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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend Fristverlängerung für die Streke Urnäsch - Appenzell der Schweiz. Lokalbahnen.

(Vom 29. Mai 1878.)

Tit. !

Am 23. Dezember 1873 ist der Schweiz. Gesellschaft für Lokalbahnen die Konzession für den Bau und Betrieb, einer Eisenbahn von Winkeln über Herisau und Urnäsch nach Appenzell ertheilt worden. Für Beibringung der technischen und finanziellen Vorlagen und der Gesellschaftsstatuten wurde für die Streke Herisau-Winkeln eine Frist von 5 Monaten und für die übrige Linie eine Frist von 11 Monaten, vom Datum der Konzession an gerechnet, angesezt und bestimmt, daß der Anfang mit den Erdarbeiten vor dem 1. Juni 1874 auf der erstem Streke und vor dem 1. November 1874 auf der zweiten Streke gemacht werden und die Betriebseröffnung bei Herisau-Winkeln bis am 1. Dezember 1874 und bei Herisau-Appenzell bis am 1. März 1876 stattfinden müsse.

Troz raschem und energischem Betrieb des Baues konnte Winkeln-Herisau erst am 12. April 1875 eröffnet werden; beBundesblatt. 30. Jahrg. Bd. II.

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1028 deutende Rutschungen hatten die auch im Uebrigen in geringerem Maß vorgesehenen Bauschwierigkeiten vermehrt.

Am 20. September 1875 wurde sodann die Fortgezung der Linie von Herisau bis Urnäsch dem Betrieb übergeben, nachdem inzwischen der Mangel an finanziellen Mitteln, hervorgerufen durch die den Voranschlag sehr bedeutend übersteigenden Mehrkosten, die Vollendung dieses Theilstüks etwas zweifelhaft gemacht und nur ein Anleihen die Weiterführung der Arbeiten ermöglicht hatte.

Für den Bau der lezten Streke, Urnäsch-Appenzell, blieben der Gesellschaft vorderhand keine Mittel, so daß sich dieselbe schon im Frühjahr 1876 veranlaßt fand, mit einem bezüglichen Fristerstrekungsgesuch für 3 Jahre (l Jahr für die Aufbringung der Gelder, 2 Jahre für die Bauausführung) einzukommen. Diese Fristerstrekung wurde unter Zustimmung der an der Bahn interessirten Kantone Appenzell A.-Rh. und I.-Rh. in der Art bewilligt, daß die Frist für Vollendung und Inbetriebsezung der Streke UrnäschAppenzell bis zum 1. März 1879 verlängert wurde.

Die inzwischen eingetretene Verschlimmerung des Geldmarktes und wohl nicht weniger die ungünstigen Betriebsergebnisse des Theilstüks Winkeln-Herisau-Urnäsch machte aber die Bemühungen der Konzessionsinhaber um weitere Geldmittel erfolglos, und es sah sich, nachdem das für die Kapitalbeschaffung vorgesehene Jahr abgelaufen war, die Regierung von Appenzell I.-Rh. veranlaßt, das Eisenbahn- und Handelsdepartement unterm 17. August 1877 um Fristansezung an die Schweiz. Gesellschaft für Lokalbahnen hinsichtlich des Beginns der Erdarbeiten zu ersuchen.

Die Gesellschaft sendete hierauf das Längenprofil und den Katasterplan über einen Theil der noch zu bauenden Streke ein, mit dem Beifügen, daß die übrigen Vorarbeiten ebenfalls erstellt seien und daß im Uebrigen für den Bau der Streke Urnäsch-Appenzell eine Frist von 12 Monaten (nach der Ansicht unseres technischen Inspektorats von 1 1 la Jahren) genügen dürfte. Nachdem bis gegen Ende des Jahres in dei- That keine Anstrengungen gemacht wurden, den Bau wieder aufzunehmen, beschloß der Bundesrath am 7. Dezember 1877 die von Appenzell I.-Rh. beantragte Fristansezung an die Bahngesellscha.ft in der Meinung, daß wenn sie nicht bis zum 1. März 1878 die vorschriftgemäßen technischen Vorlagen, sowie einen genügenden Finanzausweis einreichen
und sofort nach Genehmigung des Planes und des Finanzausvveises mit dem Bau beginnen werde, die Konzession für die g a n z e Linie Winkeln-Herisau-Appenzell erlöschen würde.

