1000 Ablauf der Referendumsfrist:

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22- September 1931.

Bundesgesetz über

die Alters- und Hinterlassenenversicherung.

(Vom 17. Juni 1931.)

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, -in Ausführung von Art. 34quater der Bundesverfassung; nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 29. August 1929, beschliesßt :

Erster Abschnitt.

Einrichtung und Durchführung der Versicherung.

1. Die kantonalen Versicherungskassen.

Art. 1.

1

Der Bund richtet die Alters- und Hinterlassenenversicherung gemäss den nachfolgenden Bestimmungen ein.

2 Die Kantone führen die Versicherung im Rahmen dieses Gesetzes durch.

Art. 2.

1

Jeder Kanton errichtet eine kantonale Versicherungskasse, der das Recht der Persönlichkeit zusteht.

2 Mit Bewilligung des Bundesrates kann für mehrere Kantone eine gemeinsame Kasse geschaffen werden oder es kann die Kasse eines Kantons die Aufgabe auch für andere Kantone übernehmen.

Art. 3, Die kantonalen Kassen erhalten sich selbst. Ihr Vermögen ist von dem ·des Kantons und anderer kantonaler Institutionen zu trennen und darf den Zwecken der Alters- und Hinterlassenenversicherung nicht entfremdet werden. Es ist sorgfältig zu verwalten, zinstragend in sichern Werten anzulegen und zu einem wesentlichen Teile dem Hypothekarkredite zuzuführen.

1001 Art. 4.

Zwischen den kantonalen Kassen besteht volle Freizügigkeit. Sie ziehen die im Gebiete ihres Kantons zahlbaren Beiträge ein und richten die Leistungen an die im Kantonsgebiet wohnenden Berechtigten aus.

2 Soweit das Verhältnis der Beiträge gemäss den Art. 10 und 16 zu den Verpflichtungen gemäss Art. 24 bei den verschiedenen kantonalen Kassen vom Landesdurchschnitt abweicht, ist zwischen diesen ein Ausgleich durchzuführen. Der Bundesrat erlässt die für die Ausführung dieses Grundsatzes nötigen Vorschriften; er bestimmt namentlich auch das Ausgleichsverfahren.

1

Art. 5.

Das Einkommen und Vermögen der kantonalen Kassen ist von jeder Besteuerung durch den Bund, die Kantone und Gemeinden befreit, mit Ausnahme von Steuern für Grundeigentum, das nicht unmittelbar ihrem Betriebe dient.

Die eidgenössischen Stempelabgaben, die die kantonalen Kassen nach Gesetz als Abgabepflichtige zu entrichten hätten, werden nicht erhoben.

2 Alle dem Betriebe dienenden Urkunden sind Stempel- und gebührenfrei.

3 Die von den Behörden und Amtsstellen der Kantone und Gemeinden ausgehenden amtlichen Sendungen aus dem Bereich der Versicherung geniessen die Portofreiheit nach Art. 38 des Bundesgesetzes vom 2. Oktober 1924 betreffend den Postverkehr.

1

Art. 6.

Die Kantone regeln im übrigen die Organisation und Verwaltung ihrer Kassen. Sie bestimmen über die Mitwirkung der Kantons- und Gemeindebehörden.

2 Die Organisation und die Verwaltung müssen die zuverlässige Durchführung der Versicherung gewährleisten.

3 Die Kantone bestimmen, ob und unter welchen Bedingungen andere öffentliche und, mit ihrer Zustimmung, private Versicherungskassen auf Eechnung der kantonalen Kasse einzelne Verwaltungsaufgaben übernehmen können.

1

2. Ergänzende kantonale Anordnungen und Aufsicht des Bundes.

Art. 7.

Die Kantone erlassen die zur Ergänzung des Gesetzes vorgesehenen Bestimmungen.

2 Soweit das Bundesgesetz zu seiner Ausführung -notwendig der Ergänzung durch kantonale Vorschriften bedarf, sind die Kantone verpflichtet, solche aufzustellen. Dies kann durch Verordnung geschehen.

3 Hat ein Kanton die notwendigen Anordnungen nicht rechtzeitig getroffen, so erlässt der Bundesrat vorläufig die erforderliche Verordnung an Stelle des Kantons unter Anzeige an die Bundesversammlung.

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Bundesblatt. 83. Jahrg. Bd. I.

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1002 Art. 8.

Die kantonalen Ausführungserlasse bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Genehmigung des Bundesrates.

Art. 9.

