08.056 Botschaft über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Bern, Obwalden, Schaffhausen, Aargau und Genf vom 2. Juli 2008

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen hiermit den Entwurf zu einem einfachen Bundesbeschluss über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Bern, Obwalden, Schaffhausen, Aargau und Genf mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

2. Juli 2008

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Pascal Couchepin Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2008-1030

6053

Übersicht Nach Artikel 51 Absatz 1 der Bundesverfassung gibt sich jeder Kanton eine demokratische Verfassung. Diese bedarf der Zustimmung des Volkes und muss revidiert werden können, wenn die Mehrheit der Stimmberechtigten es verlangt. Nach Absatz 2 des gleichen Artikels bedürfen die Kantonsverfassungen der Gewährleistung des Bundes. Die Gewährleistung wird erteilt, wenn die Kantonsverfassung dem Bundesrecht nicht widerspricht. Erfüllt eine kantonale Verfassungsbestimmung diese Anforderungen, so ist die Gewährleistung zu erteilen; erfüllt sie eine dieser Voraussetzungen nicht, so ist die Gewährleistung zu verweigern.

Die vorliegenden Verfassungsänderungen haben zum Gegenstand: im Kanton Bern: ­

Einführung einer Schuldenbremse;

im Kanton Obwalden: ­

Neuregelung des Elektrizitätswerks Obwalden;

­

Neuregelung der Obwaldner Kantonalbank;

­

Änderung des Titels der Kantonsverfassung und Ergänzung der Unvereinbarkeitsbestimmungen;

im Kanton Schaffhausen: ­

neues Wahlsystem für den Kantonsrat;

im Kanton Aargau: ­

Änderung des Wahlsystems;

im Kanton Genf: ­

Eigentum und Haftung der Industriellen Betriebe;

­

staatliches Wasser- und Strommonopol.

Die Änderungen entsprechen Artikel 51 der Bundesverfassung; sie sind deshalb zu gewährleisten. Die Gewährleistung des Bundes betreffend die Errichtung eines Strommonopols in der Verfassung des Kantons Genf muss allerdings zeitlich beschränkt werden, denn diese Änderungen widersprechen am 1. Januar 2009 in Kraft tretendem Bundesrecht.

6054

Botschaft 1

Die einzelnen Revisionen

1.1

Verfassung des Kantons Bern

1.1.1

Kantonale Volksabstimmung vom 24. Februar 2008

Die Stimmberechtigten des Kantons Bern haben in der Volksabstimmung vom 24. Februar 2008 der Änderung der Artikel 101a und 101b sowie dem neuen Artikel 101c der Kantonsverfassung (Einführung einer Schuldenbremse) mit 162 488 Ja gegen 49 071 Nein zugestimmt.

Mit Schreiben vom 25. März 2008 ersucht der Kanton Bern um die eidgenössische Gewährleistung.

1.1.2

Einführung einer Schuldenbremse

Bisheriger Text Art. 62 Fakultative Volksabstimmung 1 Ferner unterliegen der Volksabstimmung, wenn das Referendum zustande gekommen ist, f. weitere Sachbeschlüsse des Grossen Rates, wenn das Gesetz es vorschreibt sowie wenn der Grosse Rat oder 70 seiner Mitglieder es verlangen. Nicht referendumsfähig sind Wahlen, Justizgeschäfte, die Staatsrechnung und der Voranschlag.

Art. 75 Planung Der Grosse Rat behandelt den Bericht über die Richtlinien der Regierungspolitik, den Finanzplan sowie weitere grundlegende Pläne in einzelnen Aufgabenbereichen.

Art. 76 Finanzbefugnisse Der Grosse Rat beschliesst über b. die Staatsrechnung, Art. 89 Finanzbefugnisse Der Regierungsrat erstellt den Finanzplan und verabschiedet den Voranschlag und die Staatsrechnung zuhanden des Grossen Rates.

