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Bericht der

Mehrheit der Kommission des Ständerathes, betreffend eidgenössische Gewährleistung der neuen Verfassung des Kantons Basel-Stadt.

(Vom 28. Juni 1875.)

Tit.!

Der Große Rath des Kantons Basel-Stadt ist, in Folge seinesBeschlusses, die Verfassung dieses Kantons zu revidiren, um sie mit der neuen Bundesverfassung in Einklang zu sezen, in den Fall gekommen, am 9. Mai abbin der Volksabstimmung den Entwurf einer Totalrevision zu unterbreiten, welcher dann von 3430 Stimmen gegen 786 angenommen wurde. Diese Verfassung ist sofort in Kraft getreten. Mit Zuschrift vom 12. Mai wird nun von Bürgermeister und Kleinem Rath von Basel-Stadt die eidgenössische Gewährleistung derselben nachgesucht.

Diese Verfassung unterscheidet sich von derjenigen von 135h in folgenden Punkten : Der Kanton Basel-Stadt war bisher eine ausschließlich repräsentative Republik. Nun tritt er durch die neue Verfassung in die Bahn der reinen Demokratie.

Bis jezt wurde die Volkssouveränität in diesem Kantone nur durch Abstimmung über die Abänderungen der Kantonsverfassung: und durch die Wahl des Großen Rathes ausgeübt. Das Volk hatte

959 nicht einmal das Recht, eine Revision der Verfassung zu begehren, indem der Große Rath allein eine solche beschließen konnte.

Künftig wird die Volkssouveränetät ausgeübt durch das Recht der Initiative und durch das fakultative Referendum. Tausend Stimmberechtigte können verlangen, daß die Frage, ob die Verfassung zu revidiren sei, dem Volke unterstellt werde, in welchem Falle der Große Rath darüber zu berathen hat (Art. 48). Tausend Bürger können auch verlangen, sei es daß ein Legislativbeschluß zu fassen oder aufzuheben sei, wobei der Große Rath im Falle des Nichteiniggebens mit den Petenten die Frage dem Volke vorlegen muß (Art. 22), sei es, daß ein Gesez oder ein allgemein verbindlicher Beschluß nicht dringlicher Natur zur Annahme oder Verwerfung den Stimmberechtigten vorgelegt werde, für welchen Fall zur Ausübung dieses Rechts eine Frist von sechs Wochen festgesezt ist.

Das Wahlrecht und der Modus der Ernennung des Großen Käthes sind in glüklicher Weise abgeändert worden. Bis zu unsern Tagen hatte der Kanton Basel-Stadt Einrichtungen bewahrt, welche stark das Gepräge mittelalterlichen Geistes an sich tragen. Nach der alten Verfassung bestand der Große Rath nämlich aus 134 Mitgliedern, welche in folgender Weise gewählt wurden : Die 18 Zünfte wählten, jede 2 Mifglieder, zusammen . 36 Die Quartiere der Stadt wählten zusammen .

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.48 Die drei Landgemeinden Riehen, Bettingen und Kleinhüningen .

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. 4 Die Wahlkollegien 46 Total 134 Diesem Systeme zufolge hatten gewisse Stimmberechtigte also drei Mal das Stimmrecht für den Großen Rath, während andere es nur zwei Mal hatten.

Nach der neuen Verfassung ist die Zihl der Mitglieder des Großen Rathes auf 130 festgesezt (Art. 25): allein die Wahl findet nach einem einzigen Grade statt, auf Grundlage der Bevölkerung jedes Wahlkreises.

Für die Wählbarkeit in den Großen Rath waren früher vier Bedingungen aufgestellt; wählbar, heißt es in der alten Verfassung, sind diejenigen Stimmfähigen, welche a. das 24. Altersjahr zurükgelegt haben, b. ihren Wohnsiz irn Kanton Basel-Stadt haben, c. keine abwartenden Dienste bekleiden, und d. keine Dienstboten sind.

960 Nunmehr sind die zwei ersten Bedingungen allein gefordert (zurükgelegtes 24. Altersjahr und Domicil im Kanton).

Was das Stimmrecht betrifft, so wurden von demselben ausgeschlossen : diejenigen, welche Armensteuern genossen, die Falliten oder Akkordanten und die Bevogteten.

Die neue Verfassung verweist diesfalls einfach .auf die Bundesverfassung, sowie auf das über das Stimmrecht zu erlassende Bundesgesez.

Die gewährleisteten individuellen Rechte sind in den beiden Verfassungen ungefähr die nämlichen : Habeas corpus, Petitionsrecht, Eigentumsrecht, Preßfreiheit.

