zu 11.431 Parlamentarische Initiative Rehabilitierung administrativ versorgter Menschen Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 6. September 2013 Stellungnahme des Bundesrates vom 13. November 2013

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht vom 6. September 20131 der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates (RK-N) betreffend die parlamentarische Initiative 11.431 «Rehabilitierung administrativ versorgter Menschen» nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

13. November 2013

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ueli Maurer Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

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BBl 2013 8639

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Am 13. April 2011 reichte der damalige Nationalrat Paul Rechsteiner eine parlamentarische Initiative ein, die den Erlass eines Gesetzes zur Rehabilitierung administrativ versorgter Menschen fordert. Am 12. August 2011 beschloss die RK-N mit 17 zu 4 Stimmen bei zwei Enthaltungen, der parlamentarischen Initiative Folge zu geben.

Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates stimmte diesem Beschluss am 21. Oktober 2011 mit 9 zu 0 Stimmen bei einer Enthaltung zu.

Die RK-N arbeitete im Anschluss einen Vorentwurf zu einem Bundesgesetz über die Rehabilitierung administrativ versorgter Menschen aus und nahm diesen am 11. Oktober 2012 mit 17 zu 5 Stimmen an. Zu diesem Vorentwurf wurde gemäss dem Vernehmlassungsgesetz vom 18. März 20052 zwischen dem 12. November 2012 und dem 22. Februar 2013 ein Vernehmlassungsverfahren durchgeführt. Nach Kenntnisnahme der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens hat die RK-N die Vorlage am 15. August 2013 leicht geändert und mit 18 zu 1 Stimme bei 4 Enthaltungen angenommen. Mit Schreiben vom 9. September 2013 hat die RK-N den Bundesrat zur Stellungnahme eingeladen.

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Stellungnahme des Bundesrates

Der Bundesrat unterstützt das Anliegen der parlamentarischen Initiative. Er bestätigt damit die Haltung, die er bereits bei der gesellschaftlichen und individuellen Aufarbeitung anderer schwieriger Kapitel in der jüngeren schweizerischen Geschichte eingenommen hat, wie beispielsweise in seiner Stellungnahme vom 9. Dezember 20023 zum Entwurf des Bundesgesetzes zur Aufhebung von Strafurteilen gegen Flüchtlingshelfer zur Zeit des Nationalsozialismus oder in seiner Stellungnahme vom 26. November 20084 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Rehabilitierung der Schweizer Spanienfreiwilligen. Er ist damit auch konsistent mit den Entschuldigungen im Namen des Bundesrates, die Bundesrätin Eveline WidmerSchlumpf am 10. September 2010 am Gedenkanlass für administrativ versorgte Menschen in Hindelbank sowie Bundesrätin Simonetta Sommaruga am 11. April 2013 am Gedenkanlass für Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen ausgesprochen haben.

Für den Bundesrat sind folgende Aspekte wichtig: Bei der heutigen Bewertung der damaligen Gesetzgebung und der Vollzugspraxis zu den administrativen Versorgungen ist Zurückhaltung und Augenmass geboten. Jede Gesetzgebung und die darauf gründenden Vollzugstätigkeiten sind immer auch in den zeitlichen Kontext zu stellen, in dem sie entstanden sind und praktiziert wurden.

Sie sind ein Abbild der jeweils aktuellen Wertvorstellungen der Gesellschaft. Es ist deshalb ein heikles Unterfangen, sich vor dem Hintergrund der heutigen Vorstellungen eines modernen Erwachsenen- und Kindesschutzes zu den damaligen, in den 2 3 4

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dafür vorgesehenen Formen und Verfahren rechtmässig zustande gekommenen Bestimmungen sowie zum Verhalten der damaligen Behörden und der übrigen mit dem Vollzug der Massnahmen betrauten Institutionen und Personen zu äussern. Der Bundesrat legt Wert auf die Feststellung, dass es beim Erlass des geplanten Bundesgesetzes nicht in erster Linie darum gehen kann, Kritik zu üben an den damaligen Verhältnissen und den damaligen Entscheidungs- und Verantwortungsträgern, sondern vielmehr darum, das Leid und Unrecht, das betroffenen Personen aus heutiger Sicht damals widerfahren ist, anzuerkennen und ­ soweit dies überhaupt noch möglich ist ­ wiedergutzumachen.

Die im Entwurf vorgeschlagenen Massnahmen erscheinen zudem verhältnismässig, weil sie zeitlich rasch die gewünschten Effekte bringen können (viele der betroffenen Personen warten bereits seit Jahrzehnten auf eine Anerkennung, und sie sind zum Teil schon im fortgeschrittenen Alter). Die Massnahmen können auch mit vernünftigem Aufwand umgesetzt werden. Dabei ist auch in Kauf zu nehmen, dass der bisherige Rehabilitierungsbegriff, wie er noch im Bundesgesetz vom 20. Juni 20035 zur Aufhebung von Strafurteilen gegen Flüchtlingshelfer zur Zeit des Nationalsozialismus oder im Bundesgesetz vom 20. März 20096 über die Rehabilitierung der Freiwilligen im Spanischen Bürgerkrieg verwendet worden ist, im vorliegenden Fall eine Ausdehnung erfährt. Neu wird nämlich nicht mehr im Wesentlichen auf rechtskräftige Urteile abgestellt; es werden auch andere Rechtsakte und Realakte der Behörden einbezogen.

Der Bundesrat kann schliesslich auch unterstützen, dass im vorliegenden Gesetzesentwurf auf finanzielle Entschädigungen des Bundes zugunsten der administrativ versorgten Menschen verzichtet wird, wie dies übrigens schon bei den erwähnten früheren «Rehabilitierungserlassen» der Fall gewesen ist. Allerdings ist der Bundesrat der Meinung, dass die Ablehnung finanzieller Entschädigungsansprüche im Rahmen des zu schaffenden Bundesgesetzes nicht ausschliessen sollte, dass zu einem späteren Zeitpunkt geprüft wird, ob im Rahmen einer ganzheitlichen Betrachtungsweise der Situation der Betroffenen von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und anderen Fremdplatzierungen gewisse finanzielle Leistungen ausgerichtet werden sollen, wobei diese massgeblich von Kantonen und Gemeinden, Kirchen und privaten Institutionen mitzutragen wären.

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Antrag des Bundesrates

Der Bundesrat beantragt Zustimmung zur Vorlage.

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SR 371 SR 321.1

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