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Kreisschreiben des

eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements an die Regierungen sämmtlicher Kantone, betreffend Auslieferung von Verbrechern.

(Vom 26. Januar 1875.)

Herr Präsident!

Hochgeachtete Herren!

Der Artikel 58 des Bundesgesezes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 27. Juni 1874 schreibt vor : ,,Das Bundesgericht entscheidet über A u s l i e f e r u n g e n , welche kraft bestehender Staatsverträge verlangt werden, sofern die Anwendbarkeit des betreffenden Staatsvertrages bestritten wird.

Die vorläufigen Verfügungen bleiben in der Kompetenz des Bundesrathes."

Nach Art. 6 des Bundesbeschlusses, betreffend den Beginn der Amtstätigkeit des Bundesgerichtes voto 16. Oktober 1874, ist der Entscheid über Anstände in Auslieferungsangelegenheiten mit dem 1. Januar 1875 an das Bundesgericht übergegangen.

Es wurde daher nothwendig, unverzüglich das Verfahren in Auslieferungsangelegenheiten zu ordnen und festzustellen, was der politischen Behörde und was der gerichtlichen Behörde zustehe.

Nachdem das unterzeichnete Departement hierüber das Gutachten des Bundesgerichtes eingeholt, hat es dem Bundesrath seine

123 Anträge vorgelegt. Der leztere hat diese Anträge in der Sizung von gestern, den 25. Januar, genehmigt und uns beauftragt, sie den kantonalen Behörden wie folgt zur Kenntniß zu bringen: ,,1. Ein auf diplomatischem Wege dem Bundesrathe zugekommenes Auslieferungsgesuch wird dem eidgenössischen Justizund Polizeidepartement überwiesen. Dieses prüft, ob die in den Verträgen vorgeschriebenen Bedingungen für die Bewilligung der Auslieferung im Spezialfalle vorhanden seien, insbesondere mit Rüksicht auf die Natur des Verbrechens und auf die Aktenstüke, welche von dem requirirenden Staate vorgelegt werden müssen fUrtheil, Verhaftsbefehl etc.), und ob diese Aktenstüke vollständig und in gehöriger Form ausgestellt seien.

,,II. Wenn die Auslieferung wegen einer Anklage verlangt wird, welche in dem angerufenen Staatsvertrage nicht enthalten ist, so stellt das Departement den Antrag an den Bundesrath, das Begehren abzuweisen, und der Bundesrath entscheidet'darüber.

,,III. Wenn die vorgelegten Aktenstüke nicht in gehöriger Form ausgestellt oder unvollständig sind, so stellt das Justiz- und Polizeidepartement an den Bundesrath den Antrag, auf diplomatischem Wege bei dem requirirenden Staate zu verlangen, daß sie nach den Vorschriften des Vertrages vorgelegt werden. Ungeachtet dieses Begehrens um Vervollständigung der Akten kann der Bundesrath dennoch, wenn er es nöthig findet, gleichzeitig die in den folgenden Artikeln IV und V vorgesehenen vorbereitenden Maßnahmen verfügen.

,,IV. Wenn der Bundesrath findet, daß die in einem Ablieferungsverträge vorgeschriebenen Bedingungen erfüllt seien, und ohne dies auch in den durch die Verträge vorgesehenen dringendes Fällefi, so ersucht er die Regierung desjenigen Kantons, auf dessen Gebiet das verfolgte Individuum nach der Anzeige des requirirenden Staates sich geflüchtet haben soll, dasselbe so beförderlich als möglich aufsuchen und verhaften zu lassen.

,,V. Wenn der die Auslieferung verlangende Staat nicht einen bestimmten Kanton bezeichnet hat, in welchem der Verurtheilte oder Verfolgte muthmaßlich sich aufhalten soll, so verfügt das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement, nachdem der Bundesrath die provisorische Verhaftung beschlossen hat, die Veröffentlichung des Signalementes in der Weise, wie es ihm am passendsten scheint, mit der Einladung an die kantonalen Polizeibehörden, sich der Person zu versichern und im Falle der Verhaftung darüber Bericht zu erstatten.

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,,VI. Wenu die in obigen Artikeln IV und V vorgeschriebenen Nachforschungen erfolglos geblieben sind, so erstatten die Kantonsregierungen hierüber Bericht an den Bundesrath, welcher dem requirirenden Staate davon Kenntniß gibt.

,,VII. Wenu das reklamirte Individuum verhaftet ist, so macht die Kantonsregierung dem Bundesrathe beförderlichst davon Anzeige und spricht sich gleich/eilig darüber aus, ob die Anwendung des Auslieferungsvertrages, sei es von ihr selbst oder sei es von der verfolgten Person, bestritten werde.