Die neue Verfassung verweist übrigens allgemein (Art. 10) in Bezug auf alle individuellen Rechte auf die Bundesverfassung.

Ueber das Verhältniß des Staates zur Kirche bestimmte die frühere Verfassung (Art. 12): ,,Die Landeskirche ist die evangelisch-reformirte" . . . .

Die neue Verfassung schreibt vor: ,,§ 12. Die reformirte und die katholische Kirche erhalten durch Gesez ihre äußere Organisation, nach welcher sie unter Oberaufsicht des Staates ihre innern konfessionellen Angelegenheiten selbständig ordnen. Ihre Geistlichen und ihre kirchlichen Vertreter wählen die zu jeder Kirchgemeinde gehörigen in Gemeindeangelegenheiten stimmfähigen Schweizerbürger.

,,Der Eintritt in diese Kirchen sowie der Austritt aus denselben steht jedem Staatsangehörigen bedingungslos offen. Das Gesez wird bestimmen, wann Neueintretende die Stimmberechtigung erhalten.

,,Der Staat bestreitet die Kultusbedürfnisse dieser Kirchen und zwar mit Rüksicht auf die zu jeder Kirche, resp. jeder durch die Organisation anerkannten kirchlichen Gemeinschaft gehöriger, Mitglieder."

Auf diese neue Bestimmung, welche zu einem Rekurse Veraulassung gab, werden wir später zurükkommen.

Ueber das öffentliche Unterrichtswesen enthielt die Verfassung von 1858 merkwürdigerweise keine Bestimmung.

Die neue Verfassung schreibt vor: ,,§ 13. Die Förderung des Erziehungswesens und der Volksbildung ist Aufgabe der Staatsverwaltung. Der Schulunterricht ist für alle Kinder innerhalb der gesezlichen Altersgrenzen obligatorisch und in den öffentlichen Primarschulen unentgeltlich.

,,Dem Gesez bleibt vorbehalten, die Unentgeltlichkeit auch auf andere öffentliche Schulen auszudehnen.

961 ,,Die öffentlichen Schulen sollen von den Angehörigen aller kirchlichen Bekenntnisse ohne Beeinträchtigung ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit besucht werden können.

,,Erziehungs- und Bildungsanstalten, welche nicht vom Staat errichtet sind, haben keinen Anspruch auf dessen Unterstüzung, sind aber den Bestimmungen des Gesezes unterworfen."

Dieser Artikel, zusammengehalten mit dem Art. 27 der Bundesverfassung, scheint uns ganz genügend zu sein, denn der Kanton Basel-Stadt reservirt sich hier nicht, wie dieß bei der Luzerner Verfassung der Fall war, ein einfaches Recht der Aufsicht über die Privatschulen, sondern erklärt ganz ausdrüklich, daß die Erziehung und der Unterricht auf allen Stufen Staatssache seien, und unterwirft die Privatschulen der nämlichen Norm wie die öffentliche Schule, mit Ausnahme der Unentgeltlichkeit und der Konfessionslosigkeit.

Die Organisation der Behörden hat ziemlich bedeutende Abänderungen erlitten. Früher wurde der Große Rath auf 6 Jahre gewählt und übte er die gesezgebende Gewalt unbeschränkt aus.

Künftig wird er nur auf je 3 Jahre gewählt und seine Befugnisse sind durch die Volksrechte beschränkt.

Die vollziehende Gewalt war nach der Bundesverfassung von 1858 einem Kleinen Räthe von 15 Mitgliedern übertragen, welche vom Großen Rathe aus seiner Mitte auf (5 Jahre gewählt wurden und im Schöße des leztern Siz und Stimme! behielten. Unvereinbar mit der Stelle eines Mitgliedes des Kleinen Rathes waren nur richterliche oder besoldete Stelleu.

Nach der neuen Verfassung wird die vollziehende Gewalt durch einen Regierungsrath von 7 Mitgliedern ausgeübt, welche vom Großen Rathe auf 3 Jahre gewählt werden, jedoch ohne daß dieser daran gebunden ist, sie aus seinem Schöße zu nehmen. Unvereinbar mit der Stelle eines Regierungsrathes sind die Stelle eines Mitgliedes des Großen Rathes, eines Richters, sowie diejenigen der Direktoren und Verwaltungsräthe von Erwerbsgesellschaften. Der Große Rath wählt den Präsidenten und den Vizepräsidenten des Regierungsrathes, dessen Mitglieder im Schöße der gesezgebenden Behörde berathende Stimme behalten.

Die; oberste richterliche Gewalt wurde früher ausgeübt durch ein Appellationsgericht von 13 Mitgliedern, welche auf 9 Jahre gewählt waren mit jeweiliger Erneuerung eines Drittels, Die neue Verfassung verweist für Alles, was auf die Gerichtsorganisation Bezug hat, auf die Gesezgebung.

