie33 widerlegt, dass bei patentgeschützten Produkten die Preisdifferenzen grösser sind als bei patentfreien Produkten. Der Grund für die Preisunterschiede ist somit nicht primär in der Ausübung von Abwehrrechten aus dem Patent zu suchen, sondern in anderen marktspezifischen Kostenfaktoren (Kleinräumigkeit der Landwirtschaft in der Schweiz, dichtes Beratungssystem, Sonderpackungen usw.).

­

Artikel 27b des Landwirtschaftsgesetzes begünstigt nicht die Landwirte, sondern den Zwischenhandel. Dies auf Kosten der Unternehmen, die in die Forschung und Entwicklung investieren.

­

An pflanzlichem Vermehrungsmaterial (Saatgut) besteht neben dem wenig relevanten Patentschutz häufig auch Sortenschutz. Im Sortenschutzgesetz34 ist die Erschöpfung des Züchterrechts bisher nicht ausdrücklich geregelt. Mit dem revidierten Sortenschutzgesetz in der Fassung vom 5. Oktober 200735 und dem vom Parlament genehmigten Internationalen Übereinkommen zum Schutz von Pflanzenzüchtungen in der revidierten Fassung von 199136 wird diese Lücke geschlossen. Der Gesetzestext lässt die Frage des räumlichen Frontier Economics/Plaut 2002, S. 84.

Martin Raaflaub/Marco Genoni, Preise für landwirtschaftliche Produktionsmittel in der Schweiz, Schlussbericht der Schweizerischen Hochschule für Landwirtschaft (SHL); Bern 2005, S. 24.

Martin Raaflaub/Marco Genoni, Preise für landwirtschaftliche Produktionsmittel in der Schweiz, Schlussbericht der Schweizerischen Hochschule für Landwirtschaft (SHL); Bern 2005.

Bundesgesetz vom 20. März 1975 über den Schutz von Pflanzenzüchtungen; SR 232.16 BBl 2007 7207 7209 BBl 2004 4203

321

Geltungsbereichs offen. Damit gilt nach völkerrechtskonformer Auslegung die nationale Erschöpfung. Der Sortenschutzinhaber kann sich daher gestützt auf seine Rechte dem Import von Vermehrungsmaterial widersetzen. Bei einem Beitritt der Schweiz zum Internationalen Übereinkommen zum Schutz von Pflanzenzüchtungen in der revidierten Fassung von 1991 wäre ein Wechsel zur internationalen Erschöpfung völkerrechtlich verwehrt. Das Übereinkommen lässt Ausnahmen von der nationalen Erschöpfung nur im Rahmen der Mitgliedschaft in einer zwischenstaatlichen Organisation zu.37

1.4.1.3

Variante: Ausnahme bei landwirtschaftlichen Produktionsmitteln (regionale Erschöpfung)

Im Rahmen der Sondierungen der Schweiz zu einem bilateralen Freihandelsabkommen mit der EU für Agrarprodukte und Lebensmittel hat das federführende Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement als schweizerisches Anliegen auch die regionale Erschöpfung für patentierte landwirtschaftliche Produktionsmittel angesprochen. Die EU-Kommission erklärte sich bereit, mit der Schweiz über eine gegenseitige regionale Erschöpfung zu diskutieren. Sie betonte allerdings, dass die EG auf den verschiedensten Gebieten des Immaterialgüterrechts über einheitliche Erschöpfungsregelungen verfüge. Es ist vor diesem Hintergrund wenig wahrscheinlich, dass die regionale Erschöpfung für einzelne patentgeschützte Produkte oder Produktgruppen ausgehandelt werden kann. Von diesen Zweifeln an der Realisierbarkeit abgesehen, kann auf die Vor- und Nachteile einer internationalen Erschöpfung für landwirtschaftliche Produktionsmittel und Investitionsgüter (Ziff.

1.4.1.2) verwiesen werden. Da diese Variante Verhandlungen mit der EG erfordert, ist zudem mit Gegenforderungen zu rechnen (vgl. Ziff. 1.4.2.1). Es ist insbesondere möglich, dass von der Schweiz ein Wechsel von der internationalen zur regionalen Erschöpfung im Marken- und Urheberrecht und die Übernahme des gesamten Acquis communautaire im Immaterialgüterrecht gefordert werden.

1.4.1.4

Variante: Ausnahme bei Märkten mit vergleichbaren Vermarktungsbedingungen

In seinem Urteil in Sachen Kodak hat das Bundesgericht die Ansicht vertreten, dass das patentrechtliche Verbotsrecht in Bezug auf die Einfuhr dem Rechtsinhaber dann eine «überschiessende Rechtsmacht» einräumt, wenn die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen beim Inverkehrbringen im Ausland mit den Bedingungen in der Schweiz vergleichbar sind.38 In diesen Fällen unterstellte das Bundesgericht Einfuhrbeschränkungen gestützt auf das Patentrecht einer kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle.

Dieser Ansatz kann weiterentwickelt und die kartellrechtliche Missbrauchskontrolle zu einer generell-abstrakten Ausnahme von der nationalen Erschöpfung im Unterschied zu einer Beurteilung im Einzelfall umgestaltet werden. Der Patentinhaber

37 38

322

Art. 16 Abs. 1 und 3 des Internationalen Übereinkommens zum Schutz von Pflanzenzüchtungen, revidiert (BBl 2004 4203 4210).

BGE 126 III 129, E. 9

könnte sich demnach der Einfuhr von Erzeugnissen, die im Ausland mit seiner Zustimmung in Verkehr gebracht wurden, nicht widersetzen, wenn: a.

ihr Preis weder im Inland noch im Land des Inverkehrbringens staatlich geregelt ist;

b.

Erfindungen im Land des Inverkehrbringens angemessen geschützt sind; und

c.

die Erzeugnisse im Ausland nicht in Verkehr gebracht wurden, um grundlegende Bedürfnisse wenig kaufkräftiger Bevölkerungsteile zu befriedigen.

Dieser Ansatz führt zu einer Durchbrechung des Systems der nationalen Erschöpfung, wenn die Preisbildung für ein patentrechtlich geschütztes Erzeugnis im In- und Ausland im freien Spiel von Angebot und Nachfrage zustande kommt.

Der Patentinhaber könnte seine Verbotsrechte allerdings nach wie vor ausüben, wenn die Preise im Inland oder im Land des Inverkehrbringens von staatlichen Stellen festgesetzt oder kontrolliert werden. Damit würden Preisverzerrungen verhindert. Es bliebe auch beim Grundsatz der nationalen Erschöpfung, wenn der Patentinhaber wegen eines unzureichenden Schutzes für seine Erfindung im Ausland nicht in der Lage war, die Absatzbedingungen für ein patentrechtlich geschütztes Erzeugnis frei zu gestalten. Schliesslich soll auch die Versorgung von Ländern mit geringer Kaufkraft mit innovativen Erzeugnissen geschützt bleiben. Damit beugt der Ansatz auch einem Reputationsschaden von Unternehmen vor. Ein solcher Schaden könnte dadurch entstehen, dass ein Unternehmen bedürftigen Kreisen essenzielle Produkte nicht zu einem zugänglichen Preis in hinreichender Menge abgibt, weil es befürchten muss, die Produkte könnten von dort auf die Märkte von Ländern mit hoher Kaufkraft gelangen, aus denen die Deckungsbeiträge für Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen stammen müssen.

Befürwortende Argumente: ­

Die Ausnahme von der nationalen Erschöpfung ist in ihrem Anwendungsbereich mit der Variante einer internationalen Erschöpfung mit Ausnahme bei Märkten mit abweichenden Rahmenbedingungen weitgehend kongruent.

Es kann daher auf die befürwortenden Argumente zu dieser Option verwiesen werden (Ziff. 1.4.3.3).

­

Es wird der grenzüberschreitende Handel derjenigen patentrechtlich geschützten Erzeugnisse erleichtert, deren Preise sich im In- und Ausland im Wettbewerb und unter Patentschutz bilden, der im Niveau mit demjenigen der Schweiz vergleichbar ist. Unter diesen Voraussetzungen tragen In- und Ausland tendenziell in vergleichbarem Mass zum notwendigen Mittelrückfluss für Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten bei.

­

Soweit Preise staatlich festgelegt oder kontrolliert und damit dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage entzogen sind, verhindert die nationale Erschöpfung von Patenten einen Wettbewerb der Regulierungen. Die innenpolitische Abwägung zwischen sozialpolitischen Interessen einerseits und innovationspolitischen Anreizen andererseits wird somit nicht unterlaufen, sondern bleibt gewahrt. Dies gilt namentlich für den Teil des schweizerischen Arzneimittelmarkts, bei dem die Preise staatlich geregelt sind.

­

Die Variante ist insofern ordnungspolitisch konsequent, indem nur bei patentgeschützten Erzeugnissen, deren Preis sich aufgrund vergleichbarer Vermarktungsbedingungen im In- und Ausland im freien Spiel von Angebot 323

und Nachfrage bilden kann, der Grundsatz der nationalen Erschöpfung im Patentrecht eingeschränkt wird.

­

Die vorgeschlagene Variante lässt dann die Sacheigentumsrechte des Erwerbers und die Wirtschaftsfreiheit des Handels die Oberhand gewinnen, wenn eine Abgeltung des patentrechtlichen Eigentumsanspruchs nach Massgabe der Verhältnisse stattgefunden hat, die ohne territoriale Begrenzung des Schweizer Rechts und der Schweizer Verhältnisse gelten würden.

Ablehnende Argumente: ­

Die Ausnahme von der nationalen Erschöpfung ist in ihrem Anwendungsbereich mit der Variante einer internationalen Erschöpfung mit Ausnahme bei Märkten mit abweichenden Rahmenbedingungen weitgehend kongruent.

Es kann daher auf die ablehnenden Argumente zu dieser Option verwiesen werden (Ziff. 1.4.3.3)

­

Die Preisbildung durch den Patentinhaber unterliegt seit der Revision des Kartellgesetzes der wettbewerbsrechtlichen Missbrauchskontrolle. Die kombinierte Wirkung des neuen Artikels 5 Absatz 4 des Kartellgesetzes und der Präzisierung von Artikel 3 Absatz 2 des Kartellgesetzes sowie die Präventivwirkung der mit Artikel 49a des Kartellgesetzes eingeführten direkten Sanktionen stehen wettbewerbsschädlichen Einfuhrbeschränkungen gestützt auf das Patentrecht entgegen. Obschon sich auf das Patentrecht abgestützte Einfuhrbeschränkungen nur auf Einzelfallbasis beurteilen lassen, ist die Präventivwirkung erheblich. Es besteht daher keine Notwendigkeit, die Missbrauchskontrolle durch eine Einschränkung der nationalen Erschöpfung zu verschärfen. Die damit verbundene Verlagerung der Beweislast auf den Patentinhaber ist nicht gerechtfertigt.

1.4.2

Regionale Erschöpfung

1.4.2.1

Grundoption: regionale Erschöpfung ohne Ausnahmen

Die regionale Erschöpfung kommt für die Schweiz in erster Linie im Verhältnis zur EG bzw. zu den Vertragsstaaten des EWR in Betracht. Neben dem Stellenwert dieser Wirtschaftsräume für den Handel der Schweiz sprechen auch die rechtlich vergleichbaren Rahmenbedingungen für die Anbindung einer nach Ländern differenzierenden Erschöpfungsregelung an diese Wirtschaftsräume. Eine regionale Erschöpfung im Verhältnis zu anderen Ländern wird daher aus den nachfolgenden Betrachtungen ausgeklammert.

