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Bericht der

Minderheit der ständeräthlichen Kommission, betreffend die Gewährleistung der Verfassung des Kantons Luzern.

(Vom 18. Juni 1875.)

Tit. !

Die Minderheit Ihrer Commission erlaubt sich, Ihnen den Autrag zu bringen, hinsichtlich der Genehmigung der Verfassung des Kantons Luzern den bundesräthlichen Beschlusses-Entwurf, wie er auf Seite 14 der in Ihren Händen liegenden gedruckten Botschaft des Bundesrathes, datirt vom 24. Moi 1875, enthalten ist, u n v e r ä n d e r t anzunehmen und zum Beschlüsse zu erheben.

Bevor wir zur Begründung unseres Antrages übergehen, konstatiren wir mit Vergnügen, daß rücksichtlich der D i s p o s i t i v e des Beschlusses keine Verschiedenheit in der Commission herrschte, indem dieselbe e i n s t i m m i g G e n e h m i g u n g der neuen Verfassung des Kantons Luzerii beantragt. Nur in Bezug der M o t i v i r u n g herrscht eine Differenz, indem die Mehrheit der Commission bezüglich des § 3 der neuen Luzerner Verfassung eine Motivirung, w i e S i e solche a u s demRapportee u n d Beschlussesantrage Beschlüsse einverleiben will, während dieCommissions-Minderheitt m i t Beiseitlassung diesbezüglicherMotivee einfach tale quale Der Differenzpunkt der Commission besteht also darin, daß die Mehrheit Ihrer Commission den § 3, Absatz 3 der Verfassung

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von Luzern nicht ganz conform mit dem Art. 27, Absatz 2 und 8 der neuen Bundesverfassung findet, und es daher indizirt und in ihrer Stellung erachtet, durch die Ihnen vorgeschlagenen Motive den Standpunkt klar zu machen und den Vorbehalt und die Voraussetzung, unter welcher die Genehmigung des erwähnten Paragraphen der Luzerner Verfassung erfolge, expressis verbis in den Beschluß niederzulegen, während hinwider die CommissionsMinderheit. in Uebereinstimmung mit dem Bundesrathe in § 3 der Verfassung des Kantons Luzern nie, h t s Bundesverfassungswidriges und demnach die von der Commissions-Mehrheit beantragte Motivirung unnöthig und nicht am Platze findet.

Der § 3 der neuen Luzerner Verfassung lautet wie folgt : ,,Der Kanton sorgt unter Beobachtung der Vorschriften des ,,Art. 27 der Bundesverfassung für den öffentlichen Unterricht.

,,Die Leitung der öffentlichen Schulen steht ausschließlich den Staatsbehörden zu.

,,Die F r e i h e i t d e s P r i v a t · U n t e r r ich t e s w i r d ,,,, u n t e r W a h r u n go d e r ~g e s e t z l i c h e n A u f sic h t d e r S t a a t s ,, b e h ö r d e über die E r r e i c h u n g des Lehrzieles der ,,öffentlichen P r i m a r s c h u l e grundsätzlich anerkannt.

,,Den Gemeinden wird die Wahl der Volksschullehrer gewährleistet.a Das dritte Alinea dieses soeben wörtlich allegirten § 3 der Kantonsverfassung von Luzern bildet nun bei der Mehrheit Ihrer Commission den Stein des Anstoßes und dieses Lemma 3 ist auch der Inhalt des Rekurses der Herren Wapf und Consorten au den Bundesrath, beziehungsweise an die Bundesversammlung.

Auffallend und bezeichnend erscheint uns, wie die Antwort der Luzerner Regierung an den hohen Bundesrath, datirt den 27. März a. c., welche gedruckt den Mitgliedern der Bundesversammlung ausgetheilt wurde, mit Recht hervorhebt, daß die Beschwerdeführer gegen die neue Luzerner Verfassung n i c h t gegen den Wortlaut, sondern nur gegen die T e n d e n z der oben in Absatz 3 des § ?> enthalteneu Verfassungsbestimmung Protest, erheben und die seltene, Zumuthung an die Bundesbehörden stellen, jener Verfassungs · Bestimmung die. Bundesgenehmigung zu verweigern, aus Ursache, weil die Tendenz, welche die Herren Reklamanten in der angefochtenen Verfassungsbestimmung erblicken wollen oder in ihrer Phantasie hineinzulegen für zweckdienlich finden,
mit der Ten denz des Art. 27 dei- Bundesverfassung kollidire. Wir halten mit der Regierung des Kantons Luzern die Ansicht fest, daß die Gewährleistung für den Wortlaut der Verfassung verlangt werde und

471 keinesfalls für eine Tendenz, welche eine oppositionelle Minderheit eigenwillig den Beschlüssen der Mehrheit zu unterschieben sich anmaßte.