Bundesblatt. Jahrg. XXVII. Bd. III.

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Nicht minder bedeutend sind die Aenderungen im Gemeindewesen.

Unter der alten Verfassung ernannten die Stadt Basel um] die drei andern Gemeinden des Kantons ihre Gemeindebehörden, welche u. A. mit der Verwaltung des Gemeindevermögens und der Stiftungen, mit der Ueberwachung der Korporationen und der Aufnahme neuer Bürger betraut waren. Das Gesez bestimmte die Befugnisse., welche im Interesse einer guten Verwaltung dem Staate zugeschieden werden konnten.

Nach der neuen Verfassung (Art. 14 und 15") überläßt die Stadt Basel dem Staate alle Befugnisse der Einwohnergemeinde, mit dem für die, öffentlichen Dienstzweige bestimmten Vermögen.

Den drei andern Gemeinden des Kantons wird freigestellt, ein Gleiches zu thun. Falls jedoch die Stadt Basel oder die andern Gemeinden davon zurükkommen und ihre lokale Selbständigkeit zurüknehmen wollten, soll das von ihnen abgetretene Vermögen wieder an sie zurükfallen.

Die Befugnisse der Bürgergemeinden und der Korporationen bleiben die gleichen wie früher. Die Bürgergüter sind gewährleistet und die Verwaltung bleibt in den Räuden der Betheiligten. Die Aufnahme neuer Bürger soll thunlichst erleichtert werden ; namentlich wird das Gesez die Bedingungen feststellen, unter welchen ein in einer Gemeinde geborner Nichtbürger das Gemeindebürgerrecht ansprechen kann.

Mit Eingabe vom 8. lfd. Mts. Juni protestirt die Vorsteinerschaft der römisch-katholischen Gemeinde Basel feierlich gegen den -- bereits oben angeführten -- Art. 1*2 der neuen Basler Verfassung und verlangt, daßdiesemi Artikel, soweit er die katholische Kirche betrifft, die eidgenössische Gewährleistung versagt werde.

Diese Petition -wurde Ihnen gedrukt ausgetheilt. Wir beschränken uns deshalb darauf, summarisch die Gründe in Erinnerung zu bringen, auf welche die Patenten sich stüzen.

Sie behaupten, daß die Bundesverfassung, Art. 49 und 50, dem Art. 12 der VerfassungO von Basel-Stadt entgegenstehe, indem .3 ö / es dem Grundsaze der Gewissens- und Kultusfreiheit zuwiderlaufe, daß der Staat die katholische Kirche äußerlieh organisire. Diese Kirche habe ihre Verfassung und Gestalt von ihrem Stifter Jesus Christus selbst, und könne dieselbe nicht von einem behenntuißlosen, in seinen Mitgliedern wesentlich protestantischen Großen Räthe erhalten. Was der Staat sich von Seite der Kirche nicht gefallen

963 ließe; was er ohne gerechte Entrüstung hervorzurufen einer andern Genossenschaft nichtaufnöthigenn könnte, das dürfe er auch nicht gegenüber der katholischen Kirchethun.. Allein der Zwek des Staates sei offenbar: er wolle unter dein Namen Katholik eine Sekte schaffen, welche mit der wahren katholischen Kirche und mit ihren Häuptern, dem Papste und dem Bischöfe, nichts gemein habe. Die Scheidung zwischen der äußern Organisation und dein innern Leben habe nicht mehr Sinn, als jenezwischenn dem sichtbaren Menschen und seineminnernn Leben. Die angebliche Parität zwischen Protestanten und Katholiken könne nicht ernstlich sein, denn die wahre Gleichheit bestehe darin, daß der Katholik als Katholik und der Protestant als Protestant behandelt werde, und daß man nicht die Hollen umkehre. Die römisch-katholische Kirche von BaselStadthabee bisher die Kosten ihres Kultes selbstbestrittenu und werde sich nicht, an die dargebotene Staatssubventionverikaufen.

Die an die Bundesbehörden gerichtete Petition enthielt im Wesentlichen nichts weiter als was wir soeben resümirt haben. lu der den eidgenössischen Ruthen ausgetheilten Drukschrift ist dagegen ein Nachtrag beigefügt, welcher nur zwei oder drei weitere Argumente enthält, wie die folgenden: Die B und es Verfassung schüze selbst ein 16jähriges Kind, gegen den eigenen Vater in Konfessionssachen und könne daher nicht gestatten, daß eine ganze Kirche vom Staate unterdrükt werde; -- ferner: Es sei ungerecht, mit einem Federzuge das Stimmrecht den nichtschweizerischen Katholiken zu entziehen, welche in Basel zu den ihrer Kirche Ergebensten gehören, um dieses Recht bedingungslos jedem Staatsangehörigen Schweizerbürger einzuräumen; -- endlich sei der Art. 12 vom Großen Rathe von Basel erst nach dreitägigen Debatten und bloß mit 63 gegen 58 Stimmen angenommen worden.

