Überprüfung der Funktion der Strafverfolgungsbehörden des Bundes Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 5. September 2007

2007-2289

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Übersicht Die Strafverfolgungsbehörden des Bundes und insbesondere die Bundesanwaltschaft wurden im Laufe des Jahres 2006 insgesamt vier Untersuchungen unterzogen. Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N), die während der letzten fünf Jahre den Ausbau der Bundesstrafbehörden begleitend kontrollierte, hat Anlass, Durchführung und Ergebnisse der vier Untersuchungen überprüft. Bei der vertieften Untersuchung rückten Fragen des Zusammenwirkens zwischen dem EJPD und der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts als administrative und fachliche Aufsichtsbehörden über die Bundesanwaltschaft sowie Fragen zum Rücktritt des Bundesanwalts im Sommer 2006 in den Vordergrund. Aufgrund der anhaltenden öffentlichen Kritik an der Rolle des Bundesanwalts im Zusammenhang mit der Vertrauensperson Ramos hat die GPK-N auch damit zusammenhängende Fragen detailliert abgeklärt.

Die vier Untersuchungsberichte 1.

Der unveröffentlichte Aufsichtszwischenbericht «Anklagen» der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts vom 14. Juli 2006 befasste sich mit der Frage der bis zu diesem Zeitpunkt geringen Anzahl von Klageerhebungen durch die Bundesanwaltschaft an das Bundesstrafgericht (Ziff. 2.1). Im Vorfeld der Untersuchung liess sich der Beschwerdekammerpräsident vom EJPD einen Auftrag erteilen, auch administrativaufsichtsrechtlich relevante Aspekte abzuklären und dem EJPD anschliessend Bericht zu erstatten. In einer Vorabinformation an das EJPD im Hinblick auf allfällige administrative Konsequenzen wies der Beschwerdekammerpräsident ohne sachliche Grundlage auf einen angeblichen dramatischen Mangel an effektiver operativer Führung sowie auf einen mangelhaften Umgang der Bundesanwaltschaft mit den bestehenden Ressourcen hin. Zu diesem Zeitpunkt war das EJPD daran, Varianten zu prüfen, wie der Bundesanwalt aus seinem Amt entfernt werden könnte. Diese Vorabinformation griff dem Beschluss der Beschwerdekammer vor und präjudizierte diesen. Der Aufsichtszwischenbericht «Anklagen» wirft in seiner Schlussfolgerung dem Bundesanwalt Uninformiertheit und persönliche Führungsmängel vor und weist ihm im Wesentlichen die Verantwortung für «das klar ungenügende Resultat» hinsichtlich der Anzahl bisher erfolgter Anklagen zu.

Die GPK-N stellt aufgrund ihrer Überprüfung fest, dass der Aufsichtszwischenbericht «Anklagen» Beurteilungen von Fragen der Effizienzvorlage und von Führungsfragen vornimmt, die nicht zur fachlichen, sondern zur administrativen Aufsicht gehören, womit die Beschwerdekammer ohne gesetzliche Grundlage im Bereich der administrativen Aufsicht tätig geworden ist. Für die persönlichen Vorwürfe an den Bundesanwalt finden sich zudem keine sachlichen Grundlagen im Untersuchungsbericht. Weiter stellt die GPK-N fest, dass bei der Entstehung des Berichts Verfahrensrechte wie insbesondere das Recht auf rechtliches Gehör verletzt wurden. Aufgrund der verfahrensmässigen und inhaltlichen Mängel des Aufsichtszwischenberichts

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«Anklagen» kann die GPK-N aus den Ergebnissen des Berichts keine ausreichenden Schlüsse in Bezug auf die Funktionsweise der Bundesanwaltschaft ableiten. Das Ergebnis des Berichts steht im Weiteren im Widerspruch zu den Ergebnissen der Berichte «Lüthi» und «Uster» (vgl. Ziff. 2.3 und 2.4).

2.

Der bisher unveröffentlichte Aufsichtszwischenbericht «Ramos» der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts vom 18. September 2006 untersuchte Fragen der Rechtmässigkeit des Einsatzes der Vertrauensperson Ramos durch die Bundeskriminalpolizei (BKP) (Ziff. 2.2). Die Bundesstrafrichter Bernard Bertossa und Andreas J. Keller wurden mit der Untersuchung beauftragt, nachdem aufgrund eines Artikels in der Weltwoche vom 1. Juni 2006 schwere Vorwürfe gegen den Bundesanwalt im Zusammenhang mit dem ehemaligen kolumbianischen Drogenhändler Ramos und seiner Rolle im laufenden Strafverfahren gegen den Zürcher Bankier H. laut geworden waren und der Vorsteher EJPD sowie der Präsident der Beschwerdekammer am Pfingstmontag, 5. Juni 2006, vereinbart hatten, im Rahmen ihrer administrativen und fachlichen Aufsichtsfunktion eine ausserordentliche Überprüfung der Tätigkeit der Bundesanwaltschaft vorzunehmen.

Der Aufsichtszwischenbericht «Ramos», der im vorliegenden Untersuchungsbericht zu einem grossen Teil wiedergegeben wird, gelangt zum Schluss, dass die BKP und die Bundesanwaltschaft das geltende Recht nicht verletzt haben, indem sie die Existenz von Ramos verschwiegen und dessen Rolle in den Strafakten nicht offen gelegt haben. Die von Ramos eingeholten Informationen wurden weder im gegen H. laufenden Verfahren noch in den anderen Fällen als Beweismittel gegen die betroffenen Angeschuldigten verwendet. Weiter stellt der Bericht fest, dass der Auftrag an Ramos zur Informationsbeschaffung nicht gegen schweizerisches Recht verstiess und es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass beim konkreten Einsatz von Ramos Gesetzesverletzungen stattgefunden haben. Insbesondere deutet gemäss dem Bericht nichts darauf hin, dass Ramos mit Wissen der BKP oder der Bundesanwaltschaft das Verbot, als Lockspitzel bzw. «agent provocateur» aufzutreten, nicht eingehalten und durch sein Verhalten Dritte zu Gesetzesverletzungen angestiftet hätte. Weiter ist dem Bericht zu entnehmen, dass die Bundesanwaltschaft keine Gesetzesverletzungen begangen hat, indem sie Ermittlungsverfahren aufgrund der von Ramos gelieferten Informationen eröffnete.

Die GPK-N hat zusätzliche Fragen zu dem in den Medien geäusserten Vorwurf, Ramos sei ein «Doppelagent» gewesen bzw. habe mit amerikanischen Behörden zusammen gearbeitet, zur Rolle des Bundesanwalts sowie zu
den Verantwortlichkeiten der Bundesanwaltschaft und der BKP bei der Engagierung und Führung der Vertrauensperson Ramos abgeklärt. Zur Frage der «Doppelagentschaft» liegen der GPK-N aufgrund der Abklärungen keine Hinweise vor, dass Ramos während seines Aufenthaltes in der Schweiz mit amerikanischen Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeitete oder in deren

1981

Auftrag tätig war. In diesem Zusammenhang hat die GPK-N auch anonyme amerikanische Akten, die mehreren Medien zugespielt und von einem Nationalrat dem Beschwerdekammerpräsidenten zu Handen der Untersuchung zu Ramos übergeben worden waren, von zwei Seiten analysieren lassen. Die Analysen kommen zum Schluss, dass die Akten Privatrecherchen über Ramos im Auftrag eines anonymen Auftraggebers enthalten, der am Strafverfahren gegen H. interessiert war. Im Weiteren kommen die Analysen zum Schluss, dass die Akten keine Belege dafür enthalten, dass Ramos während seiner Zeit in der Schweiz für die amerikanischen Strafverfolgungsbehörden tätig war. Erstaunt ist die GPK-N über den Umstand, dass die Beschwerdekammer in ihrem Aufsichtszwischenbericht «Ramos» aufgrund dieser anonymen amerikanischen Akten die Aussage in ihrem Bericht einfügte, die Vermutung lasse sich nicht von der Hand weisen, dass Ramos während seines Aufenthaltes in der Schweiz insbesondere auch für die Strafverfolgungsbehörden der USA gearbeitet habe. Die Bundesanwaltschaft und die BKP konnten zu den anonymen Akten und die darauf gestützte Bewertung im Bericht nicht Stellung nehmen. Mit dieser unbelegten Aussage des Berichts wurden weitere Spekulationen über eine angebliche «Doppelagentschaft» genährt.

In Bezug auf die persönliche Rolle des Bundesanwalts im Zusammenhang mit Ramos stellte die GPK-N fest, dass dieser Initiant für die Übernahme von Ramos aus den USA und dessen Einsatz in der Schweiz als Vertrauensperson der BKP war. Für die Führung und den konkreten Einsatz von Ramos im Rahmen von Vorermittlungen übernahm die BKP jedoch die alleinige Verantwortung. Ob der Einsatz von Ramos opportun war, kann die GPK-N nicht beurteilen; dies ist eine Frage des Ermessens und der Prioritätensetzung im Rahmen der Strafverfolgung. Die GPK-N stellt fest, dass der Spielraum und die Einsatzmöglichkeiten für Vertrauenspersonen (VP) heute weit ist. Nach Meinung der GPK-N genügt die Regelung des Einsatzes und der Kontrolle von Vertrauenspersonen in einer Weisung der BKP nicht. Es sollte eine formell-gesetzliche Grundlage geschaffen werden, die die Vertrauensperson vom verdeckten Ermittler (VE) abgrenzt und deren Einsatzmöglichkeiten und Kontrolle klärt.

3.

1982

Die im Auftrag des Vorstehers EJPD von Fürsprecher Rolf Lüthi durchgeführte Administrativuntersuchung in der Bundesanwaltschaft vom 15. September 2006 (veröffentlichter Bericht «Lüthi», Ziff. 2.3) klärte einerseits den Einsatz und die Arbeitsweise der Task force Guest der BKP, welche die Vertrauensperson Ramos geführt und betreut hat, sowie Fragen zur Organisation und Führung der Bundesanwaltschaft ab. Der Bericht hält fest, dass die Führung von Ramos durch die BKP nach deren Weisungen erfolgte. Der Bundesanwalt habe bei der BKP den Antrag gestellt, Ramos als Vertrauensperson einzusetzen. Er habe beim Grundsatzentscheid nach den Abklärungen durch die BKP mitgewirkt und der BKP einen Staatsanwalt für die allfällige juristische Beratung zur Verfügung gestellt. Die Bundesanwaltschaft habe im übrigen im Zusammenhang mit Ramos keine weitere Funktion mehr gehabt und auch kein Geld bezahlt. Der Bericht hält weiter fest, der rasche

Aufbau der Bundesanwaltschaft und der BKP sowie der nachfolgende Marschhalt habe zu gewissen Problemen geführt. Trotz dieser schwierigen Rahmenbedingungen könne aber festgestellt werden, dass die Bundesanwaltschaft grundsätzlich ordnungsgemäss funktioniere und heute so organisiert sei, dass sie in der Lage sei, ihre Aufgaben richtig wahrzunehmen.

Gleichzeitig zeigt der Bericht das vorhandene Verbesserungspotential auf.

4.

Die Situationsanalyse EffVor vom 31. August 2006 (veröffentlichter Bericht «Uster», Ziff. 2.4) kommt in ihrer Ist-Analyse zu ähnlichen Schlüssen wie der Bericht «Lüthi» und bescheinigt den Bundesstrafbehörden, dass sie im Bereich der neuen Kompetenzen funktionieren und dass wesentliche Aufbauarbeit geleistet worden sei. Für die weitere Entwicklung schlägt der Bericht eine «Konzentration der Kräfte» auf der Basis des heutigen Budgets vor. Die Umsetzung der Vorschläge wurde inzwischen im Rahmen des Projekts «EffVor2» konkretisiert und vom Bundesrat gutgeheissen. Sie soll bis Ende 2007 abgeschlossen sein. Die GPK-N gibt hinsichtlich der Ressourcenbeschränkung und der Absicht, Verfahren vermehrt zu priorisieren, zu bedenken, dass eine reine Ressourcensteuerung mit der in der Strafverfolgung geltenden verfassungsmässigen Offizialmaxime und dem Legalitätsprinzip in Konflikt geraten kann. Die GPK-N fordert vom Bundesstrafgericht vermehrte Anstrengungen zu einem raschen Abbau der Pendenzen beim Untersuchungsrichteramt (URA) und ersucht den Bundesrat, künftig bei der Ressourcenzuteilung der Pflicht der Strafverfolgungsbehörden, in den zwingenden Bundeskompetenzen mit der erforderlichen Tiefe tätig zu werden, Rechnung zu tragen. Die GPK-N wird die Umsetzung von EffVor2 weiterhin begleitend kontrollieren.

Umstände des Rücktritts des Bundesanwalts Die GPK-N veröffentlicht im vorliegenden Bericht Einzelheiten und Hintergründe, die zum Rücktritt des Bundesanwalts vom 5. Juli 2006 führten (Ziff. 3). Das umfangreiche, der GPK-N vorliegende Aktenmaterial zeigt, dass der Rücktritt des Bundesanwalts nicht freiwillig erfolgte. Im November 2004 erteilte der Vorsteher EJPD dem Bundesanwalt eine erste schriftliche Ermahnung und drohte ihm im Wiederholungsfall mit einer möglichen Kündigung, weil er im Fall «Achraf» seinen Mediensprecher einen Point de presse durchführen liess, obwohl der Vorsteher EJPD ihm eine Medienkonferenz untersagt hatte. Drei Tage nach dem Pfingstwochenende 2006, an dem der Vorsteher EJPD und der Präsident der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts auf Schloss Rhäzüns gemeinsam ausserordentliche Untersuchungen in der Bundesanwaltschaft aufgrund von Vorwürfen in der Weltwoche im Zusammenhang mit der Vertrauensperson Ramos beschlossen hatten, teilte der Vorsteher EJPD dem Bundesanwalt mit, dass für ihn eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr in Frage komme und er das Arbeitsverhältnis mit ihm beenden wolle. Er erteilte dem Bundesanwalt eine schriftliche «Abmahnung und scharfe Rüge» wegen Informationsverweigerung, Nichterreichbarkeit, Gesprächsverweigerung und unloyalem Verhalten, verbunden mit einer Kündigungsandrohung. Im Weiteren erteilte er dem Bundesanwalt die Weisung, ohne Rücksprache mit dem Departement keinerlei Presseauftritte mehr zu organisieren.

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Die Unterlagen im Personaldossier des Bundesanwalts zeigen, dass das EJPD zu diesem Zeitpunkt Abklärungen über die Möglichkeiten einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit dem Bundesanwalt prüfte, wobei man sich bewusst war, dass keine Kündigungsgründe gegen den Bundesanwalt vorlagen. In der Folge wurden Verhandlungen mit dem Bundesanwalt über einen Rücktritt im Rahmen einer Vereinbarung mit Abgangsentschädigung aufgenommen. Nach den Erkenntnissen der GPK-N informierte der Vorseher EJPD den Bundesrat nicht über die erteilten Rügen und Kündigungsandrohungen.

Die GPK-N gelangt zum Schluss, dass der Vorsteher EJPD das Arbeitsverhältnis mit dem Bundesanwalt durch eine Vereinbarung auflöste, ohne dass Kündigungsgründe im Sinne des Personalgesetzes vorlagen. Die dem Bundesanwalt ausbezahlte Abgangsentschädigung erfolgte ohne entsprechende gesetzliche Grundlage. Dieses Vorgehen ist in Anbetracht der unabhängigen Stellung und Funktion des Bundesanwalts in rechtsstaatlicher Hinsicht problematisch. Der Vorsteher EJPD hat mit seinem Vorgehen gegen den Bundesanwalt den Bundesrat, der als Wahlbehörde allein für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit dem Bundesanwalt zuständig ist, umgangen und damit seine Kompetenzen überschritten. Im Bereich der Medieninformation über laufende Ermittlungsverfahren hat der Vorsteher EJPD dem Bundesanwalt unerlaubte Weisungen erteilt. Mit der personalrechtlichen Sanktionierung der Nichtbeachtung dieser Weisungen hat er in die Unabhängigkeit des Bundesanwaltes eingegriffen. Der Bundesrat hat seine Verantwortung als Wahl- und Aufsichtsbehörde des Bundesanwalts nicht wahrgenommen, obwohl es seit längerem Anzeichen für Konflikte zwischen dem Vorsteher EJPD und der Bundesanwaltschaft gab.

Die GPK-N empfiehlt dem Bundesrat, sich des Dossiers Bundesanwaltschaft unverzüglich aktiv anzunehmen und Massnahmen zur Sicherstellung der Unabhängigkeit der Bundesanwaltschaft in institutioneller und personeller Hinsicht zu treffen. Im Weiteren soll der Bundesrat dafür sorgen, dass die Abgrenzung zwischen unabhängiger Informationstätigkeit der Bundesanwaltschaft und der Koordination mit der Informationstätigkeit des EJPD als administrativ vorgesetzte Behörde geklärt wird.

Probleme der administrativen und fachlichen Aufsicht über die Bundesanwaltschaft Die GPK-N hat aufgrund der im
vorliegenden Bericht thematisierten Fragen das heutige System der geteilten Aufsicht über die Bundesanwaltschaft, welches die Unabhängigkeit der Bundesanwaltschaft sicherstellen soll, gewürdigt (Ziff. 4). Sie kommt zum Schluss, dass die gesetzlichen Grundlagen teilweise lückenhaft und zu wenig klar sind. Es erscheint der GPK-N deshalb notwendig, dass die Abgrenzung und die Koordination zwischen den Aufsichtsbehörden sowie der Umfang der administrativen bzw. der fachlichen Aufsicht geklärt und gesetzlich geregelt werden. Die im vorliegenden Bericht gemachten Feststellungen sind sinngemäss in der Neuregelung der Aufsicht über die Bundesanwaltschaft, die sich zurzeit in Arbeit befindet, zu berücksichtigen.

1984

Inhaltsverzeichnis Übersicht

1980

Abkürzungsverzeichnis

1988

1 Hintergrund und Gegenstand der Untersuchung 1.1 Ausgangslage 1.2 Vorgehen 1.3 Fragestellungen 1.4 Grenzen der Untersuchung und Abgrenzung zu anderen Behörden

1990 1990 1991 1991 1992

2 Die vier Untersuchungsberichte 2.1 Der Aufsichtszwischenbericht «Anklagen» der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts 2.1.1 Einleitung 2.1.2 Vorbemerkung zum Ablauf des Bundesstrafverfahrens 2.1.3 Anlass und Entstehung: Chronologie 2.1.4 Inhalt und Schlussfolgerung des Berichts 2.1.5 Stellungnahme der Bundesanwaltschaft vom 26. Juni 2006 zum Berichtsentwurf 2.1.6 Replik der Beschwerdekammer zur Stellungnahme der Bundesanwaltschaft vom 26. Juni 2006 2.1.7 Aufsichtseingabe der Bundesanwaltschaft 2.1.7.1 Gegenstand der Eingabe 2.1.7.2 Zuständigkeit der GPK 2.1.7.3 Vorgehen und Abklärungen der GPK 2.1.7.4 Ergebnisse und Schlussfolgerungen 2.1.8 Einzelne Ergebnisse der Anhörungen und schriftlichen Stellungnahmen zum Aufsichtszwischenbericht «Anklagen» 2.1.9 Weitere Reaktionen auf den Bericht 2.1.10 Feststellungen und Beurteilungen der GPK-N zum Aufsichtszwischenbericht «Anklagen» 2.1.11 Schlussfolgerungen der GPK-N zum Aufsichtszwischenbericht «Anklagen» 2.2 Der Aufsichtszwischenbericht «Ramos» der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts 2.2.1 Anlass und Entstehung 2.2.2 Inhalt und Schlussfolgerungen des Berichts 2.2.3 Weitere Veröffentlichungen zu Ramos in einzelnen Medien und zusätzliche Abklärungen der GPK-N 2.2.4 Ergebnisse der Anhörungen und schriftlichen Stellungnahmen zum Aufsichtszwischenbericht «Ramos» 2.2.5 Feststellungen und Beurteilungen der GPK-N 2.2.6 Schlussfolgerungen der GPK-N zum Aufsichtszwischenbericht «Ramos»

1993 1993 1993 1993 1994 1999 2003 2007 2008 2008 2009 2010 2011 2011 2012 2013 2018 2019 2019 2021 2031 2032 2037 2039

1985

2.3 Administrativuntersuchung in der Bundesanwaltschaft (Bericht «Lüthi») 2.3.1 Anlass und Entstehung 2.3.2 Schlussfolgerungen des Berichts 2.3.3 Reaktionen der betroffenen Behörden 2.4 Situationsanalyse EffVor (Bericht «Uster») 2.4.1 Anlass und Entstehung 2.4.2 Schlussfolgerungen des Berichts 2.4.3 Reaktionen der betroffenen Behörden 2.5 Feststellungen und Beurteilungen der GPK-N zu den vier Untersuchungsberichten 2.6 Schlussfolgerungen der GPK-N 2.7 Empfehlungen der GPK-N 3 Umstände des Rücktritts des Bundesanwalts 3.1 Sachverhalt 3.1.1 Einleitung 3.1.2 Chronologie des Konflikts zwischen dem Vorsteher EJPD und dem Bundesanwalt 3.1.2.1 Schriftliche Ermahnung nach dem Fall «Achraf» vom 9. November 2004 3.1.2.2 Androhung einer weiteren Disziplinarstrafe im Frühling 2006 3.1.2.3 Veröffentlichung zum Fall «Ramos» und Einleitung von ausserordentlichen Untersuchungen im Sommer 2006 3.1.2.4 «Abmahnung und scharfe Rüge» vom 8. Juni 2006 3.1.2.5 Information des Bundesrates an der Sitzung vom 9. Juni 2006 3.1.2.6 Vorbereitungen des Austritts des Bundesanwalts im Generalsekretariat EJPD 3.1.2.7 Zuständigkeit für die Rücktrittsvereinbarung mit dem Bundesanwalt und für die Einsetzung eines interimistischen Leiters der Bundesanwaltschaft 3.1.2.8 Rücktrittsankündigung des Bundesanwalts vom 5. Juli 2006 3.1.2.9 Arbeitszeugnis vom 15. November 2006 3.1.3 Ergebnisse der Anhörungen und schriftlichen Stellungnahmen zum Rücktritt des Bundesanwalts 3.2 Feststellungen und Beurteilungen der GPK-N 3.3 Schlussfolgerungen und Empfehlungen der GPK-N 4 Probleme der administrativen und der fachlichen Aufsicht über die Bundesanwaltschaft 4.1 Feststellungen 4.2 Schlussfolgerung der GPK-N zur Aufsicht über die Bundesanwaltschaft

1986

2039 2039 2039 2042 2042 2042 2043 2044 2045 2048 2048 2049 2049 2049 2050 2050 2051 2052 2056 2057 2058 2059 2060 2061 2061 2064 2071 2072 2072 2075

5 Schlussfolgerungen und Empfehlungen der GPK-N im Überblick

2075

6 Weiteres Vorgehen

2079

Anhang Angehörte Personen

2080

1987

Abkürzungsverzeichnis Abs.

ANAG Art.

BA BBl BGE BJ BK BKP BPG BPV Bst.

BStGer BStP BVE DAP EffVor EJPD EP 03 E-StPO fedpol GPDel GPK GPK-N GS i.V.m.

OK RVOV SGG StGB UR URA VE vgl.

1988

Absatz Bundesgesetz vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer, SR 142.20) Artikel Bundesanwaltschaft Bundesblatt Bundesgerichtsentscheide Bundesamt für Justiz Bundeskanzlei Bundeskriminalpolizei Bundespersonalgesetz vom 24. März 2000, SR 172.220.1 Bundespersonalverordnung vom 3. Juli 2001, SR 172.220.111.3 Buchstabe Bundesstrafgericht Bundesgesetz vom 15. Juni 1934 über die Bundesstrafrechtspflege, SR 312.0 Bundesgesetz vom 20. Juni 2003 über die verdeckte Ermittlung, SR 312.8 Dienst für Analyse und Prävention, Inlandnachrichtendienst Effizienzvorlage Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement Entlastungsprogramm 03 Entwurf des Bundesrates vom 21. Dezember 2005 der Schweizerischen Strafprozessordnung (Strafprozessordnung, StPO), BBl 2006 1085 Bundesamt für Polizei Geschäftsprüfungsdelegation Geschäftsprüfungskommission Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates Generalsekretariat in Verbindung mit Organisierte Kriminalität Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25. November 1998, SR 172.010.1 Bundesgesetz vom 4. Oktober 2002 über das Bundesstrafgericht, SR 173.71 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937, SR 311.0 Untersuchungsrichter Eidgenössisches Untersuchungsrichteramt verdeckter Ermittler vergleiche

VP WK Ziff.

ZSR ZStrR

Vertrauensperson Wirtschaftskriminalität Ziffer Zeitschrift für Schweizerisches Recht Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht

1989

Bericht 1

Hintergrund und Gegenstand der Untersuchung

1.1

Ausgangslage

Seit 2002 wurden die Strafverfolgungsbehörden des Bundes, d.h. die Bundeskriminalpolizei (BKP), die Bundesanwaltschaft (BA) und das Eidgenössische Untersuchungsrichteramt (URA), stark ausgebaut und das neue Bundesstrafgericht in Bellinzona geschaffen. Dieser Ausbau geht zurück auf die sogenannte Effizienzvorlage (EffVor)1, die den eidgenössischen Behörden neue obligatorische Strafverfolgungskompetenzen in den Bereichen Organisierte Kriminalität, Geldwäscherei und Korruption sowie eine fakultative Kompetenz im Bereich der Wirtschaftskriminalität für die komplexen Fälle von interkantonaler und internationaler Bedeutung übertrug (Art. 337 StGB2; bis Ende 2006: Art. 340bis StGB). Das Umsetzungsprojekt EffVor aus dem Jahr 2000 sah einen stufenweisen Aufbau der Strafverfolgungsbehörden des Bundes in der Bundesanwaltschaft, der BKP und dem URA mit insgesamt 942 Stellen und einem Jahresbudget von 142 Millionen Franken bis ca. 2006 vor. Bis 2003 erfolgte der Personalaufbau planmässig. Mit dem Entlastungsprogramm EP 03 wurde der Aufbau gestoppt. Nach einem Marschhalt bis Ende 2006 sollte das Projekt neu beurteilt und über die weitere Entwicklung von EffVor entschieden werden. 2006 betrug der Stellenetat für EffVor 565 Stellen bei einem Budget von 110 Millionen Franken.

Im Februar 2006 setzte der Vorsteher EJPD eine Projektorganisation zur Erarbeitung einer Situationsanalyse und konkreter Vorschläge für das weitere Vorgehen im Bereich EffVor nach Ablauf des Marschhaltes ab 2007 ein. Der Projektausschuss «Situationsanalyse EffVor» verabschiedete ihre «Situationsanalyse und Empfehlungen zum weiteren Vorgehen» am 31. August 2006 (Bericht «Uster», vgl. Ziff. 2.4).

Im Laufe des Jahres 2006 wurden drei weitere Untersuchungen zur Bundesanwaltschaft und den übrigen Bundesstrafbehörden durchgeführt: Nachdem das Bundesstrafgericht im April 2006 feststellte, dass seit einem halben Jahr von der Bundesanwaltschaft keine Anklagen mehr eingegangen waren, leitete die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts als fachliche Aufsichtsinstanz über die Bundesanwaltschaft eine Untersuchung zur Frage ein, weshalb die Anzahl der Anklagen bisher unter den ursprünglichen Erwartungen geblieben waren. Über die Ergebnisse der Untersuchung erstellte die Beschwerdekammer einen Aufsichtszwischenbericht (Aufsichtszwischenbericht «Anklagen»
vom 14. Juli 2006, vgl. Ziff. 2.1). Nachdem in einem Weltwoche-Artikel vom 1. Juni 2006 schwere Vorwürfe an den Bundesanwalt im Zusammenhang mit der Vertrauensperson Ramos und dem Verfahren H. erhoben wurden und in den Tagen danach in den Medien und von politischen Exponenten scharfe Kritik am Bundesanwalt geübt wurde, ordneten die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts und der Vorsteher EJPD ausserordentliche Untersuchungen je in ihrem Aufsichtsbereich an. Die Ergebnisse der Untersuchungen wurden im Aufsichtszwischenbericht «Ramos» vom 18. September 2006 der 1

2

Änderung vom 22.12.1999 des Schweizerischen Strafgesetzbuches (Schaffung neuer Verfahrenskompetenzen des Bundes in den Bereichen organisiertes Verbrechen und Wirtschaftskriminalität; BBl 2000 70). Die Effizienzvorlage trat per 1.1.2002 in Kraft.

Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21.12.1937 (StGB, SR 311.0).

1990

Beschwerdekammer (vgl. Ziff. 2.2) und im Bericht zur Administrativuntersuchung in der Bundesanwaltschaft vom 18. September 2006 (Bericht «Lüthi») zusammengefasst (vgl. Ziff. 2.3).

1.2

Vorgehen

Am 26. Juni 2006 beauftragte die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) ihre Subkommission EJPD/BK, die verschiedenen Untersuchungsberichte zur Bundesanwaltschaft und den übrigen Strafverfolgungsbehörden des Bundes zu behandeln und bei Bedarf weitere Abklärungen vorzunehmen.

Die Subkommission EJPD/BK der GPK-N3 (im Folgenden: «Subkommission») führte von Ende August 2006 bis Januar 2007 Anhörungen aller betroffenen Behörden sowie der Autoren der Untersuchungsberichte durch4. Weiter holte die Subkommission beim Bundesanwalt, bei der Bundesanwaltschaft, bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts sowie bei deren Präsidenten, beim Vorsteher des EJPD und beim Generalsekretär des EJPD schriftliche Stellungnahmen zu offenen Fragen ein und verlangte die Herausgabe einzelner Akten. Insgesamt führte die Subkommission im Rahmen dieser Untersuchung zwölf Sitzungen durch.

Am 9. Juli 2007 unterbreitete die Subkommission ihren Berichtsentwurf dem Vorsteher EJPD, dem Bundesstrafgericht, der Bundesanwaltschaft sowie dem Bundesanwalt zur Stellungnahme. Die Subkommission hat die Stellungnahmen am 14. August 2007 geprüft und teilweise im vorliegenden Bericht berücksichtigt.

Der vorliegende Bericht wurde von der Subkommission am 14. August 2007 mit 6 zu 4 Stimmen zu Handen der GPK-N verabschiedet, die ihn am 5. September 2007 mit 16 zu 6 Stimmen genehmigte und zur Veröffentlichung freigab.

1.3

Fragestellungen

Im Laufe der Beratung der vier Untersuchungsberichte stellte die GPK-N fest, dass aus der Sicht der politischen Oberaufsicht des Parlamentes nicht allein die Resultate und Schlussfolgerungen der Berichte von Bedeutung sind, sondern auch deren Hintergründe und Entstehung. Bei der vertieften Untersuchung rückten auch Fragen des Zusammenwirkens zwischen dem EJPD und der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts als Aufsichtsbehörden über die Bundesanwaltschaft sowie Fragen zum Rücktritt des Bundesanwalts in den Vordergrund. Aufgrund der anhaltenden öffentlichen Kritik an der Rolle des Bundesanwalts im Zusammenhang mit der Vertrauensperson Ramos hat die Subkommission damit zusammenhängende Fragen detailliert abgeklärt.

3

4

Der Subkommission gehörten an: die Nationalrätinnen und Nationalräte Lucrezia MeierSchatz (Präsidentin), Max Binder, Toni Brunner, André Daguet, Ida Glanzmann-Hunziker (teilweise), Jean-Paul Glasson, Walter Glur, Edith Graf-Litscher (teilweise), Josy GyrSteiner (teilweise), Brigitte Häberli-Koller (teilweise), Claude Janiak, Geri Müller, Marc Suter (teilweise), Kurt Wasserfallen (teilweise).

Angehörte Personen siehe Anhang.

1991

Die GPK-N untersuchte folgende Fragestellungen: 1.

Was war Anlass der verschiedenen Untersuchungen und wie kamen sie zustande?

2.

Zu welchen Resultaten führten die Untersuchungen?

3.

Feststellung von Gemeinsamkeiten und Diskrepanzen zwischen den Untersuchungsberichten

4.

Rücktritt des Bundesanwalts

5.

Zusammenwirken und Probleme der verschiedenen Aufsichtsbehörden über die Bundesanwaltschaft und die übrigen Strafverfolgungsbehörden des Bundes

6.

Vertiefte Abklärungen der Vorwürfe an den Bundesanwalt im Zusammenhang mit der Vertrauensperson Ramos.

1.4

Grenzen der Untersuchung und Abgrenzung zu anderen Behörden

Die GPK-N hat den Aufbau des Projekts EffVor während fünf Jahren eng begleitet.

Am 15. Dezember 2006 hat der Bundesrat entschieden, die Variante 2 («Konzentration der Kräfte») der Situationsanalyse EffVor (Bericht «Uster», vgl. Ziff. 2.4) weiter zu verfolgen. Zur Umsetzung hat das EJPD eine Projektgruppe unter der Leitung von alt Regierungsrat Hanspeter Uster (ZG) eingesetzt, die dem EJPD am 16. April 2007 einen Umsetzungsbericht5 vorlegte (vgl. Ziff. 2.4.3). Der Bundesrat hat am 4. Juli 2007 vom Umsetzungsbericht Kenntnis genommen und den Anträgen des EJPD zur Umsetzung des Projekts «EffVor2» zugestimmt. Die Umsetzung soll bis Ende 2007 abgeschlossen sein. Die GPK-N äussert sich im vorliegenden Bericht nicht zum getroffenen Richtungsentscheid des Bundesrates. Sie beschränkt sich auf Hinweise und Empfehlungen im Hinblick auf die weitere Entwicklung der Strafverfolgungsbehörden des Bundes.

Bei der Untersuchung und Beurteilung der Aufsichtstätigkeit der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts über die Bundesanwaltschaft hat die GPK-N die Gewaltenteilung zu beachten. Sie nimmt keine Beurteilung einzelner justizieller Entscheide der Beschwerdekammer vor, sondern beurteilt ihre Ausübung der fachlichen Aufsicht im Rahmen der Aufsichtszwischenberichte «Anklagen» und «Ramos» sowie die generelle Funktionsweise und die Abgrenzungsprobleme der heutigen geteilten Aufsicht (administrative Aufsicht, fachliche Aufsicht).

5

Umsetzungsbericht Strafverfolgung auf Bundesebene (Projekt EffVor2) vom 16.4.2007 (http://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/dokumentation/mi/2007/2007-07-04.html).

1992

2

Die vier Untersuchungsberichte

2.1

Der Aufsichtszwischenbericht «Anklagen» der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts

2.1.1

Einleitung

Am 14. Juli 2006 verabschiedete die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts (im Folgenden: Beschwerdekammer) im Rahmen ihrer fachlichen Aufsicht über die Bundesanwaltschaft einen Zwischenbericht an die Bundesanwaltschaft als beaufsichtigte Behörde an das EJPD als administratives Aufsichtsorgan, an die Geschäftsprüfungskommissionen als Oberaufsichtsorgan sowie an Hanspeter Uster zu Handen des Projektausschusses «Situationsanalyse EffVor». Der Bericht (im Folgenden: Aufsichtszwischenbericht «Anklagen»6) betrifft Abklärungen der Beschwerdekammer zur bis zu diesem Zeitpunkt geringen Anzahl der von der Bundesanwaltschaft erhobenen Anklagen an das Bundesstrafgericht. Der Bericht wurde nicht veröffentlicht7, fand jedoch durch eine Indiskretion den Weg zu einzelnen Medien8.

Am 19. Juli 2006 wandte sich die Bundesanwaltschaft mit einer Aufsichtseingabe an die Subkommissionen Gerichte der beiden GPK, worin sie grosse Bedenken gegenüber dem Inhalt des Aufsichtszwischenberichts «Anklagen» sowie dessen Entstehung äusserte. Nach Absprache innerhalb der Geschäftsprüfungskommissionen wurde beschlossen, dass die Eingabe von der Subkommission EJPD/BK der GPK-N zusammen mit der vorliegenden Untersuchung behandelt wird.

2.1.2

Vorbemerkung zum Ablauf des Bundesstrafverfahrens

Ein Strafverfahren beim Bund läuft in mehreren Phasen ab. Wenn ein Tatverdacht auf ein Bundesstrafdelikt besteht, eröffnet die Bundesanwaltschaft ein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren. Während dieses Verfahrens führt die Bundesanwaltschaft zusammen mit der Bundeskriminalpolizei (BKP) Ermittlungen durch.

Wenn sich der Tatverdacht erhärtet, überweist die Bundesanwaltschaft die Akten an das eidgenössische Untersuchungsrichteramt (URA), das dann eine Voruntersuchung durchführt. Dabei klärt der Untersuchungsrichter (UR) den Sachverhalt weiter ab. Nach Abschluss der Voruntersuchung überweist das URA die Akten zurück an die Bundesanwaltschaft, welche entscheidet, ob Anklage erhoben oder das Verfahren eingestellt wird. Falls die Bundesanwaltschaft Anklage erhebt, tut sie dies, indem sie bei der Strafkammer des Bundesstrafgerichts in Bellinzona eine Anklageschrift mitsamt den Akten aus dem Ermittlungsverfahren und der Voruntersuchung einreicht.

6

7

8

Aufsichtszwischenbericht. Zwischenbericht der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts betreffend die von ihr getätigten aufsichtsrechtlichen Abklärungen zur geringen Anzahl der von der Bundesanwaltschaft erhobenen Anklagen, vom 14.7.2006.

Die Beschwerdekammer richtet ihre ordentlichen jährlichen Aufsichtsberichte sowie allfällige Aufsichtszwischenberichte an die BA als beaufsichtigte Behörde sowie an die übrigen Aufsichtsbehörden (EJPD, parlamentarische Oberaufsicht). Diese Berichte werden nach der Praxis der Beschwerdekammer nicht veröffentlicht.

Hanspeter Bürgin: Roschachers letztes Aufbäumen, Tages-Anzeiger vom 22.9.2006; Andreas Windlinger, Andrea Bleicher und Monica Fahmy: Valentin Roschacher: Vernichtende Bilanz der Aufsichtsbehörde, SonntagsZeitung vom 24.9.2006.

1993

Der Aufsichtszwischenbericht «Anklagen» befasst sich nur mit der Phase der Anklageausarbeitung durch die Bundesanwaltschaft, nachdem das URA die Voruntersuchung eines Strafverfahrens abgeschlossen und das Dossier an die Bundesanwaltschaft überwiesen hat. Für die Phase der Ausarbeitung der Anklageschrift besteht keine gesetzliche Frist.

2.1.3

Anlass und Entstehung: Chronologie

a. Erkundigung nach weiteren Anklagen Am 2. März 2006 erkundigte sich der Präsident des Bundesstrafgerichts mit Blick auf die bevorstehende jährliche Aussprache vom 5. April 2006 mit den Subkommissionen Gerichte der beiden GPK, an der auch die aktuelle Geschäftslast des Gerichts thematisiert werden sollte, bei der Bundesanwaltschaft, wie viele Anklagen die Strafkammer bis Ende März erwarten könne. Seit Oktober 2005 waren keine Anklagen mehr eingegangen. Am 9. März 2006 teilte die Bundesanwaltschaft mit, bis Ende März könne mit vier Anklagen gerechnet werden. Am 3. April 2006 trafen zwei der vier angekündigten Anklagen (mit Poststempel vom 31. März 2006) beim Bundesstrafgericht in Bellinzona ein, am 10. April 2006 folgte eine weitere. Der vierte Fall konnte vorderhand nicht eingereicht werden, da aufgrund eines Entscheides der Beschwerdekammer noch eine Ermächtigung durch den Bundesrat einzuholen war (Art. 105 BStP9). Dies teilte die Bundesanwaltschaft dem Präsidenten des Bundesstrafgerichts Ende März mit.

b. Festgestellter Handlungsbedarf An ihrer Sitzung vom 4. April 2006 beantragte die Gerichtsleitung des Bundesstrafgerichts der Beschwerdekammer als fachliche Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft, die Gründe für die nach wie vor tiefe Anzahl Anklagen sowie die unzuverlässigen Prognosen der Bundesanwaltschaft in Bezug auf eingehende Anklagen zu klären und mögliche Massnahmen zur Verbesserung zu prüfen. Am folgenden Tag informierte die Gerichtsleitung die Subkommissionen Gerichte der beiden GPK über die Zahlenentwicklung und den Antrag der Gerichtsleitung an die Beschwerdekammer. Der Präsident der Beschwerdekammer führte dazu aus, es herrsche ein offensichtlicher Missstand, der ein Eingreifen der Aufsichtsbehörde erforderlich mache.

c. Beschluss der Beschwerdekammer vom 11. April 2006 Die Beschwerdekammer fasste am 11. April 2006 den formellen Beschluss, die Situation vertieft abzuklären. Der Beschluss stützte sich dabei auf die Feststellungen, das URA habe im Jahr 2005 18 Voruntersuchungen abgeschlossen, der Bundesanwalt habe sich geäussert, die Bundesanwaltschaft benötige nach Abschluss der Voruntersuchung durch das URA ein bis drei Monate für die Anklageerhebung (später war von durchschnittlich drei Monaten die Rede), die Bundesanwaltschaft habe bis Ende März vier Anklagen in Aussicht
gestellt, bis zum 31. März 2006 sei jedoch keine Anklage beim Bundesstrafgericht eingegangen, und erst am 3. April seien zwei Anklageschriften und am 10. April 2006 sei eine weitere Anklageschrift eingetroffen. Der Beschluss der Beschwerdekammer datiert vom 12. April 2006 und 9

Bundesgesetz über die Bundesstrafrechtspflege vom 15.6.1934 (BStP; SR 312.0).

1994

wurde der Bundesanwaltschaft, dem Vorsteher des EJPD zuhanden der administrativen Aufsichtsbehörde sowie der Gerichtsleitung des Bundesstrafgerichts zugestellt.

Die Beschwerdekammer verlangte bis zum 20. April 2006 die Zustellung einer Kopie der Schlussberichte der vom URA im Jahr 2005 abgeschlossenen 18 Verfahren sowie Auskunft darüber, wann die betreffenden Berichte bei der Bundesanwaltschaft eingegangen seien, welche Vorkehrungen seither in den Strafverfahren getroffen worden seien und in welchem Stadium sich diese derzeit befänden. Im weiteren lud die Beschwerdekammer den Bundesanwalt ein, am 27. April 2006 am Sitz des Bundesstrafgerichts zu den aufgeworfenen und allfälligen weiteren Fragen Stellung zu nehmen.

d. Stellungnahme der Bundesanwaltschaft vom 20. April 2006 Innerhalb der ihr gesetzten achttägigen Frist lieferte die Bundesanwaltschaft der Beschwerdekammer am 20. April 2006 die angeforderten Angaben. Von den 18 Fällen, in denen das URA 2005 die Voruntersuchung abgeschlossen hatte, machte die Bundesanwaltschaft Angaben zu 17 Fällen, mit dem Hinweis, das URA habe gemäss Reporting der Bundesanwaltschaft insgesamt 17 Verfahren abgeschlossen.

Später stellte sich heraus, dass das URA einen Fall von einem anderen Verfahren abgetrennt und an den Kanton Zürich abgetreten hatte, ohne dies der Bundesanwaltschaft mitzuteilen. In diesem Fall lag der Bundesanwaltschaft kein Schlussbericht des URA vor. Für die 17 Verfahren machte die Bundesanwaltschaft Angaben über die Erledigung der Voruntersuchung und den Stand des Verfahrens per 18. April 2006. Diesen Angaben kann entnommen werden, dass bis zum 18. April 2006 10 Verfahren10 zur Anklage beim Bundesstrafgericht gebracht worden waren, 1 Verfahren eingestellt und 1 weiteres Verfahren an den Kanton Waadt abgetreten worden war. Von den 5 verbleibenden Verfahren war in einem Fall eine Einstellung abzusehen, und in einem Fall lief ein Gesuch um Strafübernahme durch Spanien.

Von den sieben Verfahren, die noch nicht zur Anklage gelangt waren, legte die Bundesanwaltschaft die Schlussberichte bei und verwies für die 10 übrigen Verfahren darauf, dass sich die Schlussberichte bereits bei der Strafkammer am Bundesstrafgericht befänden.

