06.458 Parlamentarische Initiative Verzicht auf die Einführung der allgemeinen Volksinitiative Bericht der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates vom 21. Februar 2008

Sehr geehrter Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf für einen Bundesbeschluss über den Verzicht auf die Einführung der allgemeinen Volksinitiative. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

21. Februar 2008

Im Namen der Kommission Der Präsident: Gerhard Pfister

2008-0640

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Übersicht Am 9. Februar 2003 haben Volk und Stände den Bundesbeschluss vom 4. Oktober 2002 über die Änderung der Volksrechte deutlich angenommen und somit auch dem Instrument der allgemeinen Volksinitiative zugestimmt.

Inzwischen wurde der Bundesversammlung der Entwurf für die Ausführungsgesetzgebung zur Regelung des Verfahrens bei der allgemeinen Volksinitiative vorgelegt.

Der Entwurf des Bundesrates sah zahlreiche Änderungen des Bundesgesetzes über die politischen Rechte, des Parlamentsgesetzes und des Bundesgerichtsgesetzes vor.

Insgesamt gestaltet sich das Verfahren nicht zuletzt aufgrund der Erfordernisse des Zweikammersystems als kompliziert und unübersichtlich.

Ein solch kompliziertes Verfahren ist nicht praxistauglich und insbesondere auch zeitraubend. Ein über sieben Jahre dauerndes, für Aussenstehende kaum nachvollziehbares Verfahren zur Umsetzung eines Volksanliegens schwächt das Vertrauen in die politischen Institutionen. Beide Räte sind denn auch nicht auf die Vorlage zur Umsetzung der allgemeinen Volksinitiative eingetreten. Der Verfassungsauftrag ist somit nicht erfüllt und soll konsequenterweise zurückgenommen werden.

Es wird hier deshalb vorgeschlagen, Volk und Stände in Kenntnis der komplizierten Ausgestaltung des neuen Volksrechtes erneut darüber abstimmen zu lassen. Die Bestimmungen in der Verfassung betreffend die allgemeine Volksinitiative sollen gestrichen werden.

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

1.1

Die Schaffung einer Verfassungsgrundlage für die allgemeine Volksinitiative

1.1.1

Ein erster Versuch zu Beginn der 90er Jahre: 87.224 Pa.Iv. Einführung der Einheitsinitiative

Das Instrument der allgemeinen Volksinitiative beschäftigt schon seit rund 30 Jahren alle diejenigen, welche sich mit Fragen der Volksrechts- und der Verfassungsreform auseinandersetzen. Vorschläge zur Einführung dieses Instruments finden sich bereits im Entwurf von 1977 der Expertenkommission für eine Totalrevision der Bundesverfassung sowie in der Modellstudie des EJPD von 1985 für eine neue Verfassung. Es wurde eine neue Form der Volksinitiative vorgeschlagen, bei der die Bundesversammlung bestimmt, auf welcher Rechtsetzungsstufe das Anliegen der Initianten verwirklicht werden soll. Als grosser Vorteil des Instruments wurde denn auch angeführt, dass dadurch die Bundesverfassung von «verfassungsunwürdiger» Materie entlastet werden könne.

Ende der 80er Jahre wurde das Instrument auch Gegenstand der politischen Diskussion. Mit der am 4. Juni 1987 eingereichten parlamentarischen Initiative verlangte die SVP-Fraktion, dass ein Vorschlag auf eine Verfassungsänderung zu unterbreiten sei, welcher die Einführung der Einheitsinitiative vorsieht. Der Begriff «Einheitsinitiative» wurde damals verwendet, weil das vorgeschlagene Instrument sowohl Verfassungs- wie auch Gesetzesinitiative sein sollte und die bisherigen verschiedenen Formen der Volksinitiative ersetzen sollte. Im Grundsatz hat dieses Anliegen den Nationalrat überzeugt: Die vorberatende Kommission beantragte mit 21:0 Stimmen bei einer Enthaltung, der Initiative Folge zu geben, allerdings unter dem Vorbehalt, dass neben dieser neuen Form der Initiative die bisherige Initiative in Form des ausgearbeiteten Entwurfs beibehalten wird. Der Rat folgte diesem Antrag am 13. März 1989 ohne Gegenstimme (AB 1989 N 408). Die Kommission wurde mit der Ausarbeitung der Verfassungsänderung beauftragt. Sie hat sich intensiv der Abklärung der Fragen gewidmet, welche sich bei Einführung der Einheitsinitiative stellen. Sie hat sich dabei auch von Verfassungsrechtlern und Politologen beraten lassen.

