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Bundesrathsbeschluss in

Sachen des Anton D u p r é in Pont-en-Ogoz, Kantons Freiburg, Pfarreipräsident, betreffend Bestrafung wegen Heiligthumsentweihung.

(Vom 15. Februar 1875.)

D e r schweizerische B u n d e s r a t h hat in Sachen des Anton D u p r é in Pont-en-Ogoz, Kts. Freiburg, Pfarrei-Präsident, betreffend Bestrafung wegen Heiligthumsentweihung;

nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben: I. Der Rekurrent wurde vor dem korrektionellen Gerichte des Bezirkes Greyerz, Kts. Freiburg, wegen Gotteslästerung angeklagt, weil er am 2. Februar 1874, einem Festtage, den Töchtern Melanie S c h m u t z und Rosalie Key, beide wohnhaft in Pont-enOgoz, als sie Nachmittags zum Gottesdienste in die Kirche nach Avry devant Pont giengen, auf offener Straße die silbernen Denkzeichen (médailles) der Töchtern-Kongregation, worauf sich das Bildniß der heiligen Jungfrau befinde, vom Halse gerissen und in Beziehung auf diese religiösen Sinnbilder grobe Injurien ausgesprochen, sowie weil er diese Denkzeichen den Eigenthümerinnen nicht wieder zurükgestellt habe.

362 Anton Dupré gab die Richtigkeit dieser Thatsachen zu, erklärte jedoch, daß er dabei nicht in böser Absicht gehandelt habe.

II. Da der Rekurrent von Förster Fragniere in Gumeffens auch noch wegen Verläumdung und Amtsehrverlezung angeklagt war, so beurtheilte das Gericht am 14. April 1874 beide Anklagen gleichzeitig. Das Urtheil lautete dahin : ,, Considérant que l'accusé s'est rendu coupable d'avoir enlevé sur un chemin public deux médailles, valant moins de cinquante francs.

,, Qu'il est de plus coupable d'avoir, en enlevant ces médailles, proféré des paroles de haine et de mépris contre ces objets servant au culte.

,, Que la gravité de la faute est d'autant plus grande, que ces actes de brutalité ont été commis sur deux personnes, et par un président de paroisse.

,, Cumulant en une même peine la répression des délits commis contre Paul Fragnière, Mélanie Schmutz et Rosalie Rey.

,,Vu les art. 408, 411, 233 N° 3, 346, 417, combinés avec l'art. 70 du Code pénal.

,,En application de l'art. 417 précité, ,,Condamne: ,,Antoine Dupré à un mois de prison, soit de réclusion à la prison centrale, à la privation de ses droits politiques pendant cinq ans, à la rétractation des propos tenus contre Paul Fragnière, et aux frais d'enquête, de jugement et d'exécution de la sentence, ainsi qu'à la restitution des médailles.tt III. A. Dupré legte gegen dieses Urtheil die Nichtigkeitsbeschwerde ein wegen irrthümlicher Anwendung des Gesezes, indem kein Diebstahl vorliege, und weil ihm das rechtliche Gehör nicht in vollem Umfange gewährt worden sei. Das Kassatiousgericht des Kantons Freiburg erklärte jedoch mit Urtheil vom 26. Juni 1874 diese Beschwerde als unÏDegrundet und bestätigte das erstinstanzliche Urtheil.

IV. Mit Eingabe vom 4. Dezember 1874 rekurrirte Hr. Advokat J. Gendre in Freiburg, Namens des Anton Dupré, an den Bundesrath und machte geltend : Dupré sei in Anwendung von Art. 346 des freiburgischeu Strafgesezes wegen Heüigthumsentweihung (sacrilège) verurtheilt worden. Um das Seltsame dieser Verurtheilung zu deken, habe

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der Richter auch noch eine Injurie und einen qualifizirten Diebstahl damit verbunden. Allein von einem Diebstahle könne keine Rede sein; Dupré habe die Rükgabe der Medaillen oder selbst deren hundertfachen Werthes nie abgelehnt. Wegen der Ehrverlezung allein hätte aber eine so hohe Strafe nicht ausgesprochen werden können. Es liege also in Wirklichkeit nichts anderes vor, ala die Anklage auf Gotteslästerung.