In der Sache selbst, das heißt in der Begründung unserer Behauptung, daß die mehrerwähnte Bestimmung in der Luzerner Kantonsverfassung mit den Vorschriften der Bundesverfassung nicht im Widerspruche stehe, können wir uns um so kürzer fassen, als einerseits in der Vernehmlassung der Regierung von Luzern vom 27. Mäo-z d. J., welche Ihnen, meine Herren, gedruckt mitgetheilt wurde, anderseits in der ebenfalls gedruckten Botschaft des Bundesrathes vom 24. Mai a. c., auf welche zwei Aktenstücke wir verweisen und uns ausdrücklich berufen, die ßegründetheit und Richtigkeit unserer Behauptung in eklatanter und überzeugender Weise konstatirt und zur Evidenz nachgewiesen wurde.

Sollte man vielleicht von gewisser Seite die Antwort der Regierung von Luzern mehr oder weniger als Parteischrift ansehen und deren vollgültige Beweiskraft anzweifeln wollen, so darf hinwieder die bundesräthliche Botschaft als ein um so unverdächtigeres und maßgebenderes Aktenstück erscheinen ; denn der Bundesrath ist der verfassungsmäßige Hüter der Bundesverfassung. An ihm ist es zunächst, die zur eidgenössischen Gewährleistung bei ihm einlangenden Kantonsverfassungen genau und sorgfältig zu prüfen, allfällige Widersprüche mit der Bundesverfassung aufzudecken und geeignete sachbezügliche Anträge an die Bundesversammlung zu bringen, Daß aber der hohe Bundesrath in concreto diese seine spezielle Aufgabe gewissenhaft erfüllt habe, dafür ist sein sehr einläßlichei.1, zwölf volle Druckseiten haltender Bericht und motivirter Antrag ein sprechender, unbestreitbarer Beweis. Das Raisonnement des Bundesrathes in dieser Sache ist aber um so maßgebender -- wir möchten sagen -- unanfechtbarer, als derselbe durch die Einsprache der Herren Großrath Wapf und Mithafte noch ganz besonders auf den angefeindeten § 3 der luzernischen Kantonsrerfassung aufmerksam gemacht und zur speziellen Prüfung desselben veranlaßt wurde, und als es wohl Niemanden beifallen wird, den zu 6/7 aus Nichtkatholiken bestehenden und in seiner Gesammtheit liberalen Bundesrath der besondern Sympathie f ü r die katholischkonservative Mehrheit des Großen Rathes von Luzern gegenüber dessen radikaler Minderheit zeihen zu wollen. Und wie
lautet nun das unverwerfliche Urtheil dieses unparteiischen und competenten Richters in Bezug auf den als bundesverfassungswidrig signalisirten § 3 der Luzerner Verfassung ? Erlauben Sie, dem Referenten der Commissions - Minderheit, meine Herren ! Ihnen das sachbezügliche Exposé aus dem bundesräthlichen Berichte vorzulesen (vide BundesMatt. Jahrg. XXVII. Bd.HI.

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5. und 6. Alinea auf Seite 10, ganze Seite 11 und erstes Alinea auf Seite 12 der Botschaft vom 24. Mai 1875).

Allein nicht nur die Rechtfertigungsschrift der Regierung von Luzern und nicht nur die Autorität des Bundesrathes und dessen so gründliche Auseinandersetzungen, sondern eigene Prüfung der bestrittenen Verfassungsbestimmung, eigene ruhige Würdigung der Angelegenheit brachten uns die vollendete Ueberzeugung, daß die Verfassung des Kantons Luzern in Bezug ihrer Bestimmung über das Primarschulvvesen nichts Bundeswidriges enthalte, und daß deshalb eine dießbezügliche Motivirung, wie sie von der CommissionsMehrheit beantragt wird, nach unserer Auffassung nicht gerechtfertigt erscheine.

