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Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Krisenhilfe für die Arbeitslosen.

(Vom 27. Oktober 1931.)

Herr Präsident, Hochgeehrte Herren, Wir beehren una, Ihnen hiermit Bericht und Antrag zu stellen über Hilfsmassnahmen, die demnächst zugunsten der von der Krise in der Uhrenindustrie betroffenen Arbeitslosen durchgeführt werden sollen, I. Stand der Arbeitslosigkeit.

Die Uhrenindustrie macht zurzeit eine Krise durch, -wie sie -- abgesehen von den eigentlichen Kriegsjahren -- noch nie erlebt wurde. Die angesehensten Fabriken haben ihren Betrieb stark einschränken müssen, es fehlt überall an Aufträgen, und dabei besteht leider keine Aussicht auf baldige Besserung.

Das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit zieht bei den Betriebsinhabern regelmässig Erkundigungen über den Geschäftsgang ein. Im letzten Quartal des Jahres 1928 meldeten noch 97,e % der erfassten Betriebe in der Uhrenindustrie einen guten oder befriedigenden Geschäftsgang. Diese 97,6 % der Betriebe beschäftigten damals 99,7 % der in Betracht fallenden Arbeiter. Seit dem vierten Quartal des Jahres 1929 lauten diese Berichte immer ungünstiger, und im /weiten Quartal des Jahres 1981 waren 86,8 % der kontrollierten Betriebe mit 98,8 % der erfassten Arbeiter schlecht beschäftigt. Zum Vergleich kann darauf verwiesen werden, dass im zweiten Quartal des Jahres 1929 nur 9 % der Betriebe mit l,g % der Arbeiter schlecht beschäftigt waren. Wir verweisen zur Erläuterung dieser Zahlen auf die im Anhang abgedruckte graphische Darstellung Nr. I.

Dieser krisenhafte Zustand hat natürlich die Zahl der arbeitslosen Uhrmacher gewaltig anschwellen lassen. Während der ersten drei Quartale

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des Jahres 1929 hatte man in der Schweiz nie mehr als 800 arbeitsuchende Arbeiter der Berufsgruppe «Uhrenindustrie und Bijouterie» gezählt; im Dezember 1929 waren plötzlich 1100 stellensuchende Uhren- und Bijouteriearbeiter angemeldet, und von diesem Zeitpunkt an stiegen die Zahlen beängstigend rasch an. Ende 1980 war das vierte Tausend überschritten und bis zum Juni 1931 erfolgte ein weiterer Anstieg auf 4752 (Juni 1980: 2496, Juni 1929: 188;-vgl. die graphische Darstellung Nr. II).

Allein noch viel stärker als die Zahl der vollständig Arbeitslosen hat diejenige der Teilarbeitslosen zugenommen. Dies wird ersichtlich aus den Angaben der Arbeitslosenkassen: Von 1000 versicherten Uhrenarbeitern waren Ende Juni 1929 nur 11 teilweise arbeitslos ; Ende Juni 1930 waren os schon 874 und Ende Juni 1931 gar 568! In absoluten Zahlen ausgedrückt: es waren Ende Juni 1929: 48 Mitglieder von Arbeitslosenkassen aus dem Gebiete der Uhrenindustrie ganz und 289 teilweise arbeitslos; Ende Juni 1931 dagegen zählten diese Arbeitslosenkassen 4467 gänzlich und 15,385 teilweise Arbeitslose. Dabei mues bei Vergleichung der absoluten Zahlen allerdings berücksichtigt werden, dass auch die Zahl der von der Zählung erfassten Kassenmitglieder im gleichen Zeitraum von rund 22,600 auf 27,100 angestiegen ist. Zur Veranschauliohung der Verhältnisse verweisen wir auf die graphische Darstellung Nr. III, Es steht somit fest, dass die Uhrenindustrie von einer in ihrem Ausmass außerordentlich heftigen Krise erfasst worden ist, welche weit hinaus geht über den Durchschnitt des krisenhaften Zustandes, unter welchem gegenwärtig alle übrigen Zweige unserer Wirtschaft leiden. Diese Krise begann Ende des Jahres 1929 und ist bis heute beständig angeschwollen.

Es ist selbstverständlich, dass diese Krise -- abgesehen von ihren wirtschaftlichen Folgen --· sehr bedenkliche soziale Auswirkungen für die beteiligte Arbeiterschaft zur Folge hatte.

Die Zentren unserer Uhrenindustrie weisen sehr wenig andere Industrien auf. Gewerbe und Kleinhandel dieser Gegenden leben indirekt auch ausschliesslich von der Uhrenindustrie; denn ihr Käufer ist der Uhrenarbeiter, und je weniger dieser verdient, um so weniger kann er ausgeben.

Die Möglichkeit, für den Uhrenarbeiter in Zeiten der Arbeitslosigkeit eine andere Beschäftigung zu finden, ist deshalb sehr
beschränkt, denn alle andersartigen Arbeitsgelegenheiten seines Gebietes leiden, sobald eine Uhrenkrisis hereinbricht, ebenfalls an Arbeitslosigkeit.

In den ersten Monaten der Krise mochte der Arbeiter noch Ersparnisse haben. Diese wurden aber aufgebraucht und sie reichten natürlich nicht hin.

um längere Zeit daraus zu leben. Die statistischen Feststellungen haben ergeben, dass dio arbeitslosen Uhrmacher zur Mehrzahl den mittleren Altersklassen angehören; vermutlich haben die Betriebsinhaber, anerkennenswerterweise, mit der Entlassung älterer Arbeiter zurückgehalten, und die

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ganz jungen sind teilweise in andere Gegenden oder Erwerbsgebiete abgewandert.

Gerade diese Arbeiter mittleren Alters haben aber gewöhnlich für eine Familie zu sorgen.

Ein erheblicher Teil der Uhrenarbeiterschaft befindet sich somit zurzeit in einer direkt verzweifelten Lage. Verschiedene Faktoren wirken zusammen, um die Krise zu verschärfen und um eine Situation zu schaffen, die zum Aufsehen mahnt xmd die ausserordentliche Hilfsleistungen des Gemeinwesens als unumgänglich erscheinen lässt.

Man hat vielleicht in andern Gegenden der Schweiz Mühe, sich die Lage der arbeitslosen Uhrmacher richtig vorzustellen. Der Grossteil dieser Leute ist vom besten Arbeitswillen beseelt, und doch finden sie keine Arbeit.

Die Gemeinde La Cbaux-de-Fonds zähHe z. B. auf 1. Januar 1931 7SOO Uhrenarbeiter; hiervon waren am 31. August 1931, laut Meldung der Gemeinde, 5289 als ganz oder teilweise arbeitslos bei den Versicherung« kassen eingeschrieben. Dazu kamen 200 Arbeitslose, welche bei Notstandsarbeiten beschäftigt wurden, sowie eine ganze Anzahl kleiner, handwerksmässig arbeitender Unternehmer, welche in keine Versicherungskasse eintreten können; ferner junge Leute, welche ihre Lehrzeit abgeschlossen haben, aber keine Stelle finden und die deshalb auch keiner Arbeitslosenversicherungskasse angehören können. Der Prozentsatz der durch die Krisis zur Arbeitslosigkeit verurteilten Personen ist somit ein erschreckend grosser.

Ähnlich liegen die Verhältnisse in Le Locle ; diese Stadt berechnet, dass auf 81. August 1981 von ihren 4011 Uhrenarbeitern 3889, also 83,M %, ganz oder teilweise arbeitslos waren.

Nicht besser steht es in verschiedenen Gemeinden des Berner Jura ; viele Juradörfer sind ausschliesslich auf dio Uhrenindustrie eingestellt, und wenn eine Uhrenkrise hereinbricht, steht das wirtschaftliche Leben einfach still.

Die Geistesverfassung der arbeitslosen Uhrmacher in all diesen Ortschaften ist, begreiflicherweise, eine äusserst gedrückte. Das «Stempeln»-]assen, der tägliche Gang zur Kontrollstelle, ist für einen Bürger, der arbeiten könnte und arbeiten wollte, demütigend und demoralisierend. Man triff t denn auch oft Leute, die sich mit Energie dagegen sträuben, die Arbeitslosenkasse in Anspruch zu nehmen. Schliesslich bleibt aber für den Arbeiter, insbesondere wenn er für eine Familie zu sorgen hat,
kein anderer Ausweg. Der Wegfall jeder Arbeit zermürbt, wenn er wochen- und monatelang dauert, den Arbeitslosen geistig und seelisch vollständig.

Es gibt Uhrenarbeiter, welche nicht nur seit Monaten, sondern seit mehr als einem Jahre arbeitslos sind. Diese Leute verdienen wirklich das Mitleid und die Mithilfe derjenigen, die ein gütiges Geschick vor einem solchen Schicksal bewahrt hat; denn von einer subjektiven Schuld der betroffenen Arbeits. losen kann aus den oben erörterten Gründen nur in Ausnahmcfällen gesprochen werden.

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II. Tätigkeit der Arbeitslosenversicherungskassen.

