1 7

0

N o

9

# S T #

5

Bundesblatt

97. Jahrgang.

Bern, den 16. August 1945.

Band I.

Erscheint in der Regel alle 14 läge. Preis SO Franken im Jahr, 10 Franken im Halbjahr, zuzüglich Nachnahme- und Postbestellungsgebühr, Einrückungsgebühr; 60 Rappen die Petitzeile oder deren Raum. -- Inserate franko an Stämpfli
# S T #

4788

Ergänzungsbotschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Revision der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung.

(Vom 8. August 1945.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Nach Kenntnisnahme unseres Berichtes vom 9. März 1944 über die verfassungsmässigen Grundlagen der künftigen landwirtschaftlichen Gesetzgebung und über die Eevision der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung haben der Nationalrat am 28, März 1944 und der Ständerat am 29. März 1944 beschlossen: 1. auf ihren Beschluss vom 21. September 1989 über die Eevision der Wirtschaftsartikel zurückzukommen, 2. den Bundesrat einzuladen, den gesetzgebenden Bäten so bald wie möglich einen abgeänderten Entwurf zu einer Bevision der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung zur Beratung zu unterbreiten.

Diesem Auftrage nachkommend beehren wir uns, Ihnen einen neuen Entwurf zu den Wirtschaftsartikeln der Bundesverfassung nebst einer Ergänzungsbotschaft vorzulegen, die sich darauf beschränkt, die Abänderungen gegenüber dem Bundesbeschluss vom 21. September 1939 zu begründen.

I. Der bisherige Gang der Revisionsarbeiten.

Bevor wir auf die Neuerungen des beiliegenden Entwurfes eintreten, möchten wir in kurzen Zügen die bisherige Entwicklung der Revisionsarbeiten darlegen und auf die amtlichen Quellen hinweisen, aus denen ihr Verlauf ersichtlich ist.

Die erste Botschaft zu einer Partialrevision der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung datiert vom 10. September 19871). Sie enthielt 1) Bundesblatt 1937, Bd. II. Seite 833 ff.

Bundesblatt. 97. Jahrg. Bd. I.

65

906 ausser dem Entwurf und einer Darstellung der verfassungsrechtlichen Grundlage der Wirtschaftspolitik auch den Bericht der begutachtenden Kommission für Wirtschaftsgesetzgebung, die vom eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement am 21. Oktober 1936 eingesetzt worden war. Die parlamentarischen Verhandlungen, für die die Priorität dem Nationalrat zukam, verteilten sich auf folgende Sessionen: Nationalrat: April 1938, März/April 1939, September 1989 *); Ständerat: Dezember 1938, Januar/Februar 1939, Juni 1939, September 1939 2). Nach eingehender Beratung, die zu zahlreichen Abänderungen des bundesrätlichen Entwurfes führte, wurde die Vorlage am 21. September 1939, wenige Wochen nach Kriegsausbruch, vom Nationalrat mit 108:6 und vom Ständerat mit 21:5 Stimmen gutgeheissen3).

Mit Rücksicht auf die damalige, durch den Kriegsausbruch entstandene Lage musste davon Umgang genommen werden, die an sich abstimmungsreife Vorlage unmittelbar nach ihrer Annahme durch die Eäte der Abstimmung von Volk und Ständen zu unterbreiten. Gestützt auf unsern Bericht vom 14. Juli 1942 über das Postulat des Nationalrates betreffend die Verschiebung der Volksabstimmung über die Eevision der Wirtschaftsartikel und den Schutz bedrohter Wirtschaftszweige 4) haben die eidgenössischen Bäte am 29./30. September 1942 dieses Vorgehen gutgeheissen und die Verschiebung der Volksabstimmung beschlossen 5). Im Zusammenhang mit den Vorarbeiten für die verfassungsmässigen Grundlagen der künftigen landwirtschaftlichen Gesetzgebung wurde die Frage der Volksabstimmung erneut aufgeworfen. In einer Bundfrage vom Herbst 1948 sprachen sich die meisten Spitzenverbände, die sich seinerzeit zu der Verfassungsrevision geäussert hatten, für eine baldige Volksabstimmung aus, wünschten aber gleichzeitig, dass die Vorlage vorher durch die Bäte nochmals überprüft und in einzelnen Punkten abgeändert werde. Wir verweisen hiefür auf unseren Bericht vom 9. März 1944 über die verfassungsmässigen Grundlagen der künftigen landwirtschaftlichen Gesetzgebung und über die Bevision der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung 6) sowie auf den bereits eingangs wiedergegebenen Beschluss der Bäte vom 23,/29. März 1944 7), durch den im Sinne dieser Vernehmlassungen die Ausarbeitung des vorliegenden neuen Entwurfes veranlasst worden ist.

*) Stenographisches Bulletin
Nationalrat: 1988, Seiten 287--398, 1939 Seiten 89--127, 177--189, 531--548, 575.

2 ) Stenographisches Bulletin Ständerat: 1988 Seiten 477--489, 526--541, 1939 Seiten 27--78, 80--102, 380^13, 519--539, 589--597, 603--607.

3 ) Text dea Bundesbeschlusses vom 21. September 1939, siehe Beilage 2, Seite 985 hiernach.

4

) Bundesblatt 1942, Seite 485.

) Stenographisches Bulletin, Nationalrat 1942, Seiten 207--212 und 218 bis 238; Ständerat 1942, Seiten 124--126.

«) Bundesblatt 1944, Seite 158.

7 ) Stenographisches Bulletin, Nationalrat 1944, Seiten 50--58 und 62--85; Ständerat 1944, Seiten 50--58.

.

' B

907 II. Vernehmlassungen der Verbände.

Nach der erwähnten Beschlussfassung der eidgenössischen Bäte ordnete das zuständige eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement eine Umfrage bei den Spitzenverbänden der Wirtschaft an. Am 14. April 1944 wurden diese eingeladen, ihre Vernehmlassungen zur Abänderung oder Ergänzung der Vorlage vom 21. September 1939 einzureichen. Die gleiche Einladung erging auch an die Initiativkomitees der beiden Volksbegehren «Becht auf Arbeit» und «Wirtschaftsreform und Bechte der Arbeit». Wie Schon bei der "Umfrage vom Jahre 1943 machten auch diesmal Verbände der Arbeitgeber und Arbeitnehmer den Versuch, wenn möglich zu einer einheitlichen Stellungnahme zu gelangen. Wiewohl dieses Ziel nicht erreicht wurde, lassen die eingegangenen Vernehmlassungen doch erkennen, dass die Zusammenarbeit im Sinne einer gewissen Angleichung der Auffassungen gewirkt hat. Mit Bücksicht auf diese gemeinsamen Beratungen der Verbände wurde die Vernehmlassungsfrist, die ursprünglich auf den 1. Juli 1944 festgesetzt worden war, wiederholt verlängert und zuletzt bis zum 81. Dezember 1944 erstreckt. Mit Ausnahme des Komitees für das Volksbegehren «Becht auf Arbeit», der Fédération romande des corporations und der Fédération genevoise des corporations sind von sämtlichen begrüssten Organisationen auf unsere Umfrage Vernemnlassungen eingegangen.