1

Art. 101a Sachüberschrift Abs. 2­4 Defizitbremse 2 Ein Aufwandüberschuss der Staatsrechnung wird dem Voranschlag des übernächsten Jahres belastet, soweit er nicht durch Eigenkapital gedeckt ist.

3 Der Grosse Rat kann bei der Verabschiedung des Voranschlags von Absatz 1 abweichen, wenn mindestens drei Fünftel seiner Mitglieder es beschliessen. Bei der Genehmigung der Staatsrechnung ist Absatz 2 im Umfang des im Voranschlag beschlossenen Aufwandüberschusses nicht anwendbar. Der Fehlbetrag ist innert vier Jahren abzutragen.

4 Der Grosse Rat kann bei der Genehmigung der Staatsrechnung von Absatz 2 in einem festzulegenden Umfang abweichen, wenn mindestens drei Fünftel seiner Mitglieder es beschliessen.

Ein Fehlbetrag ist innert vier Jahren abzutragen.

Art. 101b Steuererhöhungsbremse Jede Erhöhung der Steueranlage durch den Grossen Rat, die gesamthaft zu mehr Steuereinnahmen des Kantons führt, bedarf der Zustimmung der Mehrheit seiner Mitglieder.

6055

Neuer Text Art. 62 Fakultative Volksabstimmung 1 Ferner unterliegen der Volksabstimmung, wenn das Referendum zustande gekommen ist, f. weitere Sachbeschlüsse des Grossen Rates, wenn das Gesetz es vorschreibt sowie wenn der Grosse Rat oder 70 seiner Mitglieder es verlangen. Nicht referendumsfähig sind Wahlen, Justizgeschäfte, der Geschäftsbericht und der Voranschlag.

Art. 75 Planung Der Grosse Rat behandelt den Bericht über die Richtlinien der Regierungspolitik, den Aufgaben- und Finanzplan sowie weitere grundlegende Pläne in einzelnen Aufgabenbereichen.

Art. 76 Finanzbefugnisse Der Grosse Rat beschliesst über b. den Geschäftsbericht, Art. 89 Finanzbefugnisse Der Regierungsrat erstellt den Aufgaben- und Finanzplan und verabschiedet den Voranschlag und den Geschäftsbericht zuhanden des Grossen Rates.

1

Art. 101a Sachüberschrift Abs. 2­4, Abs. 5 (neu) Schuldenbremse für die laufende Rechnung 2 Ein Aufwandüberschuss des Geschäftsberichts wird dem Voranschlag des übernächsten Jahres belastet, soweit er nicht durch Eigenkapital gedeckt ist.

3 Der Grosse Rat kann bei der Verabschiedung des Voranschlags von Absatz 1 abweichen, wenn mindestens drei Fünftel seiner Mitglieder es beschliessen. Bei der Genehmigung des Geschäftsberichts ist Absatz 2 im Umfang des im Voranschlag beschlossenen Aufwandüberschusses nicht anwendbar. Der Fehlbetrag ist innert vier Jahren abzutragen.

4 Der Grosse Rat kann bei der Genehmigung des Geschäftsberichts von Absatz 2 in einem festzulegenden Umfang abweichen, wenn mindestens drei Fünftel seiner Mitglieder es beschliessen. Ein Fehlbetrag ist innert vier Jahren abzutragen.

5 Buchgewinne und Abschreibungen auf Anlagen des Finanzvermögens werden für die Anwendung der Absätze 1 und 2 nicht berücksichtigt.

Art. 101b Schuldenbremse für die Investitionsrechnung Der Selbstfinanzierungsgrad der Nettoinvestitionen hat mittelfristig mindestens 100 Prozent zu betragen.

2 Ein Selbstfinanzierungsrad der Nettoinvestitionen unter 100 Prozent im Voranschlag ist im Aufgaben- und Finanzplan zu kompensieren.

