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4746 Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Gewährleistung der abgeänderten §§ 44 und 46 der Verfassung des Kantons Thurgau.

(Vom 4. Juni 1945.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Die Stimmberechtigten des Kantons Thurgau haben in der Volksabstimmung vom 18. März 1945 das Gesetz über die Organisation der Gemeinden und das Bürgerrecht vom 4. April 1944 und zugleich mit diesem, in seinen Schlussbestimmungen, eine Änderung der §§44 und 46 der Kantonsverfassung mit 15 834 gegen 9784 Stimmen angenommen. Mit Schreiben vom 8. Mai 1945 sucht der Regierungsrat des Kantons Thurgau für diese Verfassungsänderung die eidgenössische Gewährleistung gemäss Art. 6 der Bundesverfassung nach.

Der bisherige und der neue Text dieser Bestimmungen lautet: Bisheriger Text: § 44.

Die Gemeinden als staatliche. Organe beruhen auf dem Grundsatze der Einwohnerschaft und zerfallen: 1. in Munizipalgemeinden, 2. in Ortsgemeinden, 3. in Schulgemeinden, Die Bürgergemeinden verbleiben die Trägerinnen des Bürgerrechts und gemessen als solche der Garantie von Öffentlichen Korporationen.

§ 46.

Der Ortseinwohnergemeinde liegt die gesamte Ortsverwaltung ob.

Neuer Text:

§44.

Abs. l unverändert.

Den Bürgergemeinden bleibt der Besitz, die Verwaltung und Nutzniessung ihres Bürgergutes nach den Bestimmungen der Gesetzgebung gewährleistet.

§ 46.

Abs. l, 2 und S unverändert.

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Zu diesem Behufe ist zu untersuchen, welche Teile der bestehenden Gemeindegüter rein bürgerlichen, "welche Teile rein örtlichen Zwecken gewidmet seien, und es soll die Ausscheidung des reinen Bürgergutes vom Ortsgute stattfinden.

Das Gesetz stellt die leitenden Grundsätze und das zu beobachtende "Verfahren fest.

Den Bürgergemeinden bleibt der Besitz, die Verwaltung und Nutzuiessung ihres rein bürgerlichen Eigentums gewährleistet.

Abs. 4 aufgehoben.

Unter einer Bürgergemeinde versteht das thurgauische Gesetz vom 8. November 1874 betreffend die Organisation der Gemeinden und der Gemeindebehörden sowie über den Bürgerrechtserwerb die Gesamtheit derjenigen stimm"berechtigten Angehörigen einer Ortsgemeinde, welche in derselben verbürgert sind (§ 18). Das neue Gesetz vom 4. April 1944 über die Organisation der Gemeinden und das Bürgerrecht, das nun an die Stelle jenes früheren Gesetzes tritt, hat diese Umschreibung übernommen (§. 67), Gemäss § 44 der Kantonsverfassung waren bisher diese Bürgergemeinden «die Trägerinnen des BürgerTechts». Das Gesetz vom Jahre 1874 erwähnt denn auch unter ihren Befugnissen -«die Bewilligung der Aufnahme ins Bürgerrecht» (§ 20, lit. a).

Mit der vorliegenden Verfassungsrevision wird nun das Einbürgerungswesen vollständig neu geordnet. Die Verfassungsbestimmung über die Erteilung des Bürgerrechts in § 44, Abs. 2, wird gestrichen, so dass diese Eegelung der Gesetzgebung anheiragestellt ist. Auf diese Weise ist die Möglichkeit geschaffen worden, den Bürgergemeinden das bisherige Eecht zur Gewährung des Bürger :rechts zu nehmen. Dies wird deshalb als richtig empfunden, weil in vielen Bürgergemeinden nur noch ein kleiner Teil der Stimmbürger über das bedeutungsvolle Geschäft der Einbürgerung zu entscheiden hatte; waren doch im Jahre 1941 durchschnittlich nur noch ein Fünftel der Stimmberechtigten in ihrer Wohngemeinde verbürgert, und in 24 Gemeinden erreicht diese VerMltniszahl nicht einmal mehr einen Zehntel.