1 Der Bundesrat übt die Aufsicht über die Durchführung dieses Gesetzes durch die Kantone aus. Er ist ermächtigt, zu diesem Zwecke die Geschäftsführung jederzeit nachprüfen zu lassen und die nötigen Anordnungen zu treffen.

2 Die Kantone haben dem Bundesrat jährlich in einheitlicher, von ihm vorgeschriebener Form Bericht und Rechnung zu unterbreiten.

Zweiter Abschnitt.

Beitragspflicht.

1. Die Beitragspflichtigen und die Beitragssätze.

Art. 10.

1 Die in der Schweiz wohnhaften Personen haben vom neunzehnten bis zum fünfundsechzigsten Altersjahr einen jährlichen Beitrag an die kantonale Kasse ihres zivilrechtlichen Wohnsitzes zu entrichten. Der Ehemann haftet für die Beiträge seiner Ehefrau, sofern die Ehegatten nicht durch rechtskräftiges Gerichtsurteil getrennt sind, das Familienhaupt haftet für die Beiträge der in Hausgemeinschaft mit ihm lebenden minderjährigen oder bevormundeten Kinder.

2 Die Beitragspflicht beginnt mit dem 1. Januar des Kalenderjahres, in dem das neunzehnte Altersjahr zurückgelegt wird; sie endet mit dem 81. Dezember des Kalenderjahres, in dem das fünfundsechzigste Altersjahr vollendet wird. Vorübergehender Aufenthalt im Auslande befreit nicht von der Beitragspflicht.

3 Ausländer werden nach einem ununterbrochenen Aufenthalte von einem Jahre beitragspflichtig, wenn sie vor Ende des Kalenderjahres, in welchem sie das fünfundfünfzigste Altersjahr zurücklegen, als Niedergelassene, Aufenthalter oder Tolerierte in der Schweiz Wohnsitz nehmen. Die Frist beginnt mit dem Tage der Bewilligung der Niederlassung, des Aufenthaltes oder der Toleranz durch die zuständige Behörde.

Art. 11.

Schweizerbürger, die ihren Wohnsitz ins Ausland verlegen, können bei Entrichtung der Beiträge an die Kasse ihres letzten Wohnsitzkantons der Versicherung weiterhin angehören.

Art. 12.

Die Beiträge belaufen sich auf 18 Franken jährlich für die Männer und auf 12 Franken jährlich für die Frauen. Sie.können, wenn nötig,

1003 durch den Bundesrat mit Genehmigung dei Bundesversammlung um höchstens einen Viertel erhöht werden.

Art. 13.

1

Die Kantone können mit Bewilligung des Bundesrates in Gebieten, wo die besondern Schwierigkeiten der wirtschaftlichen Lage dies notwendig machen, die Beiträge nach Art. 12 um höchstens einen Drittel herabsetzen. Der Ausfall ist den kantonalen Kassen durch die Kantone zu ersetzen. Der Bund vergütet den Kantonen die Hälfte der aus dieser Massnahme entstehenden Ausgaben.

2 Solange ein Kanton von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, hat er seine Zuschüsse zu den Versicherungsleistungen um den Betrag der ihm nach Abs. l verbleibenden Ausgabe zu kurzen. Diese Kürzung darf jedoch die Hälfte des in Art. 28, Aba. 2, vorgesehenen Anteils nicht übersteigen.

Art. 14.

1 Mütter von mehr als fünf Kindern sind dauernd von der Beitragspflicht befreit. Kinder aus einer frühern Ehe des Mannes werden mitgezählt.

a Der daraus entstehende Ausfall an Beiträgen ist der kantonalen Kasse durch die Kantone zu ersetzen. Der Bund vergütet den Kantonen drei Viertel ihrer Ausgaben.

Art. 15.

1 Die Kantone setzen im Rahmen der durch bundesratliche Verordnung aufzustellenden Bestimmungen fest, unter welchen Voraussetzungen sie und die Gemeinden die Beiträge an Stelle bedürftiger Beitragspflichtiger gemäss Art. 10 ganz oder teilweise übernehmen.

2 Der Bund beteiligt sich an diesen Ausgaben mit Zuschüssen, die im Durchschnitt einen Drittel nicht übersteigen dürfen.

8 Die Übernahme der Beiträge darf nicht als Armenunterstützung behandelt werden, Art. 16.

1 Wer Personen in seinem Dienste beschäftigt, die gemäss Art. 10 beitragspflichtig sind, hat auf das Jahr und die Arbeitskraft gerechnet 15 Franken an die kantonale Kasse zu entrichten. Nicht mitzuzählen sind der Ehegatte, die mit dem Arbeitgeber in Hausgemeinschaft lebenden verwandten und verschwägerten Personen in auf- und absteigender Linie und in der Seitenlinie bis zum zweiten Grade, sowie in Kleinbetrieben oder in der Haus- und Landwirtschaft vorübergehend beschäftigte Hilfskräfte.