Das Resultat dieser Abklärungen war ernüchternd: «Abschliessend muss festgestellt werden, dass die Regelung der Einheitsinitiative im Rahmen der geltenden Bundesverfassung in jedem Fall sehr kompliziert [Hervorhebung im Original] ausfällt. Die Volksrechte sollten aber einfach zu handhaben und für jedermann verständlich sein.

Die mit der Einheitsinitiative verbundenen
Komplikationen dürften dem Verständnis der Bürgerinnen und Bürger für das politische Leben nicht förderlich sein (BBl 1991 III 863).» Keine befriedigenden Lösungen fand die Kommission namentlich für die Bereinigung der Differenzen zwischen den Räten bei der Verwirklichung von Einheitsinitiativen, für den Rechtsschutz der Einheitsinitiative gegen eine Missachtung durch die Bundesversammlung und für die Ausgestaltung der Gegenentwürfe zu Einheitsinitiativen.

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Schliesslich fiel auch die Wirkungsprognose der Kommission negativ aus. Die Kommission stellte fest, dass sich die Initiative in Form des ausgearbeiten Entwurfs grosser Beliebtheit erfreue, während die Initiative in der Form der allgemeinen Anregung offenkundig kein attraktives Instrument darstelle: «Daraus kann geschlossen werden, dass eine Form der Einheitsinitiative, die der Bundesversammlung relativ grossen Spielraum bei der Umsetzung in definitive Erlasse gewährt, voraussichtlich ebenfalls auf wenig Interesse stossen würde (BBl 1991 III 862).» Die Kommission beantragte deshalb dem Rat mit Bericht vom 20. Juni 1991 mit 13:6 Stimmen, die Initiative abzuschreiben. Der Rat folgte ihr am 23. September 1991 mit 64:41 Stimmen (AB 1991 N 1617).

1.1.2

Ein erneuter Versuch im Rahmen der Vorlage Reform der Bundesverfassung (96.091)

Trotz dieser eindeutigen Befunde der nationalrätlichen Kommission bezüglich der Umsetzbarkeit der Einheitsinitiative tauchte das Instrument wenige Jahre später wieder auf in der Vorlage für eine Reform der Bundesverfassung (96.091). Im Rahmen dieser Vorlage schlug der Bundesrat ein Reformpaket «Volksrechte» vor.

Dieses Paket sollte nach Ansicht des Bundesrates ein ausgeglichenes «Ganzes» darstellen, indem ein neues Gleichgewicht gesucht werden sollte zwischen einer Verfeinerung der Instrumente und einer Erhöhung der Hürden für deren Gebrauch.

Eine höhere Hürde sollte die Erhöhung der erforderlichen Unterschriftenzahlen für die Lancierung von Volksinitiativen und Referenden darstellen. Als ein Element zur «Verfeinerung» wurde die Einführung der allgemeinen Volksinitiative vorgeschlagen. Gemäss Vorschlag des Bundesrates sollten 100 000 Stimmberechtigte oder acht Kantone in Form einer allgemeinen Anregung die Annahme oder Aufhebung von Verfassungs- oder Gesetzesbestimmungen verlangen können. Ist die Bundesversammlung mit der Initiative einverstanden, so arbeitet sie eine entsprechende Vorlage aus. Lehnt die Bundesversammlung die Initiative ab, so muss die Initiative zuerst in der Volksabstimmung angenommen werden, bevor die Bundesversammlung die entsprechende Umsetzung ausarbeiten muss.

In seiner Botschaft pries der Bundesrat die allgemeine Volksinitiative als sehr anpassungsfähiges Instrument, welches wesentliche Vorteile aufweist. Er verwies insbesondere auf den Beitrag der allgemeinen Volksinitative zur Wahrung der inneren Konsistenz der Rechtsordnung, auf den grösseren Spielraum, welcher der Bundesversammlung bei der allgemeinen Volksinitiative im Gegensatz zur ausformulierten Initiative zukommt, und auf die Funktion eines nachträglichen Gesetzesreferendums, welche die allgemeinen Volksinitiative ebenfalls übernehmen könnte (BBl 1997 I 457). Um die allgemeine Volksinitiative für die Bürgerinnen und Bürger attraktiv zu machen, sollten für deren Einreichung nur 100 000 Unterschriften nötig sein, während für die Einreichung einer ausformulierten Initiative gemäss Vorschlag des Bundesrates neu 150 000 Unterschriften verlangt werden sollten.

