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# S T #

Bericht des

Bundesrathes auf das Postulat vom 1. Juli 1875, betreffend die Berechnung der Spruchgebühren und anderer Gerichtskosten des Bundesgerichts.

(Vom 29. Oktober 1875.)

Tit.!

Sie haben unterm 1. Juli 1875 (A, S. l, 578, Ziff. 8) folgendes Postulat an uns gerichtet: ,,Der Bundesrath ist eingeladen, zu untersuchen, ob in Prozessen, welche gerichtliche Augenscheine, beziehungsweise gerichtliche Untersuchung außerhalb des Gerichtsortes herbeigeführt haben, die betreffenden Kosten für Richter und Kanzlei nicht in jedem besondern Falle eigens bestimmt werden, sondern lediglich eine für solche Fälle gleichmäßige Erhöhung der Spruchgebühr eintreten solle."

Wir erachteten es als angemessen, in erster Linie diejenige Behörde um ihre Ansicht anzugehen, welche der Sache am nächsten steht und welche dabei, gestüzt auf seitherige Erfahrung, ihr Gutachten abzugeben im Falle ist.

Im Anschlüsse beehren wir uns nun, Ihnen das daherige Gutachten des Bundesgerichtes vom 23. If. Mts. einzubegleiten,

1059 welches schließlich dahin geht: dem Postulate keine Folge zu geben oder wenigstens die Revision des Bundesgesezes vom 24. September 1856 (amtliche Sammlung V, 408) über die Kosten der Bundesrechtspflege abzuwarten.

Indem wir beifügen, daß wir dieser Ansicht des Bundesgerichtes uns vollständig anschließen, benuzen wir den Anlaß zur erneuerten Versicherung ausgezeichneter Hochachtung.

B e r n , den 29. Oktober 1875.

'

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, DerB u n d e s p r ä s i d e n t :

Scherer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Sthiess.

1060

Gutachten

*

des

schweizerischen Bundesgerichts betreffend die Berechnung der Spruchgebühren und anderer Gerichtskosten des Bundesgerichts.

(Vom 23. Oktober 1875.).

Tit. !

Mit Zuschrift vom 9. Juli d. Js. haben Sie uns das von der Bundesversammlung am 1. Juli angenommene Postulat Nr. 8 mitgelheilt. Sie wünschen diesfalls unsere Ansicht zu vernehmen, und ersuchen das Bundesgericht, sich im Fernern auch darüber auszusprechen, ob nicht das Gesez vom 24. September 1856 (V, 408) betreffend die Kosten der Bundesrechtspflege etc. in seiner Gesammtheit einer Revision zu unterwerfen sei.

Wir beehren uns, Herr Präsident, Herren Bundesrathe, unsere Antwort dahin zu geben: I.

Kraft der Artikel 110, 112 und 113 der Bundesverfassung, sowie des Bundesgesezes über die Organisation der Bundesrechtspflege, hat das Bundesgericht Zivilstreitigkeiten, Streitigkeiten staatsrechtlicher Natur, sowie verschiedene Straffälle mit Zuziehung von Geschwornen zu beurtheilen.

1061 Das Bundesgesez vom 24. Herbstmonat 1856 über die Kosten der Bundesrechtspflege bestimmt die Gerichts- und Anwaltsgebühren, sowie die Parteientschädigungen in Zivil- und Strafsachen ; es sieht dagegen die staatsrechtlichen Streitigkeiten nicht vor, weil leztere zur Zeit der Inkraftsezung besagten Gesezes der Beurtheilung des Bundesgerichtes noch nicht unterstellt waren.

Gemäß Art. 62 des Bundesgesezes über die Organisation der Bundesrechtspflege ,,sollen der Regel nach für die Entscheidung staatsrechtlicher Streitigkeiten weder Gerichtsgebühren bezogen, noch Parteientschädigungen zugesprochen werden."

,,Doch kann das Gericht Ausnahmen machen in Fällen, wo die Anhebung oder Veranlassung des Streites, oder · die Art der Prozeßführung es rechtfertigen sollte."

Nach dieser Gesezesbestimmung ist daher jede Frage betreffend Gerichtskosten oder Gebühren bei staatsrechtlichen Streitigkeiten zwar ausgeschlossen, jedoch ist es dem Bandesgerichte anheimgestellt, leichtfertigen Rekurrenten nach freiem Ermessen eine Gerichtsgebühr zu Händen der Bundeskasse aufzulegen, von welcher Befugniß dasselbe bereits innerhalb der bescheidenen Schranken von Fr. 20--50 in gewissen Fällen Gebrauch gemacht hat.