Unter dem Art. 49 der neuen Bundesverfassung könne aber ein Vergehen dieser Art nicht mehr bestehen. Angesichts der darin proklarnirten Gewissensfreiheit dürfe ein Bürger bloß dafür nicht mehr gestraft werden, daß er an Gegenstände oder Merkmale eines Aberglaubens, den er mit Recht verabscheuen könne, Hand angelegt habe. Im Spezialfalle habe die Untersuchung nichts anderes ergeben, und Dupré sei auch wegen nichts anderai gestraft worden.

Diese angebliche Entweihung könne weder als ein. selbstständiges Vergehen, noch als ein Erschwerungsgrund angesehen werden. Da aber da.s Urtheil auf den einen oder andern dieser Gesichtspunkte sich stelle, so stehe es im Widerspruch mit den Grundsäzen der Bundesverfassung.

V. Der Staatsrath des Kantons Freiburg rechtfertigte in seiner Antwort vom 20. Januar 1875 das angegriffene Urtheil wie folgt: Die Handlung, deren der Rekurrent gegenüber den Töchtern Schmutz und Rey sich schuldig gemacht, bilde zunächst ein Vergehen gegen das Eigenthum. Das Gericht von Greyerz habe diedielbe als einen ausgezeichneten Diebstahl qualifizirt und demgemäß die im Art. 417 des Strafgesezbuches vorgesehene Strafe in Anwendung gebracht. Diese Anschauungsweise sei von dem Kassationsgerichte ausdrüklich bestätigt worden. Neben diesem Hauptvergehen haben die übrigen damit konkurrirenden Umstände, sowie die gegen Fragniere ausgesprochene Verläumdung, gemäß Art. 70 des Strafgesezes nur als Erschwerungsgründe auf das Strafma.ß Einfluß haben können. Bei der Qualifikation der dem Rekurrenten zur Last gelegten Handlung habe sich das Gericht inner seiner Kompetenz bewegt; sein Urtheil sei also nicht weiter anfechtbar. Uebrigens hätte für den ausgezeichneten Diebstahl allein die gleiche Strafe ausgesprochen werden können. Dagegen sei in dem fraglichen Urtheile eine Strafe ausgefällt worden, die in dem Art. 346 des Strafgesezbuches nicht vorgesehen sei. Wenn der Rekurrent bloß wegen Uebertretung dieses Art. 346 verurtheilt worden wäre, so würde das Kassationsgericht seine Beschwerde begründet erklärt haben. Jene Voraussezung sei aber nicht richtig.

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Was die Berufung auf den Art. 49 der Bundesverfassung betreffe, so könne zweifelhaft sein, ob der erwähnte Art. 346 des Strafgesezes auf Diskussionen an öffentlichen Orten oder in der Presse in Anwendung kommen dürfe. Dagegen sei über dessen Anwendbarkeit in dem Falle kein Zweifel möglich, wo es sich darum handle, Gewaltthätigkeiten zu unterdrüken, die aus religiösen Ansichten entstanden seien. Der Art. 49 der Bundesverfassung schüze nicht bloß das Recht, nichts zu glauben, sondern er gewährleiste die Glaubensfreiheit hauptsächlich in dem Sinne, daß Jedermann seine Religion inner den Schranken der öffentlichen Ordnung ausüben könne. Diese Glaubensfreiheit habe der Rekurrent gegenüber den Töchtern Schmutz und Rey in roher Weise verlezt. Wenn das Gericht ihn hiefür gestraft habe, so habe es einfach die beiden Töchtern in ihren Rechten geschüzt; dagegen liege ein Eingriff in die Rechte des Dupré nicht vor. Dazu komme, daß die Injurien gegen eine Korporation so gut strafbar seien, als diejenigen gegen Privatpersonen. Uebrigens könne sich der Rekurrent gar nicht auf die neue Bundesverfassung beziehen, indem das angegriffene Urtheil aus einer Zeit datire (14. April 1874), in welcher noch die alte Bundesverfassung in Kraft gestanden sei.

In E r w ä g u n g : Was zunächst die Behauptung betrifft, daß das gegen Dupré erlassene Strafurtheil aus einer frühern Zeit datire als die Bundesverfassung vom 29. Mai 1874, so ist entgegenzuhalten, daß dieses Urtheil erst mit dem Kassationsentscheid vom 26. Juni 1874 definitiv wurde; es waren also die Grundsäze des jezt geltenden Bundesrechtes bereits in Kraft, als die Strafe gegen Dupré von der lezten Instanz ausgesprochen wurde. Der Bundesrath hat daher zu prüfen, ob diese Verurtheilung mit dem einen oder andern dieser Grundsäze im Widerspruche stehe.