Mehrheitlich, so auch in einem vom Bundesrat in Auftrag gegebenen externen Gutachten,39 wird die Auffassung vertreten, dass das System der regionalen Erschöpfung nur auf der Grundlage der Gegenseitigkeit, d.h. im Rahmen eines Abkommens, eingeführt werden kann. Die Schweiz verstösst nach dieser Mehrheitsmeinung gegen das Meistbegünstigungsprinzip des TRIPS-Abkommens, wenn sie die regionale Erschöpfung einseitig statuiert. Die regionale Erschöpfung lässt sich dieser Mehrheitsmeinung zufolge nur aufgrund von Verhandlungen mit der EG bzw. den 39

324

Straus/Katzenberger 2002, S. 43 ff.

Vertragsstaaten des EWR realisieren. Zwei neuere Rechtsgutachten40 stellen die dargelegte Mehrheitsauffassung in Frage. Sie kommen zum Schluss, dass eine nach Ländern differenzierende Erschöpfung einseitig eingeführt werden könne, ohne das TRIPS-Abkommen und das GATT 1994 zu verletzen. Nach Auffassung des Bundesrates sind mit diesen Meinungsäusserungen die Zweifel in Bezug auf die einseitige regionale Erschöpfung nicht ausgeräumt. Er hält daher an seiner bisherigen Auffassung fest (Ziff. 1.7).

In seinem Bericht vom 3. Dezember 2004 erachtete es der Bundesrat als möglich, nicht jedoch als erhärtet, dass die regionale Erschöpfung im Verhältnis zur EG oder zum EWR nicht nur für den Bereich des Patentrechts ausgehandelt werden könne, sondern einen Wechsel von der internationalen zur regionalen Erschöpfung im Marken- und Urheberrecht und die Übernahme des gesamten Acquis communautaire im Immaterialgüterrecht sowie eventuell auch in anderen horizontalen Politikbereichen zur Folge hätte. Letztlich würde allerdings nur das Ergebnis langer Verhandlungen über die Gegenforderungen Gewissheit schaffen können.

Befürwortende Argumente: ­

Bei einem Wechsel zur regionalen Erschöpfung ist auf Konsumentenpreisstufe bei Erzeugnissen, für die der Patentschutz relevant ist (Arzneimittel, Computer, Unterhaltungselektronik, Küchengeräte, Fahrzeuge, Uhren), eine Senkung des Preisniveaus zu erwarten. Die gesamtwirtschaftlichen Effekte sind ebenfalls positiv. Laut einer vom Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement in Auftrag gegebenen Studie ist gesamtwirtschaftlich ein zusätzliches Wachstum des Bruttoinlandproduktes zwischen 0,0 % und 0,1 % möglich.41

­

Dem Patentinhaber wird nur im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten der EG oder den Vertragsstaaten des EWR die Möglichkeit genommen, Preisdifferenzierungen gestützt auf das Patentrecht durchzusetzen. Die positiven Effekte der Preisdifferenzierung lassen sich nach wie vor realisieren, da die Belieferung der Entwicklungsländer mit innovativen Produkten nicht in Frage gestellt ist.

­

Die Vertragsstaaten der EG bzw. des EWR verfügen über vergleichbare wirtschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen wie die Schweiz. In Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesgerichts liesse es sich daher rechtfertigen, dem Patentinhaber die Befugnis abzusprechen, den grenzüberschreitenden Handel patentrechtlich geschützter Erzeugnisse aus diesen Staaten zu unterbinden.

Ablehnende Argumente: ­

40

41

In den Bereichen, in denen der Patentschutz von Bedeutung ist, ist die nationale Erschöpfung als Ursache für Preisunterschiede zum Ausland von untergeordneter Bedeutung (Ziff. 1.3). Preisdifferenzen sind hier auf eine Reihe anderer Faktoren und nicht primär auf das System der nationalen Erschöpfung von Patentrechten zurückzuführen. Bei den vom Staat ausgehenden Andreas R. Ziegler, Regionale Erschöpfung und Meistbegünstigung im Rahmen der WTO, Genf 2007; Christophe Rapin, Importations parallèles et produits thérapeutiques, Genf 2007.

Plaut 2004a, S. 48 ff.

325

Faktoren stehen die Zölle und die technischen Handelshemmnisse tendenziell im Vordergrund. Ein Wechsel zur regionalen Erschöpfung von Patenten dürfte keine Senkung des Preisniveaus bewirken, solange die primären Ursachen für die Preisdifferenzen bestehen bleiben. Daher muss zuerst bei der Beseitigung dieser primären Ursachen angesetzt werden.

­

Die geschätzten gesamtwirtschaftlichen Effekte eines Wechsels zur regionalen Erschöpfung im Patentrecht sind zwar positiv, in ihrem Ausmass jedoch bescheiden. Dies obschon die einschlägigen Studien bei der Herleitung des betroffenen Handelsvolumens die Annahmen so gewählt haben, dass das Handelsvolumen bzw. die Preisdifferenzen tendenziell überschätzt werden.42 Angesichts der Schwierigkeiten bei der Abgrenzung der unterschiedlichen Ursachen für die Preisdifferenzen ist zu befürchten, dass die positiven gesamtwirtschaftlichen Effekte bei einem Wechsel zur regionalen Erschöpfung weitgehend ausbleiben würden.

­

Die Realisierung dieser Option erfordert Verhandlungen mit der EG und/oder den Vertragsstaaten des EWR.

­

Es ist wahrscheinlich, dass die EG im Gegenzug zur regionalen Erschöpfung von der Schweiz zumindest einen Wechsel von der internationalen zur regionalen Erschöpfung im Marken- und Urheberrecht fordert, was die Schweiz in Konflikt mit ihren Verpflichtungen aus dem GATT 1994 brächte43. Eine einheitliche regionale Erschöpfung für alle Schutzrechtsbereiche schneidet wirtschaftlich indessen nicht besser ab als die gegenwärtig geltende Verbindung von internationaler Erschöpfung im Marken- und Urheberrecht und nationaler Erschöpfung im Patentrecht.

­

Die regionale Erschöpfung in der EG knüpft an einen einheitlichen Rechtsund Wirtschaftsraum (Binnenmarkt) an und setzt diesen voraus. Andernfalls entstehen Verzerrungen aufgrund unterschiedlicher Vorschriften.

1.4.2.2

Varianten

Varianten des Grundsatzes der regionalen Erschöpfung in Form von Ausnahmen zugunsten der nationalen Erschöpfung bei bestimmten patentrechtlich geschützten Warengruppen erweisen sich wegen der einheitlichen Handhabung der Erschöpfung für alle Schutzrechtsbereiche in der EG (Ziff. 1.8.2) als unrealistisch. Die Überlegungen zu den Varianten der internationalen Erschöpfung (Ziff. 1.4.3.2) lassen sich entsprechend heranziehen.

42 43

326

Frontier Economics/Plaut 2002, S. xiv und 159.

Parallelimporte und Patentrecht: Regionale Erschöpfung, Bericht des Bundesrates vom 3. Dez. 2004, S. 18.

1.4.3

Internationale Erschöpfung

1.4.3.1

Grundoption: internationale Erschöpfung ohne Ausnahmen

Ein Wechsel von der nationalen zur internationalen Erschöpfung kann im Patentrecht autonom vollzogen werden. Nach dem vom Bundesrat in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten44 ist ein solcher Wechsel mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar. Das Gutachten stützt sich dabei auf die mehrheitlich vertretene Meinung im Schrifttum. Nach Ansicht einer Minderheit schreibt das TRIPSAbkommen im Patentrecht die nationale Erschöpfung vor; diese Frage könne jedoch nicht Gegenstand eines Streitregelungsverfahrens nach diesem Abkommen sein.45 Befürwortende Argumente:

44 45 46

­

Bei einem Wechsel zur internationalen Erschöpfung ist auf Konsumentenpreisstufe bei Erzeugnissen, für die der Patentschutz relevant ist (Arzneimittel, Computer, Unterhaltungselektronik, Küchengeräte, Fahrzeuge, Uhren), eine Senkung des Preisniveaus zu erwarten. Die gesamtwirtschaftlichen Effekte sind ebenfalls positiv. Laut einer vom Bundesrat in Auftrag gegebenen Studie ist gesamtwirtschaftlich ein zusätzliches Wachstum des Bruttoinlandproduktes zwischen 0,0 % und 0,1 % möglich.46 Auch können die Produktionskosten im Inland ganz generell gesenkt werden, weil Anlagen, Geräte, Produktionsmittel sowie Zusatz- und Verarbeitungshilfsstoffe tendenziell günstiger importiert werden könnten. Die langfristigen Auswirkungen sind aber wichtiger als diejenigen, die sich aus einer kurzfristigen, statischen Betrachtung ergeben: Langfristig führt der dynamische Effekt der internationalen Erschöpfung dank mehr Wettbewerb zu Preissenkungen.

­

Der systematische und lückenlose Abbau aller beeinflussbaren preistreibenden Faktoren erfordert auch einen Wechsel zur internationalen Erschöpfung im Patentrecht. Dem Patentinhaber wird dadurch die Möglichkeit genommen, Preisdifferenzierungen weiterhin gestützt auf das Patentrecht durchzusetzen. Preisdifferenzierungen sind dann nur noch auf der Grundlage selektiver Vertriebssysteme möglich, die der Patentinhaber selbst aufbaut. In Verbindung mit einem wirksamen Interbrand-Wettbewerb ist dank dem Effizienzdruck auf den Vertriebssystemen eine gesamtwirtschaftlich optimale Preis- und Leistungsdifferenzierung zu erwarten.

­

Negative Auswirkungen auf die Forschungs- und Entwicklungsausgaben und auf den Forschungsstandort Schweiz sind nicht zu erwarten. Dies deswegen, weil der schweizerische Markt nur einen Bruchteil des weltweiten Umsatzes generiert, die Auswirkungen einer Liberalisierung auf die Preise in der Schweiz bescheiden ausfallen würden, die Standortfaktoren für Forschung und Entwicklung weitaus zahlreicher sind und die Forschungszentren der Pharmaunternehmen bereits über alle Erdteile verteilt sind.

Straus/Katzenberger 2002, S. 38 ff.

Christian von Kraak, TRIPS oder Patentschutz weltweit: Zwangslizenzen, Erschöpfung, Parallelimporte, Diss. Bonn 2005, Berlin 2006.

Frontier Economics/Plaut 2002, S. xvi ff.

327

­

Der Wechsel von der nationalen zur internationalen Erschöpfung lässt sich rechtlich ohne Weiteres realisieren. Weder das TRIPS-Abkommen noch das GATT 1994 stehen diesem Lösungsansatz entgegen.

­

Die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) erfordert, dass Händler bei der Vermarktung patentrechtlich geschützter Güter ungehinderten Zugang zu unterschiedlichen Bezugsquellen haben, um die preiswertesten Angebote nutzen zu können.

­

Diese Variante stellt eine einheitliche Regelung der Erschöpfung für das gesamte Immaterialgüterrecht her.