Die allgemeine Volksinitiative wurde in den Verfassungskommissionen der eidenössischen Räte grundsätzlich positiv aufgenommen. Allerdings zeigte sich bei der
Beratung der Volksrechtsreform die Problematik von sogenannten «Paketen»: Im Bemühen, das Gleichgewicht zwischen Ausbau der Volksrechte und Erhöhung der Hürden zu behalten, trat die intensive Auseinandersetzung mit den einzelnen Instrumenten und deren Problematik vielleicht etwas in den Hintergrund. Die 2894

Reform scheiterte schliesslich gerade am Anspruch, ein ausgewogenes Paket präsentieren zu wollen. In der Kommission des Nationalrates fand zwar die Ergänzung des Instrumentariums zuerst eine Mehrheit. Allerdings lehnte die Kommission die Erhöhung der Zahl der notwendigen Unterschriften für die Einreichung einer Initiative oder eines Referendums ab. In der Folge wollte ein Teil der Kommission die Ergänzung des Instrumentariums mit der allgemeinen Volksinitiative und dem fakultativen Verwaltungs- und Finanzreferendum nicht mehr unterstützen. Somit blieb an der Vorlage nicht mehr viel übrig, und die Kommission beantragte dem Rat schliesslich Nichteintreten. Der Nationalrat stimmte dem Nichteintretensantrag am 9. Juni 1999 mit 134:15 Stimmen zu (AB 1999 N 1029).

Dem Ständerat blieb in der Folge nicht viel anderes übrig, als diesem Nichteintretensantrag auch zuzustimmen. Allerdings unterbreitete die Verfassungskommission dem Rat eine parlamentarische Initiative (99.436), wonach eine Neubeurteilung der Volksrechte vorgenommen werden sollte. Der Ständerat stimmt dieser Initiative am 30. August 1999 mit 30:6 Stimmen zu (AB 1999 S 609 ff.). Somit war das vom Bundesrat präsentierte Projekt zur Reform der Volksrechte zwar gestorben; es sollte jedoch ein Neuanfang unternommen werden.

1.1.3

Die parlamentarische Initiative der Verfassungskommission des Ständerates (99.436)

Die parlamentarische Initiative 99.436 verlangte, dass «die voraussichtlich mehrheitsfähigen Vorschläge in der gescheiterten Vorlage des Bundesrates vom 20. November 1996 wieder aufgenommen werden und damit gewisse Mängel in der heutigen Ausgestaltung und Handhabung der Volksrechte behoben werden».

Die Subkommission «Volksrechte», bestehend aus Mitgliedern der Staatspolitischen Kommissionen (SPK) beider Räte, welche die neue Vorlage ausarbeitete, sprach sich gegen die Erhöhung der Unterschriftenzahlen und für eine «Verfeinerung des Instrumentariums» aus. Als ein Element dieser Verfeinerung erachtete sie die allgemeine Volksinitiative. Diese fand relativ unbestritten Eingang in die neue Vorlage zur Reform der Volksrechte und stellte hier sogar ein Hauptelement dar ­ nicht zuletzt in Ermangelung anderer mehrheitsfähiger Reformvorschläge.

Im Vergleich zu den ersten Versuchen zur Umsetzung des Anliegens im Rahmen der Initiative 87.224 war der nun vorliegende Vorschlag weiter entwickelt worden: Nun war klar, dass eine allgemeine Volksinitiative nur in der Form der allgemeinen Anregung präsentiert werden kann, dass mit ihr nur Verfassungs- und Gesetzesänderungen, jedoch keine Änderungen von Einzelakten verlangt werden können, dass die Bundesversammlung den Vorschlag der Initianten ausformulieren muss, um ihm einen Gegenvorschlag gegenüberstellen zu können, und dass eine Beschwerdemöglichkeit ans Bundesgericht bestehen muss. Allerdings wurde der Vorschlag vorerst nur auf Verfassungsebene ausgearbeitet. Es fand auch keine Diskussion darüber statt, welche Probleme sich bei der Ausführungsgesetzgebung stellen könnten.

Im Ständerat war die Einführung der allgemeinen Volksinitiative unbestritten.