Diese Ihrer Kommission direkte in die Hände gelangte Petition ist von Ihnen am '12. dieß dem Bundesrathe zur Ergänzung seiner Botschaft überwiesen worden. Diese Behörde wandte sich an die Regierimg von Basel-Stadt, welche wesentlich Folgendes bemerkte: ,,Wir sind nicht in der Lage, eine förmliche, und authentische Interpretation eines vom Großen Käthe und vom Volke angenommenen Verfassungstextes abzugeben. Dagegen dürfen wir erklären, daß wir diesen Artikel nicht als der Bundesverfassung zuwiderlaufend
ansehen können. Bisher hat Basel-Stadt nur eine protestantische Landeskirche gehabt. Die neue Verfassung stellt dagegen das Prinzip der Parität auf in dem Sinne, daß auch eine katholische Kirche vom Staate subventionirt und äußerlich organisirt werden soll, falls das Begehren darnach sich kundgeben wird.

Daneben bleiben die bundesverfassungsgemäßen Rechte der Iteli-

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gionsgenossenschaften vollständig gewahrt, so daß die römischen Katholiken in Basel, sobald sie es voziehen, auch davon Gebrauch inachen können."

In seinem nachträglichen Bericht spricht sich der Bundesrath aus folgenden Gründen gegen die Potenten aus: Die wichtigste Einrede der Beschwerdeführer beruht auf einem Irrthum. Es sind dieselben nämlich im Irrthum, wenn sie glauben, der Kanton Basel-Stadt habe die Absicht, sich in die wirklichen Glaubenssäze der katholischen Kirche einzumischen. Dieses Mißverständniß rührt von der Redaktion des Art. 12 her, welcher den Ausdruk ,,Kirche" gebraucht; allein es hat lezterer keine um,ere Bedeutung als der im Art. öl) der Bundesverfassung enthaltene Ausdruk Religionsgenossenschaft. Dieser Art. 50, 2. Alinea, gestattet den Kantonen, die Verhältnisse unter den Angehörigen der verschiedenen Religionsgenossenschaften zu ordnen,> sowie gegen EinO O O O griffe kirchlicher Behörden in die Rechte, der Bürger und des Staates die geeigneten Maßnahmen zu treffen. Wenn nun der Kanton BaselStadt im Sinne von § 12 seiner neuen Verfassung die reformirten und katholischen Religionsgenossenschaften durch Gesez äußerlich organisiren und ihnen tiberlassen will, ihre innern konfessionellen Angelegenheiten selbst zu ordnen, so ist dieß keine Beeinträchtigung der Gewissensfreiheit, sondern vielmehr eine Beschulung derselben.

Der Bundesrath hält demnach nicht dafür, daß der beanstandete Art. 12 mit der Bundesverfassung im Widerspruch stehe.

Tit.! -- Ihre. Kommission hat sieh nach einer gründliehen Diskussion ausgeschieden in eine Mehrheit von vier Mitgliedern, welche diesem Artikel die eidgenössische Gewährleistung ertheilen will, und eine Minderheit, welche sie ablehnen will.

Wir überlassen es der Minderheit, ihre Gründe selbst auseinanderzusezen.

Ein Mitglied der Mehrheit hat sich vorbehalten, eine besondere Erwägung zu beantragen in Bezug auf die Rechte der Nichtschweizer in Pfarrangelegenheiten und in Bezug auf die Staatssubvention.

Die von den Petenten angerufene Bundesverfassung gewährleistet in Art. 49 und 50 drei wohl gesonderte Principien : 1) die individuelle Freiheit« in Religionssachen zu glauben und zu praktiziren, was man will; 2) die freie Ausübung gottesdienstlicher Handlungen inner den Schranken der öffentlichen Ordnung und der Sittlichkeit ^

3) das Recht der Kantone und des Bundes, die äußern BöZiehungen der Religionsgenossenschaften unter sich und mit dem Staate zu normiren.