2 Diese Arbeitgeberbeiträge sind der kantonalen Kasse des Sitzes der Unternehmung, für auswärtige Zweigniederlassungen und Betriebsteile der Kasse des Kantons, wo sie gelegen sind, zu entrichten.

* Der Bundesrat stellt für die Berechnung und den Bezug der Arbeitgeberbeiträge einheitliche Vorschriften auf. Sie sollen, wo die Verhältnisse

1004 es erlauben, die Möglichkeit einer pauschalen Berechnung und Bezahlung vorsehen.

* Jede Abrede, wonach der Arbeitgeberbeitrag ganz oder teilweise durch den Arbeitnehmer zu tragen wäre, ist ungültig.

Art. 17.

Nicht rechtzeitig bezahlte Beiträge gemäss den Art. 10 und 16 sind mit einem vom Bundesrat festzusetzenden Zuschlag nachzubezahlen.

2. Der Beitragsbezug.

Art. 18.

1 Die Kantone sorgen für die Aufstellung und Führung des Verzeichnisses der nach den Art. 10 und 16 Beitragspflichtigen. Sie haften der kantonalen Kasse für den lückenlosen Eingang aller Beiträge.

" Die Kantone sind berechtigt, die Arbeitgeber zu verhalten, Beiträge, die ihre Arbeitnehmer binnen bestimmter Frist trotz Mahnung schuldhaft nicht entrichten, vom Lohnguthaben abzuziehen und der kantonalen Kasse zu überweisen.

3 Die Zahlung der Beiträge ist dem Beitragspflichtigen in geeigneter Weise zu bescheinigen.

Art. 19.

Für Beiträge, die Kantone oder Gemeinden an Stelle der Beitragspflichtigen entrichten, steht ihnen das Eückgriffsrecht auf diese zu. Dieses Recht besteht nicht bei der ganzen oder teilweisen Beitragsübernahme nach den Art. 13, 14 und 15, ausser wenn die Beiträge auf Grund unwahrer Angaben des Beitragspflichtigen bezahlt wurden.

' Art. 20.

Der Bundesrat ordnet die Bezahlung der vom Bund und von seinen Betrieben und Anstalten zu leistenden Arbeitgeberbeiträge; er wird sie auf die Kassen sämtlicher Kantone angemessen verteilen.

Art. 21.

Die von den zuständigen Behörden aufgestellten Verzeichnisse der nach Art. 10 und 16 zu entrichtenden Beiträge werden im Sinne von Art. 80 des Buhdesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs einem gerichtlichen Urteil gleichgestellt.

2 Die Ansprüche der kantonalen Kassen auf die Beiträge der Versicherten und der Arbeitgeber sind im Konkurse des Beitragspflichtigen sowie bei Aufstellung eines Kollokationsplanes in der Betreibung auf Pfändung in die zweite Forderungsklasse einzureihen.

3 Der Kasse steht das Recht jederzeitiger Anschlusspfändung nach Art. 111 des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs zu.

Art. 22.

Nicht geschuldete Beiträge können binnen Jahresfrist seit' der Zahlung zurückgefordert werden.

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1005 Art. 23.

Die in einem Jahre fällig werdenden Beiträge der Versicherten und der Arbeitgeber sind von der kantonalen Kasse der Rechnung des folgenden Jahres gutzuschreiben.

Dritter Abschnitt, Die Leistungen der Versicherung.

1. Die Grundleistungûn.

Art. 24.

1 Die kantonale Kasse hat aus den ihr zuflieseenden Beiträgen, sowie aus den Erträgnissen ihrer Bücklagen folgende Leistungen auszurichten: A. Eine Altersrente von jährlich 200 Franken an Männer und Frauen vom Anfang des Kalenderjahres an, in welchem sie das sechsundsechzigste Altersjahr zurücklegen, bis und mit dem Kalendervierteljahr, in dem der Tod eintritt.

Der Bezug dieser Eente kann auf Verlangen des Berechtigten längstens bis zum Anfang des Kalenderjahres aufgeschoben werden, in dem er das siebenzigste Altersjahr zurücklegt. Der Eentenanspruch erhöht sich in diesem Fall nach einem durch Verordnung des Bundesrates festzusetzenden Tarif. Der Aufschub kann durch den Berechtigten jederzeit widerrufen werden.