Es war natürlich in erster Linie Sache der Arbeitslosenversicherungskassen, einzuspringen und den arbeitslosen Uhrmachern die ihnen gebührenden statutarischen Leistungen auszurichten. Das Bundesgosetz über die Beitragsleistung a,n die Arbeitslosenversicherung vom 17. Oktober 1924 bestimmt m Art. 2, III, e, die Dauer der Bezugsberechtigung des Versicherten gegenüber der Kasse solle in der Regel innert 360 Tagen 90 Tage nicht übersteigen. Die Versicherungskassen bezahlten also zunächst die ihnen obliegenden statutarischen Taggelder während 90 Tagen.

Angesichts der oben geschilderton Verhältnisse im Uhrengebiet war es aber unmöglich, den Versicherten nachher seinem Schicksal zu überlassen.

Die Bezugsdauer musste vielmehr, wie dies im Gesetz für leiten andauernder Krise vorgesehen ist, verlängert werden.

So wurde durch Bundesratsbeschluss im Gebiete der Uhrenindustrie die .Bezugsdauer zunächst auf 120 Tage verlängert, später auf 150 Tage, dann auf 180 Tage und schliesslich -- für den Kanton Neuenburg -- auf 210 Tage im Jahr.

Die dadurch den Kassen erwachsende Pflicht, die Arbeitslosenunterstützung statt wahrend 90 Tagen während 180 und 210 Tagen auszurichten, nahm natürlich die Geldmittel dieser Kassen ausserorderitlich stark in Anspruch. Im Gebiete der Uhrenindustrie sind zurzeit 85 Versicherungskassen tätig, davon 12 öffentliche, 8 private einseitige und 15 private paritätische. Wahrend die Auszahlungen dieser Kassen noch im Jahre 1929 normale waren, haben sie im Jahr 1980 die Summe von insgesamt Fr. 7,703,200 erreicht. Im laufenden Jahre ist die Zahl der gänzlich oder teilweise arbeitslosen Kassenmitglieder auf über 50 % der Kassenangehörigen der Uhrenindustrie gestiegen. Dies hatte, .zusammen mit der verlängerten Bezugsfrist, zur Folge, dass im ersten Halbjahr des Jahres 1931 die Gesamtauszshlungen der Kassen auf über 8,900,000 Franken angewachsen sind, also auf einen Betrag, der um eine Million grösser ist als die Auszahlungen während des glänzen Jahres 1930.

Man kann bei den Arbeifcslosenversicherungskassen eigentlich nicht von ·einer versicherungstechnischen Grundlage sprechen. Soweit aber den Prämienansätzen Berechnungen zugrunde Hegen, beruhen diese auf der Annahme, dass die Kasse dem Versicherten in der ïlegel 90 Taggelder im Jahr
auszurichten habe. Es ist selbstverständlich, dass diese Berechnungen vollständig über den Haufon geworfen werden, wenn die Kasse dauernd und an einen Grossteil ihrer Mitglieder wahrend viel längerer Zeit Taggelder ausbezahlen muss.

Diese Umstände hatten zur Folge, dass den Kassen höhere Subventionen ausgerichtet werden musston. Gestützt auf Art. 4, Abs. 2, des Gesetzes über die Boitragsleistung an die Arbeitslosenversicherung hat die Bundesversammlung den Subventionssatz für die arbeitslosen Angehörigen der Uhrenindustrie schon für das Jahr 1930 um 10 % erhöht. Die gleiche Erhöhung

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ist am 23. September 1981 auch für das Jahr 1931 beschlossen worden1).

Die paritätischen und öffentlichen Versicherungskassen der Uhrenindustrie erhalten demgemäss eine Bundessubvention von 50 % der ausbezahlten Taggelder, die übrigen Kassen erhalten 40 %. Dazu kommen die Subventionen der Kantone und Gemeinden, so dass durchschnittlich 80 bis 90 % der durch die Versicherungskassen an Uhrenarbeiter ausbezahlten Leistungen durch öffentliche Subventionen gedeckt sind; die Kassen bezahlen aus ihren eigenen Mitteln bloss 10 bis 20 % der Taggelder.

So verteilen die Kassen an ihre Mitglieder zum weitaus grössten Teil nicht eigene Geldmittel, sondern Gelder der Öffentlichkeit; die Taggelder werden nicht, wie man anzunehmen versucht sein könnte, zur Hauptsache aus den Prämienleistungen bestritten, sondern zu 80 bis 90 % durch Gemeinde, Kanton und Bund den Kassen zur Verfugung gestellt.

Allein auch die Deckung dieser verbleibenden 10--20 % macht den Versicherungskassen grosse Mühe. Ihre Vertreter haben mit Bestimmtheit erklärt, dass es ihnen für das Jahr 1932 gänzlich unmöglich sein werde, eine Bezugsdauer von mehr als 150 Tagen zuzugestehen. Die Finanzlage verschiedener Kassen ist schon jetzt eine sehr gespannte geworden.

Es wird somit im nächsten Jahre unmöglich sein, das heute angewendete System beizubehalten; durch eine Verlängerung der Bezugsfristen kann den arbeitslosen Uhrenarbeitem im Jahre 1982 nicht wirksame Hilfe gebracht werden.

m. WarteMsten und Warteîristunterstutzungen der Kantone.

Trotzdem die Bezugsdauer nach und nach bis auf 210 Tage erhöht wurde, verbleiben immer noch 90 Arbeitstage im Jahr, während welchen der vollständig Arbeitslose von seiner Versicherungskasse nichts erhält. Man sah bald ein, dass es unzweckmässig wäre, dem Versicherten 210 Taggelder ununterbrochen auszubezahlen und ihm die Sorge dafür zu überlassen, wie er sich mit seiner Familie während der verbleibenden 90 Tage durchschlage. Die Gefahr bestund, dass der Versicherte sein Taggeld, sobald es ihm ausgerichtet wurde, aufbrauchte, und dass er nachher vollständig mittellos dagestanden wäre.

Dieses Taggeld beträgt ja für Mitglieder mit gänzlicher Unterstützungspflicht höchstens 60 % des ausfallenden Verdienstes, für andere höchstens 50 %.

Die Gefahr, dass der Versicherte es zu seinem Unterhalt voll verwendete, lag also ohne weiteres auf der Hand.

Um dieser Gefahr vorzubeugen, wurden die 180 bzw. 210 Bezugstage auf das ganze Jahr verteilt, in der Weise, dass jeweilen nach 21 Bezugstagen eine Wartefrist eingeschaltet wurde, während welcher der Versicherte nichts erhielt.

*) Beachlusa der Bundesversammlung über die Erhöhung des Bundesbeitragea an die Arbeitelosenkasseu notleidender Industrien, vom 23. September 1931 (Gesetzsammlung, Bd. 47, S. 659).

449 Sie betrug im Winterhalbjahr 6 Tage, im Sommerhalbjahr 12 Tage; man hoffte, ihre Einschaltung werde auch einen günstigen Einfluss auf den Arbeitswillen der Bezüger ausüben.

Diese Wartefristen wurden seinerzeit in allseitigem Einverständnis der Arbeitslosenversicherungskassen und der verschiedenen Subvenienten eingeführt; es hat sich aber nachträglich erwiesen, dass sie auch ihre Schattenseiten haben. Für viele Versicherte, insbesondere für Familienvater, erwiesen sie sich als sehr harte Massnahme. Den Leuten wäre besser geholfen durch eine kleinere, aber ununterbrochen ausgerichtete Unterstützung. Die Hoffnung, die Arbeitslosen könnten während der Wartefristen anderweitig Arbeit finden, erwies sich, mit Kücksicht auf die eingangs geschilderten Verhältnisse in den andern Erwerbszweigen des Uhrengebietes, mehr oder weniger als illusorisch.

So wurden Gemeinden und gemeinnützige Organisationen gezwungen, den Arbeitslosen während der Wartefristen beizustehen. Es mussten besondere U n t e r s t ü t z u n g s a k t i o n e n durchgeführt werden, und der Bund hat sich der Verpflichtung nicht entziehen können, auch hier mitzuhelfen. Im Frühjahr 1931 richtete der Kanton Neuenburg, unter Hinweis auf die andauernd schwere Belastung der Gemeinden im Krisengebiet, an den Bund das dringende Gesuch um eine Beitragsleistung. In der Folge haben auch die Kantone Solothurn und Bern dargelegt, dass sie für die Auszahlung der erforderlichen «Wartofristunterstützungen» auf eine Beteiligung des Bundes angewiesen seien. Aul Grund verschiedener Bundesratsbeschlüsse hat der Bundesrat aus dem Fonds für Arbeitslosenfürsorge dem Kanton Neuenburg für die Monate April bis August je Fr. 20,000 zugewiesen und ab 1. September 1931 für die Kantone des Uhrengebietes insgesamt eine Stimme von Fr. 60,000 per Monat zur Verfügung gestellt. Die Art der Verteilung dieser Gelder blieb den Kantonen überlassen; es wurde nur zur Bedingung gemacht, dass auch die Kantone und Gemeinden einen entsprechenden Teil der Aufwendungen übernehmen. Bereits wird aber darauf hingewiesen, dass diese Bundeshilfe nicht genüge.