3 Ein Finanzierungsfehlbetrag im Geschäftsbericht ist im Voranschlag des übernächsten Jahres und der drei daran anschliessenden Jahre zu kompensieren.

4 Der Grosse Rat kann die Frist für die Kompensation des Finanzierungsfehlbetrags auf acht Jahre verlängern oder auf die Kompensation ganz verzichten, wenn mindestens drei Fünftel seiner Mitglieder es beschliessen.

5 Die Absätze 1 bis 4 gelangen zur Anwendung, wenn die Bruttoschuldenquote, definiert als Bruttoschuld relativ zum kantonalen Volkseinkommen, einen Wert von 12 Prozent übersteigt.

Massgebend ist die Quote am Ende des vorausgegangenen Kalenderjahres.

1

Art. 101c (neu) Steuererhöhungsbremse Jede Erhöhung der Steueranlage durch den Grossen Rat, die gesamthaft zu mehr Steuereinnahmen des Kantons führt, bedarf der Zustimmung der Mehrheit seiner Mitglieder.

Die Defizitbremse (Art. 101a) wird als Schuldenbremse für die laufende Rechnung in leicht geänderter Form weitergeführt (terminologische Anpassung in den Absätzen 2­4, neuer Abs. 5). Neu soll die Schuldenbremse für die Investitionsrechnung (neuer Art. 101b) den Kanton verpflichten, seine Nettoinvestitionen mittelfristig 6056

vollständig mit eigenen Mitteln zu finanzieren. Dies gilt jedoch nur, wenn die Schuldenquote, definiert als Bruttoschuld relativ zum kantonalen Volkseinkommen, einen Wert von 12 Prozent übersteigt. Die Steuererhöhungsbremse (Art. 101b) wird als neuer Artikel 101c unverändert beibehalten. Des Weiteren wird die Terminologie geändert («Geschäftsbericht» statt «Staatsrechnung» in den Art. 62 Abs. 1 Bst. f, 76 Bst. b, 89 Abs. 1, 101a Abs. 2­4 und 101b Abs. 3, «Aufgaben- und Finanzplan» statt «Finanzplan» in den Art. 75, 89 Abs. 1 und 101b Abs. 2).

1.2

Verfassung des Kantons Obwalden

1.2.1

Kantonale Volksabstimmungen vom 28. November 2004, 21. Mai 2006 und 16. Dezember 2007

Die Stimmberechtigten des Kantons Obwalden haben in der Volksabstimmung vom 28. November 2004 einen Verfassungsnachtrag zur Neuregelung des Elektrizitätswerks Obwalden und in der Volksabstimmung vom 21. Mai 2006 einen Verfassungsnachtrag zur Neuregelung der Obwaldner Kantonalbank angenommen. Beide Nachträge betreffen Artikel 69 Absatz 2 der Kantonsverfassung und bedürfen der Gewährleistung, die bisher noch nicht eingeholt wurde. Die Neuregelung des Elektrizitätswerks Obwalden wurde mit 6500 Ja zu 1991 Nein angenommen, die Neuregelung der Obwaldner Kantonalbank mit 5153 Ja zu 1383 Nein.

In der Volksabstimmung vom 16. Dezember 2007 haben die Stimmberechtigten des Kantons Obwalden der Änderung des Titels der Kantonsverfassung sowie einer Ergänzung der Unvereinbarkeitsbestimmungen (Art. 50, 51 und 119a der Kantonsverfassung) mit 5968 Ja gegen 1183 Nein zugestimmt.

Mit Schreiben vom 7. Januar 2008 ersucht der Regierungsrat des Kantons Obwalden um die eidgenössische Gewährleistung.