Der Vorort des Schweizerischen Handels- und IndustrieVereins und der Zentralverband schweizerischer ArbeitgeberOrganisationen vertreten in einer gemeinsamen Eingabe die Auffassung, dass die Bevision der Wirtschaftsartikel nach wie vor notwendig sei, um für die künftige Wirtschaftsgesetzgebung eine zuverlässige und ausreichende rechtliche Basis zu schaffen. Sie begrüssen es, wenn die Bevisionsarbeit fortgesetzt wird, möchten dabei aber soweit als möglich auf das bisherige Ergebnis abstellen, indem sie die Vorlage vom 21. September 19S9 als eine tragbare und brauchbare mittlere Lösung bezeichnen. Der einzige Abänderungsvorschlag besteht darin, dass in Art. 31ter die Allgemeinverbindlicherklärung von Verbandsbeschlüssen gestrichen werden soll. Zur Begründung wird darauf hingewiesen, dass Eingriffe in die Handels- und Gewerbefreiheit auf Grund von Art. 81bls nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen und auf dem Wege der ordentlichen Gesetzgebung zulässig seien,
wogegen sie mit Hilfe der Allgemeinverbindlicherklärung auch in einem rein administrativen Verfahren möglich würden. Im übrigen betont die Eingabe, dass die in den Wirtschaftsartikeln in der Fassung vom 21. September 1939 auch nach Streichung des Art. 31ter enthaltenen Möglichkeiten zur Einschränkung der Handolsund Gewerbefreiheit das Maximum dessen darstellen, was für Handel und Industrie noch tragbar sei. Ferner sollten die Wirtschaftsartikel bei ihrer weitern Behandlung nicht mit Einzelheiten überladen werden. In diesem Sinne wird eine ausdrückliche Bestimmung über die Einführung des Fähigkeitsausweises für die Eröffnung von Betrieben im Gewerbe als unnötig bezeichnet,

908

da dieses Postulat, dem an sich keine Opposition gemacht werde, durch ein Ausführungsgesetz zu Art. 31Ms, Abs. 2, geregelt werden könne.

Der Schweizerische Bauernverband legt vor allem Wert auf die unveränderte Beibehaltung von Art. SlblB, Abs. 2, lit. b, über die Förderung und den Schutz der Landwirtschaft. Wie schon bei früherer Gelegenheit befürwortet er die Streichung der Allgemeinverbindlicherklärung von Verbandsbeschlüssen. Im übrigen hofft er, dass für die Anträge des Schweizerischen Gewerbeverbandes und des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes eine allseits befriedigende Formulierung gefunden werde.

Der Schweizerische Gewerbeverband führt aus, dass er den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit durchaus als wegleitendes Prinzip für die schweizerische. Wirtschaftsordnung betrachte, dass aber dieses Prinzip zur Gewährleistung eines wirklichen Leistungswettbewerbes doch bestimmte Einschränkungen erfahren müsse. Er legt Gewicht darauf, dass die Möglichkeit geschaffen werde, Berufen des Handwerks, des Nahrungsmittelgewerbes, des Gastgewerbes und des Detailhandels, die durch den Zudrang fachlich untüchtiger und unseriöser Leute immer wieder von der Überfüllung bedroht und in ihrer Existenz gefährdet werden, durch die Einführung des obligatorischen Fähigkeitsausweises als Voraussetzung für die Eröffnung oder Übernahme von Betrieben einen gewissen Schutz zu gewähren. Die neuen Wirt^ Schaftsartikel sollen hiefür eine unbestrittene Bechtsgrundlage schaffen, und zwar entweder durch eine textliche Erweiterung von Art. SlTM8 oder aber durch eine allgemein anerkannte gutachtliche Interpretation des jetzigen Textes. Andererseits ist er bereit, auf Art. 31ter in der gegenwärtigen Fassung notfalls zu verzichten und diese Bestimmung auf die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen zu beschränken. Dem vermehrten Schutz der Arbeitnehmer soll durch eine entsprechende Erweiterung von Art. 31Ws, Abs. l, Bechnung getragen werden, während Art. 84ter ausschliesslich eine Zusammenfassung sozialpolitischer Wegleitungen über den Schutz der Arbeit, die Arbeitsvermittlung, die Arbeitsbeschaffung und die Arbeitslosenversicherung enthalten soll. Art. 31lulnluies, Abs. l, soll in dem Sinne erweitert werden, dass auch gewisse Schutzbestimmungen gegen die wilde Darlehensvermittlung möglich, werden. Trotz
all dieser Anregungen möchte auch der Schweizerische Gewerbeverband an der jetzigen Fassung der Wirtschaftsartikel nur das unumgänglich Notwendige geändert wissen.

Die Schweizerische Bankiervereinigung beschränkt ihre Veruehmlassung im wesentlichen auf den sogenanntenBaiikenartikel, Art. 314uln
Sie beantragt, diese Bestimmung zu streichen und in den Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung vorzusehen, dass die auf Grund des bisherigen Art. 34ter erlassenen Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse weiterhin in Kraft bleiben und jederzeit revidiert werden können. Wenn Art. 81luln
behalten würde, wäre darin ein ausdrücklicher Vorbehalt zugunsten der Handels- und Gewerbefreiheit aufzunehmen. Im übrigen unterstützt auch

909

diese Eingabe die Bestrebungen, die auf eine Streichung der Allgemeinverbindlicherklärung von Verbandsbeschlüssen hinzielen.

Der Schweizerische Fremdenverkehrsverband beleuchtet die allgemeine Bedeutung der Wirtschaftsartikel für den Fremdenverkehr und hält fest, dass dieser Erwerbszweig, ohne in der Vorlage besonders genannt zu sein, auf Grund der Erklärungen während der parlamentarischen Beratungen doch zu denjenigen Wirtschaftszweigen gehöre, deren Förderung durch den Bund auf Grund von Art. 31Ms, Abs. l, möglich ist. Der Streichung von Art, 81ter wird im Interesse einer baldigen Verwirklichung der übrigen Vorschriften zugestimmt, obschon dies für den. Fremdenverkehr die Preisgabe eines wesentlichen Vorteils der neuen Wirtschaftsartikel bedeute. Mit dieser Stellungnahme wird die Erwartung verbunden, dass in Art. 81ws, Abs. 2, lit. a, die Möglichkeit zur Einführung einer obligatorischen Werbeabgabe für die Durchführung kollektiver Werbeaktionen enthalten sei. Ferner wird eine Ergänzung von Art. 34ter durch Bestimmungen über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen postuliert.

Der Verband schweizerischer Konsumvereine begrüsst es, dass die Wirtschaftsartikel einer nochmaligen Beratung unterzogen werden, nachdem die von den Selbsthilfeorganisationen gemachten Vorschläge bisher völlig unberücksichtigt geblieben seien. Im Zusammenhang grundsätzlicher Bemerkungen über die Wirtschaftspolitik und -gesetzgebung lehnt er einschränkende negative Massnahmen zum Schutze einzelner Wirtschaftsgruppen ab, da dadurch einzelne Kreise bevorzugt, andere aber benachteiligt würden.

Inskünftigen Kriseneinbrüchen soll mit positiven, die wirtschaftliche Tätigkeit ausdehnenden Massnahmen begegnet und vorgebeugt und dies auch in der Verfassung deutlich zum Ausdruck gebracht werden. Die Gestaltung der künftigen Wirtschaftspolitik dürfe nicht auf einen Gegensatz von privater zu staatlicher Wirtschaft oder von privater Initiative zu staatlicher Regelung zugespitzt werden. Vielmehr sei ein Wirtschaftssystem zu entwickeln, das einerseits die Koordination und Zusammenarbeit aller Teile der Volkswirtschaft sicherstelle und andererseits dem Einzelnen den nötigen Spielraum zur Entfaltung seiner Kräfte und ein demokratisches Mitspracherecht gewährleiste. Nachdem die Genossenschaftsbewegung schon bisher in
diesem Sinne gewirkt habe, sei in die Verfassung der Grundsatz aufzunehmen, dass die genossenschaftlichen Selbsthilfeorganisationen gefördert werden sollen, dass der genossenschaftlichen Zusammenarbeit beim weitern Ausbau unserer Volkswirtschaft wie auch bei der Krisenvorbeugung und -bekämpfung die Vorhand belassen wird und dass die Genossenschaften überall dort, wo staatliche Massnahmen erforderlich sind, zur Mitwirkung heranzuziehen seien.