Diskutiert wurde nur über Fragen der Ausgestaltung wie die Höhe der Unterschriftenzahlen und die Dauer der Fristen (AB 2001 S 484). Im Nationalrat hingegen wurde mit einem Minderheitsantrag beantragt, auf die Einführung des Instruments zu verzichten. Der Vertreter der Minderheit vertrat die Ansicht, das Instrument sei 2895

«weder Fisch noch Vogel». Indem die Initianten die Ausgestaltung ihres Anliegens weitgehend in die Hände des Parlamentes legen müssten, stelle die allgemeine Volksinitiative kein attraktives Instrument dar. Das Instrument erfülle denn auch in keiner Weise die für direktdemokratische Instrumente wichtigen Gebote der Klarheit und der Einfachheit (AB 2002 N 412). Der Rat sprach sich jedoch mit 99:46 Stimmen gegen diesen Minderheitsantrag und für die Einführung der allgemeinen Volksinitiative aus.

Bei einer Stimmbeteiligung von nur 29 Prozent haben Volk und Stände am 9. Feburar 2003 den Bundesbeschluss vom 4. Oktober 2002 über die Änderung der Volksrechte (AS 2003 1949), welcher als ein wesentliches Element die Einführung der allgemeinen Volksinitiative enthielt, deutlich angenommen. Das Volk stimmte der Vorlage mit 934 05 Ja gegen 393 38 Nein zu. Die Vorlage wurde auch von allen Ständen angenommen (BBl 2003 3111).

Diejenigen Verfassungsbestimmungen dieser Reform, welche nicht näherer Ausführungsnormen bedurften, wurden von den eidgenössischen Räten auf den 1. August 2003 in Kraft gesetzt (AS 2003 1953).

1.2

Die Vorlage zur Einführung der allgemeinen Volksinitiative

Die allgemeine Volksinitiative gehörte nicht zu denjenigen Bestimmungen, welche bereits in Kraft gesetzt werden konnten. Die Verfahren zur Behandlung einer allgemeinen Volksinitiative müssen zuerst im Gesetz geregelt werden. Mit Botschaft vom 31. Mai 2006 unterbreitete der Bundesrat dem Parlament den Entwurf für diese Ausführungsgesetzgebung (06.053, BBl 2006 5261).

Auf Gesetzesstufe mussten einige Verfahrensprobleme von grosser Komplexität gelöst werden.

Insbesondere die folgenden Gegebenheiten haben zur grossen Komplexität der Vorlage beigetragen: a.

das Zweikammerparlament: Bei der Umsetzung einer allgemeinen Volksinitiative müssen sich die beiden Kammern einigen und Nullentscheide vermeiden. Die vorgeschlagene Lösung, wonach bei einem Scheitern der Umsetzung in den Schlussabstimmungen die Ergebnisse der beiden letzten Beratungen in den Räten in der Volksabstimmung einander gegenübergestellt werden, ist nicht unumstritten. Dabei muss noch bedacht werden, dass die Umsetzung bereits in den Gesamtabstimmungen scheitern kann. In diesem Fall liegen jedoch noch keine integralen, abstimmungstauglichen Erlasse vor.

b.

die Möglichkeit des Gegenentwurfs: Das Parlament kann, falls es der Initiative zustimmt, neben dem Umsetzungserlass einen Gegenentwurf ausarbeiten. Hier sind insbesondere auch die verschiedenen Fristen zu beachten, die je nach Fall zur Anwendung gelangen.

c.

die unterschiedlichen Mehrheitserfordernisse: In der Volksabstimmung ist je nach Rechtsstufe des Umsetzungserlasses das einfache oder doppelte Mehr erforderlich. Hier erwies sich zum Beispiel die Regelung betreffend die Formulierung der Referendumsklausel als besonders knifflig, insbesondere

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wenn die Umsetzung sowohl auf der Verfassungs- als auch auf der Gesetzesstufe erfolgt.

d.

die bundesgerichtliche Überprüfung erfordert die Regelung weiterer Verfahrensschritte: Hier mussten nicht nur Änderungen im Bundesgerichtsgesetz vorgenommen werden, sondern auch im Parlamentsgesetz mussten Regelungen für den (bisher nicht vorgesehenen) Umgang der Bundesversammlung mit dem Bundesgericht in Beschwerdefällen vorgesehen werden.

Um für alle möglichen Fälle Lösungen vorzusehen, mussten zahlreiche Änderungen und Ergänzungen im Bundesgesetz über die politischen Rechte, im Parlamentsgesetz und im Bundesgerichtsgesetz vorgenommen werden. Eine Problematik bestand insbesondere auch in der Festlegung der Behandlungsfristen: Hier hätte eine Möglichkeit darin bestanden, eine integrale Frist für die Behandlung vorzusehen. In der Praxis wäre dies aber schwierig umzusetzen gewesen: Es hätten verlässliche Zeitplanungen mit vielen Unbekannten vorgenommen werden müssen. Es wurden deshalb für die einzelnen Verfahrensschritte Teilfristen festgelegt.