Es ist klar, daß diese Rechte und Freiheiten einander gegenseitig bekräftigen. Was ist die Glaubensfreiheit ohne die Freiheit der Kulte? Und was ist die Freiheit der Kulte, wenn der Staat nicht bereit ist, sie zu schüzen oder auch zu beschränken, falls sie in Zügellosigkeit auszuarten droht ? Gewisse Personen und gewisse Konfessionen verwechseln allzu oft die Freiheit der Kulte und die Gewissensfreiheit. Allerdings ist die eine ein Ausfluß der andern ; aber die eine steht höher als die andere. Die Gewissensfreiheit steht über der Freiheit der Kulte, und Sache des Staates ist es, darüber zu wachen, daß nicht nur jede etwa den Vorwand freier Ausübung der Kulte vorschüzende Störung der öffentlichen Ordnung unterbleibe, sondern auch und hauptsächlich, daß die Gewissensfreiheit der Bürger, seien es Geistliche oder Nichtgeistliche, nicht angetastet werde.

Diese Grundsäze scheinen uns durch die Verfassung von BaselStadt in deren Artikeln 11 und 12 vollständig gewahrt zu sein.

Der Art. 11 besagt: ,,Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist unverlezlich. Niemand darf zur Theilnahme an einer Religionsgenossenschaft oder an einem religiösen Unterrichte, oder zur Vornahme einer religiösen Handlung gezwungen, oder wegen Glaubensansichten mit Strafen irgend welcher Art belegt werden.

,,Die freie Ausübung gottesdienstlicher Handlungen ist innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung gewährleistet.

,,Der Staatsbehörde bleibt vorbehalten, zur Handhabung der öffentlichen Ordnung und des Friedens unter den Angehörigen der verschiedenen Religionsgenossenschaften, sowie gegen Eingriffe kirchlicher Behörden in die Rechte der Bürger und des Staates, die geeigneten Maßnahmen zu treffen."

Wie man sieht, ist dieser Artikel wortgetreu der Bundesverfassung entnommen. Es wird denn auch wirklich von den Petenten nicht dieser Artikel beanstandet, wohl aber der bereits oben angeführte Art. 12.

Prüfen wir nun diesen Art. 12 des Nähern.

Das erste Alinea lautet : ,,Die reformirte und die katholische Kirche erhalten durch Gesez ihre äußere Organisation, nach welcher sie unter Oberaufsicht

966 des Staates ihre innern konfessionellen Angelegenheiten selbständig ordnen. Ihre Geistlichen und ihre kirchlichen Vertreter wählen die zu jeder Kirchgemeinde gehörigen in Gemeindeangelegenheiten stimmfähigen Schweizerbürger.a Die Petenten bestreuen dem Staate hauptsächlich das von ihm in Anspruch genommene Hecht, die äußere Organisation der katholisch Kirche zu normiren, mit welcher allein die Petition sich beschäftigt.

Die Mehrheit Ihrer Kommission verwirft durchaus die Theorie der Rekurrenten. Wer nur ein wenig die Geschichte der Bezielungen der Kirche, sowohl der reformirten als der katholischen, zum Staate kennt, weiß, daß der Staat sich von den Fragen der äußern Organisation der Kirchen nicht ganz fernhalten kann, und daß, wenn er dieß thut, es immer nur zum größten Nachtheil der öffentlichen und individuellen Interessen geschieht.

Man spricht zwar heute viel von- den Wohlthaten des Regime, welches gegenwärtig in den Vereinigten Staaten in Geltung ist, demzufolge der Staat die Kirchen gänzlich ignorirt. lieber diese Verhältnisse, sei es im Guten, sei es im Ueblen , ein definitive» Urtheil zu wagen,, ist vielleicht verfrüht. Der jungfräuliche Boden und die aus neuerer Zeit datirende Kultur von Nordamerika treiben, erstaunliche Produkte hervor, die aber nicht alle gleich gut sind.

Warten wir ab, bis man hierin eine hinlänglich abklärende Erfahrung hinter .sich hat, bevor man über das Verdienstliche derselben zu sehr in Extase geräth ; denn neben den Lobrednern auf den Grundsaz der Trennung, wie er in den Vereinigten Staaten existirt, erheben sich auch Stimmen, welche aufmerksam machen auf die wirkliche öffentliche Gefahr, wie sie in der wachsenden Macht der Kirchen liegt, welche ihrerseits den Staat nicht ignoriren, sondern sich anstrengen, ihn zu bemeistern und seinen Gang nach ihrem Gefallen zu lenken.

Was nun immer an diesen widersprechenden Behauptungen sein möge, --· in der alten Welt und besonders in der Schweiz ist man nicht auf diesern Punkte angelaugt. Hier ist die Zahl derjenigen, welche in der vollständigen Trennung, im gänzlichen Ignoriren der Kirchen durch den Staat eine Panacee erbliken, noch sehr klein. Die Geschichte unserer alten Gesellschaften zeigt uns, daß der Kampf zwischen der weltlichen und der geistlichen Gewalt eine alte Angelegenheit ist, aber auch, daß in keinem
Lande der Staat seine Rechte vollständig in die Hände der Kirche abgedankt hat.