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund hat innert der Vemehmlassungsfrist nicht materiell Stellung genommen. Nachträglich reichte er am 14. Mai 1945 einen Entwurf über die in Eevision stehenden Verfassungsartikel ein, der mit den bereits erwähnten Vorschlägen des Schweizerischen

910 Gewerbeverbandes weitgehend übereinstimmt. Dieser Entwurf entbält einleitend eine Bestimmung, die den Bund mit der Förderung der wirtschaftlichen Wohlfahrt des Voltes beauftragt. Überdies wird der Bund in Ergänzung der lit. a des jetzigen Art. 31bls, Abs. 2, zur Bekämpfung von Störungen der Wirtschaft ermächtigt. Ferner sollen die kantonalen Kompetenzen des Art. SiiTM*61 das gesamte Gastgewerbe umfassen, auf das Lichtspieltheatergewerbe dagegen nicht anwendbar sein.

Die Vereinigung schweizerischer Angestelltenverbände begrüsst die Eevision der Wirtschaftsartikel, um die Notrechtsgesetzgebung der Kriegszeit, soweit sie auch für die Nachkriegszeit beibehalten werden muss, möglichst bald auf eine verfassungsmässige Grundlage, stellen zu können.

Bei aller positiven Einstellung zu der Privatwirtschaft vertritt sie die Auffassung, dass diese in Zukunft nicht mehr auf einem integralen Liberalismus beruhen könne und dass gewisse Schranken gegen die Auswüchse des wirtschaftlichen Egoismus errichtet werden müssen. In Art. 81bls, Abs. l, soll dem Bund deshalb auch die Kompetenz erteilt werden, Vorschriften zur Bekämpfung von Missbräuchen der Handels- und Gewerbefreiheit und ihrer volkswirtschaftlich und sozial schädlichen Auswirkungen aufzustellen. Den Verbänden sollen bei der künftigen Wirtschaftsgestaltung vermehrte Aufgaben zufallen. Dem Bund sei deshalb in der Verfassung die Befugnis einzuräumen, über die Berufsverbände und ähnliche Organisationen Bestimmungen aufzustellen und sie bei der Ausarbeitung und dem Vollzug der Ausführungsgesetze zur Mitwirkung heranzuziehen. Auf die Allgemeinverbindlicherklärung von Verbandsbeschlüssen soll verzichtet werden, weil sie gewissen Verbänden eine Monopolstellung einräumen würde, dagegen müsste eine verfassungsmässige Grundlage für die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen geschaffen werden. Zu Art. 34ter wird beantragt, die Befugnis zur Einführung des allgemeinen Obligatoriums der Arbeitslosenversicherung dem Bund zu übertragen. Endlich wird eine erweiterte Fassung der Bestimmung über die Arbeitsbeschaffung vorgeschlagen.

Der Christlichsoziale A r b e i t e r b u n d der Schweiz sieht im Bundesbeschluss vom 21. September 1939 eine ausreichende Grundlage für die dringlichsten wirtschaftlichen und sozialpolitischen Fragen und verneint deshalb
die Zweckmässigkeit einer nochmaligen Überarbeitung dieser Vorlage. Insbesondere hegt er starke Bedenken gegen den Einbezug weiterer Sachfragen im Sinne der hängigen Volksbegehren. Der einzige Abänderungsvorschlag betrifft die Beschränkung des Art. 31ter auf die Allgeineinverbindlichorklärung von Verbandsvereinbarungen unter Ausschluss von Verbandsbeschlüssen.

Im übrigen wird die Auffassung vertreten, dass möglichst ohne Verzug die Vorarbeiten für eine Totalrevision der Bundesverfassung an die' Hand genommen werden sollen. Für den Fall, dass die Beratungen über die Wirtschaftsartikel neu aufgenommen werden sollen, behält er sich die Einreichung konkreter Vorschläge ausdrücklich vor.

911 Der Schweizerische Verband evangelischer Arbeiter und Angestellter ist der Auffassung, dass es sich heute nur darum handeln kann, das Ergebnis von 1989 in Einzelheiten zu überprüfen, daas aber keine vollständig neue Vorlage auszuarbeiten sei. Art. 31, Abs. l, soll dahin ergänzt werden, dass die Handels- und Gewerbefreiheit nur im Rahmen der Bundesgesetzgebung gewährleistet sei. Anschliessend wären in Art, Sl1118 die Voraussetzungen aufzuführen, unter denen die Bundesgesetzgebung von der Handelsund Gewerbefreiheit abweichen kann. Die Möglichkeit der Allgemeinverbindlicherklärung soll nur für Gesamtarbeitsverträge zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden vorgesehen werden. In diesem Zusammenhang wird noch auf die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtvereinbarungen (« Gesamtwirtschaftsverträgen») hingewiesen, die allerdings eine gesetzliche Regelung des Verbandswesens voraussetzen würde. In Art. 84ter soll neu auch der Schutz der Arbeit und die Kompetenz des Bundes zur Gesetzgebung auf dem Gebiet des Arbeitsrechts erwähnt werden.

Der Landesverband Freier Schweizer Arbeiter spricht sich für ein möglichst beschleunigtos Verfahren aus, weil das Kriegswirtschaftsrocht nicht länger als unbedingt notwendig in Kraft bleiben dürfe und sein Abbau ohne vorherige Bereinigung der Wirtschaftsartikel nicht möglich sei.

Das Komitee für das Volksbegehren « W i r t s c h a f t s r e f o r m und Hechte der A r b e i t » teilt mit, dass es beim gegenwärtigen Stand der Revision der Wirtschaftsartikel an der eingereichten Volksinitiative festhalten müsse. Ob diese zurückgezogen werden könne, hänge von der weitern Behandlung des Verfassungsentwurfes ab.

Ausser diesen Vernehmlassungen sind den Eundesbehörden noch drei weitere Eingaben zur Revision der Wirtschaftsartikel zugegangen. Der Schweizerische Wirteverein betont die Bedeutung dos obligatorischen Fähigkeitsausweises und der Bodürfnisklausel für alle Gastwirtschaftsbetriebe mit Einschluss der alkoholfreien und bezeichnet die Regelung im Bundesbeschluss vom 21. September 1939 als ein absolutes Minimum, Der /entralverband schweizerischer Haus- und Grundbesitzervereine stellt das prinzipielle Begehren, zu den weitern Arbeiten ebenfalls zugezogen zu werden, um seine Forderungen betreffend den Schutz der privaten Wohnwirtschaft und die Erhaltung gesunder
Grundlagen im Hypothekarkredit vertreten zu können. Die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für den Hausdienst wünscht, dass bei Art. 34ter die Kompetenzen des Bundes zur Gesetzgebung über die berufliche Ausbildung nicht auf Industrie, Handel und Gewerbe beschränkt, sondern allgemein gehalten werden, damit so eine verfassungsmässige Grundlage für den Erlass einheitlicher Bestimmungen für alle Berufe geschaffen werde.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass alle begrüssten Verbände und Organisationen die Revision der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung nach wie vor als dringliche A u f g a b e der allernächsten Z u k u n f t

912 betrachten und auf einen baldigen Abschluss des Bevisionswerkes zählen.