Was die Zivilstreitigkeiten, zu denen die zahlreichen Expropriationsprozesse wegen Baues von Eisenbahnen gehören, betrifft, so sezt Ari. 23 des Bundesgesezes über das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom 22. November 1850 Folgendes fest: ,,Jede Pari ei hat die durch ihre Handlungen entstehenden Kosten vorzuschießen, beide Parteien zusammen aber diejenigen, welche durch gemeinschaftliche Anträge oder durch das Gericht von Amts wegen veranlaßt werden. Der diesfälligen Aufforderung ist die Drohung beizufügen, daß die Handlung, deren Kosten zu deken sind, zum Nachtheile der Partei, welche den Vorschuß nicht leistet, unterbleiben werde."

Diese durch den Art. 7 des bereits citirten Gesezes vom 24. September 1856 bestätigte Bestimmung wird durch das Bundesgericht und die für die Instruktion der Streitsachen delegirten Bundesrichter angewendet, indem dieselben von den Rekurrenten stets Vorschüsse zur Dekung der Instruktionskosten, resp. des Augenscheines, verlangen.

Die Strafprozesse dagegen sind selten, und es erweisen sich die Bestimmungen des erwähnte» Gesezes vom 24. September 1856 als vollkommen hinreichend, um den geregelten Gang der Justiz zu sichern.

1062 Die oben angeführten Verhältnisse scheinen uns, hochgeehrte Herren, darzuthun, daß das Bundesgesez-vom 24. September 1856, betreffend die Kosten der Bundesrechtspflege, in seiner Gesammtheit einer Revision nicht dringend bedarf, sondern eine derartige Arbeit noch verschoben werden kann.

Verschiedene Bestimmungen dieses Gesezes sind allerdings außer Kraft getreten, da die Mitglieder des Bundesgerichtes seit dem I. Januar 1875 fixe Besoldungen beziehen, -- aber die diesfalls nöthig gewordenen Bestimmungen sind bereits durch den Bundesbeschluß vom 22. Christmonat 1874 getroffen worden, und wir halten dafür, daß, bevor neue gesezliche Bestimmungen über diesen Gegenstand erlassen worden, es zwekmäßig sei, die Ergebnisse der Erfahrung abzuwarten.

Neue Bundesgeseze haben zwar neuerdings die Kompetenz unseres Gerichtes erweitert; allein diese Gescze sind zur Zeit noch nicht alle in Kraft, so z. B. dasjenige über Zivilstand, Ehe- und Ehescheidung.

Andere wichtige Bundesgeseze befinden sich im Stadium der Vorbereitung.

Wir glauben daher, daß es voreilig wäre, über die Gerichtskosten und Gebühren Vorschriften zu erlassen, bevor eine über einige Jahre sich erstrekende Statistik mit etwelcher Gewißheit über die Zahl der dem Bundesgerichte unterbreiteten Streitfälle, sowie über die mannigfachen, dieselben begleitenden Umstände Licht verbreitet haben wird.

U.

Das achte durch die Bundesversammlung angenommene Postulat lautet folgendermaßen : ,,Der Bundesrath ist eingeladen, zu untersuchen, ob in Prozessen, welche gerichtliche Augenscheine, beziehungsweise gerichtliche Untersuchung außerhalb des Gerichtsortes herbeigeführt haben, die betreffenden Kosten für Richter und Kanzlei nicht in jedem besondern Falle eigens bestimmt werden, sondern lediglich eine für solche Fälle gleichmäßige Erhöhung der Spruchgebühr eintreten solle. " Dieses Postulat scheint zu verlangen, daß bei denjenigen Zivilstreitsachen (Expropriationsprozesse und alle übrigen, in den verschiedenen Kategorien der Art. 27 -- 31 des Bundcsgesezes über die Organisation der Bundesrechtspflege enthaltenen Prozesse), welche eine Lokalbesichtigung oder eine gerichtliche Untersuchung außerhalb Lausanne erheischen, die dem Instruktionsrichter und dem

1063 Aktuar zukommenden Reiseentschädigungen und Taggeldcr nicht aus dem von den Parteien gemäß der bereits citirten Gesezesartikel verlangten Vorschüsse, sondern aus der Gerichtsgebühr, die dann gleichmäßig zu erhöhen wäre, bestritten werden solle.

Eine solche Neuerung würde nachstehende Folgen nach sich ziehen : Der von den Parteien zu leistende Vorschuß würde lediglich zur üekung der Kosten für Experten und Zeugen dienen.

Die Kasse des Bundesgerichtes müßte den Instruktionsrichtern, resp. Aktuaren den Betrag ihrer Reiseentschädigungen und Taggelder vorschießen.

