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Bundesblatt 93. Jahrgang.

Bern, den 4. September 1941.

Band I.

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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Gewährleistung der abgeänderten Art. 71 und 73 der Verfassung des Kantons Neuenburg.

(Vom 29. August 1941.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Am 19. Mai 1941 hat der Grosse Bat des Kantons Neuenburg ein Dekret über die Abänderung der Art. 71 und 73 der Kantonsverfassung erlassen.

In der Volksabstimmung vom 5./6. Juli 1941 wurde dieses Dekret mit 6717 gegen 4828 Stimmen angenommen. Mit Schreiben vom 15. Juli 1941 suchte der Staatsrat des Kantons Neuenburg die Gewährleistung des Bundes nach.

Der bisherige und der neue Verfassungstext lauten wie folgt (Übersetzung) : Bisherige Fassung.

Neue Fassung.

Art. 71.

Das Gesetz ordnet die Beziehungen zwischen dem Staat und der Kirche, Es wird niemals von der souv'eränen Gewalt des Staates unabhängige kirchliche Korporationen anerkennen oder errichten.

Jede grundsätzliche Änderung der gegenwärtigen kirchlichen Organisation ist der Genehmigung des Volkes zu unterbreiten.

Art. 71.

Der Staat anerkennt die Evangelisch-reformierte Kirche des Kantons Neuenburg und die neuenburgischen Pfarreien der römisch-katholischen und der christ-katholischen Kirche als Körperschaften von öffentlichem Interesse, die die christlichen Überlieferungen des Landes bilden und an seiner religiösen Entwicklung arbeiten.

Bundesblatt. 93. Jahrg. Bd. I.

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622 Der Staat bewilligt der Evangelisch-reformierten Kirche des Kantons Neuenburg und den neuenburgischen Pfarreien der römisch-katholischen und der christ-katholischen Kirche jedes Jahr Beiträge bis zur Gesamtsumme von 200 000 Pranken.

Dem Beitragswesen liegen Konkordate zugrunde.

Die reformierte Kirche und die katholischen Pfarreien sind selbständig; sie organisieren sich frei als Körperschaften (Art. 60 ZGB).

Sowohl die Kirche wie die protestantischen und katholischen Pfarreien sind von den Steuern für ihr gesamtes Vermögen befreit, ebenso von allen Handänderungsgebühren oder Erbschaftssteuern. Ebenso ist das Vermögen solcher juristischer Personen steuerfrei, welche der Kirche oder der Pfarrei angeschlossen sind und dessen Nutzung oder Erträgnisse für die Bedürfnisse des Kultus oder des religiösen Lebens bestimmt sind.

Der Eeligionsunterricht wird in den öffentlichen Schulen frei erteilt und durch die anerkannten Kirchen besorgt. Zu diesem Zwecke werden von den Gemeinden die Schulzimmer unentgeltlich zur Verfügung gestellt und geeignete Stunden reserviert.

Art. 73.

Die Erträgnisse der Kirchengüter, welche im Jahre 1848 mit dem Staatsvermögen vereinigt wurden, dürfen ihrer ursprünglichen Bestimmung nicht entfremdet werden.

Art. 78.

Die Einkünfte der Kirchengüter, welche mit dem Staatsvermögen vereinigt wurden und deren Bestimmung laut Art. 6 des Pariser-Vertrages vom 26. Mai 1857 erhalten bleiben muss, werden den anerkannten Kirchen gemäss Dekret des Grossen Eates vom 17. Mai 1916 bezahlt. Die Spezialfonds der Geistlichkeit werden der reformierten Kirche überlassen.

623 Diese Verfassungsänderung bezweckte, die beiden protestantischen Kirchen «Eglise nationale» und «Eglise évangélique neuchâteloise indépendante de l'Etat» zu einer «Eglise réformée évangélique du Canton de Neuchâtel» zu vereinigen. Diese seit Jahren sowohl vom Staate als auch von den beteiligten Kirchen angestrebte Fusion setzt der aus dem Jahre 1873 stammenden Spaltung ein Ende, die in den entgegengesetzten doktrinären Auffassungen der offiziellen Kirche ihre Ursache hatte und zum Erlass des Gesetzes vom 20. Mai 1873 «réglant les rapports de l'Etat avec les cultes» führte.