B. An Witwen und Waisen beitragspflichtiger oder gemäss lit. A rentenberechtigter, nach dem Inkrafttreten des Gesetzes verstorbener Männer: 1. eine Rente von jährlich 150 Franken an Witwen, die im Zeitpunkt der Verwitwung das fünfzigste Altersjahr zurückgelegt haben. Diese Rente ist zahlbar, bis die Berechtigung aul Altersrente gemäss lit. A beginnt.

Sie fällt dahin mit der Wiederverheiratung. In diesem Falle wird der Witwe als Abfindung der doppelte Betrag der Jahresrente, höchstens aber der Betrag der ihr als Witwe noch zukommenden Eentenraten ausgerichtet ; 2. eine einmalige Kapitalabfindung von 500 Franken an Witwen, die im Zeitpunkt der Verwitwung das vierzigste Altersjahr noch nicht zurückgelegt haben; diese Abfindung wird für Frauen, die vor dem fünfzigsten Altersjahr M itwen werden, um je 50 Franken vermehrt fût jedes Altersjahr, das sie über das vierzigste Altersjahr hinaus vollendet oder angetreten haben: 3. eine Waisenrente von 50 Franken jährlich an jedes Kind bis zum zurückgelegten achtzehnten Altersjahr. Ausserehehche, anerkannte und mit oder ohne Standesfolge zugesprochene Kinder, sowie Adoptivkinder des Vaters sind den ehelichen Kindern gleichgestellt ; 4. eine Doppelwaisenronte von 100 Franken jahrlich an jedes Kind vom Beginn der Doppelvenvai&ung an bis zum zurückgelegten achtzehnten Altersjahr.

1006 C. An die Waisen einer geschiedenen, ledigen oder vor dem Inkrafttreten des Gesetzes verwitweten Frau, wenn die Mutter nach Inkrafttreten des Gesetzes verstirbt, eine Eente von 50 Franken für jede Waise bis zum zurückgelegten achtzehnten Altersjahr. Die Eente wird nur bezahlt, wenn die Mutter beitragspflichtig oder nach Massgabe von lit. A rentenberechtigt war und für den Unterhalt ihrer Kinder selber gesorgt hat.

2 Die Eentenberechtigung erlischt mit dem Kalendervierteljahr, in dem der Tod eintritt oder die Voraussetzungen für den Bezug von Witwen- und "Waisenrenten dahinfallen.

Art. 25.

1 Leistungen der kantonalen Kasse, auf deren Bezug der Berechtigte verzichtet, sind für die Gewährung von besondern Zuschüssen an Bedürftige zu verwenden.

2 Der Bundesrat wird den Vollzug dieser Bestimmung durch Verordnung näher regeln.

Art. 26.

1 Wer nach Art. 24 bezugsberechtigt ist, hat sich auf Verlangen der zuständigen Stelle darüber auszuweisen, dass sämtliche seit dem Inkrafttreten des Gesetzes auf ihn oder die Person, aus deren Tod Ansprüche abgeleitet werden, gemäss Art. 10 entfallenden Beiträge entweder durch den Pflichtigen oder gemäss den Art. 14 und 15 von Kantonen oder Gemeinden bezahlt worden sind.

2 Nicht entrichtete Beiträge des Versicherten sind mit den Zuschlägen nach Art. 17 nachzubezahlen oder mit den Leistungen zu verrechnen.

Dies gilt auch für Beiträge, die während Landesabwesenheit verfallen sind.

3 Von Kantonen oder Gemeinden an Stelle des Beitragspflichtigen gem&ss den Art. 13, 14 und 15 bezahlte Beitrage dürfen weder mit den Leistungen nach den Art. 24 und 34 noch mit denen nach den Art. 29 und 86 verrechnet werden, ausser wenn sie auf Grund unwahrer Angaben des Beitragspflichtigen bezahlt wurden.

Art. 27.

Ausländer haben auf Leistungen nur Anspruch, wenn sie vor Ende des Kalenderjahres, in welchem sie das fünfundfünfzigste Altersjahr zurücklegen, in die Schweiz gekommen sind und unmittelbar vor Eintritt der Tatsache, die den Anspruch begründet, mindestens zehn Jahre lang ununterbrochen als Niedergelassene, Aufenthalter oder Tolerierte m der Schweiz gewohnt haben.

2. Die Sozialzuschüsse.

Art. 28.

1 Der Bund stellt den kantonalen Kassen jährlich einen Betrag in der Höhe von 80 % der von ihnen im betreffenden Jahre gemäss den Art. 24 bis 27 und Art. 34 ausgerichteten Leistungen zur Verfügung.