Zur Frist, welche die Bundesanwaltschaft zur Ausarbeitung der Anklage benötigt, hielt die Bundesanwaltschaft fest, sie habe
sich bis anhin immer dahingehend geäussert, dass intern angestrebt werde, die Anklageschrift im Durchschnitt innert drei Monaten zu verfassen. Es gebe aber immer wieder Fälle, wo Verfahren eingestellt, an einen Kanton oder an einen ausländischen Staat delegiert oder abgetreten werden.

Nicht jede abgeschlossene Voruntersuchung führe zu einer Anklageerhebung. Auch nicht jede Anklageerhebung werde innert drei Monaten erfolgen können. Dies hänge von Umfang und Komplexität des Dossiers sowie von der Belastung des verantwortlichen Staatsanwalts mit anderen Ermittlungen ab. Für die 10 erfolgten Anklagen zeigte die Bundesanwaltschaft auf, dass in vier Fällen 2 Monate, in einem Fall 2½ Monate, in zwei Fällen 3 Monate, in einem Fall 3½ Monate und in zwei Fällen 6 Monate benötigt worden waren. Dies entspricht einer durchschnittlichen Behandlungsfrist von 3,2 Monaten.

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7 Anklagen wurden bis im Oktober 2005 eingereicht, 2 gingen am 3.4.2006 ein, 1 am 10.4.2006.

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e. Kontakt zwischen dem EJPD und der Beschwerdekammer Im Vorfeld der Anhörung des Bundesanwalts vom 27. April 2006 nahm der Präsident der Beschwerdekammer mit dem Generalsekretär EJPD Kontakt auf, in der Meinung, dass die Untersuchung auch administrative Aspekte aufweise, und fragte ihn, ob er bei der Anhörung nicht anwesend sein sollte, was der Generalsekretär ablehnte. Am Tag vor der Anhörung übermittelte der Beschwerdekammerpräsident dem Generalsekretär EJPD per Mail einen Vorschlag für ein Schreiben, das der Generalsekretär EJPD der Beschwerdekammer schreiben sollte. Den Vorschlag für das gesamte Schreiben übernahm der Generalsekretär wörtlich und übermittelte dieses am 27. April 2006 dem Beschwerdekammerpräsidenten per Fax. Darin wird zunächst die Zustellung des Kammerbeschlusses vom 11. April 2006 betreffend die Abklärung der Anzahl Anklagen verdankt. Weiter heisst es in dem Schreiben: «Wie wir Ihnen bereits mündlich mitgeteilt haben, sind wir ebenfalls überrascht über den Umstand, dass die Bundesanwaltschaft auch heute noch eine dermassen unbedeutende Anzahl von Verfahren zur Anklage bringt. Als administative Aufsichtsbehörde sind wir deshalb der Meinung, dass abgeklärt werden muss, welches die Ursachen für diese unerwartete Situation sind.» Weiter heisst es: «Dürfen wir Sie bitten, uns nach Abschluss Ihrer Abklärungen einen entsprechenden Bericht zukommen zu lassen, damit wir eventuelle administrative Massnahmen prüfen können? Dieser Bericht sollte ohne Detailinformationen bezüglich einzelner Verfahren auskommen, damit die Objektivität auf jeden Fall gewahrt bleibt. Aus dem gleichen Grund halten wir eine Teilnahme an der Anhörung für inopportun.» f. Anhörung des Bundesanwalts und seines Stellvertreters in Bellinzona vom 27. April 2006 Im Hinblick auf seine Anhörung vom 27. April 2006 in Bellinzona erkundigte sich der Bundesanwalt telefonisch beim Präsidenten der Beschwerdekammer, worum es bei dieser Befragung gehe ­ ausser den Themen gemäss dem Beschluss vom 11. April 2006 ­ und was der Anhörung folgen werde. Der Präsident teilte ihm mit, ein Entscheid über das weitere Vorgehen sei noch offen.

Aus dem wörtlichen Protokoll der Anhörung vom 27. April 2006 geht hervor, dass der Präsident der Beschwerdekammer zunächst auf die Frage der Zuständigkeit für die Aufsicht über die Bundesanwaltschaft
in der Phase der Ausarbeitung der Anklageschrift zu Sprechen kam. Dabei nahm er auf das Schreiben des Generalsekretärs EJPD Bezug und präzisierte, dass «wir auch von der administrativen Aufsichtsbehörde ausdrücklich aufgefordert worden sind, diese Abklärung zu machen.» Ferner fügte er bei, dass «die administrative Aufsichtsbehörde in jeder Tätigkeit der Bundesanwaltschaft zuständig» sei. Im Hauptteil der Anhörung wurden die 18 vom URA im Jahr 2005 abgeschlossenen Verfahren gemäss den im Beschluss der Beschwerdekammer vom 11. April 2006 aufgeworfenen Fragen behandelt.

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Die Befragung selbst sei ein «Verhör»11 gewesen, sagte der Bundesanwalt vor der Subkommission aus. Ton und Ablauf seien unangemessen, unanständig, nicht sachlich und schon gar nicht konstruktiv gewesen. Der Präsident der Beschwerdekammer sei ihm des öftern ins Wort gefallen und habe ihn nicht ausreden lassen. Sein Stellvertreter habe keine Antworten geben dürfen, ausser dort, wo sich ein Richter dafür eingesetzt habe. Er und sein Stellvertreter seien konsterniert gewesen. Er hätte anlässlich der Befragung aufgrund der Umstände eigentlich aufstehen und den Saal verlassen sollen. Er habe aber die Situation nicht eskalieren lassen wollen, was er heute bereue.

Zur Art der Durchführung der Anhörung sagte der Präsident der Beschwerdekammer vor der Subkommission aus, die schriftliche Stellungnahme des Bundesanwalts sei völlig unvollständig gewesen. Die Fragen seien nicht beantwortet worden. Bei der Anhörung sei es genau dasselbe gewesen. «Ich habe konkrete Fragen gestellt, die im Bericht als reine Buchhalterei abgetan werden (vgl. dort Kap. 4.8), aber wir wollten wissen, wieviele Anklagen kommen würden. Wir haben es nicht erfahren. Auf die meisten Fragen konnte Herr Roschacher nicht antworten. Von einem Verfahren wusste er nicht einmal, dass es existiert12.» Er habe seine Fragen an den Bundesanwalt und nicht an den stellvertretenden Bundesanwalt, der sich immer wieder eingeschaltet habe, gerichtet.

Auf die Frage, warum er manchmal auf die Fragen des Präsidenten einfach geschwiegen habe, erklärte der Bundesanwalt, er habe an gewissen Stellen geschwiegen, weil ihm einfach nicht mehr zum Reden zu Mute gewesen sei. Er sei nicht davon ausgegangen, dass man ihn in Bellinzona einem Verhör aussetzen bzw.

einer Prüfung über Details in den fraglichen Fällen unterziehen würde. Deshalb habe er einige Details in seiner Stellungnahme nachgeliefert. Nach Angabe des stellvertretenden Bundesanwalts seien sie mit der Vorstellung nach Bellinzona gegangen, es gehe um Fragen der Rechtmässigkeit der Verfahrensführung in diesen 18 Verfahren, was aber nicht der Fall gewesen sei.

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Den Ablauf der Anhörung schilderte der stellvertretende Bundesanwalt und spätere Leiter ad interim der Bundesanwaltschaft wie folgt: «Wir wurden in den Gerichtssaal gebeten.

Die Beschwerdekammer sass auf den Sitzen, wo sonst die Strafkammer tagt, Herr Hochstrasser sass auf dem Präsidentensitz, überhöht. Vor ihm sass der Gerichtsschreiber mit dem Laptop. Man stellte ein Mikrofon auf und sagte uns, diese Anhörung werde aufgezeichnet. Wir mussten auf den Plätzen für die Parteien Platz nehmen.» Zur Art der Befragung ist dem Wortprotokoll zum Beispiel zu entnehmen: «Fels: Darf ich ...; Hochstrasser: Ja. Fels: ... eine Frage stellen? Sie haben gesagt, [...] ob unter Umständen Missstände ...; Hochstrasser: Ist das eine Frage? Fels: Ja, eine Frage. Wenn Sie ...; Hochstrasser: Also, Sie können Bemerkungen anbringen, aber Fragen stellen wir. Fels: Okay, ich nehme das zur Kenntnis.» Zum Verfahren «Door», das vom Präsidenten zunächst nicht mit Namen bezeichnet wurde, ist dem Wortprotokoll zu entnehmen: «Hochstrasser: Das Untersuchungsrichteramt meldet 18 abgeschlossene Voruntersuchungen im Jahr 2005. Sie sagen mir, es sind 17. Was soll ich jetzt glauben? Bertossa: Il y en a un qui était communiqué sans «Anklageschrift». Hochstrasser: Ich will es von ihm hören. ...» Später kommt der Präsident nochmals auf dieses Verfahren zurück: «Roschacher: war zuerst ein Gesamtverfahren. Das, was heute noch unter geführt wird, ist nicht mehr der Gesamtumfang des Beginnes. Und ein Teil wurde dem Kanton Zürich abgetreten. Und ich nehme an ­ ich kann es jetzt nicht mit absoluter Sicherheit sagen ­, das war der Bereich , der nach Zürich delegiert wurde.» (vgl. zum Verfahren «Door» Ziff. 2.1.4 und 2.1.5, Fussnoten).

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g. Vorabinformation an das EJPD Am 4. Mai 2006 fand zwischen dem Beschwerdekammerpräsidenten und dem Generalsekretär EJPD ein Mailwechsel statt, der EJPD-seitig im Personaldossier des Bundesanwalts abgelegt ist, d. h. vom EJPD als personalrechtlich relevant eingestuft wurde. Der Generalsekretär EJPD sprach den Präsidenten der Beschwerdekammer auf die Abklärungen der Beschwerdekammer im Zusammenhang mit einer anderen Angelegenheit an, in der das EJPD prüfe, ob es angezeigt erscheine, einen ausserordentlichen Staatsanwalt für weitere Untersuchungen einzusetzen, und erwähnte, gleichzeitig seien die Resultate der Anhörung des Bundesanwaltes vom 27. April 2006 für das EJPD von Bedeutung. In seinem Antwortmail orientierte der Präsident der Beschwerdekammer den Generalsekretär EJPD über den Stand der Abklärungen der anderen Angelegenheit. Bezüglich der Anhörung in Sachen fehlende Anklagen teilte er mit, dass er sich für die Ausarbeitung des Berichts noch einige Zeit ausbedingen müsse, und fügte an: «Ohne das Resultat vorwegzunehmen ­ die Beschwerdekammer wird den Bericht absegnen müssen ­ kann ich Ihnen meine persönliche Meinung vorweg bekanntgeben: es scheint mir, dass die Bundesanwaltschaft in dem Sinne schlecht geführt wird, als der selbst der gute Wille fehlt, unter den gegebenen gesetzlichen, prozessrechtlichen und ressourcenmässigen Voraussetzungen das Bestmögliche herauszuholen. Vielmehr sucht man überall (Prozessrecht, URA, Strafkammer, Beschwerdekammer, EJPD) den Grund für die ­ offensichtlich ­ mangelnden Arbeitsresultate, nur nicht bei sich selbst. Ein solches Verhalten der ­ ganz abgesehen von der Tatsache, dass es an effektiver operativer Führung dramatisch mangelt [...] ­ überträgt sich negativ auf die ganze Belegschaft, wodurch mit den bestehenden Ressourcen alles andere als optimal gearbeitet wird.

Es ist Sache der administrativen Aufsicht, aus dieser Situation die Konsequenzen zu ziehen.» h. Weiterer Verfahrensablauf Am 3. Mai 2006 ersuchte der Bundesanwalt den Präsidenten der Beschwerdekammer um Zustellung des Protokolls der Anhörung vom 27. April 2006, um dazu Stellung nehmen zu können. Mit Schreiben vom 14. Juni 2006 wurde der Bundesanwaltschaft das Protokoll «zur Kenntnis» sowie der Entwurf des Aufsichtszwischenberichts zur Stellungnahme zugestellt, ohne Fristansetzung,
jedoch mit dem Hinweis, dass der Aufsichtszwischenbericht am 20. Juni 2006 den Adressaten13 zugestellt werde. Mit Eingabe vom 16. Juni 2006 äusserte die Bundesanwaltschaft ihre Bedenken zu diesem Vorgehen und ersuchte um Gewähr des rechtlichen Gehörs sowie die Ansetzung einer Frist von 30 Tagen für eine Stellungnahme zum Berichtsentwurf. Am 19. Juni 2006 räumte der Präsident der Beschwerdekammer dem Bundesanwalt Frist zur Stellungnahme bis 26. Juni 2006 ein (7 Tage). Der Bundesanwalt reichte am 26. Juni 2006 eine detaillierte Stellungnahme zum Berichtsentwurf ein (vgl. Ziff. 2.1.5).

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Siehe Fussnote 7.

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Der Generalsekretär EJPD wurde von der Beschwerdekammer darüber informiert, dass der Bericht eine Verzögerung erfahren werde. Am 25. Juni 2006 schrieb der Generalsekretär EJPD dem Beschwerdekammerpräsidenten, diese Verzögerung sei für das EJPD weiter nicht wichtig. Er bat aber «aufgrund der verschiedenen Gespräche, die wir im Moment führen», darum, ihm bis am Mittag des folgenden Tages einige Fragen zu beantworten. Unter anderem wollte er wissen, wer Auftraggeber und Adressat des Berichtes sei und ob der Bericht bzw. eine Medienmitteilung veröffentlicht werde. Am 26. Juni 2006 erhielt der Generalsekretär von einem Gerichtsschreiber des Bundesstrafgerichts zur Antwort, hauptsächlicher Anlass des Berichts sei der Antrag der Gerichtsleitung vom 4. April 2006 an die Beschwerdekammer, entsprechende Abklärungen zu treffen. «Daneben erfolgen die Abklärungen auch für das EJPD als administrative Aufsichtsbehörde als Grundlage allfälliger, seitens des Departements bzw. des Bundesrats zu treffender Massnahmen (vgl. in diesem Zusammenhang auch Ihr Schreiben vom 27. April 2006).» Da die Beschwerdekammer bezüglich ihrer aufsichtsrechtlichen Tätigkeiten unabhängig entscheide, erscheine es ihr indessen unsachgemäss, von einem eigentlichen «Auftraggeber» zu sprechen.

Am 28. Juni 2006 gab die Beschwerdekammer in einer Pressemitteilung eine Verzögerung des angekündigten, nicht zur Publikation bestimmten Berichts infolge einer «äusserst umfangreichen Eingabe» der Bundesanwaltschaft bekannt. Der Aufsichtszwischenbericht «Anklagen» vom 14. Juli 2006 wurde ohne nennenswerte Änderungen aufgrund der Stellungnahme der Bundesanwaltschaft vom 26. Juni 2006 den Adressaten (vgl. Ziff. 2.1.1, Fussnote 7) zugestellt. In einem Zusatzkapitel nahm der Bericht die Anträge und einige Einwände der Stellungnahme der Bundesanwaltschaft auf und wies sie vollumfänglich zurück.

Am 17. Juli 2006 gab die Beschwerdekammer in einer Pressemitteilung bekannt, sie habe ihren Bericht zu den Vorwürfen betreffend die geringe Anzahl der von der Bundesanwaltschaft erhobenen Anklagen abgeschlossen, und teilte mit: «Im Bericht stellt die Beschwerdekammer fest, dass die heutige Situation unbefriedigend ist und zeigt die aufgrund der getroffenen Abklärungen dafür massgeblichen Gründe auf.

Der Bericht wurde sämtlichen Behörden zugestellt, die für die Bereinigung der Situation zuständig sind.»

2.1.4

Inhalt und Schlussfolgerung des Berichts

Da der Aufsichtszwischenbericht «Anklagen» der Beschwerdekammer nicht veröffentlicht wurde, werden der Inhalt und die Schlussfolgerungen des Berichts im Folgenden zusammengefasst oder auszugsweise wiedergegeben.

In der Ausgangslage geht der Bericht zunächst vom Konzept-Bericht zur Umsetzung der Effizienzvorlage vom 12. Mai 2000 aus (Konzept-Bericht EffVor). Gemäss diesem Konzept-Bericht sei die Bundesanwaltschaft für das Jahr 2002 noch von keiner Anklage ausgegangen. Für das Jahr 2005 habe der Konzept-Bericht allein für die beiden Bereiche Organisierte Kriminalität (OK) und Wirtschaftskriminalität (WK) zusammen mindestens 40 Anklagen in Aussicht gestellt. Darin sei nicht

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berücksichtigt, dass der Konzept-Bericht für das Jahr 2005 überdies 35 Verfahren im Zusammenhang mit dem Tatbestand der Geldwäscherei vorhergesagt habe.14 Weiter führt der Bericht den gemäss Konzept-Bericht 2000 vorgesehenen Personalausbau zur Behandlung der prognostizierten Verfahren an und weist darauf hin, dass per Ende 2004 bei der Bundesanwaltschaft 84,9 neu geschaffene Stellen (gemäss Konzept-Bericht waren 79 Stellen geplant gewesen), und bei der BKP 285 neue Stellen (Konzept-Bericht: 318,2 geplante Stellen) für die neuen Bundeskompetenzen vorhanden waren.

Trotz des Ausbaus der Bundesanwaltschaft und der BKP habe sich bereits kurz nach der Arbeitsaufnahme des Bundesstrafgerichts am 1. April 2004 gezeigt, dass die Erwartungen im Hinblick auf Anklagen stark relativiert werden mussten. Im Jahr 2004 sei lediglich in sechs Verfahren Anklage am Bundesstrafgericht erhoben worden. Aufgrund dieser Sachlage habe der Präsident des Bundesstrafgerichts im November 2004 neue Prognosen für die Jahre 2005 bis 2009 verlangt. Mit Antwort vom 21. Dezember 2004 habe die Bundesanwaltschaft für das Jahr 2005 zwischen 14 (pessimistisch) und 20 (optimistisch) Anklagen prognostiziert.15 Doch seien in der Folge im Jahr 2005 lediglich sieben Anklagen, davon zwei im Bereich der neuen Kompetenzen, eingetroffen.

Der Bericht macht sodann Ausführungen zu Entstehung und Auftrag der vorliegenden Untersuchung.

In Bezug auf die Zuständigkeit nimmt der Bericht Stellung zu der von der Bundesanwaltschaft in ihrem Schreiben vom 20. April 2006 aufgeworfenen Frage, ob und wieweit sich die fachliche Aufsicht der Beschwerdekammer über die Bundesanwaltschaft auch über die Phase der Anklageausarbeitung nach Abschluss des gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahrens und der nachfolgenden Voruntersuchung erstrecke. Nach dem Gesetzeswortlaut führt die Beschwerdekammer die Aufsicht über die Ermittlungen der gerichtlichen Polizei und die Voruntersuchung in Bundesstrafsachen (Art. 28 Abs. 2 SGG16). Die Beschwerdekammer bejaht ihre fachliche Aufsichtszuständigkeit in dieser Phase und führt zur Begründung unter anderem aus: «Zu beachten ist im Weiteren, dass nach einhelliger Auffassung die Bundesanwaltschaft in jeder Phase ihrer Tätigkeit der administrativen Aufsicht des Bundesrates (Art. 14 Abs. 1 BStP) untersteht. Von einem in fachlicher Hinsicht aufsichtsfreien 14

15

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Eine Überprüfung dieser Zahlen ergibt, dass diese aufgrund von falschen Berechnungen massiv überhöht sind. Aus der von der Beschwerdekammer angegebenen Fundstelle (Konzept-Bericht EffVor, S. 35) ist zu errechnen, dass im Jahr 2000 davon ausgegangen wurde, dass im Jahr 2005 13 OK-Fälle und 3 WK-Fälle erledigt werden könnten, wobei von den Erledigungen mit ca. 25 % Einstellungen, Übernahmen durch das Ausland und Abtretungen an einen Kanton gerechnet wird, d. h. die Anzahl Anklagen demnach für die beiden Bereiche zusammen ca. bei 12 und nicht bei 40 liegen würde. Im Bereich Geldwäscherei wurden 13 Erledigungen prognostiziert. Im Rahmen der rollenden Planung unter Einbezug der Entwicklungen (insbesondere der in der Realität markant längeren Verfahrensdauer von drei statt wie im Konzept-Bericht angenommen zwei Jahren) wurden am 30.6.2004 für das Jahr 2005 insgesamt 15 Anklagen prognostiziert.

Nicht erwähnt wird im Bericht, dass die Bundesanwaltschaft in ihrem Schreiben vom 21.12.2004 ausdrücklich darauf hinwies, dass die Prognosen nur unter einem mehrfachen Vorbehalt abgegeben werden könnten. Die getroffenen Annahmen seien optimistisch und nur unter günstigen Voraussetzungen (genügend Ressourcen, effiziente Verfahrensführung) erreichbar. Insbesondere hänge die Entwicklung zu einem hauptsächlichen Teil von den 51 beim URA hängigen Voruntersuchungen ab.

Bundesgesetz über das Bundesstrafgericht vom 4.10.2002 (Strafgerichtsgesetz SGG, SR 173.71).

2000

Verfahrensstadium ausgehen zu wollen, würde eine sachlich wenig überzeugende Divergenz zur administrativen Aufsicht schaffen und der administrativen Aufsichtsbehörde ­ mangels der Möglichkeit von Abklärungen im fachlichen Bereich ­ das Ergreifen von disziplinarischen und personalrechtlichen Massnahmen bei Vorliegen eines Missstandes während eben dieses Verfahrensstadiums verunmöglichen (letztlich erfolgen die nachstehenden Abklärungen deshalb auch als Grundlage für eine Entscheidfindung der administrativen Aufsichtsbehörde).» Der Hauptteil des Berichts betrifft Ausführungen zu den 18 vom URA im Jahr 2005 abgeschlossenen Verfahren. In sechs Fällen kritisiert der Bericht, die Anklagen seien gegenüber der von der Bundesanwaltschaft abgegebenen Prognose verspätet eingetroffen oder seit längerem erwartet worden oder würden immer noch erwartet.

Sechsmal wird dem Bundesanwalt vorgeworfen, er sei anlässlich der Anhörung vom 27. April 2006 über den Stand von Verfahren nicht genügend informiert gewesen bzw. informiert worden. Fünfmal kritisiert der Bericht, die gesamte Verfahrensdauer sei zu lange gewesen, wobei in zwei Verfahren daraus Zweifel an Sorgfalt und Effizienz der Verfahrensführung abgeleitet wurden, in einem Verfahren wird zudem gefolgert, der Ressourceneinsatz auf Bundesebene erscheine nicht sinnvoll. Fünfmal werden geringfügige administrative Unzulänglichkeiten gerügt (Operationsnamen nicht oder unkonsequent verwendet, ein falsches Datum aufgeführt, ein fehlender Fallbericht).17 Die abschliessende Analyse des Berichts gelangt zu folgenden Schlüssen: «Das Strafverfolgungssystem des Bundes (bestehend aus BKP, Bundesanwaltschaft und Untersuchungsrichteramt) erreicht im Ergebnis in gravierender Weise weder die ursprünglich prognostizierten noch die später korrigierten Annahmen in Bezug auf die Anklagen vor der Strafkammer des Bundesstrafgerichts.

Die offensichtlich ungenügende Anzahl Anklagen kann ihre Ursache grundsätzlich bei jeder der drei vorgenannten Behörden haben. Allerdings lassen die bisherigen und laufenden Abschlüsse des Untersuchungsrichteramts (auch wenn diese unbestrittenermassen noch weiter erhöht werden müssen) sowie die vorstehenden Abklärungen darauf schliessen, dass die Verantwortung in erster Linie bei der Bundesanwaltschaft zu lokalisieren ist. So enttäuscht(e) letztere als verfahrensdominante Behörde wiederholt und auch auf kurze Frist hin die von ihr selbst geschaffenen Erwartungen in Bezug auf die zu erhebenden Anklagen.

17

Anhand des Verfahrens «Door» wird hier aufgezeigt, in welcher Art die durchgeführte Überprüfung erfolgte. Der Bericht hält zu diesem Verfahren fest: «Es handelt sich um ein Verfahren, das der Beschwerdekammer durch die Bundesanwaltschaft nicht gemeldet worden ist. Der Bundesanwalt führte in seinem Schreiben vom 20.4.2006, S. 4, aus, es seien nur 17 Verfahren abgeschlossen worden; das Verfahren wird ­ allerdings ohne weitere Ausführungen ­ lediglich kurz im Zusammenhang mit dem Verfahren erwähnt. Auch anlässlich der Anhörung vom 27.4.2006 vermochte der Bundesanwalt keine gesicherten Aussagen zum fraglichen Verfahren zu tätigen (Protokoll, S. 21). Die Beschwerdekammer weist darauf hin, dass entgegen den schriftlichen Ausführungen des Bundesanwalts auch dieses Verfahren im Jahr 2005 abgeschlossen wurde. Der Abschluss erfolgte dabei mittels Abtretung an den Kanton Zürich. Zieht man in Betracht, das diese Abtretung nur durch die Bundesanwaltschaft erfolgen konnte, ist festzustellen, dass der Bundesanwalt auch in diesem Verfahren intern unvollständig und/oder unrichtig instruiert worden ist (vgl. demgegenüber den erstmaligen Erklärungsversuch des Bundesanwalts in seiner letzten Stellungnahme vom 26.6.2006, S. 33­35).» (vgl. Ziff. 2.1.3 g und 2.1.5, Fussnoten).

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Namentlich seit der im Jahre 2004 beim Untersuchungsrichteramt festgestellte personelle Unterbestand behoben werden konnte, zeichnet sich immer deutlicher ab, dass es primär an der Bundesanwaltschaft (samt den an den Ermittlungen mitwirkenden Teilen der BKP) liegt, dass weder den eigenen Voraussagen entsprechende noch ganz allgemein Resultate erbracht werden konnten, wie sie von einer Behörde dieses Umfanges erwartet werden dürfen. Die Beschwerdekammer ist sich dabei bewusst, dass die Bundesanwaltschaft nicht mehr Anklagen erheben kann, als das Untersuchungsrichteramt Voruntersuchungen abschliesst (insgesamt 24 in den Jahren 2004 und 2005; [...]). Umgekehrt gilt indessen, dass das Untersuchungsrichteramt nicht mehr Voruntersuchungen beenden kann, als die Bundesanwaltschaft beantragt (insgesamt 57 in den Jahren 2004 und 2005 [...]). Die Bundesanwaltschaft hat damit auch hier eine dominierende Stellung inne.

Für die geschilderte, unbefriedigende Situation bestehen zum Teil Gründe, die ausserhalb der Einflussmöglichkeiten der Bundesanwaltschaft liegen, insbesondere solche verfahrensstruktureller Art wie die Zweiteilung des Verfahrens in Ermittlungsverfahren und Voruntersuchung und der damit zwingend einhergehende Handwechsel zwischen zwei verschiedenen Behörden bzw. die veraltete Bundesstrafprozessordnung im Allgemeinen. Erschwerend dürfte sich überdies auswirken, dass die Mitarbeiter der Bundesanwaltschaft verschiedenen Landesteilen bzw. unterschiedlichen kantonalen Rechtstraditionen entstammen und die Bundesanwaltschaft in hohem Masse von Rechtshilfehandlungen ausländischer Behörden abhängig ist, auf deren rasche Behandlung sie nur beschränkten Einfluss ausüben kann. Letztlich waren der Bundesanwaltschaft indessen alle diese Umstände bei der Erstellung ihrer Prognosen bekannt, wurden jedoch offensichtlich unrichtig eingeschätzt.

Wie bereits im Aufsichtsbericht 2005 festgehalten, sind bei der Bundesanwaltschaft daneben aber auch fachliche Führungsmängel festzustellen. Diese äussern sich namentlich in: ­

fehlender Präzision der von der Bundesanwaltschaft vorgenommenen Prognosen ­ ein Umstand, der die Vertrauenswürdigkeit jeder weiteren Aussage und damit die Glaubwürdigkeit der Bundesanwaltschaft selbst ernstlich in Frage stellt;

­

einer Vielzahl kleiner, für sich selbst unbedeutender Unzulänglichkeiten und Widersprüche, die aufzeigen, dass die vom Bundesanwalt vorgegebenen Abläufe und Direktiven von den Mitarbeitern nicht befolgt oder umgesetzt werden (können; [...]);

­

der unter anderem daraus resultierende Erkenntnis, dass innerhalb der Bundesanwaltschaft offenbar ähnliche Verhaltensmuster gepflegt werden, wie sie die Bundesanwaltschaft bzw. deren Direktion im Aussenverhältnis, namentlich gegenüber der Beschwerdekammer als Aufsichtsbehörde, an den Tag legt. So wird systematisch und explizit die vorgesetzte Behörde in Frage gestellt. In diesem Sinne zweifelte die Direktion der Bundesanwaltschaft wiederholt die Zuständigkeit der Beschwerdekammer an (beispielsweise im Zusammenhang mit den verlangten Haftmitteilungen; [...]), obschon die Situation in rechtlicher Hinsicht zu keinen Zweifeln Anlass gab. Als gravierend erachtet die Beschwerdekammer in diesem Zusammenhang auch, dass Weisungen von den Staatsanwälten des Bundes ganz offen

2002

nicht befolgt werden. So musste festgestellt werden, dass einzelne Staatsanwälte trotz wiederholter Beanstandung an der regelmässigen Teilnahme an Einvernahmen des Untersuchungsrichteramts festhalten [...]. Vor diesem Hintergrund vermag es nicht zu erstaunen, dass die gleichen Staatsanwälte auch den internen Direktiven und Anweisungen keine Folge leisten. Einer Führung, die sich ihrerseits der Aufsicht nicht unterzieht, wird von den eigenen Mitarbeitern kaum viel Respekt entgegen gebracht.

Mit einem gewissen Befremden stellt die Beschwerdekammer schliesslich fest, dass insbesondere der Bundesanwalt und seine engsten Mitarbeiter die Ursache der ausbleibenden Anklagen überall sonst, nur nicht bei der eigenen Behörde orten. Der Mangel an Anklagen wird als unvermeidbare Folge der Unzulänglichkeit des bestehenden, prozessualen Systems empfunden. Die Schwerfälligkeit dieses Systems kann das Ausmass des ausbleibenden Erfolgs jedoch nicht erklären, zumal es an einzelnen Staatsanwälten liegen würde, durch entsprechendes Verhalten das Verfahren während der Voruntersuchung nicht zusätzlich und arbeitsaufwändig auszudehnen. Der aus dieser Haltung resultierende Motivationsmangel führt dazu, dass aus der gegenwärtigen ­ eventuell verbesserungswürdigen ­ Situation nicht das Beste gemacht wird. Im Übrigen hat die Beschwerdekammer schon in ihrem Aufsichtsbericht 2005 darauf hingewiesen, dass sich die Bundesanwaltschaft, wenn sie sich über fehlende Ressourcen beklagt, auf das Kerngeschäft konzentrieren möge [...]. Es entzieht sich der Kenntnis der Beschwerdekammer, welche fachlichen Führungsmassnahmen der Bundesanwalt inzwischen getroffen hat, um dem nachzukommen.» Der Bericht schliesst mit der Schlussfolgerung: «Das klar ungenügende Resultat lässt sich in Anbetracht der vorhandenen Ressourcen vernünftigerweise nicht erklären. Verantwortlich dafür ist letztlich der Bundesanwalt als Leiter der Bundesanwaltschaft und Aufsichtsinstanz über die BKP. Fraglich ist, ob eine deutliche Erhöhung der Abschlüsse durch die Bundesanwaltschaft möglich ist, solange deren Führung sich und die Bundesanwaltschaft insgesamt als ausgelastet bzw. überlastet erachtet und keine Verbesserungsnotwendigkeit im eigenen Hause sowie kein Potential für eine substanzielle Erhöhung der Anklagen erkennt.»

2.1.5

Stellungnahme der Bundesanwaltschaft vom 26. Juni 2006 zum Berichtsentwurf

Zur Frage der Zuständigkeit der Beschwerdekammer bemängelte die Bundesanwaltschaft zunächst, der Berichtsentwurf setze sich nicht im Sinne einer fachlichen, materiellen Aufsicht mit Fragen der Untersuchungsmethoden und der Einhaltung der allgemeinen Verfahrensgrundsätze auseinander. Stattdessen überprüfe die Beschwerdekammer mit vorliegendem Bericht unzuständigerweise die Umsetzung der Effizienzvorlage, obwohl zurzeit im Auftrag des EJPD eine umfassende Analyse zu Handen des Bundesrates und des Parlamentes im Gange sei («Situationsanalyse EffVor», siehe Ziff. 2.4). Dies sei problematisch, weil das Bundesstraf2003

gericht selber nebst der BKP, der Bundesanwaltschaft und dem URA Teil des mit der Effizienzvorlage geschaffenen Systems sei und per se auch Eigentinteressen habe. Die Beschwerdekammer könne deshalb systembedingt keine objektive Bewertung der Umsetzung der Effizienzvorlage abgeben. Mithin sei die Bundesanwaltschaft nicht verpflichtet, sich bezüglich erreichter oder nicht erreichter EffVor-Prognosen vor der Beschwerdekammer zu rechtfertigen. Im Rahmen dieser EffVor-Überprüfung werde im Bericht bezüglich einzelner Verfahren Zweifel an Sorgfalt und Effizienz der Verfahrensführung angebracht, ohne dass die entsprechenden Falldossiers vertieft geprüft und die Rolle aller beteiligten Behörden objektiv berücksichtigt worden seien. Ob aber ein Verfahren beförderlich zur Anklage komme, hänge nicht nur von der Bundesanwaltschaft ab, sondern auch von der ermittelnden Polizei, vom URA und der Beschwerdekammer selbst. Beispielsweise werde das URA, das mit 50 bis 60 Pendenzen belastet sei, von denen einige mehrere Jahre alt seien und in bestimmten Fällen die Verjährung drohe, ausgeblendet.

Im weiteren masse sich die Beschwerdekammer an, Führungsmängel in der Bundesanwaltschaft und des Bundesanwalts zu rügen. Die Beschwerdekammer nehme damit eine unzulässige Vermischung mit der dem EJPD zustehenden administrativen Aufsicht über die Bundesanwaltschaft vor. Der Bericht enthalte bereits abschliessende und nicht fundierte Antworten auf Fragen der Führung und Leitung der Bundesanwaltschaft, obwohl im Auftrag des EJPD eine Administrativuntersuchung im Gange sei (Administrativuntersuchung «Lüthi», siehe Ziff. 2.3), mit welcher die finanziellen, führungstechnischen und organisatorischen Belange innerhalb der Bundesanwaltschaft überprüft würden. Aussagen des Präsidenten der Beschwerdekammer würden belegen, dass sich die Beschwerdekammer vorliegend in einem unzulässigen Auftragsverhältnis bzw. einer Zudienerschaft zur Exekutive (EJPD) befinde. Es sei nicht nachvollziehbar, dass sich der Präsident der Beschwerdekammer nicht dem «Koordinationsbegehren» des Vorstehers EJPD entgegenstelle und stattdessen für diesen stellvertretungweise Untersuchungshandlungen vornehme. Die vom Parlament im Gesetz bewusst vorgenommene aufsichtsrechtliche Trennung dürfe nicht durch eine Vereinbarung oder Absprache zwischen dem Beschwerdekammerpräsidenten
und dem Vorsteher EJPD umgangen werden.

Der in der «Analyse» des Aufsichtszwischenberichts mehrfach erhobene Vorwurf von Führungsmängeln in der Bundesanwaltschaft sei im Ergebnis unbegründet. Die Beschwerdekammer ziehe aus der angeblich fehlenden Präzision der Prognosen der Bundesanwaltschaft die Schlussfolgerung, diese sei «ein Umstand, der die Vertrauenswürdigkeit jeder weiteren Aussage und damit die Glaubwürdigkeit der Bundesanwaltschaft selbst ernstlich in Frage» stelle, obwohl die Beschwerdekammer die erwähnten Prognosen verlangt habe und die Bundesanwaltschaft immer wieder auf die Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten solcher Prognosen hingewiesen habe und obwohl die Projektoberleitung EffVor, in der auch ein Mitglied des Bundesstrafgerichts vertreten ist, schon vor Jahren von Verfahrensprognosen abgesehen habe. Im Weiteren ziehe die Beschwerdekammer ihre Schlussfolgerung, die Führungsmängel zeigten sich in einer Vielzahl kleiner, für sich unbedeutender Unzulänglichkeiten und Widersprüche, die aufzeigten, dass die vom Bundesanwalt vorgegebenen Abläufe und Direktiven von den Mitarbeitern nicht befolgt werden (könnten), ohne mit irgendjemandem von der Bundesanwaltschaft Rücksprache genommen zu haben, ohne jedweden Hinweis und ohne Begründung, um welche Abläufe und Direktiven es gehe und inwieweit diese nicht befolgt würden. Zur weiteren Schlussfolgerung, «dass innerhalb der Bundesanwaltschaft offenbar ähn2004

liche Verhaltensmuster gepflegt werden, wie sie die Bundesanwaltschaft bzw. deren Direktion im Aussenverhältnis, namentlich gegenüber der Beschwerdekammer als Aufsichtsbehörde, an den Tag legt», meinte die Bundesanwaltschaft, die Beschwerdekammer leite in objektiv nicht nachvollziehbarer Weise einzig aus der sachlich gestellten und berechtigten Frage nach Bestand und Umfang der Zuständigkeit der Beschwerdekammer ein generelles, vermutungsweise («offenbar») auch für das Innenverhältnis geltendes, rentitentes Verhaltensmuster der Bundesanwaltschaft und ihrer Mitarbeitenden ab.

Am meisten befremdet äusserte sich die Bundesanwaltschaft jedoch über die Ausführungen der Beschwerdekammer, wonach es diese als gravierend erachte, «dass Weisungen von den Staatsanwälten des Bundes ganz offen nicht befolgt werden», und diese Aussage auf der Feststellung beruhe, «dass einzelne Staatsanwälte trotz wiederholter Beanstandung [des Beschwerdekammerpräsidenten] an der regelmässigen Teilnahme an Einvernahmen des URA festhalten». Die Teilnahme des Staatsanwaltes des Bundes an den Untersuchungshandlungen des URA sei ein gesetzliches Parteirecht und eine fundamentale Komponente des Strafverfahrens. Der Staatsanwalt sei grundsätzlich frei, über die Wahrnehmung seiner Parteirechte zu entscheiden. Wollte man den Staatsanwalt des Bundes durch Weisung oder Direktive daran hindern, läge eine Rechtsverletzung und eine Verletzung des Prinzips der Waffengleichheit vor. Der von der Beschwerdekammer ebenfalls gezogene Schluss, dass wenn der Staatsanwalt seine gesetzlichen Rechte und Pflichten wahrnehme und sich nicht der offenkundig verfehlten Auffassung des Beschwerdekammerpräsidenten beuge, er folglich auch internen Direktiven und Anweisungen nicht Folge leiste und somit ein Führungsmangel des Bundesanwalts vorliege, sei rechtlich und sachlich falsch. In gleicher Weise fehlgeleitet sei auch der Vorwurf, das Ausmass des ausbleibenden Erfolges sei auch dadurch zu erklären, dass einzelne Staatsanwälte durch entsprechendes Verhalten das Verfahren während der Voruntersuchung zusätzlich und arbeitsaufwändig ausdehnen würden. Mit Blick auf die später von ihm zu vertretenden Anklagen sei es die Pflicht des Staatsanwalts, für eine umfassende Durchführung der Untersuchungshandlungen und eine vollständige Abklärung des rechtserheblichen
Sachverhalts besorgt zu sein. Gerade in Verfahren, welche vom zuständigen Untersuchungsrichter über Monate nicht vorangetrieben würden, sei eine Intervention des Staatsanwaltes im Rahmen seiner Parteirechte angebracht und notwendig. Dem Staatsanwalt des Bundes das Stellen von Beweisanträgen zum Vorwurf zu machen und ihn gar für Verfahrensverzögerungen verantwortlich zu machen, sei rechtlich falsch und sachlich nicht nachvollziehbar.

Zu den Ausführungen des Berichts betreffend die 18 vom URA im Jahr 2005 abgeschlossenen Verfahren führte die Bundesanwaltschaft eine Anzahl Berichtigungen, Ergänzungen und Kritiken an. In vielen Fällen handelte es sich dabei um Erklärungen, warum die Einreichung einer Anklage um Tage oder Wochen verzögert wurden (Abwarten eines Bundesgerichtsurteils oder einer Ermächtigung durch das EJPD, Überbelastung des zuständigen Ermittlerteams durch andere Verfahren in ermittlungsintensiven Stadien usw.), oder um Klarstellungen von Detailinformationen, die in der Anhörung vom 27. April 2006 unklar geblieben waren. Mehrfach wehrte sich die Bundesanwaltschaft gegen Vorwürfe der Beschwerdekammer im Bericht, der

2005

Bundesanwalt sei unzureichend informiert gewesen bzw. habe einen uninformierten Eindruck erweckt.18 Im Weiteren warf die Bundesanwaltschaft in ihrer Stellungnahme die Frage einer allfälligen Befangenheit des Beschwerdekammerpräsidenten auf, ohne allerdings ein konkretes Ausstandsbegehren an die Beschwerdekammer zu stellen, jedoch in der Meinung, dass diese die Frage von sich aus prüfen würde. Nach Meinung der Bundesanwaltschaft erweckten die konkreten Umstände und das Verhalten des Präsidenten der Beschwerdekammer, der in der vorliegenden Untersuchung federführend war, den Verdacht einer Befangenheit. Aufgrund des vorliegenden Berichts sehe sich die Bundesanwaltschaft mit ungerechtfertigten, die Grundsätze der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit verletzenden Beurteilungen konfrontiert, welche dem Ansehen und Bestand der Bundesanwaltschaft massiven Schaden zufügen könnten.

Dass es dem Beschwerdekammerpräsidenten unter Umständen an der notwendigen Unvoreingenommenheit gegenüber der Bundesanwaltschaft seit längerem fehle, erweckten folgende objektiven Gründe und Umstände:

18

­

Obwohl anlässlich einer Aussprache mit dem Vorsteher EJPD am 16. Januar 2006 zum Thema EffVor und Rechtshilfe unbestrittenermassen festgestellt worden sei, dass das zweistufige Bundesstrafverfahren und der Pendenzenberg bzw. die Ressourcenknappheit beim URA die Gründe für die tiefe Anklagenzahl seien, revidiere der Beschwerdekammerpräsident seine diesbezügliche falsche Auffassung nicht und vertrete sie wider besseres Wissen weiterhin in seinem Aufsichtsbericht 2005.

­

Man habe den Eindruck, dass sich der Beschwerdekammerpräsident belegten Gegenargumenten verschliesse und seine einmal gefasste Meinung über die Gründe der tiefen Anklagenzahl auch unter Verletzung von Kompetenzvorschriften weiter vertreten und öffentlich machen wolle. Da im Übrigen eine zeitliche Dringlichkeit des Aufsichtszwischenberichts nicht ersichtlich sei, schliesse man, dass das Ziel dieses Berichts sei, die überwiegende Verantwortlichkeit für die tiefe Anklagenzahl der Bundesanwaltschaft anzulasten.

­

Ein tendenziöses Vorgehen zum Nachteil der Bundesanwaltschaft sehe man auch in der Art der Anhörung bzw. des «Verhörs» vom 27. April 2006.

Stellvertretend für die 18 Verfahren wird hier wiederum das Verfahren «Door» herausgegriffen: Die Bundesanwaltschaft erklärte, das Verfahren sei während der Voruntersuchung durch das URA, also nicht durch die Bundesanwaltschaft, vom Verfahren «Flat» abgetrennt worden. Das URA habe der Bundesanwaltschaft zwar mitgeteilt, dass das Verfahren abgetrennt wurde, nicht aber, dass es an den Kanton Zürich abgetreten wurde und somit erledigt sei. Deshalb sei das Verfahren bis Anfang April 2006 als hängige Voruntersuchung auf der gemeinsamen Verfahrensliste geblieben. Erst auf Anfrage der Bundesanwaltschaft am 10.4.2006 habe sich herausgestellt, dass «Door» von Zürich übernommen worden war. Daraus den Schluss zu ziehen, der Bundesanwalt sei intern unvollständig und/oder unrichtig instruiert worden, sei mehr als nur abwegig. Das URA habe den Fall ohne formelle Mitteilung an den zuständigen Staatsanwalt abgetreten, was nicht dem BA angelastet werden könne. In der Schlussversion des Berichts erfolgte keine Korrektur. Nicht korrigiert wurde insbesondere die offensichtlich unrichtige Aussage im Bericht, die Abtretung an den Kanton Zürich habe nur durch die BA erfolgen können, woraus gefolgert wurde, dass der Bundesanwalt auch in diesem Verfahren intern unvollständig und/oder unrichtig instruiert worden sei (vgl. Ziff. 2.1.3 f und 2.1.4, Fussnoten).