Zwei Systeme fanden nach einander auf die Beziehungen der Kirche zum Staate Anwendung. Das eine, angewendet auf die

967 katholische Kirche, ist das System der Konkordate, welches noch in den meisten auswärtigen Ländern und Schweizerkantonen fortbesteht, -- ein System voll Verschweigungen und Mißverständnissen, bei welchem die Kirche Alles nach dem kanonischen Rechte und der Staat Alles nach Grundsäzen des gemeinen Rechts regeln will.

Der Katholicismus ist eine internationale Kirche. Die Länder, welche sich von den äußern Einflüssen emaneipiren wollten, die in der katholischen Kirche vorherrschen, haben Nationalkirchen gegründet, bei denen oft der Staat als Papst oder Bischof figurirte, welcher die Dogmen, die Kultusformen etc. berieth und vorschrieb.

Das war die eigentliche Staatsreligion. Ebenso haben die meisten katholischen Länder die römisch-katholische Religion zur Staatsreligion dekretirt und alle diejenigen, welche derselben nicht beitraten, mit Gewalt fortgewiesen.

Die Erfahrung hat dargethan, daß weder das eine noch das andere dieser Systeme zwekmäßig ist. Der moderne Staat bedankt sich für die Rolle, sei es der Spender des Glaubens der Bürger, sei es der ergebenste Diener oder der Düpirte irgend einer Kirche zu sein. Er will die Zügel dei- bürgerlichen Verwaltung wieder an sich ziehen, doch so, daß er Gewissens- und Kultusfreiheit wahrt; und" um sie wirksam zu wahren, normirt er selbst die äußere Organisation der zwei großen, seit Jahrhunderten, mit einander hadernden Konfessionen, d. h. der katholischen und der reformirten Kirche.

Die meisten modernen Kirchengeseze sprechen die folgenden Rechte nur dem Staate zu: Die Territorialbegrenzung der Kirchgemeinden ; -- das Stimmrecht in Kirchensachen; -- den Modus der Ernennung der Geistlichen ; -- das Placet des Staates für gewisse geistliche Bekanntmachungen; -- die Organisation der Kirchen- und SynodalBehörden; -- die Befugnisse dieser Behörden in temporellen Angelegenheiten ; -- ihre Beziehungen zu den lokalen und den Staatsbehörden; -- Vorschriften über den Gehrauch der Tempel, die Verwendung der Kirchengüter und die Besoldung der Geisto O O liehen.

Liegt darin irgend etwas, das der Gewissenfreiheit zuwiderliefe? Im Gegentheil: der moderne Staat will, daß innerhalb dieser kirchlichen Organisationen die Gewissensfreiheit sowohl des geistlichen Hirten als seiner Herden, sowie diejenige der Individuen respektirt werde.

Ein Beweis dafür, wie sehr die Petenten mit ihrer Behauptung Unrecht haben, die äußere Organisation durch den Staat wider-

968 streite ihrem Glauben, liegt darin, daß in den ineisten Kautonen, selbst den besten römisch-katholischen, die Verfassung und die Geseze ganz ähnliche Vorschriften wie die angeführten enthalten.

Uebrigens ist es nicht nothwendig, diesen Gesichtspunkt weiter zu erörtern, da über die Frage bereits mehrmals durch die Bundesversammlung abgeurtheilt worden ist. Der Bund selbst behielt sieh in Art. 50 der neuen Verfassung- vor, daß ihm die Genehmigung der Errichtung von Bisthümern auf schweizerischem Gebiete, unterliege.

Im Jahre 1873 haben die Bundesbehörden sich zweimal hinter einander über solche Fragen ausgesprochen, bei Anlaß der Rekurse gegen das Genfer Gesez und das Solothurner Gesez über die Wahl der Geistlichen.

Es wird nicht ohne Interesse sein, in Kürze, die Gründe in Erinnerung zu bringen, welche damals die Bundesversammlung zur Verwerfung dieser Rekurse führten.

Anläßlich der Rekurse gegen das Genler Verfassungsgesez über Wahl und Abberufung der Geistlichen, welches vom Genfer Volke am 23. März 1873 angenommen worden, sagte Hr. Dr. Römer, Berichterstatter der Mehrheit der nationalräthlichen Kommission, in seinem Berichte vom 24. Juli 1873 (Bundesblatt 1873, Band III.