Das neue Gesetz vom 4. April 1944 überträgt deshalb das Becht zur Erteilung des Geineindebürgerrechts der Ortsgemeinde, also der Gesamtheit der in einer Gemeinde wohnhaften Schweizerbürger.

Art. 44, Abs. 2, der Bundesverfassung behält es der Bundesgesetzgebung vor, die Erteilung des Bürgerrechts an Ausländer und den Verzicht auf das Schweizer Bürgerrecht zum Zwecke der Einbürgerung im Ausland zu regeln.

Sache der Kantone ist es, in diesem Eahmen die Erteilung des Gemeinde- und IKantonsbürgerrechts zu ordnen. Bei der vorliegenden Verfassungsrevision

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handelt es sich um eine Angelegenheit der letztern Art; es steht nur das Gemeindebürgerrecht in Frage, dessen Ordnung in die kantonale Zuständigkeit fällt.

An die Stelle des mit dieser Verfassungsrevision aus dem bisherigen § 44 der Kantonsverfassung gestrichenen zweiten Absatzes tritt nun der bisherige Abs. 4 von § 46, der infolgedessen dort wegfällt. Mit dieser Verschiebung wurde allerdings zugleich eine sachliche Änderung verbunden, indem gemäss dem alten Wortlaut den Bürgergemeinden der Besitz, die Verwaltung und die Nutzniessung ihres bürgerlichen Eigentums schlechthin gewährleistet war, während jetzt diese Gewährleistung «nach den Bestimmungen der Gesetzgebung», als» mit dem Vorbehalt gesetzlicher Einschränkungen ausgesprochen wird. Was darunter zu verstehen ist, ergibt sich aus dem neuen Gesetz vom 4. April 1944 über die Organisation der Gemeinden und das Bürgerrecht; es schreibt z.B.

vor, dass Grundstockvermögen der Burgergemeinde in seiner bestehenden Form und Grosse zu erhalten ist (§ 72), es enthält Vorschriften über die Verwendung des Vermögensertrages und der Überschüsse, über deren Kapitalisierung und Verwendung zu Zwecken des öffentlichen Wohles (§ 73 und 74). Dieser Vorbehalt der gesetzlichen Bestimmungen fällt zweifelsohne in die Zuständigkeit des Kantons, da es diesem überlassen ist, Vorschriften über die Organisation der Gemeinden, also auch der Bürgergemeinden, aufzustellen; das Bundesrecht wird dadurch nicht berührt.

Die beiden abgeänderten Verfassungsbestimmungen enthalten somit nichts, was dem Bundesrecht zuwiderlaufen würde. Wir beantragen Ihnen deshalb, durch Annahme des nachstehenden Beschlussesentwurfs, in Anwendung von Art. 6 der Bundesverfassung, diesen Verfassungsänderungen die nachgesuchte Gewährleistung des Bundes zu erteilen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 4. Juni 1945.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Vizepräsident:

Kobelt.

Der Bundeskanzler: Leimgruber.

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(Entwurf.)

Bundesbeschluss über

die Gewährleistung der abgeänderten §§ 44 und 46 der Verfassung des Kantons Thurgau.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, in Anwendung von Art. 6 der Bundesverfassung, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 4. Juni 1945, in Erwägung, dass diese Verfassungsänderungen nichts den Vorschriften der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthalten, beschliesst:

Art. 1.

Den in der Volksabstimmung vom 18. März 1945 angenommenen abgeänderten §§44 und 46 der Verfassung des Kantons Thurgau wird die Gewährleistung des Bundes erteilt.

Art. 2.

Der Bundesrat wird mit dem Vollzug dieses Beschlusses beauftragt.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Gewährleistung der abgeänderten §§ 44 und 46 der Verfassung des Kantons Thurgau. (Vom 4. Juni 1945.)

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4746

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07.06.1945

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703-706

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