2006

­

Der Beschwerdekammerpräsident habe der Bundesanwaltschaft den Berichtsentwurf am 14. Juni 2006 nur pro forma zugestellt, da eine Fristansetzung für die Stellungnahme fehlte und der Versand auf den 20. Juni 2006 angekündigt wurde. Offenbar werde einer Stellungnahme der Bundesanwaltschaft von vornherein keinerlei Bedeutung beigemessen.

­

Dass es zwischen dem Beschwerdekammerpräsidenten und dem Vorsteher EJPD ein Auftragsverhältnis gebe, sei offen zutage getreten, als sie am Pfingstmontag in einem gemeinsamen Pressecommuniqué Aufsichtsmassnahmen ankündigten, wobei der Beschwerdekammerpräsident im Alleingang und ohne Rücksprache mit der Beschwerdekammer gehandelt habe.

Schliesslich stellte die Bundesanwaltschaft die Anträge, die Beschwerdekammer solle vom Entwurf des Aufsichtszwischenberichts Abstand nehmen und auf dessen Versand und allfällige Veröffentlichung verzichten. Eventualiter sei der Bericht aufgrund der vorliegenden Stellungnahme zu überarbeiten und der Bundesanwaltschaft erneut zur Stellungnahme zu unterbreiten. Weiter sei von der Beschwerdekammer die Frage der Anklagenzahl als Thema der Umsetzung der Effizienzvorlage ausschliesslich in die laufenden Arbeiten des Projektausschusses «Situationsanalyse EffVor» einzubringen.

2.1.6

Replik der Beschwerdekammer zur Stellungnahme der Bundesanwaltschaft vom 26. Juni 2006

Nach Eingang der Stellungnahme der Bundesanwaltschaft vom 26. Juni 2006 ergänzte die Beschwerdekammer ihren Berichtsentwurf mit einer Replik zu den Einwänden der Bundesanwaltschaft. Die Beschwerdekammer stellt zunächst fest, dass diese wegen ihres Umfangs zu einer Verzögerung des Abschlusses des vorliegenden Berichts geführt habe. Kritisch äussert sich die Replik sodann in formeller Hinsicht zur französischen Übersetzung dieser Stellungnahme: «Ohne sich eingehend zur diesbezüglichen Prioritätensetzung der Bundesanwaltschaft äussern zu wollen, verleiht die Beschwerdekammer doch ihrem Erstaunen darüber Ausdruck, dass die Bundesanwaltschaft zwar offensichtlich über die notwendigen Ressourcen verfügt, innerhalb von lediglich eineinhalb Wochen eine nicht verlangte Übersetzung ihrer umfangreichen Stellungnahme zu veranlassen, sich unter Verweis auf Sparmassnahmen aber ausser Stande sieht, den eigenen, wesentlich kürzeren Tätigkeitsbericht für das Jahr 2005 zu übersetzen.» In materieller Hinsicht greift die Replik einzelne Einwände der Stellungnahme der Bundesanwaltschaft auf und weist diese vollumfänglich zurück. Zum Vorwurf, die Beschwerdekammer befinde sich in einem unzulässigen Auftragsverhältnis bzw.

einer Zudienerschaft zur Exekutive, verweist die Beschwerdekammer darauf, dass die vorliegenden Abklärungen nicht durch das EJPD, sondern von der Gerichtsleitung des Bundesstrafgerichts angeregt wurden. Weiter führt sie aus: «Restlose Klarheit über Sinn und Zweck der mit persönlichen Spitzen gegen die Beschwerdekammer bzw. deren Mitglieder versehenen Ausführungen des Bundesanwalts besteht nicht. Letztlich scheint damit aber beabsichtigt zu sein, einen Versuch politischer Einflussnahme durch den Vorsteher des EJPD bzw. einen entsprechenden Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz zu suggerieren und damit die Aufmerksamkeit der Delegation der Geschäftsprüfungskommissionen sowie des Parlaments weg von den eigentlichen Schwierigkeiten in der Bundesanwaltschaft und hin zu 2007

einer vermeintlichen, staatspolitisch brisanteren Gewaltentrennungsproblematik zu lenken.» Zu der von der Bundesanwaltschaft aufgeworfenen Frage einer möglichen Befangenheit des Beschwerdekammerpräsidenten äussert sich die Replik nicht.

Zum Einwand der Bundesanwaltschaft, die Beschwerdekammer habe Führungsmängel der Bundesanwaltschaft behauptet, ohne Rücksprache mit irgendjemandem von der Bundesanwaltschaft zu nehmen und ohne Begründung, um welche Abläufe und Direktiven, die angeblich nicht befolgt würden, es gehe, führt die Beschwerdekammer «der Vollständigkeit halber» folgende Beispiele zur Illustration an19: Obwohl die Beschwerdekammer mit Schreiben vom 9. März 2005 eine Weisung erteilt habe, welche Angaben bei Haftmitteilungen anzugeben seien, habe die Beschwerdekammer in der Folge feststellen müssen, dass nach wie vor nicht alle Mitteilungen die gewünschten Informationen enthielten.

Zur Kritik der Bundesanwaltschaft an den Weisungen der Beschwerdekammer betreffend die Teilnahme an Einvernahmen des URA gelte es klarzustellen, dass die Beschwerdekammer der Bundesanwaltschaft zu keinem Zeitpunkt das Parteirecht zur Teilnahme an sich abgesprochen habe, sondern allein die flächendeckende Teilnahme als unzweckmässige Art der Aufgabenerfüllung eingestuft habe. Im Übrigen obliege die Beurteilung der recht- und zweckmässigen Aufgabenerfüllung durch die Bundesanwaltschaft diesbezüglich der abschliessenden Kompetenz der Beschwerdekammer, und die Bundesanwaltschaft sei verpflichtet, sich derartigen Weisungen zu unterziehen.

Inhaltlich gab die Beschwerdekammer den Korrekturen, Einwänden und Kritiken der Stellungnahme der Bundesanwaltschaft in der Schlussversion des Berichts keine Folge.

2.1.7

Aufsichtseingabe der Bundesanwaltschaft

2.1.7.1

Gegenstand der Eingabe

Mit Schreiben vom 19. Juli 2006 wandte sich die Bundesanwaltschaft an die beiden GPK und reichte ihnen ihre Stellungnahme vom 26. Juni 2006 (vgl. Ziff. 2.1.5) und das Anhörungsprotokoll vom 27. April 2006 ein. Sie äusserte in ihrer Eingabe grosse Bedenken gegenüber dem Inhalt des Aufsichtszwischenberichts «Anklagen» sowie dessen Entstehung und machte geltend, sie sei darum besorgt, dass die Bundesanwaltschaft ihren gesetzlichen Auftrag in voller Handlungsfähigkeit erfüllen könne. Sie erachte es deshalb als ihre Pflicht, Handlungen, die geeignet seien, das Ansehen der Bundesanwaltschaft zu schädigen, entgegenzutreten und die Oberaufsicht auf Unstimmigkeiten hinzuweisen.

Die Bundesanwaltschaft bezeichnete in ihrer Eingabe das Vorgehen der Beschwerdekammer als ungewöhnlich. Im Justizbereich sei es üblich, dass die Aufsichtsbehörde nach eingehender Analyse allenfalls festgestellte Mängel direkt zusammen mit der beaufsichtigten Behörde bespreche und man dann im gemeinsamen Diskurs nach Verbesserungsmöglichkeiten suche und schliesslich ­ soweit erforderlich ­ konkrete Weisungen der zuständigen Aufsichtsbehörde erlassen werden. Das sei hier nicht 19

Zu diesen zusätzlichen Ausführungen ist anzumerken, dass sich die Bundesanwaltschaft dazu nicht vernehmen lassen konnte.

2008

geschehen. Die Bundesanwaltschaft sehe sich mit einem Bericht konfrontiert, der nicht darauf abziele, mögliche strafprozessuale Probleme im Ablauf der Strafverfahren zu diskutieren und zu lösen. Die Beschwerdekammer verschliesse sich weitgehend einer objektiven und ganzheitlichen Betrachtungsweise. Stattdessen werde die Bundesanwaltschaft als einzige der verschiedenen im System der Effizienzvorlage beteiligten Behörden der administrativen und führungstechnischen Ineffizienz bezichtigt. Der Bericht stehe zudem im Konkurrenzverhältnis zu den verschiedenen laufenden Untersuchungen (Situationsanalyse EffVor, vgl. Ziff. 2.4, Administrativuntersuchung «Lüthi», vgl. Ziff. 2.3, ausserordentliche Untersuchung zum Fall Ramos, vgl. Ziff. 2.2). Der Beschwerdekammerpräsident handle aufgrund unzutreffender Annahmen, wenn er die Ausübung von Aufsichtstätigkeiten, welche das Parlament per Gesetz getrennt habe, zusammengelegt habe. Zudem habe der Beschwerdekammerpräsident zur Frage seiner möglichen Befangenheit, die die Bundesanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 26. Juni 2006 aufwarf, im Aufsichtszwischenbericht nicht Stellung genommen, was für einen Richter schwer verständlich und zumindest unüblich sei. Zu den Beanstandungen der Bundesanwaltschaft wird im Weiteren auf ihre Stellungnahme vom 26. Juni 2006 verwiesen (vgl. Ziff. 2.1.5).

2.1.7.2

Zuständigkeit der GPK

Die GPK sind direkt und abschliessend zuständig zur Überprüfung von Eingaben von Behörden oder Privaten, welche die Geschäftsführung der eidgenössischen Gerichte betreffen (Art. 129 ParlG20). Sie prüfen diese im Rahmen ihrer Oberaufsichtsbefugnisse nach freiem Ermessen. Die Eingabe betrifft Fragen der Wahrnehmung der fachlichen Aufsicht der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts über die Bundesanwaltschaft. Die GPK können die allgemeine Funktionsweise der fachlichen Aufsicht durch die Beschwerdekammer nach den Kriterien der Rechtmässigkeit, der Ordnungsmässigkeit, der Zweckmässigkeit und der Wirksamkeit prüfen, sie können aber Entscheide oder Weisungen der Beschwerdekammer im Rahmen ihrer Aufsichtstätigkeit nicht aufheben oder ändern (Art. 26 Abs. 3 und 4 ParlG). Die GPK üben ihre Oberaufsicht in der Regel subsidiär zur direkt vorgesetzten Aufsichtsbehörde aus. Da das Bundesstrafgericht bis Ende 2006 nur der Oberaufsicht des Parlamentes, aber keiner Aufsichtsbehörde unterstellt war21, nehmen die GPK ihre Oberaufsicht über das Bundesstrafgericht in diesem Zeitraum soweit und so vertieft wahr, wie es für das reibungslose Funktionieren des Gerichts erforderlich ist22 und im öffentlichen Interesse liegt.

20 21 22

Bundesgesetz über die Bundesversammlung vom 13.12.2002 (Parlamentsgesetz, SR 171.10).

Das Bundesstrafgericht untersteht seit dem 1.1.2007 der administrativen Aufsicht des Bundesgerichts gemäss Art. 3 Abs. 1 SGG (SR 173.71).

Schreiben der Geschäftsprüfungskommissionen vom 11.6.2004 an das Bundesstrafgericht (nicht veröffentlicht).

2009

2.1.7.3

Vorgehen und Abklärungen der GPK

Nach Absprache innerhalb der Geschäftsprüfungskommissionen behandelte die Subkommission EJPD/BK der GPK-N die Eingabe der Bundesanwaltschaft im Rahmen der vorliegenden Untersuchung.

In der Anhörung durch die Subkommission machte der Präsident der Beschwerdekammer geltend, die fachliche Aufsicht der Beschwerdekammer über die Bundesanwaltschaft gestalte sich oft schwierig, da die Bundesanwaltschaft in zahlreichen Korrespondenzen die Zuständigkeit der Beschwerdekammer immer wieder in Frage stelle, anstatt deren Anweisungen Folge zu leisten. Der interimistische Leiter der Bundesanwaltschaft erklärte seinerseits gegenüber der Subkommission, die Bundesanwaltschaft bekunde in der derzeitigen Ausübung der fachlichen Aufsicht durch die Beschwerdekammer einige Probleme. Weisungen der Beschwerdekammer würden zum Teil nicht form- bzw. stufengerecht ergehen oder es sei unklar, ob es sich dabei um Entscheide der Beschwerdekammer oder bloss des Beschwerdekammerpräsidenten handle. Im Weiteren bemängelte er den Ton einzelner Korrespondenzen, die keine Diskussion über offene rechtliche Fragen dulteten und bis hin zur Androhung rechtlicher Schritte gegangen seien.

Die Subkommission forderte daraufhin die Bundesanwaltschaft auf, Korrespondenzen und Unterlagen zur Dokumentation der von ihr geltend gemachten Aufsichtsprobleme einzureichen. Dieser Aufforderung kam die Bundesanwaltschaft am 13. Oktober 2006 nach.

Am 15. November 2006 unterbreitete die Subkommission der Beschwerdekammer die Eingabe der Bundesanwaltschaft vom 19. Juli 2006 sowie deren Dokumentation zu Aufsichtsfragen vom 13. Oktober 2006 zusammen mit einem detaillierten Fragenkatalog.

In ihrer Antwort vom 14. Dezember 2006 teilte die Beschwerdekammer mit, sie habe erkannt, dass nach den ersten drei Jahren ihrerseits im Rahmen der Aufsicht noch Verbesserungspotential vorhanden sei, namentlich was Weisungen bzw.

Anweisungen betreffe. Sie stellte in Aussicht, die Ausgangslage und die Aufsichtstätigkeit zu überprüfen und in der Folge mit der Leitung der Bundesanwaltschaft in einigen Punkten zu erörtern. Zudem werde sie im Hinblick auf das Jahr 2007 einige organisatorische Änderungen vornehmen. Sie habe ab diesem Zeitpunkt ein Mitglied der Beschwerdekammer als neue Ansprechperson für die Bundesanwaltschaft ernannt. Im Hinblick auf diese Gespräche und die
genannten organisatorischen Änderungen verzichte die Beschwerdekammer darauf, bereits jetzt Antworten vorweg zu nehmen.

In einem weiteren Schreiben vom 15. Januar 2007 an die Beschwerdekammer wertete es die Subkommission positiv, dass die Beschwerdekammer ihre Aufsichtstätigkeit über die Bundesanwaltschaft einer Überprüfung unterziehen und bestehende Probleme mit der Bundesanwaltschaft erörtern wolle, wies jedoch darauf hin, dass nebst den Fragen zur Aufsichtsproblematik auch eine Reihe von Fragen zur Eingabe der Bundesanwaltschaft betreffend den Aufsichtszwischenbericht «Anklagen» unbeantwortet geblieben seien. Mit Schreiben vom 23. Januar 2007 verzichtete die Beschwerdekammer auf eine weitere Stellungnahme.

2010

2.1.7.4

Ergebnisse und Schlussfolgerungen

Die Ergebnisse der Abklärungen zur Eingabe der Bundesanwaltschaft sowie die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen finden Eingang in die Beurteilungen und Schlussfolgerungen der GPK-N zum Aufsichtszwischenbericht «Anklagen» (vgl.

Ziff. 2.1.10 und 2.1.11).

2.1.8

Einzelne Ergebnisse der Anhörungen und schriftlichen Stellungnahmen zum Aufsichtszwischenbericht «Anklagen»

a. Zum Anlass der Untersuchung Die Anhörungen zeigten, dass der Anlass für das Bundesstrafgericht, eine Abklärung vorzunehmen, auch mit der Rechtfertigung der eigenen Tätigkeit zusammenhing. Der Beschwerdekammerpräsident betonte, als das Gericht am 1. April 2004 seine Arbeit aufgenommen habe, habe man erwartet, dass eine Anklage auf dem Tisch liege, was nicht der Fall gewesen sei. Das habe dem Gericht den Ruf eingetragen, den es auch heute noch geniesse, das Gericht sei nicht ausgelastet. Für die Sitzung vom 5. April 2006 mit den Subkommissionen Gerichte wollte man daher den neusten Stand kennen. Nach Angaben des Präsidenten des Bundesstrafgerichts waren die ungenauen Prognosen auch aus organisatorischen Gründen ein Problem, weil es für das Gericht darum gehe, eine «Vorwarnung» zu erhalten, um rechtzeitig in drei Sprachen genügend Leute zur Verfügung stellen zu können.

b. Ressourceneinsatz für die internationale Rechtshilfe In Bezug auf die Tätigkeit der Bundesanwaltschaft im Bereich der Internationalen Rechtshilfe wiederholte der Beschwerdekammerpräsident in der Anhörung seine bereits im Aufsichtsbericht 2005 vom 15. Februar 2006 gemachte Aussage, auf die auch der Aufsichtszwischenbericht «Anklagen» verweist (S. 26), wonach die Bundesanwaltschaft zu viele Ressourcen für diesen Bereich einsetze, der gar nichts mit der Bundesstrafverfolgung im engeren Sinn zu tun habe. Die Prioritäten würden falsch gesetzt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass zu dieser Frage am 16. Januar 2006 mit dem Vorsteher EJPD, dem Beschwerdekammerpräsidenten und Vertretern der Strafverfolgungsbehörden eine Besprechung stattfand, an der im Einverständnis aller Beteiligten festgehalten wurde, dass die Rechtshilfetätigkeit der Bundesanwaltschaft gezwungenermassen aus den neuen Bundeskompetenzen in der Strafverfolgung (EffVor) erfolgt und dass die zu tiefe Anzahl Anklagen an das Bundesstrafgericht nicht durch die Belastung der Bundesanwaltschaft mit Rechtshilfefällen bedingt ist, sondern durch Engpässe beim URA sowie durch das zweistufige Bundesstrafverfahren.

c. Zur Abgrenzung der administrativen und fachlichen Aufsicht Der Präsident der Beschwerdekammer erklärte bei seiner Anhörung, fast alle Aktivitäten einer solchen Behörde hätten einen administrativen und einen fachlichen Aspekt. Seitens der Beschwerdekammer
seien die Abklärungen bereits im Gange gewesen, als man sich überlegt habe, ob diese nicht sogar durch die administrative Aufsichtsbehörde gemacht werden müssten, weil es ja um die Frage gegangen sei, ob in der Bundesanwaltschaft überhaupt gearbeitet werde. Deshalb habe er mit dem 2011

Generalssekretär EJPD Kontakt aufgenommen und die Aufforderung erhalten, die Beschwerdekammer sollte das machen. Die Fragen seien eben doch spezifisch untersuchungsbezogen gewesen. Es sei um die Frage gegangen, ob eine zügigere Behandlung nicht möglich sei. Er habe herausfinden wollen, wie viel gearbeitet wurde.

d. Zur Frage einer möglichen Befangenheit des Beschwerdekammerpräsidenten Auf die Frage, warum der Aufsichtszwischenbericht «Anklagen» sich nicht zur Frage der Befangenheit geäussert habe, erklärte der Beschwerdekammerpräsident, die persönlichen Befangenheitsvorwürfe habe man als unwesentlich erachtet, weil sie völlig unzutreffend seien. Er könne sich auch gar nicht mehr erinnern, was der Bundesanwalt ihm genau vorwerfe. In der 41-seitigen Stellungnahme der Bundesanwaltschaft gehe es gar nicht um diese Frage, sondern um eine Stimmungsmache.

Er sei weder dem Bundesanwalt noch seinem Stellvertreter gegenüber befangen. Er wisse im Übrigen nicht, was konkret mit diesem Befangenheitsvorwurf gemeint sei.

Der Beschwerdekammerpräsident räumte jedoch ein, die Heftigkeit des Aufsichtszwischenberichts habe wahrscheinlich auch psychologische Gründe. Die Bundesanwaltschaft sei nicht begeistert gewesen, eine Aufsicht zu bekommen, die in die Geschäfte Einblick nehme und auch Druck auszuüben versuche. Die Zuständigkeit der Beschwerdekammer werde von der Bundesanwaltschaft dauernd in Frage gestellt. Wenn sie eine Weisung erlassen habe, erhalte sie nichts als eine mehrseitige juristische Abhandlung darüber, ob die Aufsichtsbehörde dafür zuständig sei.

Der Bundesanwalt sagte, die Bundesanwaltschaft habe darauf verzichtet, formell beim Bundesstrafgericht Befangenheit geltend zu machen, weil man die Situation nicht noch mehr eskalieren lassen wollte. Im Nachhinein sei er der Meinung, das sei ein Fehler gewesen. Was ihn an der Sache wirklich betrübt habe, sei die Art und Weise gewesen, wie der Beschwerdekammerpräsident vorgegangen sei. Er verstehe nicht, dass die übrigen Richter der Beschwerdekammer dies zugelassen haben. Die Bundesanwaltschaft habe aber schliesslich die Frage den GPK als Oberaufsichtsbehörde angezeigt, damit diese allenfalls tätig werden könnten.

2.1.9

Weitere Reaktionen auf den Bericht

Der Aufsichtszwischenbericht «Anklagen» wurde unter anderem dem Projektausschuss «Situationsanalyse EffVor» unter der Leitung von Hanspeter Uster zugestellt.

Der Bericht «Uster» (vgl. Ziff. 2.4) hält dazu fest, der Projektausschuss habe diesen Bericht zur Kenntnis genommen, daraus aber keine neuen Erkenntnisse gewinnen können. Die Untersuchungen berücksichtigten den Prozessablauf (und die darin begründeten Verzögerungen) nicht. In nur zwei Fällen seien die kritisierten Punkte materieller Art, in allen übrigen handle es sich um reine Termin- oder «Buchhaltungsfragen» und um das Nichtzutreffen von Prognosen, wann mit Anklagen zu rechnen sei. Auf die eigentliche Fragestellung, die Abklärung von Gründen, die zur geringen Anzahl von Anklagen geführt haben, werde kaum eingegangen. Zur Kritik des Aufsichtszwischenberichts «Anklagen», dass «... einzelne Staatsanwälte trotz wiederholter Beanstandung an der regelmässigen Teilnahme an Einvernahmen des URA festhalten ...» stellt der Bericht «Uster» fest, es sei durchaus sinnvoll, wenn die Staatsanwälte dieses Parteirecht zur Sicherung des Verfahrensergebnisses wahrnehmen würden (Bericht «Uster», Ziff. 4.8).

2012

Der Untersuchungsbeauftragte der Administrativuntersuchung (vgl. Ziff. 2.3) nahm auf Aufforderung durch die Subkommission ebenfalls Stellung zum Aufsichtszwischenbericht «Anklagen». Für ihn sei die Schlussfolgerung des Aufsichtszwischenberichts, bei der Bundesanwaltschaft bestehe ein schweres Führungsproblem, das vom Bundesanwalt selbst ausgehe, nicht nachvollziehbar. Er habe zwar Mängel bei der Fachaufsicht über die Staatsanwälte festgestellt, die aber teilweise bereits behoben worden seien. Dies stehe aber in keinem Zusammenhang mit der Verzögerung der Anklagen. Dafür sei nicht die Bundesanwaltschaft verantwortlich zu machen, sondern der Stau liege eindeutig beim URA. Im Weiteren bestätigte der Untersuchungsbeauftragte, dass es Spannungen zwischen der Bundesanwaltschaft (nicht nur dem Bundesanwalt, sondern auch den Staatsanwälten) und der Beschwerdekammer gebe. Das Vorgehen der Beschwerdekammer in verschiedenen Fällen werde nicht verstanden, etwa wenn diese materielle Vorgaben mache, wie die Staatsanwälte ihre Parteirechte im Rahmen der Voruntersuchung wahrzunehmen haben.

2.1.10

Feststellungen und Beurteilungen der GPK-N zum Aufsichtszwischenbericht «Anklagen»

a. Zu Anlass und Entstehung des Aufsichtszwischenberichts «Anklagen» Die GPK-N entnimmt den ihr vorliegenden Informationen, dass der verzögerte Eingang von Anklagen bei der Strafkammer sowie der zunehmende Rechtfertigungsdruck gegenüber der Öffentlichkeit und dem Parlament in Bezug auf das Arbeitsaufkommen des Gerichts dazu führten, dass die Gerichtsleitung der Beschwerdekammer beantragte, entsprechende Abklärungen vorzunehmen. Eine zeitliche Vorgabe durch die Gerichtsleitung gab es nicht. Die am 11. April 2006 von der Beschwerdekammer beschlossene Abklärung wurde durch den Beschwerdekammerpräsidenten geleitet und in der Folge mit grossem zeitlichem Druck vorangetrieben.

Weder aus dem Beschluss der Gerichtsleitung noch aus jenem der Beschwerdekammer ist zu entnehmen, dass als Resultat der Abklärungen ein Aufsichtszwischenbericht erstellt werden sollte. Noch vor der Anhörung des Bundesanwalts vom 27. April 2006 machte der Beschwerdekammerpräsident dem Bundesanwalt auf Anfrage keine klaren Angabe dazu. Aus dem Mailverkehr zwischen dem Beschwerdekammerpräsidenten und dem Generalsekretär EJPD vom 26./27. April 2006 geht indessen hervor, dass sich der Beschwerdekammerpräsident ausdrücklich den Auftrag geben lassen wollte, einen Bericht an die administrative Aufsichtsbehörde zu erstellen. Den Bundesanwalt liess er dagegen auch nach der Anhörung vom 27. April 2006 im Unklaren über das beabsichtigte Vorgehen. Erst mit der Zustellung des Berichtsentwurfs am 14. Juni 2006 sah sich die Bundesanwaltschaft mit einem Bericht konfrontiert, der schwerwiegende Vorwürfe gegen den Bundesanwalt persönlich sowie gegen die Bundesanwaltschaft als Behörde enthielt.

Die GPK-N ist über die Art der Durchführung der Anhörung des Bundesanwalts und seines Stellvertreters vom 27. April 2006 befremdet. Auch eine in der Sache strenge Aufsichtstätigkeit einer Behörde kann mit der gebotenen Sachlichkeit gegenüber der beaufsichtigten Behörde ausgeübt werden. Gleichzeitig stellt die GPK-N aber fest, dass der Bundesanwalt im Rahmen dieser Anhörung mit einer wenig konstruktiven Haltung reagierte, indem er teilweise in Schweigen verharrte, und damit zur Verhärtung der Positionen beitrug.

2013

Mit der Zustellung des Berichtsentwurfs am 14. Juni 2006 zur Stellungnahme ohne Fristansetzung und der Ankündigung, der Bericht werde am 20. Juni 2006 den Adressaten zugestellt (innert dieser Frist lag ein Wochenende), wird ersichtlich, dass der Bundesanwaltschaft keine ernsthafte Möglichkeit zur Stellungnahme oder Mitsprache am Ergebnis der Abklärung eingeräumt werden sollte. Dies bestätigte der Beschwerdekammerpräsident anlässlich seiner Anhörung implizit, indem er aussagte, man habe dem Bundesanwalt den Aufsichtszwischenbericht zugestellt, um ihm das rechtliche Gehör zu gewähren, wobei es sehr fraglich sei, ob das überhaupt nötig gewesen sei. Auf Ersuchen der Bundesanwaltschaft, ihr das rechtliche Gehör zu gewähren, wurde dieser schliesslich eine Frist von 7 Tagen eingeräumt. Die innert Frist eingereichte einlässliche Stellungnahme, die in vielen Punkten nachvollziehbare Begründungen und Berichtigungen enthält, wurde materiell im Schlussbericht nicht berücksichtigt. Auch offensichtliche Fehler wurden nicht korrigiert (siehe z. B. Fall «Door», Ziff. 2.1.5, Fussnote 18).

Mit der Ankündigung in der Öffentlichkeit am 6. Juni 2006, die Beschwerdekammer werde im Lauf des Monats Juni einen «Bericht zu den Vorwürfen betreffend die geringe Anzahl der von der Bundesanwaltschaft erhobenen Anklagen» abschliessen (vgl. Ziff. 2.2.1), und der Mitteilung an die Medien vom 17. Juli 2006, die Beschwerdekammer stelle fest, dass die heutige Situation unbefriedigend sei und zeige die aufgrund der getroffenen Abklärungen dafür massgeblichen Gründe auf, wurde das Interesse der Medien auf den unveröffentlichten Bericht gelenkt.

Zur Form des Aufsichtszwischenberichts stellt die GPK-N fest, dass dieser nur vom Präsidenten der Beschwerdekammer unterzeichnet ist und weder die am Entscheid beteiligten Kammermitglieder noch die Unterschrift des mitwirkenden Gerichtsschreibers enthält. Trotz mehrmaliger Nachfrage konnte die Kommission nicht lückenlos nachvollziehen, wie die Beschlussfassung zum Bericht in der Beschwerdekammer zustande kam. Die Beschwerdekammer verweigerte der GPK-N die Einsichtnahme in die Akten, die den Entscheid dokumentieren.

b. Zum Zusammenhang mit der Effizienzvorlage (EffVor) Die Fragestellung sowie die Bewertungen und Schlussfolgerungen des Aufsichtszwischenberichts «Anklagen» betreffen zu einem
grossen Teil die Umsetzung der Effizienzvorlage (EffVor), d. h. die Einführung von neuen Strafverfolgungskompetenzen des Bundes im Jahr 2002 und den damit verbundenen personellen Aufbau der Strafverfolgungsbehörden (vgl. Ziff. 1.1). Das Bundesstrafgericht interessierte sich ­ wie oben gezeigt auch aus eigenem Interesse ­ für die Frage, warum sich die bei der Strafkammer eintreffenden Anklagen verzögerten. Die Abklärungen der Beschwerdekammer betrafen mit der Phase der Anklageausarbeitung nur einen kleinen Teil des gesamten Strafverfahrens und nur die 18 Verfahren, deren Voruntersuchung im Jahr 2005 vom URA abgeschlossen wurden (vgl. Ziff. 2.1.2).

Die GPK-N hat seit dem Inkrafttreten der Effizienzvorlage 2002 deren Umsetzung regelmässig anhand von halbjährlichen Standberichten der Projektoberleitung EffVor und Anhörungen der Strafverfolgungsbehörden überprüft. Der inzwischen aufgelösten Projektoberleitung EffVor gehörten der Bundesanwalt, der Direktor fedpol, der Präsident des Bundesstrafgerichts, der auch das URA vertrat, sowie der Generalsekretär EJPD an. Die GPK-N hat laufend von der Entwicklung der Fallzahlen, der rollenden Planung, des Ressourceneinsatzes, den Problemen der Zusammenarbeit mit den Kantonen und der Ausbildung der neu gebildeten Strafverfolgungsbehörden Kenntnis genommen und einzelne Fragen zum Teil kontrovers 2014

diskutiert (so z. B. die Frage, ob die Prioritäten bei der Art der Delikte, sei es Terrorismusbekämpfung, Geldwäscherei oder Wirtschaftskriminalität, richtig gesetzt werden).

In Bezug auf die hier relevanten Entwicklungen der Prognosen und Fallzahlen hat die GPK-N folgendes festgestellt: Die Projektoberleitung EffVor war sich von Beginn weg bewusst, dass die Prognosen des ursprünglichen Umsetzungsprojektes EffVor aus dem Jahr 2000 zahlreiche Unsicherheitsfaktoren aufwiesen. Deshalb wurden diese im Rahmen einer rollenden Planung laufend den realen Entwicklungen angepasst. Nach dem Projektstart wurde festgestellt, dass mehr Ermittlungsverfahren eröffnet wurden als prognostiziert, und es gleichzeitig auch zahlreiche «nicht komplexe Verfahren» zu bearbeiten gab, die man nicht vorausgesehen hatte. Entsprechend wurde 2002 mit einer Nachtragsbotschaft zusätzliches Personal bewilligt. Bis Ende 2003 verlief die Fallentwicklung gemäss den Prognosen. Mit dem Entlastungsprogramm EP 03 wurde der Aufbau gestoppt. Ende 2003 wurde ein Marschhalt beschlossen, und 2006 setzte mit der Aufgabenverzichtsplanung ein leichter Rückbau bei den Ressourcen ein. Mitte 2004 stellte die Projektoberleitung EffVor fest, dass die ursprünglich angenommene durschnittliche Verfahrensdauer bis zur Anklage von zwei Jahren auf gegen drei Jahre korrigiert werden musste. Hauptgründe dafür waren das zweistufige Verfahren der geltenden Strafprozessordnung des Bundes (Handwechsel der Verfahren von der Bundesanwaltschaft zum URA und zurück zur Bundesanwaltschaft) und die sich abzeichnende Ressourcenknappheit beim URA sowie der Aufbaustopp beim Personal. Ende 2004 sah die Projektoberleitung EffVor aufgrund der veränderten Bedingungen von eigentlichen Verfahrensprognosen ab und ging zu «Prognosen nach Kapazitäten» über, die eine stagnierende Fallentwicklung voraussah.

Am schwierigsten gestaltete sich die Prognose, wann wie viele Anklagen beim Bundesstrafgericht eintreffen, weil diese am Ende des Strafverfahrens erfolgen und deren Voraussage mit den meisten Unsicherheiten behaftet ist. Für das Bundesstrafgericht entstand dadurch eine nachvollziehbar schwierige Situation. Aus dieser Sicht ist es durchaus verständlich, dass das Gericht im März 2006 wissen wollte, warum seit einigen Monaten keine Anklagen eingetroffen waren und wann diese zu
erwarten waren. Weniger verständlich ist dagegen das Vorgehen der Beschwerdekammer nach Erhalt der einverlangten Stellungnahme der Bundesanwaltschaft vom 20. April 2006. Spätestens mit Erhalt dieser Stellungnahme war der Beschwerdekammer nämlich bekannt, dass von den 18 im Jahr 2005 abgeschlossenen Voruntersuchungen bereits 10 zur Anklage gelangt und 2 an Kantone abgetreten waren sowie ein Fall eingestellt worden war. In einem weiteren Fall war eine Einstellung abzusehen und in einem Fall lief ein Strafübernahmeersuchen an einen ausländischen Staat.

Somit waren von den 18 Verfahren höchstens 4 Anklagen ausstehend. Bei dieser Ausgangslage ist nicht ersichtlich, warum der Beschwerdekammerpräsident in der Folge eine verhörmässige Anhörung durchführte und einen Aufsichtszwischenbericht erstellte, der sich schwergewichtig mit Fragen der Umsetzung der Effizienzvorlage befasste, was nicht zur fachlichen Aufsicht der Beschwerdekammer gehört.

Es hätte durchaus genügt, die noch offenen Fragen in einer normalen Diskussion mit der Bundesanwaltschaft zu besprechen und nach Wegen zu suchen, wie unter Umständen im einen oder anderen Fall die Anklagen um Tage oder Wochen hätten beschleunigt werden können. Im Weiteren verfügte das Bundesstrafgericht als an EffVor mitbeteiligte Behörde über sämtliche EffVor-Zahlen und wusste überdies als Aufsichtsinstanz über das URA, dass sich dort die Voruntersuchungen wegen Res2015

sourcenmangels stauten (Ende 2005 waren 55 Voruntersuchungen hängig, Ende 2006 62), aber dass es lediglich noch eine Frage von Monaten sein konnte, bis die Anklagen eintreffen würden, was im Übrigen im Laufe des Jahres 2006 auch geschah. Bis Ende 2006 gingen insgesamt 19 Anklagen ein, und die Strafkammer war ausgelastet.

Der Aufsichtszwischenbericht «Anklagen» befasste sich mit Fragen der Effizienzvorlage, während gleichzeitig die umfassende Situationsanalyse EffVor im Auftrag des EJPD im Gange war (vgl. Ziff. 2.4, Bericht «Uster»). Dieses parallele Vorgehen ist für die GPK-N nicht verständlich, zumal sich die Frage der Zuständigkeit stellt und die EffVor-bezogenen Aussagen des Aufsichtszwischenberichtes überdies falsch sind: Zum einen zieht der Bericht falsch berechnete, überhöhte Prognosezahlen heran und beruft sich auf Zahlen des Konzept-Berichts 2000, die seit längerem aufgrund der rollenden Planung und dem Marschhalt überholt sind (vgl. Ziff. 2.1.4).

Im weiteren wird der Bundesanwaltschaft vorgeworfen, ihre Prognosen in Bezug auf Anklagen nicht erfüllt zu haben, obwohl es sich um EffVor-Prognosen handelte, an denen sämtliche Strafverfolgungsbehörden beteiligt waren, und die unter zahlreichen Vorbedingungen abgegeben worden waren, die sich in der Folge ohne Zutun der Bundesanwaltschaft nicht erfüllten. Zum andern beruht das vernichtende Urteil in der Analyse des Berichts, wonach die Strafverfolgungsbehörden ganz allgemein keine Resultate erbracht hätten, wie sie von einer Behörde dieses Umfangs erwartet werden dürften, und wofür primär die Bundesanwaltschaft und letztlich der Bundesanwalt selbst verantwortlich sei, auf keinerlei im Bericht nachgewiesenen Grundlagen. Wie von einigen unbedeutenden Daten einiger weniger Verfahren in einer kurzen Phase auf die Beurteilung der Effizienz eines komplexen und umfangreichen Strafverfolgungsapparates und schliesslich gar auf die persönliche Führungsqualität des Bundesanwalts geschlossen werden kann, ist nicht nachvollziehbar.

c. Zur Frage einer allfälligen Befangenheit des Beschwerdekammerpräsidenten Der vorliegende Aufsichtszwischenbericht «Anklagen» stellt kein richterliches Urteil, sondern eine Aufsichtstätigkeit der Beschwerdekammer dar. Die GPK-N überprüft diesen ihrerseits ebenfalls nicht als richterliche Behörde, sondern im Rahmen der
parlamentarischen Oberaufsicht. Es obliegt ihr deshalb nicht festzustellen, ob vorliegend für den Präsidenten der Beschwerdekammer ein Ausstandsgrund im Rechtssinne bestanden hätte. Die GPK-N schliesst aus den Vorkommnissen, so die Art der Anhörung des Bundesanwalts, die Nichtgewährung des rechtlichen Gehörs, die Nichtbeachtung der Anträge der Bundesanwaltschaft und die nicht vorhandene Bereitschaft, die inhaltlichen Fehler zu berichtigen, auf die fehlende Objektivität und Unabhängigkeit des Beschwerdekammerpräsidenten gegenüber dem Bundesanwalt und der Bundesanwaltschaft als Behörde. Schliesslich kommt die Vorabinformation an den Generalsekretär EJPD einer Vorverurteilung ohne die Rückendeckung der Beschwerdekammer, die als Kollegium über Massnahmen und Beurteilungen im Rahmen der Aufsichtstätigkeit zu entscheiden hat, gleich. Diesen Feststellungen ist bei der Beurteilung der vorliegenden Untersuchungsresultate Rechnung zu tragen.

2016

d. Zusammenarbeit zwischen dem Beschwerdekammerpräsidenten und dem EJPD bzw. Abgrenzung von fachlicher und administrativer Aufsicht Nach seiner eigenen Aussage war sich der Beschwerdekammerpräsident bewusst, dass die von der Beschwerdekammer beabsichtigten Abklärungen zu den fehlenden Anklagen administrative Fragen betrafen, für welche das EJPD als administrative Aufsichtsbehörde zuständig ist. Er wollte seine Tätigkeit deshalb durch einen ausdrücklichen Auftrag des EJPD absichern (vgl. Ziff. 2.1.3 e).

Die vom Gesetzgeber bestimmte Trennung der Aufsicht über die Bundesanwaltschaft in eine administrative Aufsicht durch den Bundesrat bzw. das in seinem Auftrag handelnde EJPD und eine fachliche Aufsicht durch die Beschwerdekammer kann nach Meinung der GPK-N nicht durch eine Auftragserteilung seitens des EJPD an die Beschwerdekammer, administrativaufsichtsrechtlich tätig zu werden, aufgehoben werden. Für eine solche Kompetenzverschiebung besteht keine gesetzliche Grundlage.

Fragwürdig erscheint auch die Formulierung im Schreiben des EJPD vom 27. April 2006 ­ sie wurde zwar vom Beschwerdekammerpräsidenten vorgeschlagen, aber vom Generalsekretär EJPD unterzeichnet -, wonach man ebenfalls überrascht sei über den Umstand, dass die Bundesanwaltschaft auch heute noch eine dermassen unbedeutende Anzahl von Verfahren zur Anklage bringe, war doch der Generalsekretär EJPD ­ ebenso wie der Präsident des Bundesstrafgerichts ­ Mitglied der Projektleitung EffVor und wusste aufgrund der ausführlichen Semesterberichte und der Quartalslisten über die Entwicklung der EffVor-Zahlen und deren Gründe bestens Bescheid (vgl. Ziff. 2.1.10 b).

Der Beschwerdekammerpräsident hat in seiner Vorabinformation an das EJPD (vgl.

den Sachverhalt in Ziff. 2.1.3 g) im Mai 2006 ohne sachliche Grundlage auf einen angeblichen dramatischen Mangel an effektiver operativer Führung sowie auf den mangelhaften Umgang der Bundesanwaltschaft mit den bestehenden Ressourcen hingewiesen. Er tat dies im Wissen, dass das EJPD Überlegungen anstellte, allenfalls weitere Untersuchungen in der Bundesanwaltschaft einzuleiten. Das Vorgehen war überdies eigenmächtig, griff es doch dem Beschluss durch die Beschwerdekammer vom 8. Juni 2006 vor und präjudizierte diesen (vgl. Ziff. 2.2.3 und 3.1.2.3).

Als sich am 25. Juni 2006 der Generalsekretär EJPD beim
Beschwerdekammerpräsidenten nach Auftraggeber, Adressaten und Veröffentlichung des Aufsichtszwischenberichts «Anklagen» erkundigte, war das EJPD daran, Varianten zu prüfen, wie der Bundesanwalt aus seinem Amt entfernt werden könnte (zu den Hintergründen des Rücktritts des Bundesanwalts vgl. Ziff. 3.1.2.6). Auf die in diesem Zusammenhang stehenden Gespräche im EJPD bezog sich der Generalsekretär in seinem Mail (vgl. Ziff. 2.1.3 h).

Die der GPK-N vorliegenden Dokumente und der Sachzusammenhang lassen darauf schliessen, dass sich der Beschwerdekammerpräsident bewusst war, dass es letztlich um die Entfernung des Bundesanwalts aus dem Amt ging und er dem EJPD entsprechende Unterstützung bieten wollte, was dem EJPD willkommen war, wie aus den Dokumenten hervorgeht. Anders lässt sich nicht erklären, weshalb der Beschwerdekammerpräsident im Aufsichtszwischenbericht dem Bundesanwalt mehrfach Uninformiertheit oder persönliche Führungsmängel vorwarf und ihn als Fazit für «das klar ungenügende Resultat» verantwortlich machte. Abgesehen davon, dass die vorliegende Untersuchung und deren Resultate nicht geeignet waren, Schlüsse auf die persönlichen Führungsqualitäten des Bundesanwalts zuzulassen, gehört es nicht 2017

zur fachlichen Aufsicht gemäss Art. 28 Abs. 2 SGG, diese zu überprüfen oder sich dazu zu äussern. Eine solche Beurteilung kann nur der Bundesrat als Wahlbehörde im Rahmen eines Disziplinarverfahrens, das dem Bundesanwalt von Gesetzes wegen Verteidigungsrechte und ein faires Verfahren garantiert, vornehmen. Für die persönlichen Vorwürfe an den Bundesanwalt finden sich im Übrigen weder in den Untersuchungsgrundlagen noch im Anhörungsprotokoll und in der Fallbesprechung des Aufsichtszwischenberichts sachliche Grundlagen.

e. Zu den allgemeinen Problemen der Aufsicht durch die Beschwerdekammer über die Bundesanwaltschaft Die Probleme, welche die Bundesanwaltschaft mit der praktischen Ausübung der Aufsicht durch die Beschwerdekammer geltend machte (vgl. Ziff. 2.1.7.3), sollen hier nicht im Einzelnen dargelegt werden, da die Beschwerdekammer aufgrund der Intervention durch die Subkommission daran ist, diese Probleme zusammen mit der Bundesanwaltschaft zu analysieren und zu bereinigen. Die GPK-N begrüsst ausdrücklich den eingeleiteten Prozess, der von den beiden Subkommissionen Gerichte der beiden GPK im Rahmen ihrer Oberaufsicht über das Bundesstrafgericht weiterverfolgt werden wird.