Ablehnende Argumente: ­

In den Bereichen, in denen der Patentschutz von Bedeutung ist, ist die nationale Erschöpfung als Ursache für Preisunterschiede zum Ausland von untergeordneter Bedeutung (Ziff. 1.3). Preisdifferenzen sind hier auf eine Reihe anderer Faktoren und nicht primär auf das System der nationalen Erschöpfung von Patentrechten zurückzuführen. Bei den vom Staat ausgehenden Faktoren stehen die Zölle und die technischen Handelshemmnisse tendenziell im Vordergrund. Ein Wechsel zur internationalen Erschöpfung von Patenten dürfte keine Senkung des Preisniveaus bewirken, solange die primären Ursachen für die Preisdifferenzen bestehen bleiben. Daher muss zuerst bei der Beseitigung dieser primären Ursachen angesetzt werden.

­

Die geschätzten gesamtwirtschaftlichen Effekte eines Wechsels zur internationalen Erschöpfung im Patentrecht sind zwar positiv, in ihrem Ausmass jedoch bescheiden. Dies obschon die einschlägige Studie bei der Herleitung des betroffenen Handelsvolumens die Annahmen so gewählt hat, dass das Handelsvolumen bzw. die Preisdifferenzen tendenziell überschätzt werden.47 Angesichts der Schwierigkeiten bei der Abgrenzung der unterschiedlichen Ursachen für die Preisdifferenzen ist zu befürchten, dass die positiven gesamtwirtschaftlichen Effekte bei einem Wechsel zur internationalen Erschöpfung weitgehend ausbleiben würden.

­

Von einem Systemwechsel würden die binnen- und konsumorientierten Sektoren überdurchschnittlich profitieren; dagegen würden die export- und investitionsgüterorientierten Sektoren unterdurchschnittlich Nutzen ziehen können.

­

Die positiven Effekte der Preisdifferenzierung (insbes. die Arzneimittelversorgung von Entwicklungsländern zu Tiefstpreisen) könnten nicht mehr konsequent durchgesetzt werden. Die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft zur Senkung der Arzneimittelpreise für die Entwicklungsländer würden erschwert.

­

Die Auswirkungen eines Wechsels zur internationalen Erschöpfung im Patentrecht auf den Forschungsstandort Schweiz sind umstritten. Mit den verfügbaren Daten kann nicht nachgewiesen werden, dass negative Auswirkungen auf die Forschungs- und Entwicklungsausgaben und auf den Forschungsstandort Schweiz zu erwarten sind. Es ist aber analytisch auch nicht möglich, die Hypothese eines Zusammenhangs zu verwerfen. Betrachtet

47

328

Frontier Economics/Plaut 2002, S. xiv und 159.

man den Weltmarkt, so kann ein Wechsel zur internationalen Erschöpfung längerfristig zu Wohlfahrtseinbussen führen, wenn wegen Ertragsausfällen die Investitionen in Forschung und Entwicklung reduziert werden und daher Neuerungen und Weiterentwicklungen unterbleiben. Als Indiz in diese Richtung ist der Umstand zu werten, dass kein Industrieland die internationale Erschöpfung im Patentrecht kennt.

­

Die dem Patentinhaber verbleibende Möglichkeit, Preisdifferenzierungen zur Absicherung des Innovationsvorsprungs auf der Grundlage selektiver Vertriebssysteme durchzusetzen, impliziert eine staatliche Intervention. Denn selektive Vertriebssysteme werden im Streitfall durch staatliche Gerichte durchgesetzt werden müssen, so dass erhebliche Teile der Kosten der Vertriebssysteme auf den Staat abgewälzt werden. Damit solche Vereinbarungen tatsächlich den Innovationsvorsprung wie erwünscht absichern können, müsste zudem sichergestellt sein, dass die Transaktionskosten des Vertriebssystems nicht zu hoch sind und die Wettbewerbsbehörden solche Vereinbarungen zulassen. Ein Einschreiten der Wettbewerbsbehörden wäre nur dann gerechtfertigt, wenn der Interbrand-Wettbewerb durch die Abreden erheblich beeinträchtigt wird.

­

Die in- und ausländischen Unternehmen, die über ein Patent verfügen, werden ihr Verhalten an die neuen Rahmenbedingungen der internationalen Erschöpfung anpassen (z. B. zusätzliche Produktdifferenzierung, gestaffelte Einführung von Produktneuerungen, Verzicht auf Export in gewisse Länder, vertikale Integration). Diese Verhaltensanpassungen können wichtige Auswirkungen auf das Preissenkungspotenzial haben. Diese Anpassungen wurden zwar in den Studien des Bundes berücksichtigt. Ausmass und Einfluss dieser Verhaltensanpassungen lassen sich aber nicht zuverlässig abschätzen.

Unklar ist auch, in welchem Umfang der Zwischenhandel die Preisvorteile weitergeben würde. Es ist möglich, dass die prognostizierten positiven Effekte auf die Preise und die Wirtschaft weitgehend ausbleiben würden.

­

Soweit Preise staatlich festgelegt oder kontrolliert und damit dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage entzogen sind, führt die internationale Erschöpfung zu einem Wettbewerb der Regulierungen und nicht zu einem Preiswettbewerb. Die innenpolitische Abwägung zwischen sozialpolitischen Interessen einerseits und innovationspolitischen Anreizen andererseits wird damit unterlaufen.

­

Die Einschränkung der Abwehrrechte des Patentinhabers stellt einen unverhältnismässigen Eingriff in seine Wirtschaftsfreiheit und sein Privateigentum dar. Der Patentinhaber wird trotz in der Regel funktionsfähigen InterbrandWettbewerbs gezwungen, den von ihm geschaffenen Marktvorsprung und seine dafür getätigten Investitionen mit dem Handel zu teilen oder auf weniger effiziente und folglich die Produkte verteuernde Art (beispielsweise durch vertikale Integration) zu sichern. Die mit der Festschreibung der internationalen Erschöpfung als Systemwechsel bewirkte Begünstigung des Intrabrand-Wettbewerbs ist daher nicht geeignet, zu ökonomisch besseren Leistungen zu führen.

329

1.4.3.2

Variante: Ausnahme bei Märkten mit administrierten Preisen

Da ein Wechsel zur internationalen Erschöpfung bei Erzeugnissen aus Märkten mit administrierten Preisen keinen Preiswettbewerb bewirkt, bietet sich als Variante der internationalen Erschöpfung im Patentrecht eine Ausnahme für solche Erzeugnisse an: Patentgeschützte Erzeugnisse, deren Preise im Inland oder im Staat, aus dem die Erzeugnisse stammen, staatlich festgesetzt oder kontrolliert sind, bleiben demnach der nationalen Erschöpfung unterstellt. Diese Ausnahme ist bei Arzneimitteln relevant, soweit deren Preise staatlich geregelt sind. In der Schweiz bestehen bei Arzneimitteln, die aufgrund eines Gesuchs in die Spezialitätenliste aufgenommen wurden, staatlich festgelegte Höchstpreise. Schon heute werden bei diesen Arzneimitteln aufgrund des Auslandpreisvergleichs in eingeschränktem Umfang ausländische Regulierungen übernommen.

Befürwortende Argumente: ­

Bei patentrelevanten Konsumgütern, deren Preise weder im In- noch im Ausland staatlich festgesetzt oder kontrolliert sind, ist auf Konsumentenpreisstufe eine Senkung des Preisniveaus zu erwarten. Die erwarteten positiven Auswirkungen auf das Preisniveau bzw. der mögliche gesamtwirtschaftliche Nutzen fällt indessen geringer aus als nach der Grundvariante, da das betroffene Handelsvolumen durch die Ausnahme geschmälert wird.

­

Den wesenseigenen Besonderheiten von Märkten mit administrierten Preisen wird Rechnung getragen.

­

Ein Systemwechsel gefährdet zumindest nicht die Versorgung von Entwicklungsländern mit Arzneimitteln, die auf der Spezialitätenliste geführt werden.

­

Es bleibt im Übrigen bei den befürwortenden Argumenten zur Grundoption (Ziff. 1.4.3.1).

Ablehnende Argumente: ­

Die Ausnahme erfasst Teilbereiche des Arzneimittelmarktes. Das Kriterium einer staatlichen Preisadministrierung trägt den Besonderheiten dieses Marktes nur unvollständig Rechnung. Die Handelbarkeit und Vermarktung von Arzneimitteln ist aus Gründen des Gesundheitsschutzes eingeschränkt. Die entsprechenden Vermarktungsbedingungen (z. B. die Verschreibungspflicht) werden losgelöst vom Umstand der Preisadministrierung festgelegt.

­

Die praktische Anwendung der Ausnahme führt zu Schwierigkeiten, da nicht immer klar ist, wann der Preis eines Erzeugnisses als staatlich festgelegt oder kontrolliert gelten kann.

­

Es bleibt im Übrigen bei den Argumenten, die gegen die Grundoption sprechen (Ziff. 1.4.3.1). Es entfällt einzig der Einwand, dass ein Wechsel zur internationalen Erschöpfung bei Erzeugnissen, deren Preise im Ausland administriert sind, ökonomisch nicht gerechtfertigt ist.

330

1.4.3.3

Variante: Ausnahme bei Märkten mit abweichenden Rahmenbedingungen

In seinem Urteil in Sachen Kodak hat das Bundesgericht die Ansicht vertreten, dass das patentrechtliche Verbotsrecht in Bezug auf die Einfuhr dem Rechtsinhaber dann eine «überschiessende Rechtsmacht» einräumt, wenn die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen beim Inverkehrbringen im Ausland mit den Bedingungen in der Schweiz vergleichbar sind.48 In diesen Fällen unterstellte das Bundesgericht Einfuhrbeschränkungen gestützt auf das Patentrecht einer kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle. Im Umkehrschluss erachtete das Bundesgericht die Abwehrrechte des Patentinhabers bei abweichenden rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen beim Inverkehrbringen im Ausland als gerechtfertigt. Die resultierenden Preis- und Produktdifferenzierungen nach Ländern sind hier Ausdruck einer grundsätzlich wettbewerbskonformen Anpassung des Angebots an die unterschiedlichen Rahmenbedingungen. Gerade mit Blick auf die Versorgung von Ländern mit geringer Kaufkraft sind derartige Preisdifferenzierungen sogar angezeigt. Dementsprechend lässt sich eine Ausnahme von der internationalen Erschöpfung für Erzeugnisse aus Märkten herleiten, deren wirtschaftliche Rahmenbedingungen (insbesondere die Kaufkraft) sowie deren rechtliches Umfeld (insbesondere das Niveau des Patentschutzes) von den schweizerischen Gegebenheiten abweichen.

Importen aus solchen Ländern könnte sich der Patentinhaber nach wie vor widersetzen. Einzelheiten könnten auf Verordnungsstufe geklärt werden.

Befürwortende Argumente: ­

Positive Effekte der Preisdifferenzierung, namentlich die Belieferung von Ländern mit geringer Kaufkraft mit innovativen Erzeugnissen (und damit insbes. die Arzneimittelversorgung von Entwicklungsländern zu Tiefstpreisen), bleiben erhalten.