IV. Notwendigkeit einer Neuregelung.

Wir stehen somit vor der Situation, dass einerseits die Arbeitslosenkassen Gelder vorteilen, die nur zum kleinsten Teil durch sie selbst, zum grössten Teil aber durch die Allgemeinheit aufgebracht
werden, und dass andererseits, trotz der hohen Subventionen, die Arbeitslosenkassen die Aufgabe nicht zu lösen vermögen, eine genügende Fürsorge während dos ganzen Jahres für die durch die Krise unverschuldet arbeitslos gewordenen Uhrenarbeiter zu schaffen.

Der gegenwärtige Zustand hat auch augenscheinliche Unbilligkeiten zur Folge. Die Leistungen der Arbeitslosenkassen an ihre Mitglieder sind bekanntlich sehr verschieden hoch; einzelne Kassen bezahlen Taggelder in der Höhe des gesetzlichen Maximums (50 % bzw. 60 % des Verdienstausfalles), andere sind in ihren Ansätzen viel tiefer. Nachdem nun die Mittel für diese Taggelder zum grössten Teile von der Allgemeinheit aufgebracht werden, ist es ungerecht,

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dass je nach der Kasse, der ein Arbeitsloser angehört, er einen viel grössern oder viel kleinern Teil der zur Verfügung gestellten Subventionen erhält.

Das Ansehen der Arbeitslosenversicherung und die ordnuagsgemässe Durchführung der für sie massgebenden Vorschriften werden ferner gefährdet, wenn die Kassen auf die Dauer fast ausschliesslich ö f f e n t l i c h e Mittel unter der Bezeichnung «Versicherungsleistungen» ausrichten. Auch die beteiligten Kantone dringen deshalb auf eine Neuordnung des Unterstützungswesens.

Diese Neuordnung könnte auf ruhigere Zeiten verschoben werden, wenn Aussicht bestünde, dass die Krise im Uhrengebiet bald abnähme. Diese Aussicht besteht leider nicht. Es muss zum mindesten mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass die Krise auch im Jahre 1932 anhält. Da der gegenwärtige Zustand unhaltbar ist, muss somit die erforderliche Ergänzung der Gesetzgebung auf Beginn des nächsten Jahres in Kraft treten können.

Die Regelung, welche wir Ihnen durch den nachfolgenden Beschlussesentwurf vorschlagen, ist vom eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement mit Vertretern der Eegierungen von Bern, Solothurn, Neuenburg und Genf einlässlich besprochen und durchberaten worden. Er wurde vom Bundesamt für Industrio, Gewerbe und Arbeit auch den Vertretern der interessierten Arbeitslosenversicherungskassen vorgelegt. Sowohl die Vertreter der Kantone als diejenigen der Kassen haben sich mit der beabsichtigten Neuordnung in allen wesentlichen Punkten einverstanden erklärt.

V. Die geplante Neuordnung.

Das Bundesgesetz über die Beitragsleistung an die Arbeitslosenversicherung vom 17. Oktober 1924 besteht und kann nicht von heute auf morgen abgeändert werden. Es sind zwar von verschiedener Seite Anregungen auf eine Abänderung dieses Gesetzes gemacht worden ; diese werden aber besser in einer ruhigeren Zeit und nicht unter dem Eindruck einer allgemeinen Wirtschaftskrise geprüft werden. Es wäre auch unzweckmassig, den Versicherungskassen jetzt, in den Zeiten lebhafter Tätigkeit, Statutenänderungen und Änderungen der Organisation, wie sie eine Gesetzesrevision voraussichtlich im Gefolge haben wird, zuzumuten. Das Gesetz hat sich übrigens in seinen Grundlagen als brauchbar erwiesen, so dass kein dringendes Bedürfnis nach einer Bevision besteht.

Dagegen soll die Wirksamkeit dieses Gesetzes --·
und damit die Tätigkeit der Versicherungskassen -- auf das zurückgeführt werden, was seinem Sinn und Wortlaut entspricht, nämlich auf die Leistung von Taggeldern während eines Zeitraumes, der den Prämieneinnahmen der Kassen einigermassen entspricht. Die Bezugsdauer für die Kassonmitglieder soll deshalb vom 1. Januar 1982 an 90 Werktage dauern und zunächst nicht verlängert werden. Der Versicherte, welcher die Kassenleistungen während 90 Tagen bezogen hat, soll hierauf -- sofern er bedürftig ist und wirklich keine Arbeit finden kann --

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eine als K r i s e n u n t e r s t ü t z u n g bezeichnete Geldleistung erhalten, welche durch Bund, Gemeinden und Kantone gemeinsam aufzubringen ist, und für deren Bemessung der Bundesrat einheitliche Maximalansätze aufstellen -wird.

Jeder Versicherte, gleichgültig welcher Kasse er angehöre, erhält die gleiche Krisenunterstützung, sofern bei ihm die gleichen Voraussetzungen in bezug auf Unterstützungspflicht, Kinderzahl usw. zutreffen. Die Organisation der Krisenunterstützung im einzelnen ist Sache der Kantone. Diese werden auch die Auszablungsstellon bezeichnen. Der Bundesrat wird sich darauf beschränken, gewisse Voraussetzungen allgemeiner Art festzusetzen.

Eine Verlängerung der Bezugsdauer gegenüber den Versicherungskassen, wie eie in Art. 2, III, e, des Beitragsgesetzes vorgesehen ist, soll während des Sommers nicht verfügt werden. Der Arbeitslose, der die ihm statutarisch zugesicherten 90_Xaggeld.er_be70gen hat, soll während der Sommermonate vielmehr mit der Krisenunterstützung auskommen. Erst vom 15. Oktober an wird der Bundesrat, soweit dies angezeigt erscheint, eine Verlängerung der Bezugsfrist bis auf hochBtens_L5j)_ïage verfügen. Auf diese Weise ist die Möglichkeit geschaffen, dem Arbeitslosen während der "Wintermonate, in denen er weniger leicht irgendeine Aushilfsarbeit finden kann, und in denen er mehr braucht, die im allgemeinen höhere Kassenleistung zuzuhalten.

Der g ä n z l i c h Arbeitslose erhält somit vom 1. Januar 1932 an während 90 Arbeitstagen, also ungefähr bis Mitte April, das statutengemässe Taggeld von seiner Versicherungskasse; nachher, während des Sommers, die KrisenUnterstützung und schliesslich, vom 15. Oktober weg, wiederum das Taggeld der Kasse, soweit er nicht zeitweise Arbeit findet. Es ist -wahrscheinlich, dass ein Teil der Versicherten diese letzten 60 Taggelder nicht mehr voll bezieht, sondern zeitweise irgendeine Beschäftigung findet. Die Versicherungskassen stellen sich also günstiger, als bei einer schon im Frühjahr verfugten Verlängerung der Bezugsdauer auf 150 Tage. Immerhin ist zu erwarten, dass sie die 10 % Erhöhung der Bundessubvention gomass Art. 4, Abs. 2, des Gesetzes auch für das Jahr 1982 nötig haben werden und zwar deshalb, weil die Teilarbeitslosen die Kassen ziemlich stark belasten, und weil man dieser Kategorie von Mitgliedern den Bezug der
Kassenleistungen über den 15. April hinaus, bis zu vollen 90 Arbeitstagen, nicht wird verweigern können. Jedes Kassenmitglied hat eben gemäss Statuten und Gesetz Anspruch auf 90 volle Taggelder.

Die Neuregelung bedeutet eine sehr notwendige Klärung der Verhältnisse.

Die Kassen werden in Zukunft als Versicherungsleistungen nur diejenigen Beiträge verteilen, die wirklich nach Statuten und Gesetü als solche bezeichnet werden^Wfinen. Was dagegen ausschliessh'ch durch Subventionen der Gemeinwesen aufgebracht wird, kommt dem Arbeitslosen nicht mehr als «Versicherungsleistung», sondern als «Krisenunterstützung» zu, so dass es als Leistung der Öffentlichkeit erkennbar wird.

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VI. Erleichterung für schwer belastete Gemeinden.

Das bisherige System der Arbeitslosenfürsorge, -wonach die Bezugsfristen beständig verlängert -wurden, kann auch mit Bücksicht auf die Finanzlage der Gemeinden unmöglich beibehalten werden. Wir haben eingangs unter I darauf verwiesen, welch erheblicher Prozentsatz der Arbeiterschaft dieser Gemeinden unter der Arbeitslosigkeit leidet. Entsprechend gross ist die Belastung der Gemeinwesen durch ihre gesetzlichen und statutarischen Beiträge an die Arbeitslosenversicherung, durch Notstandsarbeiten und durch die unmittelbare Unterstützung bedürftiger Arbeitsloser.

In erster Linie erfordern die kommunalen Beiträge an die Arbeitslosenversicherungskassen sehr erhebliche Summen, welche mit jeder Verlängerung der Bezugsdauer stark ansteigen.

Die Gemeinde La Chaux-de-Fonds hat z. B. für versicherte Uhrmacher im Jahr 1929 den Arbeitslosenversicherungskassen als Gemeindesubvention ausgerichtet Fr- 44,206. 75 im Jahre 1980 waren es schon » 578,880. 05 und im ersten Halbjahr 1931 beliefen sich diese Gemeindesubventionon auf » 579,210.15 Es ist vorauszusehen, dass sie für das ganze Jahr 1931 den Betrag von einer Million erreichen werden.