Der Art. 27 der bestehenden Bundesverfassung fordert, daß die Kantone für g e n ü g e n d e n Primarunterricht sorgen, daß de:> selbe o b l i g a t o r i s c h und in den ö f f e n t l i c h e n Schulen une n t g e l t l i c h sei und unter ausschließlich staatlicher Leitung stehe, und daß endlich die öffentlichen Schulen von den Angehörigen aller Bekenntnisse ohne Beeinträchtigung ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit besucht werden können.

Der § 3 der Luzerner Verfassung sagt nun deutlich in seinem ersten Alinea : ,,Ber Kanton sorgt u n t e r B e o b a c h t u n g d e r V o r ,, S c h r i f t e n des Art. 27 der B u n d e s v e r f a s s u n g für den ,,öffentlichen Unterricht.11 Was heißt das anders, als: der Kanton sorgt, daß in Bezug auf den öffentlichen Primarunterricht a l l e n im Art. 27 d e r B u n d e s v e r f a s s u n g e n t h a l t e n e n V o r s c h r i f t e n Genüge geleistet werde, mit andern Worten, daß der Primarunterricht genügend, obligatorisch und in den öffentlichen Schulen unentgeltlich sei, und die öffentlichen Schulen von den Angehörigen aller Ccnfessionen ohne Beeinträchtigung ihrer Glaubens- und Gewisseiisfreiheit besucht werden können und auch, wie der zweite Absatz der neuen Verfassung noch speziell vorschreibt, unter der ausschließlichen Leitung der Staatsbehörden stehen.

Was will, was kann noch mehr mit Fug und Recht gefordert werden ?

Im dritten Lemma des § 3 wird die Freiheit des Privatunterrichts u n t e r W a h r u n g d e r s t a a t l i c h e n A u f s i c h t über die Erreichung des Lehrzieles der öffentlichen Schule g r u n d s ä t z lich anerkannt. Es ist somit deutliche Vorschrift der Verfassung des Kantons Luzern, daß der Privatunterricht mindestens das gleiche

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Lehrziel erreiche, welches der öffentlichen Primai schule vorgeschrieben ist, d.h. daß der Primarunterricht auch in der P r i v a t schule, wie in der öffentlichen Schule ,, g e n ü g end" sei.

Daß aber der Privatunterricht durch die Bundesverfassung nicht ausgeschlossen sei, das, Herr Präsident meine Herren! wird im Ernste Niemand bestreiten wollen. Der im Art. 27 der Bundesverfassung zweimal vorkommende Ausdruck : öffentliche S c h u l e involvirt schon, daß auch noch andere, als ö f f e n t l i c h e , nämlich Privatschulen bestehen können und dürfen. Und dadurch, daß der religöse Unterricht durch die neue Bundesverfassung aus den ö f f e n t l i c h e n Schulen verdrängt und verwiesen und denselben der Charakter der Confessionslosigkeit aufgedrückt worden ist, wurde der P r i v a t u n t e r r i c h t sozusagen zur gebieterischen Nothwendigkeit gemacht, wenn anders der Art. 49 der Bundesverfassung und namentlich auch Absatz 3 dieses Artikels eine Wahrheit sein und bleiben soll.

Wenn man aber nach der Ansicht der Mehrheit Ihrer Commission und entgegen der Ansicht des Bundesrathes und der Regierung von Luzern die staatliche Leitung mit Bezug auf den P r i v a t u n t e r r i c h t und die Privatschule nicht blos auf das Lehrziel, oder mit andern Worten auf das Maaß des Wissens und auf die körperliche Ausbildung beschränken, sondern dieselbe auch auf die Lehrmethode, die Lehrmittel und Lehrkräfte ausdehnen will; so möchten wir fragen, wird nicht dadurch der Privatunterricht und die Privatschule ihres privaten Charakters gänzlich entkleidet und zum Staatsunterricht und zur Staatsschule gestempelt? Und worin besteht dannzumal noch der Unterschied zwischen öffentl i c h e n und Privatschulen anders, als daß der Unterricht in den öffentlichen Schulen unentgeltlich ist, in den Privatschulen aber bezahlt werden muß?