­

Die Ausnahme berücksichtigt, dass Preis- und Produktdifferenzierungen nach Ländern Ausdruck einer grundsätzlich wettbewerbskonformen Anpassung des Angebots an die unterschiedlichen Rahmenbedingungen sind und die Abwehrrechte des Patentinhabers ein effizientes Instrument zur Durchsetzung solcher Differenzierungen darstellen.

­

Es bleibt im Übrigen bei den befürwortenden Argumenten zur Grundoption (Ziff. 1.4.3.1).

Ablehnende Argumente:

48

­

Die Ausnahme führt in der praktischen Anwendung zu Rechtsunsicherheit.

Eine Konkretisierung wirft heikle Abgrenzungsfragen auf.

­

Erzeugnisse, die der Preisadministrierung unterliegen, sind von der Anwendung der internationalen Erschöpfung nicht vollständig ausgenommen. Es kommt im Anwendungsbereich der internationalen Erschöpfung zu einem Wettbewerb der Regulierungen und nicht zu einem Preiswettbewerb. Dem könnte durch eine Verbindung mit der vorher beschriebenen Variante (Ziff. 1.4.3.2) Rechnung getragen werden.

BGE 126 III 129, E. 9.

331

­

1.4.4

Im Anwendungsbereich der internationalen Erschöpfung bleibt es im Übrigen bei den Gegenargumenten zur Grundoption (Ziff. 1.4.3.1).

Einschränkung zugunsten des Marktzugangs nach dem Bundesgesetz über die technischen Handelshemmnisse

Das Bundesgesetz über die technischen Handelshemmnisse schafft einheitliche Grundlagen, damit im Regelungsbereich des Bundes technische Handelshemmnisse vermieden, beseitigt oder abgebaut werden. Es soll nunmehr mit Vorschriften über den Marktzugang («Cassis-de-Dijon-Prinzip») ergänzt werden. Eine zentrale Neuerung in dieser Hinsicht ist die einseitige Marktöffnung für Erzeugnisse, die zwar nicht den schweizerischen technischen Vorschriften entsprechen, aber in einem Mitgliedsstaat der EG oder des EWR sowie in Staaten, mit denen die Schweiz Vereinbarungen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen abgeschlossen hat, rechtmässig in Verkehr gesetzt wurden. Diese Erzeugnisse sollen ohne Einschränkung in der Schweiz handelbar sein.

Ein grosser Teil der Gesamteinfuhren in die Schweiz im Umfang von 177 Milliarden Franken unterliegt anforderungsreichen Bestimmungen des technischen Rechts.

Diese Bestimmungen wirken sich in den verschiedenen Branchen in unterschiedlichem Ausmass handelshemmend aus. Die hohen Beträge weisen auf ein grosses potenzielles volkswirtschaftliches Interesse am Abbau ungerechtfertigter Handelshemmnisse hin. Die neuen Vorschriften über den Marktzugang tragen dazu bei, ungerechtfertigte Hemmnisse für den Zutritt zum schweizerischen Markt im technischen Recht zu überwinden. In dem Umfang, wie das «Cassis-de-Dijon-Prinzip» greift, entfällt eine zentrale Ursache für die hohen Preise in der Schweiz. Zugleich führt das Prinzip zu einer Annäherung der Vermarktungsbedingungen, wenngleich keine Harmonisierung der technischen Vorschriften vorausgesetzt ist.

Auch wenn die nationale Erschöpfung als Ursache für Preisdifferenzen zum Ausland von untergeordneter Bedeutung ist, ist denkbar, dass der positive Effekt des Abbaus technischer Handelshemmnisse auf das Preisniveau zumindest teilweise zurückgenommen werden könnte, wenn an der nationalen Erschöpfung ausnahmslos festgehalten würde. Denn in Bereichen, in denen Patente als technische Schutzrechte relevant sind, bestehen oft auch technische Handelshemmnisse. Flankierend zum Abbau der technischen Handelshemmnisse durch das «Cassis-de-Dijon-Prinzip» liesse sich daher verhindern, dass der Zugang zum schweizerischen Markt im Sinne der neuen Artikel 16a­16d des THG-Entwurfs gestützt auf Patentrechte beschränkt oder ausgeschlossen wird.

Befürwortende Argumente: ­

332

Die Abschätzung des Anteils der einzelnen preisbestimmenden Faktoren an den Preisdifferenzen ist angesichts der häufigen Interdependenz der Faktoren ausserordentlich schwierig. Immerhin kann festgestellt werden, dass mit zunehmender Bedeutung der technischen Handelshemmnisse die Preisdifferenzen zum umliegenden Ausland signifikant zunehmen. Technische Vorschriften können daher als eine der zentralen Ursachen für höhere Preise gesehen werden. Daher ist es folgerichtig, zuerst bei der Beseitigung ungerechtfertigter Handelshemmnisse im technischen Recht anzusetzen.

­

Das «Cassis-de-Dijon-Prinzip» wird dem Handel Erleichterungen bringen, indem nationale Bestimmungen des technischen Rechts, die sich heute als ungerechtfertigte Handelsschranken auswirken, in weiten Bereichen künftig keine handelshemmenden Wirkungen mehr entfalten können. Von dieser Massnahme ist eine Senkung des Preisniveaus auf Konsumgüterstufe zu erwarten. Die gesamtwirtschaftlichen Effekte sind ebenfalls positiv. Eine Ausnahme von der nationalen Erschöpfung als nachrangiger Ursache für Preisdifferenzierungen ist als flankierende Massnahme begründbar. Das «Cassis-de-Dijon-Prinzip» überwindet in weiten Bereichen die wegen nationaler technischer Vorschriften länderspezifischen Bedingungen bei der Vermarktung. Insoweit entfällt auch eine wesentliche Rechtfertigung von Preisdifferenzierungen. Eine Einschränkung des Patentschutzes zugunsten des Marktzugangs im Patentrecht verhindert, dass der positive Effekt des «Cassis-de-Dijon-Prinzips» auch nur teilweise über den Patentschutz zurückgenommen wird.

­

Die Ausnahme ist wegen der Abstimmung mit dem «Cassis-de-Dijon-Prinzip» im praktischen Vollzug handhabbar.

Ablehnende Argumente: ­

Nur in wenigen Bereichen, in denen das «Cassis-de-Dijon-Prinzip» Anwendung finden wird, ist der Patentschutz relevant und besteht zugleich Arbitragepotenzial (Ziff. 1.3). Die Einschränkung des Patentschutzes ist insoweit überschiessend.

­

Die Unterscheidung zwischen Eigentumsrechten und öffentlich-rechtlichen Handelshemmnissen wird aufgegeben; die Eigentumsrechte werden eingeschränkt. Davon sind negative Auswirkungen auf die Forschungs- und Entwicklungsausgaben und auf den Forschungsstandort Schweiz zu erwarten.

­

Der Ansatz führt zu willkürlich anmutenden Lösungen: Die Schutzwirkung des Patents hängt davon ab, ob dem freien Handel mit dem patentgeschützten Produkt Vorschriften im überwiegend öffentlichen Interesse entgegenstehen. Die Verknüpfung von Eigentumsrechten und öffentlich-rechtlichen Handelshemmnissen ist daher nicht sachgerecht.

1.5

Ergebnis der Vernehmlassung

Nationale Erschöpfung Das System der nationalen Erschöpfung ohne Ausnahmen wird von 13 Kantonen, 2 Parteien (FDP und SVP), gesamtschweizerischen und regionalen Wirtschaftsverbänden, in der Entwicklung und Produktion tätigen Unternehmen, Dienstleistungserbringern im Gesundheitswesen sowie von weiteren Organisationen befürwortet.

7 Kantone, 3 Parteien (CVP, SP, EVP), 3 Dachverbände, Konsumentenorganisationen und die EKK, Unternehmen und Organisationen der Branchen Landwirtschaft, Detailhandel und Hotellerie, die WEKO sowie weitere Organisationen sprechen sich gegen das System der nationalen Erschöpfung ohne Ausnahmen aus.

Die Befürworter der nationalen Erschöpfung weisen auf den Stellenwert des Patentschutzes für eine wissens- und forschungsbasierte Wirtschaft hin. Die nationale Erschöpfung sei ein globaler Standard in den Industrieländern. Sie trage dazu bei, 333

die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten zu finanzieren, die für die Erhaltung der Marktposition und der Wettbewerbsfähigkeit notwendig seien. Eine Analyse des Verhältnisses zwischen Patentintensität und Preisunterschieden zum Ausland zeige darüber hinaus, dass die nationale Erschöpfung kein ins Gewicht fallender Faktor für Preisunterschiede sei. Die Aufgabe dieses Prinzips werde nicht die erhoffte Senkung von Lebenshaltungs- und Beschaffungskosten in der Schweiz bewirken können, sondern greife unverhältnismässig in die Eigentumsrechte ein.

Die ablehnenden Stellungnahmen zur nationalen Erschöpfung betonen die Wichtigkeit offener Märkte und des freien Austauschs von Waren und Dienstleistungen. Das exklusive Importrecht des Patentinhabers schränke den Preiswettbewerb durch eine Importbarriere ein. Das System der nationalen Erschöpfung führe so zu einem abgeschlossenen Markt mit höheren Preisen. Es räume den Patentinhabern Importmonopole mit entsprechenden Monopolrenten ein. Die Ermöglichung von Parallelimporten sei ein wesentlicher Bestandteil der Wirtschaftspolitik und stehe auf gleicher Stufe mit anderen Massnahmen zur Stärkung des Wettbewerbs, die eingeleitet oder verwirklicht seien. Parallelimporte ermöglichten ein breites Angebot zu günstigen Preisen und hätten volkswirtschaftlich positive Auswirkungen. Nachteile für den Forschungsstandort Schweiz seien keine zu erwarten.

Die Varianten zur nationalen Erschöpfung, einschliesslich der Ausnahme bei patentrechtlich geschützten landwirtschaftlichen Produktionsmitteln und Investitionsgütern nach Artikel 27b des Landwirtschaftsgesetzes49, wurden in der Vernehmlassung mehrheitlich abgelehnt. Eine nach Produkten differenzierende Erschöpfung führe zu einer Ungleichbehandlung von Produkten oder Technologien sowie der jeweiligen Patentinhaber. Ein solches System werfe zudem in der Praxis schwierige Abgrenzungsfragen auf. Diese würden die Regelung streitanfällig machen und damit die Rechtssicherheit beeinträchtigen. Artikel 27b des Landwirtschaftsgesetzes sei auch deswegen problematisch, weil er nicht erlaube, das gewünschte Kostensenkungspotenzial zu realisieren. Die Bestimmung führe zu einer weiteren Sonderbehandlung einer Branche, die bereits heute von einer unüberschaubaren Zahl politischer Sonderregelungen profitiere. 3 Kantone (ZG, SO, JU), die CVP,
der SBV und Prométerre unterstützen Artikel 27b des Landwirtschaftsgesetzes. Die befürwortenden Kreise weisen auf das Kostensenkungspotenzial zugunsten der Schweizer Landwirtschaft hin. Die Ausnahme bei den landwirtschaftlichen Produktionsmitteln und Investitionsgütern leiste einen Beitrag im Rahmen der Gesamtstrategie zur Senkung der Produktionskosten in der Schweiz.