1.2.2

Neuregelung des Elektrizitätswerks Obwalden

Bisheriger Text Art. 69 Abs. 2 Bst. e 2 Der Kantonsrat wählt ferner auf die verfassungsmässige Amtsdauer: e. die vom Kanton zu bestimmenden Mitglieder und den Präsidenten des Verwaltungsrates, die Kontrollstelle und den Direktor des Elektrizitätswerkes Obwalden,

Neuer Text Art. 69 Abs. 2 Bst. e Aufgehoben

Die Organisation der Obwaldner Kantonalbank wird neu auf Gesetzesstufe geregelt.

Artikel 69 Absatz 2 Buchstabe d der Kantonsverfassung wird deshalb aufgehoben.

6057

1.2.3

Neuregelung der Obwaldner Kantonalbank

Bisheriger Text Art. 69 Abs. 2 Bst. d 2 Der Kantonsrat wählt ferner auf die verfassungsmässige Amtsdauer: d. die Mitglieder und den Präsidenten des Bankrates, die Mitglieder und das Ersatzmitglied der Rechnungsprüfungskommission sowie den Direktor der Kantonalbank,

Neuer Text Art. 69 Abs. 2 Bst. d Aufgehoben

Die Organisation der Obwaldner Kantonalbank wird neu auf Gesetzesstufe geregelt.

Artikel 69 Absatz 2 Buchstabe d wird deshalb aufgehoben.

1.2.4

Änderung des Titels der Kantonsverfassung und Ergänzung der Unvereinbarkeitsbestimmungen

Bisheriger Text Titel Verfassung des Kantons Unterwalden ob dem Wald Art. 50 Einschränkungen der Angestellten im passiven Wahlrecht (Abs. 1­3 unverändert) Art. 51 Verwandtschaft 1 Dem Regierungsrat, dem Kantonsrat, einem Gerichte, einer Kommission oder einer Gemeindebehörde dürfen nicht gleichzeitig angehören: 1. Personen, die in gerader Linie oder bis und mit dem dritten Grad der Seitenlinie blutsverwandt oder verschwägert sind; 2. Ehegatten sowie Ehegatten von Geschwistern.

2 Über den durch Verwandtschaft bedingten Rücktritt entscheidet nötigenfalls das Los.

Neuer Text Titel Verfassung des Kantons Obwalden (Kantonsverfassung) Art. 50 Unvereinbarkeit der Amtspflichten von Angestellten (Abs. 1­3 unverändert) Art. 51 Unvereinbarkeit in der Person Dem Regierungsrat, dem Kantonsrat, einem Gericht, einer Kommission oder einer Gemeindebehörde dürfen nicht gleichzeitig angehören: 1. Personen, die in gerader Linie oder bis und mit dem dritten Grad der Seitenlinie blutsverwandt oder verschwägert sind; 2. Ehegatten sowie Ehegatten von Geschwistern;

1

6058

3. eingetragene Partner sowie eingetragene Partner von Geschwistern; 4. Personen, die in faktischer Lebensgemeinschaft leben.

2 Die auf einer Ehe oder einer eingetragenen Partnerschaft beruhende Unvereinbarkeit in der Person bleibt auch nach deren Auflösung bestehen.

3 Über den durch Unvereinbarkeit in der Person bedingten Rücktritt entscheidet nötigenfalls das Los.

Art. 119a (neu) Anpassung an Partnerschaftsgesetz Die Änderungen gemäss Verfassungsnachtrag über die neuen Unvereinbarkeiten in der Person gelten erstmals für die ab 1. Juli 2008 neu beginnenden Amtsdauern.

Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über die eingetragene Partnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare (Partnerschaftsgesetz, PartG)1 in Kraft getreten. Im Zuge dieser Neuerung werden die Unvereinbarkeitsbestimmungen der Kantonsverfassung neu auch auf die eingetragene Partnerschaft sowie teilweise auf die faktische Lebensgemeinschaft ausgedehnt. Diese Ausdehnung bleibt aber unvollständig, da Ehegatten und eingetragene Partner weitergehenden Unvereinbarkeitsgründen unterworfen sind als Personen, die in faktischer Lebensgemeinschaft leben. Der Unvereinbarkeitsgrund der Schwägerschaft (Art. 51 Abs. 1 Ziff. 1) gilt nur für sie; von einer sinngemässen Anwendung der Bestimmung auf die faktischen Lebensgemeinschaften wird abgesehen. Auch die Unvereinbarkeitsgründe in Absatz 1 Ziffern 2 und 3 sowie die Regelung von Absatz 2 nehmen die faktischen Lebensgemeinschaften aus. Man könnte sich deshalb fragen, ob diese Ungleichbehandlung mit dem in Artikel 8 der Bundesverfassung2 verankerten Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar ist. Der Bundesrat ist dieser Frage schon in seiner Botschaft vom 24. Oktober 20073 über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Uri, Schwyz, Zug, Basel-Landschaft, Schaffhausen, Appenzell Innerrhoden, St. Gallen, Graubünden, Aargau und Wallis nachgegangen. Er ist zum Schluss gekommen, dass es angesichts der unterschiedlichen Regelungen im Bund selbst und bei den verschiedenen Kantonen sowie unter Berücksichtigung der Organisationsautonomie der Kantone nicht angezeigt sei, die Gewährleistung zu verweigern.

Zudem seien dauernde Partnerschaften im Gegensatz zu Ehepaaren und Personen in eingetragener Partnerschaft nirgends registriert, was Fragen in Bezug auf die Praktikabilität einer Unvereinbarkeitsregel aufwerfen könne, die auch dauernde Partnerschaften berücksichtige4.

Aus diesen Gründen kann auch im vorliegenden Fall davon abgesehen werden, die Gewährleistung nicht zu erteilen.

Im Übrigen wird der als veraltet empfundene Titel der Kantonsverfassung angepasst.

Der Begriff «Obwalden» entspricht so der in Artikel 1 der Bundesverfassung verwendeten Terminologie; sie verwendet die Begriffe «Obwalden» und «Nidwalden».

1 2 3 4

SR 211.231 SR 101 BBl 2007 7663 BBl 2007 7663, hier 7671 und 7674

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1.3

Verfassung des Kantons Schaffhausen

1.3.1

Kantonale Volksabstimmung vom 24. Februar 2008

Die Stimmberechtigten des Kantons Schaffhausen haben in der Volksabstimmung vom 24. Februar 2008 der Änderung von Artikel 25 (Neues Wahlsystem für den Kantonsrat) mit 15 201 Ja gegen 8998 Nein zugestimmt.

Mit Schreiben vom 4. März 2008 ersucht die Staatskanzlei des Kantons Schaffhausen um die eidgenössische Gewährleistung.

1.3.2

Neues Wahlsystem für den Kantonsrat

Bisheriger Text Art. 25 Abs. 2 2 Für das Verfahren gelten sinngemäss die Vorschriften des Bundesrechts über die Wahl des Nationalrates. Der Regierungsrat erlässt Ausführungsbestimmungen.

Neuer Text Art. 25 Abs. 2 2 Die Zuteilung der Sitze an die politischen Gruppierungen erfolgt entsprechend deren Wählerstärke im Kanton.

Mit der Revision von Artikel 25 Absatz 2 wird das bisherige Sitzzuteilungssystem, das wie bei der Nationalratswahl und wie in den meisten Kantonen auf der sogenannten Divisormethode mit Abrundung nach Hagenbach/Bischoff beruhte, zugunsten des doppeltproportionalen Sitzzuteilungsverfahrens, das der deutsche Mathematiker Friedrich Pukelsheim entwickelt hat, aufgegeben. Bei dieser Methode werden in einem ersten Schritt alle im Kanton zu verteilenden Kantonsratssitze auf die politischen Parteien verteilt. In einem zweiten Schritt werden die so ermittelten Parteisitze auf die Wahlkreise verteilt. Diese Methode stellt ein verfassungskonformes Wahlverfahren sicher5.