Die GPK-N nimmt einzig zur Weisung der Beschwerdekammer, wonach die Staatsanwälte des Bundes nicht regelmässig an Einvernahmen des URA teilnehmen dürfen, Stellung. Die Beschwerdekammer rügt es im Aufsichtszwischenbericht «Anklagen» als gravierend, dass diese Weisung offen nicht befolgt werde, und schliesst daraus gar auf ein Führungsproblem des Bundesanwalts, weil er diese Weisung nicht durchsetze. Die GPK-N hat aus grundsätzlichen Überlegungen kein Verständnis für eine Weisung, die der Bundesanwaltschaft verbindliche Vorschriften darüber macht, wie sie ein gesetzliches Parteirecht wahrzunehmen hat, und weist die Beschwerdekammer darauf hin, dass dadurch ihre Unbefangenheit als Gericht gegenüber den Parteien in Frage gestellt werden könnte23.

2.1.11

Schlussfolgerungen der GPK-N zum Aufsichtszwischenbericht «Anklagen»

Die GPK-N gelangt gestützt auf die vorstehenden Feststellungen und Beurteilungen zu folgenden Schlussfolgerungen: 1.

23

Das Vorgehen der Beschwerdekammer bzw. deren Präsidenten im Zusammenhang mit der Erstellung des Aufsichtszwischenberichts «Anklagen» entsprach nicht dem in der Justizaufsicht üblichen Verfahren, das im Rahmen der fachlichen Aufsicht darauf ausgerichtet ist, die Rechtmässigkeit der Untersuchungsmethoden zu überprüfen und allfällige Mängel mit der beaufsichtigten Behörde direkt zu besprechen, nach Verbesserungsmöglichkeiten zu suchen und gegebenenfalls entsprechende Weisungen zu erteilen. Die Beschwerdekammer hat damit den üblichen Umgang mit einer beaufsichtigten Behörde vermissen lassen.

Vgl. Christoph Mettler, Staatsanwaltschaft, Freiburger Diss., Basel/Genf/München 2000, S. 237 f.

2018

2.

Der Bundesanwalt hat mit einer unkooperativen Haltung in der Anhörung zur Anspannung des Verhältnisses zwischen den beiden Behörden beigetragen und mit seiner Art der Kommunikation den Konflikt verstärkt.

3.

Der Aufsichtszwischenbericht «Anklagen» nimmt Beurteilungen von Fragen der Effizienzvorlage und von Führungsfragen vor, die nicht zur fachlichen, sondern zur administrativen Aufsicht gehören. Die Beschwerdekammer ist ohne gesetzliche Grundlage im Bereich der administrativen Aufsicht tätig geworden.

4.

Die Schlussfolgerungen des Aufsichtszwischenberichts stimmen mit den dem Bericht zugrunde gelegten Sachverhalten nicht überein.

5.

Die von der Beschwerdekammer vorgenommenen Abklärungen erfolgten nach Absprache mit dem EJPD im Hinblick auf mögliche administrative Konsequenzen.

6.

Die Vermischung von fachlicher und administrativer Aufsicht führte insbesondere dazu, dass für den Bundesanwalt nicht transparent war, dass auch Sachverhalte Gegenstand der Untersuchung waren, die bezüglich seiner Person disziplinarrechtlich relevant sein konnten. Dadurch wurden Verfahrensrechte wie insbesondere das Recht auf rechtliches Gehör verletzt.

7.

Die GPK-N konnte nicht nachvollziehen, wie die Beschlussfassung zum Bericht in der Beschwerdekammer zustande kam. Die Beschwerdekammer verweigerte der GPK-N die Einsichtnahme in die Akten, die den Entscheid dokumentieren. Dieses Verhalten gegenüber der zuständigen Oberaufsichtsbehörde ist inakzeptabel.

8.

Aufgrund der verfahrensmässigen und inhaltlichen Mängel des Aufsichtszwischenberichts «Anklagen» kann die GPK-N aus den Ergebnissen des Berichts sachlich keine ausreichenden Schlüsse in Bezug auf die Funktionsweise der Bundesanwaltschaft ableiten.

2.2

Der Aufsichtszwischenbericht «Ramos» der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts

2.2.1

Anlass und Entstehung

Am 1. Juni 2006 publizierte die «Weltwoche» einen Artikel, in welchem der Bundesanwalt persönlich sowie die Untersuchungsmethoden der Bundesanwaltschaft im Zusammenhang mit dem laufenden Strafverfahren gegen den Zürcher Finanzintermediär H. scharf kritisiert wurden.24 Auf Betreiben des Bundesanwalts hätten die Strafverfolgungsbehörden den ehemaligen, in den USA wegen Beteiligung am Drogenhandel verurteilten kolumbianischen «Drogenbaron» des Medellín-Kartells, José Manuel Ramos25, in die Schweiz geholt und als «agent provocateur» eingesetzt, um den Finanzplatz Schweiz zu säubern. Obwohl die Informationen von Ramos nicht glaubwürdig gewesen seien, habe man diese benützt, um H. zu Fall zu bringen.

24 25

Daniel Ammann: Er ist sein heikelster Fall, Weltwoche vom 1.6.2006.

Es handelt sich nicht um den richtigen Namen dieser Person.

2019

Der Artikel löste in den folgenden Tagen heftige Reaktionen in der Öffentlichkeit aus. Vorerst sah die Beschwerdekammer als fachliche Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft keine Veranlassung, tätig zu werden, und beabsichtigte, den Fall im Rahmen der ordentlichen Aufsichtstätigkeit zu behandeln. Dies teilte die Beschwerdekammer einzelnen Medien auf Anfrage vor Pfingsten mit. Am Pfingstwochenende nahm der Vorsteher EJPD Kontakt mit dem Beschwerdekammerpräsidenten auf, um eine gemeinsame Lagebeurteilung vorzunehmen. Am Pfingstmontag, 5. Juni 2006, gab das EJPD in einer Medienmitteilung bekannt, «aufgrund verschiedener interner und externer Vorwürfe an die Bundesanwaltschaft» hätten der Vorsteher des EJPD und der Präsident der Beschwerdekammer vereinbart, im Rahmen ihrer administrativen und fachlichen Aufsichtsfunktion eine ausserordentliche Überprüfung der Tätigkeit der Bundesanwaltschaft vorzunehmen. Das EJPD werde in den nächsten Tagen bekannt geben, wer diese Überprüfung seitens des Departements durchführen werde (vgl. Ziff. 2.3 Bericht «Lüthi», Ziff. 3.1.2.3, und 3.2 b zum Rücktritt des Bundesanwalts).

Am Morgen des 6. Juni 2006 holte der Beschwerdekammerpräsident die nachträgliche Zustimmung der am Gericht anwesenden Kammermitglieder zu diesem Vorgehen ein. Die Beschwerdekammer veröffentlichte gleichentags eine sinngemäss gleich lautende Pressemitteilung wie jene des EJPD vom Vortag. Im Weiteren kündigte die Beschwerdekammer an, sie werde dabei unter anderem überprüfen, ob «Anhaltspunkte für einen systematischen Einsatz widerrechtlicher Ermittlungsmethoden durch die Bundesanwaltschaft bestehen». Daneben werde im Verlaufe dieses Monats ein Bericht zu den Vorwürfen betreffend die geringe Anzahl der von der Bundesanwaltschaft erhobenen Anklagen abgeschlossen (vgl. Ziff. 2.1.10 a).

An ihrer Sitzung vom 8. Juni 2006 entschied die Beschwerdekammer schliesslich noch formell, die bereits angekündigte Untersuchung durchzuführen, und beauftragte die Bundesstrafrichter Bernard Bertossa und Andreas Keller mit der Abklärung.

Der Aufsichtszwischenbericht «Ramos» wurde den Adressaten (vgl. Ziff. 2.1.1, Fussnote 7) am 18. September 2006 zugestellt.26 Der Aufsichtszwischenbericht «Ramos» der Beschwerdekammer wurde nicht veröffentlicht. In einer Medienmitteilung teilte die Beschwerdekammer mit, ihre
Abklärungen hätten ergeben, dass der Einsatz von Ramos in den letzten Jahren einmalig in seiner Art gewesen sei und dass die Behörden sich der Risiken einer solchen Operation bewusst gewesen seien und angemessene Massnahmen zu deren Minimierung getroffen hätten. Auf der Grundlage der von Ramos gelieferten Informationen seien neun Ermittlungsverfahren durch die Bundesanwaltschaft eröffnet worden. Die damals in der Schweiz geltenden gesetzlichen Bestimmungen seien sowohl bei der Leitung der Operation selbst als auch bezüglich der daraus resultierenden Strafverfahren eingehalten worden.

26

Aufsichtszwischenbericht «Ramos», Aufsichtsrechtliche Abklärung der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts betreffend die Untersuchungsmethoden der Bundesanwaltschaft und der Bundeskriminalpolizei, insbesondere im Fall «Ramos», vom 18.9.2006. Originalsprache: Französisch.

2020

2.2.2

Inhalt und Schlussfolgerungen des Berichts

Da nach Meinung der GPK-N nach den gesamten Umständen ein überwiegendes öffentliches Interesse an den Ergebnissen der Untersuchung besteht, werden im Folgenden Inhalt und Schlussfolgerungen des Berichts auszugsweise wiedergegeben oder zusammengefasst27: a. Verfahren Zum Verfahren hält der Bericht fest, dass die Aufgabe der Beschwerdekammer darin bestand zu klären, ob sich der beanstandete Sachverhalt tatsächlich in dieser Weise zugetragen hat. In der Folge hat sie geprüft, in welchem Masse die beanstandeten Methoden in anderen als dem gegen H. laufenden Verfahren verwendet wurden. Sie hatte vollständigen Zugang zu den Akten der Bundeskriminalpolizei (nachfolgend BKP) und nahm Einsicht in relevante Gerichtsakten. Weiter hat sie alle an der «task force» beteiligten Polizeibeamten und deren Vorgesetzte sowie den Bundesanwalt und den für die Angelegenheit «Ramos» bestimmten Staatsanwalt angehört und Einsicht in weitere Akten der Bundesanwaltschaft sowie der Beschwerdekammer genommen.

b. Sachverhalt Im Folgenden wird der im Bericht dargestellte Sachverhalt wörtlich zitiert (auf die Weglassung von Hinweisen auf Dokumente wird in eckigen Klammern [...] hingewiesen):

27

«3.1

Im Verlaufe der 1990er-Jahre, als er noch bei der Zentralbehörde der Kriminalpolizei angestellt war, hatte sich der Bundesanwalt in die USA begeben, wo er mit Einverständnis der örtlichen Behörden Ramos als Zeugen zu Umständen befragte, welche im Zusammenhang mit einem von der Bundesanwaltschaft eröffneten Ermittlungsverfahren wegen Geldwäscherei von aus einem bedeutenden Drogenhandel stammenden Mitteln standen. Aufgrund dieser Einvernahme war der Bundesanwalt zur Überzeugung gelangt, dass Ramos über wichtige Informationen betreffend dieser Art krimineller Aktivität verfüge, und dass er bereit sei, mit der Justiz zusammenzuarbeiten [...].

3.2

Ramos war im Jahre 1990 in den USA festgenommen worden. Für seine Teilnahme am Drogenhandel zwischen Kolumbien, Mexiko und den USA war er zu einer Strafe von insgesamt zwei Mal lebenslänglich, zuzüglich 20 Jahre Zuchthaus verurteilt worden. Ramos war indessen einverstanden, mit gewissen Polizeibehörden in den USA zusammenzuarbeiten, weshalb die gesamthaft zu verbüssende Strafe, was in den USA üblich ist, auf 12 Jahre Gefängnis reduziert wurde [...].

Dem Bundesstrafgericht und der Bundesanwaltschaft wurde Gelegenheit gegeben zu prüfen, ob mit der Veröffentlichung das Untersuchungsgeheimnis in der Strafverfolgung gewahrt bleibt. Die Beschwerdekammer beantragte in ihrer Stellungnahme, auf eine Veröffentlichung zu verzichten. Sie machte jedoch nicht geltend, dass überwiegende öffentliche oder private Interessen oder das Untersuchungsgeheimnis einer Veröffentlichung entgegen stehen würden.

2021

3.3

Im Juli 2001 hatte Ramos seine Strafe vollständig verbüsst. Sein Anwalt hatte vergeblich versucht, für seinen Klienten und dessen Ehefrau von den amerikanischen Behörden eine Aufenthaltsbewilligung zu erlangen, weshalb Ramos im Hinblick auf seine Abschiebung weiterhin in Haft blieb. Der Anwalt von Ramos wandte sich damals an den Bundesanwalt, um diesen um Unterstützung zu bitten [...], wobei er versicherte, sein Klient verfüge über Informationen, welche für die Schweizer Behörden von Nutzen sein könnten, darin eingeschlossen solche im Bereiche der Geldwäscherei [...].

3.4

Mit Schreiben an die amerikanische Zolldirektion vom 17. Mai 2002 und an die amerikanische Bundesanwaltschaft vom 21. Juni 2002 versuchte der Bundesanwalt, auf die Haltung der amerikanischen Behörden Einfluss zu nehmen und diese dazu zu bewegen, Ramos zu gestatten, in den USA zu bleiben. Der Bundesanwalt hatte die Absicht, ihn in den USA befragen zu lassen, um Informationen über kriminelle Aktivitäten betreffend die Schweiz zu erlangen [...]. Aufgrund eines Konfliktes zwischen den amerikanischen Zollbehörden (U.S. Customs Service) und dem amerikanischen Justizdepartement (Department of Justice) blieb diese Intervention jedoch ohne Erfolg und Ramos wurde nicht gestattet, in den USA zu verbleiben. Hingegen erhielt er die Möglichkeit, in das Land seiner Wahl auszureisen. Dies war zumindest die Erklärung, welche den Schweizer Behörden gegenüber abgegeben wurde [...].

3.5

Mit einem einlässlichen Schreiben vom 25. Juni 2002 schilderte der Bundesanwalt dem Chef BKP die Situation von Ramos und wies insbesondere darauf hin, dass diese Person in der Lage wäre, Informationen über Bankkonten in der Schweiz zu liefern, auf welchen sich Drogengelder befänden. Der Chef BKP wurde im Wesentlichen ersucht zu entscheiden, ob seine Behörde daran interessiert sei, diejenigen Informationen zu nutzen, welche Ramos liefern könnte. Im bejahenden Fall möge er prüfen, ob die BKP in der Lage wäre, Ramos in der Schweiz zu empfangen und zu überwachen [...]. Nachdem der Chef der BKP ein entsprechendes Interesse signalisiert hatte [...], fanden zwischen dem Bundesanwalt und der BKP Gespräche statt, welche zur Ausarbeitung eines detaillierten Konzepts für den Empfang des Informanten führten mit dem Hauptziel, die Struktur des kolumbianischen Drogenkartells in der Schweiz aufzudecken und in der Schweiz angelegte Gewinne zu beschlagnahmen [...]. Auf Anregung des Bundesanwalts hin sollte eine , genannt (nachfolgend: Task force Guest), gebildet werden. Mit dieser Aufgabe sollten mehrere Polizeibeamte betraut werden, unter der Führung des Polizeibeamten X., welcher vom Bundesanwalt persönlich vorgeschlagen worden war [...].

3.6

Im Herbst 2002 begaben sich Polizeibeamte der Task force Guest in die USA, wo sie mit dem sich immer noch in Haft befindenden Ramos, mit dem für ihn zuständigen Führungsoffizier sowie weiteren amerikanischen Beamten Kontakt aufnahmen. Sie hatten den Eindruck, Ramos sei ein verlässlicher Informant, verfüge jedoch, entgegen seinen Angaben und dem, was aus einem an sie gerichteten Schreiben hervorging, nicht über in der Schweiz für die Verbrechensbekämpfung direkt verwertbare Informationen [...].

2022

3.7

Ramos machte geltend, um seine Informationen aufzufrischen, müsse er gewisse Kontakte wieder aufnehmen, was ihm nur in Freiheit möglich sei. Der Bundesanwalt und der Chef BKP beschlossen daher am 30. Oktober 2002 gemeinsam, Ramos in die Schweiz zu bringen [...].

3.8

Ramos kam am 21. Dezember 2002 in der Schweiz an, wo er von der Task force Guest in Empfang genommen wurde [...]. Er verfügte über einen echten, auf seine wahre Identität lautenden kolumbianischen Pass (oder jedenfalls einen auf seinen neuen Namen lautenden, nachdem der Name nach den Regeln des amerikanischen Rechts geändert worden war; [...]). Zur Bewilligung seines Aufenthalts in der Schweiz wurde ihm von der zuständigen kantonalen Behörde ein Ausländerausweis ausgehändigt [...].

3.9

Hinsichtlich der Vermögenswerte kriminellen Ursprungs, von denen Ramos versprochen hatte, er werde sie in der Schweiz ausfindig machen, gab er an, die nötigen Kontakte wieder aufgenommen zu haben und in der Lage zu sein, die für eine Einziehung dieser Vermögenswerte notwendigen Informationen zu liefern. Allerdings würden seine als Gegenleistung einen hohen Prozentsatz der einzuziehenden Vermögenswerte fordern. Dieses Angebot wurde von der BKP abgelehnt, da es mit dem schweizerischen Recht nicht vereinbar war [...].

3.10

Von seinem Status als ehemaliger «Drogenbaron» profitierend, schien Ramos dennoch in der Lage zu sein, mit in der Schweiz operierenden südamerikanischen Kreisen sowie diese unterstützenden Finanzintermediären in Kontakt treten zu können. Die BKP beschloss deshalb, Ramos solche Kontakte knüpfen zu lassen, allerdings unter sehr enger Kontrolle. Um ihm die Grenzen des erlaubten Handelns aufzuzeigen, wurde Ramos ein Dokument in spanischer Sprache [...] ausgehändigt, welches die Schranken seiner Intervention definierte. Dieses Dokument stellt in Anlehnung an die Weisungen der BKP vom 1. Juli 2002 betreffend «Inanspruchnahme von Informanten und Einsatz von Vertrauenspersonen» [...] unmissverständlich klar, dass Ramos jegliche Provokation zu unterlassen habe. Es hält auch fest, dass Ramos jeglicher Kontakt mit ausländischen Behörden untersagt sei. Die BKP war sich nämlich dieses Risikos sehr wohl bewusst, weil Ramos in den USA mit Polizeibehörden zusammengearbeitet hatte, wobei die dort geltende Gesetzgebung von derjenigen in der Schweiz stark abweicht [...]. Diese Anweisungen wurden Ramos während der Dauer seines Einsatzes bei zahlreichen Gelegenheiten in Erinnerung gerufen [...].

3.11

Aufgrund seiner Kontakte, hauptsächlich im , sammelte Ramos zahlreiche Informationen und leitete diese an die Task force Guest weiter. Stufte letztere diese als hinreichend interessant ein, erstellte sie daraus einen Rapport, welcher an eine weitere Gruppe der BKP, die sog. Task force Go, gerichtet wurde. Dabei wurde jeweils die Quelle nicht beim Namen benannt. Diese Einheit nahm jeweils eine eigene Einschätzung der Sachlage vor. Sie überprüfte gegebenenfalls die erhaltenen Angaben oder tätigte die üblichen polizeilichen Nachforschungen und entschied dann, wobei eine Kontrolle durch die Vorgesetzten erfolgte, über die Rapportierung an die Bundesanwalt2023

schaft im Hinblick auf die Eröffnung eines eigentlichen Ermittlungsverfahrens [...].

3.12

Ramos hat in diesem Kontext der Task force Guest zahlreiche Informationen geliefert, wovon der grösste Teil sich auf Drogenhandel bezog, in geringerem Masse betrafen sie auch die Geldwäscherei aus Drogenhandel sowie Menschenhandel. Mehrere dieser Informationen wurden nicht ausgewertet, sei es, dass sie nicht der schweizerischen Gerichtsbarkeit unterstehende Straftaten betrafen, sei es, dass die BKP nicht über die nötigen Ressourcen für deren Weiterverfolgung verfügte. In einem Fall wurden Informationen an eine Kantonspolizei weitergeleitet, da die festgestellten Sachverhalte in deren Zuständigkeitsbereich fielen. In neun Fällen [...] wurden jedoch aufgrund der von Ramos beschafften Informationen Ermittlungsverfahren eröffnet (d. h. Ermittlungshandlungen im Sinne von Art. 101 Abs. 2 BStP). Drei dieser Verfahren wurden in der Folge eingestellt, wobei in einem Fall erhebliche Vermögenswerte in der Schweiz hatten beschlagnahmt werden können. Die übrigen Verfahren sind noch hängig.

3.13

Von Anfang an hatte die BKP den von Ramos gelieferten Informationen Misstrauen entgegengebracht. Seine Glaubwürdigkeit bestätigte sich jedoch bald, als Ramos Informationen über einen Drogenhändlerring lieferte. Gegen diesen war bereits ein Ermittlungsverfahren eröffnet worden und es war eine Telefonüberwachung geschaltet, wovon Ramos indessen nichts wusste. Die Informationen von Ramos in dieser Angelegenheit stimmten mit denjenigen aus der Überwachung überein [...] und bestärkten somit dessen Glaubwürdigkeit.

3.14

Zwischen BKP und Bundesanwalt war vereinbart, einen Staatsanwalt des Bundes abzuordnen, um der Task force Guest mit juristischem Rat zur Seite zu stehen. Im Rahmen dieses Auftrags nahm der Staatsanwalt des Bundes aktiv und regelmässig an Besprechungen dieser Einheit teil, ohne freilich jemals direkt in deren operationellen Entscheide eingegriffen zu haben [...].

3.15

Aufgrund ihrer Kontrollen gelangten die Polizeibeamten der Task force Guest im Sommer 2004 zur Überzeugung, dass Ramos, entgegen den erhaltenen Anweisungen, mit ausländischen, wahrscheinlich mit amerikanischen Behörden unbefugterweise in Kontakt getreten war. Darauf wurde entschieden, der Zusammenarbeit mit Ramos umgehend ein Ende zu setzen. Er wurde aufgefordert, die Schweiz sofort zu verlassen, was am 24. August 2004 auch erfolgte. Ramos wurde am besagten Tag in ein Flugzeug Richtung Kolumbien gesetzt [...]).

3.16

Ramos ist die einzige Vertrauensperson dieses und von dieser Art (ein im Ausland zu langjähriger Strafe verurteilter Verbrecher, welcher speziell für diese Rolle in die Schweiz verbracht wurde), welche zumindest in der jüngeren Vergangenheit von der BKP wurde. Die dabei gemachte Erfahrung, d. h. die Betreuung einer solchen Person durch eine eigens zu diesem Zweck zusammengestellte besondere Polizeieinheit, war zuvor noch nie gemacht worden. In der Folge kam es zu keinem weiteren derartigen Einsatz mehr [...]. Zu erwähnen ist allerdings, dass die Task force Guest sich im Januar 2004

2024

noch mit einem anderen Informanten zu hatte, welcher unaufgefordert bei einer Schweizer Botschaft im Ausland vorstellig geworden war und vorgegeben hatte, über Informationen zu Drogenhandel in der Schweiz zu verfügen. Dem Betreffenden wurden schriftliche Anweisungen gegeben, identisch mit den Anweisungen, welche Ramos erhalten hatte [...]. Diese Aktion wurde jedoch bereits nach zwei Wochen eingestellt [...].

3.17

Im zuvor beschriebenen Zusammenhang (oben Ziffer 11 und 12) informierte Ramos die für ihn zuständigen Polizeibeamten im Frühling 2003, dass er von der Existenz eines erfahren habe, welcher vorgegeben habe, in Zürich an der Geldwäscherei von aus dem Drogenhandel des Pablo Escobar-Klans stammenden Vermögenswerten beteiligt gewesen zu sein. Ramos ergänzte diese Information dahingehend, dieser Bankier sei nach wie vor in diesem Bereich tätig. Er kannte den Namen des Betroffenen nicht, gab jedoch an, mit Hilfe seiner Kontaktperson in der Lage zu sein, einen Termin bei dieser Person zu erhalten. Es wurde Ramos erlaubt, sich an diese Unterredung zu begeben, wobei er jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass ihm jede Art von Provokation untersagt sei [...]. Ramos berichtete in der Folge, dass dieses Gespräch stattgefunden hatte. Er bezeichnete H. als diesen Bankier und gab an, dieser habe sich unaufgefordert bereit erklärt, die Anlage von Vermögenswerten illegalen Ursprungs gewährleisten zu können. Er hätte gar die Möglichkeit der Geldwäscherei von aus dem Drogenhandel stammenden Vermögen erwähnt [...]. Diese Information wurde als ausreichend glaubwürdig eingestuft und an die Task force Go weitergeleitet. Letztere führte die erforderlichen Untersuchungen durch, um H. genau zu identifizieren. Mit Bericht vom 19. Juli 2003 an die Bundesanwaltschaft wurde die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens beantragt [...]. Dem Antrag wurde stattgegeben und in der Folge ein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Im Rahmen dieses Verfahrens wurde eine Telefonüberwachung angeordnet und es kam ein verdeckter Ermittler zum Einsatz. Letzterer wurde zudem ermächtigt, sich mit einem Tonaufnahmegerät zu versehen. Dieses gegen H. laufende Verfahren ist gegenwärtig in der Voruntersuchung beim Eidgenössischen Untersuchungsrichteramt (nachfolgend: URA) hängig. Die Rolle von Ramos wird in keiner Verfahrensakte erwähnt.»

c. Nachtrag im Sachverhalt Nach Abschluss des Berichts und der Vernehmlassung durch die betroffenen Behörden Bundesanwaltschaft und BKP wurden dem Präsidenten der Beschwerdekammer von Nationalrat J. Alexander Baumann amerikanische Akten eingereicht, die zur nachträglichen Einfügung des folgenden Abschnittes führten:

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«3.18 Aufgrund verschiedener Unterlagen, welche der Beschwerdekammer im Verlaufe der Abklärungen für diesen Bericht von dritter Seite zur Verfügung gestellt wurden [...], lässt sich die Vermutung nicht von der Hand weisen, dass Ramos während seines Aufenthalts in der Schweiz insbesondere auch für die Strafverfolgungsbehörden der USA arbeitete, war er doch für diese seit 1991 als verdeckter Ermittler tätig [...]. Es bestehen jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Bundesanwaltschaft oder die BKP von solchen Aktivitäten wussten und diese duldeten.» d. Rolle der fachlichen Aufsichtsbehörde Der Bericht präzisiert zunächst die Rolle der fachlichen Aufsichtsbehörde (Art. 28 Abs. 2 SGG) und zeigt deren Grenzen auf. Dabei hält die Beschwerdekammer fest: «Die fachliche Aufsicht unterscheidet sich von der gerichtlichen Aufsicht im Einzelfall darin, dass sie sich auf das allgemeine Verhalten oder auf Verhaltensweisen der beaufsichtigten Behörde bezieht und nicht auf bestimmte Sachlagen, welche Gegenstand einer Beschwerde gemäss Artikel 105bis BStP und Artikel 28 Absatz 1 Buchstabe a SGG bilden können. Die Aufsichtsbehörde hat auch nicht die Aufgabe, die im Rahmen eines Strafverfahrens erhobenen Beweise zu würdigen. Diese Beweiswürdigung obliegt einzig dem Strafrichter, im Bundesstrafprozess der Strafkammer des Bundesstrafgerichts (Art. 26 SGG).

[...] Die materielle Aufsicht ermöglicht darüber hinaus auch kein Einschreiten im Bereiche des Ermessens und der Beurteilung der Zweckmässigkeit der von der Polizei eingesetzten Mittel. Die Beschwerdekammer soll im Weiteren auch nicht an Stelle der Bundesanwaltschaft über die Angemessenheit der einen oder anderen Methode entscheiden. Die Methodenwahl obliegt ausschliesslich dieser Behörde selbst, und ein Einschreiten der Beschwerdekammer wäre nur gerechtfertigt, wenn sich herausstellen sollte, dass die von der Strafverfolgungsbehörde getroffenen Entscheidungen mit ihrer Aufgabe im Widerspruch stünden. [...] Die Rolle der Beschwerdekammer beschränkt sich daher auf die Abklärung der Frage, ob die von der Bundesanwaltschaft und der BKP angewendeten Methoden gesetzeskonform waren oder ob sie das Gesetz verletzten. Diese Prüfung verlangt genau genommen eine Antwort auf folgende Fragen: 1.

Ist es zulässig, dass gewisse Elemente einer Ermittlung nicht in den Verfahrensakten enthalten sind?

2.

War die Ramos übertragene Rolle gesetzeskonform?

3.

Bestand ein hinreichender Verdacht für die Eröffnung eines Strafverfahrens? Wurden insbesondere im Fall H. die Überwachungsmassnahmen und der Einsatz eines verdeckten Ermittlers unter Beachtung des geltenden Rechts angeordnet?»

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e. Offenlegung von Informationsquellen der Polizei Zur Frage, ob die BKP oder die Bundesanwaltschaft in den Ermittlungsakten die Existenz von Ramos und dessen Rolle im Rahmen der aufgrund seiner Informationen eröffneten Ermittlungen hätten erwähnen müssen, stellt die Beschwerdekammer fest: «Die Polizei ist nicht verpflichtet, alle Details ihrer Ermittlungshandlungen offen zu legen.28 Ihre Arbeitsunterlagen und taktischen Untersuchungsmassnahmen müssen nicht zwingend in den Akten erscheinen.29 Unbestreitbar ist die Polizei befugt, Informanten zu verwenden, welchen sie Vertraulichkeit zusichern kann. Es ist folglich nicht gesetzeswidrig, Informationen mit Hilfe von Personen zu gewinnen, welche selber kriminellen Kreisen angehören, und deren Existenz in den Ermittlungsakten nicht offen zu legen.30 Die Möglichkeit (bzw. Pflicht), die Existenz eines Informanten zu verschweigen und dessen Identität nicht offen zu legen, besteht auf jeden Fall dann, wenn die von diesem Polizeigehilfen erlangten Informationen nicht als Beweismittel gegen den Angeschuldigten verwendet werden.

Vorliegend zeigte sich aufgrund der erfolgten Abklärungen, dass die von Ramos eingeholten Informationen weder im gegen H. laufenden Verfahren noch in den anderen Fällen als Beweismittel gegen die betroffenen Angeschuldigten verwendet wurden. Die Befragung von Ramos als anonymer Zeuge wurde auch nicht in Betracht gezogen, obschon diese Art von Zeugnis im schweizerischen Recht nicht zwingend ausgeschlossen ist.31 Die von Ramos erlangten Informationen wurden im Verfahren auch nicht in Form einer indirekten Zeugenaussage als Beweismittel verwendet, obschon ein derartiges Vorgehen unter gewissen Umständen zulässig sein kann.32 Der Entwurf der schweizerischen Strafprozessordnung sieht zudem ausdrücklich vor, dass einem Zeugen unter gewissen Bedingungen die Anonymität zugesichert werden kann (Art. 146 und 147 E-StPO). Die Verwendung von Erkenntnissen eines Informanten unterliegt

28 29

30

31 32

BGE 112 Ia 18, 24 E. 5; Bernard Corboz, L'agent infiltré, in ZStrR 111 (1993) S. 307 ff., insbes. 322.

Gérard Piquerez, Procédure pénale suisse, Zürich 2000, N. 777; Robert Hauser/Erhard Schweri/Karl Hartmann, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl., Basel 2005, § 55 N. 15; Niklaus Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, 2. Aufl., Bern 2005, N. 945.

Eugen Thomann, Verdeckte Fahndung aus der Sicht der Polizei, in ZStrR 111 (1993) S. 285 ff., insbes. 295 bis 298; Robert Hauser, Anonyme Gewährspersonen im Strafprozess, in ZStrR 82 (1966) S. 306 ff., insbes. 309 ff.; für das französische Recht: Jean Pradel, Manuel de procédure pénale, 11. Aufl., Paris 2002, S. 383; Roger Merle/André Vitu, Traité de droit criminel, Band II. Procédure pénale, 5. Aufl., Paris 2001, S. 223; Dalloz, Code pénal, 103. Aufl., Paris 2006, N. 94 und 95 zu Art. 226-13 StGB-FR; für das deutsche Recht: Lemke/Julius/Krehl/Kurth/Rautenberger/Temming, Strafprozessordnung, 3.

Aufl., Heidelberg 2001, § 163 N. 12.

BGE 118 Ia 457, 460 ff. E. 3; BGE 125 I 127, 141 ff. E. 7.

Robert Roth, Protection procédurale de la victime et du témoin: enjeux et perspectives, in ZStrR 116 (1998) S. 384 ff., insbes. 394 f.; siehe auch Andreas Donatsch, Die Anonymität des Tatzeugen und der Zeuge vom Hörensagen, in ZStrR 104 (1987) S. 397 ff.

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schliesslich auch nicht den Bedingungen für den Einsatz eines verdeckten Ermittlers.33 Schlussfolgerung: Indem BKP und Bundesanwaltschaft die Existenz von Ramos verschwiegen und dessen Rolle in den Strafakten nicht offen gelegt haben, haben sie das geltende Recht nicht verletzt.» f. Die Tätigkeit von Ramos auf schweizerischem Staatsgebiet Zur Frage, ob BKP und Bundesanwaltschaft befugt waren, Ramos den Auftrag zu erteilen, selbst Informationen in der Schweiz zu erheben, hält der Bericht fest: «Die polizeiliche Praxis in der Schweiz unterscheidet im allgemeinen drei Arten von Hilfspersonen: den einfachen Informanten (informateur), welcher der Polizei gelegentlich aus eigener Initiative erlangte Informationen liefert; die Vertrauensperson (personne de confiance), welche unter polizeilicher Kontrolle beauftragt ist, Informationen zu beschaffen und weiterzuleiten; und schliesslich den verdeckten Ermittler (agent sous couverture), welcher unter falscher Identität im Strafverfahren verwertbares Beweismaterial über kriminelle Aktivitäten sammelt. Vorliegend gehört Ramos offensichtlich der zweiten Kategorie an. Als Ramos von der Schweizer Polizei kontaktiert wurde, verfügte dieser über keine im Rahmen eines Strafverfahrens direkt verwertbare Informationen. Die Bundesanwaltschaft und die BKP waren dennoch der Ansicht, dass Ramos aufgrund seiner Vergangenheit und seiner Erfahrung in der Lage sei, sich in Kreisen Zugang zu verschaffen, zu denen die Polizei keinen Zugang hat, und auf diese Weise an Informationen über kriminelle Aktivitäten in der Schweiz heranzukommen.

[...]

Im hier interessierenden Zeitraum kannte die schweizerische Gesetzgebung noch keine Bestimmungen über die verdeckte Ermittlung, was jedoch nicht bedeutet, dass der Einsatz derartiger Mittel nicht erlaubt gewesen wäre [...]. Das BVE schliesslich ist seit seinem Inkrafttreten nur auf eigentliche verdeckte Ermittler anwendbar, nicht jedoch auf einfache Informanten und Vertrauenspersonen.34 Daraus ergibt sich, dass der Einsatz einer Vertrauensperson für die Informationsbeschaffung in gewissen Kreisen, die strafbarer Handlungen verdächtigt werden, in den nachfolgend noch zu erläuternden Grenzen [...] nicht gesetzeswidrig ist.

Schlussfolgerung: Die Ramos anvertraute Mission verstiess nicht gegen schweizerisches Recht, und der Bundesanwaltschaft und der BKP kann daher der Einsatz solcher Untersuchungsmethoden nicht zum Vorwurf gemacht werden.»

33

34

BBl 1998 4283; Robert Hauser/Erhard Schweri/Karl Hartmann, a.a.O., § 75 N. 29; Wolfgang Wohlers, Das Bundesgesetz über die verdeckte Ermittlung (BVE), in ZSR 124 (2005) S. 222; Niklaus Oberholzer, BG über die verdeckte Ermittlung: Kein Meisterstück der helvetischen Gesetzgebung, in Anwaltsrevue 2/2005 S. 57.

Niklaus Oberholzer, a.a.O., S. 57.

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Zur Frage, ob Ramos mit Wissen der BKP und der Bundesanwaltschaft die ihm in seiner Rolle auferlegten Grenzen überschritten habe, schreibt die Beschwerdekammer: «Ist der Beizug einer Vertrauensperson als solcher auch ohne ausdrückliche Gesetzesgrundlage zulässig, so muss zusätzlich auch der konkrete Einsatz dieser Hilfsperson mit dem geltenden Recht vereinbar sein. Vorliegend gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass solche Gesetzesverletzungen stattgefunden hätten. Die getätigten Abklärungen haben gezeigt, dass Ramos mit echten, auf seinen nach amerikanischem Recht rechtmässig erworbenen Namen lautenden Ausweispapieren in die Schweiz eingereist war. Eine provisorische Aufenthaltsbewilligung wurde ihm von der zuständigen Schweizer Behörde erteilt. Die Bestimmungen des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG, SR 142.20) wurden demnach eingehalten. Ramos wurde nie mit einem Ton- oder Bildaufnahmegerät ausgestattet, mit Hilfe dessen er unbefugte Aufnahmen im Sinne von Artikel 179bis ff. StGB hätte erstellen können. In den Polizeiakten gibt es keine Anzeichen auf solche Aufnahmen, und die befragten Beamten haben übereinstimmend bekräftigt, dass solche Mittel nie eingesetzt worden seien.

Gemäss den detaillierten schriftlichen Anweisungen, welche Ramos mehrfach in Erinnerung gerufen wurden, war es diesem formell untersagt, mit anderen Polizeibehörden zusammenzuarbeiten. Eine solche Zusammenarbeit mit ausländischen Behörden hätte nämlich gegen Artikel 271 StGB verstossen. Als der Verdacht aufkam, dass Ramos diese Anordnung nicht eingehalten haben könnte, hat die BKP umgehend die nötigen Massnahmen getroffen, um die Zusammenarbeit mit ihm zu beenden und ihn aus der Schweiz auszuweisen. In diesem Zusammenhang konnten weder irgendwelche strafbaren Handlungen noch sonstige Gesetzesverletzungen festgestellt werden.

Es bleibt die Frage, ob Ramos im Rahmen seines Einsatzes bei der Polizei gegenüber Dritten, mit welchen er in Kontakt stand, ein provozierendes Verhalten an den Tag gelegt hat. Auch wenn im fraglichen Zeitraum (d. h. vor dem Inkrafttreten des BVE am 1. Januar 2005, dessen Art. 10 Abs. 1 jetzt ein solches Verbot vorsieht) keine spezielle Gesetzesbestimmung existierte, welche polizeilichen Hilfspersonen ein Auftreten als Lockspitzel («agent provocateur») untersagt hätte,
wurde ein derartiges Verhalten schon damals als rechtswidrig erachtet.35 Im vorliegenden Fall war das Provokationsverbot in den Anweisungen an Ramos ausdrücklich enthalten, und er wurde bei zahlreichen Gelegenheiten immer wieder auf diesen Punkt hingewiesen. In einem konkreten Verfahren ersuchte die Polizei den Staatsanwalt des Bundes, die Schranken der zulässigen Ermittlung zu definieren. Der Staatsanwalt des Bundes setzte diese Schranken ausgesprochen eng [...], und Ramos wurde in diesem Zusammenhang das Verbot, als Lockspitzel aufzutreten, erneut ausdrücklich in Erinnerung gerufen. Im Rahmen der vorliegenden Abklärung deutet nichts darauf hin, dass Ramos mit Wissen der BKP oder der Bundesanwaltschaft dieses Verbot nicht eingehalten hätte und durch sein Verhalten einen Dritten zu Gesetzesverstössen bestimmt hätte. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls darauf hinzuweisen, dass die BKP eine ausserordentlich umfangreiche und vollständige Dokumentation über den 35

BGE 124 IV 34, 38 ff. E. 3.

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Einsatz und die Führung von Ramos erstellt hatte, welche eine detaillierte Überprüfung der Geschehnisse ermöglichte.

Schlussfolgerung: Der konkrete Einsatz von Ramos war hinsichtlich Modalitäten und Umständen mit dem schweizerischen Recht vereinbar.» g. Die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Strafverfahrens Zur Frage, ob die Eröffnung von polizeilichen Ermittlungsverfahren aufgrund der von Ramos gelieferten Informationen gerechtfertigt war, hält der Bericht fest: «Gemäss Artikel 101 Absatz 1 BStP ordnet der Bundesanwalt die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens an. Der Begriff des bedingt einen Ermessensentscheid, welcher den Umständen der jeweiligen Situation Rechnung zu tragen hat. Während einerseits die bloss vage Vermutung, es sei eine Straftat verübt worden, für die Aufnahme von Ermittlungs- und Untersuchungshandlungen klar nicht ausreicht, kann anderseits auch nicht Sicherheit bezüglich einer solchen Tatbegehung verlangt werden. Um die Eröffnung einer Untersuchung zu rechtfertigen, reicht eine gewisse Wahrscheinlichkeit gestützt auf bestimmte Tatsachen, welche, sofern sie zutreffen, nach geltendem Recht eine Straftat darstellten.36 Vorliegend wurden aufgrund der von Ramos gelieferten Informationen neun gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren (gemäss 101 ff. BStP) eröffnet. In jedem dieser Fälle wurde der Eröffnungsentscheid aufgrund von Informationen über Sachverhalte gefällt, die in der Schweiz strafbare Handlungen darstellen, sofern sie tatsächlich begangen wurden. Die Glaubwürdigkeit von Ramos wurde im Zusammenhang mit einem konkreten Verfahren überprüft [...] und die Umstände, unter denen die von ihm erbrachten Informationen eingeholt wurden, liessen letztere als glaubwürdig erscheinen.

Schlussfolgerung: Indem die Bundesanwaltschaft Ermittlungsverfahren aufgrund der von Ramos gelieferten Informationen eröffnete, hat sie keine Gesetzesverletzungen begangen.» h. Das gegen H. eröffnete Strafverfahren Die Beschwerdekammer stellt in ihrem Bericht im Weiteren fest, die vorangehenden Erläuterungen seien ohne weiteres auch auf das gegen H. eröffnete Strafverfahren anwendbar. Angesichts der öffentlich erfolgten Kritik prüfte die Beschwerdekammer überdies die Frage,
ob die Überwachung von dessen Telefonverkehr und schliesslich der Einsatz eines verdeckten Ermittlers gesetzeskonform waren. Im Bericht wird die Schlussfolgerung gezogen, die Überwachung des Telefonverkehrs von H. sei unter Einhaltung des vom Gesetz vorgesehenen Verfahrens erfolgt. Im Weiteren habe die fachliche Aufsichtsbehörde keine materielle Prüfung vorzunehmen, ob die Anforderungen dafür erfüllt waren, zumal gegen die Überwachung keine Beschwerde erhoben wurde. In Bezug auf den Einsatz eines verdeckten Ermittlers gelangt die 36

Hans Walder, Strafverfolgungspflicht und Anfangsverdacht, in Recht 1990, S. 1 ff., 3.

2030

Beschwerdekammer in ihrem Bericht zum Schluss, sowohl der Einsatz eines solchen als auch die durch diesen getätigten Aufzeichnungen seien gesetzeskonform und aufgrund der konkreten Umstände gerechtfertigt gewesen.

i. Allgemeine Schlussfolgerung Der Bericht schliesst mit der folgenden allgemeinen Schlussfolgerung: «Aufgrund der von der Beschwerdekammer gemachten Feststellungen, welche sich auf eine sehr umfassende Aktenlage bezüglich Ramos und zahlreiche Einvernahmen stützen, ergibt sich, dass der Einsatz einer Vertrauensperson wie Ramos für Bundesanwaltschaft und BKP in den letzten Jahren einmalig in seiner Art war. Die Behörden waren sich der Risiken eines solchen Unternehmens bewusst und haben die nötigen Massnahmen getroffen, um diesen Risiken vorzubeugen. Die damals geltenden Gesetzesbestimmungen wurden sowohl beim eigentlichen Einsatz als auch anlässlich der in der Folge eröffneten Verfahren eingehalten. Im Übrigen ist es nicht an der Beschwerdekammer, über die Zweckdienlichkeit der eingesetzten Mittel zu befinden. Es ist auch nicht ihre Aufgabe, an Stelle der urteilenden Strafbehörde eine Würdigung der Beweise vorzunehmen, welche aufgrund der von Ramos gelieferten Informationen in den Strafverfahren erhoben wurden.»

2.2.3

Weitere Veröffentlichungen zu Ramos in einzelnen Medien und zusätzliche Abklärungen der GPK-N

Kurz vor dem Abschluss der durch die Bundesstrafrichter Bertossa und Keller durchgeführten Untersuchung veröffentlichte die Weltwoche einen weiteren Artikel zum Thema Ramos und zitierte «geheime Akten aus den USA», die beweisen würden, dass Ramos nicht nur ein Informant, sondern ein amerikanischer Doppelagent gewesen sei.37 Dieselben Unterlagen wurden von Nationalrat J. Alexander Baumann dem Präsidenten der Beschwerdekammer zu Handen der laufenden Untersuchung eingereicht (vgl. Ziff. 2.2.2 c).