Regionale Erschöpfung 2 Kantone, 2 Parteien (CVP, EVP) sowie 4 weitere Vernehmlassungsteilnehmer befürworten die regionale Erschöpfung auf der Basis eines Abkommens mit der EG oder gegenüber den Vertragsstaaten des EWR. Für 2 Kantone, die SP und 3 weitere Organisationen ist die regionale Erschöpfung auf Gegenseitigkeit der zweitbeste Lösungsansatz, wobei die SP eine einseitige Einführung in Betracht zieht. Ein Kanton, die FDP und 2 Verbände wollen einen Wechsel zur regionalen Erschöpfung in einem späteren Zeitpunkt nicht ausschliessen. Die regionale Erschöpfung auf der Basis eines Abkommens mit der EG oder gegenüber den Vertragsstaaten des EWR wird aber mehrheitlich abgelehnt.

49

334

BBl 2007 4677 4679

Die Befürworter machen geltend, dass die regionale Erschöpfung im Verhältnis zur EG oder zu den Vertragsstaaten des EWR zu einer limitierten und kontrollierten Öffnung des Schweizer Marktes gegenüber Staaten mit vergleichbaren wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen führe. Durch die regionale Erschöpfung könne eine Senkung der Preise patentgeschützter Produkte erzielt werden. Die gesamtwirtschaftlichen Effekte seien ebenfalls positiv. Insgesamt würde der Werkplatz Schweiz entschieden gestärkt.

Dem halten die ablehnenden Stellungnahmen im Wesentlichen entgegen, dass anzunehmen sei, dass im Falle von Verhandlungen Gegenforderungen gestellt würden.

So könnte die EG im Gegenzug von der Schweiz einen Wechsel von der internationalen zur regionalen Erschöpfung im Marken- und Urheberrecht fordern. Es sei auch in anderen Politikbereichen (etwa in den Dossiers Zinsbesteuerung, Steuerfragen oder Bankgeheimnis) mit Gegenforderungen zu rechnen. Davon abgesehen seien die kurzfristigen Realisierungschancen gering.

Internationale Erschöpfung 4 Kantone, die SP, Travail Suisse, Konsumentenorganisationen, Unternehmen und Organisationen der Branchen Landwirtschaft, Detailhandel und Hotellerie und weitere Organisationen befürworten die internationale Erschöpfung ohne Ausnahmen. Die WEKO spricht sich dafür aus, langfristig die internationale Erschöpfung ohne Ausnahmen anzustreben. Sie befürwortet vorderhand allerdings eine Ausnahme bei Märkten mit abweichenden Rahmenbedingungen. 2 Kantone, die EVP, 2 Dachverbände und die EKK sprechen sich für unterschiedliche Einschränkungen gegenüber dem Grundsatz der internationalen Erschöpfung aus und verwerfen eine internationale Erschöpfung ohne Ausnahmen. 9 Kantone, 2 Parteien (FDP, SVP), gesamtschweizerische und regionale Wirtschaftsverbände, in der Entwicklung und Produktion tätige Unternehmen sowie weitere Organisationen lehnen die internationale Erschöpfung ohne Ausnahmen ab.

Die Befürworter weisen darauf hin, dass bei einem Wechsel zur internationalen Erschöpfung auf Konsumentenpreisstufe bei einem Handelsvolumen zwischen 2,7 und 4,5 Milliarden Franken eine Preisreduktion von 6­11 % erwartet werden könne.

Zudem könnten die Produktionskosten im Inland gesenkt werden, weil Anlagen, Geräte, Produktionsmittel sowie Zusatz- und Verarbeitungshilfsstoffe tendenziell
günstiger importiert werden könnten. Negative Auswirkungen auf die Forschungsund Entwicklungsausgaben und auf den Forschungsstandort Schweiz seien nicht zu erwarten. Der Wechsel von der nationalen zur internationalen Erschöpfung lasse sich schliesslich rechtlich ohne Weiteres realisieren.

Seitens der Gegner der internationalen Erschöpfung wird eingewendet, es liessen sich keine verlässlichen Hinweise finden, dass die Lebenshaltungskosten mit Einführung der internationalen Erschöpfung signifikant sinken würden. Verglichen mit dem Multiplikatoreffekt von Investitionen in innovative Produkte mit hoher Wertschöpfung brächten die reine Abschöpfung von Handelsmargen und die verbleibende allfällige Einsparung bei den Konsumentinnen und Konsumenten tendenziell weniger Wohlstandsgewinne. Ein Systemwechsel würde das für den Wirtschaftsstandort Schweiz äusserst wichtige geistige Eigentum markant schwächen.

Zu den Varianten äussert sich nur ein Teil der Vernehmlassungsteilnehmer.

2 Kantone, die EVP, 3 Dachverbände, der Detailhandel sowie weitere Organisationen stimmen der internationalen Erschöpfung mit Ausnahme bei Märkten mit 335

administrierten Preisen zu. Die SP sowie 2 Konsumentenorganisationen und ein weiterer Vernehmlassungsteilnehmer lehnen es ab, Güter mit staatlich administrierten Preisen (Arzneimittel) vom Anwendungsbereich der internationalen Erschöpfung auszuklammern. 2 Kantone, die FDP, Wirtschaftsverbände sowie in der Entwicklung und Produktion tätige Unternehmen lehnen diesen Lösungsansatz meist unter Hinweis auf die Nachteile der internationalen Erschöpfung oder gesamthaft mit anderen Ausnahmen und Varianten von den Grundoptionen ab.

3 Kantone, ein Dachverband, der Detailhandel, die WEKO sowie weitere Organisationen befürworten eine Ausnahme von der internationalen Erschöpfung bei Märkten mit abweichenden Rahmenbedingungen. Die SP und 3 Organisationen sprechen sich gegen eine solche Ausnahme von der internationalen Erschöpfung aus.

Ein Kanton, die FDP, Wirtschaftsverbände sowie in der Entwicklung und Produktion tätige Unternehmen lehnen diesen Lösungsansatz meist unter Hinweis auf die Nachteile der internationalen Erschöpfung oder gesamthaft mit anderen Ausnahmen und Varianten von den Grundoptionen ab.

Einschränkung zugunsten des Marktzugangs nach dem Bundesgesetz über die technischen Handelshemmnisse Zu diesem Lösungsansatz liegen nur wenige Stellungnahmen vor. Mit einer Ausnahme wird der Ansatz verworfen. Die Unterscheidung zwischen privaten Eigentumsrechten und staatlichen, technischen Handelshemmnissen würde aufgegeben.

Regulierungen im öffentlich-rechtlichen Interesse bestimmten darüber, ob und in welchem Umfang ein patentiertes Produkt frei eingeführt werden könne. Private Rechte würden so von öffentlich-rechtlichen Regeln abhängig.

Andere Lösungsansätze 2 Kantone, 3 Parteien (CVP, SP, EVP), eine Konsumentenorganisation, Unternehmen des Detailhandels sowie weitere Organisationen ziehen eine einseitige regionale Erschöpfung im Verhältnis zur EG oder zu den Vertragsstaaten des EWR in Betracht. Vor dem Hintergrund von zwei neuen Rechtsgutachten50, die diesen Ansatz mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz (insbesondere den Verpflichtungen im Rahmen der WTO) für vereinbar halten, treten die Vernehmlassungsteilnehmer dafür ein, dass dieser Ansatz vertieft geprüft wird.

Verschiedene Stellungnahmen regen ein System der internationalen Erschöpfung an, das sich auf einen klar definierten Kreis
von Staaten beschränkt.

Schliesslich schlagen die CVP und weitere Organisationen vor, die Wirkung der Konfliktregelung in Artikel 9a des Patentgesetzes in der Fassung vom 22. Juni 200751 zu verbessern. Die Regelung solle auf alle Waren ausgedehnt werden, für deren funktionelle Beschaffenheit der Patentschutz eine untergeordnete Bedeutung habe und mit einer Beweislastregelung verbunden werden.

50

Andreas R. Ziegler, Regionale Erschöpfung und Meistbegünstigung im Rahmen der WTO, Genf 2007; Christophe Rapin, Importations parallèles et produits thérapeutiques, Genf 2007.

51 BBl 2007 4593 4597

336

1.6

Beantragte Lösung

Nationale Erschöpfung Der Bundesrat bekräftigt seine Präferenz für den Grundsatz der nationalen Erschöpfung. Er beantragt, dieses Prinzip im Patentgesetz zu verankern.

Für den Bereich der Landwirtschaft hat das Parlament mit Artikel 27b LwG in der Fassung vom 22. Juni 200752 eine Ausnahme vom Prinzip der nationalen Erschöpfung beschlossen. Der Bundesrat respektiert den Willen des Gesetzgebers und beantragt daher ungeachtet der in der Vernehmlassung geäusserten Kritik nicht, auf diesen Entscheid zurückzukommen.

Ausweitung der Konfliktregelung Die eidgenössischen Räte stimmten bei der Revision des Patentgesetzes der vom Bundesrat vorgeschlagenen Regelung betreffend Konflikte zwischen divergierenden Erschöpfungsregelungen bei mehrfach geschützten Waren zu (Art. 9a PatG in der Fassung vom 22. Juni 200753): Der nach geltendem Recht mögliche grenzüberschreitende Wiederverkauf von marken- oder urheberrechtlich geschützten Erzeugnissen kann demnach nicht unterbunden werden, indem solchen Erzeugnissen ein patentierter Bestandteil von nebensächlicher Bedeutung beigefügt wird. Diese flankierende Konfliktregelung soll auf solche Fälle ausgedehnt werden, in denen ein im Ausland rechtmässig erworbenes Erzeugnis einen patentierten Bestandteil aufweist, der für die funktionelle Beschaffenheit des Erzeugnisses von untergeordneter Bedeutung ist. Um die Wirkung dieser Konfliktregelung weiter zu verbessern, schlägt der Bundesrat eine Beweislastumkehr mit vermindertem Beweismass vor: Der Patentinhaber muss glaubhaft machen, dass der patentierte Bestandteil für die funktionelle Beschaffenheit der Ware nicht von untergeordneter Bedeutung ist.

1.7

Begründung und Bewertung der beantragten Lösung

Nationale Erschöpfung Vorsprünge im Wettbewerb lassen sich nur durch Innovation erzielen. Innovatorische Tätigkeit setzt allerdings voraus, dass sich der Innovator die Früchte seines Schaffens als Eigentum sichern kann. Dritte müssen somit von der Nutzung von Innovationen, zu deren Gestehungskosten sie nichts beigetragen haben, ausgeschlossen werden. Der Patentschutz ist hier ein zentrales und für die Förderung der Innovationstätigkeit unverzichtbares Instrument.

Das Importverbotsrecht des Patentinhabers und die nationale Erschöpfung verhindern einen funktionsfähigen Wettbewerb nicht. Dieser findet in aller Regel zwischen austauschbaren Erzeugnissen unterschiedlicher Hersteller sowohl auf der Ebene des Preises als auch der Innovation statt. Der Patentinhaber kann sich bei der Preisgestaltung seiner Erzeugnisse nicht dem freien Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage entziehen und sich unabhängig von anderen Marktteilnehmern verhalten.

Bei funktionierendem Interbrand-Wettbewerb kann er im Inland auch keine künstlich erhöhten Preise generieren, für die er keine Gegenleistung erbringt. Höhere 52 53

BBl 2007 4677 4679 BBl 2007 4593 4597

337

Preise setzen eine höhere Zahlungsbereitschaft der Konsumentinnen und Konsumenten voraus.