1029 Immerhin wurde in den Motiven des Beschlusses die Möglichkeit vorgesehen, daß die Bahngesellschaft ein Fristerstrekungsgesuch an die Bundesversammlung einreiche, und nachdem ein solches wirklich einlangte, die Vollziehung der Bundesrathsbeschlusses vom 7. Dezember 1877 bis nach Erledigung des erstem sistirt.

In diesem Fristerstrekungsgesuch wird wiederum betont, daß der Bau der Streke Winkeln-Herisau-Urnäsch alle verfügbaren und erreichbaren Mittel der Bahngesellschaft in Anspruch genommen habe. Die ganze Linie bis Appenzell sammt Betriebsausrüstung hätte nicht mehr als 3 Millionen Franken kosten sollen ; die Streke Winkeln-ürnäsch (15 Kilometer) aber habe allein Fr. 3,273,358. 43 gekostet ; die Kassen der Gesellschaft seien leer und alle Bemühungen für Aufbringung neuer Mittel, selbst bei den so sehr interessirten appenzellischen Gemeinden, fruchtlos gewesen.

Es bleibe der Bahngesell.schaft nichts übrig, als um eine nochmalige Fristerstrekung, und zwar bis zum i. März 1885 einzukommen. Sie gebe die Hoffnung nicht auf, daß bis dahin theils eine Verbesserung der Nettobetriebsergebnisse, theils eine etwelche Wiederkehr des Vertrauens zur Gesellschaft die Aufbringung der Gelder für den Ausbau der Linie ermöglichen werde.

Jedenfalls aber wäre es hart und dem Verfahren, das unter ähnlichen Verhältnissen andern Bahngesellschaften gegenüber Plaz gegriffen habe, nicht angemessen, wenn der Bundesrathsbeschluß vom 7. Dezember 1877 zum Vollzug kommen sollte; mau würde damit das im Unternehmen liegende Kapital zu Grunde richten, ohne daß irgendwer einen Vortheil dabei fände, denn es sei noch sehr fraglich, ob derzeit Jemand die bereits gebaute Bahn mit der Verpflichtung zum sofortigen- Ausbau der noch zu erstellenden 11 Kilometer auch nur übernehmen würde.

Der Betrieb der bisher vollzogenen Bauten habe auch gezeigt, daß es die Bahngesellschaft mit ihren Verpflichtungen ernstlich meine ; die Baupläne bis zur Grenze von Appenzell I.-Rh. seien bereits genehmigt; die übrigen Baupläne sei man bereit vorzulegen.

Auch ein Staatsinteresse komme bei Gewährung des Fristerstrekungsgesuchs nicht in Gefahr ; wohl aber würde bei Vollzug des Bundesrathsbeschlusses vom 7. Dezember 1877, resp. bei Verweigerung der Fristerstrekung, der daraus folgende Zwangsverkauf der Bahn dem Schweiz. Kredit ganz überflüssiger Weise
neue Wunden schlagen.

Die Regierung des Kantons Appenzell A.-Rh., indem sie den Auseinandersezungen der Bahngesellschaft ausdrüklich beitritt, empfiehlt das Fristerstrekungsgesuch.

1030 Die Regierung des Kantons Appenzell I.-Rh. dagegen macht darauf aufmerksam, daß es sich darum handle, ob man das Recht der Bundesbehörden, die Vollendung einer Bahn inner konzessionsgemäßer Frist zu verlangen, zur Anwendung bringen wolle oder nicht. Eine Mißrecbnung, wie sie hinsichtlich der Baukosten der Bahn Winkeln-Appenzell vorgekommen sei, begründe noch lange keine Rechtssistirung, und die Thatsache, daß ausnahmsweise schon andern Unternehmungen weitsehende Moratorien bewilligt worden seien, noch nicht die Einsezung der Ausnahme an Stelle der Regel.

Die Gesellschaft der Lokalbahnen dürfte sich auch täuschen, wenn sie darauf abstelle, daß die Mittel zum Weiterbau von den betheiligten Landesgegenden erhältlich gemacht, werden können. Diese Gegenden haben sich bereits mit ansehnlichen Subventionen, Appenzell I.-Rh. mit Fr. 82,500 am Unternehmen betheiligt, ohne daß die Bahn seine Landesmarken überschritten oder wahrnehmbaren Nuzen gebracht habe. Wenn die Bahngesellschaft eine Beruhigung hinsichtlich dieser bereits einbezahlten Summe geben könnte, so würde man sich wohl auch nicht unbedingt gegen die Fristerstrekung stemmen.