Eine grundsätzliche Neubearbeitung der Materie wird lediglich vom Verband schweizerischer Konsumvereine verlangt, wogegen alle andern Vernehmlassungen, unbeschadet der zahlreichen Abänderungsanträge, bei den weitern Verhandlungen möglichst vom Ergebnis der bisherigen Beratungen ausgehen möchten. Die wichtigste Abänderung gegenüber dem Text vom 21. September 1989, die mit gewissen Unterschieden von sämtlichen Verbänden und Organisationen gewünscht wird, besteht darin, dass die Allgemeinverbindlichkeit von Verbandsbeschlüssen fallengelassen und Art. 81*^ entsprechend abgeändert oder gestrichen werden soll. Dieses Bild deckt sich im wesentlichen mit den Auffassungen, welche die Arbeitgeberverbände äusserten, als sie Ende 1943 zur Frage der Volksabstimmung über den Bundesbeschluss vom 21.. September 1939 Stellung zu nehmen hatten 1 ).

III. Der neue Entwurf.

1. Allgemeine Gesichtspunkte.

Die neuen Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung wurden in einer Zeit ausgearbeitet, die stark unter dem Einfluss der Weltwirtschaftskrise der dreissiger Jähre stand. Trotzdem sind sie keineswegs auf jene-zeitbedingten Verhältnisse zugeschnitten. Wie schon die Botschaft vom 10. September 1937 ausführte, bezweckte die Verfassungsrevision einerseits eine Wiederherstellung der unter dem Einfluss veränderter Bedingungen teilweise verzerrten ursprünglichen Grundgedanken einer freiheitlichen und demokratischen Wirtschaftsgestaltung und andererseits eine Anerkennung der bereits eingetretenen und zukünftigen Weiterentwicklung des Wirtschaftslebens, ohne jedoch deswegen das Grundprinzip der geltenden Verfassung, d. h. die Selbstverantwortlichkeit der Wirtschaft, preiszugeben 2). Die Aufgabe lag somit darin, einen Ausgleich zu finden zwischen dem Grundsatz des uneingeschränkten Wirtschaftsliberalismus und den sozialen und wirtschaftlichen Bestrebungen der Gegenwart.

Die gleiche Aufgabe stellt sich unseres Erachtêns auch heute bei der Ausarbeitung des neuen Entwurfes. Die leitenden Gesichtspunkte, unter denen ihre Lösung gesucht werden muss, sind trotz der sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen des zweiten Weltkrieges grundsätzlich die gleichen geblieben wie bei der Anhandnahme des Bevisionswerkes. Der Auftrag der eidgenössischen Bäte zur Ausarbeitung eines neuen Entwurfes bezweckte keine umwälzende Neugestaltung unserer Wirtschaftsverfassung, sondern eine Anpassung der z u r ü c k g e s t e l l t e n Vorlage an die neuen Verhältnisse. Sowohl die Aussprache in der Märzsession 1944 als auch die vorher und nachher bei den Wirtschaftsverbänden eingeholten Vernehmlassungen *) Vgl. Bericht vom B.März 1944; Bundesblatt 1944, Seite 168 ff. Separatausgabe Seite 11 ff.

s ) Bundesblatt 1937, Bd, II, Seiten 841 und 848; Separatausgabe Seiten 9 und 16.

913 lassen erkennen, dass nicht die Gmndprobleme Anlass zu dem eingeschlagenen Verfahren gegeben haben, sondern vielmehr die Frage, wo im einzelnen die Grenze zwischen der Freiheit des Bürgers und den Eechten der Gemeinschaft wie auch den Befugnissen des Staates zu ziehen sei.

Ausgehend von dieser Auffassung haben wirvon einer grundlegenden Neubearbeitung Umgang genommen und uns auf einige Abänderungen und Ergänzungen des Bundesbeschlusses vom 21. September 1989 beschränkt. Es sind somit verschiedene beachtliche Vorschläge der Vernehmlassungen. nicht berücksichtigt worden, darunter namentlich auch solche, die seinerzeit in den Bäten keine Mehrheit gefunden haben. Wir glaubten uns zu diesem Vorgehen um so mehr berechtigt, als die begutachtqnde Kommission für Wirtschaftsgesetzgebung und die eidgenössischen Eäte wahrend Jahren mit grosser Hingabe und Verständigungsbereitschaft an dieser Vorlage gearbeitet haben und zu einer wohlabgewogenen Lösung gelangt sind, die, als Ganzes betrachtet, für das'Verhältnis von Staat und Wirtschaft auch heute noch als zweckmässige Ordnung betrachtet werden darf. Abge eben davon ist bei der parlamentarischen Beratung des Berichtes vom 9. März 1944 von verschiedenen Seiten mit Nachdruck betont worden, dass die Bereinigung der verfassungsmassigen Grundlagen unserer Wirtschaftspolitik keinen weitern A u f s c h u b erleiden darf, wenn wir von einer sichern Bechtsgrundlage aus an die nicht geringen Aufgaben der Nachkriegszeit sollen herantreten können.

Beide Gesichtspunkte gaben uns Veranlassung, unsererseits nur diejenigen Probleme aufzugreifen, für deren Überprüfung ein mehr oder weniger allgemeines Bedürfnis besteht und bei denen die Voraussetzungen für das Zustandekommen einer neuen Lösung vorhanden zu sein scheinen. Entsprechend werden wir uns auch in der vorliegenden Botschaft, die wir, wie bereits erwähnt, als eine .Ergänzungsbotschaft aufgefasst wissen möchten, auf die Begründung, unserer Abänderungsvorschläge beschränken, während wir für alle übrigen Punkte in globo auf die frühere Botschaft vom 10. September 19S7 verweisen.

Nachdem im Jahre 1948 die Volksinitiativen «Recht auf Arbeit» 1 ) und « W i r t s c h a f t s r e f o r m und Hechte der Arbeit» 2 ) eingereicht worden sind, die ebenfalls die gänzliche oder teilweise Bevision der Wirtschaftsartikel bezwecken,
stellt sich die Frage, ob nicht die Volksabstimmungen über diese Initiativbegehren vorgängig der Beratung der neuen Wirtschaftsartikel vorgenommen werden sollen. Da beide Initiativbegehren die Möglichkeit eines Bückzuges offenlassen, erachten wir es als zweckmässig, dass vorerst die neuen Wirtschaftsartikel durchberaten werden. Erst nach der endgültigen Bereinigung der Vorlage wird es sich dann zeigen, ob die Initianten von der Eückzugsmöghchkeit Gebrauch machen. Erfolgt kein Rückzug, so wird sich das weitere x ) Vom Landesring der Unabhängigen am 6. Mai 1943 mit 73 292 gültigen Unterschriften eingereicht; Text siehe Bundesblatt 1943, Seite 465.

2

) Von der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz am 10. September 1943 mit 161 477 gültigen Unterschriften eingereicht ; Text siehe Bundesblatt 1943, Seite 874.

914 Vorgehen nach dem Bundesgesetz vom 27. Januar 1892 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Revision der Bundesverfassung1) richten.

.

· 3. Verzicht auf die Allgemeinverbindlicherklärung von Verbandsbeschlüssen.

Im Mittelpunkt der Diskussion um die Revision der Wirtschaftsartikel stand von allem Anfang an das Institut der Allgemeinverbindhcherklärung} und auch heute bei der Überprüfung des vorläufigen Ergebnisses steht dieses Problem bei allen Vernehmlassungen im Vordergrund. Nach dem Bericht der begutachtenden Kommission für Wirtschaftsgesetzgebung sollte die missbräuchliche Ausübung der wirtschaftlichen Freiheit in erster Linie von den beteiligten Kreisen selbst auf dem Wege der freien Verständigung bekämpft werden, für jene Fälle, in denen dieses Mittel nicht zum Ziele führt, jedoch die Allgemeinverbindlicherklärung entsprechender Vereinbarungen und Beschlüsse ermöglicht werden2). Angesichts der weittragenden Bedeutung dieses Schrittes wurden die Interessen der Allgemeinheit und der Aussenseiter bei der Umschreibung der Voraussetzungen für solche Allgemeinverbindlicherklärungen durch verschiedene Sicherungsbestinrmungen gewahrt, und ausserdem wurde das Anwendungsgebiet von vornherein auf bestimmte Gebiete -- Berufsbildung, Arbeitsbedingungen und soziale Nebenleistungen, unlauterer Wettbewerb -- beschränkt. Diese Regelung, die als Art. 32, Abs. 2, lit. d, auch in den bundesrätlichen Entwurf vom 10. September 1937 Eingang gefunden hatte, erfuhr dann in der parlamentarischen Beratung verschiedene Abänderungen, von denen die wichtigste darin bestand, dass die Enumeration der in Betracht fallenden Sachgebiete gestrichen wurde und Art. 81ter die Abgrenzung des Anwendungsgebietes vollständig der Gesetzgebung überliess.