2 Der Kanton hat aus seinen Mitteln einen Viertel der Bundesleistung beizufügen. Art. 13 bleibt vorbehalten.

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Wenn ein Kanton mit geringer finanzieller Leistungsfähigkeit durch die Aufbringung des vollen in Abs. 2 festgesetzten Anteils stark belastet wird, so kann, namentlich wenn er eine unverhältniamässig hohe Zahl von Bezügern von Versicherungsleistungen aufweist, der Anteil des Bundes nach Abs. l durch Beschluss des Bundesrates bis auf 85 % erhöht werden.

Der durch den Kanton aufzubringende Anteil wird in diesem Falle entsprechend geringer.

Art. 29.

1 Aus diesen Zuwendungen des Bundes und der Kantone haben die kantonalen Kassen ihre Leistungen an Schweizerbürger durch Gewährung von Sozialzuschüssen zu erhöhen.

â Diese Zuschüsse sollen nach dem jeweiligen Einkommen und Vermögen der Berechtigten abgestuft werden und dürfen in keinem Falle das Doppelte der Versicherungsleistungen nach Art. 24 übersteigen.

3 Personen, die aus eigenen Mitteln, wie Vermögen, Erwerbseinkommen, Pensionen, ihren Lebensunterhalt in auskömmlicher Weise bestreiten können, sind von solchen Zuschüssen ausgeschlossen.

4 Der Bundesrat stellt durch Verordnung die Grundsatze fest, nach welchen die Zuwendungen des Bundes und der Kantone zu verteilen und die Sozialzuschüsse zu bemessen sind. Witwen mit zahlreichen Kindern sind bei Bemessung der Zuschüsse zu den Leistungen gemass Art. 24, lit. B, Ziff. i und 2, besonders zu berücksichtigen.

B Die Kantone bestimmen im Rahmen dieser Grundsätze und in Würdigung der örtlichen Verhältnisse, bis zu welchem Einkommeasbetrage das Recht auf den Bezug; von Sozialztischlissen besteht, und stellen weitere Vorschriften für deren Ausrichtung auf.

3. Gemeinsame Vorschriften.

Art. 30.

1 Die kantonalen Kassen richten die Grundleistungen und Zuschüsse an die im Kantonsgebiet wohnhaften Personen aus, die gemass den Art. 24 bis 29 bezugsberechtigt sind.

2 Die Renten werden vierteljährlich ausgerichtet; die Kantone sind befugtj die Benten in Monatsraten auszurichten.

3 Die Bentenberechtigten haben jede Veränderung des Wohnsitzes binnen drei Monaten der bisherigen und der neuen Zahlungsstelle zu melden.

4 Im Auslande wohnhaften Bezugsberechtigten werden die Grundleistungen und Zuschüsse durch die kantonale Kasse des letzten schweizerischen Wohnsitzes gegen Vergütung der Mehrkosten ausgerichtet.

Art. 31.

1 Die Leistungen und die Ansprüche auf solche dürfen weder gepfändet, noch mit Arrest belegt, noch in eine Konkursmasse einbezogen werden.

2 Jede Abtretung oder Verpfändung solcher Leistungen oder Ansprüche ist nichtig.

1008 Art. 32.

Die Ansprüche auf Versicherungsleistungen verjähren mit dem Ablauf von fünf Jahren seit Eintritt ihrer Fälligkeit. Der Bundesrat wird die Bedingungen festsetzen, unter denen trotz Ablaufs der Verjährungsfrist die Ansprüche zu Recht bestehen können.

Art. 33.

Der Bundesrat wird durch Verordnung Vorschriften über das Verfahren zur Feststellung der Berechtigung auf Versicherungsleistungen und im Zusammenhang damit über deren Verwirkung erlassen.

Vierter Abschnitt, Die Übergangszeit.

Art. 34.

In den ersten fünfzehn Jahren vom Beginn der Leistungen an wird von den kantonalen Kassen die Hälfte der in Art. 24 vorgesehenen Leistungen ausgerichtet. Personen, die aus eigenen Mitteln, wie Vermögen, Erwerbseinkommen, Pensionen, ihren Lebensunterhalt in auskömmlicher Weise bestreiten können, sind während dieser Zeit von allen Bezügen ausgeschlossen.

Art. 35.

1 Der Bund und die Kantone stellen den kantonalen Kassen jährlich einen Betrag in der Höhe der im betreffenden Jahre ausgerichteten Grundleistungen zur Verfugung.