Am 14. März 1937 hatten die beiden neuenburgischen protestantischen Kirchen ihren Willen zur Vereinigung bestätigt und durch drei Entwürfe für eine Eevision der Kirchenordnung die Kichtlinien bekanntgegeben, die der Vereinigung als Grundlage dienen sollten. Der erste Entwurf, als Basis der Eeorganisation der neuenburgischen Kirchen, entsprach genau dem kürzlich vom Grossen Eate und dann vom Volke angenommenen neuen Verfassungstext. Die beiden andern Entwürfe betrafen eine Übereinkunft über die Vereinigung der «Eglise nationale» mit der «Eglise indépendante» und ein Übereinkommen zwischen dem Staate und der zukünftigen vereinigten Kirche.

Am 80. März 1941 hat die «Eglise indépendante» im Hinblick auf die beabsichtigte Fusion ihre Auflösung beschlossen. Die Abstimmung war insofern bedingt, als sie die Annahme der neuen Art. 71 und 73 durch den Grossen Eat und durch die Stimmberechtigten voraussetzte. Angesichts des Ergebnisses der Volksabstimmung vom 5./Q. Juli 1941 bilden heute die beiden ehemaligen neuenburgischen Kirchen nurmehr die «Eglise réformée évangélique du Canton de Neuchâtel».

Bis jetzt waren die «Eglise nationale» und die katholische Kirche Körperschaften des kantonalen öffentlichen Eechts. Das auf Grund des alten Art. 71 der Verfassung erlassene und nun aufgehobene Gesetz von 1873 sicherte ihnen die finanzielle Hilfe des Staates, ordnete die Organisation der Pfarreien und die Wahl der Geistlichen, bestimmte namentlich, die Befugnisse der Synode der «Eglise nationale» und unterstellte das Eeglement über die Organisation dieser Kirche der Genehmigung durch den Staatsrat.

Auf Grund des neuen Art. 71 der Verfassung werden die «Eglise réformée évangélique du Canton de Neuchâtel», die römisch-katholische und die
christkatholische Kirche selbständige private Vereine und gemäss Art. 60 ZGB körperschaftlich organisiert sein. Die neue Kirchenordnung verwirklicht indessen nicht den Grundsatz der Trennung von Kirche und Staat. Der Staat will die Kirchen keineswegs übergehen, sondern anerkennt sie ausdrücklich als Institutionen von öffentlichem Interesse. Weil das Kirchenbudget aufgehoben ist, bewilligt er den Kirchen eine jährliche Subvention und befreit sie von allen Steuern, Handänderungsgebühren und Erbschaftssteuern. Zudem garantiert der Staat den Kirchen günstige zeitliche und örtliche Bedingungen für den Eeligionsunterricht in den Schulen.

Wie der alte, trägt auch der neue Artikel 73 einer von der Schweiz gegenüber den am Pariser-Vertrag von 1857 beteiligten europäischen Mächten ein-

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gegangenen Verpflichtung Bechnung. Er bestimmt, dass die Erträgnisse aus den Kirchengütern, die im Jahre 1848 mit dem Staatsvermögen vereinigt wurden, weiterhin den Zwecken der neuen protestantischen Kirche und der katholischen Pfarreien zugewendet werden. Bei den Fonds der Geistlichkeit, die der reformierten Kirche zufallen sollen, handelt es sich um drei Spezialfonds, die zugunsten der protestantischen Kirche errichtet und vom Staate verwaltet worden waren.

Es steht den Kantonen frei, sich die ihnen passende Kirchenorganisation zu geben unter der Bedingung, dass die in der Bundesverfassung niedergelegten Grundsätze der Glaubens- und Gewissensfreiheit und der freien Ausübung gottesdienstlicher Handlungen (Art. 49 und 50 BV) gewahrt werden. Die neuen Bestimmungen der Verfassung des Kantons Neuenburg enthalten somit nichts der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes. Wie beantragen Ihnen daher, ihnen durch Annahme des beiliegenden Beschlussesentwurfs die Gewährleistung des Bundes zu erteilen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 29. August 1941.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Wetter.

Der Vizekanzler:

Leimgrnber.

625 (Entwurf.)

Bundesbeschluss betreffend

die Gewährleistung der abgeänderten Art. 71 und 73 der Verfassung des Kantons Neuenburg.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, in Anwendung von Art. 6 der Bundesverfassung, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 29, August 1941, in Erwägung, dass die abgeänderten Verfassungsbestimmungen nichts den Vorschriften der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthalten, Beschliesst :

Art. 1.

Den in der Volksabstimmung vom 5./.G. Juli 1941 angenommenen Art. 71 und 73 der Verfassung des Kantons Neuenburg wird die Gewährleistung des Bundes erteilt.

Art. 2.

Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Gewährleistung der abgeänderten Art. 71 und 73 der Verfassung des Kantons Neuenburg. (Vom 29. August 1941.)

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04.09.1941

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