Die Gemeinde Le Lo ci e hai als Gemeindesubvention für arbeitslose Uhrmacher bezahlt : im Jahre 1929 Fr. 4,850.-- im Jahre 1930 » 146,449.65 und, bis zum 81. August 193J, als Vorschüsse bis auf 80 % des Gemeindebeitrages » 323,567. --· Le Lode wird für das ganze Jahr 1981 mit einer Subvention von mindestens Fr. 425,000 zu rechnen haben.

Auch für die Gemeinde Grenchen betragen die Subventionen an die Arbeitslosenversicherungskassen im Jahre 1931 rund Fr. 290,000.

Ähnlich werden durch die Beiträge an die Arbeitslosenversicherung verschiedene Gemeinden des Berner Jura in ausserordentlicher Weise belastet.

So verzeichnen beispielsweise die nachstehenden Gemeinden für die Jahre 19SO und 1981 die folgenden hohen Subventionsauslagen: 1930

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Tramelan-Dessus Fr. 50,548 Fr. 125,000 bis Fr. 130,000 Tavannes » 43,551 » 110,000 » » 115,000 Villeret » 14,916 rund Fr. 75,000.

Die Belastung pro Kopf der Wohnbevölkerung, die aus der Beitragsleistung an dio Arbeitslosenkassen entsteht, erreicht z. B. für die Gemeinde Villeret im Jahre 1931 den Betrag von rund Fr. 58.--.

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Zu diesen durch Gesetz und Statuten festgelegten Subventionen kommen in vielen Gemeinden besondere Unterstützungsaktionen während der Wartefristen. Wir verweisen hierfür auf das oben unter V Ausgeführte.

Die Gemeinde La Chaux-de-Fonds hat in den Monaten April bis August 1931, trotz sorgfältigster Überprüfung aller Gesuche, für Wartefristunterstützungen die Summe von Fr. 198,669 auszahlen müssen; nach Abzug der Bundes- und Kantonssubvention von zusammen Fr. 88,158 blieb zu ihren Lasten ein Saldo von Fr. 111,311, zu dessen teilweiser Deckung sie gezwungen war, um eine weitere Bundeshilfe nachzusuchen.

Einzelne Gemeinden melden auch eine starke Zunahme dei Armenunterstützungen, die zum guten Teil auf die Fürsorge für luchtversicherte oder ausgesteuerte Arbeitslose zurückzuführen ist. So haben sich z. B. in der Gemeinde Grenchen die Armenlasten schon im Jahre 1980 um Fr, 41,108 vermehrt; die Gemeinde Lengnau wird im Jahre 1931 an Armenunterstützung rund 17,500 Franken aufzuwenden haben gegenüber Fr. 8100 im Jahre 1930; die Gemeinde Moutier wird im Jahre 1931 mit Fr. 8500 belastet werden gegenüber Fr. 3000 im Jahre 1930 und keinen Unterstützungsauslagen im Jahre 1929.

Darüber hinaus fällt in Betracht, dass alle von der Krise betroffenen Gemeinden in grösserem Masse Notstandsarbeiten an die Hand nehmen müssen, um möglichst vielen Arbeitslosen, wenigstens zeitweise, Arbeit beschaffen zu können. Diese Notstandsarbeîten stellen, trotz der Subventionen des Bundes und der Kantone, weitere erhebliche Anforderungen an die Gemeindefinanzen. Beispielsweise hat die Gemeinde Tavannes vom Januar bis Oktober 1981 einen Betrag von zirka Fr. 50,000 für die Arbeitsbeschaffung ausgelegt; Villeret weist für den entsprechenden Zeitraum eine Aufwendung von Fr. 57,000 auf; Tramelan-Dessus rechnet für das Jahr 1981 mit einem Totalbetrag von Fr. 158,000.

Dabei müssen alle diese Gemeinden, deren Aufwendungen für die Arbeitslosigkeit in beängstigender Weise ansteigen, zusehen, wie ihre Steuereinnahmen stark zurückgehen. Die Haupteinnahmequelle dieser Gemeinden bildet die Einkommensteuer ; es ist aber klar, dass zufolge der Krise das der Besteuerung unterliegende Einkommen der industriellen Unternehmungen stark zurückgeht, und dass auch die Arbeiter nur versteuern können, was sie verdienen. Dazu sind alle übrigen Erwerbszweige
in jenen Ortschaften mit der Uhrenindnstrie derart verflochten, dass ihre Erträgnisse ebenfalls stark abnehmen, was -wiederum die Steuereingänge vermindert. So rechnet z. B. die Gemeinde Grenchen für das Jahr 1931 mit einem Gemeindesteuerrückgang zufolge der Krise von rund Fr, 280,000; in bezug auf den gleichen Zeitraum befürchtet Tavannes einen Steuerausfall von Fr. 40,000, Tramelan-Dessus einen solchen von Fr, 60,000.

Unter allen diesen erschwerenden Umständen ist es nicht verwunderlich, dass die Finanzlage einiger kleiner industrieller Gemeinden eine direkt prekäre geworden ist; aber auch grössere Ortschaften haben Mühe, ihre Finanzen im Bundesblatt. 83. Jahrg. Bd. II.

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Gleichgewicht zu behalten. Die konsolidierte Schuld der Stadt La Chaux-deFonds z. B. ist von Fr. 15,435,000 im Jahre 1913 auf Fr. 80,176,000 im Jahre 1930 gestiegen; im Jahre 1931 musste die Gemeinde zur Konsolidierung schwebender Schulden und um ihre Verpflichtungen einhalten zu können, ein Darlehen von Fr. 6,500,000 aufnehmen. Die Geldmittel, welche zur Verzinsung und Amortisierung der Gemeindeschulden jährlich notwendig sind, belaufen sich auf Fr. 1,981,840 (gegenüber Fr. 805,170 im Jahre 1913). Die Jahresabschlüsse von La Ghaux-de-Fonds zeigen folgendes Bild: 1929 Ausgabenüberschuss Fr. 69,798.64 1930 Ausgabenübersehuss » 980,614.06 Für 1931 befürchtet die Gemeinde einen Ausgabenüberschuss von Fr. 2,000,000. -- In Le Lo e le erfordert die Verzinsung und Amortisation der konsolidierten Schuld im Jahre 1930: Fr. 885,898 (gegenüber Fr. 413,098 im Jahre 1918).

Die konsolidierte Schuld dieser Gemeinde ist von Fr. 7,390,000 im Jahre 1918 auf Fr. 12,252,000 im Jahre 1980 gestiegen. Le Locle wird gezwungen sein, ein weiteres Anleihen von 4,s Millionen Franken aufzunehmen. Die jährlichen Ausgaben für Verzinsung und Amortisation der Gemeindeschulden werden hierauf jährlich rund Fr. 900,000 betragen. Die Gemeindeverwaltung sieht voraus, cîass die Jahresrechnung 1931 angesichts der vielfachen Aufwendungen für die Arbeitslosigkeit mit einem Fehlbetrag von rund Fr. 900,000 abschliessen wird.

Von bernischen Gemeinden seien beispielsweise Tramelan-Dessus und Villeret genannt, deren Schulden ebenfalls seit dem Jahre 1929 beträchtlich angewachsen sind.

Auch für diese sehr bedenklichen Verhältnisse soll die geplante Krisenhilfe etwelche E r l e i c h t e r u n g e n bringen.

Zunächst fallen die Wartefristen dahin und damit auch die Wartefristunterstützungen, welche die Gemeinden bisher ausrichten raussten.

Die Gemeindesubventionen an die Arbeitslosenversicherungskassen bleiben zwar bestehen; allein sie werden nicht mehr während 180 oder gar während 210 Tagen beansprucht werden können, sondern nur noch während höchstens 150 Tagen.

An die Krisenunterstützungen müssen die Gemeinden allerdings auch Beiträge leisten; allein es wird bei der Bemessung des Ansatzes der Bundessubvention möglich sein, den besondern Verhältnissen einzelner Gemeinden einigermassen Rechnung zu tragen. Während nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz
der Bund grundsätzlich für alle Angehörigen eines bestimmten Berufes die gleiche Subvention ausrichten muss, haben wir in Art. 5 des neuen Bundesbeschlusses die Möglichkeit vorgesehen, den Bundesbeitrag je nach der Finanzlage der Gemeinden abzustufen ; der normale Ansatz des Bundesbeitrages von */3 kann in Gemeinden, die zufolge der Industriekrise in eine schlimme

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finanzielle Lage geraten sind, bis auf 2/6 der ausgerichteten Beträge erhöht werden. Sind Gemeinden und Kanton zufolge der Industriekrise in eine besonders schlimme Lage geraten, so kann der Bundesbeitrag die Hälfte der Auszahlungen betragen.

Zur Erläuterung dieser letztgenannten Bestimmung ist darauf zu ·verweisen, dass auch der Kanton Neuenburg unter der Uhrenkrise ganz ausserordentlich leidet. Der Kanton hat an Subventionen an die Arbeitslosenkassen bezahlen müssen: im Jahre 1929 Fr. 64,652.50 im Jahre 1930 » 810,858.61 im ersten Halbjahr 1931, rund » 840,000.-- Die Subventionen an die Arbeitslosenkassen werden die kantonalen -Finanzen im Jahre 1931 mit mindestens Fr. 1,600,000 belasten.