Während die Allgemeinverbindlicherklärung von Vereinbarungen über das Arbeitsverhältnis (Gesamtarbeitsverträgen) schon heute auf Grund verschiedener Erlasse praktisch durchgeführt und kaum angefochten wird, begegnet das Postulat der Anwendung des gleichen Grundsatzes auf Verbandsbeschlüsse einer stets wachsenden Opposition. So haben die Arbeitgeberverbände schon in der Umfrage von 1948 ihre Zustimmung zur Vornahme der Volksabstimmung über die Wirtschaftsartikel mit dem Vorbehalt verbunden, dass Art. 31teT in einer vorgängigen Überprüfung der Vorlage gestrichen werde, wobei dann für die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen eine andere Rechtsgrundlage zu schaffen wäre. Diese Auffassung hat in der Folge immer mehr an Boden gewonnen, und in den neuesten Vernehmlassungen wird
sie ziemlich übereinstimmend von sämtlichen begrüssten Organisationen vertreten. Auch der Schweizerische Gewerbeverband, der auf die Möglichkeit der Allgemeinverbindlicherklärung von Verbandsbeschlüssen seit jeher besonderen Wert legte, hat sich im Interesse einer Verständigung in beiden Umfragen mit der Streichung von Art. 31ter schliesslich einverstanden erklärt.

!)

A. S. 12, 885.

2 ) Bericht vom 4. Juni 1937; Bundesblatt 1937, Bd. II, Seite 921; Separatausgabe der Botschaft vom 10. September 1937, Seite 89.

915 .Nach den bisher gemachten Erfahrungen erlaubt die Allgemeinverbindlicherklärung in vielen Fällen eine durchaus zweckmässige Ordnung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse eines Berufszweiges. Die Verbände erhalten dabei nicht den Hang wirtschaftlicher oder sozialer Selbstverwaltungskörper mit dem Recht zu autonomer Satzung, da sie von sich aus keine allgemeinverbindlichen Kegelungen aufstellen können. Die Kontrolle über ihre Bechtssetzung bleibt in der Hand des Staates, der die Allgemeinverbindlicherklärung in jedem einzelnen Falle von der Wahrung der Gesamtinteressen und der angemessenen Berücksichtigung der Interessen der Aussenseiter abhängig macht. Die Anerkennung der Allgemeinverbindlicherklärung als Institut der Eechtssetzung würde übrigens nicht notwendigerweise eine Änderung der bestehenden Wirtschaftsverfassung bedingen. Aus den Beratungen zu Art. 81ter geht vielmehr mit aller Deutlichkeit hervor, dass die bestehende privatwirtschaftliche Ordnung unserer Wirtschaft erhalten bleiben sollte und dass keineswegs eine Ausschaltung des Marktmechanismus als Regulator der Wirtschaft beabsichtigt war. Wenn Art. 31ter trotzdem mannigfache Bedenken ausgelöst hat, so deshalb, weil er Abweichungen von der Handels- und Gewerbefreiheit in die Hand der Behörden legen würde, wogegen solche Eingriffe auf Grund von Art. 31bls immer nur auf dem ordentlichen Gesetzgebungsweg möglich sind. Als gefährlich wurde ferner auch der Verzicht auf eine abschliessende Umgrenzung der in Betracht fallenden Sachgebiete und vor allem der Einbezug von Verbandsbeschlüssen empfunden, weil diese im Gegensatz zu den Verbandsvereinbarungen einseitige Entschliessungen einzelner Interessentengruppen darstellen.

Angesichts des entschiedenen Widerstandes, auf den die Regelung der Allgememverbindlicherklärung in weiten Kreisen der Wirtschaft gestossen ist, verzichten wir auf den Versuch einer Umgestaltung des Art. 81ter. Wir beschränken uns darauf, eine Grundlage für die Allgemeinverbindlicherklärung von Verbandsvereinbarungen über das Arbeitsverhältnis zu schaffen und sehen hiefür in Art. 84ter eine neue Lösung vor (vgl.

hiezu unten Ziffer 8, ad lit. b}. Dabei ist es selbstverständlich, dass der Bundesgesetzgeber in einzelnen gesetzlichen Erlassen auch ausserhalb dieses Rahmens die Allgememverbindlicherklärung von
Vereinbarungen und Beschlüssen zur Durchführung bestimmter Einzelfragen zulassen kann, wie dies z. B. für Vereinbarungen über das Arbeitsverhältnis in verschiedenen Fällen geschehen ist, bevor mit Bezug auf die Gesamtarbeitsverträge eine allgemeine Regelung getroffen worden ist1).

1 ) Art. 17 des Bundesbeschlusses vom 30. September 1938 über den Transport von Personen und Sachen mit Motorfahrzeugen auf öffentlichen Strassen; A, S. 56, 1299.

Art. 12 des Bundesgesetzes vom 12. Dezember 1940 über die Heimarbeit; A. S. 57, 1461.

Art. 3 des Bundesbeachlusses vom 5. April 1935 über die Portsetzung der Hilfsmassnahmen für das schweizerische Hotelgewerbe, A. S. 51, 234, und Art. 3 des Bundesratsbeschlusses vom 28. Dezember 1940 über den gleichen Gegenstand, A. S. 56, 2041; praktisch mehrfach angewendet für die Trinkgeldordnung.

916

3. Sozialpolitische Massnahmen.

Die Gründe, die zu einer Neubearbeitung des Art. 34ter führten, liegen einerseits in der gesteigerten Bedeutung, die der Sozialpolitik heute zukommt, und andererseits in der Streichung des Art. 31ter. Es scheint uns notwendig zu sein, die verfassungsrechtliche Grundlage zu sozialpolitischen Massnahmen des Bundes in mehrfacher Hinsicht zu erweitern und gleichzeitig das Institut der Allgemeinverbindlicherklärung wenigstens für bestimmte Sachgebiete der Sozialpolitik vorzusehen, da sie sich nach den gemachten Erfahrungen gerade auf diesem Boden als ein wertvolles und kaum mehr entbehrliches Instrument erwiesen hat. Der erweiterte Abs. l gibt dem Bund nunmehr die Befugnis, Bestimmungen aufzustellen: a, über den Schutz der Arbeitnehmer; fe. über das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern mit Einschluss der Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen und von anderen gemeinsamen Vorkehren von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden zur Förderung des Arbeitsfriedens; c. über den angemessenen Ersatz des Lohn- und Verdienstausfalles infolge Militärdienstes ; d. über die Arbeitsvermittlung; e. über die Arbeitslosenversicherung und die Arbeitslosenfürsorge; f. über die berufliche Ausbildung.

Neu gegenüber der bisherigen Regelung sind die lit. b und c, während die lit. e und / gewisse Erweiterungen bringen. Der neue Abs. 2 umschreibt in Anlehnung an den frühern Art. 81ter die Voraussetzungen für Allgemeinverbindlicherklärung im Sinne von ht. fe. Der bisherige Abs. 3 über die Arbeitsbeschaffung wird als Art, 31quinquies verselbständigt (hierüber unten Ziffer 4) und durch den bisherigen Abs. 2 mit den organisatorischen Vorschriften über die Arbeitslosenversicherung ersetzt. Abs. 4 ist mit Ausnahme des bereinigten Zitates unverändert.

ad Ut. a: Schute der Arbeitnehmer.