Die Annahme der Kritiker der nationalen Erschöpfung, dass das Importverbotsrecht des Patentinhabers und die nationale Erschöpfung systematisch eine marktbeherrschende Stellung oder gar Monopolstellung auf dem Markt verleihen würden, ist haltlos (Ziff. 1.3.1). Als Grundstein der Argumentationskette, die zur Ablehnung der nationalen Erschöpfung führt, lässt diese unzutreffende Annahme auch die darauf aufbauenden Schlussfolgerungen in sich zusammenfallen. Der Staat gewährt Patentinhabern weder mit dem Importverbotsrecht noch mit der nationalen Erschöpfung Importmonopole. Dementsprechend gibt es auch keinen verzerrenden Eingriff des Staates in die Märkte zu beanstanden und erst recht nicht zu beseitigen.

Die nationale Erschöpfung gibt den Interessen der in Forschung und Entwicklung tätigen Unternehmen gegenüber dem Handel den Vorrang. Sie sorgt dafür, dass die Unternehmen den von ihnen errungenen Markt- und Innovationsvorsprung bezogen auf ein einzelnes patentgeschütztes Erzeugnis nicht mit dem Handel teilen müssen.

Dies ist nicht nur konsequent, weil dem Patentinhaber die wirtschaftliche Nutzung seiner Erfindung insgesamt vorbehalten bleiben sollte. Die Präferenz ist auch legitim, da der Handel den Innovationsgewinn zumindest teilweise abschöpfen würde, ohne in die Forschung und Entwicklung zu investieren. Ein Systemwechsel würde eine solche Umverteilung der Innovationsrendite von den Produzenten auf den Handel sowie die Konsumentinnen und Konsumenten erzwingen, ohne eine effizientere Ausschöpfung des Innovationspotenzials garantieren zu können. Die mit einem Systemwechsel bewirkte Begünstigung des Intrabrand-Wettbewerbs ist nämlich nicht geeignet, zu ökonomisch besseren Leistungen zu führen. Innovatoren würde vielmehr signalisiert, dass sie ihre Investitionen auf weniger effiziente und folglich die Produkte verteuernde Art (beispielsweise durch vertikale Integration) sichern müssen.

Seit der Revision des Kartellgesetzes sind Einfuhrbeschränkungen gestützt auf Rechte des geistigen Eigentums ausdrücklich einer Beurteilung durch das Kartellrecht zugänglich. Dieser Ansatz einer Missbrauchsbekämpfung über das Kartellrecht ist ordnungspolitisch kohärent. Die staatliche Wettbewerbspolitik bezweckt nicht, durch
Eingriffe in den Preisbildungsmechanismus direkt für Preise zu sorgen, die als angemessen oder gerecht angesehen werden. Ziel ist, einen funktionsfähigen Wettbewerb zu fördern, in dessen Rahmen sich aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage Wettbewerbspreise einstellen. Ein derartiger funktionsfähiger Wettbewerb ist durch das Importverbotsrecht des Patentinhabers und die nationale Erschöpfung nicht in Frage gestellt. Daher drängt sich auch wettbewerbspolitisch keine Systemkorrektur auf.

Das kartellrechtliche Korrektiv erfordert freilich eine systematische Analyse der Eingreifkriterien im Einzelfall und führt daher erst nach langen Verfahren zu einer Korrektur. Dennoch bleibt die Wirkung der ergangenen Entscheide nicht notwendig auf den Einzelfall beschränkt. Entscheide mit Leitcharakter sind durchaus geeignet, präventive Wirkung zu entfalten. Dass die kartellrechtliche Kontrolle der Preisbildung von Patentinhabern nicht bloss graue Theorie ist, zeigt auch ein publizierter Entscheid der Wettbewerbskommission zu Medikamentenpreisen54. Dieser ver-

54

338

Medikamentenpreis Thalidomid, RPW 2006/3, S. 433.

deutlicht zugleich, dass hohe Preise nicht pauschal als missbräuchlich und wettbewerbswidrig angesehen werden dürfen.

Eine Analyse des Verhältnisses zwischen Patentintensität und Preisunterschieden zum Ausland zeigt, dass der Patentschutz nur in wenigen Teilmärkten als ins Gewicht fallender Faktor für Preisunterschiede in Betracht kommt. In den Bereichen, in denen der Patentschutz von Bedeutung ist, erklären sich Preisunterschiede allerdings durch eine Mehrheit preissteigernder Faktoren, namentlich durch technische Handelshemmnisse. Die nationale Erschöpfung von Patenten ist als Ursache von untergeordneter Bedeutung. Ein isoliert vollzogener Systemwechsel bei der Erschöpfung verspricht ­ wenn überhaupt ­ höchstens bei vereinzelten Konsumgütern tiefere Preise. Die erhoffte Preissenkung auf der ganzen Breite der Konsumgüter, namentlich bei solchen des täglichen Bedarfs, dürfte ausbleiben. Das berechtigte Anliegen der Schweizer Wirtschaft, die Lebenshaltungs- und Beschaffungskosten in der Schweiz zu senken, ist daher über die Beseitigung von Zollschranken und von technischen Handelshemmnissen anzustreben und nicht über eine Schwächung des Patentschutzes.

Aufgrund dieser Überlegungen erachtet der Bundesrat einen Systemwechsel bei der Erschöpfung als unverhältnismässigen Eingriff in die Eigentumsrechte der Patentinhaber.

Ausweitung der Konfliktregelung Wie in der Vernehmlassung zu Recht vorgebracht wurde, lässt sich das vom Bundesrat befürwortete Korrektiv zur nationalen Erschöpfung in Artikel 9a des Patentgesetzes in der Fassung vom 22. Juni 200755 in seiner Wirkung durch eine massvolle Ausweitung effektiver gestalten. Damit entspricht der Bundesrat zugleich den Anliegen der Motion vom 5. Oktober 2007 von Nationalrat Thomas Müller.56 Ablehnung einer einseitigen regionalen Erschöpfung Vor dem Hintergrund zweier neuerer Rechtsgutachten57 stellen verschiedene Eingaben in der Vernehmlassung den Lösungsansatz einer einseitigen regionalen Erschöpfung (sei es im Verhältnis zur EG oder zu den Vertragsstaaten des EWR, sei es im Verhältnis zu weiteren industrialisierten Handelspartnern der Schweiz) erneut zur Diskussion. Der Bundesrat hat diesen Ansatz gestützt auf ein in seinem Auftrag erstelltes Gutachten58 verworfen. Das Gutachten kommt zum Schluss, dass das System der regionalen Erschöpfung nach Auffassung
einer Mehrheit der Lehrmeinungen nur auf der Grundlage der Gegenseitigkeit, d.h. im Rahmen eines Abkommens eingeführt werden kann. Angesichts der erneut angestossenen Diskussion über die Vereinbarkeit einer einseitigen regionalen Erschöpfung mit dem Recht der WTO gab das Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum seinerseits ein Gutachten in Auftrag. Das Gutachten59 kommt zum Schluss, dass die einseitige Einführung der 55 56

BBl 2007 4593 4597 07.3752 M Missbräuche im Patentrecht verhindern (N noch nicht behandelt, Müller Thomas; S noch nicht behandelt).

57 Andreas R. Ziegler, Regionale Erschöpfung und Meistbegünstigung im Rahmen der WTO, Genf 2007; Christophe Rapin, Importations parallèles et produits thérapeutiques, Genf 2007.

58 Straus/Katzenberger 2002, S. 43 ff.

59 Thomas Cottier/Rachel Liechti, Ist die einseitig statuierte regionale Erschöpfung im schweizerischen Patentrecht mit dem WTO-Recht vereinbar?, Bern 2007.

339

regionalen Erschöpfung nach dem Recht der WTO anfechtbar und folglich mit aussenwirtschaftspolitischen Risiken verbunden sei. Eine Rechtfertigung im Rahmen des TRIPS-Abkommens sei nicht möglich, allerdings müsse seitens der EG kaum mit einer Anfechtung gerechnet werden. Eine Rechtfertigung im Rahmen des GATT sei möglich; ob sie von den Spruchorganen der WTO übernommen werde, müsse offen bleiben.

Da sich die Rechtsfrage nicht auf dem Weg einer Stellungnahme der WTO verbindlich klären lässt, bleiben angesichts der sich widersprechenden Stellungnahmen in der Lehre erhebliche Zweifel bestehen, ob dieser Lösungsansatz mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar ist. Der Bundesrat ist nicht bereit, den Ruf der Schweiz als verlässlicher Partner internationaler Verträge leichtfertig zu gefährden, indem er sich über die ernst zu nehmenden rechtlichen Bedenken hinwegsetzt. Er lehnt es daher ab, die einseitige regionale Erschöpfung weiterzuverfolgen.

Darüber hinaus bestehen auch inhaltliche Bedenken: Die regionale Erschöpfung in der EG knüpft an einen einheitlichen Rechts- und Wirtschaftsraum (Binnenmarkt) an und setzt diesen voraus. Andernfalls entstehen Verzerrungen aufgrund unterschiedlicher Vorschriften.

1.8

Rechtsvergleich und Verhältnis zum europäischen Recht

1.8.1

Rechtsvergleich

Im internationalen Rechtsvergleich ist die nationale Erschöpfung im Patentrecht vorherrschend. Einzig in Lateinamerika und Ostasien ist eine deutliche und ständig zunehmende Tendenz zur internationalen Erschöpfung erkennbar. Das System der internationalen Erschöpfung hat jedoch bislang in keine Rechtsordnung eines Industriestaates Eingang gefunden.

Das System der nationalen Erschöpfung ist in den kontinentaleuropäischen Staaten verankert sowie in Brasilien, Mexiko, Korea und Hongkong. Die internationale Erschöpfung ist dagegen in mehreren Staaten Lateinamerikas (Bolivien, Ecuador, Kolumbien, Peru, Venezuela, Argentinien, Paraguay und Uruguay) und Ostasiens (Taiwan, Indien, Indonesien, Malaysia, Singapur und Thailand) verbreitet. Darüber hinaus gibt es Staaten, die nicht der Lehre der Erschöpfung folgen: Das Vereinigte Königreich wendet die Implied-Licence-Doktrin (Ziff. 1.2.1) an, die es dem Patentinhaber überlässt, Parallelimporte auszuschliessen, und daher der nationalen Erschöpfung nahekommt.60 Ein ähnliches System ist auch in Japan verbreitet. In den USA entspricht dem Erschöpfungsprinzip die First-Sale-Doktrin, die dem Patentinhaber die Möglichkeit einräumt, durch Absatz- und Vertragsgestaltung Parallelimporten zu begegnen. Dies führt im Ergebnis zum Überwiegen der nationalen Erschöpfung.61 Die nationale Erschöpfung, an der die kontinentaleuropäischen Staaten festhalten, erweitert sich in der EU (und im EWR) zur regionalen Erschöpfung. Rechtsgrundlage bilden die Artikel 28 und 30 des EG-Vertrags über den freien Warenverkehr im 60 61

340

Straus/Katzenberger 2002, S. 14 ff.

Straus/Katzenberger 2002, S. 29 f.