Seite 634, 3. Absaz, und Seite 635 oben), unter An denn Folgendes : ,,Das für die Beantwortung maßgebende Kriterium liegt in der Ausscheidung der rein dogmatischen und der organisatorischen oder constitutionellen Elemente; die erstem sind der Kirche, die letzern dem Staate als Competenzzuzuscheidenn Die Wahl und Abberufung der Geistlichen alterirt die. Glaubens- und Cultusfreiheit nicht ; sie ist rein constitutioneller, dem Selbstbestimmungsrecht des Volkes und Staates anheimfallender Natur."

In Bezug sodann auf die Rekurse gegen das Solothurner Wiederwahl-Gesez vom 28. November / 22. Dezember 1872 finden wir in dem Berichte der Mehrheit der ständeräthlichen Kommission, Berichterstatter Hr. Dr. Blumer (Bundesblatt 1873, Bd. III, S. 587) folgende Stelle: ,,Will man aus der Gewährleistung der freien Ausübung eines Glaubensbekenntnisses die weitgehende Folgerung ziehen, daß damit auch die ganze äussere Verfassung der betreuenden Konfession von selbst und schon zum voraus anerkannt sei, so bedarf dann auch

969 eine reformirte Synodalverfassung nicht mehr der besondern staatlichen Genehmigung; für die katholische Kirche aber hat alsdann der Staat die weitgehendsten Verpflichtungen übernommen Wir müssen somit jede direkte oder indirekte Gewährleistung der katholischen Kirchenveffassung von unserm Bundesstaate ablehnen" Und im Berichte der Mehrheit der nationalräthlichen Kommission, von Hrn. Suter von Horben (Seite 606 unten) lesen wir diesfalls : ,,Wenn unter der Gewährleistung der Konfessionen kirchenrechtliche Bestimmungen verstanden sind, so können es gewiß nur Bestimmungen d o g m a t i s c h e r Natur, nur solche sein, welche den Kern und das Wesen der Konfession betreffen, niemals aber auch organische Vorschriften und am allerwenigsten die Frage über die Lebenslänglichkeit geistlicher Beamtungen."

Wie man sieht, ist die durch den Rekurs der römisch-Katholiken von Basel-Stadt aufgeworfene Frage durchaus die gleiche, wie diejenige der Rekurse der Solothurner und der Genfer Geistlichkeit.

Die Bundesversammlung aber kann nicht umsatteln (se déjuger), d. h. sie in anderer Weise lösen.

Nachdem wir so das formelle Recht des Staates konstatirt haben, in die äußere Organisation der Kirchen zu interveniren, erübrigt uns nur noch wenig beizufügen.

Die Potenten beschweren sich darüber, daß das Stimmrecht in Pfarrangelegenheiten den Ausländern nicht gewährt sei. Wir haben in der Bundesverfassung keine Bestimmung gefunden, welche diese Reklamation rechtfertigen würde. Die Bundesverfassung gewährleistet die bürgerlichen Rechte der Schweizer, nicht aber diejenigen, der Ausländer; so daß den Kantonen freie Hand gelassen ist, diese leztern zur Ausübung des Stimmrechts in Pfarrangelegenheiten zuzulassen oder nicht.

Das zweite Alinea des beanstandeten Art. 12 lautet: ,,Der Eintritt in diese Kirchen sowie der Austritt aus denselben steht jedem Staatsangehörigen bedingungslos offen. Das Gesez wird bestimmen, wann Neueintretende die Stimmberechtigung erhalten."

Potenten glauben nun, diesem Artikel zufolge könne der Erste Beste, sei es ein Protestant oder Israelit, in die katholische Kirche eintreten. Offenbar ist dies aber nicht der Sinn dieser Bestimmung, wofür der Beweis darin liegt, daß das erste Alinea ausdrüklich

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sagt, das Stimmrecht stehe nur den zu einer Kirchgemeinde gehörigen Schweizerbürgern zu.

Das Wort ,,bedingungslos" ist nach unserer Auffassung in einem wesentlich materiellen Sinne zu verstehen. Ebenso sind wir, was die Nuancen betrifft, welche über diesen oder jenen dogmatischen Punkt zwischen den Mitgliedern einer und derselben Konfession herrschen, der Ansicht, daß es nicht im Willen des Staates liegen wird, daß man eng gezogene Glaubensbekenntnisse vorschreibe, was dem großen Grundsaze der Gewissensfreiheit zuwiderliefe.

Uebrigens wird in diesem Punkte durch den Art. 12 den Potenten tun Genüge geleistet, da derselbe im ersten Alinea vorsieht, daß die Kirchen selbst, unter Oberaufsicht des Staates, ihre innern konfessionellen Angelegenheiten regeln können.