In der Vernehmlassung haben denn auch verschiedene Teilnehmer auf die sich an der Grenze zum Erträglichen befindende Komplexität der Vorlage hingewiesen, wobei sie jedoch weitgehend die verfassungsrechtlichen Vorgaben anerkannten.

Die SPK des Nationalrates kam bei der Prüfung der Vorlage jedoch zum Schluss, dass deren Komplexität zu hoch sei, und beantragte dem Rat mit 13:11 Stimmen bei einer Enthaltung Nichteintreten. Der Rat folgte diesem Nichteintretensantrag am 19. Dezember 2006 mit 136:13 Stimmen (AB 2006 N 1979). Die Mehrheit war mit ihrer Argumentation erfolgreich, dass mit dieser komplizierten Umsetzungsgesetzgebung dem System der Volksrechte kein Dienst erwiesen werde. Die Minderheit appelierte an den Respekt vor dem deutlichen Entscheid des Volkes und der Stände im Feburar 2003.

Auf Antrag seiner Kommission beschloss auch der Ständerat am 19. März 2007 mit 24:13 Stimmen, auf die Vorlage nicht einzutreten (AB 2007 S 220).

1.3

06.458 Pa.Iv. Verzicht auf die Einführung der allgemeinen Volksinitiative

Als die SPK des Nationalrates sich gegen Eintreten auf die Ausführungsgesetzung zur allgemeinen Volksinitiative aussprach, so musste sie konsequenterweise die nötigen Schritte in die Wege leiten, damit Volk und Stände auf ihren Entscheid zur Einführung der allgemeinen Volksinitiative zurückkommen können. Die Kommission hat daher an ihrer Sitzung vom 15. September 2006 mit 21:0 Stimmen bei drei Enthaltungen beschlossen, eine Verfassungsänderung auszuarbeiten, welche die Einführung der allgemeinen Volksinitiative rückgängig macht.

Die SPK des Ständerates hat an ihrer Sitzung vom 30. Oktober 2006 mit 7:3 Stimmen der Schwesterkommission ihre Zustimmung zur Ausarbeitung dieser Vorlage erteilt.

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2

Grundzüge der Vorlage

2.1

Verzicht auf die Einführung der allgemeinen Volksinitiative

Die vom Bundesrat vorgeschlagene Ausführungsgesetzgebung zur Regelung des Verfahrens bei der allgemeinen Volksinitiative ist kompliziert, unübersichtlich und somit nicht bürgerfreundlich. Sie widerspricht einem wichtigen Prinzip bei der Ausgestaltung des Systems der direkten Demokratie: Direktdemokratische Instrumente müssen einfach und transparent ausgestaltet sein. Die Transparenz ist hier jedoch insbesondere durch den Ermessensspielraum des Parlamentes eingeschränkt: Ist eine allgemeine Volksinitiative einmal eingereicht, so stehen der Bundesversammlung mehrere Optionen im Umgang mit dieser Initiative offen, so dass die Initianten wenig Erwartungssicherheit haben, was mit ihrem Anliegen geschehen wird. Hinzu kommt die Dauer, welche die je nach Fall sehr komplizierten Verfahren in Anspruch nehmen: Gemäss den im Entwurf des Bundesrates vorgesehenen Fristen dauert es mehr als sieben Jahre vom Zeitpunkt der Einreichung einer Initiative bis zur Verabschiedung des Umsetzungserlasses durch die Bundesversammlung; nicht eingeschlossen eine weitere Verlängerungsmöglichkeit im Falle des Vorliegens besonders komplexer Sachverhalte. Diese lange Dauer widerspricht allen Bemühungen früherer Reformen, mit welchen man die direktdemokratischen Prozesse im Interesse der Initianten und Stimmbürger zu verkürzen versuchte.