Im Dezember 2006, nach Abschluss der Untersuchungen, beschuldigte die Weltwoche den Bundesanwalt aufgrund eines ihr durch eine Indiskretion zugegangenen Dokumentes aus der BKP, er habe in den Untersuchungen der Bundesstrafrichter Bertossa und Keller sowie in der Administrativuntersuchung «Lüthi» (vgl. Ziff. 2.3) nicht die ganze Wahrheit über seine Rolle in der Affäre Ramos gesagt. Er sei nicht nur «Türöffner» für die polizeiliche Zusammenarbeit mit Ramos gewesen, sondern habe mit ihm kooperiert, indem er sich am 20. Mai 2003 mit Ramos in einer Waldhütte in der Nähe von Bern getroffen habe.38 Abklärungen der GPK-N bei der BKP, der Bundesanwaltschaft sowie bei den Veranwortlichen der Untersuchungen der Beschwerdekammer und des Leiters der Administrativuntersuchung des EJPD ergaben keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Darstellung zutraf. Das EJPD als administrative Aufsichtsbehörde und die Beschwerdekammer als fachliche Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft wollten mit Verweis auf die laufende 37 38

Daniel Ammann: Neues vom Hexer, Weltwoche vom 24.8.2006.

Daniel Ammann: Bundesanwalt ohne Alibi, Weltwoche vom 14.12.2006.

2031

Untersuchung durch die GPK-N in der Öffentlichkeit zu den Vorwürfen nicht Stellung nehmen. Die die Untersuchung führende Subkommission hielt in einer Medienmitteilung fest, dass es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass den Untersuchungsbehörden Informationen in Bezug auf die Rolle des Bundesanwalts im Zusammenhang mit der Vertrauensperson Ramos vorenthalten worden seien (zu den entsprechenden Abklärungen der Subkommission siehe Ziff. 2.2.4 b).

Aufgrund der in den Medien aufgebrachten Vermutungen und Verdächtigungen richtete die Subkommission weitere Fragen im Zusammenhang mit der Person Ramos und seiner konkreten Führung und Betreuung durch die Task force Guest an Bundesstrafrichter Keller sowie an die BKP und verlangte Einsicht in weitere Unterlagen. Im Weiteren wurden von Nationalrat J. Alexander Baumann Fragenkataloge an die Subkommission herangetragen, denen die Subkommission ­ soweit sie nicht das hängige Strafverfahren gegen H. betrafen ­ ebenfalls nachging.

2.2.4

Ergebnisse der Anhörungen und schriftlichen Stellungnahmen zum Aufsichtszwischenbericht «Ramos»

Nach den weiteren Anschuldigungen in den Medien hat die Subkommission in Ergänzung der Ergebnisse des Untersuchungszwischenberichts «Ramos» folgende Fragen im Rahmen von Anhörungen und schriftlichen Stellungnahmen vertieft abgeklärt: 1.

Verdacht der «Doppelagentschaft» von Ramos bzw. der Zusammenarbeit von Ramos mit amerikanischen Behörden

2.

Persönliche Rolle des Bundesanwalts bei der Engagierung und Führung der Vertrauensperson Ramos

3.

Verantwortlichkeiten der Bundesanwaltschaft bzw. der BKP bei der Führung von Vertrauenspersonen und insbesondere im Fall von Ramos.

Da sich die Abklärungen der Administrativuntersuchung des EJPD (Bericht «Lüthi», vgl. Ziff. 2.3) teilweise thematisch mit dem Aufsichtszwischenbericht «Ramos» decken, wird im Folgenden punktuell auch auf Ergebnisse dieser Untersuchung hingewiesen.

a. Verdacht der «Doppelagentschaft» von Ramos bzw. der Zusammenarbeit von Ramos mit amerikanischen Behörden Definition des Doppelagenten: Zunächst ist die Frage zu klären, was unter einem Doppelagenten zu verstehen ist. Der Doppelagent ist ein nachrichtendienstlicher Begriff. Dabei handelt es sich um einen Agenten, der gleichzeitig für zwei gegeneinander arbeitende Nachrichtendienste tätig ist, das heisst, es geht um einen Spion, der nicht nur für das Land spioniert, das ihn beauftragt, sondern auch für das Land, das er bespitzeln soll, wobei Spionage voraussetzt, dass es um klassifizierte, d. h.

geheime Informationen geht, die der Spion auskundschaftet und an einen fremden Dienst weitergibt. Wie der Aufsichtszwischenbericht «Ramos» darlegt, war Ramos eine Vertrauensperson, die im Auftrag und unter der Führung der Bundeskriminalpolizei (BKP) des Bundesamtes für Polizei (fedpol) hauptsächlich im «zürcherischen Milieu» Informationen zu Drogenhandel, Geldwäscherei und Menschenhandel sammelte (vgl. Ziff. 2.2.2 b, Punkte 10­12, und f). Wenn Vertrauenspersonen ­ wie 2032

auch Informanten oder verdeckte Ermittler (vgl. die Definitionen im Aufsichtszwischenbericht «Ramos» unter Ziff. 2.2.2 f) ­ wie im vorliegenden Fall von den Strafverfolgungsbehörden eingesetzt werden, betrifft ihr Einsatz die kriminalpolizeiliche Arbeit und die Führung von Strafverfahren und steht in keinem Zusammenhang mit einer nachrichtendienstlichen Operation. Bei Ramos handelte es sich somit nicht um einen Agenten und demzufolge auch nicht um einen Doppelagenten. Ramos hatte nie Zugang zu geheimen Informationen. Er wurde von der BKP auch nicht über polizeiliche Ermittlungsmethoden bzw. ­ergebnisse informiert.

Zur Frage, ob Ramos Informant zweier Strafverfolgungsbehörden gewesen sein könnte: Es stellt sich allenfalls die Frage, ob Ramos im Rahmen seiner Informationsbeschaffung im Drogenmilieu gleichzeitig im Auftrag der amerikanischen Strafverfolgungsbehörden, für die er während der Zeit als Strafgefangener in den USA arbeitete, Informationen sammelte oder solche Informationen an eine ausländische Strafverfolgungsbehörde weitergab. Eine solche Tätigkeit von Seiten von Ramos wäre an sich nicht strafbar gewesen, aber sie war von den Schweizer Behörden unerwünscht und wäre nach Angaben der BKP auch nicht geduldet worden. Wie der Aufsichtszwischenbericht «Ramos» festhält (vgl. Ziff. 2.2.2 b, Punkt 10), war sich die BKP bewusst, dass ein Risiko bestand und Ramos versuchen könnte, wieder für die amerikanischen Strafverfolgungsbehörden zu arbeiten. Daher verbot sie ihm jeglichen Kontakt mit ausländischen Behörden. Es wurde ihm auch untersagt, in seiner Wohnung Kontakte zu pflegen.

Im Rahmen der Anhörungen erklärten die Vertreter der BKP gegenüber der Subkommission, dass die Polizeibeamten der Task force Guest aufgrund der engen Begleitung von Ramos und der regelmässigen Überprüfung seiner Kontakte gemerkt hätten, wenn solche Kontakte zu ausländischen Behörden stattgefunden hätten. Bei einer Kontrolle in der Wohnung von Ramos im Sommer 2004 trafen die BKPMitarbeiter einen Amerikaner an. Ramos wurde zum Kontakt zu dieser Person eingehend befragt. Der Amerikaner wurde polizeilich identifiziert und überprüft.

Auch seine Akten und Kommunikationsmittel wurden in dessen Einverständnis überprüft. Nach Angaben der BKP wurden dabei weder Beziehungen von Ramos zu Behörden von Drittstaaten noch strafrechtlich
relevante Umstände festgestellt.

Aufgrund dieses Regelverstosses und zwei weiteren Verstössen gegen Weisungen entschied der Chef BKP, die Zusammenarbeit mit Ramos sofort abzubrechen und ihn auszuschaffen. In Absprache mit Ramos wurde dieser am 24. August 2004 in ein Flugzeug nach Kolumbien gesetzt.39 Nach Angaben der BKP gab es keinerlei Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten von Ramos. Deshalb bestand für sie keine Veranlassung, ein Strafverfahren gegen ihn einzuleiten. Der Entscheid zum Abbruch der Zusammenarbeit erfolgte allein aufgrund der Regelverstösse, weil die BKP keine Risiken eingehen wollte.

Amerikanische Akten unbekannter Herkunft: Die der Beschwerdekammer nach Abschluss der Untersuchung eingereichten anonymen amerikanischen Akten führten dazu, dass im Aufsichtszwischenbericht «Ramos» die Ergänzung eingefügt wurde, aufgrund dieser Akten lasse sich die Vermutung nicht von der Hand weisen, dass Ramos während seines Aufenthaltes in der Schweiz insbesondere auch für die Straf39

Als die amerikanischen Behörden Ramos 2002 nach Kolumbien deportieren wollten, machte er geltend, dort an Leib und Leben gefährdet zu sein. Zur Frage, warum Ramos von der Schweiz 2004 trotzdem nach Kolumbien ausgeschafft wurde, erklärte die BKP, die Sicherheitslage sei auch von Ramos anders beurteilt worden als 2002.

2033

verfolgungsbehörden der USA gearbeitet habe. Es hätten jedoch keine Anhaltspunkte dafür bestanden, dass die Bundesanwaltschaft oder die BKP von solchen Aktivitäten gewusst und diese gedultet hätten (vgl. Ziff. 2.2.2 c und 2.2.3).

Da die BKP und die Bundesanwaltschaft zu dieser Berichtspassage nicht Stellung nehmen konnten (sie wurde nach der Vernehmlassung eingefügt) und sie die amerikanischen Akten nicht kannten, unterbreitete ihnen die GPK-N diese zur Analyse und Stellungnahme. Gleichzeitig liess die GPK-N die Dokumente von einem Mitarbeiter des Sekretariates der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) analysieren.

Die gemeinsame Stellungnahme von fedpol/BKP und der Bundesanwaltschaft vom 9. März 2007 und die Analyse des Sekretariates der GPDel vom 28. Februar 2007 gelangen unabhängig voneinander zu gleichen Schlüssen und widersprechen sich in keinem Punkt. Die Analysen kommen zum Schluss, dass die Dokumente nicht belegen könnten, dass Ramos während seines Aufenthaltes in der Schweiz vom Dezember 2002 bis August 2004 für die amerikanischen Strafverfolgungsbehörden tätig war. Sie würden ausschliesslich Ereignisse im Leben von Ramos vor seiner Einreise in die Schweiz betreffen. Es handle sich um Akten amerikanischer Behörden und darauf gestützte anonyme, private Recherchen über Ramos, die vermutlich von einer Partei in einem Verfahren in Auftrag gegeben worden seien. An einer Stelle spreche die Recherche bloss vage von einer «glaubwürdigen Wahrscheinlichkeit» (credible probability), dass Ramos für die US-Behörden arbeitete, als er in der Schweiz aktiv war. Diese Aussage sei faktisch unbelegt und gründe auf in sich widersprüchlichen und unbelegten Hypothesen, wonach die amerikanischen Behörden vor 2001 keine Haftreduktion für Ramos in Betracht gezogen hätten, weil dieser keine brauchbaren Informationen geliefert habe, woraus zu schliessen wäre, dass er sich seine Freilassung mit einer zukünftigen Zusammenarbeit erkauft haben müsse.

Die Hypothesen würden zudem im Widerspruch zu den gesicherten Informationen der BKP stehen, auf die auch der Aufsichtszwischenbericht «Ramos» hinweist (vgl.

Ziff. 2.2.2 b, Punkte 2­6), wonach die Haftreduktion wegen erfolgter Zusammenarbeit mit den amerikanischen Strafverfolgungsbehörden stattfand und die amerikanischen Behörden Ramos abschieben wollten, weil seine
Informationen für sie vollständig abgeschöpft gewesen seien. Wie die Analyse des Sekretariats der GPDel darlegt, enthalten die Akten zudem eine ebenfalls anonyme Recherche über einen Dolon Shane Ward alias Randall S. Bellamy, die in keinem ersichtlichen Zusammenhang zu Ramos stehe und die vermutlich aus der gleichen Quelle stamme wie die Recherche über Ramos. Aufgrund eines Artikels der Aargauer Zeitung40, der Bellamy als Quelle von Ramos für den Geldwäschereiverdacht gegen den Bankier H. identifiziert, liege der Schluss nahe, dass es sich bei den amerikanischen Akten um Privatrecherchen im Auftrag eines anonymen Auftraggebers handle, der am Strafverfahren gegen H. interessiert sei. Der Bericht des Sekretariates der GPDel zeigt im weiteren auf, dass dieselben anonymen amerikanischen Akten auch der Weltwoche als Grundlage für ihre Darstellung dienten, Ramos sei ein amerikanischer Doppelagent gewesen.41 Fedpol/BKP und die Bundesanwaltschaft weisen in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass Mitarbeitende von fedpol/BKP im Rahmen ihrer Abklärungen betreffend Vertrauenswürdigkeit und Einsatznutzen in den USA von einem hochrangigen Funktionsträger aus der Führungsebene des amerikanischen Generalstaatsanwalts die 40 41

Markus Gisler: Erschreckende Details zum Fall Ramos, Aargauer Zeitung vom 6.1.2007.

Daniel Ammann: Neues vom Hexer, Weltwoche vom 24.8.2006.

2034

ausdrückliche Zusicherung erhalten hätten, dass die amerikanischen Strafverfolgungsbehörden nicht mehr mit Ramos arbeiten würden, weil für die amerikanischen Verfahren dessen Informationen vollumfänglich abgeschöpft seien und nicht, weil er nicht nutzbringend sei. Sie halten im Weiteren fest, dass diese Papiere am grundsätzlichen Entscheid, Ramos einzusetzen, nichts geändert hätten, und verweisen darauf, dass die schweizerische Polizei ohnehin wie in allen Fällen auf die eigene Wahrnehmung hätte abstellen und sich ein eigenes, stetig zu überprüfendes Urteil bilden müssen, was beim Einsatz von Ramos der Fall gewesen sei.

b. Persönliche Rolle des Bundesanwalts bei der Engagierung und Führung der Vertrauensperson Ramos Die Rolle des Bundesanwalts bei der Engagierung und Führung von Ramos wird im Aufsichtszwischenbericht «Ramos» ausführlich dargelegt (vgl. Ziff. 2.2.2 b, Punkte 1­7). Die Administrativuntersuchung des EJPD (vgl. Ziff. 2.3), die sich teilweise mit den gleichen Fragen befasste, kommt zu den gleichen Ergebnissen.

Danach habe der Bundesanwalt den Kontakt zu Ramos vermittelt, weil er ihn von seiner früheren Ermittlungstätigkeit in den USA kannte und von dessen Anwalt kontaktiert worden war. Er habe der BPK Antrag gestellt, ihn in die Schweiz zu übernehmen und als Vertrauensperson durch die BKP einzusetzen. Zudem habe er der BKP einen Staatsanwalt für die juristische Beratung zur Verfügung gestellt.

Gemäss den Untersuchungsberichten übernahm er keine weitere Funktion im Zusammenhang mit Ramos (vgl. Bericht «Lüthi», S. 10 und 32).

Die Subkommission hat den ehemaligen Chef BKP, der im Anfangsstadium der Operation noch im Amt war, den interimistischen Chef BKP im Zeitraum von Juli bis Dezember 2002 sowie den seit 2003 amtierenden Chef BKP zu den Umständen befragt, wie der Entscheid, Ramos in die Schweiz zu holen, zustande kam und welche Rolle die Bundesanwaltschaft sowie der Bundesanwalt persönlich bei der späteren Führung der Vertrauensperson Ramos spielten.

Die Anhörungen zeigten, dass die damaligen Verantwortlichen der BKP in der frühen Planungsphase grundsätzlich der Meinung waren, dass die BKP in der Lage sei, eine solche Vertrauensperson zu führen. Sie wollten aber vor einem Entscheid die sich stellenden Fragen in Bezug auf die Vertrauenswürdigkeit von Ramos, die Möglichkeit, ihn in
den USA zu befragen, die Ressourcen, die Risiken der Führung einer Vertrauensperson mit krimineller Vergangenheit im «zürcherischen Milieu», die Erfolgsaussichten und den möglichen Nutzen des Einsatzes von Ramos genau geklärt haben. Nach eingehenden Abklärungen, welche die von der BKP eingesetzte Task force Guest unter anderem in den USA vor Ort durchführte, entschied die BKP bzw. das fedpol, die Operation durchzuführen. Ohne diesen Entscheid hätte das Projekt nicht lanciert werden können, da die gesamte operative Führung durch die BKP erfolgte, für welche sie explizit die alleinige Verantwortung übernahm.

Nach dem Grundsatzentscheid vom 30. August 2002 der zuständigen Behörden fedpol, BKP und Bundesanwalt, Ramos in die Schweiz zu nehmen, war der Bundesanwalt nicht in die operative Führung der Vertrauensperson Ramos involviert. Laut Angaben des Chefs BKP nahm der Bundesanwalt noch kurz an einer Sitzung teil, an der es um die Verlängerung des Projekts der Vertrauensperson Ramos ging. Mit Ramos selbst traf sich der Bundesanwalt einmal, wie er gegenüber der GPK-N bestätigte. Es handelte sich um das von der Weltwoche publik gemachte «Waldhüttentreffen» am 20. Mai 2003 (vgl. Ziff. 2.2.3). Das Treffen dauerte nach Angaben des Bundesanwalts 10 bis 20 Minuten. Es ging dabei nicht um operative Fragen in 2035

Bezug auf die Informationstätigkeit von Ramos, sondern um Probleme in seinem privaten Umfeld. Der Bundesanwalt hatte sowohl im Rahmen der fachlichen Untersuchung durch die Beschwerdekammer als auch im Rahmen der Administrativuntersuchung des EJPD über das Treffen orientiert, was von Seiten der Beschwerdekammer und vom Untersuchungsbeauftragten der Administrativuntersuchung EJPD gegenüber der GPK-N bestätigt wurde. Das Treffen wurde von beiden Untersuchungsbehörden als nicht von Bedeutung beurteilt. Im nicht veröffentlichten Anhang zum Bericht «Lüthi» (vgl. Ziff. 2.3), der Fragen zur operativen Führung von Ramos beantwortet, wird das Treffen ausdrücklich erwähnt. Die Darstellung der Weltwoche, der Bundesanwalt habe gegenüber den Untersuchungsbehörden das Treffen verschwiegen und mit Ramos «kooperiert», hat sich nicht bestätigt.

c. Verantwortlichkeiten der BKP bzw. der Bundesanwaltschaft bei der Führung von Vertrauenspersonen und insbesondere im Fall von Ramos Wie der Aufsichtszwischenbericht «Ramos» darlegt, war Ramos eine Vertrauensperson, die im Auftrag und unter der Führung der BKP des fedpol hauptsächlich im «zürcherischen Milieu» Informationen zu Drogenhandel, Geldwäscherei und Menschenhandel sammelte (vgl. Ziff. 2.2.2 b, Punkte 10­12, und f). Gemäss der Definition in den Weisungen der BKP vom 1. Juli 2002 betreffend Inanspruchnahme von Informanten und Einsatz von Vertrauenspersonen, Ziffer 4.1, ist eine Vertrauensperson (VP) «eine Privatperson, welche unter der Leitung der Polizei aufgrund eines bestimmten Auftrags und gemäss klaren Weisungen handelt.» Aus Ziffer 5.1 der Weisungen geht zudem hervor, dass eine Vertrauensperson ausschliesslich im Zuständigkeitsbereich der Bundeskriminalpolizei (BKP) eingesetzt wird. Vertrauenspersonen gehören zum Instrumentarium der Polizeiarbeit und werden auch in den Kantonen regelmässig vor allem im Bereich der Drogenkriminalität eingesetzt. Der Einsatz von Vertrauenspersonen gehört zum Bereich der polizeilichen Vorabklärungen, die erst zur Eröffnung eines gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahrens unter der Leitung der Bundesanwaltschaft führen, wenn ein hinreichender Verdacht auf strafbare Handlungen besteht (Art. 101 BStP). Informationen von Vertrauenspersonen sind nicht gerichtsverwertbar und gehen nicht in die Ermittlungsakten ein, was im
Aufsichtszwischenbericht «Ramos» ausdrücklich als rechtmässig bezeichnet wurde (vgl. 2.2.2 e).

Der Bericht «Lüthi» weist darauf hin, dass die Abgrenzung der Verantwortlichkeiten im Bereich der Vorabklärungen und somit für die Vertrauenspersonen nicht klar geregelt sei (Bericht «Lüthi», S. 12 ff.). Im konkreten Fall von Ramos bestätigt der Bericht «Lüthi», dass die Führung von Ramos durch die BKP nach den Weisungen der BKP erfolgte.

In den Anhörungen durch die Subkommission bekräftigte die Leitung der BKP, dass sie für die Führung von Vertrauenspersonen und auch für die Tätigkeit der Task force Guest im Fall von Ramos verantwortlich zeichnet. Dagegen findet sich in den Vorbereitungspapieren für das Projekt «Ramos» z. B. noch die Formulierung von Seiten der BKP, die Bundesanwaltschaft müsse die Gesamtverantwortung übernehmen. Dazu wurde von Seiten der BKP erklärt, für die rechtlichen Fragen wie die Frage des Aufenthalts usw. habe die Bundesanwaltschaft die Verantwortung zu tragen gehabt. Die Verantwortung für die Führung von Ramos innerhalb dieser Leitplanken sei aber bei der BKP gelegen.

2036

2.2.5

Feststellungen und Beurteilungen der GPK-N

Die Untersuchung der Beschwerdekammer sowie die ergänzenden Abklärungen der GPK-N führen zu folgenden Feststellungen: ­

Ramos wurde nicht als verdeckter Ermittler (VE) eingesetzt, sondern als Vertrauensperson (VP). Er wurde ­ wie bei Vertrauenspersonen üblich ­ nicht von der Bundesanwaltschaft geführt, sondern von der BKP, welche diese Führung unter strengen Auflagen und laufender Überwachung durchführte. Die Bundesanwaltschaft hat die rechtlichen Rahmenbedingungen überprüft, was ihrer Aufgabe entspricht. Die Führung der Vertrauensperson Ramos war im Rahmen des geltenden Rechts zulässig.

­

Der Bundesanwalt war Initiant für die Übernahme von Ramos aus den USA und dessen Einsatz in der Schweiz als Vertrauensperson der BKP. Für die Führung und den konkreten Einsatz von Ramos im Rahmen von Vorermittlungen übernahm die BPK die alleinige Verantwortung.

­

Da das Führen und der Einsatz von Vertrauenspersonen ausschliesslich eine polizeiliche Aufgabe darstellt, kann die GPK-N nicht nachvollziehen, weshalb sich der Bundesanwalt persönlich mit der Vertrauensperson Ramos in einer «Waldhütte» traf, um mit ihm Probleme in dessen privatem Umfeld zu besprechen.

­

Hinweise, dass Ramos während seines Aufenthalts in der Schweiz mit amerikanischen Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeitete oder in deren Auftrag tätig war, liegen der GPK-N nicht vor.

­

Die GPK-N ist im Rahmen der Untersuchung des Einsatzes von Ramos durch die BKP mit ihren Instrumenten an Grenzen gestossen; sie konnte aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes der polizeilichen Ermittler und wegen des Untersuchungsgeheimnisses nicht alle Resultate der Untersuchungsberichte «Ramos» und «Lüthi» über den konkreten Einsatz von Ramos selbst überprüfen.

Aufgrund der von Ramos beschafften Informationen wurden bis im August 2007 von der Bundesanwaltschaft neun gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren eröffnet. Vier dieser neun gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahren wurden eingestellt (gemäss Art. 106 BStP). Ein Ermittlungsverfahren ist zurzeit noch bei der Bundesanwaltschaft hängig; es ist vorgesehen, im 3. Quartal 2007 beim URA einen Antrag auf Eröffnung der Voruntersuchung zu stellen. In zwei Verfahren ist beim URA eine Voruntersuchung hängig. In zwei Verfahren ist die Voruntersuchung abgeschlossen; eines wurde zur Anklage gebracht, und die Strafkammer des Bundesstrafgerichts hat mehrjährige Zuchthausstrafen ausgefällt. Gegen das erstinstanzliche Urteil der Strafkammer wurde von der Bundesanwaltschaft beim Bundesgericht Nichtigkeitsbeschwerde erhoben, die vom Bundesgericht teilweise gutgeheissen wurde. Der Fall muss erneut vom Bundesstrafgericht beurteilt werden. Im anderen Verfahren ist die Anklage in Vorbereitung; es wurde bis zum Entscheid des Bundesgerichts über die Nichtigkeitsbeschwerde im ersten Verfahren zugewartet.

Ob der Einsatz von Ramos gemessen am Ergebnis richtig und angemessen war, ist eine Frage des Ermessens und der Prioritätensetzung im Rahmen der Strafverfolgung. Aus der Sicht der Strafverfolgungsbehörden ist der Einsatz von Vertrauenspersonen ein übliches polizeiliches Mittel, das insbesondere bei Delikten wie Geld2037

wäscherei, organisierte Kriminalität und Terrorismusfinanzierung als unerlässlich betrachtet wird. Politisch ist die Figur der Vertrauensperson in der Strafverfolgung umstritten. Im Bericht «Lüthi» wird bemängelt, dass der Einsatz von Vertrauenspersonen heute zu wenig klar geregelt sei (vgl. Ziff. 2.3.2). Der Vorsteher EJPD hat der Projektkommission des Projekts EffVor2 den Auftrag erteilt, eine entsprechende Regelung zu prüfen und allenfalls vorzuschlagen.

Die GPK-N hat festgestellt, dass der Spielraum und die Einsatzmöglichkeiten für Vertrauenspersonen heute sehr weit ist. Nach Meinung der GPK-N genügt die Regelung des Einsatzes und der Kontrolle von Vertrauenspersonen in einer Weisung der BKP nicht. Es sollte eine formell-gesetzliche Grundlage geschaffen werden, die die Vertrauensperson vom verdeckten Ermittler (VE) abgrenzt und die Einsatzmöglichkeiten und die Kontrolle von Vertrauenspersonen klärt.

Erstaunt hat die GPK-N der Umstand, dass die Beschwerdekammer in ihrem Aufsichtszwischenbericht «Ramos», nachdem dieser bereits verabschiedet war, aufgrund von anonymen amerikanischen Akten, die von Nationalrat J. Alexander Baumann dem Beschwerdekammerpräsidenten übergeben wurden, die Aussage in ihrem Bericht einfügte, die Vermutung lasse sich nicht von der Hand weisen, dass Ramos während seines Aufenthalts in der Schweiz insbesondere auch für die Strafverfolgungsbehörden der USA gearbeitet habe. Die betroffenen Behörden konnten zu den anonymen Akten und die darauf gestützte Bewertung im Bericht nicht Stellung nehmen (vgl. Ziff. 2.2.2 c und 2.2.4 a). Zwar werden im Bericht die Bundesanwaltschaft und die BKP gleichzeitig entlastet, indem festgehalten wird, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Bundesanwaltschaft oder die BKP von solchen Aktivitäten wussten und diese duldeten, doch wurden mit der unbelegten Aussage des Berichts weitere Spekulationen über eine angebliche «Doppelagentschaft» genährt42.

Die Beschwerdekammer hat sich trotz mehrfacher Aufforderung durch die GPK-N geweigert, ihr gemäss dem im Parlamentsgesetz festgeschriebenen Recht43 Einsicht in die Unterlagen, welche das Zustandekommen der nachträglichen Einfügung dokumentieren, zu gewähren. Die GPK-N verlangte für diesen Entscheid einen Kammerbeschluss, doch erhielt sie lediglich vom Beschwerdekammerpräsidenten und einem
Gerichtsschreiber unterzeichnete Schreiben, die auf keinen Kammerbeschluss Bezug nehmen. Nach Auskunft des Beschwerdekammerpräsidenten wurde der Passus durch ein nachträgliches Zirkulationsverfahren genehmigt. Damit bleiben weiterhin Zweifel offen, ob die nachträgliche Ergänzung des Berichts einer Beschlussfassung der Beschwerdekammer in Kenntnis der Fakten durch die Mitglieder unterzogen wurde.

Die GPK-N stellt fest, dass die Beschwerdekammer in Bezug auf den nachträglich eingefügten Passus das Recht der Bundesanwaltschaft und der BKP, als beaufsichtigte Behörden angehört zu werden, verletzt und überdies mangelnde Sorgfalt im Umgang mit anonymen und nicht beweistauglichen Akten geübt hat.

42 43

Siehe Andrea Bleicher und Andreas Windlinger: Jetzt ist es offiziell: Ramos war ein Doppelagent, SonntagsZeitung vom 4.2.2007.

Art. 153 Abs. 4 erster Satz, und Abs. 5 ParlG.

2038

2.2.6 9.

Schlussfolgerungen der GPK-N zum Aufsichtszwischenbericht «Ramos» Die Ergebnisse des Aufsichtszwischenberichts «Ramos» zeigen auf, dass die Bundesanwaltschaft und die Bundeskriminalpolizei (BKP) in Bezug auf den Einsatz und die Führung der Vertrauensperson Ramos rechtmässig gehandelt haben.

10. Die GPK-N kann nicht beurteilen, ob der Einsatz von Ramos opportun war; dies ist eine Frage des Ermessens und der Prioritätensetzung im Rahmen der Strafverfolgung.

11. Die GPK-N gelangt aufgrund ihrer Analyse zum Schluss, dass eine formellgesetzliche Regelung des Einsatzes von Vertrauenspersonen notwendig ist.

2.3

Administrativuntersuchung in der Bundesanwaltschaft (Bericht «Lüthi»)

2.3.1

Anlass und Entstehung

Nach der Veröffentlichung von schweren Vorwürfen an die Bundesanwaltschaft im Zusammenhang mit der Vertrauensperson Ramos in der Weltwoche vom 1. Juni 2006 beschlossen der Vorsteher EJPD und der Präsident der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts am Pfingstmontag, 5. Juni 2006, im Rahmen ihrer administrativen und fachlichen Aufsichtsfunktion eine ausserordentliche Überprüfung der Tätigkeit der Bundesanwaltschaft vorzunehmen (vgl. Ziff. 2.2.1). Am 14. Juni 2006 erteilte der Vorsteher EJPD Fürsprecher Rolf Lüthi, Bern, den Auftrag zur Durchführung einer Administrativuntersuchung. Gemäss diesem Auftrag waren der Einsatz und die Arbeitsweise der Task force Guest der Bundeskriminalpolizei (BKP) zu untersuchen, welche die Vertrauensperson Ramos geführt und betreut hat. Ausgehend von den Erkenntnissen aus Phase I sollte die Untersuchung in Phase II Fragen zur Organisation und Führung der Bundesanwaltschaft und zu den Abläufen der Verfahren beantworten.

Der Untersuchungsbeauftragte stellte dem EJPD seinen Bericht (im Folgenden Bericht «Lüthi») am 15. September 2006 zu. Der Bericht wurde am 29. September 2006 veröffentlicht.44

2.3.2

Schlussfolgerungen des Berichts

Zur Phase I der Abklärungen, wonach der Einsatz und die Arbeitsweise der Task force Guest der BKP zu untersuchen waren, gelangte die Administrativuntersuchung zum Schluss, dass Ramos als Vertrauensperson tätig war und seine Führung formell durch die BKP nach den Weisungen der BKP erfolgte. Weiter stellt der Bericht fest, dass vor dem Grundsatzentscheid, Ramos in die Schweiz zu holen, durch die BKP detaillierte Abklärungen gemacht wurden, ob Ramos als glaubwürdig erscheine und 44

Rolf Lüthi, Administrativuntersuchung in der Bundesanwaltschaft vom 15.9.2006 (http://www.ejpd.admin.ch/etc/medialib/data/pressemitteilung/2006/pm_2006_09_ 29.Par.0001.File.tmp/060929_ber_luethi-d.pdf).

2039

ob sich sein Einsatz lohnen würde. Alle Ausgaben für den Aufenthalt von Ramos seien von der BKP im Rahmen des ordentlichen Budgets bezahlt worden.

Im Weiteren hält der Bericht fest, der Bundesanwalt habe bei der BKP den Antrag gestellt, Ramos als Vertrauensperson einzusetzen. Er habe beim Grundsatzentscheid nach den Abklärungen durch die BKP mitgewirkt und der BKP einen Staatsanwalt für die allfällige juristische Beratung zur Verfügung gestellt. Die Bundesanwaltschaft habe im übrigen im Zusammenhang mit Ramos keine weitere Funktion mehr gehabt und auch kein Geld bezahlt. Die Aufgabenverteilung im Zusammenhang mit dem Einsatz von Ramos sei klar, und die Abläufe und Finanzflüsse seien formell korrekt gewesen.

Eine Reihe von Detailfragen zu Einsatz und Arbeitsweise der Task force Guest, zum Aufenthalt von Ramos in der Schweiz, zur Rekrutierung und Führung von Ramos sowie zu seiner Finanzierung wurden in einem nicht veröffentlichten Anhang zum Bericht beantwortet (Bericht «Lüthi» S. 9 f. und 32).

In Phase II waren Fragen zur Organisation und Führung der Bundesanwaltschaft und zu den Abläufen der Verfahren zu beantworten. Die Administrativuntersuchung gelangte zu folgenden Schlüssen: ­

Ausgehend von den Untersuchungen zu Ramos kommt der Bericht zum Schluss, die Abgrenzung der Verantwortlichkeit zwischen BKP und Bundesanwaltschaft vor der Eröffnung des gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahrens, also im Zeitpunkt der sogenannten «Vorermittlungen» oder «Vorabklärungen», sei heute nicht klar und müsse deshalb rasch gesetzlich geregelt werden (Bericht «Lüthi» S. 11­15 und 33).

­

Es fehle in den Weisungen der BKP an einer klaren Umschreibung der Voraussetzungen für den Einsatz von Vertrauenspersonen und deren mögliche Aufgaben. Nachdem seit 2005 der Einsatz von verdeckten Ermittlern (VE) gesetzlich geregelt ist, sei zu prüfen, ob es daneben die Kategorie der Vertrauensperson noch geben dürfe. Wenn ja, sei sie klar zu regeln (Bericht «Lüthi» S, 15 f. und 34).

­

Zur Frage des ordnungsmässigen Funktionierens der Bundesanwaltschaft weist der Bericht darauf hin, dass der rasche Aufbau der Bundesanwaltschaft und der BKP sowie der nachfolgende Marschhalt zu gewissen Problemen geführt haben. Trotz dieser schwierigen Rahmenbedingungen könne aber festgestellt werden, dass die Bundesanwaltschaft grundsätzlich ordnungsgemäss funktioniere und heute so organisiert sei, dass sie in der Lage sei, ihre Aufgaben richtig wahrzunehmen. Gleichzeitig zeigt der Bericht das vorhandene Verbesserungspotential auf. Von grösseren Änderungen innerhalb der Bundesanwaltschaft sei abzusehen. Organisation und Abläufe seien jedoch zu optimieren. Im Übrigen sollte eine Konsolidierungsphase eintreten (Bericht «Lüthi» S. 16­18 und 35).

­

Die Untersuchung zeigt auf, dass die Aufhebung der Voruntersuchung und damit des URA zu sehr grossen Verbesserungen und Vereinfachungen für die Abwicklung der Strafverfahren führen würde. Es bestehe heute eine Staulage beim URA, dessen Personalbestand im Verhältnis zu den vorgelagerten Instanzen zu klein sei. Diese Tatsache sei als Hauptgrund dafür zu betrachten, dass beim Bundesstrafgericht zu wenig Fälle eingehen (Bericht «Lüthi» S. 18 f. und 35).

2040

­

Zur Frage, ob in der Bundesanwaltschaft Führungsprobleme bestehen, kommt die Untersuchung zum Schluss, die heutige Aufteilung der Führungsverantwortung gemäss dem Organisationsreglement auf vier Hierarchiestufen (Bundesanwalt, Bereichsleiter, Zweigstellenleiter und Staatsanwälte) sei nicht zweckmässig und werde in der Praxis bereits anders gelebt.

Die nach Reglement allein dem Bundesanwalt zugewiesene fachliche Aufsicht über die operative Tätigkeit der Staatsanwälte konzentriere sich faktisch auf die wesentlichen Fälle und auf die Unterstützung auf Anfrage hin, was angesichts der grossen Zahl von Staatsanwälten sowie der Vielzahl von Fällen kaum anders möglich sei. Die praktische Wahrnehmung der Aufgaben führe zu einer zu unabhängigen Stellung der Staatsanwälte. Damit könne ein einheitliches fachliches Vorgehen nicht sichergestellt werden. Die Zuweisung der Aufgaben und der Verantwortung zu den Hierarchiestufen der Bundesanwaltschaft sei rasch zu überprüfen und neu zu regeln (Bericht «Lüthi» S. 20­22 und 35 f.).

­

Im Bereich der Organisation der Bundesanwaltschaft wird die vom Bundesanwalt eingeführte Abwicklung des Strafverfahrens als Projekt im Bericht als guter Ansatz bezeichnet, der zu intensivieren und auszubauen sei, was später zu Änderungen in der Organisation des operativen Teils der Bundesanwaltschaft führen könne. Im Übrigen sei die Organisation der Bundesanwaltschaft vorläufig nicht zu ändern, damit eine gewisse Konsolidierung eintreten könne. Zu überprüfen seien die Aufstiegsmöglichkeiten der Assistenten und stellvertretenden Staatsanwälte. Die Notwendigkeit der Zweigstellen wird bejaht, ein weiterer Ausbau jedoch abgelehnt (Bericht «Lüthi» S. 22­25 und 36 f.).

­

Im organisatorischen Verhältnis zwischen der BKP und der Bundesanwaltschaft ortet der Bericht ein Optimierungspotential. Der massive Ausbau beider Einheiten auf Anfang 2002 habe zwangsläufig intern und in Bezug auf die Zusammenarbeit Probleme geschaffen. Die Situation habe sich aber mit der Zeit verbessert. Empfohlen wird die Intensivierung der Zusammenarbeit durch den Ausbau der Abwicklung der Strafverfahren als Projekte, was zu einer besseren gemeinsamen Ressourcenplanung führe, und die Ausrichtung des Anforderungsprofils der Ermittler der BKP auf die Delikte der neuen Bundeskompetenzen. Weiter seien zwischen BKP und Bundesanwaltschaft gemeinsame Ermittlungsprioritäten festzulegen, und die Finanzermittler und Wirtschaftsprüfer der BKP seien in das Kompetenzzentrum Wirtschaftsprüfung der Bundesanwaltschaft zu integrieren. Abgelehnt wird im Bericht eine generelle administrative Eingliederung der Ermittler der BKP in die Bundesanwaltschaft. Aber die Abgrenzung der Verantwortung zwischen den beiden Behörden sei ­ nicht nur im Bereich der Vorermittlungen ­ sondern auch im Bereich der gerichtspolizeilichen Ermittlungen klar zu regeln (Bericht «Lüthi» S. 25­28 und 37).

2041

2.3.3

Reaktionen der betroffenen Behörden

Die Bundesanwaltschaft und das fedpol bzw. die BKP teilten in den Anhörungen durch die Subkommission weitgehend die Analysen des Berichts «Lüthi» und zeigten sich grundsätzlich bereit, die Empfehlungen umzusetzen. In Bezug auf die Abklärungen zu Ramos habe es zwar einige Überschneidungen zwischen den Untersuchungen der Beschwerdekammer und der Administrativuntersuchung gegeben, doch sei man dankbar für die weitgehend übereinstimmenden Feststellungen der Berichte. In Bezug auf die im Bericht «Lüthi» aufgeworfene Problematik der Abgrenzung der Verantwortung zwischen der BKP und der Bundesanwaltschaft im Bereich der Vorabklärungen äusserte die BKP die Meinung, diese Frage sei in der Zwischenzeit geregelt.

Die Empfehlungen des Berichts «Lüthi» wurden von der Projektkommission des Projekts EffVor2 zur Umsetzung der Neuausrichtung der Effizienzvorlage unter der Leitung von alt Regierungsrat Hanspeter Uster (ZG) inzwischen aufgenommen.

2.4

Situationsanalyse EffVor (Bericht «Uster»)

2.4.1

Anlass und Entstehung

Nachdem der Aufbau der Strafverfolgungsbehörden des Bundes seit 2002 im Rahmen der Effizienzvorlage (vgl. Ziff. 1.1 und 2.1.10 b) durch einen vom Parlament beschlossenen Marschhalt bis Ende 2006 gestoppt wurde, setzte der Vorsteher EJPD am 24. Februar 2006 eine Expertengruppe unter der Leitung des Zuger Regierungsrates Hanspeter Uster ein, die eine Situationsanalyse der Strafverfolgung auf Bundesebene vornehmen und Vorschläge für die weitere Ausgestaltung der Strafverfolgungsbehörden unterbreiten sollte (Expertengruppe «Situationsanalyse EffVor»).

Die Projektorganisation bestand aus einem Projektausschuss und drei Arbeitsgruppen, denen Vertreter aller betroffenen Bundesbehörden und Vertreter von kantonalen Strafverfolgungsbehörden angehörten.45 Am 10. Juli 2006, nach Abschluss der Analysearbeiten, entschied das EJPD auf Antrag des Projektausschusses, die weiteren Arbeiten, namentlich die Definiton des Soll-Zustandes, die Erarbeitung von Empfehlungen zum weiteren Vorgehen und das Verfassen des Schlussberichtes, auf die externen Mitglieder des Projektausschusses zu konzentrieren, da die neue Lösung unter anderem Gewähr dafür bieten solle, dass die Empfehlungen zum Bereich EffVor in einem unbelasteten, objektiven und neutralen Rahmen diskutiert und erarbeiten werden könnten.

Der Schlussbericht des Projektausschusses «Situationsanalyse EffVor» vom 31. August 2006 (im Folgenden Bericht «Uster») wurde dem EJPD am 7. September 2006 zugestellt und am 29. September 2006 vom EJPD veröffentlicht.46

45 46

Zusammensetzung des Projektausschusses und der Arbeitsgruppen siehe Bericht «Uster» S. 11).

Die Strafverfolgung auf Bundesebene. Situationsanalyse und Empfehlungen zum weiteren Vorgehen des Projektausschusses «Situationsanalyse EffVor» vom 31.8.2006 (http://www.ejpd.admin.ch/etc/medialib/data/pressemitteilung/2006/pm_2006_09_ 29.Par.0002.File.tmp/060929_ber_uster-d-v2.pdf).

2042

2.4.2

Schlussfolgerungen des Berichts

In der Analyse und Bewertung der Ist-Situation kommt der Bericht zum Schluss, dass wesentliche Aufbauarbeit geleistet worden sei und die Strafverfolgung des Bundes auch im Bereich der neuen Kompetenzen des Bundes funktioniere. Die internationale Vernetzung habe bereits einen guten Stand errreicht, und auch die Zusammenarbeit mit den Kantonen entwickle sich gut. Aus der konkreten Überprüfung einzelner Verfahren durch externe Experten hätten sich keine Hinweise auf strukturelle, fachliche Fehlleistungen oder offensichtliche Ineffizienz ergeben.47 In verschiedener Hinsicht bestehe jedoch Optimierungspotential und Handlungsbedarf, damit die angestrebte Wirkung erzielt werde.

Als grösstes Hindernis einer effizienten Verfahrensbearbeitung erkannte der Projektausschuss die vom geltenden Bundesstrafprozess verlangte Doppelspurigkeit der Strafuntersuchung (Ermittlung/Voruntersuchung). Ohne diesen zweifachen Handwechsel, der jeweils das Einlesen in Dutzende oder gar Hunderte von Bundesordnern notwendig mache, liesse sich das Strafverfahren bedeutend beschleunigen.

Die bisher geringe Anzahl der Anklagen sei teilweise auf dieses doppelspurige Verfahren (Bearbeitungsengpass im URA), auf den Aufwand für den Aufbau der einzelnen Organisationseinheiten und auf den Marschhalt zurückzuführen. Daneben seien aber auch schwerfällige, wenig durchrationalisierte Arbeitsabläufe, eine starke Hierarchisierung mit verschiedenen Führungsebenen, viele administrative Arbeiten sowie eine noch ungenügende Nutzung der Synergien zwischen den EffVor-Partnern Gründe für die noch unbefriedigende Produktivität.