Endlich heißt es im dritten Alinea des in Frage stehenden Art. 12: ,,Der -Staat bestreitet die Kultusbedürfnisse dieser Kirchen und zwar mit Rüksicht auf die zu jeder Kirche, resp. jeder durch die Organisation anerkannten kirchlichen Gemeinschaft gehörigen Mitglieder."

In dieser Bestimmung können wir unmöglich etwas Anderes erbliken, als einen Grundsaz der Gerechtigkeit und Gleichheit.

Wollen die römisch-Katholiken von Basel-Stadt das vom Staate ihnen angebotene Geld nicht, so steht es ihnen vollkommen frei, es abzulehnen; allein irgend ein Grund zu Besorgnissen liegt in dieser Perspektive nicht.

Wir glauben in mehr als genügender Weise dargethan zu haben, daß der Art. 12 der Verfassung Von Basel-Stadt mit der Bundesverfassung nicht im Widerspruche steht, und wir denken, es wäre dieß auch die Ansicht der 58 Mitglieder des Basler Großen Rathes, welche gegen diesen Artikel stimmten, aber, wenn wir gut unterrichtet sind, aus ganz andern Gründen als die Petenten.

Bevor wir zum Schlüsse gelangen, müssen wir noch den Augriff der Petenten gegen einen zahlreichen Theil der schweizerischen Katholiken rügen, welche leztern der Rekurs als eine überzeugungslose und an ti katholische Sekte hinstellen will. Wir achten die betreffende Fraktion, welche den Namen schweizerische christkatholische Nationalkirche trägt, mindestens eben so sehr als die Andern, und müssen zu ihrem Lobe bemerken, daß diese Kirche im Art. 2 der Verfassung erklärt, sie anerkenne die kantonalen Gesezgebungen als ü b e r ihr stehend, -- ein Beispiel, das die Petenten unseres Erachteus gut thäten, nachzuahmen.

971 Tit. ! -- In allen Beziehungen scheint uns also die Verfassung von Basel-Stadt werth zu sein, für die Ertheilung der eidgenössischen Gewährleistung empfohlen zu werden. Selten ist eine so tiefgreifende Revision ohne vorausgehende Erschütterungen zu Stande gekommen. Nicht nur hat der Kanton seine Verfassung revidirt, um sie mit der Bundesverfassung in Einklang zu sezen, sondern es hat derselbe überdieß den Anlaß benuzt, um mit veralteten Institutionen aufzuräumen und zahlreiche und wichtige Fortschritte zu verwirklichen.

Die Mehrheit Ihrer Kommission beantragt *) Ihnen demnach die unveränderte Annahme des bundesräthlichen Beschlußentwurfs **}.

Wir benuzen den Anlaß, Sie, Tit., unserer vollkommensten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 28. Juni 1875.

Namens der Mehrheit der ständeräthlichen Kommission, Der Berichterstatter:

Numa Droz.

Mitglieder der Kommission: Herren Droz, Weber (Glarus), Brosi, Lusser, Sonderegger.

*) Angenommen: Ständerath 28. Juni, Nationalrath. 2. Juli.

**) Siehe denselben und Anderes: Bundesblatt 1875, Bd. III, S. 285, 291, 614, 695.

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Bericht der

ständeräthlichen Kommission betreffend den Abschluss einer Vereinbarung zwischen dem Bundesrath, Namens der Eidgenossenschaft, und dem Einwohnergemeinderathe der Stadt Bern über die Feststellung der abschliesslichen Leistungen der leztern an den Bundessiz.

(Vom 30. Juni 1875.)

Tit.!

Unterm 22. Juni abhin schloß der h. Bundesrath mit dein Einwohnergemeinderathe von Bern, unter beidseitigem Ratificationsvorbehalt, einen Vertrag ab, welcher die über die Tragweite des Bundesbeschlusses vom 27. November 1848 betreffend die Leistungen des Bundesortes entstandenen Differenzen endgültig erledigen soll.

Diese Differenzen sind wesentlich aus dem Umstände erwachsen, daß das gegenwärtige Bundesrathhaus, seiner Zeit von der Stadt Bern nach Vorschrift der Bundesbehörden und in Ausführung obigen Bundesbeschlusses erstellt, den Bedürfnissen der Bundes-Centralverwaltung bei weitem nicht mehr entspricht, und daher bei absoluter Nothwendigkeit der Beschaffung genügender Räumlichkeiten die Frage entstand, wieweit diese zufolge Bundesbeschluß vom 27. November 1848 dem Bundesorte Bern obliege.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht der Mehrheit der Kommission des Ständerathes, betreffend eidgenössische Gewährleistung der neuen Verfassung des Kantons Basel-Stadt. (Vom 28. Juni 1875.)

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31.07.1875

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