1.4

Verfassung des Kantons Aargau

1.4.1

Kantonale Volksabstimmung vom 24. Februar 2008

Die Stimmberechtigten des Kantons Aargau haben in der Volksabstimmung vom 24. Februar 2008 der Änderung der §§ 61 Absatz 2, Absatz 3 (neu), 77 Absätze 2 und 3 (Änderung des Wahlsystems) mit 90 951 Ja gegen 25 642 Nein zugestimmt.

Mit Schreiben vom 20. März 2008 ersucht die Staatskanzlei des Kantons Aargau um die eidgenössische Gewährleistung.

5

BGE 131 I 74, Grüne Aargau, vom 27. Oktober 2004

6060

1.4.2

Änderung des Wahlsystems

Bisheriger Text § 61 Abs. 2 2 Der Grosse Rat, der Verfassungsrat und die Einwohnerräte werden nach dem gleichen Verhältniswahlverfahren, alle andern Behörden im Mehrheitswahlverfahren bestellt.

§ 77 Abs. 2 und 3 Wahlkreise sind die Bezirke. Diese können durch Gesetz zu Wahlkreisverbänden zusammengefasst werden.

3 Die Sitze werden auf die Wahlkreise nach Massgabe der Wohnbevölkerung verteilt.

2

Neuer Text § 61 Abs. 2, Abs. 3 (neu) 2 Der Grosse Rat, der Verfassungsrat und die Einwohnerräte werden nach dem gleichen Verhältniswahlverfahren gewählt. Für die Wahl des Grossen Rates und des Verfassungsrates kann durch Gesetz ein Quorum festgelegt werden.

3 Alle andern Behörden werden im Mehrheitswahlverfahren bestellt.

§ 77 Abs. 2 und 3 2 Wahlkreise sind die Bezirke. Die Zuteilung der Sitze an die politischen Gruppierungen erfolgt entsprechend deren Wählerstärke im Kanton.

3 Die Mandate werden nach Massgabe der Wohnbevölkerung auf die Wahlkreise verteilt.

Mit dieser Verfassungsrevision führt auch der Kanton Aargau das Wahlsystem des «doppelten Pukelsheim» ein (s.o. unter Ziff. 1.3.2). Er gestaltet sein Wahlsystem damit verfassungskonform aus. Das Bundesgericht hatte das bestehende Wahlverfahren als verfassungswidrig eingestuft6.

1.5

Verfassung des Kantons Genf

1.5.1

Kantonale Volksabstimmungen vom 17. Juni 2007 und vom 16. Dezember 2007

Die Stimmberechtigten des Kantons Genf haben in der Volksabstimmung vom 17. Juni 2007 der Änderung von Artikel 158 B Absatz 1 (Eigentum und Haftung der Industriellen Betriebe) mit 57 195 Ja gegen 34 165 Nein zugestimmt.

In der Volksabstimmung vom 16. Dezember 2007 haben sie der Initiative 126­1 (Wasser) mit 68 789 Ja gegen 21 854 Nein sowie der Initiative 126­2 (Strom) mit 52 689 Ja gegen 36 697 Nein zugestimmt. Beide Initiativen hatten die Änderung von Artikel 158 der Kantonsverfassung (Zweck, Sitz und Beaufsichtigung der Industriellen Betriebe) zum Gegenstand.

Mit Schreiben vom 9. Januar sowie vom 2. April 2008 ersucht der Regierungsrat des Kantons Genf um die eidgenössische Gewährleistung.

6

BGE 131 I 74, Grüne Aargau, vom 27. Oktober 2004

6061

1.5.2

Eigentum und Haftung der Industriellen Betriebe

Bisheriger Text Art. 158 B Abs. 1 1 Die Industriellen Betriebe sind Eigentümer der Güter und Inhaber der Rechte, die ihnen für ihre Aufgabe gewidmet sind, unter Vorbehalt der Anlage von Cheneviers und der Kanalisationsanlagen und der Abwasserreinigungsanlagen, die Staatseigentum bleiben. Sie haften persönlich und ausschliesslich für ihre Schulden und Verpflichtungen.