Gemeinsamen Markt. Dies trifft auch für das Vereinigte Königreich mit seiner Implied-Licence-Doktrin zu. Diese tritt im Verhältnis zu den übrigen EU- (bzw.

EWR-) Staaten in den Hintergrund, da dem Grundsatz der regionalen Erschöpfung des Patentrechts der Vorrang zukommt. Im Rahmen von Freihandelsabkommen ist die regionale Erschöpfung nicht vorgesehen.62

1.8.2

Verhältnis zum europäischen Recht

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entwickelte in der EG das Prinzip der Erschöpfung der Immaterialgüterrechte im Wesentlichen in seiner Rechtsprechung zum freien Warenverkehr. Gemäss Rechtsprechung des EuGH kann ein Schutzrechtsinhaber den Vertrieb eines immaterialgüterrechtlich geschützten Erzeugnisses in einem Mitgliedstaat nicht unterbinden, wenn er dieses Erzeugnis zuvor in einem anderen Mitgliedstaat in Verkehr gebracht hat.63 Demgegenüber kann der Schutzrechtsinhaber sich gegen den Import von solchen Erzeugnissen aus Drittstaaten widersetzen, in denen er diese in Verkehr gebracht hat.64 Es gilt somit eine regionale, d.h. EG-weite Erschöpfung. Der EuGH stellte in seiner Rechtsprechung klar, dass die regionale Erschöpfung auch im Falle von staatlichen Preiskontrollen gelte.65 Das Prinzip der regionalen Erschöpfung in den verschiedenen Schutzrechtsbereichen findet ihren Niederschlag auch im sekundären Gemeinschaftsrecht.66 Im Bereich des Patentrechts wird der Grundsatz der regionalen Erschöpfung in der Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen67 und im aktuellen Vorschlag für eine Verordnung über das Gemeinschaftspatent68 verankert.

62 63 64 65 66

67 68

Straus/Katzenberger 2002, S. 16 ff.

Urteil des Gerichtshofes vom 31. Okt. 1974, Centrafarm BV und Adriaan de Peijper gegen Sterling Drug Inc., Rs. 15/74, Slg. 1974, S. 1147 Urteil des Gerichtshofes vom 16. Juli 1998, Silhouette International Schmied GmbH & Co. KG gegen Hartlauer Handelsgesellschaft mbH, Rs. C-355/96, Slg. 1998, S. I-4799 Urteil des Gerichtshofes vom 5. Dez. 1996, Merck & Co. Inc et al. gegen Primecrown Ltd et al., verb. Rs. C-267/95 u. C-268/95, Slg. 1996, 6285 Art. 7 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. L 40 vom 11.2.1989, S. 1); Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. L 11 vom 14.1.1994, S. 1); Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. L 167 vom 22.6.2001, S. 10); Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 92/100/EWG zum Vermiet- und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums (ABl. L 346 vom 27.11.1992, S. 61); Art. 4 Bst. c zweiter Satz der Richtlinie 91/250/EWG über den Rechtsschutz von Computerprogrammen (ABl. L 122 vom 17.5.1991, S. 42); Art. 15 der Richtlinie 98/71/EG vom 13. Okt. 1998 über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen (ABl. L 289 vom 28.10.1998, S. 28); Art. 8 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 vom 12. Dez. 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. L 3 vom 5.1.2002, S. 1).

ABl. L 213 vom 30.7.1998, S. 13 Rat der Europäischen Union, Vorschlag vom 8. März 2004 für eine Verordnung des Rates über das Gemeinschaftspatent: http://register.consilium.eu.int/pdf/de/04/st07/st07119.de04.pdf.

341

1.9

Erledigung parlamentarischer Vorstösse

Die Motion 06.3633 (Kommission für Rechtsfragen NR [05.082])69 beauftragt den Bundesrat, auf die Frage der patentrechtlichen Erschöpfung zurückzukommen und dem Parlament bis Ende 2007 im Rahmen einer eigenen Vorlage eine Lösung zu unterbreiten. Der Bundesrat wird dabei ersucht, auf eine Reihe von Fragestellungen einzugehen. Mit dieser Vorlage beantragt der Bundesrat die Festschreibung der nationalen Erschöpfung im Patentrecht. Die Erläuterungen der Botschaft zu den untersuchten Lösungsmöglichkeiten beantworten die mit der Motion dem Bundesrat unterbreiteten Fragestellungen (Ziff. 1.4). Den Anliegen der Motion wird damit vollumfänglich entsprochen. Sie kann als erfüllt abgeschrieben werden.

2

Erläuterung der einzelnen Artikel

Artikel 9a Absatz 1 schreibt die nationale Erschöpfung im Patentrecht fest. Die nationale Erschöpfung gilt jedoch nicht absolut. Vielmehr steht die Geltendmachung patentrechtlicher Abwehrrechte nach wie vor unter dem Vorbehalt der kartellrechtlichen Beurteilung; dies nach Massgabe von Artikel 3 Absatz 2 zweiter Satz des Kartellgesetzes70.

Artikel 9a Absatz 2 regelt den Fall eines patentierten Verfahrens, das durch eine Vorrichtung angewendet wird, die vom Patentinhaber oder mit dessen Zustimmung im Inland in Verkehr gebracht wurde. Mit der Veräusserung der Vorrichtung durch den Patentinhaber im Inland erhält der Erwerber das Recht, das geschützte Verfahren zu benützen. Wird die Vorrichtung nicht vom Inhaber des Verfahrenspatents hergestellt und in Verkehr gebracht, so darf das patentierte Verfahren auch dann nicht benutzt werden, wenn die Vorrichtung als solche nicht geschützt ist.

In Einklang mit Artikel 10 der Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen71 erlaubt Artikel 9a Absatz 3 die Vermehrung geschützten biologischen Materials, das vom Patentinhaber oder mit dessen Zustimmung im Inland in Verkehr gebracht wurde, insoweit dies für die bestimmungsgemässe Verwendung notwendig ist und das so gewonnene Material anschliessend nicht für eine weitere Vermehrung verwendet wird. Artikel 9a Absatz 3 versteht sich mithin als Ausnahme von der dem Patentinhaber aufgrund eines Patents auf ein Erzeugnis oder ein Herstellungsverfahren (Art. 8a in der Fassung vom 22. Juni 200772) vorbehaltenen Befugnis, die Vermehrung des geschützten biologischen Materials zu verbieten. Artikel 9a Absatz 3 beinhaltet zudem eine Einschränkung der Verbotsrechte nach Artikel 8b in der Fassung vom 22. Juni 200773. Die entsprechenden Vorbehalte werden in den Artikeln 8a und 8b in der Fassung vom 22. Juni 200774 ergänzt.

Der vierte Absatz von Artikel 9a erlaubt die Einfuhr von patentgeschützten Waren, die vom Patentinhaber oder mit dessen Zustimmung im Ausland in Verkehr gebracht 69 70 71 72 73 74

342

06.3633 M Klärung der Möglichkeiten und Folgen im Bereich der patentrechtlichen Erschöpfung (N 20.12.06, Kommission für Rechtsfragen NR [05.082]; S 14.3.07).

SR 251 ABl. L 213 vom 30.7.1998, S. 13 BBl 2007 4593 4597 BBl 2007 4593 4597 BBl 2007 4593 4597

wurden, wenn der Patentschutz für die funktionelle Beschaffenheit dieser Ware untergeordnete Bedeutung hat. Diese Regelung lehnt sich an die für das deutsche Recht vertretene Ansicht75 an, dass beim Einbau eines patentrechtlich geschützten Erzeugnisses in andere Sachen die neue Gesamtsache dann nicht mehr vom Patent erfasst wird, wenn das patentierte Erzeugnis für das Endprodukt nur noch eine unbedeutende technische Funktion erfüllt. Eine entsprechende Ausweitung der Konfliktregelung von Artikel 9a in der Fassung vom 22. Juni 200776 war in der Vernehmlassung namentlich seitens der CVP angeregt worden. Die Motion 07.3752 (Müller Thomas)77 nimmt dieses Anliegen ebenfalls auf.

In der Vernehmlassung wurde zu bedenken gegeben, dass der Importeur aufgrund der allgemeinen Regeln zur Beweislast den Nachweis zu erbringen habe, dass der Patentschutz für die funktionelle Beschaffenheit der von ihm importierten Ware untergeordnete Bedeutung habe. Denn er berufe sich auf eine Ausnahme vom Grundsatz der nationalen Erschöpfung. Dies könne den Nutzen der Konfliktregelung schmälern, wenn der Importeur für diesen Beweis auf Tatsachen abstellen müsste, die ihm nicht zugänglich seien. Eine Umkehr der Beweislast könnte wiederum dazu führen, dass dem Patentinhaber vorsorgliche Massnahmen nur unter erschwerten Bedingungen offenstehen. Dem soll durch eine Beweislastumkehr mit vermindertem Beweismass Rechnung getragen werden. Der Patentinhaber, der in einem Massnahmenverfahren oder im Hauptprozess die Verletzung seiner Patentrechte durch die Einfuhr von patentgeschützten Waren geltend macht, muss glaubhaft machen, dass das von ihm in Anspruch genommene Patent für die technische Beschaffenheit der Ware nicht von untergeordneter Bedeutung ist, wenn sich der Importeur dem Massnahme- oder Klagebegehren unter Berufung auf Absatz 4 widersetzt. Gelingt dem Patentinhaber die Glaubhaftmachung, so steht dem Importeur noch der Gegenbeweis offen.

Artikel 9a Absatz 4 PatG lässt als zivilrechtliche Ausnahme zum Prinzip der nationalen Erschöpfung im Patentrecht das Heilmittelgesetz vom 15. Dezember 200078 (HMG) unverändert. Namentlich schafft Artikel 9a Absatz 4 PatG keine vom geltenden Artikel 14 Absätze 2 und 3 HMG abweichenden Bedingungen für die Zulassung der Einfuhr von Originalpräparaten im Sinn von Artikel 14 Absatz 2 HMG.
Eine entsprechende Zulassung wird somit weiterhin nur dann erteilt werden, wenn das zur Einfuhr vorgesehene Arzneimittel nicht mehr patentgeschützt ist, wobei der Patentschutz vom Patentinhaber glaubhaft zu machen ist. Bei der Anwendung von Artikel 14 Absatz 3 HMG kommt es ­ anders als bei Artikel 9a Absatz 4 PatG ­ nicht auf den Stellenwert des Patentschutzes für das Arzneimittel an. Entscheidend ist vielmehr, dass das fragliche Originalpräparat durch ein Patent noch geschützt ist.

Der Vorbehalt im letzten Satz von Artikel 9a Absatz 4 PatG bringt zum Ausdruck, dass Artikel 9a Absatz 4 PatG keinen Vorrang vor Artikel 14 Absatz 3 erster Satz HMG beansprucht und auch nicht als Ausnahme dazu zu verstehen ist. Artikel 9a Absatz 4 PatG und Artikel 14 Absatz 3 erster Satz HMG bestehen vielmehr gleichrangig nebeneinander fort. Eine zusätzliche Einschränkung der Einfuhr von Originalpräparaten gegenüber dem geltenden Artikel 14 Absatz 3 erster Satz HMG ist mit

75 76 77 78

Georg Benkard/Uwe Scharen, Patentgesetz, 10. Aufl., München 2006, § 9 N 30.