In seiner Soll-Definition hält der auf die externen kantonalen Mitglieder reduzierte Projektausschuss «Situationsanalyse EffVor» fest, dass am verfassungskonformen Primat der Strafverfolgung durch die kantonale Justiz und Polizei nicht gerüttelt werden solle. Zur Aufgabenabgrenzung und Schnittstellenbereinigung schlägt er einen Kompetenzenkatalog vor, der grösstenteils ohne Gesetzesänderung realisiert werden kann. Die Strafverfolgung des Bundes solle sich auf die komplexen und aufwändigen Fälle konzentrieren und künftig beispielsweise keine mittelgrossen Betäubungsmittelfälle bearbeiten. Diese könnten und sollten von den Kantonen geführt werden. Dagegen solle die Strafverfolgung des Bundes bei der Wirtschaftskriminalität
(obwohl hier nur mit einer fakultativen Kompetenz versehen) einen neuen Schwerpunkt setzen, indem sie die «zehn grössten» Fälle führe. Auf eine Gesetzesrevision solle (zumindest vorerst) verzichtet werden. Die Strafverfahren sollten als gesteuerte Projekte geführt und nach einer festzulegenden übergeordneten Strategie ausgerichtet werden. Die Verfahrensleitung solle bei den Staatsanwälten konzentriert werden. Damit werde auch der Boden für die Inkraftsetzung der neuen Schweizerischen Strafprozessordnung vorbereitet, die eine verstärkte Leitungsfunktion der Staatsanwaltschaft vorsieht.

Zur Umsetzung der Zielideen werden im Bericht sechs Modellvarianten diskutiert (Bericht «Uster» S. 48­54).

47

Vgl. Bericht «Uster», S. 27 ff. Die Expertenprüfung betraf u. a. auch das Verfahren gegen Mitglieder der «Hells Angels», das in einzelnen Medien als unverhältnismässig und als «Flop für die Bundesanwaltschaft» bezeichnet worden war. Die Expertenprüfung habe ergeben, dass der Anfangsverdacht ausgewiesen sei, dass das Verfahren zu Recht geführt werde und zu Recht mit sehr hohem Aufwand geführt werden müsse, um bei der komplexen Beweislage zu einem klaren Ergebnis gebracht zu werden.

2043

Der Projektausschuss gab im Wesentlichen die folgenden Empfehlungen ab (Bericht «Uster» S. 7, 46 f. und 55 f.): ­

Schnellstmögliche Aufhebung der Voruntersuchung durch eine vorgezogene Änderung des Bundesstrafprozesses und die Reinvestition der durch die Aufhebung des URA frei werdenden Ressourcen in den Ermittlungsbereich.

­

EffVor sei auf der Basis des im Bericht beschriebenen Modells 2 («Konzentration der Kräfte») weiterzuführen. Dieses Modell konzentriert die Strafverfahren des Bundes auf die komplexen und aufwändigen Verfahren der eigentlichen Bundeskompetenzen. Der Bund bearbeitet mit diesem Modell künftig keine mittleren Betäubungsmittelfälle mehr. Das Modell umfasst die Bereiche aktive und passive Rechtshilfe, internationale Terrorismusbekämpfung, Geldwäscherei sowie organisierte Kriminalität und Wirtschaftskriminalität, wobei bei letzterem ein neuer Schwerpunkt gesetzt wird. Dazu kommen die interkantonale und internationale Koordination, Vorabklärungen im Bereich der neuen EffVor-Kompetenzen sowie die Nebenstrafgesetzgebung des Bundes und die klassischen Kompetenzen.

­

Der skizzierte Umbau sei im Rahmen der heutigen finanziellen Mittel (ohne weitere Kürzungen) zu realisieren. Der Projektausschuss geht davon aus, dass sich die bestehenden Defizite im Ermittlungs- und Wirtschaftsprüfungsbereich durch Optimierungs- und Synergiegewinn ausgleichen lassen.

­

Führung der Strafverfahren als gesteuerte Projekte: Grosse, komplexe Verfahren (organisierte Kriminalität, Terrorismusbekämpfung, Wirtschaftskriminalität) sind als gesteuerte Projekte zu führen. Das in der Bundesanwaltschaft bestehende Vorgehen «Strafverfahren als Projekt» ist weiter zu entwickeln. Dabei soll die Steuerung des Projekts zu einem zentralen Element werden.

­

Als Grundlage für die geführten Verfahren als gesteuerte Projekte soll nebst den gesetzlichen Vorgaben eine von Bundesanwaltschaft und fedpol/BKP zu erarbeitende Strategie dienen, aus welcher mittelfristige Zielsetzungen (Ausrichtung, Schwerpunkte) der Strafverfolgungsbehörden des Bundes ersichtlich sein sollen.

­

Struktur und Organisation von Bundesanwaltschaft und BKP sollen zur Realisierung des vorgeschlagenen Umbaus und des bestehenden Optimierungspotentials angepasst werden.

2.4.3

Reaktionen der betroffenen Behörden

Die Bundesanwaltschaft und das fedpol bzw. die BKP erklärten sich in den Anhörungen durch die Subkommission weitgehend mit den Analysen und Empfehlungen des Berichts «Uster» einverstanden und zeigten sich grundsätzlich bereit, die Empfehlungen entgegen zu nehmen.

Am 15. Dezember 2006 teilte das EJPD in einer Medienmitteilung mit, es sei zur Überzeugung gelangt, dass mit dem vorgeschlagenen Modell 2 («Konzentration der Kräfte») des Berichts «Uster» einer effizienten und rechtsstaatlichen Strafverfolgung auf Bundesebene am besten Rechnung getragen werden könne. Vorgesehen sei weder ein weiterer Ausbau noch ein Abbruch von EffVor, vielmehr gehe es um 2044

einen gezielten Umbau, welcher die bisherigen Erfahrungen berücksichtige und die aufgezeigten Lücken schliesse. Der Bundesrat habe die Stossrichtung des EJPD ­ die Konzentration auf komplexe und aufwändige Verfahren ­ gutgeheissen.

Das EJPD setzte in der Folge eine weitere Projektgruppe unter der Leitung des Zuger alt Regierungsrates Hanspeter Uster ein (Projektkommission des Projekts EffVor2), die dem EJPD am 16. April 2007 einen Umsetzungsbericht48 zur Vertiefung der Stossrichtung des Modells 2 unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Berichts «Lüthi» (vgl. Ziff. 2.3) vorlegte. Der Bundesrat hat am 4. Juli 2007 vom Umsetzungsbericht Kenntnis genommen und den Anträgen des EJPD zur Umsetzung des Projekts «EffVor2» zugestimmt. Die Umsetzung soll bis Ende 2007 abgeschlossen sein.

2.5

Feststellungen und Beurteilungen der GPK-N zu den vier Untersuchungsberichten

a. Beurteilung der Berichte im Hinblick auf die gegen die Bundesanwaltschaft erhobenen Vorwürfe Die Administrativuntersuchung (Bericht «Lüthi») und die Situationsanalyse EffVor (Bericht «Uster») decken sich in den meisten Punkten, namentlich in der Beurteilung, dass das Projekt EffVor und die neu aufgebauten Strafverfolgungsbehörden grundsätzlich funktionieren, jedoch ein Optimierungspotential vorhanden sei, was von beiden Untersuchungen angesichts des raschen Aufbaus und der sich daraus ergebenden Anfangsschwierigkeiten nicht als aussergewöhnlich beurteilt wird. Sie stimmen in der Analyse der Probleme und der Lösungsansätze weitgehend überein und gelangen zu ähnlichen Empfehlungen.

Betreffend die im Vorfeld der Untersuchungen aufgeworfene Problematik der Führungsmängel in der Bundesanwaltschaft stellt der Bericht «Lüthi» fest, angesichts der mittlerweile grossen Zahl von Staatsanwälten könne der Bundesanwalt deren im Reglement festgeschriebene persönliche fachliche Führung nicht mehr gewährleisten, was zu einer zu starken Stellung der Staatsanwälte führe. Im Rahmen der Anhörung präzisierte der Untersuchungsbeauftragte gegenüber der Subkommission, diese Mängel seien mit verschiedenen Massnahmen teilweise bereits behoben worden und stünden in keinem Zusammenhang mit der Verzögerung der Behandlung von Fällen.

Die Leitung der Bundesanwaltschaft habe im Übrigen einen sehr guten Eindruck hinterlassen; dort seien Know-how und Engagement vorhanden. In starkem Gegensatz dazu stehen die Schlussfolgerungen des Aufsichtszwischenberichts «Anklagen» der Beschwerdekammer, wonach sich das klar ungenügende Resultat der Strafverfolgungsbehörden in Anbetracht der vorhandenen Ressourcen vernünftigerweise nicht erklären lasse, wofür letztlich der Bundesanwalt verantwortlich sei (vgl.

Ziff. 2.1.4 Schlussfolgerung). Wie bereits erwähnt, kann die GPK-N aufgrund der verfahrensmässigen und inhaltlichen Mängel des Aufsichtszwischenberichts «Anklagen» aus dessen Ergebnissen sachlich keine ausreichenden Schlüsse in Bezug auf die Funktionsweise der Bundesanwaltschaft ableiten (vgl. Ziff. 2.1.10­11).

48

Umsetzungsbericht Strafverfolgung auf Bundesebene (Projekt EffVor2) vom 16.4.2007 (http://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/dokumentation/mi/2007/2007-07-04.html).

2045

Für die Ergebnisse der Untersuchungen zur Vertrauensperson Ramos wird auf die Feststellungen und Beurteilungen der GPK-N zum Aufsichtszwischenbericht «Ramos» verwiesen (vgl. Ziff. 2.2.5).

b. Zum Problem des zweistufigen Strafverfahrens und der Pendenzen beim URA Die Berichte «Lüthi» und «Uster» gelangen übereinstimmend zum Schluss, dass ein Hauptproblem im heutigen Verfahrensablauf das zweistufige Verfahren (Ermittlung/Voruntersuchung) mit dem zeitaufwendigen Handwechsel von der Bundesanwaltschaft zum URA und wieder zurück zur Bundesanwaltschaft darstellt. Die GPK-N hat dieses Problem im Rahmen ihrer begleitenden Kontrolle der Entwicklung von EffVor seit langem erkannt und in einem Schreiben an die Kommissionen für Rechtsfragen am 28. März 2006 mit Kopie an den Vorsteher des EJPD darum gebeten, im Rahmen der Vereinheitlichung des Strafprozessrechts nach Möglichkeiten einer möglichst raschen Abschaffung der Voruntersuchung zu suchen.

Ein weiteres Problem stellt die während langer Zeit starke personelle Unterdotierung des URA dar, wo sich die Verfahren ­ teilweise seit mehreren Jahren ­ stauen und die ersten Verjährungen drohen. Ende 2005 waren beim URA 55 Voruntersuchungen hängig, Ende 2006 62. Der Bericht «Uster» weist darauf hin, dass der Abbau dieser Pendenzen im URA eineinhalb Jahre dauern würde, ohne die laufend eingehenden weiteren Fälle zu berücksichtigen (Bericht «Uster» S. 44). Zum gleichen Schluss kommt auch der Bericht «Lüthi», der festhält, der Personalbestand beim URA sei im Verhältnis zu den vorgelagerten Instanzen zu klein und die bisher zur Behebung der Staulage getroffenen Massnahmen genügten nicht. Es hätten rechtzeitig mehr Untersuchungsrichter angestellt werden müssen (Bericht «Lüthi» S. 19).

An dieser Stelle ist festzuhalten, dass die Verantwortung für diesen Umstand nicht dem URA anzulasten ist, das bis Ende März 2004 dem Bundesgericht unterstellt war und seither der fachlichen und administrativen Aufsicht des Bundesstrafgerichts untersteht. Das Bundesgericht hat es entgegen der Planung der Projektoberleitung EffVor abgelehnt, das URA vor 2004 entsprechend auszubauen.49 Das Problem ist nach Meinung der GPK-N ungelöst und wird vom Bundesstrafgericht immer noch unterschätzt oder aber verharmlost. Obwohl die Pendenzen von 55 auf 62 zunahmen, wird im Geschäftsbericht 2006 des
Bundesstrafgerichts ausgesagt, eine weitere Zunahme habe vermieden werden können (S. 14). In der Erledigungsstatistik wird die tatsächliche Zahl der Pendenzen von 62 nicht transparent dargestellt (S. 31).

Die GPK-N verkennt nicht, dass angesichts der bevorstehenden Abschaffung des URA eine weitere Aufstockung des Personals kaum mehr möglich ist. Sie anerkennt auch, dass das Bundesstrafgericht zusammen mit der Bundesanwaltschaft Massnahmen eingeleitet hat, um eine geordnete Überführung des Personals des URA in die Bundesanwaltschaft sicher zu stellen. Sie ist aber der Meinung, dass dem Problem der Pendenzen beim URA hohe Priorität eingeräumt werden muss und weitere Massnahmen getroffen werden sollten, um allfällige Verjährungen von Verfahren zu verhindern.

49

Schreiben des Bundesgerichts vom 30. Juni 2003 an die GPK, die Finanzkommissionen und an die Vorsteherin EJPD. Das Bundesgericht stellte in Aussicht, die Einstellung weiterer Untersuchungsrichter erst in die Wege zu leiten, wenn mindestens 30 Fälle anhängig sein würden. Vgl. dazu auch Bericht «Uster» S. 25.

2046

c. Zur Neuausrichtung der Effizienzvorlage nach dem Modell 2 Das vom EJPD gut geheissene Modell 2 des Projektausschusses «Situationsanalyse EffVor», das von der Projektkommission des Projekts «EffVor2» weiter vertieft wurde, sieht im Wesentlichen eine Konsolidierung von EffVor auf der Basis der Ressourcen nach dem Marschhalt von Ende 2003 einschliesslich einem leichten Rückbau bis zum Budget 2006 vor. Der Bericht «Uster» macht deutlich, dass künftig die Anzahl der geführten Verfahren von der Höhe der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel abhängt und nicht von den tatsächlich vorhandenen Straffällen (Bericht «Uster» S. 7). Entsprechend müssen die zu führenden Verfahren vermehrt priorisiert bzw. ausgewählt werden. Der Bericht «Uster» verlangt eine von der Bundesanwaltschaft und dem fedpol gemeinsam festzulegende Strategie, nach der die Schwerpunkte der Strafverfolgung festgelegt werden sollen. Die Auswahl der Verfahren soll gemäss dieser Strategie erfolgen.

Die GPK-N unterstützt die Stossrichtung der mit EffVor2 eingeleiteten Massnahmen, die Effizienz und die Verfahrensabläufe in der Organisation der Strafverfolgungsbehörden zu optimieren, und insbesondere die Forderung, die schwerfällige Voruntersuchung raschmöglichst abzuschaffen. Sie gibt aber zu bedenken, dass eine reine Ressourcensteuerung mit der in der Strafverfolgung geltenden verfassungsmässigen Offizialmaxime50 und dem Legalitätsprinzip51 in Konflikt geraten kann.

Die GPK-N hat deshalb bereits mit Schreiben vom 28. Oktober 2005 an die Finanzkommissionen beider Räte darauf hingewiesen, dass im Halbjahresbericht der Projektoberleitung «EffVor» von Mitte 2005 erstmals davon die Rede war, dass 9 komplexe Verfahren wegen fehlender Ressourcen nicht an die Hand genommen und weitere Verfahren nicht in der gewünschten Tiefe bearbeitet werden konnten, und dass deshalb bei der Ressourcenzuteilung den rechtsstaatlichen Erfordernissen besondere Beachtung beizumessen sei.

Die GPK-N verschliesst sich nicht dem Anliegen, dass der Bund vermehrt grosse Verfahren im Bereich der Wirtschaftskriminalität führt und zu einem Kompetenzzentrum für solche Fälle wird. Allerdings darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass diese Verfahren sehr aufwändig und ressourcenintensiv sind und für die Wirtschaftskriminalitätsfälle nach wie vor nur eine fakultative
Bundeskompetenz besteht.

Dagegen wurde mit der Effizienzvorlage für die Delikte organisierte Kriminalität, Geldwäscherei, Korruption und Terrorismusfinanzierung, sofern diese Straftaten Landes- oder Kantonsgrenzen überschreiten, eine obligatorische, in der Regel nicht an die Kantone delegierbare Bundeskompetenz geschaffen. Dies bedeutet, dass solche Verfahren nicht nach Belieben priorisiert, ausgewählt oder vorzeitig eingestellt werden können, solange ein hinreichender Tatverdacht besteht. Die vorgegebene Ressourceneinsparung soll zu einem Teil durch eine solche Verfahrensauswahl wettgemacht werden (Bericht «Uster» S. 54). Die GPK-N legt deshalb Wert darauf, dass der Bundesrat bei der Festlegung der künftigen Umsetzung der Effizienzvorlage und insbesondere bei der Ressourcenzuteilung den Erfordernissen der zwingenden Bundeskompetenzen sowie der Pflicht der Strafverfolgungsbehörden, in diesen Bereichen tätig zu werden, besondere Beachtung schenkt.

50

51

Nach der Offizialmaxime (Offizialprinzip) hat der Staat grundsätzlich nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, den staatlichen Strafanspruch von Amtes wegen durchzusetzen (siehe etwa: Niklaus Schmid, Strafprozessrecht, 4. Aufl., 2004, S. 27 f.).

Das Legalitätsprinzip verpflichtet die Strafverfolgungsbehörden, bei Vorliegen genügender Verdachtsgründe und der erforderlichen Prozessvoraussetzungen die ihnen bekannt gewordenen Straftaten zu verfolgen (Schmid, a.a.O., S. 31 f.).

2047

Die vom Bericht «Uster» geforderte Kriminalpolitikstrategie kann nach Meinung der GPK-N nicht an die Stelle der gesetzlich festgelegten zwingenden Bundeskompetenzen treten. Dort, wo für eine solche Strategie aber ein Ermessensspielraum besteht, ist es richtig und wünschbar, dass eine solche Strategie formuliert wird. Die GPK-N ist jedoch der Meinung, dass eine übergeordnete Kriminalpolitikstrategie auf Stufe Bundesrat festzulegen ist. Sie sollte zudem im Parlament oder in hierfür geeigneten parlamentarischen Gremien abgestützt sein.

Die GPK-N wird die Umsetzung der Effizienzvorlage gemäss der neuen Ausrichtung weiterhin begleitend kontrollieren.

2.6

Schlussfolgerungen der GPK-N

12. Die Bundesanwaltschaft und die BKP werden durch die erstellten Untersuchungsberichte von den erhobenen Vorwürfen der Ineffizienz und von Führungsmängeln teilweise entlastet. Massnahmen zur Behebung festgestellter Mängel und Lücken in der Organisation sind inzwischen eingeleitet. Die GPK-N wird deren Umsetzung im Rahmen von EffVor2 weiterhin begleitend kontrollieren.

13. Es erscheint nötig, dass nach der Unruhe um die Strafverfolgungsbehörden und insbesondere die Bundesanwaltschaft Ruhe einkehrt und diese ihre neu gebildeten Strukturen, ihre fachlichen Kompetenzen sowie ihre Praxis konsolidieren und festigen können. Die GPK-N erachtet es als wichtig, dass das Vertrauen in die Strafverfolgungsbehörden des Bundes wiederhergestellt und gestärkt wird.

2.7 Empfehlung 1

Empfehlungen der GPK-N Formell-gesetzliche Grundlage für den Einsatz von Vertrauenspersonen

Der Bundesrat sorgt dafür, dass für den polizeilichen Einsatz von Vertrauenspersonen im Rahmen der Strafverfolgung eine formell-gesetzliche Grundlage geschaffen wird.

Empfehlung 2

Hohe Priorität beim Abbau von Pendenzen im URA

Das Bundesstrafgericht räumt dem Abbau der Pendenzen beim Eidgenössischen Untersuchungsrichteramt (URA) hohe Priorität ein und trifft unter Mithilfe der übrigen Strafverfolgungsbehörden des Bundes Massnahmen, um allfällige Verjährungen von Verfahren zu verhindern.

2048

Empfehlung 3

Erfordernisse der zwingenden Bundeskompetenzen beachten

Der Bundesrat sorgt dafür, dass bei der Festlegung der künftigen Umsetzung der Effizienzvorlage und insbesondere bei der Ressourcenzuteilung der Pflicht der Strafverfolgungsbehörden, in den Bereichen der zwingenden Bundeskompetenzen mit der erforderlichen Tiefe tätig zu werden, Rechnung getragen wird.

Empfehlung 4

Übergeordnete Kriminalpolitikstrategie im Bundesrat festlegen

Der Bundesrat sorgt dafür, dass eine im Rahmen der Neuausrichtung der Effizienzvorlage einzuführende übergeordnete Kriminalpolitikstrategie auf Stufe Bundesrat festgelegt wird, und prüft deren Abstützung im Parlament oder in hierfür geeigneten parlamentarischen Gremien.

3

Umstände des Rücktritts des Bundesanwalts

3.1

Sachverhalt

Die GPK-N hat die Umstände des Rücktritts des Bundesanwalts untersucht und ist zum Schluss gekommen, dass ein öffentliches Interesse an diesen Ereignissen besteht. Sie veröffentlicht deshalb im Folgenden ihre Erkenntnisse.

3.1.1

Einleitung

Bundesanwalt Valentin Roschacher hatte sein Amt im März 2000 unter der damaligen Justizministerin, Bundesrätin Ruth Metzler, angetreten. Der Bundesanwalt wird jeweils vom Gesamtbundesrat für vier Jahre gewählt und kann nur durch diesen entlassen werden. Seine zweite Amtszeit wäre im Dezember 2007 abgelaufen.

Der Vorsteher EJPD bestellte den Bundesanwalt am 8. Juni 2006 zu sich und eröffnete ihm, er wolle das Arbeitsverhältnis mit ihm auflösen. Er überreichte ihm eine schriftliche disziplinarische Verwarnung. Das Schreiben, auf das noch näher einzugehen ist (siehe Ziff. 3.1.2.4), enthält unter anderem eine scharfe Rüge und Ermahnung sowie eine Kündigungsandrohung.

Am 5. Juli 2006 kündigte der Bundesanwalt seinen Rücktritt auf Ende 2006 an. Die operative Leitung der Bundesanwaltschaft wurde per sofort einem seiner Stellvertreter, Michel-André Fels, übertragen; er selbst beschränkte seine Tätigkeit bis Ende Jahr auf strategische Geschäfte.

Im Folgenden sollen die Ereignisse dargestellt werden, die dem Rücktritt voraus gingen.

2049

3.1.2

Chronologie des Konflikts zwischen dem Vorsteher EJPD und dem Bundesanwalt

3.1.2.1

Schriftliche Ermahnung nach dem Fall «Achraf» vom 9. November 2004

Im Zusammenhang mit dem in der Schweiz in Ausschaffungshaft genommenen Terrorverdächtigen Mohamed Achraf gab es grössere Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Vorsteher EJPD und dem Bundesanwalt. Der Fall sorgte während Tagen für Schlagzeilen in den Medien und führte später zu Abklärungen durch die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel)52. Der Vorsteher EJPD war der Ansicht, der Inlandnachrichtendienst (DAP) habe im Fall «Achraf» richtig gehandelt, während die Bundesanwaltschaft der Meinung war, der DAP habe die Strafverfolgungsbehörden zu spät informiert, obwohl er seit Wochen über Informationen verfügt habe, die einen hinreichenden Verdacht für die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens begründet hätten. Die Bundesanwaltschaft eröffnete ein Ermittlungsverfahren gegen Achraf, obwohl der Vorsteher EJPD dagegen war, da er Achraf auf Ersuchen des spanischen Justizministers möglichst rasch nach Spanien ausliefern wollte und die Eröffnung eines Strafverfahrens in der Schweiz die Auslieferung verzögern konnte.

Im November 2004 reiste der Bundesanwalt nach Spanien, um die Ermittlungsverfahren zwischen der Schweiz und Spanien zu koordinieren. Geplant war bei seiner Rückkehr eine Information der Medien. Diese wurde vom Vorsteher EJPD untersagt, weil er verhindern wollte, dass sich der Bundesanwalt öffentlich einer Auslieferung an Spanien widersetzte. Am Vorabend der Rückreise orientierte der Generalsekretär des EJPD den Bundesanwalt, dass er die bereits angesagte Medienkonferenz vom Donnerstag, 4. November 2004, nicht abhalten könne.

Nach diesem Verbot wich der Bundesanwalt am 4. November 2004 bei seiner Rückkehr aus Spanien den wartenden Journalisten aus. Sein Mediensprecher beantwortete jedoch auf dem Flughafen Zürich einige Fragen zum Ermittlungsverfahren. Er machte Angaben darüber, dass das Treffen konstruktiv und wichtig gewesen sei und dass die Bundesanwaltschaft ein Rechtshilfegesuch überbracht habe.

Nach Angaben des Bundesanwalts bestellte ihn der Vorsteher des EJPD daraufhin am Abend des 4. Novembers 2004 in sein Büro53. Der Vorsteher EJPD habe kritisiert, dass der Bundesanwalt ohne vorherige Absprache mit ihm eine Medienkonferenz durchgeführt habe. Am 9. November 2004 erhielt der Bundesanwalt eine schriftliche Ermahnung. Darin heisst es: «Mit einiger Irrritation stelle ich fest, dass die
Bundesanwaltschaft, für die Sie abschliessend verantwortlich zeichnen, trotz meinen klaren, Ihnen übermittelten Anweisungen am Donnerstag eine Medienkonferenz durchgeführt hat.» Weiter schrieb der Vorsteher EJPD, er erachte eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Bundesanwalt im heutigen Zeitpunkt als zumindest erschwert und ermahne ihn entsprechend. Im Wiederholungsfall und/oder bei der nächsten Nichteinhaltung klarer Dienstanweisungen müsse er sich die Prüfung rechtlicher Schritte bis hin zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses vorbehalten.

52

53

Das schweizerische Sicherheitsdispositiv und der Fall Mohamed Achraf ­ eine zusammenfassende Beurteilung aus der Perspektive der parlamentarischen Oberaufsicht. Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation (Zusammenfassung) vom 16.11.2005 (BBl 2006 3725).

Siehe auch Georges Wüthrich: Bundesanwalt verhindert Terroristen-Auslieferung ­ Justizminister Blocher stinksauer, Blick vom 9.11.2004.

2050

In seiner Stellungnahme vom 15. November 2004 zuhanden des Vorstehers EJPD zur schriftlichen Ermahnung schrieb der Bundesanwalt, die Information der Öffentlichkeit unterstehe der Fachaufsicht der Beschwerdekammer. Dem EJPD stehe keine Weisungsbefugnis über die inhaltliche Tätigkeit der Bundesanwaltschaft zu. Die Information der Öffentlichkeit über laufende Strafverfahren ergebe sich direkt aus dem Strafprozessrecht. Er habe versucht, mit dem Vorsteher EJPD telefonisch Kontakt aufzunehmen, um ihn über sein Vorgehen zu informieren. Da sich der Departementsvorsteher nicht zurück gemeldet habe, habe er dem Generalsekretär EJPD erläutert, dass er bereits vor seinem Abflug nach Spanien aufgrund des «nachvollziehbar grossen und berechtigten Interesses der Öffentlichkeit an der Terrorismusgefahr» entschieden habe, bei seiner Rückkehr aus Spanien am Flughafen über seinen Besuch beim zuständigen Untersuchungsrichter zu informieren. Er habe dem Generalsekretär aber zugesichert, dass die Bundesanwaltschaft das Thema der Verfahrenseröffnung nicht ansprechen und entsprechende Fragen nicht beantworten werde. Er werde nicht selbst vor die Medien treten, sondern habe seinen Informationschef damit beauftragt.

Der Justizminister antwortete auf die Intervention des Bundesanwalts am 2. Dezember 2004, die vom Bundesanwalt dargestellte Chronologie sei für ihn unwesentlich und teilweise tatsachenwidrig. Der Bundesanwalt sei angewiesen worden, keine Medienkonferenz durchzuführen und habe sich somit einer dienstlichen Anweisung widersetzt.

3.1.2.2

Androhung einer weiteren Disziplinarstrafe im Frühling 2006

Nach der Ermahnung vom 9. November 2004 drohte dem Bundesanwalt nach eigener Darstellung eine weitere Disziplinarstrafe. In seiner schriftlichen Stellungnahme vom 15. Oktober 2006 an die GPK-N legte er dar, im Frühling 2006 habe der Vorsteher EJPD im Beisein des Generalsekretärs EJPD von ihm verlangt, dass er seinen Mediensprecher wegen eines Vorfalls im Sommer 2005 disziplinarisch bestrafe. Der Vorsteher EJPD habe erklärt, er habe dem Präsidenten der Beschwerdekammer im letzten Jahr den Auftrag erteilt, die entsprechenden Sachverhaltsabklärungen zu treffen. Das habe dieser getan und der Fall sei klar. Der Bundesanwalt habe dem Vorsteher EJPD erläutert, dass ihm der Fall bekannt sei und er die fragliche Angelegenheit als direkter Vorgesetzter untersucht habe. Er sei zum Schluss gelangt, eine Disziplinarmassnahme sei unangebracht. Darauf habe der Vorsteher EJPD erwidert, dass er im Weigerungsfalle dies als Führungsschwäche des Bundesanwalts beurteilen und ihn selbst disziplinarisch bestrafen würde. Um eine weitere Disziplinarstrafe gegen sich selbst abzuwenden, habe er innert der gesetzten Frist dem Vorsteher EJPD mitgeteilt, dass er seinem Mediensprecher eine schriftliche «Ermahnung» erteilt habe.

Dieser Darstellung widerspricht der Vorsteher EJPD in seiner Stellungnahme vom 30. Oktober 2006 an die GPK-N. Er habe dem Präsidenten der Beschwerdekammer in diesem Zusammenhang keinerlei Aufträge erteilt. Dieser habe ihn über den Vorfall informiert, weil die personelle und administrative Aufsicht ihm obliege. Er habe daraufhin dem Bundesanwalt mitgeteilt, dass ­ für den Fall, dass er keine Konsequenzen ziehe ­ er die schlechten Leistungen und das Verhalten des Mediensprechers gutheisse und der Vorsteher EJPD das so nicht akzeptieren könne.

2051

Der Vorfall stand im Zusammenhang mit einer Medienmitteilung des URA vom Sommer 2005. Die Weltwoche hatte am 30. Juni 2005 einen Bericht zum Fall H.

veröffentlicht, in dem die Bundesanwaltschaft wegen des Einsatzes eines verdeckten Ermittlers kritisiert wurde. Die Kritik wurde in den folgenden Tagen in den Medien aufgenommen. Am 8. Juli 2005 veröffentlichte das URA eine Pressemitteilung, die die Bundesanwaltschaft entlastete. Am 14. Juli 2005 warf die Weltwoche die Frage auf, ob der Mediensprecher der Bundesanwaltschaft der heimliche Verfasser der Pressemitteilung gewesen sei. Dieser dementierte in der Folge, die Medienmitteilung verfasst zu haben. Diese Darstellung des Mediensprechers wurde vom URA gegenüber der GPK-N bestätigt.

3.1.2.3

Veröffentlichung zum Fall «Ramos» und Einleitung von ausserordentlichen Untersuchungen im Sommer 2006

1. Juni 2006. Weltwoche-Artikel «Er ist sein heikelster Fall» und Reaktionen im EJPD: Die Weltwoche erhob in einem Artikel vom 1. Juni 2006 schwere Vorwürfe gegen den Bundesanwalt im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen den Privatbankier H. Dem Bundesanwalt wurde vorgehalten, er habe den in den Vereinigten Staaten verurteilten Drogenhändler Ramos als Informanten angeworben, um den Schweizer Bankenplatz zu infiltrieren. Obwohl seine Informationen wertlos gewesen seien, habe die Bundesanwaltschaft ihn benutzt, um die Existenz und das Lebenwerk von H. zu zerstören (vgl. Ziff. 2.2, Aufsichtszwischenbericht «Ramos»).

In der Medienanalyse dieses Tages, die der Informationsdienst des EJPD dem Departementschef jeweils vor 10.00 Uhr vorlegt, wird der Weltwoche-Artikel an vierter Stelle aufgeführt. Dazu wird bemerkt: «Die Weltwoche setzt ihre Serie von AntiBundesanwaltschaft-Geschichten offensichtlich fort. Dieser Beitrag über BA Roschacher dreht sich auch wieder um den Fall des Privatbankiers H.» Der Vorsteher EJPD ordnete an, eine Stellungnahme der Bundesanwaltschaft zum Artikel innert einem Tag einzuholen. Das entspricht einer üblichen Praxis im EJPD, wenn eine Veröffentlichung das Departement betrifft. Von der BKP, die im Weltwoche-Bericht als beteiligte Behörde genannt wurde, wurde erst später eine Stellungnahme angefordert.

Gleichentags wurde das Inspektorat des Generalsekretariates EJPD beauftragt zu prüfen, ob im Zusammenhang mit den in der Weltwoche erhobenen Vorwürfen eine Administrativuntersuchung möglich sei bzw. welche Vorgehensmöglichkeiten das Departement habe.

2. Juni 2006. Bericht und Antrag des Bundesanwalts: Am 2. Juni 2006 reichte der Bundesanwalt dem Generalsekretär zu Handen des Vorstehers EJPD weisungsgemäss einen Bericht zum Weltwoche-Artikel ein. Darin wies er darauf hin, dass das im Artikel erwähnte Strafverfahren gegen H. geführt werde. «Im Winter 2004 hat der Bundesanwalt Herrn Bundesrat Blocher gemäss Artikel 102quater Absatz 1 Buchstabe a des Bundesstrafprozesses54 mündlich über den Fall informiert. Herr Bundes54

Nach dieser Bestimmung darf die Bundesanwaltschaft dem Bundesrat vor Einleitung der Voruntersuchung Daten aus dem gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahren bekannt geben.

2052

rat Blocher wollte damals ausdrücklich keine weiteren Einzelheiten zu diesem Fall erfahren, dies auch wegen seiner Bekanntschaft mit Herrn H.» Der Bundesanwalt bot jedoch an, dem Stellvertreter des Justizministers eine detailliertere Orientierung über den Fall H. abzugeben, falls dies gewünscht werde. Da der Fall vor zwei Jahren dem URA übergeben worden sei, könne die Bundesanwaltschaft ab diesem Zeitpunkt keine Auskunft geben.

Der Bericht des Bundesanwalts enthielt im Weiteren Informationen zum Einsatz von Vertrauenspersonen durch die Polizei im Allgemeinen und zum Einsatz von Ramos im Besonderen. Die Ausführungen im Artikel der Weltwoche, dass der Einsatz von Ramos von Unwahrheiten geprägt gewesen sei und reihenweise zu keinen Resultaten geführt hätte, stimme nicht. Richtig sei, dass die Bundesanwaltschaft mehrere Verfahren mit erhärtetem Tatverdacht in Bearbeitung habe. Zum Einsatz von Personen, die der Polizei Informationen aus dem Umfeld von Deliksbereichen zutragen, führte der Bundesanwalt aus, diese würden beim Bund unter der Verantwortung und unter enger Führung der BKP eingesetzt und würden zu keinem Zeitpunkt im rechtsfreien Raum handeln. Im weiteren machte der Bundesanwalt einige Ausführungen zu Ramos, dessen Aufenthalt in der Schweiz durch die BKP/fedpol geregelt worden sei. Der Bundesanwalt wies weiter darauf hin, die Beschwerdekammer habe zu den in der Presse aufgeworfenen Fragen am 2. Juni 2006 öffentlich verlauten lassen, dass sie keinen Anlass zu besonderen Aufsichtsmassnahmen sehe, sondern den Fall H. wie die anderen hängigen Fälle im Rahmen ihrer normalen Aufsicht überwache.

Schliesslich stellte der Bundesanwalt dem Vorsteher EJPD den Antrag, den Bundesrat im Sinne der gemachten Ausführungen mündlich gemäss Art. 102quater BStP zu informieren, und legte einen entsprechenden Antrag bei.

2. Juni 2006. Stellungnahme des Inspektorates GS-EJPD zu den Vorgehensmöglichkeiten des EJPD: In seiner Auskunft an den Generalsekretär EJPD kam das Inspektorat zum vorläufigen Ergebnis, dass eine Administrativuntersuchung in Bezug auf das hängige Verfahren betreffend H. ausgeschlossen sei. Ob eine Administrativuntersuchung in Bezug auf die allgemeinen Fragen der Auswahl von Informanten, Auftragserteilung, Entschädigung usw. möglich sei, werfe verschiedene Fragen auf, die noch rechtlich geprüft
werden müssten. Es stehe dem Departement aber jederzeit offen, die Bundesanwaltschaft um eine freiwillige Auskunftserteilung in einer mündlichen Unterredung oder durch einen Fragenkatalog zu ersuchen. Im Weiteren empfahl das Inspektorat, auch bei der BKP Auskünfte im Zusammenhang mit dem Aufenthalt von «Alex»55 und der Task force Guest einzuholen, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, die Anschuldigungen nicht untersucht zu haben, denn bei der BKP sei der Vorsteher EJPD allein für die Aufsicht zuständig.

4. Juni 2006. Orientierung des Vorstehers EJPD durch den Generalsekretär per Fax: Der Generalsekretär EJPD hatte den Auftrag erhalten, Antrag zu stellen, wie gegenüber der Bundesanwaltschaft gehandelt werden sollte, «weil sich nicht nur die Öffentlichkeit mit den Medien, sondern neuerdings auch Parlamentarier für den Fall (H., = Drogenbaron) interessieren». In seiner Orientierung per Fax an den Vorsteher EJPD an Pfingsten fasste er zusammen: «Die Weltwoche hat mit dem Artikel vom Mittwoch, 31. Mai 200656, dargestellt, dass die Bundesanwaltschaft einen Drogenbaron als Informanten eingesetzt hat.» Die Stellungnahme der Bundes55 56

Decknahme für Ramos Der Artikel erschien in der Weltwoche vom Donnerstag, 1.6.2006.

2053

anwaltschaft sei am Freitagabend eingetroffen, und er habe auch mit dem Präsidenten der Beschwerdekammer als dem fachlichen Aufsichtsorgan über die Bundesanwaltschaft Kontakt aufgenommen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Aus Sicht des Generalsekretärs bestehe Handlungsbedarf. Der Generalsekretär beantragte, am Pfingstmontag eine Sitzung mit dem Präsidenten der Beschwerdekammer, dem Generalsekretär EJPD, dem Informationschef EJPD und eventuell einem Juristen des Bundesamtes für Justiz (BJ) durchzuführen. Er begründete dies wie folgt: «Am Dienstag beginnt die Session. Die Parlamentarier haben dann die Möglichkeit zu reagieren. Wenn wir aber am Montagnachmittag bereits eine Medienmitteilung verfassen würden, die die Handlungen des EJPD oder vielleicht des Bundesstrafgerichts aufzeigen, dann können sich die Parlamentarier nicht mehr beliebig einmischen.» Der Generalsekretär übermittelte dem Vorsteher EJPD die Stellungnahme des Bundesanwalts und den Bericht des Inspektorates des GS EJPD vom 2. Juni 2006.

5. Juni 2006 (Pfingstmontag). Entscheid, ausserordentliche Untersuchungen in der Bundesanwaltschaft einzuleiten: Der Vorsteher EJPD und der Präsident der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts trafen sich am 5. Juni 2006 in Rhäzüns und beschlossen, je in ihrem Aufsichtsbereich eine ausserordentliche Überprüfung der Bundesanwaltschaft durchzuführen (vgl. Ziff. 2.2 und 2.3). Um 17 Uhr kündigte das EJPD die Untersuchungen mittels Pressecommuniqué an. Interne und externe Vorwürfe hätten zu diesem Schritt veranlasst.

An diesem Nachmittag wollte der Vorsteher EJPD den Bundesanwalt über die getroffenen Entscheide informieren. Der Generalsekretär des EJPD versuchte mehrmals, telefonisch mit dem Bundesanwalt Kontakt aufzunehmen. Er hinterliess dem Bundesanwalt drei Nachrichten auf der Combox, er möge ihn zurückrufen. Es erfolgte kein Rückruf des Bundesanwalts. Der Bundesanwalt war an diesem Nachmittag wegen Krankheit (schwerer Migräneanfall) nicht erreichbar.

6. und 7. Juni 2006. Aufgebot des Bundesanwalts zu einer Besprechung: Am Dienstag nach Pfingsten, 6. Juni 2006 um 8 Uhr, übermittelte der Generalsekretär EJPD dem Bundesanwalt per Mail die am Vortag verschickte Pressemitteilung betreffend die beschlossenen ausserordentlichen Untersuchungen in der Bundesanwaltschaft und schrieb, er habe ihn am
Vortag mehrmals telefonisch und per SMS zu erreichen versucht und ihn auf der Combox aufgefordert, mit ihm auf jeden Fall Kontakt aufzunehmen «Bis zum jetzigen Zeitpunkt habe ich von Ihnen nichts gehört. Diese Tatsache ist umso unverständlicher, als Sie sich in der Vergangenheit bei mir jeweils immer innert kürzester Zeit gemeldet haben.» Nachdem der Generalsekretär am Vormittag des 6. Juni 2006 keinen Rückruf erhielt, obwohl er der Sekretärin des Bundesanwalts mitgeteilt hatte, dieser möge dringend zurückrufen, telefonierte er dem Bundesanwalt um 14.30 Uhr und teilte ihm mit, der Vorsteher EJPD möchte ihn am Mittwoch, 7. Juni 2006, zwischen 8.00 und 11.00 Uhr treffen. Nach Angaben des Generalsekretärs EJPD teilte ihm der Bundesanwalt mit, er habe zu diesem Zeitpunkt eine unaufschiebbare operative Sitzung und anschliessend einen Arzttermin. In dieser Woche sehe er keine Möglichkeit zur Wahrnehmung eines Termins. Nach Rücksprache mit dem Departementschef gab der Generalsekretär dem Bundesanwalt per Mail weitere Terminvorschläge in Randzeiten bekannt und forderte ihn auf, bis am 7. Juni 2006 um 12.00 Uhr einen Termin anzugeben.

2054

Am 7. Juni 2006, eine Minute vor 12.00 Uhr, bat der Stabschef der Bundesanwaltschaft um eine Fristverlängerung, da der Bundesanwalt keine Gelegenheit gehabt habe, die Mails zu lesen. Der Generalsekretär gewährte eine Frist bis 15.00 Uhr. Um 14.32 Uhr bestätigte der Stabschef per Mail den 8. Juni 2006, 19.00 Uhr, für ein Treffen mit dem Vorsteher EJPD und schrieb, der Bundesanwalt gehe davon aus, dass es sich um ein Gespräch allein zwischen ihm und dem Departementsvorsteher handle. Sollte dies nicht der Fall sein, bitte er um Information. Der Generalsekretär liess den Bundesanwalt wissen, er selbst sowie der Chef des Rechtsdienstes des EJPD würden ebenfalls anwesend sein. Zum Inhalt des Gesprächs machte er keine Angaben. Daraus schloss der Bundesanwalt, dass es wohl um eine weitere personalrechtliche Massnahme gehen würde, und bot seinen Anwalt zu diesem Treffen auf.

Am 7. Juni 2006 um 13.00 Uhr vernahm der Generalsekretär von einer Mitarbeiterin der Bundesanwaltschaft, dass sie um 9.30 Uhr in den Räumlichkeiten der Bundesanwaltschaft mit dem Bundesanwalt persönlich gesprochen habe. Daraus leitete der Generalsekretär ab, dass der Bundesanwalt an diesem Vormittag wohl auch Zeit gehabt hätte, einen Termin für das Treffen mit dem Chef zu melden.

6. Juni 2006. Stellungnahme von fedpol/BKP zu den Medienberichten betreffend Ramos: Der Generalsekretär EJPD erteilte dem fedpol den telefonischen Auftrag, zu den Medienberichten betreffend Ramos sowie zur Stellungnahme der Bundesanwaltschaft vom 2. Juni 2006 betreffend den Weltwoche-Artikel einen Bericht zu erstellen. Der Bericht von fedpol/BKP vom 6. Juni 2006 enthält Definitionen des Informanten, der Vertrauensperson (VP) und des verdeckten Ermittlers (VE) und identifiziert Ramos als VP. Die Stellungnahme erklärt die Funktion von VPs als blosse Hinweisgeber der Polizei, deren Informationen im Strafprozess nicht zu den Akten genommen werden. Deshalb sei es folgerichtig, dass der Einsatz der VP in den Verfahrensakten von H. nicht erscheine. Die technisch-taktische Führung von VPs liege in der Verantwortung der BKP und werde durch eine ausführliche interne Weisung der BKP geregelt. Der Bericht stellt im Weiteren kurz die Vorbereitung des Einsatzes von Ramos, die Einsetzung einer Arbeitsgruppe und die Dauer seines Einsatzes in der Schweiz dar. Als Fazit wird
ausgesagt, die operativ-technische Führung der VP durch die BKP sei rechtskonform in Übereinstimmung mit den Weisungen des Chefs BKP erfolgt und im Rahmen der Arbeitsgruppe mit der prozessualen Leitung durch die Bundesanwaltschaft laufend abgestimmt worden.