Übereinstimmend mit der bisherigen Vorlage bildet diese Bestimmung die Grundlage für eine umfassende Gesetzgebung des Bundes über den Arbeiterschutz. Es handelt sich um einen reinen Kompetenzartikel, der weder über den Inhalt dieser Gesetzgebung noch über ihren Geltungsbereich irgendwelche Beschränkungen aufstellt. Der Bund wird somit auf der neuen Grundlage über sämtliche Gebiete des Arbeiterschutzes und für alle Wirtschaftszweige und Betriebsarten legiferiere können, was bisher nicht der
Fall war.

ad lit. b: Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen und sonstige Förderung des Arbeitsfriedens.

Ein Hauptproblem in der heutigen sozialpolitischen Diskussion bildet die Gestaltung des Verhältnisses zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, Immer mehr bricht sich die Forderung Bahn, dass der Arbeitnehmer

917

die Möglichkeit erhalten müsse, hei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses als gleichberechtigter Partner mitwirken zu können. Vor allem hat der Gedanke in der Westschweiz festen FUSS gefasst und durch vielversprechende praktische Erfolge weitern Auftrieb erhalten. Auch in den eidgenössischen Räten hat das Problem zu einer Reihe beachtlicher Vorstösse geführt, von denen aus den letzten Jahren insbesondere genannt sein sollen (in zeitlicher Reihenfolge) : Postulat der nationalrätlichen Kommission für den Bundesbeschluss über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen, vom Nationalrat am 11. Juni 1941 angenommen1).

Die Kommission des Nationalstes, die die Vorlage betreffend die Allgemeinverbmdlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen zu beraten hatte, hält es für wünschenswert, dass auch die Allgemeinverbindlioherklärung von Verbandsvereinbarungen und Verbandsbeschlüssen, die eine Gesundung des Berufes bezwecken, durch eine provisorische und befristete Regelung in der Praxis ausprobiert werde, und sie ersucht daher den Bundesrat, die Frage zu prüfen, ob nicht unverzüglich der Entwurf zu einem entsprechenden Bundesbeschluss auszuarbeiten und den eidgenössischen Räten vorzulegen sei.

Postulat Robert, vom 9. Juni 1948, vom Nationalrat am 28. September 1948 angenommen.

In Anbetracht des Umstandes, dass in einem demokratischen Staatswesen der soziale Friede nicht durch Gewaltmassnahmen gesichert werden kann, sondern dass er die natürliche Folge einer entschlossen fortschrittlichen Sozialpolitik darstellen muss und einer besseren und gerechteren Verteilung der Produkte der Arbeit, und in Erwägung, dass sich dieses Ziel um so rascher erreichen lässt, als die Berufe besser organisiert und befähigter zum Selbsthandeln sein werden, laden die Unterzeiolmeten den Bundesrat ein, der Bundesversammlung innert tunlichst kurzer Frist einen Bericht und allfällige Anträge vorzulegen über die Gesamtheit der Massnahmen im Interesse der Förderung und nötigenfalls der Veranlassung 1. des Abschlusses von Kollektivverträgen in jedem Berufe, wodurch die Arbeitsbedingungen in möglichst genauer und eingehender Weise geregelt werden; 2. der Schaffung von Berufsgemeinschaften in allen Gewerbezweigen mit bestehenden Kollektiwerträgen, welche Berufsgemeinschaften gegründet sein sollen auf: a. das freie Organisationsrecht sowohl für die Arbeitnehmer wie für die Arbeitgeber; b. die Gleichheit der Kechte der Berufsorganisationen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, indem die Organe der Gemeinschaft auf paritätische Grundlage gestellt werden; c. die Vertretung der Gruppierungen der Arbeitgeber einerseits und der Arbeitnehmer anderseits in den Organen der Berufsgemeinschaft auf der Grundlage des Proporzes, wobei das Recht auf eine direkte Vertretung nicht nur kraft der Mitgliedschaft der Arbeitnehmer- oder Arbeitgeber-Vereinigung in der Gemeinschaft bestehen soll.

Die Berufsgemeinschaften sollen sich, indem sie sich an dio vom Bunde zu erlassenden Vorschriften halten, mit folgenden Fragen befassen: aa. Regelung der Produktion (Ausschaltung jeder schädlichen Konkurrenz, Verteilung der Arbeit, Stellenvermittlung); 1

) Hiezu Stenographisches Bulletin Nationalrat 1941, Seite 160.

918 Ib. Festlegung der Preispolitik; cc. berufliche Ausbildung; dd. Studium der Berufs- oder Sozialprobleme, die ihnen von den öffentlichen Behörden unterbreitet werden könnten; ee. gemeinsame Verwaltung des Gemeinschaftsgutes und der beruflichen Ausgleichskassen; ff. technische Forschungsinstitute; gg. Erwerb und Verteilung von Rohstoffen und Maschinen, insbesondere im Gewerbe.

3. der Gründung von Industriegemeinschaften, in denen die Berufsgemeinschaften der Gewerbe auf streng paritätischer Grundlage zusamrnengefasst sind, und wobei sich diese Industriegemeinschaften in gleicher Weise mit den verschiedenen Fragen, die die ihnen angeschlossenen Gewerbezweige betreffen (Baugewerbe, Uhrenindustrie usw.), zu befassen haben.

Postulat Leuenberger, vom 22. Juni 1948, vom Nationalrat am 28. September 1943 angenommen.

Das eidgenössische Fabrikgesetz ist teilweise veraltet. Viele seiner Vorschriften sind überholt. Es gewährt keinen genügenden Arbeiterschutz mehr. Wichtige Postulate, die das wertvollste Wirtsohaftsgut --· die menschliche Arbeitskraft ·--· in Zukunft besser schützen wollen, als dies bisher der Fall war, können ohne Gesetzesrevision nicht verwirklicht werden. Die Revision soll ermöglichen, den gesamten Arbeiterschutz neuzeitlich zu gestalten.

Parallel und von den gleichen Grundsätzen eines modernen Arbeiterschutzes getragen, muss auch die Arbeit in Handel und Gewerbe geregelt werden. Der moderne Arbeitersohutz hat in umfassender Weise a. der Sicherung der Existenz des Arbeiters und seiner Familie, b. der Förderung der Produktion und der Volkswohlfahrt zu dienen auf Grund einer demokratischen Arbeitsdisziplin. Soweit der Schutz der Arbeitskraft es erfordert, hat das neue Arbeitsrecht die rechtliche Verfügung über das Betriebseigenem zu beschränken.

Der Schutz der menschlichen Arbeitskraft hat mit dem Eintritt in das Berufsleben zu beginnen. Die Berufswahl nach Fähigkeiten und Neigungen ist allen Menschen zu sichern. Der Schutz der jugendlichen Arbeitskräfte und derjenige der Frauenarbeit ist zu verbessern.

Die Garantie einer ausreichenden Entlöhnung ist in den gesetzlichen Arbeiterschutz einzubeziehen. Es sind Mittel und Wege zu suchen, um einen Ausgleich der ·Löhne und der sozialen Lasten zwischen den verschiedenen Wirtschaftszweigen zu erreichen.

Vor allem aber ist uneingeschränkt das Koalitionsrecht der Arbeiter und Angestellten zu sichern und im Sinne des Postulates Robert die Vertragspolitik zwischen den. Organisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu fördern.

Der Bundesrat wird eingeladen, zu prüfen und darüber Bericht zu erstatten, ob er in diesem Sinne bereit sei: 1. das eidgenössische Fabrikgesetz zu revidieren, 2. ein Bundesgesetz über den Schutz der Arbeit im Handel und in den Gewerben mit tunlichster Beschleunigung ausarbeiten zu lassen.