2 Soweit die aus der fiskalischen Belastung des Tabaks und der gebrannten Wasser fliessenden Einnahmen des Bundes dies erlauben, wird der Bundesrat den kantonalen Kassen ausserdom eine ausserordentliche Beihilfe gewähren. Die Kantone haben dieser Zuwendung einen Viertel beizufügen. Die Beihilfe soll mit dem kantonalen Anteil drei Viertel der sieh aus Absatz l ergebenden Zuwendungen nicht übersteigen.

3 Im übrigen finden die Bestimmungen von Art. 28 Anwendung.

4 Ist ein Kanton nicht in der Lage, seinen Anteil an der ausserordentliehen Beihilfe zu übernehmen, so kann er durch den Bundesrat von dieser Pflicht befreit werden.

Art. 36.

1 Der Bundesrat stellt unter Beobachtung von Art. 29 durch Verordnung die Grundsatze fest, nach welchen die in Art. 34 vorgesehene Ausscheidung der Bezugsberechtigten vorzunehmen ist und die Zuwendungen des Bundes und der Kantone aus Art. 35 zu verteilen sind.

2 Die Kantone bestimmen im Rahmen dieser Grundsätze und in Würdigung der örtlichen Verhältnisse, bis zu welchem Einkoinmensbetrag das Recht auf den Bezug von Grundleistungen und Sozialzuschüssen besteht, und stellen weitere Vorschriften über deren Ausrichtung auf.

1009 Art. 37.

Die Art. 24 bis 33 gelten, unter Vorbehalt der Art. 34 bis 36, auch für die Übergangszeit.

Fünfter Abschnitt, Die kantonale ErgänzungsyersieLerung.

Art. 38.

Die Kantone haben das Recht, durch Gesetz weitere Einrichtungen für die Alters- und Hinterlassenenversicherung zu schaffen oder zu unterstützen und den Beitritt allgemein oder für einzelne Bevölkerungsklassen obligatorisch zu erklären. Sie können in gleicher Weise die Schaffung oder Unterstützung solcher Einrichtungen auch den Gemeinden ganz oder teilweise überlassen.

2 Für alle diese Einrichtungen sind die nachstehenden Bestimmungen massgebend : a. Von den Versicherten sind besondere Beiträge zu erheben.

0. Die Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln dürfen in ihrer Gesamtheit die Hälfte des Gesamtbedarfes der Versicherung nicht übersteigen.

Dabei werden die im Sinne von Art. 15 ganz oder teilweise übernommenen Beiträge bedürftiger Versicherter nicht angerechnet.

c. Die Auferlegung von Arbeitgeberbeiträgen ist unzulässig.

d. Die Leistungen an die Versicherten dürfen nicht grösser sein als die Leistungen der eidgenössischen Versicherung, wie sie nach Ablauf der Übergangszeit ausgelichtet werden. Dabei können indessen die Höchstleistungen der eidgenössischen Versicherung für einzelne Rentenkategorien überschritten werden, wenn anderweitige Leistungen entsprechend niedriger angesetzt werden. Die Grundlagen der vergleichenden Berechnungen werden durch den Bundesrat festgesetzt, e. Die Einrichtungen sollen die für die Ausrichtung der Leistungen erforderliche Sicherheit bieten.

f. Die Freizügigkeit zwischen den Ergänzungsversicherungon soll insbesondere durch eine Angleichung der Versicherungsleistungen nach Möglichkeit erleichtert werden.

1

Art. 39.

Die Kantone bezeichnen die Volkskreise, die vorsichert sind. Von der Versicherung sind auszunehmen: 1. Die Beamten, Angestellten und Arbeiter des Bundes, der Bundesbahnen, der schweizerischen Nationalbank und der schweizerischen Unfallversicherungsanstalt in Luzern.

2. Die Personen, die sich ausweißen über eine der kantonalen gleichwertige Versicherung bei einer öffentlichen oder einer privaten, vom Kanton anerkannten Kasse oder vom Bunde beaufsichtigten Versicherungsunternehmung.

1010 Art. 40.

Eine Kasse ist auf ihr Begehren hin anzuerkennen, wenn sie die nötige Sicherheit bietet und sieh den im kantonalen Gesetz festgesetzten Vorschriften unterwirft, 2 Private Versicherungs- und Fürsorgeeinrichtungen, die die Anerkennung nicht nachgesucht haben, sind frei und dürfen einer Aufsicht durch die Kantone nicht unterstellt werden. Vorbehalten bleiben die Bestimmungen des Zivilgesetzbuches über die Stiftungen.

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Art. 41.

Die Kantone sind befugt, die Bestimmungen der Art. 18, Absatz 2, 21, 81 und 32 auf die kantonale Ergänzungsversicherung anwendbar zu erklären.