6. Juni 2006. Interview mit dem Bundesanwalt im Tages-Anzeiger57: Nach dem Pfingstwochenende, am Dienstag, 6. Juni 2006, erschien im Tages-Anzeiger ein Interview mit dem Bundesanwalt. Er äusserte sich darin erstmals zu den Vorwürfen der Weltwoche im Zusammenhang mit dem Fall Ramos. Richtig sei, dass es eine Task force Guest bei der Polizei gegeben habe, die einen ehemaligen kolumbianischen Drogenhändler in der Schweiz als Informanten geführt habe. Er selber habe am Anfang eine Rolle als Türöffner gespielt und die nötigen Kontakte zur BKP hergestellt. Falsch sei jedoch, dass er im Alleingang mit ihm kooperiert, ihn zur Infiltration des Finanzplatzes angeheurt, ihm vertraut und mit ihm einen Deal abgeschlossen habe. Das Führen von Informanten sei Sache der BKP. Auf die Frage, ob es stimme, dass Bundesrat Christoph Blocher von ihm ­ laut SonntagsZeitung ­ einen Bericht zum Fall H. verlangt habe, sagte der Bundesanwalt, er habe den Vor57

Hanspeter Bürgin und Christina Leutwyler: Ich war in der Rolle des Türöffners, TagesAnzeiger vom 6.6.2006.

2055

steher EJPD nicht über den Fall H. informieren wollen, weil der Justizminister Anfang 2004 ausdrücklich auf Informationen zu diesem Verfahren verzichtet habe.

Deshalb habe er angeboten, dem Bundespräsidenten als dem stellvertretenden Justizminister Angaben zu machen. Auf die Frage, ob er den Vorsteher EJPD in dieser Sache für befangen halte, wollte der Bundesanwalt nicht Stellung nehmen.

7. Juni 2006. Abklärungen betreffend die Auflösung des Arbeitsverhältnisses des Bundesanwalts: Nach dem Beschluss vom 5. Juni 2006, ausserordentliche Untersuchungen in der Bundesanwaltschaft einzuleiten, erhielt der Rechtsdienst des EJPD den Auftrag, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses des Bundesanwalts und die damit verbundenen Möglichkeiten von Personalmassnahmen darzulegen. Dem Antragsentwurf des Rechtsdienstes an den Generalsekretär EJPD vom 7. Juni 2006 ist zu entnehmen, dass verschiedene Umstände den Rückschluss zuliessen, «dass in der Bundesanwaltschaft massive Führungsprobleme vorliegen und dass auch fachlich das entsprechende Know-how nicht ausgewiesen ist.» Geprüft wurden die Varianten fristlose Kündigung wegen Gesprächsverweigerung, ordentliche Kündigung, Umgestaltung des Arbeitsverhältnisses und Freistellung. Festgestellt werden im Papier drei Problemkreise: 1. die Gesprächsverweigerungshaltung des Bundesanwalts, die ­ wenn abgemahnt ­ zur (fristlosen) Kündigung führen kann, 2. die zu treffenden Vorkehrungen im Zusammenhang mit der durchzuführenden Untersuchung, die eine Beurlaubung des Bundesanwaltes zur Folge haben kann, und 3. das Vorliegen von ordentlichen Kündigungsgründen, die sich aus der durchgeführten Untersuchung ergeben können. Zum dritten Punkt wird vermerkt, es bestehe die Gefahr eines «Rohrkrepierers», insbesondere dann, wenn die Aussage des Bundesanwalts zutreffe, dass die Kontakte zwischen «Alex» und der BKP, mithin dem EJPD, stattgefunden haben und nicht mit der Bundesanwaltschaft. Dem Antragsentwurf ist eine Notiz vom 7. Juni 2006 mit Ausführungen zur Auflösung von Arbeitsverhältnissen auf Amtsdauer im Allgemeinen beigefügt.

3.1.2.4

«Abmahnung und scharfe Rüge» vom 8. Juni 2006

Am Donnerstag, 8. Juni 2006 um 19.00 Uhr, kam es schliesslich zum Treffen zwischen dem Vorsteher des EJPD und dem Bundesanwalt in Anwesenheit dessen Anwalts, des Chefs Rechtsdienst EJPD und des Generalsekretärs EJPD. Der Vorsteher EJPD erklärte dem Bundesanwalt, dass für ihn eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr in Frage komme. Er werde den Bundesrat davon in Kenntnis setzen, dass er das Arbeitsverhältnis mit dem Bundesanwalt beenden wolle. Er erachte eine weitere Zusammenarbeit als unmöglich. Demgegenüber erklärte der Bundesanwalt, er halte eine weitere Zusammenarbeit für möglich.

An dieser Besprechung überreichte der Vorsteher EJPD dem Bundesanwalt eine schriftliche «Abmahnung und scharfen Rüge» mit Datum vom 8. Juni 2006. Darin hält der Vorsteher EJPD fest, er erachte die intensive, öffentliche Auseinandersetzung um die Person des Bundesanwalts und die Bundesanwaltschaft als gravierend.

Die Gefahr sei gross, dass damit die Glaubwürdigkeit der Strafverfolgungsbehörden mindestens in Frage gestellt sei. Weiter stellte der Vorsteher EJPD fest, der Bundesanwalt habe ihm eine nichts sagende Notiz zugestellt, statt Stellung gegenüber den Vorwürfen in der Weltwoche zu nehmen, und ohne Rücksprache mit ihm im TagesAnzeiger eine Gegendarstellung veröffentlichen lassen und dort die Fragen beantwortet, die er dem Vorsteher EJPD nicht beantwortet habe. Damit habe er ihm und 2056

seinem Führungsstab verunmöglicht, die schwierige Situation führungsmässig einwandfrei zu meistern. Er habe mit seiner Unerreichbarkeit am Pfingstmontag dem Vorsteher EJPD verunmöglicht, adäquat auf die öffentliche Auseinandersetzung zu reagieren und damit seine Erreichbarkeitsweisungen verletzt. Der Bundesanwalt habe in dieser Woche keine Zeit für einen Gesprächstermin mit dem Departementschef haben wollen. Er taxiere dieses Verhalten als Gesprächsverweigerung. In seinem Interview habe er sich unkollegial über andere Organisationseinheiten des EJPD geäussert und den Anschein erweckt, der Justizminister sei in einem Fall der Bundesanwaltschaft befangen, ohne mit ihm diese Aussage auch nur diskutiert zu haben. Vor diesem Hintergrund sehe er zum heutigen Zeitpunkt keine Möglichkeit mehr zur weiteren Zusammenarbeit.

Schliesslich heisst es im Schreiben weiter: «Unter all diesen Aspekten erteile ich Ihnen eine scharfe Rüge und eine Ermahnung im Sinne von Artikel 12 Absatz 6 und 7 des Bundespersonalgesetzes (BPG). Ich erachte das Vertrauensverhältnis zwischen uns als zerstört und eine loyale Zusammenarbeit als verunmöglicht. Ich erteile Ihnen zudem die folgende Dienstanweisung: Sie halten ab sofort meine Weisungen (Erreichbarkeit) vollumfänglich ein. Ohne Rücksprache mit dem Departement organisieren Sie keinerlei Presseauftritte mehr.» Weiter heisst es in dem Schreiben: «Sollten sich solche oder ähnliche Vorkommnisse wiederholen oder sollten Sie sich meinen klaren Anweisungen widersetzen, werde ich unverzüglich beim Bundesrat die Auflösung Ihres Arbeitsverhältnisses (gegebenenfalls sogar die fristlose Kündigung) beantragen. Ich werde den Bundesrat an der Sitzung vom 9. Juni 2006 über das vorliegende Schreiben orientieren.»

3.1.2.5

Information des Bundesrates an der Sitzung vom 9. Juni 2006

In einer schriftlichen Informationsnotiz informierte der Vorsteher EJPD am 9. Juni 2006 den Bundesrat über die zusammen mit der Beschwerdekammer am 5. Juni 2006 angekündigten ausserordentlichen Untersuchungen in der Bundesanwaltschaft und das «allenfalls mitbetroffene Bundesamt für Polizei (Bundeskriminalpolizei)».

Ein Abklärungsbedürfnis sei klar gegeben. Dieses Verfahren diene lediglich der Erstellung des Sachverhalts. Vorbehalten blieben spätere personalrechtliche (disziplinarische) und verwaltungsorganisatorische oder aufsichtsrechtliche Massnahmen.

Im Mitberichtsverfahren zur Informationsnotiz reichte der Vorsteher des Eidgenössischen Departementes des Innern (EDI) schriftliche Fragen betreffend die Bundesanwaltschaft ein. Er wollte unter anderem erfahren, ob es zutreffe, dass auf die Bundesanwaltschaft aus Bankkreisen heraus unüblich viel Druck ausgeübt worden sei, ob ein allfälliges persönliches Zerwürfnis zwischen dem Vorsteher EJPD und dem Bundesanwalt die Arbeiten in irgendeiner Art beeinflusst hätte, welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen seien, dass laut dem Untersuchungsrichter der Fall H.

voraussichtlich «kein Flop» werde, ob es richtig sei, dass der Vorsteher EJPD einen Bericht zum konkreten Fall H. verlangt habe, und wie es sich erkläre, dass der Bundesanwalt bereit sei, den Stellvertreter des Vorstehers EJPD im Gegensatz zum Vorsteher EJPD vollumfänglich zu informieren. Dem Vorsteher EDI wurde in Aussicht gestellt, dass diese Fragen vom EJPD schriftlich beantwortet werden würden. Eine entsprechende Antwort ist laut Angaben des Generalsekretärs des EDI nie eingetroffen.

2057

Auf Ersuchen der Subkommission informierte die Bundespräsidentin die GPK-N mit Schreiben vom 26. Januar 2007 über die Behandlung verschiedener Geschäfte betreffend die Bundesanwaltschaft im Bundesrat. Gemäss diesem Bericht informierte der Vorsteher des EJPD den Bundesrat am 9. Juni 2006 schriftlich und mündlich, dass er beabsichtige, in der Bundesanwaltschaft eine Administativuntersuchung durchzuführen. In einer kurzen Diskussion im Bundesrat sei die institutionelle Stellung der Bundesanwaltschaft thematisiert worden. Dabei sei festgestellt worden, dass die organisatorische Zuordnung in Bezug auf Führung und Aufsicht problematisch sein könnte.

3.1.2.6

Vorbereitungen des Austritts des Bundesanwalts im Generalsekretariat EJPD

Zwischen dem 19. und 29. Juni 2006 wurden im Generalsekretariat EJPD im Auftrag des Departementsvorstehers die nach der Einleitung von ausserordentlichen Untersuchungen in der Bundesanwaltschaft vom 5. Juni 2006 begonnenen Abklärungen über die Möglichkeiten einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit dem Bundesanwalt weitergeführt. Es wurden auch Verhandlungen mit dem Anwalt des Bundesanwaltes über eine Rücktrittsvereinbarung aufgenommen.

Am 19. Juni 2006 erteilte der Generalsekretär EJPD dem Chef Rechtsdienst des EJPD per Mail den Auftrag, baldmöglichst einen Antrag einzureichen, der mindestens folgende Varianten beinhalten sollte: «Bis zu welchem Zeitpunkt kann längstens eine Abgangsentschädigung ausbezahlt werden, die in der Kompetenz des Departementschefs ist? Welche Variante mit welchen Folgen ist aus heutiger Sicht realistisch? Weitere Varianten.» Im Antrag des Generalsekretariates an den Departementsvorsteher vom 29. Juni 2006 betreffend den Austritt des Bundesanwalts wird als Ausgangslage festgehalten, der Bundesanwalt habe zum wiederholten Male vom Departementschef verwarnt werden müssen. Das Vertrauensverhältnis sei nachhaltig gestört. Aus Sicht des EJPD stelle der Bundesanwalt ein Sicherheitsrisiko dar. Der Bundesanwalt sei zum jetzigen Zeitpunkt bereit, seinen Rücktritt zu erklären. Weiter wird festgestellt, dass der Bundesanwalt auf Amtsdauer bis Ende 2007 gewählt ist und dass ihm vor Ablauf der Amtsdauer nur gekündigt werden kann, wenn Gründe für eine fristlose Kündigung vorliegen. Es würden zurzeit nur Ermahnungen, aber noch keine Kündigungsgründe, weder fristlose noch ordentliche, vorliegen.

Im Auftrag des Vorstehers EJPD wurden folgende Szenarien und Varianten überprüft: Variante 1. Keine Verhandlungen führen/Abwarten: Als Nachteil wird erwogen, dass der Bundesanwalt für weitere vier Jahre zu wählen sein werde, wenn bis Ende Juni 2007 keine Kündigungsgründe vorliegen, als Vorteil wird angesehen, dass dies die kontengünstigste Variante sei.

Variante 2. Abwarten der Administrativuntersuchung: Als Vorteil wird erwogen, dass ev. grosse Lücken und Mängel zu Tage treten würden, die sich auf die Person des Bundesanwalts zurückführen liessen. Offen bleibe, ob dies dann für eine Kündigung reiche, zumal die Administrativuntersuchung nicht auf Personen, sondern auf die Klärung eines Sachverhaltes abzielt. Wenn aber die Administrativuntersuchung

2058

zeige, dass in der Bundesanwaltschaft alles rund läuft, werde es noch schwieriger, dem Bundesanwalt per Juni 2007 zu kündigen.

Variante 3. Trennungsvertrag mit dem Bundesanwalt: Nach dieser Variante sollte der Bundesanwalt nicht aus rechtlichen, aber aus menschlichen Überlegungen dazu bewogen werden, den Rücktritt zu erklären. Als Nachteil wird erwogen, dass dies eine teure Variante sei, «da unsere Verhandlungsposition im Moment ungünstig ist.» Unter dieser Variante wurden mehrere Möglichkeiten geprüft. Aus den Dokumenten geht hervor, dass Varianten, welche die Zustimmung des Bundesrates und der Finanzdelegation erfordert hätten, verworfen wurden. Die Lösung, die schliesslich vom Departementschef gewählt wurde, sah vor, dass der Bundesanwalt zwar den Rücktritt erklären würde, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses aber zweiseitig im gegenseitigen Einverständnis erfolgen würde. Auf diese Weise könne der Departementsvorsteher eine Entschädigung in analoger Anwendung zu den Amtsdirektoren entrichten. Die Analogie wurde aus der Bestimmung abgeleitet, wonach die Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit Amtsdirektoren bei «Wegfall der gedeihlichen Zusammenarbeit mit dem Departementsvorsteher» mit einem Jahreslohn entschädigt werden kann (Art. 79 Abs. 2 i. V. m. Art. 26 Abs. 1 BPV58). Dazu heisst es in den Unterlagen: «Diese Lösung ist ein Analogieschluss, der uns ermöglicht, rasch zu handeln. Es ist aber nicht sicher, dass der Gesamtbundesrat nicht eine Orientierung verlangt [...] und dass sich das Parlament nicht einmischt.» Variante 4. «Kampfvariante»: Unter dieser Variante wurde verstanden, dass sich der Bundesanwalt nicht für einen Rücktritt entscheiden und die Ermahnung nicht unbeantwortet lassen könnte. Für diesen Fall wurde erwogen, es könne sich durchaus ergeben, dass der Bundesanwalt seinen Anwalt beauftragen würde, seinerseits gegen das EJPD vorzugehen, beispielsweise durch Information der übrigen Bundesräte oder «durch Veröffentlichung unseres Vorgehens in den Medien».

3.1.2.7

Zuständigkeit für die Rücktrittsvereinbarung mit dem Bundesanwalt und für die Einsetzung eines interimistischen Leiters der Bundesanwaltschaft

Im Hinblick auf die Bundesratssitzung vom 5. Juli 2006, an der über den Rücktritt des Bundesanwalts informiert werden sollte, wurden vom EJPD Abklärungen zur Frage getroffen, ob der Bundesrat als Wahlbehörde des Bundesanwaltes die Rücktrittsvereinbarung sowie die Ernennung eines stellvertretenden Bundesanwalts zum interimistischen Leiter genehmigen müsste. Das Bundesamt für Justiz (BJ) äusserte in einem Schreiben vom 30. Juni 2006 die Meinung, der Abschluss eines Vertrages, der die Kündigungsmodalitäten des Arbeitsverhältnisses des Bundesanwalts regelt, würde in die Kompetenz des Bundesrates fallen bzw. müsste von diesem genehmigt werden, da gemäss Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe g BPV der Bundesrat für die Begründung, Änderung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Bundesanwalts zuständig ist. Das Generalsekretariat EJPD kam nach Rücksprache mit dem Eidgenössischen Personalamt (EPA) zum Schluss, die Zuständigkeit liege beim Departement, wenn eine einseitige Kündigung des Bundesanwalts vorliege. Nach einem telefonischen Meinungsaustausch zwischen dem Rechtsdienst des EJPD und dem zuständigen Fachmitarbeiter des BJ äusserte dieser per Mail die Ansicht, die 58

Bundespersonalverordnung vom 3.7.2001 (BPV; SR 172.220.111.3).

2059

Sache könne dann anders betrachtet werden, wenn in der Demission des Bundesanwalts ein einseitiger Akt erblickt werde und der Rücktrittsvertrag lediglich die sich daraus ergebenden Konsequenzen regle. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass der einseitige Charakter der Kündigung durch die Tatsache in Frage gestellt werden könnte, dass überhaupt eine Vereinbarung existiere. In der Frage der Ernennung des interimistischen Leiters der Bundesanwaltschaft kam das BJ zum Schluss, auch hierfür sei der Bundesrat zuständig. Aus Gründen der Dringlichkeit und weil die Sommerferien des Bundesrates bevorstünden, könne der Vorsteher EJPD die Ernennung provisorisch im Hinblick auf eine definitive formelle Ernennung durch den Bundesrat vornehmen. Die definitive Ernennung müsse aber gleich nach den Sommerferien durch den Bundesrat erfolgen.

Das BJ sowie das EPA hatten bei ihrer Beurteilung keine Kenntnis des genauen Inhalts der Vereinbarung und wussten nichts von der Abmahnung und scharfen Rüge vom 8. Juni 2006.

3.1.2.8

Rücktrittsankündigung des Bundesanwalts vom 5. Juli 2006

Am 5. Juli 2006 kündigte der Bundesanwalt seinen Rücktritt an. In seinem Rücktrittsschreiben heisst es: «Hiermit gebe ich Ihnen meinen Rücktritt als Bundesanwalt der schweizerischen Eidgenossenschaft per 31. Dezember 2006, nach Massgabe der heute Morgen abgeschlossenen Vereinbarung, bekannt. Ausschlaggebend für meine Demission sind nicht einzelne Vorkommnisse der letzten Wochen (namentlich nicht der sogenannte Fall ), sondern die Summe der Auseinandersetzungen, die in den letzten zwei Jahren mit stets zunehmender Heftigkeit in Medien, Öffentlichkeit und Politik rund um den Bundesanwalt und die Bundesanwaltschaft geführt wurden.» Laut dem Bericht der Bundespräsidentin vom 26. Januar 2007 an die GPK-N informierte der Vorsteher EJPD den Bundesrat an diesem Tag darüber, dass ihm der Bundesanwalt sein Kündigungsschreiben eingereicht und die operative Führung sofort abgegeben habe. Er werde seine Tätigkeit bis zum Ausscheiden auf strategische Projekte beschränken. Eine Diskussion darüber habe im Bundesrat nicht stattgefunden.

Im Personaldossier des Bundesanwalts findet sich der Entwurf einer Sprechnotiz für die Bundesratssitzung vom 5. Juli 2007. Darin heisst es, aus Sicht des EJPD sei die Zusammenarbeit mit dem Bundesanwalt unzumutbar geworden. Effektive Kündigungsgründe (fristlose oder ordentliche) aus dem Gesetz seien aber gegen den Bundesanwalt nicht vorgelegen. Da die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum heutigen Zeitpunkt nicht mittels Kündigung möglich sei, sei die einzige mögliche Lösung der freiwillige Rücktritt des Bundesanwaltes gewesen. Die arbeitsrechtlichen und ­ vertraglichen Nebenfolgen dieser Trennung würden in einem separaten Trennungsvertrag geregelt. Aufgrund des Berichts der Bundespräsidentin ist davon auszugehen, dass der Vorsteher EJPD diese Aussagen im Bundesrat nicht vortrug.

2060

3.1.2.9

Arbeitszeugnis vom 15. November 2006

Der Vorsteher EJPD erteilte dem Bundesanwalt ein sehr gutes Arbeitszeugnis, das mit den Worten endet: «Bundesanwalt Roschacher gab am 5. Juli 2006 seinen Rücktritt per Ende 2006 bekannt. Sein Rücktritt erfolgte nicht aufgrund der im Verlaufe des Sommers/Herbst 2006 angehobenen und durchgeführten Analysen und Untersuchungen in der Bundesanwaltschaft. Die genannten Untersuchungen zeitigten im Übrigen allesamt ein äusserst positives Resultat für Bundesanwalt Roschacher und bestätigten insbesondere seine hohe fachliche Kompetenz sowie sein rechtsstaatlich einwandfreies Engagement in der Strafverfolgung.»

3.1.3

Ergebnisse der Anhörungen und schriftlichen Stellungnahmen zum Rücktritt des Bundesanwalts

a. Zur Stellungnahme des Bundesanwalts vom 2. Juni 2006 zum Weltwoche-Artikel Gegenüber der Subkommission erklärte der Vorsteher EJPD, der Bundesanwalt habe in seiner Stellungnahme zum Weltwoche-Artikel nichts sagen wollen, weil der Vorsteher EJPD nicht zuständig sei. Er habe erst nachträglich erfahren, dass es wegen dem Fall H. sei, dass der Bundesanwalt Bundesrat Leuenberger informieren wollte. Der Bundesanwalt habe in seinem Bericht nicht geschrieben, er könne ihn wegen des Falles H. nicht informieren. Als er dem Bundesanwalt den Auftrag zur Stellungnahme zum Weltwoche-Artikel habe erteilen lassen, habe er diesen nicht gelesen gehabt, sondern sei am 1. Juni 2006 vor 10 Uhr im Rahmen der Medienanalyse darüber informiert worden. Darin sei nichts vom Fall H. gestanden. Der Vorschlag des Bundesanwalts, Bundesrat Leuenberger anstelle des Justizministers zu informieren, sei im Bundesrat klar abgelehnt worden.

Nach den der GPK-N vorliegenden Informationen hat der Vorsteher EJPD am 1. Juni 2006 die Medienanalyse des Tages erhalten, aus der hervorging, dass sich der Weltwoche-Artikel um den Fall H. drehte. Aus dem Bericht und Antrag des Bundesanwalts vom 2. Juni 2006, der dem Vorsteher EJPD an Pfingsten, 4. Juni 2006, vom Generalsekretär EJPD per Fax zugestellt wurde, war ersichtlich, dass der Bundesanwalt ihn nur betreffend den Fall H. nicht informieren wollte (zum Sachverhalt vgl. Ziff. 3.1.2.3).

Gegenüber dem Bundesanwalt selbst bemängelte der Vorsteher EJPD die Stellungnahme vom 2. Juni 2006 vorerst nicht. In seiner schriftlichen Rüge an den Bundesanwalt vom 8. Juni 2006 bezeichnete er sie als «nichts sagende Notiz». Am Pfingstsonntag, 4. Juni 2006, veröffentlichte die SonntagsZeitung die Information, dem Vernehmen nach sei der Vorsteher EJPD seit längerem «sehr besorgt» über den Fall H. Er habe vom Bundesanwalt einen Bericht zum Fall verlangt, den dieser abgeliefert habe, der aber unter Verweis auf geheime Akten «ohne jede Substanz» gewesen sei.

Zur Frage seiner Bekanntschaft mit H. führte der Vorsteher EJPD gegenüber der Subkommission aus, er kenne H. aus der Studienzeit und sei nicht mit ihm befreundet. Er kenne den Fall aus den Zeitungen. Er verlange nie Berichte über Einzelverfahren.

2061

b. Zur Nichterreichbarkeit und Gesprächsverweigerung des Bundesanwalts nach Pfingsten Vor der Subkommission erklärte der Vorsteher EJPD, der Bundesanwalt habe keine Auskunft geben wollen. Deshalb habe man am Pfingsmontag eine Untersuchung veranlasst. Er habe die Angelegenheit mit dem Bundesanwalt besprechen wollen.

Der Bundesanwalt sei aber ­ entgegen seiner klaren Anordnung und Weisung bei seinem Amtsantritt ­ nicht erreichbar gewesen.

Zum Vorwurf der Nichterreichbarkeit führte der Bundesanwalt gegenüber der Subkommission aus, dass er, nachdem er am Pfingstmontag Morgen dem TagesAnzeiger in der Zweigstelle der Bundesanwaltschaft in Zürich ein Interview gegeben habe, vom Pfingsmontag Nachmittag bis zum Dienstag Morgen infolge Krankheit (schwerer Migräneanfall) nicht erreichbar gewesen sei. Seine beiden stellvertretenden Bundesanwälte sowie der Pikettstaatsanwalt seien jedoch jederzeit erreichbar gewesen, aber nicht kontaktiert worden. Der Generalsekretär EJPD habe in seinen elektronischen Mitteilungen keinen Grund genannt, warum ihn der Bundesanwalt hätte zurückrufen sollen. Erst am Dienstag, 6. Juni 2006, 8.00 Uhr, habe er per Mail mitgeteilt, dass der Vorsteher EJPD ihn am Pfingstmontag Nachmittag über die EJPD-Pressemitteilung habe informieren wollen. Im Übrigen habe der Departementsvorsteher auch in den Tagen zuvor zu keiner Zeit persönlich versucht, ihn zu kontaktieren, wie er dies in anderen Fällen getan habe.

Die Umstände der Terminvereinbarung zwischen dem Generalsekretär und dem Bundesanwalt für die Besprechung vom 8. Juni 2006 wertete der Vorsteher EJPD als Gesprächsverweigerung. Der Vorsteher EJPD führte vor der Subkommission aus, nach dieser Woche habe er sich gesagt: So kann man nicht mehr zusammenarbeiten.

«Wenn einer im Büro sitzt, das Telefon nicht abnimmt und eine ganze Woche keine Zeit für den Chef hat, dann ist das in der Privatwirtschaft Grund genug für eine fristlose Kündigung.» Demgegenüber hielt der Bundesanwalt fest, von einer Gesprächsverweigerung könne keine Rede sein. Der Generalsekretär habe ihn am Dienstag telefonisch erreicht und am Donnerstag habe das Treffen mit dem Vorsteher EJPD stattgefunden (zum Sachverhalt vgl. Ziff. 3.1.2.3, 6.­7. Juni 2006).

c. Zum Interview des Tages-Anzeigers vom 6. Juni 2006 mit dem Bundesanwalt Der Vorsteher EJPD führte gegenüber der
Subkommission aus, er habe mit grossem Erstaunen das Interview mit dem Bundesanwalt im Tages-Anzeiger gelesen, in dem dieser alle Fragen beantwortet habe, die er ihm nicht habe beantworten wollen. In seiner schriftlichen Stellungnahme an die GPK-N vom 30. Oktober 2006 ergänzte der Vorsteher EJPD, der Bundesanwalt habe in seiner Stellungnahme ihm gegenüber nichts sagend und ausweichend geantwortet. So habe er behauptet, die Ausführungen im Artikel würden nicht stimmen. Er beschreibe aber nicht, weshalb dies so sei, sondern begnüge sich mit Hinweisen, wo das Verfahren stecke. Auch lasse er ihn wissen, dass er nur gegenüber seinem Stellvertreter, Herrn Bundespräsident Moritz Leuenberger, bereit sei, nähere Auskünfte zu erteilen. Er gebe also in seinem Schreiben selber zu, dass seine Auskunft ihm gegenüber ungenügend sei. Demgegenüber habe er dem «Tagi» sämtliche Details geschildert, die er ihm gegenüber hätte mitteilen müssen, so zum Beispiel die Tatsache, dass er als Türöffner fungiert habe. Der Zeitung gegenüber stelle er also seine Rolle dar, in der Stellungnahme ihm gegenüber schweige er sich darüber aus. Auch habe er detaillierte Angaben zur Task force Guest und ihre Arbeit gemacht und dargelegt, wie die Person des «verdeckten Ermittlers» zum Einsatz kam.

2062

Der Bundesanwalt verteidigte in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 30. Oktober 2006 an die GPK-N seinen Gang an die Öffentlichkeit. Der Justizminister sei aufgrund seiner selbst deklarierten Bekanntschaft mit dem Beschuldigten seit Januar 2004 im «Ausstand». Die Weitergabe von Informationen an Einzelpersonen, die kein Recht auf verfahrensrelevante Daten hätten, sei gesetzeswidrig. Damit sei es ihm gesetzlich untersagt gewesen, dem Vorsteher EJPD detaillierte Informationen zum laufenden Strafverfahren zu liefern. Anders verhalte es sich mit der Information der Öffentlichkeit. Nach weiteren Artikeln in der Sonntagspresse sei es geboten gewesen, diese in einem bestimmten Umfang zu informieren.

d. Zu den Hintergründen des Rücktritts des Bundesanwalts: Die Positionen des Bundesanwalts und des Vorstehers EJPD Zu seinem Rücktritt führte der Bundesanwalt vor der Subkommission aus, er habe sich nach der Sitzung mit dem Vorsteher EJPD vom 8. Juni 2006 entschieden, dass er der Eidgenossenschaft unter den gegebenen Umständen nicht weiter zur Verfügung stehen wolle. Es sei ihm klar geworden, dass man ihn und die Bundesanwaltschaft mit administrativen Aufträgen und Untersuchungen auf lange Zeit lähmen könne und dass der Vorsteher EJPD mit seinen Möglichkeiten schliesslich am längeren Hebel sitzen würde. Damit habe er die Bundesanwaltschaft und ihre Mitarbeitenden nicht weiter belasten wollen. Deshalb habe er keine andere Wahl gehabt als zurückzutreten. In seinen schriftlichen Stellungnahmen an die GPK-N schrieb der Bundesanwalt, seines Erachtens habe der Vorsteher EJPD klar gewusst, dass seine Anschuldigungen einer formellen Überprüfung nicht standhalten würden; deshalb habe er sich für den Weg der Massregelung ausserhalb eines formellen Disziplinarverfahrens entschieden. Im Weiteren machte der Bundesanwalt geltend, der Vorsteher EJPD habe mehrfach unzulässige Eingriffe in die justizielle Unabhängigkeit der Bundesanwaltschaft vorgenommen, indem er ihn zweimal dafür ermahnt bzw. scharf gerügt habe, dass er ohne Erlaubnis des Vorstehers EJPD in laufenden Ermittlungsverfahren die Öffentlichkeit informiert habe und indem er ihm für die Zukunft verboten habe, ohne Rücksprache mit dem Departement Presseauftritte zu organisieren. Unzulässige Eingriffe in die Unabhängigkeit der Bundesanwaltschaft seien zudem darin
zu erblicken, dass der Vorsteher EJPD den Präsidenten der Beschwerdekammer mit der Sachverhaltsabklärung im Zusammenhang mit dem Mediensprecher der Bundesanwaltschaft beauftragte und indem der Beschwerdekammerpräsident den Aufsichtszwischenbericht «Anklagen» auch auf ausdrückliches Ersuchen des EJPD erstellt habe.

Weiter sagte der Bundesanwalt gegenüber der Subkommission, das Vorgefallene sei aus staatsrechtlichen Überlegungen äusserst bedenklich gewesen. In seiner schriftlichen Stellungnahme vom 15. Oktober 2006 führte er dazu aus: «Obwohl ich mir als Bundesanwalt nichts hatte zu Schulden kommen lassen, was auch durch die nunmehr erschienenen Berichte , und bestätigt wird, wollte mich der Vorsteher EJPD aus dem Amt jagen. Seine wirklichen Gründe dafür kenne ich nicht, da er mir diese nie genannt hat. Ich kann es mir nur so erklären, dass er es persönlich nicht akzeptieren wollte, dass ich mich strikte an die Gewaltenteilung hielt, ebenso wie an die Zweiteilung der Aufsicht und ihm daher an Informationen nur solche zukommen liess, auf welche er von Gesetzes wegen Anspruch hatte [...].»

2063

Der Vorsteher EJPD führte vor der Subkommission aus, nach der Woche nach Pfingsten habe er sich gesagt, so könne man nicht mehr zusammenarbeiten. «Wenn einer im Büro sitzt, das Telefon nicht abnimmt und eine ganze Woche keine Zeit für den Chef hat, dann ist das in der Privatwirtschaft Grund genug für eine fristlose Kündigung. Ich hatte ihm nichts Schwerwiegendes vorzuwerfen, was seine Arbeit sonst betraf, aber die Zusammenarbeit war nicht mehr möglich.» Gemäss dem Vorsteher EJPD wurde dem Bundesanwalt aber nicht gekündigt; der Bundesanwalt habe auf eigenen Wunsch demissioniert. Dies sei auch für sein weiteres Fortkommen von Vorteil. In diesem Punkt sei er dem Bundesanwalt sehr entgegen gekommen. Zwar sei er nicht mehr Bundesanwalt gewesen, aber er habe bis Ende 2006 operative Arbeiten erledigen können und müsse dem Bund bis 2007 zur Verfügung stehen. Der Justizminister betonte, dass es auch andere Lösungen gegeben hätte. In der Privatwirtschaft hätte es eine fristlose Entlassung gegeben, aber beim Bund gebe es strenge Regeln. Beim Bundesanwalt komme hinzu, dass er bis Dezember 2007 gewählt und eine ordentliche Kündigung nur schwer möglich gewesen sei.

Den Ausführungen des Departementschefs war in der Anhörung zu entnehmen, dass er mit der Art des Bundesanwalts, ihn zurückhaltend zu informieren und sich regelmässig auf seine unabhängige Stellung als Leiter der gerichtspolizeilichen Ermittlungen in der Strafverfolgung zu berufen, aber gerne in den Medien aufzutreten, Mühe bekundete. Zudem habe sich die schwierige Persönlichkeitsstruktur des Bundesanwalts auf das ohnehin bestehende Problem der geteilten Aufsicht noch erschwerend ausgewirkt. Immer wenn die eine Aufsichtsinstanz Auskünfte verlangt habe oder Abklärungen treffen wollte, habe der Bundesanwalt darauf verwiesen, diese sei nicht zuständig, sondern eine andere. Der Bundesanwalt habe heute vier Vorgesetzte. Jeder Bundesanwalt werde an dieser Frage scheitern. Niemand könne zwei Herren dienen und vieren schon gar nicht. Neben der Oberaufsicht durch die GPK sollte die Aufsicht deshalb einheitlich sein.

Zur Frage, warum das Departement kein formelles Disziplinarverfahren eingeleitet habe, führte der Generalsekretär EJPD vor der Subkommission aus, man habe sich statt für ein Disziplinarverfahren gemäss Art. 99 Bundespersonalverordnung für die
Prüfung einer ordentlichen oder fristlosen Kündigung entschieden (Art. 12 BPG).

Auf die Frage, ob der Bundesrat als Wahlorgan die mit dem Bundesanwalt getroffene Vereinbarung anlässlich seines Rücktritts genehmigt habe, antwortete der Vorsteher EJPD in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 30. Oktober 2006, dass er den Bundesrat über die Kündigung des Bundesanwalts informiert habe. Da der Bundesanwalt von sich aus gekündigt habe, habe das Abschliessen einer Vereinbarung aber in der Kompetenz des EJPD gelegen.

3.2

Feststellungen und Beurteilungen der GPK-N

a. Zur unabhängigen Funktion und Stellung des Bundesanwalts Die Bundesanwaltschaft ist eine in ihrer Strafverfolgungstätigkeit unabhängige Behörde. Mit der Effizienzvorlage wurde die unabhängige Stellung des Bundesanwalts verstärkt, in dem die gesetzliche Bestimmung eingeführt wurde, wonach der Bundesanwalt und die Personen, die ihn vertreten, ihre Aufgaben unabhängig von Weisungen der Wahlbehörde, d. h. des Bundesrates und mithin des Justizministers, erfüllen (Art. 16 Abs. 4 BStP). Personalrechtlich wird die unabhängige Stellung des 2064

Bundesanwalts dadurch unterstrichen, dass er vom Bundesrat auf Amtsdauer gewählt wird. Die Wahl auf Amtsdauer dient einem verstärkten Kündigungsschutz und ist in der Bundesverwaltung nur für Personal vorgesehen, das vom Wahlorgan unabhängig sein muss (Art. 9 Abs. 5 BPG). Dieser Status kommt in der Bundesverwaltung nebst dem Bundesanwalt und seinen Stellvertretern sowie den Staatsanwälten und stellvertretenden Staatsanwälten nur noch dem Oberauditor der Armee zu59 (Art. 32 Abs. 1 BPV).

Administrativ ist die Bundesanwaltschaft als dezentrale Einheit der Bundesverwaltung dem EJPD angegliedert (Art. 6 Abs. 3 und Anhang RVOV60), das auch die administrative Aufsicht über die Bundesanwaltschaft ausübt. In administrativen Belangen kann somit der Vorsteher EJPD dem Bundesanwalt Dienstanweisungen erteilen. In administrativen und organisatorischen Belangen ist die Stellung des Bundesanwalts vergleichbar mit derjenigen eines Amtsdirektors. Gleichzeitig stellt seine fachliche Weisungsunabhängigkeit vom Vorsteher des EJPD aber ein wesentlicher Unterschied zur Stellung eines Amtsdirektors dar, der vom Departementschef in direkter Linie fachlich geführt wird, was für den Bundesanwalt nicht gilt.

b. Zum Anlass der ausserordentlichen Untersuchungen betreffend die Bundesanwaltschaft Als der Vorsteher EJPD und der Präsident der Beschwerdekammer sich am Pfingstmontag, 5. Juni 2006, trafen, war für den Vorsteher EJPD aus der Stellungnahme des Bundesanwalts vom 2. Juni 2006 (vgl. Ziff. 3.1.2.3) ersichtlich, dass die ihm direkt unterstellte BKP für die Führung und den Einsatz von Vertrauenspersonen zuständig ist. Das Inspektorat seines Departementes hatte ebenfalls darauf hingewiesen, dass man eine Stellungnahme der BKP verlangen sollte (vgl. Ziff. 3.1.2.3). Eine solche wurde jedoch erst nach dem Pfingstwochenende eingeholt. Demgegenüber hatte der Vorsteher EJPD vor der Subkommission ausgesagt, man habe gleichzeitig eine Stellungnahme von der BKP verlangt und diese sei ­ im Gegensatz zu jener der Bundesanwaltschaft ­ in Ordnung gewesen. Inhaltlich bestätigte diese im Wesentlichen die Aussagen des Bundesanwalts.

Die Begründung des Vorstehers EJPD, der Bundesanwalt habe keine Auskunft geben wollen, deshalb habe man die Angelegenheit untersuchen müssen, überzeugt nicht. Der Bundesanwalt hat in seiner Stellungnahme vom
2. Juni 2006 zwar kurz, aber präzise auf die wesentlichen Punkte im Zusammenhang mit der Vertrauensperson Ramos hingewiesen und wollte lediglich zum konkreten Verfahren des Bankiers H. gegenüber dem Justizminister keine Angaben machen, weil dieser vor zwei Jahren selbst gegenüber dem Bundesanwalt gesagt hatte, er wolle nicht über den Fall H. informiert werden, auch weil er und seine Frau diesen kennen würden. Somit durfte der Bundesanwalt die Angaben zu diesem Verfahren verweigern. Wenn dem Vorsteher EJPD die allgemeinen Angaben des Bundesanwalts als nicht ausreichend erschienen, hätte er jederzeit weitere Auskünfte ­ ausser zum konkreten Verfahren H. ­ verlangen können. Das hat er nicht getan. Auch das Inspektorat des EJPD hatte auf diese Möglichkeit verwiesen. Die Aussage des Justizministers, er habe erst im Nachhinein erfahren, dass es wegen H. gewesen sei, dass der Bundesanwalt seinen Stellvertreter im Bundesrat informieren wollte, und das habe der Bundesanwalt ihm 59

60

Die Wahl auf Amtsdauer gibt es ausserhalb der allgemeinen Bundesverwaltung noch bei den Gerichten und für das Amt des Generalsekretärs oder der Generalsekretärin der Bundesversammlung.

Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25.11.1998 (SR 172.010.1).

2065

nicht gesagt, trifft nicht zu. Er hat die Stellungnahme des Bundesanwalts am 4. Juni 2006, die diesbezüglich unzweideutig ist, per Fax erhalten. Ebenfalls nicht zutreffend war seine Aussage gegenüber der Subkommission, er habe, als er die Stellungnahme verlangte, nicht gewusst, dass es im Weltwoche-Artikel um den Fall H.

gegangen sei. Die dem Departementsvorsteher vor 10 Uhr vorgelegte Medienanalyse wies darauf hin, dass sich der Weltwoche-Artikel wieder um den Fall des Privatbankiers H. drehe. Es ist nicht auszuschliessen, dass das Departement bereits am Tag vor seiner Publikation vom Artikel Kenntnis erhielt, worauf die falsche Datumsangabe des Generalsekretärs EJPD in seinem Fax vom 4. Juni 2006 hinweist (er verwies auf den Weltwoche-Artikel vom «Mittwoch, 31. Mai 2006» während der Artikel vom Donnerstag, 1. Juni 2006, datierte).

Es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdekammerpräsident zum Zeitpunkt des Treffens wusste, dass die Ermittler der Bundesanwaltschaft nicht nur aufgrund von vagen Behauptungen von Ramos ein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren gegen den Bankier H. eingeleitet hatten. Als Präsident der Beschwerdekammer musste er selbst die im Rahmen des Verfahrens verfügten Telefonabhörungen, den Einsatz eines verdeckten Ermittlers (nach der Phase des Einsatzes der Vertrauensperson Ramos) und die Verhaftung anhand der Akten überprüfen und bewilligen bzw. bestätigen. Soweit diese Massnahmen vor dem 1. April 2004 getroffen wurden, wurden sie von der damals zuständigen Anklagekammer des Bundesgerichts überprüft. Im Rahmen dieser Prüfungen wird auch festgestellt, ob ein begründeter Tatverdacht vorlag. Aus dieser Sicht ist es auch nachvollziehbar, dass er noch drei Tage zuvor gegenüber dem Tages-Anzeiger bestätigte, dass er keinen Handlungsbedarf sehe (vgl. Ziff. 2.2.1). Doch willigte er nun in die Einleitung einer ausserordentlichen Überprüfung ein, bevor diese von der Beschwerdekammer beschlossen wurde.

Von den Aufsichtsbehörden der Bundesanwaltschaft darf man erwarten, dass sie im Moment, wo die Bundesanwaltschaft unter starkem Druck stand, möglichst rasch die Fakten klären und die Öffentlichkeit darüber informieren würden. Denn mit der Aufsichtsbefugnis sind nicht nur Rechte verbunden, sondern auch die Pflicht, das Funktionieren der beaufsichtigten Behörde zu gewährleisten
und somit auch, diese vor ungerechtfertigten Angriffen zu schützen. Im vorliegenden Fall waren die Fakten betreffend Ramos zumindest in Umrissen rasch klar. Stattdessen kündigten der Vorsteher EJPD und der Präsident der Beschwerdekammer gemeinsam ausserordentliche Untersuchungen an. Das führte zwar in der Folge zu einer Beruhigung der öffentlichen Diskussionen, vermittelte aber den Eindruck, dass in der Bundesanwaltschaft ­ und nur hier ­ wohl erhebliche Missstände vorliegen müssten. In der öffentlichen Kommunikation war hauptsächlich von der Bundesanwaltschaft als unter Verdacht stehende Behörde die Rede, aber kaum von der BKP. In den folgenden Monaten konnten einzelne Medien unwidersprochen weiterhin unwahre Behauptungen verbreiten, ohne dass das EJPD oder die Beschwerdekammer als zuständige Aufsichtsbehörden diese richtigstellten (vgl. Ziff. 2.2.3 und 2.2.5).

c. Zum Rücktritt des Bundesanwalts Der Rücktritt des Bundesanwalts erfolgte nicht freiwillig, sondern nach verschiedenen Aussprachen mit dem Vorsteher des EJPD und nach Ankündigungen, dass eine Zusammenarbeit unter den gegebenen Umständen nicht fortgesetzt werden könne.