Uebrigens hat Luzern den Grundsatz der Freiheit des Privatunterrichtes immerhin unter Wahrung der Staatsaufsicht über Erreichung des Lehrzieles nicht allein proklamirt, sondern Zürich, das schweizerische Athen, hat das Gleiche gethan. Was nun aber dem Großen Rathe des Kantons Zürich zu thua erlaubt ist, wird dem Großen Rathe des Kantons Luzern ebenfalls nicht verboten sein; denn man wird doch hierin nicht den Satz : ,,si duo faciunt idem, non est idem*, sondern den Grundsatz, was dem
Einen Recht ist, ist dem Andern billig, zur Anwendung bringen wollen.

Die allzuängstliche Besorgniß, daß bei dem Institute des Privatunterrichtes und der Privatschule Ausschreitungen zu Tage treten könnten, welche verderblich wirken und sogar die Bestimmungen

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der Bundesverfassung illusorisch machen dürften, kann die Commissions-Minderheit unmöglich theilen ; denn einmal finden wir keinen plausiblen Grund zu einer derartigen Befürchtung und sodann liegt in dem Schlußsatze des Art. 27 der Bundesverfassung, lautend : ,,Gegen Kantone, welche diesen Verpflichtungen nicht nach,,kommen, wird der Bund die nöthigen Verfügungen treffen" die sichere Gewähr, daß wenn je ungebührliche Ausschreitungen in angedeuteter Richtung gegen alles Erwarten sich irgendwo zeigen würden, der Bund Mittel und Wege finden werde, solche Ausschreitungen sofort und für bleibend in ihre angewiesenen Schranken zu bannen.

Zum Schlüsse erlauben wir uns, Sie noch aufmerksam zu machen, daß nach erfolgter Annahme der Motion Desor und Consorten, betreffend Ausführung des Bundesartikels 27 im Nationalrathe, ein neues Bundesgesetz über das Volksschulwesen nicht mehr lange auf sich warten lassen dürfte, und daß dasselbe sehr wahrscheinlich auch die Privatschulen in seinen Ressort ziehen und jedenfalls dafür sorgen wird, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen.

Mit Rücksicht auf alles Angeführte schließen wir mit dem Antrage auf unveränderte Annahme des bundesräthlichen Beschlussesantrages.

B e r n , den 18. Juni 1875.

Der Berichterstatter der Minderheit der ständeräthlichen Kommission: Frz. Lusser.

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Bericht des

Schweiz. Konsuls in Bahia (Hrn. E. Kohler von Lausanne) für das Jahr 1874.

(Vom 27. April, eingegangen den 20. Mai 1875.)

An den hohen Schweiz. Bundesrath.

Tit.!

Allgemeine Lage und Handelsgesetzgebnng.

Die Unruhen, welche im Norden des Kaiserreiches stattgefunden , haben sich nicht auf die Provinz Bahia erstreckt. In den Provinzen Piauhy, Ciara, Rio Grande do Norte, Parahyba u. s. w.

haben die Aufrührer, welche unter dem volkstümlichen Namen der ,,Kilostürmer" bekannt und aus Fanatikern und Verbrechern zusammengelesen sind, in den kleineren Ortschaften im Innern des Reiches die neuen Maße, als wie Kilo's, Liter und Meter zerstört und die Ortsarchive verbrannt.

Der Gesundheitszustand bietet nichts Außergewöhnliches dar.

Die Pockenkrankheit dauert fort, während nur seltene Fälle von gelbem Fieber vorkommen. Nur 49 Kirchspiele, ungerechnet die Hauptstadt, haben die Verzeichnisse der Sterbefälle eingesandt. Es Anmerkung. Die Ernte wird hier vom 1. Oktober 1873 bis 30. September 1874 gerechnet, das Finanzjahr vom 1. Juni 1873 bis 30. Juni 1874..

Es. = Reis, 1000 Reis = Fr. 2. 77.

Die Arroba = 32 S brasilianisch = K° 14,688.

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Bericht der Minderheit der ständeräthlichen Kommission, betreffend die Gewährleistung der Verfassung des Kantons Luzern. (Vom 18. Juni 1875.)

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1875

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27

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26.06.1875

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469-475

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