Neuer Text Art. 158 B Abs. 1 1 Die Industriellen Betriebe sind Eigentümer der Güter und Inhaber der Rechte, die ihnen für ihre Aufgabe gewidmet sind, unter Vorbehalt der Grundstücke und der Anlage von Cheneviers, derjenigen der Kanalisations- und Kläranlagen sowie derjenigen der Anlage zur Grundwasseranreicherung des Genevois. Sie haften persönlich und ausschliesslich für ihre Schulden und Verpflichtungen.

Mit dieser Verfassungsrevision werden Eigentum und Rechte der Industriellen Betriebe von Genf neu umschrieben.

1.5.3

Staatliches Wasser- und Strommonopol

Bisheriger Text Art. 158 Zweck. Sitz. Aufsicht.

1 Die Industriellen Betriebe von Genf (Industrielle Betriebe) sind eine öffentlich-rechtliche Anstalt mit eigener Rechtspersönlichkeit, die im Rahmen der vorliegenden Verfassungsbestimmungen und des Gesetzes, das ihren Status bestimmt, autonom ist; sie haben den Zweck, den Kanton Genf mit Wasser, Gas, Strom und thermischer Energie zu versorgen sowie Abfälle zu behandeln. Den Versorgungsbetrieben obliegt auch die Aufgabe der Abwasserbeseitigung und -behandlung in dem vom Gesetz festgelegten Rahmen; diese Tätigkeit darf nicht auf Dritte übertragen werden. Sie können auch in Bereichen tätig werden, die mit dem oben genannten Zweck im Zusammenhang stehen; sie können ausserhalb des Kantons tätig werden und Dienstleistungen im Bereich der Telekommunikation anbieten.

2 Ihr Sitz befindet sich in Genf.

3 Sie sind der Aufsicht des Staatsrates unterstellt.

Neuer Text Art. 158 Grundsätze ­ Zweck ­ Sitz 1 Die Wasserversorgung und -verteilung sind ein Staatsmonopol, das durch die Industriellen Betriebe von Genf ausgeübt wird.

2 Die Stromversorgung und -verteilung sind ein Staatsmonopol, das durch die Industriellen Betriebe von Genf ausgeübt wird.

3 Die Industriellen Betriebe von Genf (nachstehend: Industrielle Betriebe) sind eine öffentlichrechtliche Anstalt mit eigener Rechtspersönlichkeit, die im Rahmen der vorliegenden Verfassungsbestimmungen und des Gesetzes, das ihren Status bestimmt, autonom ist; sie haben den Zweck, den Kanton Genf mit Wasser, Gas, Strom und thermischer Energie zu versorgen, unter Einhaltung von Artikel 160 E, der die Energiepolitik des Kantons festlegt, sowie Abfälle zu behandeln. Den Industriellen Betrieben obliegt auch die Aufgabe der Abwasserbeseitigung und -behandlung in dem vom Gesetz festgelegten Rahmen; diese Tätigkeit darf nicht auf Dritte übertragen werden. Sie können auch in Bereichen tätig werden, die mit dem oben genannten

6062

Zweck im Zusammenhang stehen; sie können ausserhalb des Kantons tätig werden und Dienstleistungen im Bereich der Telekommunikation anbieten.

4 Ihr Sitz befindet sich in Genf.

5 Sie sind der Aufsicht des Staatsrates unterstellt.

Die vorliegende Verfassungsänderung geht auf eine Volksinitiative zurück. Mit ihr wird den Industriellen Betrieben von Genf das Monopol für die Wasser- und Stromversorgung, das sie bereits faktisch innehaben, auch rechtlich eingeräumt. Ausserdem wird in Absatz 3 ein Hinweis auf die Energiepolitik des Kantons Genf aufgenommen.