Gegen den Bundesrathsbeschluß vom 7. Dezember 1877 hat die Lokalbahngesellschaft ausdrüklich auf Beschwerdeführung verzichtet; wir sind daher der Aufgabe enthoben, denselben hier ausführlich zu behandeln. Immerhin gestatten wir uns, uns dahin auszusprechen, daß wir als Folge der Verwirkung einer Frist nur den Dahinfall der betreffenden ganzen Konzession kennen und daher entgegen der Ansicht der Bahngesellschaft auf eine befürchtete Fristversäumniß auch nicht eine andere Androhung haben sezen können.

Im Uebrigen glauben wir, daß dem Fristerstrekungsgesuch in seinem ganzen Umfang entsprochen werden soll. Es ist Thatsache, daß die Mittel der Bahngesellschaft erschöpft sind und die Betrachtung derselben, daß weder die Betriebsergebnisse der Bahn noch die allgemeine Geschäftslage für baldige Aufbringung der für den Weiterbau erforderlichen Mittel sprechen, kann nicht als unrichtig bezeichnet werden. Daß sie sich nicht etwa den ihr obliegenden Verpflichtungen hinsichtlich des Ausbaues der Unternehmung ganz entziehen will, geht ebenso klar aus den nachgewiesenen, aber erfolglosen Bemühungen für Geldbeschaffung, dann aber auch aus der Anerkennung der eigenen Interessen hervor,
welche die Gesellschaft zur Anhandnahme des Weiterbaues so bald als immer möglich zwingen müssen.

Daß beim Festhalten an der dermalen geltenden Frist und dem eventuell daraus folgenden Verkauf der Bahn Jemand sich

1031 finden würde, der unmittelbar an den Ausbau der Linie zu gehen im Stande wäre, ist zum Mindesten sehr zweifelhaft ; den Interessen der Landesgegend wäre damit also auch nicht gedient.

Endlich beruft sich die Bahngesellschaft mit Recht auf die Behandlung anderer Unternehrnungeu, der Nordostbahn, der Schweizerischen Centralbahn. Der Bundesrath, indem er die diesfalls aufgestellten Vergleichungen als richtig anerkennt und denselben Beachtung schenkt, will damit nicht die Ausnahme zur Regel machen, wohl aber unter gleichen Verhältnissen gleiches Maß anwenden.

Damit ist, um schließlich auf den innersten Grund der Einwendungen gegen die nachgesuchte Fristerstrekung zu kommen, nicht gemeint, daß diejenigen, welche unter gewissen Voraussezungen die Bahn Winkeln-Herisau-Appenzell subveutionirt haben, in der Wahrung ihrer Interessen der Baugesellschaft gegenüber gehindert sein sollen; aber sie haben, falls nicht eine gütliche Verständigung erfolgt, und sie glauben, zivilrechtliche Ansprüche gegen die Unternehmung geltend machen zu können, hierüber die Intervention des Richters anzurufen.

Der Bundesrath hat nur die öffentlichen Interessen zu vertreten und diese leiden unter den Folgen der Fristerstrekung nicht in dem Maße, daß die Betrachtungen, welche für Gewährung des Fristerstrekungsgesuchs sprechen, dagegen zurüktreten müßten.

Wir empfehlen Ihnen daher den nachfolgenden Beschlußentwurf zur Annahme, und benuzen diesen Anlaß, Sie, Tit., wiederholt unserer ausgezeichnete» Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 29. Mai 1878.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schiess.

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Bundesbeschluss betreffend

Fristverlängerung für die Eisenbahnstreke UrnäschAppenzell.

Die Bundesversammlung der s c h w e i z e r i s c h e n E i d g e n o s s e n s c h a f t , nach Einsicht 1) eines Gesuches des Verwaltungsraths der schweizerischen Gesellschaft für Lokalbahnen, vom 29. Januar 1878; 2) einer Botschaft des Bundesrathes vom 29. Mai 1878, beschließt: 1. Die im Art. 6 des Bundesbeschlusses vom 23. September 1873, betreffend Konzession einer schmalspurigen Eisenbahn Winkeln-Herisau-Urnäsch-Appenzell, für die Vollendung und Inbetriebsezung der Sektion Herisau-Appenzell angesezte und am 21. März 1876 "bis zum 1. März 1879 verlängerte Frist wird für die Sektion Urnäsch-Appenzell neuerdings, und zwar bis zum 1. März 1885 erstrekt.

2. Der Bundesrath ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Botschaft des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend Fristverlängerung für die Streke Urnäsch - Appenzell der schweiz. Lokalbahnen. (Vom 29.

Mai 1878.)

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08.06.1878

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1027-1032

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