Wer für übersichtliche und verständliche Verfahren im Umgang mit Volksrechten ist, kann deshalb dieser Ausführungsgesetzgebung nicht zustimmen. Eine Möglichkeit bestünde nun darin, die Ausführungsgesetzgebung zu vereinfachen und für gewisse Konstellationen keine Regelung vorzusehen ­ sowie dies zum Teil bisher bezüglich der Initiative in der Form der allgemeinen Anregung der Fall ist. Allerdings ist es problematisch, im sensiblen Bereich der Volksrechte nicht für alle Anwendungsfälle Regelungen vorzusehen, und dann das Vorgehen erst im konkreten Fall zu bestimmen. Das Risiko eines willkürlichen Umgangs mit Volksrechten sollte nicht in Kauf genommen werden. Kommt hinzu, dass im Fall der allgemeinen Volksinitiative kaum voraussehbar ist, wie denn der «Standardfall» aussehen würde, für den man eine Lösung vorsehen könnte. Gerade weil es für die Bundesversammlung so viele Möglichkeiten gibt, die je nach Ausgangslage alle Sinn machen können, muss man für alle Fälle die Vorgehensweise regeln.

Eine weitere
Möglichkeit bestünde darin, die komplizierte Ausführungsgesetzgebung «durchzuwinken» in der ­ wohl berechtigten ­ Erwartung, dass die Unattraktivität des Instruments der allgemeinen Volksinitiative erkannt wird und niemand davon Gebrauch macht. Dies scheint der Kommission jedoch nicht ein ehrliches Vorgehen. Die Bundesversammlung sollte zu ihren Lernprozessen stehen und den Stimmberechtigten den Verzicht auf dieses neue Instrument vorschlagen. Zudem müsste dennoch damit gerechnet werden, dass das Instrument einmal zur Anwendung gelangen könnte. In diesem Fall wäre zu befürchten, dass die mit dem Instrument verknüpften Erwartungen nicht erfüllt würden und dass die Glaubwürdigkeit der politischen Institutionen wegen der bei der Behandlung der Initiative auftretenden Probleme geschwächt würde.

Es wird hier deshalb vorgeschlagen, die Bestimmungen betreffend die allgemeine Volksinitiative wieder aus der Verfassung zu streichen. Die Kommission hat an ihrer Sitzung vom 27. August 2007 mit 23:0 Stimmen bei einer Enthaltung dem Vorentwurf zu Handen der Vernehmlassung zugestimmt.

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2.2

Weitere von der Kommission geprüfte Fragen

2.2.1

Abschaffung der Volksinitiative in der Form der allgemeinen Anregung?

Die Kommission hat sich die Frage gestellt, ob nicht nur die Bestimmungen betreffend die allgemeine Volksinitiative, sondern auch die Bestimmungen betreffend die Initiative in Form der allgemeinen Anregung aus der Verfassung zu streichen seien.

Die Kommission hat diese Frage mit «Nein» beantwortet und mit 15 zu 7 Stimmen beschlossen, auf einen entsprechenden Vorschlag nicht einzutreten. Die Initiative in der Form der allgemeinen Anregung ist einfacher zu handhaben als die allgemeine Volksinitiative. So kann die Initiative in der Form der allgemeinen Anregung nicht auf Gesetzesebene einwirken. Die Bundesversammlung hat zudem nicht die Möglichkeit, einer Initiative in Form der allgemeinen Anregung einen Gegenentwurf gegenüberzustellen. Die Bundesversammlung hat somit viel weniger Optionen als bei der Behandlung einer allgemeinen Volksinitiative. Damit ist auch die Gefahr geringer, dass die Behandlung der Volksinitiative über Gebühr lange hinausgezögert wird.

Die Kommission erachtet es deshalb nicht als opportun, Volk und Ständen vorzuschlagen, dieses Instrument, welches doch immerhin schon zehnmal benutzt worden ist, abzuschaffen. Mit dieser Vorlage soll lediglich der «Status quo ante» wiederhergestellt werden, also der Zustand vor der verfassungsmässigen Verankerung der allgemeinen Volksinitiative.

2.2.2

Gegenüberstellung von zwei Initiativen zum gleichen Gegenstand?

Im Weiteren lag ein Vorschlag auf dem Tisch der Kommission, wonach zwei einander rechtlich unmittelbar widersprechende Volksinitiativen zum selben Gegenstand in der Volksabstimmung einander nach dem Verfahren von Initiative und Gegenentwurf gegenübergestellt werden können. Ein Gegenentwurf der Bundesversammlung wäre in diesem Fall ausgeschlossen.