,,Im erstem Falle übersendet die Kantonsregierung dein Buudesrathe die zur Unterstüzung ihrer Ansicht dienlichen Aufschlüsse und Aktenstüke.

,,Im zweiten Falle läßt die Kautonsrcgierung durch einen von ihr zu bezeichnenden Beamten ein Protokoll über die Einspruchsgründe des Angeklagten oder Verbrechers aufnehmen.

,,Vili. Wenn von keiner Seite mit Bezug auf die Anwendung des Auslieferungsvertrages Einsprache erhoben worden ist, so bewilligt der Bundesrath die Auslieferung, gibt hievon auf diplomatischem Wege dem requirirenden Staate Kenntniß und beauftragt die betreffende Kantonsregierung, die Auslieferung zu vollziehen, wovon leztere den Bundesrath benachrichtigt, sobald sie stattgefunden hat.

,,IX. Im Falle gegen die Anwendung des Staatsvertrages Einsprache erhoben worden ist, erklärt der Bundesrath, daß der Art. 58 des Bundesgesezes über' die Organisation der Bundesrechtspflege zur Anwendung komme, und übersendet alle Akten an das Bundesgericht. Hievon gibt er der betreffenden Kantonsregierung und durch ihre Vermittlung dem reklamirten Individuum Kenntniss.

,,X. Das Bundesgericht entscheidet möglichst beförderlich und übersendet seinen Beschluß unverzüglich an den Bundesrath.

,,Wenn die Auslieferung bewilligt worden ist, So beauftragt der Bundesrath die Kantonsregierung, dieselbe zu vollziehen und darüber Bericht zu erstatten.

,,Wenn dagegen die Auslieferung verweigert worden ist, so vorfügt der Bundesrath, daß das betreffende Individuum aus dem Verhafte zu entlassen sei.

,,In beiden Fällen gibt der Bundesrath dem requirirenden Staate auf diplomatischem Wege von dem Geschehenen Kenntniß."

Dieses ist, Herr Präsident, hochgeachtete Herren, das Verfahren, welches der Bundesrath und das Bundesgericht in denjenigen Aus-

125 lieferungsangelegenheiten befolgen werden, welche sich auf internationale Verträge stüzen.

Was die Auslieferungen betrifft, welche von Staaten verlangt werden mögen, mit denen die Schweiz keine Verträge hat, so bleiben diese auch fernerhin in der Kompetenz der kantonalen Behörden. Der Bundesrath wird sich daher darauf beschränken, sie den betheiligten Kantonsregierungen zu übersenden mit der Einladung, darüber zu entscheiden und ihm diesen Entscheid zur Kenntniß zu bringen.

Indem wir darauf zählen, daß Sie, Herr Präsident, hochgeachtete Herren, der Vollziehung der Vorschriften, welche wir Ihnen hiemit zur Kenntniß bringen, Ihre Mitwirkung leihen werden, benuzen wir diesen Anlaß, Sie unserer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 26. Januar 1875.

Der Vorsteher des eidg. Justiz- und Polizeidepartements: Ceresole.

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Bericht des

schweizerischen Konsuls in New-Orleans (Hrn. Xav. Weissenbach von Bremgarten (Aargau), über die Jahre 1873 und 1874.

(Vom 4. Januar, eingegangen den 23 Januar 1875.)

An den hohen Schweiz. Bundesrath.

Tit.!

Die Lage des Handels im Allgemeinen hat sich in dem von mir vertretenen Consular-District wahrend des Jahres 1873 ungünstig gestaltet, und haben diese Verhältnisse im Laufe des letzten Jahres noch mehr zugenommen. Der Grund davon ist, im Verein mit der im Herbst 1873 eingetretenen Geschäfts-Krisis, hauptsachlich auch in den politischen Wirren zu suchen, welche besonders im Staate Louisiana seit 2 Jahren vorherrschend sind, und in der schlechten Verwaltung, welche diese Staaten und besonders Louisiana und die Stadt New-Orléans in eine große Schuldenlast gestürzt hat.

Die Masse des Volkes ist durch ungeheure Steuern bedruckt und in Folge der politischen Lage und Unsicherheit in allen Zustanden ist jedes Vertrauen gewichen.

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Kreisschreiben des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements an die Regierungen sämmtlicher Kantone, betreffend Auslieferung von Verbrechern. (Vom 26. Januar 1875.)

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1875

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30.01.1875

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