Postulat Berthoud, vom 22. September 1948, Ziffer 2 am 23. März 1944 vom Nationalrat angenommen.

Um das Land mit einer wirtschaftliehen Organisation auszurüsten, die den Anforderungen der gegenwärtigen Zeit entspricht und geeignet ist, auch der "Nachkriegszeit gerecht zu werden) wird der Bundesrat eingeladen, den eidgenössischen

919 Räten innert tunlich kurzer Frist Bericht und Antrag zu erstatten, die es ermöglichen sollen, wirtschaftliche Abkommen und Verträge obligatorisch zu erklären, die zwischen den Unternehmungen ein und derselben Berufsgruppe entsprechend dem allgemeinen Interesse abgeschlossen werden und die zugleich die Mehrheit ihrer Interessen darstellen.

Diese Abkommen und Verträge müssten unter anderem: die Produktion im Verhältnis zu den Absatzmöglichkeiten regeln; die Preisschleuderung ebenso wie die Preisübersetzung verhindern; die Konkurrenzmissbräuche unterbinden, auch wenn sie nicht unter die Bestimmungen des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb fallen; die Zahlungsbedingungen festlegen; soziale Einrichtungen durch die Arbeitgeber oder auf paritätischer Grundlage zugunsten des Personals des Berufszweiges schaffen.

Um Gesetzesbestimmungen nach dieser Richtung zu erlassen, wird der Bundesrat eingeladen, die Frage der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung in Wiedererwägung zu ziehen, um zu einer klareren und einfacheren Lösung zu gelangen als die, die im Bundesbeschluss vom 21. September 1939 enthalten ist.

Diese Lösung könnte: 1. die Frage des Statuts der Landwirtschaft gesondert regeln; 2. die dem Bunde durch Art. 34*er der Bundesverfassung verliehene Befugnis, einheitliche Bestimmungen auf dem Gebiete dea Gewerbewesens aufzustellen, auf jede Art wirtschaftliche Tätigkeit ausdehnen; S. in Art. 81 der Verfassung präzisieren, dass die Handels- und Gewerbefreiheit nicht in einem dem Allgemeininteresse zuwiderlaufenden Sinne ausgeübt werden dürfe, und bei diesem Artikel, wenn nötig, alle andern Änderungen vornehmen, die geeignet sind, die verfassungsmässige Grundlage für die Obligatorischerklärung wirtschaftlicher Abkommen und Verträge zu schaffen.

Postulat IIg, vom 6. Dezember 1944.

Der Bundesrat wird eingeladen, zu prüfen und beförderlich Bericht und Antrag einzubringen, ob und in welcher Weise durch Schaffung entsprechender gesetzlicher Grundlagen die Zusammenarbeit der Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften in Industrie und Gewerbe, namentlich auf dem Gebiete des Vertrags- und Sozialwesens, gewährleistet und gefördert werden kann.

Postulat Anderegg, vom 11. Dezember 1944.

Der Bundesrat wird eingeladen, zu prüfen und Bericht und Antrag einzubringen, ob und wie die private Zusammenarbeit wirtschaftlicher Organisationen und Betriebsgruppen zur Regelung der Produktions- und Absatzprobleme in Handwerk und Detailhandel, Industrie und Landwirtschaft einerseits und zum Ausgleich der sozialen Interessen zwischen Unternehmer und Arbeiter anderseits gefördert werden kann.

Postulat Speiser, vom 11. Dezember 1944.

Im Jahre 1937 wurde in der Maschinen- und Metallindustrie ohne Zutun des Staates und ausserhalb aller Parteipolitik eine Vereinbarung abgeschlossen, dank der es gelungen ist, den Arbeitsfrieden in dieser bedeutenden Branche zu erhalten und wichtige Fragen sozialpolitischer Natur in direkter Zusammenarbeit zwischen Arbeitnehmer- und -geberschaft in fortschrittlichem Sinne zu lösen, unter angemessener Berücksichtigung der Existenzbedingungen der einzelnen Betriebe.

Der Bundesrat wird eingeladen, der grundsätzlichen Bedeutung dieser Vereinbarung seine Aufmerksamkeit zu schenken und zu prüfen, ob nicht nach Möglichkeit die dort angewendete Methode vom Bund gefördert werden polite.

920 Postulat Schmid-Zürich, vom 12. Dezember 1944.

Der Bundesrat wird eingeladen, zu prüfen, ob bei der Schaffung gesetzlicher Grundlagen für das bessere Zusammenarbeiten der Arbeitgeberverbände mit den Arbeitnehmerverbänden auf dem Gebiete des Vertragswesens und der Sozialpolitik nicht auch dafür gesorgt werden kann, dass die Angestelltenschaft von der Einrichtung der Gesamtarbeitsverträge und ihrer AUgememverbindlicherklärung Nutzen ziehen kann.

Postulat Favre, vom 19. Dezember 1944.

Der Bundesrat -wird ersucht, zu prüfen, ob nicht die Schaffung der erforderlichen Verfassungsgrundlagen zu beschleunigen sei, a. um die Vollbeschäftigung durch das Zusammenwirken aller Teile unserer nationalen Wirtschaft, der Kapital- und der Arbeitskraft zu fördern, damit eine Lebenshaltung immer allgemeiner werde, die der Würde des arbeitenden Menschen entspricht und damit ihm erleichtert werde, zu privatem Eigentum zu gelangen; &. um eine berufliche Ordnung durch die Zusammenarbeit der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen zu fördern, insbesondere bei der Regelung der Arbeitsbedingungen und der Verteilung des Arbeitsertrages sowie bei der paritätischen Verwaltung der Fürsorgeeinric'htungen.

Postnlat Bührer, vom. 19. Dezember 1944, vom Ständerat am 27. März 1945 angenommen.

Die vom Bunde erlassenen kriegswirtschaftlichen Vorschriften haben nach Inhalt und Umfang ein Ausmass angenommen, das ihre Durchführung erschwert, auf die Dauer den Staat im Übermass belastet und auch die Entwicklung der Wirtschaft immer mehr beeinträchtigt.

Der Bundesrat wird eingeladen: a. diese Vorschriften und die Verwaltungsapparatur für die Durchführung zu überprüfen und zu vereinfachen; b. vorsorglich ein Programm für die Bückbildung der staatlichen Interventionen aufzustellen und c. die autonome Zusammenarbeit der Wirtschaftsgruppen, darunter der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen, für die Ordnung des Arbeits- und Sozialwesens zu fördern, damit sie vermehrten Raum gewinnen für eigene fortschrittliche Lösungen,

Postulat Flükiger, vom 22. Juni 1945.

Der Bundesrat wird eingeladen, zu prüfen und darüber Bericht zu erstatten, ob und in welcher Weise die dem sozialen Frieden dienenden Bestrebungen zugunsten der Verständigung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, insbesondere die Institution der Betriebsgemeinsohaft, vom Bunde gefördert werden können.

Allen diesen Postulaten ist gemeinsam, dass sie die Wahrung des .sozialen Friedens auf dem Wege einer möglichst ständigen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern erstreben und eine mehr oder weniger weitgehende staatliche Unterstützung dieser Bestrebungen anbegehren.

Im einzelnen zeigen sich immerhin recht erhebliche Unterschiede in der Zielsetzung und in den dafür in Aussicht genommenen Mitteln.