Dazu kommen die Notstandsarbeiten und die Wartefristunterstützungen, an welche der Kanton ebenfalls beitragen muss, so dass Neuenburg insgesamt für das Jahr 1981 mit einem Krisenaufwand von mindestens 2 Millionen zu rechnen hat.

Dabei schliesst die neuenburgische Staatsrechnung seit 1920 regelmässig mit einem Defizit ab. Der Fehlbetrag betrug im Jahre 1930 Fr. 809,679, und er war für 1931 budgetiert mit Fr. 1,640,853.10. Die Staatsschuld ist vom 1. Januar 1914 bis zum I.Januar 1931 von Fr. 27,719,728.31 auf Fr. 43,834,119.84 angewachsen.

Es wird sich, gemäss der Bestimmung von Art. 5 des Beschlussesentwurfes, rechtfertigen, auch diesen besondern Verhältnissen bei der Bemessung des Bundesbeitrages Bechnung zu tragen.

In den Kantonen Bern und Solothurn sind die Verhältnisse nicht ganz so schlimm. Immerhin rechnet der Kanton Solothurn damit, dass seine Staatskasse im Jahre 1931 als Unterstützung an die Arbeitslosenversicherungskassen, für Herbst- und Winterzulagen und als Wartefristunterstützungen einen Betrag von Fr. 1,184,950 werde ausgeben müssen. Im Kanton Solothurn sind in der Zeit vom 26. Mai 1930 bis 15. August 1931 von verschiedenen Gemeinden 64 Notstandsarbeitsprojekte ausgearbeitet worden mit einem Kostenvoranschlag von Fr. 4,128,199 und mit einer Lohnsumme von Fr. 1,317,320. Der Kanton hat hieran bis jetzt Beiträge bewilligt im Totalbetrag von Fr. 545,800. Dazu rechnet der Kanton Solothurn für das Jahr 1931 mit einem Ausfall an direkten Staatssteuern von Fr. 280,000 bis Fr, 250,000; das Staatsvennögen hat sich im Jahre 1930 um Fr. 728,891. 40 vermindert. Für 1931 ist eine weitere bedeutende Verminderung
des reinen Staatsvermögens vorauszusehen. Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hat der Kanton Solothurn ferner grössere Strassenbauarbeiten in Angriff genommen. Derartige Bauten im Kostenbetrage von rund Fr. 2,700,000 befinden sich bereits in Ausführung, für weitere rund Fr. 3,000,000 werden Strassenbauprojekte gegenwärtig vorbereitet. Es kann also festgestellt werden, dass auch der Kanton Solothurn zur Bekämpfung der

456

Arbeitslosigkeit sehr erhebliche Opfer gebracht hat und weiter wird bringen -müssen ; immerhin ist seine Lage nicht so schlimm, wie diejenige des Kantons -Neuenburg.

VII. Ausdehnung auf andere Industrien, Glücklicherweise liegen die Verhältnisse in bezug auf die Arbeitslosigkeit zurzeit bei keiner andern schweizerischen Industrie so arg wie bei der Uhrenindustrie. Freilich ist die Stickerei schon viel früher von der Rrisis ergriffen und ausserordentlich empfindlich getroffen worden. Allein die arbeitslosen Stickereiarbeiter haben zu einem erheblichen Teil in andern Industrien unterkommen können; dabei waren sie allerdings teilweise gezwungen, ihren Wohnsitz zu verlegen. Aus diesem Grunde scheint es augenblicklich nicht notwendig, eine ähnliche Krisenhilfe, wie sie für die Uhrenindustrie eingeführt werden soll, auch für andere Industriezweige vorzusehen.

Sollten die Verhältnisse sich aber erheblich verschlimmern, so kann es auch bei andern Industrien notwendig werden, ähnliche Massnahmen zu treffen.

Damit dies ohne Zeitverlust geschehen kann, möchten wir Ihnen vorschlagen, den Bundesrat durch Art. 2 des Bundesbeschlusses zu ermächtigen, in diesem Falle eine Ausdehnung der Krisenunterstützung auf bestimmte andere Industrien anzuordnen. Diese Ausdehnung soll aber nur dann verfügt werden dürfen, wenn der betreffende Industriezweig unter einer langandauernden, einen erheblichen Teil der Arbeiterschaft in Mitleidenschaft ziehenden Krise leidet.

Es ist ferner möglich, dass eine besondere Krisenhüfe für arbeitslose Hotelangestellte organisiert werden muss. Die Lage der Hotelangestellten ist, wenn sie arbeitslos werden, deshalb besonders schümm, weil nur ganz wenige von ihnen gegen Arbeitslosigkeit versichert sind. Der beständige Wechsel des Arbeitsortes und der saisonmässige Charakter der Arbeit macht es ihnen schwer, einer bestehenden Versicherungskasse beizutreten, und eine besondere schweizerische Arbeitslosonversicherungskasse des Gastwirtschaftsgewcrbes existiert bis heute leider nicht. Sollte deshalb die schweizerische Hôtellerie einer ernsten Krisenzeit entgegen geben, so würden viele Hotelangestellte, die bis jetzt regelmässig Saisonstellen bekleideten, in eine ernste Kollage geraten.

Natürlich wird es auch in diesem Falle in erster Linie Sache der Gemeinden und Kantone sein, für eine Krisenhilfe zu sorgen; möglicherweise wird diese Aufgabe sich aber nur auf interkantonalem Boden in befriedigender Weise lösen lassen, weil viele Hotelangestellte keinen festen
Wohnsitz haben und den Aufenthaltsort oft wechseln. Um diesen besondern Verhältnissen Bechnung tragen zu können, schlagen wir Ihnen vor, in Art. 2, 2. Absatz, vorzusehen, dass der Bund ausnahmsweise auch Beiträge an Krisenhilfen gewähren kann, welche durch interkantonale Verbände ausgerichtet werden. In Präge käme z. B. ein paritätischer Verein oder eine Krisenkasse, an deren Verwaltung die Hotelbesitzer und die Angestellten gemeinsam beteiligt wären.

457 Vili. Notstandsarbeiten.

Seit Beginn der Krise schenkten wir der Frage der Notstandaarbeiten alle Aufmerksamkeit. Der Bundesrat bewilligte seit Ende 1930 namhafte Beiträge aus dem Fonds für Arbeitslosenfürsorge an Notstandsarbeiten, welche die Gemeinden des Uhrengebietes zur Beschäftigung von Arbeitslosen in Angriff nahmen. Für die Zeit von Ende Dezember 1930 bis September 1981 haben im Gebiete der Uhrenindustrie diese Beiträge die Gesamtsumme von Fr. 450,000 erreicht.

Am 4. August 1981 hat der Bundesrat auf Ansuchen der Kantone Neuenburg, Bern, Solothurn und Genf einen weitern Beitrag von insgesamt Fr. 750,000 aus dem gleichen Fonds zur Verfügung gestellt. Nach den uns bis jetzt eingereichten Subventionsgesuchen wird dieser Beitrag nur für einen Teil des Winters 1981/82 ausreichen. Auch die Kantone St. Gallen, Appenzell und Baselland haben sich um Unterstützungen an Notstandsarbeiten beworben; angesichts der Krise in der Stickerei und in der Seidenbandindustrie kann die Berechtigung dieser Gesuche nicht bcstritten werden.

Wir beantragen Urnen heute, einheitliche Richtlinien für die Behandlung solcher Unterstützungsgesuche zu erlassen und dem Bundesrat die nötigen Geldmittel zur Verfügung zu steilen.

Notstandsarbeiten haben den grossen Vorteil, dass der Arbeitslose den Gefahren der Untätigkeit entzogen, und dass er zur Arbeit angehalten wird; anderseits ist im Gebiete der Uhrenindustrie der Beschäftigung durch Notstandsarbeiten dadurch eine Grenze gezogen, dass der lange und rauhe Jurawinter zu einem grössern Unterbruch zwingt, und dass ältere und schwächliche Arbeiter der Uhrenindustrie sich zu Erdarbeiten nicht eignen. Ferner bedeuten Notstandsarbeiten eine verhaltnismässig teure Form der Arbeitslosenunterstützung. Die Erfahrungen während der Krisenjahre 1918/22 haben nämlich bewiesen, dass ein erheblicher Teil dor für Notstandsarbeiten aufgewendeten öffentlichen Mittel nicht, den Arbeitslosen selbst zugute kommt, sondern für andore Leistungen ausgegeben -werden muss. AUE diesem Grunde empfiehlt es sich, bei der Anordnung von Notstandsarbeiten vorsichtig zu sein; auf jeden Fall dürfen nicht volkswirtschaftlich nutzlose Arbeiten erstellt werden.

Während des letzten Winters wurde für die Bemessung des Bvmdesbeitrages an eine bestimmte Notstandsarbeit jeweüen darauf abgestellt, wie,vjeU? Löhne
an ausserberuflich beschäftigte Arbeitslose ausgerichtet worden waren. Wir möchten TEneh "beantragen, an diesem Grundsatz, dor sich im allgemeinen bewährt hat, festzuhalten und den Bundesbeitrag in der Kegel auf 80 % dieser Lohnsumme festzusetzen.