Sowohl im Wasser- als auch im Elektrizitätsbereich ist ein Monopol nach der geltenden Rechtslage zulässig, sofern damit polizeiliche oder soziale und nicht fiskalische Ziele verfolgt werden7. Im vorliegenden Fall hat das Bundesgericht in seinem Entscheid vom 18. Oktober 2006 das Strommonopol ausdrücklich gebilligt8. Es ist dabei aber zu beachten, dass das Bundesgesetz vom 23. März 2007 über die Stromversorgung (Stromversorgungsgesetz, StromVG)9 seit dem 15. Juli 2007 etappenweise in Kraft gesetzt wird. Artikel 13 Absatz 1 StromVG wird am 1. Januar 2009 in Kraft treten. Nach dieser Bestimmung werden die Netzbetreiber verpflichtet sein, Dritten diskriminierungsfrei den Netzzugang zu gewähren. Damit entsteht das Recht, von einem Lieferanten freier Wahl Elektrizität zu beziehen oder Elektrizität in ein Netz einzuspeisen (Art. 4 Abs. 1 Bst. d StromVG). Das Monopol für die Stromversorgung und -verteilung, wie sie Artikel 158 Absatz 2 der Genfer Kantonsverfassung vorsieht, wird dannzumal bundesrechtswidrig werden. Die Stromversorgung und -verteilung darf dann kein Staatsmonopol mehr sein, sondern muss unter Vorbehalt von Artikel 13 Absatz 2 StromVG auch Dritten offenstehen. Der Genfer Regierungsrat war sich dessen bewusst. Er hat in der Botschaft zur Volksinitiative ausgeführt, dass mit der Öffnung des Markts die bundesrechtswidrigen kantonalen Bestimmungen aufgehoben werden müssen.

Solange Artikel 13 StromVG aber noch nicht in Kraft ist, bleiben die kantonalen Kompetenzen in diesem Bereich der Stromversorgung unangetastet und ein Monopol zulässig. Dies hat auch das Bundesgericht in seinem Entscheid vom 18. Oktober 2006 festgehalten10 und präzisiert, dass das Parlament bei der Gewährleistung dem dann aktuellen Stand des Bundesrechts Rechnung tragen könne. Bis zu diesem Zeitpunkt steht der Gewährleistung von Artikel 158 der Genfer Kantonsverfassung somit nichts entgegen. Wir schlagen vor, Artikel 158 Absatz 2 der Genfer Verfassung zu gewährleisten, aber die Gewährleistung in zeitlicher Hinsicht zu begrenzen bis das revidierte StromVG in Kraft tritt, also bis am 31. Dezember 2008.

7

8 9 10

Vgl. BGE 132 I 282, Canton de Genève, vom 18. Okt. 2006, S. 287 E. 3.3. Für das Wassermonopol s. BGE 102 Ia 397, Comune di Breganzona, vom 14. Juli 1976, S. 401 E. 3; für das Elektrizitätsmonopol s. BGE 132 I 282, S. 289 E. 3.5­6 BGE 132 I 282, S. 289 E. 3.5­6 SR 734.7 BGE 132 I 282, S. 290 E. 3.8

6063

2

Verfassungsmässigkeit

Die Prüfung hat ergeben, dass die Bestimmungen der geänderten Verfassungen der Kantone Bern, Obwalden, Schaffhausen, Aargau und Genf die Anforderungen von Artikel 51 der Bundesverfassung erfüllen. Somit ist die Gewährleistung zu erteilen.

Die Gewährleistung betreffend Artikel 158 Absatz 2 der Genfer Verfassung gilt allerdings zeitlich begrenzt bis am 31. Dezember 2008.

Die Bundesversammlung ist nach den Artikeln 51 und 172 Absatz 2 der Bundesverfassung für die Gewährleistung der Kantonsverfassungen zuständig.

6064