Der Vorschlag versprach einen gewissen Effizienzgewinn, indem die Bürgerinnen und Bürger sich am selben Termin zum gleichen Thema äussern können. Da die Kommission jedoch nicht den gleichen Fehler machen wollte wie bei der allgemeinen Volksinitiative, hat sie sich auch mit der gesetzlichen Umsetzung dieses Vorschlags auseinandergesetzt. Um den Vorschlag umzusetzen, wären Anpassungen im Parlamentsgesetz und im Bundesgesetz über die politischen Rechte notwendig gewesen. Dabei zeigt sich, dass nicht so ausgeprägt, aber doch ähnlich wie bei der allgemeinen Volksinitiative, die Behörden mehr Optionen bei der Behandlung von Volksinitiativen erhalten hätten. Dies hätte zu Verzögerungen bei der Behandlung von Volksinitiativen führen können.

Der Vorschlag mag aus Sicht der Effizienz und allenfalls auch aus Sicht der Abstimmenden interessant sein, für Initiantinnen und Initianten bringt er jedoch eindeutig eine Verschlechterung ihrer bisherigen Situation: Sie müssen damit rechnen, dass ihr Anliegen einem anderen gegenüber gestellt wird. Dadurch wird auch der Handlungsspielraum der Initianten und Initiantinnen eingeschränkt, mit dem

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Parlament Gegenentwürfe auszuhandeln. Die Kommission sprach sich deshalb mit 11 zu 4 Stimmen bei 9 Enthaltungen gegen diesen Vorschlag aus.

2.3

Kenntnisnahme von den Ergebnissen der Vernehmlassung und definitive Verabschiedung der Vorlage zu Handen des Rates

Da es sich um eine Änderung der Bundesverfassung handelt, hat die Kommission am 27. August 2007 das EJPD mit der Durchführung einer Vernehmlassung beauftragt. An ihrer Sitzung vom 21. Februar 2008 konnte die Kommission Kenntnis von den Ergebnissen des Vernehmlassungsverfahrens nehmen. In der Vernehmlassung wurde der Vorschlag, auf die Einführung der allgemeinen Volksinitiative zu verzichten und den status quo ante wiederherzustellen, praktisch einhellig begrüsst, wenn auch teilweise mit Vorbehalten oder dem Ausdruck des Bedauerns, keine praktibable Lösung gefunden zu haben. Nur die Kantone Basel-Stadt und Zürich sprachen sich für die Beibehaltung der allgemeinen Volksinitiative aus.

Keine Gnade in der Vernehmlassung fanden die beiden Minderheitsvorschläge: Mit Ausnahme der FDP sprachen sich alle Vernehmlassungsteilnehmer für die Beibehaltung der Initiative in der Form der allgemeinen Anregung aus. Die Vernehmlasser argumentierten, dieses würde doch gelegentlich angewendet und würde keine übermässigen Schwierigkeiten bieten.

Auch waren mit Ausnahme der FDP alle Vernehmlassungsteilnehmer gegen die Schaffung der Möglichkeit, dass zwei sich rechtlich unmittelbar widersprechende Volksintiativen nach dem System von Initiative und Gegenentwurf Volk und Ständen zur Abstimmung unterbreitet werden können.

Die Kommission sah sich durch diese Vernehmlassungsergebnisse in ihrem Vorhaben bestärkt und beschloss am 21. Feburar 2008 einstimmig, die Vorlage dem Rat zu unterbreiten.

3 Art. 139

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung

Bei Einführung der allgemeinen Volksinitiative in einem separaten Artikel 139a wurde in Artikel 139 ausschliesslich die formulierte Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung geregelt. Die im Gegensatz zur allgemeinen Volksinitiative viel weniger regelungsdichte Initiative in der Form der allgemeinen Anregung kann nun wieder in diesen Artikel integriert werden, so dass auch der Artikeltitel wieder allgemein gefasst werden kann.

In Absatz 1 werden die Rahmenbedingungen (Unterschriftenzahl und Fristen) für beide Initiativformen festgehalten. Absatz 2 nennt die beiden möglichen Initiativformen. Absatz 3 regelt die Voraussetzungen für die Gültigkeit. Absatz 4 nimmt die alte Formulierung bezüglich des Vorgehens bei einer Initiative in Form der allgemeinen Anregung wieder auf. Absatz 5 regelt das Vorgehen bei einer Initiative in Form des ausgearbeiteten Entwurfs. Das Verfahren bei Initiative und Gegenentwurf wird nicht wie in der Verfassung von 1999 in diesen Artikel integriert, sondern der 2900

Übersicht halber gemäss der Verfassungsänderung vom 4. Oktober 2002 in einem separaten Artikel festgehalten (vgl. Kommentar zu Art. 139b).