Wenn die Notstandsarboit durch eine Gemeinde ausgeführt wird, sollte vom Kanton in der Hegel verlangt, werden, dass er ebenfalls 30 % der Löhne übernimmt, welche an ausserberuflich bei der Notstandsarbeit beschäftigte Arbeitslose ausgerichtet -werden, dies wenigstens in den Fällen, in welchen der Bund selbst nicht einen geringeren Beitrag leistet.

45â Zu Lasten der Gemeinde würden somit 40 % dieser Löhne verbleiben, sowie die sämtlichen übrigen Aufwendungen, insbesondere die Löhne für Berufsarbeiter, die Honorare für Pläne und Bauleitung, die allgemeinen Unkosten usw. Im allgemeinen wird das durch die Xotstandsarbeit erstellte Werk dieses Opfer der Gemeinde wert sein. Die Finanzlage verschiedener Gemeinden des "Uhrengebietes ist aber, wie oben nachgewiesen, eine derart schlimme, dass man ihnen einen höhern Bundesbeitrag wird gewähren müssen, sofern sie überhaupt in die Möglichkeit versetzt werden sollen, Notstandsarbeiten in Angriff zu nehmen. "Wir möchten Ihnen deshalb beantragen, eine Erhöhung des Bundesbeitrages zu gestatten für Gemeinden, welche unter besonders grosser Arbeitslosigkeit leiden, oder wenn mit der Xotstandsarbeit sehr erhebliche, nicht subventionsberechtigte Aixfwendungen verbunden sind. Wir haben vorgesehen, dass in diesen besondern Fällen der Bundesbeitrag bis auf höchstens 60 % der Lohnsumme für ausserberuflich beschäftigte Arbeitslose ansteigen könnte.

Im übrigen würde, wie dies schon bisher üblich war, darauf gehalten, dass die Notstandsarbeiten nicht zu Lohndrückereien missbraucht werden; die Löhne, welche den bei Notstandsarbeiten beschäftigten Arbeitslosen ausgerichtet werden, sollen den für Hie betreffende Arbeitskategorie ortsüblichen entsprechen. Werden Akkordlöhne entrichtet, so soll dem Notstandsarbeiter mindestens der ortsübliche Stundenlohn zugesichert sein.

um besondern örtlichen Verhältnissen oder einer weitern Entwicklung des Wirtschaftslebens Rechnung tragen zu können, sehlagen wir Ihnen endlich vor, den Bundesrat zu ermächtigen, an die Ausrichtung - der Bundesbeiträge an Notstandsarbeiten weitere Bedingungen zu knüpfen,IX. Umschulung.

Es ist ferner der Gedanke erwogen worden, die arbeitslosen Uhrmacher in andere Erwerbsgebiete überzuleiten. Dem steht die Tatsache entgegen, dass zurzeit fast überall ein Überangebot an Arbeitskräften besteht. Immerhin beschäftigt die Schweiz noch eine grössere 2
Die Umlernung überzähliger Arbeitnehmer ist deshalb eine Aufgabe, die als dauernd wirkende Krisenmassnahme alle Aufmerksamkeit verdient. Dies
um so mehr, da nach dem Urteil von Sachverständigen die Uhrenindustrie zufolge der beständig fortschreitenden Mechanisierung auch nach einer Besserung der Wirtschaftslage den frühern Bestand an Arbeitskräften nicht wird beschäftigen können. Entsprechende Versuche sind bisher durch kantonale und kommunale Körperschaften sowie durch private Organisationen in Angriff genommen worden; in Betracht fällt beispielsweise die Vorbereitung weiblicher Arbeitskräfte für die Hauswirtschaft und die Ausbildung geeigneter männlicher Arbeitnehmer für den Maurerberuf, möglicherweise auch für das Gastwirt-

459

Schaftsgewerbe. Immerhin wird man nach dieser Bichtung mit einer gewissen Umsicht vorgehen müssen.

Der vorliegende Bundesbeschluss gibt in Art. 17 dem Bundesrat die Befugnis, die Bestrebungen zur Überleitung von Arbeitslosen in andere Erwerbsgebiete finanziell zu unterstützen. Es handelt sich dabei im wesentlichen um die Subventionierung von Umschulkursen. Die Höhe des Subvention .satzes wird, wie die Subventionsbedingungcn selbst, vom Bundesrat erst in einem spätem Zeitpunkt festgestellt werden können, weil gegenwärtig ein Überblick über die in Betracht fallenden Projekte fehlt.

Alle andern Krisenmassnahmen vermögen somit die geplante Krisenunterstützung keineswegs zu ersetzen. Diese drängt sich, angesichts der katastrophalen Lage der Uhfenindustrie als unumgängliche Notwendigkeit a u f .

X. Finanzielle Auswirkungen.

Die finanziellen Auswirkungen des vorliegenden Bundesbeschlusses hängen wesentlich davon ab, wie sich der Arbeitsmarkt im Jahre 1932 gestalten wird. Die Zahl der Arbeitslosen ist massgebend für die Leistungen, welche dem Bunde obliegen werden. Ea ist deshalb unmöglich, schon jetzt eine genaue Berechnung vorzulegen.

Soweit der Bunde=beitrag pn die Krisenhilfe den Normalansatz von 1I3 nicht übersteigt, wird keine starke Mehrbelastung für den Bund gegenüber dem gegenwärtig bestehenden Eechtszustand eintreten; denn was an Subventionen für die Krisenunterstützung ausgelegt werden muss, kann anderseits zum grossen Teil auf den Subventionen an die Arbeitslosenkassen eingespart werden.

Allerdings werden keine Wartefristen mehr bestehen, aber dafür wird der Ansatz der Rrisenunterstützung geringer sein, als die Taggelder vieler Versicherungskassen ; ferner fallen mit den Wartefristen natürlich auch die Wartefristunterstützungen, an welche der Bund beisteuern musste, dahin.

Tu denjenigen Gemeinden, in -welchen der Ansatz der Bundessubvention für die Krisenhilfe auf 40 % oder sogar auf 50 % erhöht werden muss, gestaltet sich der Vergleich mit dem gegenwärtigen Zustand für die Bundeskasse allerdings ungünstiger. Es ist schwierig, voraus zu berechnen, in welchem Masse der Bundosrat von dieser Ausnahmebestimmung wird Gebrauch machen müssen.

Vermutlich wird die Ausgabe, welche die Ausrichtung von Krisenunter.stützungen im Gebiete der Uhrenindustrie für den Bund im Gefolge hat, mindestens
Fr. 2,500,000 betragen.

Ob und in welchem Umfange weitere Auslagen dadurch erwachsen, dass die Krisenunterstützung auch andern Industriezweigen gewährt werden muss, hängt von der gesamten Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse ab.

Der Knanzbedarf für die Subventionen an Notstandsarbeiten lässt sich nicht gut zum voraus berechnen; er hängt nicht nur von der Entwicklung der

460 wirtschaftlichen Verhältnisse ah, sondern auch davon, inwieweit die Kantone und Gemeinden solche Arbeiten unternehmen. Wie oben unter VIII ausgeführt, hat der Bundesrat bis jetzt zwei Kredite von Fr. 450,000 und von Fr. 750,000 f lie die Unterstützung von Notstandsarbeiten gewährt ; zusammen werden also bis Ende 1981 ungefähr Fr.1,200,000 dem Fonds für Arbeitslosenfürsorge für Beiträge an Notstandsarbeiten entnommen werden. Für die Dauer des gegenwärtigen Bundesbeschlusses, also bis Ende 1988, werden schätzungsweise mindestens weitere Fr. 5,000,000 beansprucht werden. Wir beantragen Ihnen deshalb, einen Kredit in dieser Höhe für die Unterstützung von Notstandsarbeiten zu eröffnen.

Für die Förderung der Umlernung von Arbeitslosen, gemäss Art. 17 des Bundesbeschlussentwurfes, dürfte voraussichtlich eine Summe von Fr. 500,000 genügen.

Unter Hinzurechnung der gesetzmässigen Bundessubventionen an die Arbeitslosenkassen, welche im Jahre 1931 rund 15 Millionen betragen werden, müssen somit die durch die Arbeitslosigkeit dem Bunde im Jahre 1932 insgesamt erwachsenden Auslagen auf ungefähr Fr. 20,500,000 geschätzt werden.

XI. Bemerkungen zu den einzelnen Vorschriften.

Zu Art. 1. Die Beitragsleistung des Bundes hat zur Voraussetzung, dass die Kantone eine Krisenunterstützung einführen und sie im Rahmen der im Bundesbeschluss niedergelegten Grundsätze gestalten.

Zu Art. 2. Für den Fall, dass die Krise sich in der Folgezeit auf weitere Erwerbsgebiete ausdehnen und einen grossen Teil der Arbeitnehmer anderer Industrien hartnäckig in Mitleidenschaft ziehen sollte, ist dem Bundesrat die Möglichkeit eingeräumt worden, auch für die Angehörigen anderer Industrien entsprechende Massnahmen zu treffen. In erster Linie ist die Krisenhilfe jedoch für die Uhrenindustrie bestimmt.