Art. 42.

Die Einrichtungen der Kantone für eine obligatorische Alters- und Hinterlassenenversicherung unterstehen der Aufsicht des Bundesrates. Die kantonalen Erlasse über solche Einrichtungen treten erst nach Genehmigung durch den Bundesrat in Kraft.

2 Der Bundesrat kann für die bestehenden Versicherungskassen der Kantone Glarus und Appenzell A.-Rh. Ausnahmen von den Bestimmungen dieses Abschnittes gestatten.

3 Auf die freiwillige Versicherung finden die Vorschriften dieses Abschnittes keine Anwendung.

1

Sechster Abschnitt, Die Rechtspflege.

Art. 48.

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Die Kantonsregierungen bezeichnen die Behörden, die über Streitigkeiten aus der Beitragspflicht und über die Versicherungsansprüche zu entscheiden haben.

2 Sie setzen das Verfahren fest. Es soll eine einfache und rasche Erledigung der Streitfälle gewährleisten.

Art. 44.

Gegen Entscheide der kantonalen Behörden in Streitigkeiten über Arbeitgeberbeiträge ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Schweizerische Bundesgericht gemäss dem Bundesgesetz vom 11. Juni 1928 über die eidgenössische Verwaltungs- und Disziplinarrechtspflege zulässig.

2 Die Entscheide der kantonalen Behörden in den andern Streitigkeiten über die Beitragspflicht, sowie in Streitigkeiten über Versicherungsansprüche können an eine vom Bundesrat bestellte Kommission weitergezogen werden.

3 Der Bundesrat setzt das Verfahren vor dieser Kommission fest.

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1011 Art. 45.

Über Streitigkeiten zwischen den Kantonen entscheidet der Bundesrat.

Siebenter Abschnitt.

Straf bestimmungen.

Art. 46.

Wer vorsätzlich durch unwahre Angaben der Beitragspflicht zu entgehen oder Leistungen zu erlangen sucht, auf die er keinen Rechtsanspruch hat, wer vorsätzlich als Beamter des Bundes, eines Kantons, einer kantonalen Kasse, einer Gemeinde oder als Organ einer öffentlichen oder privaten Kasse Ausweise unrichtig ausstellt, die für die Alters- und Hinterlassenenversicherung bestimmt sind, wird mit Busse bis zu 1000 Pranken oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft. Die beiden Strafen können verbunden werden. Ist der Täter während der letzten fünf Jahre, von der Zuwiderhandlung an gerechnet, schon einmal auf Grund dieses Gesetzes verurteilt worden, so gelten die Strafandrohungen als verdoppelt.

2 Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Busse bis zu 500 Franken.

8 Wer schuldhafterweise die Bezahlung der Beiträge unterlässt oder verweigert, wird mit Busse bis zu 50 Franken bestraft.

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Art. 47.

Wer vorsätzlich den Ausführungserlassen des Bundesrates oder einer Kantonsregierung zuwiderhandelt, wird mit Busse bis zu 500 Franken bestraft.

2 Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Busse bis zu 200 Franken.

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Art. 48.

Das Recht der kantonalen Kasse zur Nachforderung unrechtmässig vorenthaltener Beiträge und auf Rückforderung zu Unrecht bezogener Versicherungsleistungen bleibt vorbehalten, Art. 49.

Die allgemeinen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 4. Februar 1858 über das Bundesstrafrecht der schweizerischen Eidgenossenschaft finden Anwendung.

Art. 50.

Die Verfolgung und Beurteilung der in diesem Gesetze und den Ausführungserlassen unter Strafe gestellten Handlungen hegt den Kantonen ob.

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Achter Abschnitt, Schluss- und Yollziehungsbestimmungen.

Art. 51.

Hat ein privater Arbeitgeber Fürsorgeeinrichtungen zugunsten seiner Arbeitnehmer im Alters-, Invalidiate- oder Todesfall zu unterstützen oder selber in solchen Fällen Renten auszurichten, so ist er berechtigt, mit diesen Aufwendungen die Beiträge ganz oder teilweise zu verrechnen, die er nach diesem Gesetz für die begünstigten Personen zu leisten hat, 2 Die Beiträge können entweder mit den Zuwendungen an die Fürsorgeeinrichtung oder mit den Leistungen verrechnet werden, zu denen die Fürsorgeeinrichtung oder der Arbeitgeber verpflichtet ist.