In der Hauptsache selbst ist sodann in Betracht zu ziehen, daß der Art. 64 der Bundesverfassung diejenigen Rechtsmaterien bezeichnet, welche der Bundesgesezgebung zugewiesen sind, und daß nach diesem Artikel die Gesezgebung über das Strafrecht in der Kompetenz der Kantone verblieben ist.

Kraft dieser Kompetenz erlassen die Kantone in souveräner Art die Vorschriften über die verschiedenen Verbrechen nnd Vergehen, sowie über die Strafen, welche jedes einzelne derselben, sowie die Vereinigung mehrerer derselben treffen.

Der Bundesrath hat daher nicht zu prüfen, in welcher Weise die Bestimmungen des freiburgischen Strafgesezes, betreffend Diebstahl

365 (Art. 417), Beschimpfung und Verläumdung (Art. 408 und 411) und die Kumulation der Vergehen (Art. 7ü) auf den Reku>renten Dupré zur Anwendung gebracht worden sind; in dieser Beziehung sind die Erlasse des Zuchtpolizeigerichts von Greyerz und des Kassationshofes des Kantons Freiburg abschließend und endgültig.

Diese gesezlichen Vorschriften gestatten unzweifelhaft die Ausfällung der Strafe von einem Monat Gefängniß und fünf Jahren Verlust der bürgerlichen Rechte, welche gegen Dupré verhängt worden ist.

Selbst wenn Art. 346 des freiburgischen Strafgesezes nicht gegen ihn angerufen worden wäre, hätte die verhängte Strafe doch gegen ihn in Anwendung gebracht werden dürfen.

Die Handlungen, wegen deren Dupré beklagt wurde, bilden .nicht die Aeußerung einer religiösen Ansicht, sondern es sind Akte der Gewalttätigkeit und des Angriffs auf fremdes Eigenthum.

Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist in der Person des Rekurrenten nicht verlezt worden. Art. 49 der Bundesverfassung kommt also nicht in Frage; beschlossen: 1. Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

2. Von diesem Beschlüsse ist dem Staatsrathe von Freiburg, sowie Herrn Advokat J. Gendre in Freiburg, zuhanden des Rekurrenten Anton Dupré, Kenntniß zu geben.

B e r n , den 15. Februar

1875.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Scherer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schiess.

Bundesblatt. Jahrg. XXYII. Bd.I.

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Bericht des

Schweiz. Konsuls in Odessa (Hrn. Otto Trithen von St. Stephan) über das Jahr 1874.

(Vom 10/22. Februar 1875, eingegangen den 26. Februar 1875.)

An den hohen Schweiz. Bundesrath.

Tit.!

Das Ergebniß des verflossenen Jahres ist unglücklicher Weise nicht derart, um zum Wohlstand von Süd-Rußland beizutragen, welches schon durch die verfehlte Ernte von 1873 eine harte Prüfung zu bestehen hatte und besonders günstige Verhältnisse nöthig gehabt hätte, um für Handel und Landwirthschaft, welche die Quelle des Wohlstandes der Bevölkerung bilden, den früheren Zustand wieder herzustellen.

Obwohl die Getreideernte von 1874 im südlichen Rußland befriedigend und in einigen Gouvernements, wie z. B. in der frühereu Ukraine und in Taurien selbst sehr reichlich war, so haben sich dennoch die Finanzverhältnisse der Landwirthe wenig verbessert.

Die Produkte der neuen Ernte sind zu- so niedrigen Preisen verkauft worden, daß sie kaum die Arbeitskosten, welche viel größer als gewöhnlich waren, gedeckt haben, so daß es Grundeigentümer gab, welche erklärten, daß das gänzliche Fehlen der Ernte nachtheiligere Folgen nicht gehabt hätte.

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Bundesrathsbeschluss in Sachen des Anton Dupré in Pont-en-Ogoz, Kantons Freiburg, Pfarreipräsident, betreffend Bestrafung wegen Heiligthumsentweihung. (Vom 15. Februar 1875.)

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13.03.1875

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361-366

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