Ausnahmsweise sollen auch Hilfsmassnahmen von interkantonalen privaten Verbänden durch Bundesbeiträge erleichtert werden können (vgl. VII, letzter Absatz, hiervor).

Zu A r t . 8. Die Krisenunterstützung darf im allgemeinen nur den in einer anerkannten Versicherungskasse ausgesteuerten, bedürftigen Arbeitslosen zukommen. Ausnahmen sind vorgesehen für Arbeitslose, die zwar einer Kasse angehören, jedoch die Karenzfrist zur Erlangung der erstmaligen Bezugsberechtigung noch nicht erfüllt haben, oder die aus äussern Gründen nicht in die
Arbeitslosenversicherung aufgenommen worden sind. Die letztgenannte Ausnahmemöglichkeit wird namentlich in Frage kommen für die sogenannten Zwischenmeister, sofern ihre Beschäftigung derjenigen der unselbständigen Arbeitnehmer verwandt ist, und die Voraussetzng der Bezugsberechtigung für sie feststellbar sind. -- Ausserdem besteht die Möglichkeit, dass Art. 3, Absatz 2 auf das Hotelpersonal zur Anwendung gebracht werden muss, weil

461 .im Rahmen der bisherigen Gesetzgebung die Hotelangestellten zufolge ihrer besondern Erwerbsverhältnisse nur in beschränktem Masse Zutritt zu den Arbeitslosenkassen finden können.

Im Gegensatz zu den Leistungen der Arbeitslosenversicherung bleibt die Krisenunterstützung auf bedürftige Arbeitslose beschränkt. Da von den beteiligten Kantonen ein einheitliches Vorgehen gewünscht worden ist, wird der Bundesrat im Zusammenhang mit andern Ausführungsvorschriften die Voraussetzungen bestimmen, unter welchen eine bedrängte Lage des Arbeitslosen anzunehmen ist. Die entsprechende Regelung wird sich voraussichtlich an die in der Krisenzeit 1918/1922 geübte Praxis anlehnen.

Zu Art. 4. Eine weitere wichtige Voraussetzung der Bezugsberechtigung bildet die Arbeitsbereitschaft und die Arbeitswilligkeit. Für die Feststellung, ob ein Unterstützungsansprecher sich genügend um Arbeit bemüht und die Pflicht zur Annahme einer ihm zugewiesenen Arbeit in gebührender Weise erfüllt, werden im allgemeinen die im Bundesgesetz über die Beitragsleistung an die Arbeitslosenversicherung (Art. 2, III,lit.. /) und in der dazugehörigen Verordnung I (Art. 9 und 10) niedergelegteRichtlinienen massgebend sein. Im Hinblick darauf, dass die Uhrenindustrie auch nach der Krise kaum mehr alle bisherigen Arbeitskräfte wird aufnehmen können, soll eine strenge Kontrolle in bezug auf die Pflicht zur Übernahme ausserberuflicher Arbeit durchgeführt werden. Der Bundesrat wird in Ausführungsvorschriften die Zusammenarbeit zwischen den Arbeitsnachweisstellen und den mit der Auszahlung der KrisenUnterstützung betrauten Organen näher regeln.

Zu Art. 5. Die finanzielle Beteiligung des Bundes soll im allgemeinen /3 der als Krisenunterstützung ausgerichteten Beträge umfassen. Dabei wird vorausgesetzt, dass die betreffenden Kantone und Gemeinden für die übrigen 2 /3 aufkommen.

Wie oben unter VI, 8.452 ff. näher ausgeführt worden ist, muss der Ansatz des Bundesbeitrages aber für gewisse Gemeinden auf 2/6, unter besondern Verhältnissen der Gemeinde und des Kantons sogar auf 1/2 erhöht werden.

1

Zu Art. 6. Was die Höhe der Tagesentschädigungen anbelangt, so bleibt deren Festsetzung den Ausführungsvorschriften vorbehalten (Art. 6, Absatz 1), da in dieser Hinsicht eine leichte Anpassungsmöglichkeit an die jeweiligen konkreten Umstände wünschbar ist. Immerhin sind gewisse Eichtlinien schon im Bundesbeschluss vorgesehen: 1. Die Begrenzung der Taggelder soll nach Massgabe der örtlichen und persönlichen Lebensbedingungen der Arbeitslosen erfolgen und in angemessener Berücksichtigung der Ansätze der Arbeitslosenkassen. 2. Da die Krisenunterstützung nur für Arbeitslose bestimmt ist, die sich in bedrängter Lago befinden, soll die Tagesentschädigung entsprechend herabgesetzt werden, wenn in der Familie des Arbeitslosen anderweitiges Einkommen vorhanden ist (Art, G, Absatz 2).

462 Zu Art. 7. Die auf 150 Arbeitstage angesetzte Höchstdauer der Bezugsberechtigung entspricht der Bemessung der Dauer der Versicherungsleistungen.

Da der Arbeitslose in den Fällen von Art. 3, Absatz 2, keiner Kassenleistungen teilhaftig werden kann, ist die Möglichkeit vorgesehen worden, die Krisenunterstützung ausnahmsweise für mehr als 150 Arbeitstage zu gewähren.

Zu Art. 8. Nach den bestehenden Verhältnissen ist es nicht möglieh, im vorliegenden Bundesbeschluss schon alle sich aus der .Praxis ergebenden Bedürfnisse zu berücksichtigen; daher ist dem Bundesrat die Befugnis eingeräumt worden, weitere Bedingungen aufzustellen. Neben den bereits erwähnten Voraussetzungen wird namentlich zu regeln sein, in welcher Weise der Beschluss auf die Teilarbeitslosen zur Anwendung zu bringen ist, und inwieweit anstelle von Geldleistungen allfällig Naturalunterstützungeu treten tonnen.

Zu A r t . 9. Die meisten ausländischen Staaten, die ausserhalb der Arbeitslosenversicherung eine Krisenhilfe eingeführt haben, beschränken diese auf die eigenen Staatsangehörigen und erstrecken sie nur ausnahmsweise auf die Angehörigen anderer Länder, sofern diese Gegenrecht halten. Durch Art. 9 des Beschlusses soll diesen Verhältnissen Bechnung getragen werden.

Zu Art. 10. Erfahrungsgemäss ist es nicht ausgeschlossen, dass eine ausschliesslich aus öffentlichen Mitteln bestrittene Unterstützung hin und wieder unrechtmässig beansprucht wird. Um solchen Missbräuchen zu begegnen, sind besondere Strafbestimmungen vorgesehen worden.

Zu Art. 11. Die Beitragsleistung an Notstandsarbeiten bleibt auf diejenigen Kantone beschränkt, in denen eine erhebliche Arbeitslosigkeit und infolgedessen ein besonderes Bedürfnis nach ausserordentlicher Arbeitsbeschaffung besteht, so dass sich eine solidarische Hilfe der Gemeinwesen rechtfertigt.

Bei der Anwendung dieser Vorschrift wird tunlichst darauf Bedacht genommen werden, dass nicht Arbeiten, die ohnehin auf alleinige Kosten des Werkunternehmers durchgeführt werden müssten, mit Bundeshilfe zur Ausführung gelangen.

Zu Art. 12. Die Berechnung des Bundesbeitrages nach Massgabe der an ausserberuflich beschäftigte Arbeitslose ausbezahlten Lohnsumme stellt, wie auf S. 457 ausgeführt worden ist, die zweckdienlichste Lösung dar, weil auf diesem Wege die öffentlichen Mittel den Arbeitslosen selbst
zugute kommen und nicht in anderweitigen Auslagen, wie z. B. Materialbeschaffung, untergehen.

Die Abrechnung hat durch die kantonale Behörde dem Bund gegenüber zu erfolgen, wobei die an ausserberuflich beschäftigte Arbeitslose ausbezahlten Löhne vermittelst der Lohnlisten auszuweisen sind.

In JFällen, in denen ein Löhoror als der normale Subventionsa.nsftt^ von 30 % beansprucht wird, ist die vorgängige Zustimmung des Bundes einzuholen.

463

Zu Ar t. 13. Da die Arbeitsbeschaffung erfahrungsgemäss eine verhältnismässig kostspielige Form der Arbeitslosenfürsorge darstellt, muss sie unbedingt auf Werke beschränkt werden, die der Allgemeinheit dienlich sind.

Xu Art. 14. Diese Bestimmung -wird eine sorgfältige Überprüfung der zur Subventionierung angemeldeten Projekte durch die zuständigen kantonalen Behörden gewahrleisten.

Zu A r t . 15. Der vorliegende Beschluss enthält die wichtigsten mass.gebenden Grundsätze für die Ausrichtung von Bundesbeiträgen an Notstandsarbeiten. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass im Verlaufe der Krise die Aufstellung weiterer Bedingungen notwendig wird. Da solche Massnahmen zumeist ohne Verzug getroffen werden müssen, ist es angezeigt, dem Bundesrat die Möglichkeit hierfür einzuräumen.

Zu Art. 16. Keine weitern Bemerkungen.