(vgl. Ziff. 3.1.2.1 bis 3.1.2.4).

2066

Wie die Unterlagen im Personaldossier des Bundesanwalts zeigen, war man sich im EJPD zu diesem Zeitpunkt bewusst, dass keine Kündigungsgründe, weder fristlose noch ordentliche, gegen den Bundesanwalt vorlagen. Schriftliche Rügen oder Ermahnungen haben in der Regel den personalrechtlichen Zweck, eine spätere Kündigung vorzubereiten, weil vor einer Kündigung wegen Mängeln in der Leistung oder im Verhalten oder auch vor fristlosen Kündigungen das Fehlverhalten schriftlich abgemahnt werden muss (Art. 12 Abs. 6 Bst. b und Abs. 7 BPG). Nach Angaben des Generalsekretärs EJPD entschied sich das Departement dafür, in dieser Richtung vorzugehen, statt ein formelles Disziplinarverfahren einzuleiten. Ein Disziplinarverfahren hätte zur Folge gehabt, dass die Anschuldigungen in einem formellen Verfahren überprüft worden wären und der Bundesanwalt gesetzliche Verteidigungsrechte hätte wahrnehmen können.

Die scharfe Rüge erfolgte nur drei Tage nach der Einleitung von ausserordentlichen administrativen und fachlichen Untersuchungen. Der Vorsteher EJPD wartete die Resultate der Untersuchungen nicht ab und veranlasste ihn zum Rücktritt. Der Bundesanwalt willigte ein, über einen Rücktritt zu verhandeln, was schliesslich zum Abschluss einer Vereinbarung zwischen dem EJPD und dem Bundesanwalt führte (vgl. Ziff. 3.1.2.6).

d. Zur schriftlichen Ermahnung im Fall «Achraf» Im Fall «Achraf» (vgl. Ziff. 3.1.2.1) gerieten die politischen Interessen des Justizministers, den Terrorismusverdächtigen möglichst rasch an Spanien auszuliefern, weil er dies dem spanischen Justizminister versprochen hatte, in Konflikt mit der Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens durch die Bundesanwaltschaft, das die Auslieferung verzögern konnte. Der Vorsteher EJPD war deshalb gegen die Eröffnung eines Verfahrens in der Schweiz, das dann gleichwohl von der Bundesanwaltschaft eröffnet wurde.

Schliesslich erteilte der Vorsteher EJPD dem Bundesanwalt am 9. November 2004 eine schriftliche Ermahnung und drohte ihm im Wiederholungsfall mit einer mögliche Kündigung, weil er nach seiner Spanienreise seinen Mediensprecher einen Point de presse durchführen liess, obwohl der Vorsteher EJPD ihm die Durchführung einer Medienkonferenz untersagt hatte. Die Information der Öffentlichkeit über laufende Ermittlungsverfahren gehört zur fachlichen Tätigkeit der
Bundesanwaltschaft. In diesem Bereich ist der Bundesanwalt an Weisungen des Justizministers nicht gebunden. Im vorliegenden Fall hat der Vorsteher EJPD die Widerhandlung gegen seine Weisung, zu der er nicht befugt war, mit einer personalrechtlichen Massnahme sanktioniert. Damit hat er in die Unabhängigkeit des Bundesanwalts eingegriffen. Ob diese Massnahme auch im Zusammenhang mit der Eröffnung eines Verfahrens gegen seinen Willen stand, lässt sich nicht nachweisen; die heftige Reaktion auf einen harmlosen Point de presse erscheint zumindest als unverhältnismässig.

e. Zur «Abmahnung und scharfen Rüge» vom 8. Juni 2006 Am 8. Juni 2006 erteilte der Justizminister dem Bundesanwalt eine schriftliche «Abmahnung und scharfe Rüge» im Sinne von Artikel 12 Absatz 6 und 7 BPG wegen Informationsverweigerung, Nichterreichbarkeit, Gesprächsverweigerung und unloyalem Verhalten einer andern Behörde (BKP) gegenüber, verbunden mit einer Kündigungsandrohung (vgl. Ziff. 3.1.2.4).

2067

Zu den im Schreiben vom 8. Juni 2006 erhobenen Vorwürfen bzw. erteilten Weisungen gelangt die GPK-N aufgrund der ihr vorliegenden Unterlagen und der Anhörungen zu folgenden Feststellungen: Zum Vorwurf der Informationsverweigerung: Der Bundesanwalt verzichtete ausschliesslich auf Informationen zum konkreten Verfahren H. weil der Vorsteher des EJPD ihn darauf aufmerksam gemacht hatte, dass er zu diesem Fall keine Angaben wünsche, da er die betroffene Person aus früheren Zeiten kenne. Dazu war er nach dem Gesetz berechtigt.

Zum Vorwurf der Nichterreichbarkeit und der Gesprächsverweigerung: Nicht nachvollziehbar ist, dass der Bundesanwalt trotz mehrfacher Aufforderungen, sich zu melden, nicht umgehend Kontakt mit dem Generalsekretär aufnahm. Auch die Tatsache, dass er zunächst in dieser Woche keinen Termin für eine Besprechung mit dem Vorsteher EJPD haben wollte, ist ein inakzeptables Verhalten einem Vorgesetzten gegenüber. Dieses hat denn auch zur Eskalation in dem bereits gespannten Verhältnis zwischen ihm und dem Vorsteher EJPD beigetragen.

Zum Vorwurf unloyalen Verhaltens der BKP gegenüber: Es ist nicht erkennbar, worin das unloyale Verhalten des Bundesanwalts gegenüber der BKP bestanden haben könnte. Seine öffentlichen Aussagen zur Rolle der BKP waren zutreffend. Er hat, soweit erkennbar, nichts Negatives über die BKP verlauten lassen.

Zum Vorwurf, ohne Rücksprache mit dem Departementschef dem Tages-Anzeiger ein Interview gegeben zu haben: Zwar kann der Bundesanwalt sich aufgrund seiner fachlichen Unabhängigkeit in den Medien zu Vorwürfen gegen die Bundesanwaltschaft äussern. Da zu dieser Zeit auch das Departement, dem die Bundesanwaltschaft administrativ zugeordnet ist, angesichts der starken öffentlichen Kritik informationspolitisch gefordert war, wäre eine Absprache mit dem Departement oder zumindest eine Vorinformation über das geplante Interview angebracht gewesen.

Dieses Vorgehen des Bundesanwalts war in der angespannten Situation unklug.

Zur Weisung, ohne Rücksprache mit dem Departement keinerlei Presseauftritte mehr zu organisieren: Da die Informationstätigkeit zur fachlichen Arbeit der Bundesanwaltschaft gehört, durfte der Vorsteher EJPD ihm in diesem Bereich keine Weisung erteilen (so ausdrücklich Art. 16 Abs. 4 BStP). Er hat damit die Unabhängigkeit des Bundesanwalts verletzt.
Zur Drohung, bei Verstoss gegen eine Weisung des Vorstehers EJPD unverzüglich beim Bundesrat eine Kündigung oder gar eine fristlose Kündigung zu beantragen: Soweit es um Verstösse gegen die Weisung geht, ohne Rücksprache mit dem Departement keinerlei Presseauftritte mehr zu organisieren, stellt die Drohung einen Eingriff in die Unabhängigkeit des Bundesanwalts dar, weil die Widerhandlung gegen eine Weisung des Vorstehers EJPD, zu der dieser nicht befugt ist, mit personalrechtlichen Sanktionen bedroht wird.

f. Umgehung des Bundesrates als Wahlbehörde Die der GPK-N vorliegenden Informationen und Dokumente lassen darauf schliessen, dass der Vorsteher EJPD den Bundesrat am 9. Juni 2006 nicht über die dem Bundesanwalt erteilte schriftliche scharfe Rüge vom 8. Juni 2006 und seine Absicht, das Arbeitsverhältnis mit dem Bundesanwalt zu beenden, informierte, obwohl er dies in Aussicht gestellt hatte (vgl. Ziff. 3.1.2.4). Laut seiner schriftlichen Informationsnotiz und dem Bericht der Bundespräsidentin orientierte er lediglich über die am 5. Juni 2006 beschlossenen ausserordentlichen Untersuchungen (vgl. Ziff. 3.1.2.5).

2068

Dem Antrag des Bundesanwalts vom 2. Juni 2006, den Bundesrat über dessen Stellungnahme zur Vertrauensperson Ramos mündlich zu informieren, leistete der Vorsteher EJPD keine Folge. Bei dieser Information handelte es sich um einen gesetzlich geregelten Informationsvorgang gemäss Artikel 102quater Absatz 1 BStP.

Diese gesetzliche Bestimmung gibt dem Bundesanwalt das Recht, den Bundesrat in bestimmten Fällen zu informieren. Danach wäre der Vorsteher EJPD verpflichtet gewesen, diese Information dem Bundesrat weiter zu geben.

Die im Auftrag des Vorstehers EJPD im Generalsekretariat getroffenen Abklärungen in Bezug auf eine Entlassung des Bundesanwalts zeigen, dass es von Beginn weg einer Vorgabe entsprach, eine Lösung zu suchen, die nicht die Zustimmung des Bundesrates bzw. der Finanzdelegation erforderte. (vgl. Ziff. 3.1.2.6).

Am 5. Juli 2006 informierte der Vorsteher EJPD gemäss dem Bericht der Bundespräsidentin den Bundesrat über die Kündigung des Bundesanwalts, nicht aber über die Inhalte der getroffenen Vereinbarung. Eine Diskussion fand im Bundesrat nicht statt. Im September 2006, als die Finanzdelegation Auskünfte über die mit dem Bundesanwalt getroffene Vereinbarung verlangte, wollte das EJPD die Vereinbarung nur der Finanzdelegation, nicht aber dem Bundesrat offen legen. Dies geht aus den Unterlagen des Generalsekretariates EJPD zur Vorbereitung einer Antwort des Bundesrates an die Finanzdelegation hervor.

Die Finanzdelegation der eidgenössischen Räte überprüfte in der Folge die Frage der Zuständigkeit für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses sowie für die Ernennung des interimistischen Nachfolgers. Sie gelangte dabei zum Schluss, dass die mit dem Bundesanwalt getroffene Regelung kompetenzwidrig nicht vom Bundesrat, sondern vom Chef EJPD abgeschlossen wurde.61 Da die Auflösung des Arbeitsverhältnisses im Rahmen einer Auflösungsvereinbarung erfolgte, hätte diese nach Meinung der Finanzdelegation nach den Vorgaben der Bundespersonalverordnung vom Bundesrat genehmigt werden müssen und hätte entsprechend ihrem Inhalt der Zustimmung durch die Finanzdelegation bedurft. Nach Auffassung der Finanzdelegation wäre es zudem Sache des Bundesrates und nicht des Vorstehers des EJPD gewesen, den interimistischen Leiter der Bundesanwaltschaft als längerdauernde Übergangsregelung einzusetzen.62 Die
Finanzdelegation rügte den Bundesrat wegen der Nichteinhaltung der gesetzlichen Kompetenzordnung und forderte ihn auf, umgehend formell über die vorläufige Leitung der Bundesanwaltschaft Beschluss zu fassen. Das EJPD wies in einer Medienmitteilung am gleichen Tag die Rüge zurück. In seiner Antwort an die Finanzdelegation vom 14. Februar 2007 hielt der Bundesrat ohne nähere Begründung fest, er sei der Auffassung, dass keine Kompetenzüberschreitungen vorliegen würden. Es handle sich im vorliegenden Fall um unterschiedliche juristische Auffassungen.

g. Würdigung der Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit dem Bundesanwalt Aufgrund der vorliegenden umfassenden Untersuchung gelangt die GPK-N ­ in Ergänzung der durch die Finanzdelegation bereits gemachten Abklärungen ­ zu folgenden Feststellungen: 61

62

Medienmitteilung der Finanzdelegation der eidgenössischen Räte vom 31.1.2007 (http://www.pd.admin.ch/mm-medienmitteilung.htm?m_ id=2007-01-31_088_01&langId).

Bericht der Finanzdelegation an die Finanzkommissionen des Nationalrates und des Ständerates betreffend die Oberaufsicht über die Bundesfinanzen im Jahre 2006 vom 27.2.2007 (BBl 2007 3340).

2069

Der Bundesanwalt wird vom Bundesrat auf eine Amtsdauer von vier Jahren gewählt (Art. 2 Abs. 1 Bst. g i.V.m. Art. 32 Abs. 1 Bst. b BPV). Eine Änderung oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann nur durch den Bundesrat vorgenommen werden. Wenn der Bundesanwalt von sich aus, d. h. einseitig, kündigt, fällt das Arbeitsverhältnis dahin und eine Genehmigung durch den Bundesrat ist nicht nötig. Wird das Arbeitsverhältnis jedoch im gegenseitigen Einvernehmen nach Artikel 10 Absatz 1 BPG aufgelöst, wobei die entsprechenden Bedingungen und gegenseitigen Verpflichtungen in einer Vereinbarung festgelegt werden, ist der Bundesrat für die Genehmigung dieser Vereinbarung zuständig. Dies geht auch aus dem gutachterlichen Schreiben des BJ vom 30. Juni 2006 hervor (vgl. Ziff. 3.1.2.7). Erst nach einem telefonischen Meinungsaustausch mit dem Generalsekretariat EJPD relativierte das BJ seine Meinung, wobei dem BJ das Vorliegen der schriftlichen Abmahnung und scharfen Rüge sowie der Inhalt der Vereinbarung, die sich ausdrücklich auf Artikel 10 Absatz 1 BPG bezieht, nicht bekannt gegeben wurde.

Nach den der GPK-N vorliegenden Dokumenten legte das EJPD den Sachverhalt gegenüber dem Bundesrat und in der Öffentlichkeit so dar, dass der Bundesanwalt zuerst seine Kündigung einreichte und erst im Nachgang dazu die Folgen der Kündigung in einer Vereinbarung geregelt worden seien. Daraus folgerte es, dass die Kündigung einseitig und freiwillig erfolgt sei. Tatsächlich wurde die Vereinbarung am Morgen des 5. Juli 2006 vom Bundesanwalt und dem Vorsteher EJPD unterzeichnet; danach reichte der Bundesanwalt sein Rücktrittsschreiben ein. Dies geht aus dem Rücktrittsschreiben selbst hervor, worin es heisst: «Hiermit gebe ich Ihnen meinen Rücktritt als Bundesanwalt der schweizerischen Eidgenossenschaft per 31. Dezember 2006, nach Massgabe der heute Morgen abgeschlossenen Vereinbarung, bekannt.» Die Zweiseitigkeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist damit erwiesen. Sie ergibt sich auch aus der Tatsache, dass der Bundesanwalt nicht freiwillig, sondern aufgrund des Druckes mittels der scharfen Rüge und der Kündigungsandrohung und nur unter den vereinbarten Bedingungen zurücktrat. Demnach hätte der Bundesrat die Trennungsvereinbarung genehmigen müssen.

Dem Bundesanwalt wurde in der Trennungsvereinbarung eine Abgangsentschädigung
gewährt. Die GPK-N äussert sich nicht dazu, ob diese Entschädigung sachlich gerechtfertigt war. Hingegen wirft die rechtliche Begründung des EJPD Fragen auf: Zum einen sieht das Bundesrecht keine Abgangsentschädigungen bei einer einseitigen Kündigung durch den Arbeitnehmer vor. Solche sind nur für bestimmte Personen vorgesehen, wenn gewisse Kündigungsgründe des Arbeitgebers Bund vorliegen oder wenn eine nichtige oder missbräuchliche Kündigung ausgesprochen wurde (Art. 19 BPG). Für den Bundesanwalt ist keine Abgangsentschädigung vorgesehen.

Das EJPD sprach dem Bundesanwalt aber eine Entschädigung in analoger Anwendung zur Bestimmung zu, wonach Amtsdirektoren bei «Wegfall der gedeihlichen Zusammenarbeit mit dem Departementsvorsteher» mit einem Jahreslohn entschädigt werden können (Art. 79 Abs. 2 i. V. m. Art. 26 Abs. 1 BPV). Die Anwendung dieser Bestimmung würde aber voraussetzen, dass dieser Kündigungsgrund mit der betreffenden Person im Arbeitsvertrag ausdrücklich vereinbart wurde (vertraglicher Kündigungsgrund) und zudem die Kündigung dem Bundesrat beantragt werden müsste und im Antrag die Umstände darzulegen wären, die die gedeihliche Zusammenarbeit als ausgeschlossen erscheinen lassen. Der betroffenen Person müsste zudem Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme an den Bundesrat geboten werden (Art. 26 Abs. 1 und 2 BPV). Im vorliegenden Fall war keine dieser Voraussetzungen gegeben.

2070

Die analoge Anwendung dieser Bestimmung auf den Bundesanwalt ist noch aus einem weiteren Grund zu hinterfragen: Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit vorgesehen, dass sich ein Departementsvorsteher von einem Amtsdirektor oder ähnlich nahestehenden Funktionsträgern wie Staatssekretären oder Vizekanzlern trennen können muss, wenn das Vertrauensverhältnis gestört ist. Noch einfacher ist es für den Departementschef, sich von Generalsekretären, Informationschefs oder persönlichen Mitarbeitern zu trennen (vgl. Art. 26 Abs. 1, 3 und 4 BPV). Das hängt mit der gesteigerten Loyalitäts- und Treuepflicht dieser Funktionsträger gegenüber dem Departementschef zusammen. Demgegenüber kann aber vom Bundesanwalt, der in seiner Haupttätigkeit unabhängig vom Departementschef handeln können muss, gerade nicht eine vergleichbare Subordination verlangt werden.

Die vom EJPD gewählte Lösung der Entlassung des Bundesanwalts ist nach dem Gesagten in doppelter Hinsicht widersprüchlich: Zum einen wird der Rücktritt des Bundesanwalts als einseitige und freiwillige Kündigung mit nachfolgender Vereinbarung über deren Folgen interpretiert, damit ein Entscheid des Bundesrates nicht erforderlich gewesen sein soll. Zum andern wird dem Bundesanwalt eine Abgangsentschädigung zugesprochen, die das Gesetz bei einseitiger Kündigung gerade nicht vorsieht und deren Analogieschluss zur Trennung von Amtsdirektoren wegen Wegfalls der gedeihlichen Zusammenarbeit mit dem Departementsvorsteher tatsächlich und rechtlich nicht nachvollziehbar ist.

Im Weiteren war es staatspolitisch problematisch, dass der Vorsteher EJPD die Einsetzung des stellvertretenden Bundesanwaltes als interimistischen Leiter der Bundesanwaltschaft nicht in nützlicher Frist dem Bundesrat zur Genehmigung unterbreitete. Der interimistische Leiter musste mehr als ein Jahr eine in staatspolitischer Hinsicht exponierte Behörde mit der damit verbundenen Verantwortung führen, ohne durch das gesetzlich vorgesehene Organ legitimiert worden zu sein.

Das Bundesstrafgericht hat diesen Umstand in seinem Jahresbericht 2006 zu Recht kritisiert.

3.3

Schlussfolgerungen und Empfehlungen der GPK-N

14. Der Vorsteher EJPD hat das Arbeitsverhältnis mit dem Bundesanwalt durch eine Vereinbarung aufgelöst. Kündigungsgründe nach dem Bundespersonalgesetz (BPG) lagen keine vor. Die dem Bundesanwalt ausbezahlte Abgangsentschädigung erfolgte ohne entsprechende gesetzliche Grundlage. Dieses Vorgehen ist in Anbetracht der unabhängigen Stellung und Funktion des Bundesanwaltes in rechtsstaatlicher Hinsicht problematisch.

15. Der Vorsteher EJPD hat mit seinem Vorgehen gegen den Bundesanwalt den Bundesrat, der als Wahlbehörde allein für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit dem Bundesanwalt zuständig ist, umgangen und damit seine Kompetenzen überschritten.

16. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Vorsteher EJPD und dem Bundesanwalt war gestört. Aber die zwischen dem Vorsteher EJPD und dem Bundesanwalt bestehenden Meinungsdifferenzen und Spannungen rechtfertigten angesichts der fachlichen Unabhängigkeit des Bundesanwalts und des damit verbundenen erhöhten Kündigungsschutzes das Vorgehen des Vorstehers EJPD nicht. Insbesondere hätte er dafür sorgen müssen, dass seine Vorwürfe 2071

gegenüber dem Bundesanwalt in einem hierfür vorgesehenen formellen Verfahren in rechtsstaatlich korrekter Weise hätten überprüft werden können.

17. Im Bereich der Medieninformation über laufende Ermittlungsverfahren hat der Vorsteher EJPD dem Bundesanwalt unerlaubte Weisungen erteilt. Mit der personalrechtlichen Sanktionierung der Nichtbeachtung dieser Weisungen hat er in die Unabhängigkeit des Bundesanwaltes eingegriffen.

18. Der Bundesrat hat seine Verantwortung als Wahl- und Aufsichtsbehörde des Bundesanwalts nicht wahrgenommen, obwohl es seit längerem Anzeichen für Konflikte zwischen dem Vorsteher EJPD und der Bundesanwaltschaft gab. Selbst nach der Intervention der Finanzdelegation hat er sich des Dossiers Bundesanwaltschaft nicht angenommen.

Empfehlung 5

Sicherstellung der Unabhängigkeit der Bundesanwaltschaft

Der Bundesrat nimmt sich des Dossiers Bundesanwaltschaft unverzüglich aktiv an und trifft Massnahmen zur Sicherstellung der Unabhängigkeit der Bundesanwaltschaft in institutioneller und personeller Hinsicht.

Empfehlung 6

Gewährleistung der Informationsfreiheit der Bundesanwaltschaft

Der Bundesrat sorgt dafür, dass die Abgrenzung zwischen unabhängiger Informationstätigkeit der Bundesanwaltschaft und der Koordination mit der Informationstätigkeit des EJPD als administrativ vorgesetzte Behörde geklärt wird.

4

Probleme der administrativen und der fachlichen Aufsicht über die Bundesanwaltschaft

4.1

Feststellungen

Die Bundesanwaltschaft stand von ihrer Schaffung im Jahr 1889 an bis zum Inkrafttreten der Effizienzvorlage (EffVor) am 1. Januar 2002 unter der Aufsicht des Bundesrates bzw. des EJPD. Mit der Effizienzvorlage wurde der Bundesanwalt in fachlicher Hinsicht der Aufsicht der Anklagekammer des Bundesgerichts unterstellt63.

Die administrative Aufsicht wurde aber beim Bundesrat belassen (Art. 14. Abs. 1 BStP), der diese Aufgabe dem EJPD übertragen hat64. Begründet wurde die geteilte Aufsicht damit, dass die Bundesanwaltschaft im funktionellen Sinn weisungsunabhängig und einer richterlichen Kontrolle unterstellt sein soll, dass aber gleichzeitig dem Bundesrat als Wahlbehörde im Hinblick auf die Wiederwahl und das Disziplinarwesen sowie hinsichtlich des Personal- und Rechnungswesens Aufsichtsfunktionen zukommen müssen. Seit dem 1. April 2004 führt die Beschwerdekammer nach Artikel 28 Absatz 2 SGG «die Aufsicht über die Ermittlungen der gerichtlichen 63 64

Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 28.1.1998, BBl 1998 1529).

Die Delegation an das EJPD ist nicht ausdrücklich geregelt, siehe aber insb. Art. 27 der Organisationsverordnung vom 17.11.1999 für das EJPD (OV-EJPD; SR 172.213.1).

2072

Polizei», worunter die fachliche bzw. materielle Aufsicht über die Bundesanwaltschaft verstanden wird. Das Aufsichtsrecht erlaubt es der Beschwerdekammer, «sich jederzeit etwelche Akten zustellen zu lassen und auf diese Weise über die Untersuchungsmethoden zu wachen. Stellt sie Mängel fest, nimmt sie die nötigen Abklärungen vor und ordnet alle erforderlichen Massnahmen von Amtes wegen an»65 Weitere Aufsichtsfunktionen über die Bundesanwaltschaft üben das Bundesamt für Justiz im Bereich der internationalen Rechtshilfe und die Geschäftsprüfungsdelegation bei Ermittlungen in staatsschutzrelevanten Fällen aus.

Eine Neuregelung der Aufsicht über die Bundesanwaltschaft befindet sich zurzeit im Rahmen des Bundesgesetzes über die Organisation der Strafbehörden des Bundes zur Strafprozessordnung in Vorbereitung. Nach einem Grundsatzentscheid des Bundesrates soll sie eine vereinigte Aufsicht durch das EJPD vorsehen.

Die GPK-N nimmt im Folgenden nicht zur Frage des Aufsichtsmodells Stellung; sie will der parlamentarischen Beratung nicht vorgreifen. Sie weist lediglich auf einige Feststellungen im Rahmen der vorliegenden Untersuchung hin.

a. Administrative Aufsicht des EJPD Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, dass die administrative Aufsichtsbehörde über die erforderlichen Möglichkeiten verfügt, Informationen über den Einsatz der Ressourcen und die Geschäftsabläufe in der Bundesanwaltschaft zu erhalten, und diese auch einfordert. Der Generalsekretär EJPD war zusammen mit Vertretern aller Strafverfolgungsbehörden in der Projektoberleitung EffVor vertreten. Die Projektoberleitung EffVor hat eine regelmässige Planung und Kontrolle der finanziellen und personellen Ressourcen im Rahmen des Projekts EffVor vorgenommen (vgl.

Ziff. 2.1.10 b). Der Generalsekretär EJPD war auch Projektverantwortlicher des Projektes EffVor2, mit welchem die weitere Entwicklung des Projekts EffVor vorbereitet wurde. Der Vorsteher EJPD erhält regelmässig insbesondere folgende Informationen aus der Bundesanwaltschaft:

65

­

Kopie des Rechenschaftsberichtes der Bundesanwaltschaft an die fachliche Aufsichtsbehörde (seit 2002),

­

Semesterberichte EffVor (seit 2002). Diese richten sich an die GPK-N als Oberaufsichtsbehörde,

­

Quartalsreportings, die Auskunft über die Art und die Anzahl der hängigen, eröffneten und erledigten Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft und Voruntersuchungen des URA geben,

­

Informationen gemäss Artikel 102bis BStP: Nach dieser Bestimmung kann die Bundesanwaltschaft dem Bundesrat Informationen über gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren erteilen. Der Bundesrat kann diese Informationen verlangen (meistens erfolgen solche Begehren im Zuge von Presseartikeln); in der Regel werden die Informationen von der Bundesanwaltschaft selbst erteilt. Im Jahr 2006 informierte die Bundesanwaltschaft den Vorsteher EJPD über zehn Verfahren,

­

Monatsbriefings zwischen dem Vorsteher EJPD und dem interimistischen Leiter der Bundesanwaltschaft.

Botschaft des Bundesrates zur Totalrevision der Bundesrechtspflege vom 28.2.2001 (BBl 2001 4365).

2073

b. Fachliche Aufsicht der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts Nach Meinung der GPK-N besteht Klärungsbedarf in Bezug auf den Umfang der fachlichen Aufsicht. Die gesetzliche Grundlage ist lückenhaft und zu wenig klar.

Das Bundesstrafgericht hat bereits lückenfüllend entschieden, dass die Fachaufsicht der Beschwerdekammer auch für die Zeitspanne zwischen Abschluss der Voruntersuchung und der Einreichung der Anklage bei der Strafkammer gilt (vgl. Ziff. 2.1.4).

Geklärt werden sollte insbesondere, wieweit und in welchen Bereichen die Beschwerdekammer Weisungen erlassen kann. Zu beachten ist dabei insbesondere die Wahrung der Unparteilichkeit und Unbefangenheit des Gerichts im Hinblick auf die Prozessführung (vgl. Ziff. 2.1.10 e).

Die vorliegende Untersuchung hat aufgrund der Aufsichtseingabe der Bundesanwaltschaft gezeigt, dass es einzelne Probleme bei der bisherigen Praxis der Aufsichtsausübung gab. Diese Probleme werden zurzeit angegangen und bereinigt (vgl.

Ziff. 2.1.7).

Im Übrigen ist daran zu erinnern, dass die wichtigste und wirksamste Form der fachlichen Aufsicht im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung der Entscheide der Bundesanwaltschaft im Beschwerdeverfahren erfolgt.

c. Abgrenzung zwischen den Aufsichtsbehörden Im Rahmen der Untersuchung zum Aufsichtszwischenbericht «Anklagen» (vgl.

Ziff. 2.1) hat die GPK-N festgestellt, dass die getrennte Aufsicht zu Problemen führen kann, wenn die Aufsichtsbehörden ihre Zuständigkeiten nicht strikte einhalten. Die heutige Regelung der Aufsicht sieht eine Trennung zwischen administrativer und fachlicher Aufsicht vor. Damit soll die Unabhängigkeit der Bundesanwaltschaft sichergestellt werden. Diese Trennung darf nach Meinung der GPK-N nicht durch Absprachen oder gegenseitige Auftragserteilungen und Berichterstattungen aufgehoben bzw. umgangen werden. Die eine Aufsichtsbehörde kann nicht der anderen Aufträge erteilen, tätig zu werden. Hierfür besteht keine gesetzliche Grundlage. Hingegen erscheint der GPK-N eine Koordination nach klaren Regeln und Grundsätzen sinnvoll und notwendig. Wenn etwa die Beschwerdekammer im Rahmen ihrer fachlichen Aufsichtstätigkeit Feststellungen macht, die in administrativer oder disziplinarrechtlicher Hinsicht relevant sind, soll sie der administrativen Behörde dies melden. Daraufhin kann die administrative Aufsichtsbehörde
nach den hierfür vorgesehenen Regeln Massnahmen treffen. Das Vorgehen muss für die beaufsichtigte Behörde transparent und nach objektiven und rechtsstaatlichen Grundsätzen unter Wahrung des rechtlichen Gehörs erfolgen.

Bei der Einleitung und Durchführung der beiden ausserordentlichen Untersuchungen durch die Beschwerdekammer und das EJPD (vgl. Ziff. 2.2 Bericht «Ramos» und Ziff. 2.3 Bericht «Lüthi») zeigte sich, dass die getrennte Aufsicht einige Abgrenzungen erforderte und zu einzelnen Überschneidungen geführt hat. Diese führten aber nach Aussagen der Untersuchungsbeauftragten zu keinen grösseren Problemen. Als Vorteil erwies sich, dass in beiden Bereichen die erforderlichen Fachkenntnisse vorlagen und gezielt zum Tragen kamen.

Die GPK-N ist der Meinung, dass ein System mit getrennter Aufsicht grundsätzlich funktionieren kann. Dafür gibt es kantonale Beispiele, wo sich dieses System bewährt hat (z. B. in den Kantonen St. Gallen oder Bern). Es bestehen jedoch Abgrenzungsfragen zwischen den beiden Aufsichtsbehörden, die geklärt werden müssen. Die getrennte Aufsicht kann zu Problemen führen, wenn die beaufsichtigte 2074

Behörde die Aufsichtsbehörden gegeneinander auspielt. Unklare Abgrenzungen und ein intensives Zusammenwirken können aber auch zu einer Übersteuerung der Aufsichtstätigkeit führen, die die Unabhängigkeit der Bundesanwaltschaft beeinträchtigen kann. Es erscheint der GPK-N deshalb notwendig, dass die Abgrenzung und die Koordination zwischen den Aufsichtsbehörden geklärt und gesetzlich geregelt werden.

4.2

Schlussfolgerung der GPK-N zur Aufsicht über die Bundesanwaltschaft

19. Die heutige Regelung der Aufsicht über die Bundesanwaltschaft sieht eine Trennung zwischen administrativer und fachlicher Aufsicht vor. Damit soll die Unabhängigkeit der Bundesanwaltschaft sichergestellt werden. Die gesetzlichen Grundlagen sind jedoch teilweise lückenhaft und zu wenig klar.

Es erscheint der GPK-N deshalb notwendig, dass die Abgrenzung und die Koordination zwischen den Aufsichtsbehörden sowie der Umfang der administrativen bzw. der fachlichen Aufsicht geklärt und gesetzlich geregelt werden. Die im vorliegenden Bericht gemachten Feststellungen sind sinngemäss in der Neuregelung der Aufsicht über die Bundesanwaltschaft, die sich zurzeit in Arbeit befindet, zu berücksichtigen.

5

Schlussfolgerungen und Empfehlungen der GPK-N im Überblick

a. Schlussfolgerungen zum Aufsichtszwischenbericht «Anklagen» 1.

Das Vorgehen der Beschwerdekammer bzw. deren Präsidenten im Zusammenhang mit der Erstellung des Aufsichtszwischenberichts «Anklagen» entsprach nicht dem in der Justizaufsicht üblichen Verfahren, das im Rahmen der fachlichen Aufsicht darauf ausgerichtet ist, die Rechtmässigkeit der Untersuchungsmethoden zu überprüfen und allfällige Mängel mit der beaufsichtigten Behörde direkt zu besprechen, nach Verbesserungsmöglichkeiten zu suchen und gegebenenfalls entsprechende Weisungen zu erteilen. Die Beschwerdekammer hat damit den üblichen Umgang mit einer beaufsichtigten Behörde vermissen lassen.

2.

Der Bundesanwalt hat mit einer unkooperativen Haltung in der Anhörung zur Anspannung des Verhältnisses zwischen den beiden Behörden beigetragen und mit seiner Reaktion und Art der Kommunikation den Konflikt noch verstärkt.

3.

Der Aufsichtszwischenbericht «Anklagen» nimmt Beurteilungen von Fragen der Effizienzvorlage und von Führungsfragen vor, die nicht zur fachlichen, sondern zur administrativen Aufsicht gehören. Die Beschwerdekammer ist ohne gesetzliche Grundlage im Bereich der administrativen Aufsicht tätig geworden.

4.

Die Schlussfolgerungen des Aufsichtszwischenberichts stimmen mit den dem Bericht zugrunde gelegten Sachverhalten nicht überein.

2075

5.

Die von der Beschwerdekammer vorgenommenen Abklärungen erfolgten nach Absprache mit dem EJPD im Hinblick auf mögliche administrative Konsequenzen.

6.

Die Vermischung von fachlicher und administrativer Aufsicht führte insbesondere dazu, dass für den Bundesanwalt nicht transparent war, dass auch Sachverhalte Gegenstand der Untersuchung waren, die bezüglich seiner Person disziplinarrechtlich relevant sein konnten. Dadurch wurden Verfahrensrechte wie insbesondere das Recht auf rechtliches Gehör verletzt.

7.

Die GPK-N konnte nicht nachvollziehen, wie die Beschlussfassung zum Bericht in der Beschwerdekammer zustande kam. Die Beschwerdekammer verweigerte der GPK-N die Einsichtnahme in die Akten, die den Entscheid dokumentieren. Dieses Verhalten gegenüber der zuständigen Oberaufsichtsbehörde ist inakzeptabel.

8.

Aufgrund der verfahrensmässigen und inhaltlichen Mängel des Aufsichtszwischenberichts «Anklagen» kann die GPK-N aus den Ergebnissen des Berichts sachlich keine ausreichenden Schlüsse in Bezug auf die Funktionsweise der Bundesanwaltschaft ableiten.

b. Schlussfolgerungen zum Aufsichtszwischenbericht «Ramos» 9.

Die Ergebnisse des Aufsichtszwischenberichts «Ramos» zeigen auf, dass die Bundesanwaltschaft und die Bundeskriminalpolizei (BKP) in Bezug auf den Einsatz und die Führung der Vertrauensperson Ramos rechtmässig gehandelt haben.

10. Die GPK-N kann nicht beurteilen, ob der Einsatz von Ramos opportun war; dies ist eine Frage des Ermessens und der Prioritätensetzung im Rahmen der Strafverfolgung.

11. Die GPK-N gelangt aufgrund ihrer Analyse zum Schluss, dass eine formellgesetzliche Regelung des Einsatzes von Vertrauenspersonen notwendig ist.

c. Schlussfolgerungen und Empfehlungen zu den vier Untersuchungsberichten insgesamt 12. Die Bundesanwaltschaft und die BKP werden durch die erstellten Untersuchungsberichte von den erhobenen Vorwürfen der Ineffizienz und von Führungsmängeln teilweise entlastet. Massnahmen zur Behebung festgestellter Mängel und Lücken in der Organisation sind inzwischen eingeleitet. Die GPK-N wird deren Umsetzung im Rahmen von EffVor2 weiterhin begleitend kontrollieren.

13. Es erscheint nötig, dass nach der Unruhe um die Strafverfolgungsbehörden und insbesondere die Bundesanwaltschaft Ruhe einkehrt und diese ihre neu gebildeten Strukturen, ihre fachlichen Kompetenzen sowie ihre Praxis konsolidieren und festigen können. Die GPK-N erachtet es als wichtig, dass das Vertrauen in die Strafverfolgungsbehörden des Bundes wiederhergestellt und gestärkt wird.

2076

Empfehlung 1

Formell-gesetzliche Grundlage für den Einsatz von Vertrauenspersonen

Der Bundesrat sorgt dafür, dass für den polizeilichen Einsatz von Vertrauenspersonen im Rahmen der Strafverfolgung eine formell-gesetzliche Grundlage geschaffen wird.

Empfehlung 2

Hohe Priorität beim Abbau von Pendenzen im URA

Das Bundesstrafgericht räumt dem Abbau der Pendenzen beim Eidgenössischen Untersuchungsrichteramt (URA) hohe Priorität ein und trifft unter Mithilfe der übrigen Strafverfolgungsbehörden des Bundes Massnahmen, um allfällige Verjährungen von Verfahren zu verhindern.

Empfehlung 3

Erfordernisse der zwingenden Bundeskompetenzen beachten

Der Bundesrat sorgt dafür, dass bei der Festlegung der künftigen Umsetzung der Effizienzvorlage und insbesondere bei der Ressourcenzuteilung der Pflicht der Strafverfolgungsbehörden, in den Bereichen der zwingenden Bundeskompetenzen mit der erforderlichen Tiefe tätig zu werden, Rechnung getragen wird.

Empfehlung 4

Übergeordnete Kriminalpolitikstrategie im Bundesrat festlegen

Der Bundesrat sorgt dafür, dass eine im Rahmen der Neuausrichtung der Effizienzvorlage einzuführende übergeordnete Kriminalpolitikstrategie auf Stufe Bundesrat festgelegt wird, und prüft deren Abstützung im Parlament oder in hierfür geeigneten parlamentarischen Gremien.

d. Schlussfolgerungen und Empfehlungen zum Rücktritt des Bundesanwalts 14. Der Vorsteher EJPD hat das Arbeitsverhältnis mit dem Bundesanwalt durch eine Vereinbarung aufgelöst. Kündigungsgründe nach dem Bundespersonalgesetz (BPG) lagen keine vor. Die dem Bundesanwalt ausbezahlte Abgangsentschädigung erfolgte ohne entsprechende gesetzliche Grundlage. Dieses Vorgehen ist in Anbetracht der unabhängigen Stellung und Funktion des Bundesanwaltes in rechtsstaatlicher Hinsicht problematisch.

15. Der Vorsteher EJPD hat mit seinem Vorgehen gegen den Bundesanwalt den Bundesrat, der als Wahlbehörde allein für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit dem Bundesanwalt zuständig ist, umgangen und damit seine Kompetenzen überschritten.

16. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Vorsteher EJPD und dem Bundesanwalt war gestört. Aber die zwischen dem Vorsteher EJPD und dem Bundesanwalt bestehenden Meinungsdifferenzen und Spannungen rechtfertigten angesichts der fachlichen Unabhängigkeit des Bundesanwalts und des damit 2077

verbundenen erhöhten Kündigungsschutzes das Vorgehen des Vorstehers EJPD nicht. Insbesondere hätte er dafür sorgen müssen, dass seine Vorwürfe gegenüber dem Bundesanwalt in einem hierfür vorgesehenen formellen Verfahren in rechtsstaatlich korrekter Weise hätten überprüft werden können.

17. Im Bereich der Medieninformation über laufende Ermittlungsverfahren hat der Vorsteher EJPD dem Bundesanwalt unerlaubte Weisungen erteilt. Mit der personalrechtlichen Sanktionierung der Nichtbeachtung dieser Weisungen hat er in die Unabhängigkeit des Bundesanwaltes eingegriffen.

18. Der Bundesrat hat seine Verantwortung als Wahl- und Aufsichtsbehörde des Bundesanwalts nicht wahrgenommen, obwohl es seit längerem Anzeichen für Konflikte zwischen dem Vorsteher EJPD und der Bundesanwaltschaft gab. Selbst nach der Intervention der Finanzdelegation hat er sich des Dossiers Bundesanwaltschaft nicht angenommen.

Empfehlung 5

Sicherstellung der Unabhängigkeit der Bundesanwaltschaft

Der Bundesrat nimmt sich des Dossiers Bundesanwaltschaft unverzüglich aktiv an und trifft Massnahmen zur Sicherstellung der Unabhängigkeit der Bundesanwaltschaft in institutioneller und personeller Hinsicht.

Empfehlung 6

Gewährleistung der Informationsfreiheit der Bundesanwaltschaft

Der Bundesrat sorgt dafür, dass die Abgrenzung zwischen unabhängiger Informationstätigkeit der Bundesanwaltschaft und der Koordination mit der Informationstätigkeit des EJPD als administrativ vorgesetzte Behörde geklärt wird.

e. Schlussfolgerung zur Aufsicht über die Bundesanwaltschaft 19. Die heutige Regelung der Aufsicht über die Bundesanwaltschaft sieht eine Trennung zwischen administrativer und fachlicher Aufsicht vor. Damit soll die Unabhängigkeit der Bundesanwaltschaft sichergestellt werden. Die gesetzlichen Grundlagen sind jedoch teilweise lückenhaft und zu wenig klar.

Es erscheint der GPK-N deshalb notwendig, dass die Abgrenzung und die Koordination zwischen den Aufsichtsbehörden sowie der Umfang der administrativen bzw. der fachlichen Aufsicht geklärt und gesetzlich geregelt werden. Die im vorliegenden Bericht gemachten Feststellungen sind sinngemäss in der Neuregelung der Aufsicht über die Bundesanwaltschaft, die sich zurzeit in Arbeit befindet, zu berücksichtigen.

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Weiteres Vorgehen

Die GPK-N ersucht den Bundesrat und das Bundesstrafgericht, bis am 30. November 2007 zu ihren in diesem Bericht vorgelegten Feststellungen und Empfehlungen Stellung zu nehmen und sie über getroffene Massnahmen zu informieren. Dieser Bericht geht im Weiteren zur Information gemäss Artikel 40a Absatz 6 des Parlamentsgesetzes an die Gerichtskommission der beiden Räte.

5. September 2007

Im Namen der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates Der Präsident: Nationalrat Jean-Paul Glasson Der Sekretär: Philippe Schwab Die Präsidentin der Subkommission EJPD/BK: Nationalrätin Lucrezia Meier-Schatz Die Sekretärin der Subkommission: Irene Moser

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Anhang

Angehörte Personen (ausgeübte Funktion zum Zeitpunkt der Befragung) ­

Beyeler Erwin, ehem. Chef der Bundeskriminalpolizei

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Blocher Christoph, Bundesrat, Vorsteher des EJPD

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Blöchlinger Kurt, Chef der Bundeskriminalpolizei

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Eberle Walter, Generalsekretär des EJPD

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Fels Michel-André, Leiter ad interim der Bundesanwaltschaft

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Hochstrasser Emanuel, Präsident der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts

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Keller Andreas, Bundesstrafrichter, Bundesstrafgericht

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Lüthi Rolf, Rechtsanwalt, Beauftragter für die Durchführung der Administrativuntersuchung zur Tätigkeit der Bundesanwaltschaft

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Roschacher Valentin, Bundesanwalt

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Staub Alex, Präsident des Bundesstrafgerichts

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Stüssi Dieter, 1. Stv. des Chefs Bundeskriminalpolizei

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Uster Hanspeter, Regierungsrat des Kantons Zug

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della Valle Nicoletta, Stv. Direktorin des Bundesamtes für Polizei

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Vez Jean-Luc, Direktor des Bundesamtes für Polizei

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Zinglé Jürg, Chef des Untersuchungsrichteramtes

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