Die Spruchgebühr müßte durchschnittlich und gleichmäßig erhöht werden, so daß für Gerichtshandlungen, welche in der Nähe von Lausanne, wie z. B. in Genf, Neuenburg oder Bern stattfinden , die Parteien einen größern Kostenantheil zu entrichten .

hätten, als die wirklichen Kosten betragen haben, damit auf solche Weise die bedeutenderen Kosten der in Zürich oder im Tessin vorgenommenen Gerichtshandlung-en aufgewogen werden.

So müßte die Bundesgerichtskasse bedeutende Vorschüsse während der Dauer der Zivilprozesse leisten; sie würde nicht sicher sein, deren völlige Erstattung von den Parteien nach Erlaß des Urtheiles zu erlangen; sie wäre also der Gefahr ausgesezt, sich einer Partei gegenüber zu befinden, die insolvent oder verschuldet geworden, nachdem alle nöthigen Beweisaufnahmen erfolgt sind, -- und Betreibungen anheben zu müssen, nicht nur zur Zahlung der Spruchgebühr, sondern auch zur Rükerstattung der den Gerichtsbeamten (für Reisekosten bei Augenscheinen oder Zeugenvernehmungen nach außerhalb) gemachten Vorschüsse.

Man würde endlich, um die Kosten derjenigen Parteien zu mindern, welche sehr weit von Lausanne entfernt sind, den Litiganton aus den benachbarten Kantonen höhere Kosten, als die wirklich in ihren Streitsachen erwachsenen, auferlegen müssen ; um eine Ungleichheit in der geographischen Lage zu beseitigen, würde man eine andere Ungleichheit herbeiführen, welche nothwendig eine ganz willkürliche Festsezung der durchschnittlichen Erhöhung der Spruchgebühr nach sich zöge. Wir machen endlich darauf aufmerksam, daß die große Mehrzahl der Expropriationsprozesse ohne Urtheil dos gesammten Bundesgerichtes zu Ende geführt werden, indem, nach stattgehabtem Augenschein und Expertise, die Parteien den Antcag des Instruktionsrichters
annehmen; in solchen Fällen wird für ein Urtheil, das nicht erfolgt, keine Spruchgebühr auferlegt, -- und dennoch hat eine Lokalbesichtigung, verbunden mit der Reise eines Richters und eines Aktuars, stattgefunden.

1064 Es wäre also nöthig, ein anderes System auszudenken, um die Parteien (Eisenbahngesellschaften und expropriirte Eigen!hunier) zur Rükerstattung der durch die bundesgerichtlichen Instruktionskommissionen erwachsenen Kosten zu zwingen. So könnte aber eine Ungerechtigkeit zum Nachtheile der in der Mitte der Schweiz belegenen und zu Gunsten der entlegenen Eisenbahnbauten entstehen.

In den Kantonen sind immer die Kosten für Augenscheine und Reisen von dem Siz der Obergerichte nach der wirklichen Entfernung berechne! worden.

Wir denken, Herr Präsident, Herren Bundesrathe, daß die augeführten Thatsachen und deren Konsequenzen Ihre hohe Behörde bewegen dürften, dem besagten Postulate keine Folge zu geben, sondern mindestens zuzuwarten, um die angeregte Neuerung einer nochmaligen Prüfung zu unterziehen, bevor das Bundesgesez vom 24. September 1856 einer Gesammtrevision unterworfen wird.

Bis dann werden wir vollständigere Erfahrungen über die dem Bundesgerichte durch die volle Ausübung seiner neuen Kompetenzen geschaffene veränderte Lage besizen.

Est dann werden wir auch eine genaue Einsicht in den Umfang der durch die Spruchgebühren in unsere Kasse fließenden Einnahmen haben können, und erst dann endlich wird es uns möglich sein, die durch Augenscheine und Untersuchungen in den verschiedenen Kantonen verursachten Kosten genau zu kennen und die Zahl derjenigen Prozesse ebenfalls genau festzusezen, welche jedes Jahr der endgültigen Beurtheilung des Bundesgerichtes unterbreitet worden sind.

Genehmigen Sie, Hochgeehrter Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

L a u s a n n e , den 23. Oktober 1875.

Im Namen des Schweiz. Bundesgerichtes, Der P r ä s i d e n t :

Dr. J. J. Blumer.

Der Gerichtsschreiber: Hafner.

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Bericht des Bundesrathes auf das Postulat vom 1. Juli 1875, betreffend die Berechnung der Spruchgebühren und anderer Gerichtskosten des Bundesgerichts. (Vom 29. Oktober 1875.)

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