Art. 139a Da auf die allgemeine Volksinitiative verzichtet wird, muss dieser Artikel aufgehoben werden.

Art. 139b Abs. 1 Mit Einführung der allgemeinen Volksinitiative wurde das Verfahren bei Initiative und Gegenentwurf in einem separaten Artikel geregelt, da es sich nun auf in zwei separaten Artikeln geregelte Initiativformen bezog. Dieser eigene Artikel für die Regelung dieses Verfahrens soll beibehalten werden, weil auch die 2002 beschlossene Neuerung bezüglich des Vorgehens bei Auseinanderklaffen von Volks- und Ständemehr beibehalten werden soll (Absatz 3). Eine Integration dieser Bestimmungen in Artikel 139 wäre der Lesbarkeit nicht dienlich.

Die Stimmberechtigten können gleichzeitig über die Initiative und den Gegenentwurf abstimmen. Da die allgemeine Volksinitiative wegfällt, stehen von der Bundesversammlung ausgearbeitete Umsetzungen hier nicht mehr zur Diskussion.

Absatz 1 muss entsprechend angepasst werden.

Art. 140 Abs. 2 Bst. abis und b Artikel 140 Absatz 2 regelt, welche Gegenstände obligatorisch dem Volk zur Abstimmung unterbreitet werden müssen. Hier muss die Bestimmung in Buchstabe abis aufgehoben werden, wonach Gesetzesentwürfe mit Gegenvorschlag zur Umsetzung einer allgemeinen Volksinitiative dem Volk zur Abstimmung hätten unterbreitet werden müssen. In Buchstabe b wird die allgemeine Volksinitiative durch die Volksinitiative in der Form der allgemeinen Anregung ersetzt, welche dem Volk zur Abstimmung unterbreitet wird, falls die Bundesversammlung sie ablehnt.

Art. 156 Abs. 3 Bst. b und c Artikel 156 Absatz 3 bildet die Verfassungsgrundlage für alle diejenigen Fälle, welche Ausnahmen vom Grundsatz des Erfordernisses übereinstimmender Beschlüsse beider Räte darstellen. Dazu gehören Beschlüsse der Räte über Gültigkeit oder Teilungültigkeit von Volksinitiativen (Bst.a, geregelt in Art. 98 Abs. 2 ParlG) sowie Beschlüsse der Räte bezüglich den Voranschlag oder einen Nachtrag (Bst. d, geregelt in Art. 94 ParlG). In Buchstabe b muss hier der Fall der Umsetzung einer allgemeinen Volksinitiative durch den Fall der Umsetzung einer Initiative in Form der allgemeinen Anregung ersetzt werden (geregelt in Art. 104 Abs. 3 ParlG).

Gesetzlich (noch)
nicht geregelt ist der eher unwahrscheinliche Fall der Umsetzung eines vom Volk gutgeheissenen Bundesbeschlusses zur Einleitung einer Totalrevision der Bundesverfassung (Bst. c). Für diesen eher unwahrscheinlichen und sicher zeitintensiven Fall kann im Bedarfsfall auch eine ad-hoc-Regelung vorgesehen werden. Buchstabe c wurde zwar mit dem Bundesbeschluss vom 4. Oktober 2002 beschlossen, jedoch noch nicht in Kraft gesetzt. Würde er nicht in den hier vorliegenden Bundesbeschluss integriert, so müsste er noch mit einem speziellen Bundesbeschluss in Kraft gesetzt werden.

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Art. 189 Abs. 1bis Bei Einführung der allgemeinen Volksinitiative wurde eine Beschwerdemöglichkeit ans Bundesgericht gegen die Umsetzung durch die Bundesversammlung vorgesehen.

Diese Beschwerdemöglichkeit muss aufgehoben werden.

4

Auswirkungen

4.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Die Vorlage hat keine personellen und finanziellen Auswirkungen.

4.2

Vollzugstauglichkeit

Mit der Vorlage bleiben voraussichtlich beachtliche Vollzugschwierigkeiten, welche sich bei Einführung der allgemeinen Volksinitiative ergeben hätten, erspart.

5

Erlassform

Die allgemeine Volksinitiative wurde mit Bundesbeschluss vom 4. Oktober 2002 auf Verfassungsebene beschlossen und von Volk und Ständen angenommen. Sie ist nun auf dieser Ebene wieder aufzuheben. Somit wird Volk und Ständen noch einmal Gelegenheit gegeben, sich nun in Kenntnis der komplizierten Ausführungsgesetzgebung darüber auszusprechen.

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