BBl 2007 4593 4597 07.3752 M Missbräuche im Patentrecht verhindern (N noch nicht behandelt, Müller Thomas; S noch nicht behandelt).

SR 812.21

343

dem Vorbehalt indessen nicht verbunden, ebensowenig restriktivere Zulassungsvoraussetzungen für Generika oder Medizinprodukte.

3

Auswirkungen

3.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen auf den Bund, die Kantone und Gemeinden

Die Gesetzesvorlage schafft keine neuen Vollzugsaufgaben, sodass sie keine Auswirkungen auf Bund, Kantone und Gemeinden hat. Ein Mehraufwand bei der Hilfeleistung der Zollverwaltung und der resultierende Mehrbedarf an Personal wurden in der Botschaft vom 23. November 2005 zur Änderung des Patentgesetzes79 berücksichtigt. Dem Systementscheid wird bei der Schaffung der neuen Stellen Rechnung zu tragen sein.

3.2

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Es bestehen Anhaltspunkte, dass das System der nationalen Erschöpfung von Patentrechten gesamthaft gesehen eine untergeordnete Ursache der Hochpreissituation in der Schweiz ist und die hohen Preise in der Schweiz primär durch andere preisbestimmende Faktoren zu erklären sind (Ziff. 1.3).

Bei dieser Einschätzung kann eine Aufgabe der nationalen Erschöpfung von Patentrechten kein erstrangiges Ziel sein. Bei einem isoliert vollzogenen Systemwechsel in der Erschöpfung dürften zudem positive Effekte auf das Preisniveau und die Gesamtwirtschaft weitgehend ausbleiben. Ein gezielter Abbau des Preisniveaus muss daher zuerst bei der Beseitigung derjenigen preisbestimmenden Faktoren ansetzen, die für die jeweilige Branche den grössten Effekt versprechen.

Massnahmen, die das Preisniveau in der Schweiz günstig beeinflussen können, wurden bereits umgesetzt oder sind in Vorbereitung. Das Kartellrecht wurde verschärft, insbesondere durch die Unterstellung gewisser vertikaler Abreden unter die Vermutung einer Wettbewerbsbeschränkung sowie durch die Einführung direkter Sanktionen. Mit der laufenden Vernehmlassung zur Revision des Bundesgesetzes über technische Handelshemmnisse setzt sich der Bundesrat für einen konsequenten Abbau von öffentlich-rechtlichen Hürden für den Zutritt zum schweizerischen Markt ein. Zollschranken werden in internationalen Verhandlungen weiter reduziert werden. Auch im Gesundheitswesen, das den patentintensiven Bereich der pharmazeutischen Produkte einschliesst, sind Reformschritte eingeleitet oder in Aussicht genommen, die unabhängig vom Systementscheid bei der Erschöpfung positive Effekte auf das Preisniveau erwarten lassen. In Zukunft könnten Einfuhrbeschränkungen gestützt auf das Patentrecht als verbleibende Handelsschranke daher an relativer Bedeutung gewinnen.

79

344

BBl 2006 1 und 136

4

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist im Bericht über die Legislatur- und Finanzplanung 2003­200780 als Teil der Revision des Patentgesetzes81, nicht aber als selbstständiges Geschäft angekündigt. Der Auftrag zur Ausarbeitung einer eigenständigen Vorlage ergab sich nachträglich aus der Beratung der Patentgesetzrevision sowie der Annahme der Motion der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 3. November 200682 (Ziff. 1.1).

5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Rechtsgrundlage Für die vorliegende Gesetzesvorlage bildet Artikel 122 BV die Verfassungsgrundlage.

Vereinbarkeit mit den Grundrechten Das geistige Eigentum wird nach Lehre und Praxis durch die Eigentumsgarantie (Art. 26 Abs. 1 BV) gewährleistet83. Die Regelung der Erschöpfung bedeutet eine Beschränkung der Rechtsposition des Patentinhabers. Beschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, müssen durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt sowie verhältnismässig sein (Art. 36 BV).

Unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses und der Verhältnismässigkeit des Eingriffs ist zu berücksichtigen, dass der Erschöpfung ein Grundrechtskonflikt zugrunde liegt: Veräussert ein Patentinhaber ein patentrechtlich geschütztes Erzeugnis, so geraten die durch das Patentrecht vermittelten Verbotsrechte mit den Befugnissen des Erwerbers aus sachenrechtlichem Eigentum in Widerstreit (Ziff. 1.2.1).

Seitens des Patentinhabers wie auch des Erwerbers ist mithin die Eigentumsgarantie tangiert. Unter dem Aspekt des (grenzüberschreitenden) Handels mit patentgeschützten Erzeugnissen ist zusätzlich die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) betroffen.

Der Patentinhaber kann sich darauf berufen, als Hersteller sein Angebot den unterschiedlichen Vermarktungsbedingungen anpassen zu dürfen. Der Händler wird demgegenüber geltend machen können, bei der Vermarktung patentrechtlich geschützter Güter ungehinderten Zugang zu unterschiedlichen Bezugsquellen zu haben, um die preiswertesten Angebote nutzen zu können. Auch das Interesse des Konsumentenschutzes (Art. 97 BV) ist zu berücksichtigen, wobei die allgemeinen Interessen der schweizerischen Gesamtwirtschaft sowie der Wettbewerbsfreiheit zu wahren sind.

Diese betroffenen Interessen sind gegeneinander abzuwägen; im Ergebnis müssen die Wertungen der Verfassungsnormen bestmöglich in Übereinstimmung gebracht werden. Ob und inwieweit die Variantenvorschläge dieser Zielsetzung gerecht werden und den Eingriff in die Eigentumsgarantie rechtfertigen, hängt massgeblich von der Beurteilung der ökonomischen Zusammenhänge und Wechselwirkungen ab.

80 81 82 83

BBl 2004 1149 BBl 2004 1149 1162 und 1192 06.3633 M Klärung der Möglichkeiten und Folgen im Bereich der patentrechtlichen Erschöpfung (N 20.12.06, Kommission für Rechtsfragen NR [05.082]; S 14.3.07).

BGE 126 III 129, E. 8a m.w.N.

345

Diese sind in einer Reihe von Studien in der Schweiz und in Europa untersucht worden. Die umfangreichen Studien kommen dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die Komplexität der wirtschaftlichen Gesamtzusammenhänge, die Schwierigkeiten ihrer Abbildung und die stets lückenhafte Datenlage lassen keine abschliessenden, verbindlichen Aussagen zu den Auswirkungen eines Wechsels zur internationalen oder regionalen Erschöpfung im Patentrecht erwarten. Damit hängt auch die Beurteilung der Verfassungsmässigkeit letztlich von der Plausibilität der Prognosen und deren Wertung ab.

5.2

Vereinbarkeit mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Bei der Regelung der Erschöpfungsfrage ist insbesondere die Übereinstimmung mit dem TRIPS-Abkommen zu prüfen. Dieses Abkommen lässt den Vertragsstaaten grundsätzlich freie Wahl in Bezug auf die Regelung der Erschöpfungsfrage84. Artikel 6 TRIPS-Abkommen statuiert allerdings einen Vorbehalt zugunsten der Grundsätze der Inländerbehandlung85 (Art. 3 TRIPS-Abkommen) und der Meistbegünstigung86 (Art. 4 TRIPS-Abkommen). Die nationale Erschöpfung steht mit diesen Prinzipien in Einklang und ist somit mit dem TRIPS-Abkommen vereinbar.

5.3

Erlassform

Die Vorlage bereitet einen Systementscheid zur Erschöpfung im Patentrecht vor und betrifft damit wichtige rechtsetzende Bestimmungen, die nach Artikel 164 Absatz 1 BV in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen sind.

84 85

86

346

Straus/Katzenberger 2002, S. 39 Dem Grundsatz der Inländerbehandlung nach gewähren die WTO-Mitgliedstaaten den Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten eine Behandlung, die nicht weniger günstig ist als diejenige, die sie ihren eigenen Staatsangehörigen im Hinblick auf den Schutz des geistigen Eigentums gewähren. Demnach gilt einzig eine Behandlung, die dem Inhaber eines Schutzrechtes einen besseren Schutz verleiht, als günstigere Behandlung.

Nach dem Meistbegünstigungsprinzip werden alle Vorteile, die ein WTO-Mitglied den Staatsangehörigen eines anderen Landes gewährt, unmittelbar und unbedingt den Staatsangehörigen aller anderen WTO-Mitglieder gewährt.

Anhang Abbildung 1 Vergleichende Preisniveauindizes (EU15=100) 1995

Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke Nahrungsmittel

2005

146.3

138.2

149.4

141.5

138.8

138.2

­

Brot und Mehlwaren

­

Fleisch

190.1

180.4

­

Fisch

147.5

147.5

­

Milch, Käse, Eier

144.5

126.1

­

Speisefette und Öle

169.6

170.9

­

Obst, Gemüse, Kartoffeln

137.9

122

­

Sonstige Nahrungsmittel

127.4

131.8

Alkoholfreie Getränke Alkoholische Getränke, Tabakwaren und Narkotika Alkoholische Getränke Tabakwaren

116.9

106.7

115.4

90.6

136.3

95.6

99.1

93.4

Bekleidung und Schuhe

112.2

117.5

Mieten, Wasser, Elektrizität, Heizung

187.3

158.1

Möbel, andere Haushaltgegenstände, Haushaltführung

122.2

115.6

Gesundheitspflege

153.8

135.7

Verkehr

119.5

107.3

Private Verkehrsmittel

95.3

91.2

Nachrichtenübermittlung

127.7

124.1

Freizeit und Kultur

134.7

118.9

Erziehung und Unterricht

181.1

143

Gaststätten und Hotels

143.6

120.9

Sonstige Waren und Dienstleistungen

147.5

131.1

Maschinen und Geräte

114.3

101.6

Baugewerbe

151.6

144.8

Quelle: EUROSTAT 2007

347

Abbildung 2 Patentintensität verschiedener Sektoren im Verhältnis zur Wertschöpfung (1999­2000)

Quelle: Frontier Economics/Plaut 2002, S. 84

348

Abbildung 3 Patentintensität der Konsumgüter in der Schweiz (2000)

Quelle: Frontier Economics/Plaut 2002, S. 85

349

Literaturverzeichnis Elias/Balastèr 2006

Elias, Jiri/Balastèr, Peter, Staatliche Einflüsse auf die Preisbildung im Detailhandel, Die Volkswirtschaft, 10/2006, S. 48 ff.

Frontier Economics/Plaut 2002

Frontier Economics/Plaut, Erschöpfung von Eigentumsrechten: Auswirkungen eines Systemwechsels auf die Schweizer Volkswirtschaft, Bern 2002

Plaut 2004a

Plaut, Auswirkungen eines Wechsels zur regionalen Erschöpfung im Patentrecht, Bern 2004

Plaut 2004b

Plaut, Warum erodieren Parallelimporte die Preisinsel Schweiz nicht stärker? Ermittlung der Rolle der geistigen Schutzrechte anhand exploratorischer Expertengespräche, Bern 2004

Straus/Katzenberger 2002

Straus, Joseph/Katzenberger, Paul, Rechtsgrundlagen zur Erschöpfung im Patentrecht, Bern 2002

350