8 Bei Verrechnung mit den Zuwendungen können die Beiträge des Arbeitgebers an die Fürsorgeeinrichtung entsprechend gekürzt werden, oder die Beiträge nach Art. 16 können den Erträgnissen eines vom Arbeitgeber zugunsten der Fürsorgeeinrichtung geschaffenen Fonds entnommen und die Leistungen der Fürsorgeeinrichtung im Verhältnis zu den ihr entgehenden Einnahmen herabgesetzt werden.

* Bei Verrechnung mit den Leistungen können diese um den Teilbetrag der Renten nach Art. 24 und 34, der dem Arbeitgeberbeitrag nach Art. 16 entspricht, herabgesetzt werden.

6 Der Arbeitgeber ist befugt, diejenigen Abänderungen an Statuten, Reglementen, Vertragen und anderen Urkunden zu verlangen, dio nötig sind, um die ihm in den Abs. l bis 4 eingeräumten Rechte geltend zu machen.

8 Der ßundesrat bezeichnet die Behörde, die Streitigkeiten über die Anwendung dieser Bestimmungen zu entscheiden hat, und setzt das Verfahren fest.

1

Art. 52.

Die Anwendung der iti Art. 51 enthaltenen Grundsätze auf die Beamten, Angestellten und Arbeiter des Bundes und seiner Betriebe, der Schweizerischen Nationalbank und der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt sowie der konzessionierten Transportunternehtnungen bleibt dem ErJass einer besondern Verordnung des Bundesrats vorbehalten.

Die Anwendung dieser Grundsatze auf die Beamten, Angestellten und Arbeiter der Kantone und Gemeinden sowie der öffentlichen Anstalten kantonalen Rechts wird durch die zuständigen Behörden des Kantons geregelt.

Art. 53.

Durch Staatsvertrag können die Beitragspllicht und die Leistungsberechtigung der Ausländer abweichend von diesem Gesetze geordnet werden.

1013 Art. 54.

Der Bund errichtet einen Fonds für die Alters- und Hinterlassenenversicherung.

2 Dem Fonds werden die gesamten Einnahmen aus der fiskalischen Belastung des Tabaks sowie der Anteil des Bundes an den Reineinnahmen aus der fiskalischen Belastung gebrannter Wasser zugewiesen. Die Fondsgelder sind, soweit sie nicht angelegt werden, vom Bund zum mittlern Zinsfuss der eidgenössischen Anleihen zu verzinsen.

3 Der Fonds hat ausschliesslich zur Bestreitung der jährlichen Zuwendungen des Bundes an die Alters- und Hinterlassenenversicherung nach diesem Gesetz zu dienen.

Art. 55.

Art. 219 des Bundesgesetzes vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs erhält folgenden Zusatz: 1

Zweite Klasse: d. Die Beitragsforderungen der mit der Durchführung des Bundesgesetzes über die Alters- und Hint erlassenenver Sicherung beauftragten kantonalen Versieher ungskasse.

Art. 56.

Soweit die aus der fiskalischen Belastung des Tabaks und der gebrannten Wasser fliessenden Einnahmen des Bundes es gestatten, ist der Bundesrat innert den Grenzen eines von der Bundesversammlung eröffneten Kredites ermächtigt, bedürftigen Witwen und Waisen von Männern, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes gestorben sind, Unterstützungen zu gewähren.

Art. 57.

1 Der Bundesrat ist mit dem Vollzuge dieses Gesetzes beauftragt und erlässt die nötigen Ausführungsbestimmungen.

2 Der Bundesrat setzt den Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes fest, wird es aber erst in Kraft setzen, wenn Bundesgesetze über die Besteuerung des Tabaks und über die gebrannten Wasser in Rechtskraft erwachsen und so die nötigen Mittel für die Deckung der Ausgaben des Bundes gesichert sind.

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Also beschlossen vom Nationalrat, B e r n , den 17. Juni 1931.

Der Präsident: Sträuli.

Der Protokollführer : F. v. Ernst.

Also beschlossen vom Ständerat, B e r n , den 17. Juni 1931.

Der Präsident: Charmillot.

Der Protokollführer: Kaeslin.

Der schweizerische B u n d e s r a t beschliesst: Das vorstehende Bundesgesetz ist gemäss Art. 89, Absatz 2, der Bundesverfassung und Art, 3 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874 betreffend Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse zu veröffentlichen.

B e r n , den 17. Juni 1931.

Im Auftrag des Schweiz, Bundesrates, Der Bundeskanzler : Kaeslin.

Datum der Veröffentlichung: 24. Juni 1931.

Ablauf der Referendumsfrist : 22. September 1931.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung. (Vom 17. Juni 1931.)

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25

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24.06.1931

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