Zu Art. 17. Die Bedingungen, unter welchen die Kantone Beiträge erhalten können zur Erleichterung der Überleitung von Arbeitslosen in andere Erwerbsgebiete, werden vom Bundesrat noch näher umschrieben werden.

Es sind hierbei die verschiedenartigsten Verhältnisse zu berücksichtigen; eine bestimmte Regelung lässt sich gegenwärtig deshalb nicht aufstellen.

Zu Art. 18. Da die Behörden und Versicherungskassen die nötigen Hilfsmassnahmen für das kommende Jahr so rasch als möglich vorbereiten müssen und das vorliegende Fürsorgesystem schon am 1. Januar 1932 grundsätzlich geregelt sein sollte, sehen wir uns genötigt, Sie zu. bitten, den nachstehenden Beschlussentwurf als dringlich zu erklären.

Wir benützen den Anlass, Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, unserer vollkommenen Hochachtung zu versichern.

Bern, den 27. Oktober 1931.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident :

Häberlin.

Der Bundeskanzler: Kaeslin.

464 (Entwurf.)

Bundesbeschluss über die

Krisenhilfe für die Arbeitslosen.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Art. 34ter der Bundesverfassung, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 27. Oktober 1981, beschliesst : I. Krisenunterstützung.

Art. 1.

Der Bundesrat wird ermächtigt, den Kantonen, die eine Krisenunterstützung für Arbeitslose der Uhrenindustrie einführen, einen Bundesbeitrag unter den nachfolgend genannten Voraussetzungen zu gewähren.

Art. 2.

Der Bundesrat wird ermächtigt, Beiträge im Sinne dieses Beschlusses auch an Krisenunterstützungen zu gewähren, welche von den Kantonen für andere Industrien eingeführt werden, die unter einer lang andauernden, einen erheblichen Teil der Arbeiterschaft in Mitleidenschaft ziehenden Krise leiden.

Ausnahmsweise können solche Beiträge auch interkantonalen Verbänden gewährt werden, welche für die Angehörigen eines bestimmten Berufes Krisenhilfen organisieren.

Art. 8.

Die Krisenunterst ützung darf nur an Arbeitslose ausgerichtet werden, welche die statutarischen Leistungen einer Arbeitslosenversicherungskasse voll bezogen haben und sich in bedrängter Lage befinden.

Ausnahme weise kann dio Krisenunterstützung auch solchen von der Industriekrise betroffenen Arbeitslosen gewährt werden, welche die. 180tägige Karenzfrist in der Arbeitslosenversicherungskasse noch nicht erfüllt haben

465

oder welche aus formellen Gründen keiner Arbeitslosenversicherungskasse haben beitreten können.

Der Bundesrat bestimmt, unter welchen Voraussetzungen anzunehmen ist, dass sich ein Arbeitsloser in bedrängter Lage befindet.

Art. 4.

Die Krisenunterstützung darf miT an Arbeitslose ausgerichtet -werden, welche sich gebührend um Arbeit bemühen und eine ihnen angebotene, angemessene Arbeitsgelegenheit nicht von der Hand gewiesen haben.

Art. 5.

Der Bundesbeitrag umfasst /3 der als Krisenunterstützung ausgerichteten Beträge.

Für Gemeinden, die zufolge der Industriekrise in eine schlimme finanzielle Lage geraten sind, kann der Bundesbeitrag bis auf 2/5 erhöht werden unter der Bedingung, dass der betreffende Kanton seinerseits mindestens 1/3 bei' trägt.

Wenn Gemeinde und Kanton zufolge der Industriekrise in besonders schlimme Lage geraten sind, kann der Bundesbeitrag auf % erhöht werden.

1

Art. 6.

Der Bundesrat setzt nach Massgabe der örtlichen und persönlichen Lebensbedingungen der Arbeitslosen und in Berücksichtigung der Ansätze der Arbeitslosenversicherung die Höchstbeträge der Tagesentschädigungen fest.

Diese sind angemessen herabzusetzen, wenn mehrere in demselben Haushalt lebende Familienangehörige gleichzeitig Krisenunterstützung beziehen, oder wenn anderweitiges erhebliches Familieneinkommen vorhanden ist.

Art. 7.

Die Krisenunterstützung darf im Jahr für höchstens 150 Arbeitstage ausgerichtet werden. Der Bundesrat ist ermächtigt, diese Höchstdauer in bezug auf nichtunterstützungspflichtige Arbeitslose herabzusetzen und in bezug auf die in Art. 8, Absatz 2, erwähnten Fälle auszudehnen.

Art. 8.

Der Bundesrat kann für die Ausrichtung der Bundesbeiträge weitere Bedingungen aufstellen.

Art. 9, Für Ausländer, deren Heimatstaat in der Arbeitslosenfürsorge die Schweizerbürger ungünstiger behandelt als die eigenen Staatsangehörigen odor in deren Heimatstaat eine gleichwertige Arbeitslosenfürsorge nicht besteht, kann der Bundesrat die Krisenunterstützung einstellen.

466

Art. 10.

Wer durch unrichtige oder unvollständige Angaben für sich oder Drittpersonen die widerrechtliche Ausrichtung einer Krisemmterstützung oder eine widerrechtliche Verteilung der Unterstutzungskosten erwirkt oder zu erwirken versucht, wird mit einer Busse bis auf Fr. 100 bestraft. In schweren Fällen kann damit Gefängnisstrafe bis auf 20 Tage verbunden werden.

Für dieee Straffälle gelten die allgemeinen Bestimmungen des Bundesgesetzes über das Bundesstrafrecht vom 4. Februar 1858. Die Verfolgung und Beurteilung liegt den Kantonen ob und richtet sich nach dem kantonalen Strafverfahren.

u. Beiträge an Notstandsarbeiten.

Art. 11.

Der Bundesrat wird ermächtigt, den Kantonen, in deren Gebiet eine erhebliche Arbeitslosigkeit herrscht, Bundesbeiträge an Notstandsarbeiten auszurichten.

Art. 12.

Der Bundesbeitrag -wird berechnet nach der Summe der Arbeitslöhne, die bei der betreffenden Xotstandsarbeit an ausserberuflich beschäftigte Arbeitslose bezahlt werden; er soll in der Begel 80 % dieser Lohnsumme nicht übersteigen.

Wenn die Gemeinde, in welcher die Notstandsarbeit ausgeführt wird, unter besonders grosser Arbeitslosigkeit leidet, oder wenn mit der Notstandsarbeit sehr erhebliche, nicht subventionsberechtigte Aufwendungen verbunden sind, kann der Bundesbeitrag bis auf höchstens 60% der in Betracht fallenden Lohnsumme erhöht werden.

Art. 13.

Arbeiten ohne volkswirtschaftlichen "Wert sind von der Subventionierung ausgeschlossen.

Art. 14.

An Notstandsarbeiten, welche durch eine Gemeinde ausgeführt werden, wird ein Bundesbeitrag in der Begel nur gewährt, wenn auch der Kanton einen Beitrag leistet. Dieser Beitrag rauss mindestens so hoch sein, wie der Beitrag des Bundes, soweit dieser den nach Art. 12, Abs. l, berechneten Normalansatz nicht übersteigt.

Art. 15.

Der Bundesrat ist ermächtigt, an die Ausrichtung der Bundesbeiträge an Notstandsarbeiten weitere Bedingungen zu knüpfen.

467

Art. 16.

Dem Bundesrat wird für die Gewährung von Beiträgen an Notstandsarbeiten bis Ende des Jahres 1933 ein Kredit von 5 Millionen Franken eröffnet.

m. Überleitung von Arbeitslosen in andere Erwerbsgebiete.

Art. 17.

Der Bundesrat wird ermächtigt, den Kantonen Beiträge auszurichten zur Erleichterung der Überleitung von Arbeitslosen in andere Erwerbsgebiete; er stellt die Bedingungen fest, unter denen diese Bundesbeiträge gewährt werden.

IV. Schlussbestimmungen.

Art. 18.

Dieser Beschluss wird dringlich erklärt.

Er tritt am 1. Januar 1932 in Kraft und gilt für zwei Jahre.

Art. 19.

Der Bundesrat ist mit dem Vollzug dieses Beschlusses beauftragt.

468

Anhang: Graphische Darstellungen

a m Prozentsatz der Betriebe der Uhrenindustrie mit gutem, befriedigendem und schlechtem Beschäftigungsgrad und Prozentsatz der Arbeiter in diesen Betrieben, nach den vierteljährlichen Erhebungen über den Beschäftigungsgrad in der Industrie, seit dem I. Quartal 1926, und Beschäftigungskoeffisient (gut - 150, befriedigend - 100, schlecht «50

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38

409

470

Zahl der stellensuchenden Arbeitskräfte dar Berufsgruppe Uhrenindustrie und Bijouterie in den einzelnen Monaten seit Januar 1929,je auf Monatsende

Tabelle Zt.

Prozentsatz der gänzlich und teilweise arbeitslosen Uhrenarbeiter unter den Mitgliedern von Arbeitslosenkassen seit November 1929t je auf Monatsende.

Tabelle in.

471

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Krisenhilfe für die Arbeitslosen. (Vom 27. Oktober 1931.)

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In

Foglio federale

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1931

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

44

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2740

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

04.11.1931

Date Data Seite

444-471

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