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Botschaft des

ßundesrates an die Bundesversammlung über die Genehmigung von Art. 20 des graubündnerischen Verantwortlichkeitsgesetzes vom 29. Oktober 1944 (Kompetenzzuweisung an das Bundesgericht).

(Vom 19. Januar 1945.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

In Anwendung von Art. 52, Ziff. 2, des Bundesgesetzes vom 22. März 1893 über die Organisation der Bundesrechtspflege ist durch Bundesbeschluss vom 5. November 1908 (A. S. 19, 748) der Art. 10 des Verantwortlichkeitsgesetzes des Kantons Graubünden vom 16. November 1902 -- soweit er die Beurteilung von Schadenersatzklagen aus Verantwortlichkeit gegen das Kantonsgericht oder einzelne Mitglieder desselben dem Bundesgericht überträgt --genehmigt worden. Am 29. Oktober 1944 hat nun das Bündner Volk ein neues Gesetz über die Verantwortlichkeit der Behörden und Beamten und die Haftung der öffontlichrechtlichen Körperschaften angenommen, das an die Stelle desjenigen von 1902 tritt, aber in Art. 20, Abs. 2, wiederum die gleiche Zuständigkeit des Bundesgerichts vorsieht. Der. Art. 20 des neuen Gesetzes lautet nämlich: «Alle Klagen aus diesem Gesetz werden im Zivilprozessverfahren durchgeführt.

Ebenso gelten für die Gerichtszuständigkeit die Bestimmungen der Zivilprozessordnung, jedoch mit der Ausnahme, dass Klagen, die gegen den Kleinen Bat und gegen die Ahklagekammer, gegen Bezirks- oder Kreisgerichte sowie gegen einzelne Mitglieder dieser Behörden erhoben werden, vom Kantonsgericht, und Klagen, die gegen letzteres oder einzelne Mitglieder desselben geführt werden, vom Bundesgericht zu entscheiden sind.

Bildet eine Amtspflichtverletzung den Gegenstand eines Strafprozesses, so kann die Beurteilung der vermögensrechtlichen Ansprüche durch das Strafgericht adhäsionsweise erfolgen.» Der Kleine Bat des Kantons Graubünden stellt zuhanden der Bundesversammlung das Gesuch um Genehmigung der erwähnten Kompetenzzuweisung an das Bundesgericht. Dieses erklärt mit Schreiben vom 22. Dezember 1944, dass es keine Einwendungen zu erheben hat.

101 Dem Bundesgericht "wird keine neue Kompetenz übertragen, sondern es wird bloss die Kompetenzzuweisung, die für Klagen aus dem -- nun aufgehobenen -- alten Verantwortlichkeitsgesetz von Graubünden schon seit mehr als 40 Jahren bestanden hat, für Klagen aus dem neuen kantonalen Gesetz beibehalten. Und zwar handelt es sieh nur noch um (direkte oder Rückgriffs-) Klagen 'des Kantons gegen das Kantonsgericht oder einzelne Mitglieder desselben, da Art. 11 des neuen Gesetzes das direkte Klagerecht des geschädigten Dritten gegen die fehlbaren Behörden und Beamten ausschliesst.

Das am 1. Januar 1945 in Kraft getretene Organisationsgesetz vom 16. Dezember 1943 für die Bundesrechtspflege sieht in Art. 41, ht. c, vor, dass das Bundesgericht als einzige Zivilgerichtsmstanz «andere zivilrechtliche Streitigkeiten» beurteilt, «wenn sie durch die Verfassung oder Gesetzgebung eines Kantons mit Genehmigung der Bundesversammlung an das Bundesgoricht gewiesen werden». Ferner-bestimmt es im Art. 116, dass kantonale verwaltungsrechtliche Streitigkeiten, die mit Genehmigung der Bundesversammlung dem Bundesgericht zur Beurteilung zugewiesen werden (Art. 114bls, Abs. 4, der Bundesverfassung), in dem für die Verwaltungsrechtspflege vorgesehenen Verfahren zu erledigen sind, soweit die Bundesversammlung nicht anders beschliesst. Dem Art. 41 hegt der ordentliche bundesrechtliche Begriff der zivilrechtlichen Streitigkeit zugrunde, da das Gesetz nur noch für die Fälle des Art. 42 (Ziff. 4 von Art. 110 der Bundesverfassung) den erweiterten Begriff der zivilrechtlichen Streitigkeit beibehalten hat. Da die Streitigkeiten, die der Art. 20 des graubündnerischen Verantwortlichkeitsgesetzes dem Bundesgerichte zuweist, Ansprüche aus kantonalem öffentlichem Eecht zum Gegenstand haben, sind sie nicht zivilrechtliche (im Sinne des Art. 41), sondern öffenthchrechtliche, und zwar verwaltungsrechtliche. Infolgedessen fallen sie unter Art, 114blB, Abs. 4, der Bundesverfassung und Art. 116 des Organisationsgesetzes. Die letztere Bestimmung gestattet es aber, dem Art. 20, Abs. l, des kantonalen Gesetzes, wonach die Klagen im Zivilprozessverfahren durchgeführt werden, in der Weise Rechnung zu tragen, dass im Genehmigungsbeschluss das für direkte Zivilprozesse vor Bundesgericht vorgesehene Verfahren als anwendbar erklärt wird.

Wir empfehlen
Ihnen den beiliegenden Beschlussesentwurf zur Annahme.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 19. Januar 1945.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Ed. v. Steiger.

Der Bundeskanzler: Leimgrnber.

102

(Entwurf.)

K und osseseli I u ss über

die Genehmigung von Art. 20 des graubündnerischen Verantwortlichkeitsgesetzes vom 29. Oktober 1944 (Kompetenzzuweisung an das Bundesgericht).

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, in Anwendung von Art. 114bls; Abs. 4, der Bundesverfassung und von Art. 116 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1948 über die Organisation der Bundesrechtspflege, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 19. Januar 1945, beschliesst: Einziger Artikel.

Art. 20 des Gesetzes des Kantons Graubünden vom 29. Oktober 1944 über die Verantwortlichkeit der Behörden und Beamten und die Haftung der öffentlichrechtlichen Körperschaften wird genehmigt, soweit er die Beurteilung von Klagen gegen das Kantonsgericht oder gegen einzelne Mitglieder desselben dem Bundesgerichte zuweist. Auf diese Klagen ist das für direkte Zivilprozesse vor Bundesgericht vorgesehene Verfahren anzuwenden.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Genehmigung von Art. 20 des graubündnerischen Verantwortlichkeitsgesetzes vom 29. Oktober 1944 (Kompetenzzuweisung an das Bundesgericht). (Vom 19. Januar 1945.)

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1945

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4683

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01.02.1945

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