Am weitesten greift das Postulat Eobert aus, indem es den obligatorischen Abschluss von umfassenden Gesamtarbeitsverträgen für die einzelnen Berufs-

921 zweige voraussetzt und den ebenfalls obligatorisch zu bildenden Berufsgemeinschatten auch Befugnisse ausserhalb der Lösung sozialer Probleme zuteilen will, so z. E. hinsichtlich der Produktionsregelung, der Preispolitik und des Erwerbes und der Verteilung von Rohstoffen und Maschinen. Auch das Postulat Anderegg möchte die Zusammenarbeit der wirtschaftlichen Organisationen und Betriebsgruppen auf die Regelung der Produktions- und Absatzprobleme ausdehnen, und das Postulat Berthoud zielt ausserdem auf die Verhinderung von Preisschleuderei und Preisübersetzung sowie die Festlegung von Zahlungsbedingungen und die Unterbindung von Konkurrenzmissbräuchen hin. Die übrigen Postulate, von denen allerdings zum Teil die Begründung noch aussteht, beschränken sich im wesentüchen auf die sozialen Probleme im engern Sinn und insbesondere auf die Gestaltung des Arbeitsverhältnisses.

Das Postulat Dg fordert ganz allgemein die Schaffung gesetzlicher Grundlagen für dis Zusammenarbeit der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften, während die Postulate Anderegg, Speiser und Bührer vor allem den autonomen Charakter der Zusammenarbeit betonen. Die Postulate Berthoud und SchmidZürich haben im besondern die Allgemeinverbindlicherklärung entsprechender Vereinbarungen und Beschlüsse im Auge.

Schon bei der Beantwortung des Postulates Robert und bei andern Gelegenheiten haben wir erklärt, dass wir den Willen der wirtschaftlichen Kreise zur Gemeinschaftsarbeit begrüssen und bereit sind, solche Bestrebungen zu unterstützen und zu fördern, soweit sie uns als praktisch durchführbar erscheinen und soweit wir hiezu über die notwendigen Rechtsgrundlagen verfügen. Vor allem begrüssen wir jene Tendenzen, die den Staat von einer zu weitgehenden Einmischung in das Arbeitsverhältnis entlasten wollen und die Lösung der hiefür geeigneten Fragen eher im Zusammenwirken der beteiligten Organisationen sehen, wobei dann der Staat sich darauf beschränken könnte, den getroffenen Vereinbarungen oder den Beschlüssen paritätischer Organe allgemeine Wirksamkeit zu verleihen. Unsererseits möchten wir dieser Art des Vorgehens gegenüber der unmittelbaren Regelung durch staatliche Vorschriften den Vorzug geben. Gerade auf diesem Gebiet ist der Wille der Beteiligten zu loyaler Zusammenarbeit entscheidend, weshalb eine organisch «von unten» gewachsene
Lösung befriedigendere und nachhaltigere Erfolge zeitigen wird als eine «von oben» eingeführte gesetzliche Regelung.

Im Zusammenhang mit der Revision der Wirtschaftsartikel kann es sich selbstverständlich vorerst nur darum handeln, die verfassungsrechtlichen Grundlagen zu schaffen, die für eine gedeihliche Weiterentwicklung und praktische Verwirklichung des Gedankens der Betriebs- und B e r u f s gemeinsohaft als notwendig erscheinen. Die Regelung der Einzelfragen wird Gegenstand der Ausführungsgesetzgebung bilden und braucht deshalb nicht näher behandelt zu werden.

Wir haben soeben ausgeführt, welchen grossen Wert wir der freien Verständigung der Beteiligten für die Regelung sozialer Fragen beimessen. Da Bundesblatt. 97. Jahrg. Bd. I.

66

922 den Verbänden nur die im Privatrecht vorgesehenen Bechtainstitute zur Verfügung stehen, bleiben die rechtlichen Wirkungen ihrer Vereinbarungen jedoch auf die Verbandsmitglieder beschränkt, so dass ihren oft unter beträchtlichen Opfern zustande gekommenen Vorkehren kaum je eine volle Durchschlagskraft beschieden sein kann. Um solche Vereinbarungen in einem ganzen Berufszweig lückenlos zur Geltung zu bringen, bedarf es deshalb ihrer Allgemeinverbindlicherklärung durch staatlichen Machtspruch. Diese Form der Eechtssetzung bedeutet auch für das schweizerische Eechtsleben keine Neuerung. Wir verweisen in erster Linie auf den dringlichen Bundesbeschluss vom 1. Oktober 1941 über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen x) und den am I.Januar 1944 nach unbenutztem Ablauf der Beferendumsfrist an dessen Stelle getretenen gleichnamigen Bundesbeschluss vom 23. Juni 1943 2), der noch bis Ende lO^gilt und dessen befriedigende Besultate einen weitern Ausbau dieser Institution als wünschenswert erscheinen lassen3). Ausserhalb dieses Grunderlasses ist die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen und ähnlichen Vereinbarungen auch in einzelnen Speziàlgeaetzen vorgesehen, so z. B. für Gesamtarbeitsverträge in der Autotransportordnung4) und im Heimarbeitsgesetz6) und für die sogenannte Trinkgeldordnung in den Erlassen über die Hilfsmassnahmen für das schweizerische Hotelgewerbe8).

Im Gegensatz zu Art. 31ter der Vorlage vom 21. September 1989 sehen wir die Allgemeinverbindlicherklärung im neuen Entwurf nur für Sachgebiete des Arbeitsverhältnisses vor, wobei es aber keinen Unterschied macht, ob die Eegelung in einem Gesamtarbeitsvertrag oder in einer andern gemeinsamen Vorkehr von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden zur Förderung dea Arbeitsfriedens enthalten ist (Art. 34ter, Abä. l, lit. b, in Verbindung mit Abs. 2). Mit dieser Umschreibung soll auch die Allgemeinverbindlicherklärung der von paritätischen Organen ausgehenden Beschlüsse über das Arbeitsverhältnis ermöglicht werden.

Wir betonen, dass wir damit nicht etwa auf die Allgemeinverbindlicherklärung von Verbandsbeschlüssen zurückgreifen, denn es fallen immer nur Beschlüsse paritätischer, d. h. von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam eingesetzter Organe in Betracht, nicht aber einseitige Entschliessungen der einen
oder der andern Interessentengruppe. Der weitere Unterschied gegenüber dem bisherigen Art. 31ter, in welchem wir der Opposition gegen die frühere Eegelung ebenfalls Eechnung tragen wollen, liegt wie gesagt darin, dass die !)

A. §. 57, 1106.

2 ) A. S. 59, 855.

" 3) Vgl. die Veröffentlichungen des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit über den Stand der Anwendung dieses Bundesbeschlusses in «Die Volkswirtschaft», Band 1943, Seiten 78, 248 und 380, Band 1944, Seite 249.

4 ) A. S. 56, 1299.

B ) A. S. 57, 1461.

6 ) A. S. 51, 234, und 56, 2041.

923 Allgemeinverbindh'cherklärung nur für Fragen des Arbeitsverhältnisses zulässig sein soll. Im übrigen sieht der Entwurf in Abs. 2 als Voraussetzung für die Allgemeinverbindlicherklärung die gleichen Sicherungen vor, die schon in der früheren parlamentarischen Beratung festgelegt worden sind, indem die betreffende Vereinbarung oder Entschliessung von unabhängigen Sachverständigen zu begutachten ist, begründeten Minderheitsinteressen und regionalen Verschiedenheiten angemessen Rechnung tragen muss und weder die Rechtsgleichheit noch die Verbandsfreiheit beeinträchtigen darf.

Abgesehen von der Allgemeinverbindhcherklärung von Gesamtarbeitsverträgen und anderer gemeinsamen Vorkehren zur Förderung des Arbeitsfriedens erachten wir es als notwendig, dem Bund auch die Kompetenz einzuräumen, auf dem direkten Weg der Gesetzgebung Vorschriften über das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern aufzustellen. Diese Befugnis, die ebenfalls zum Ausbau des Gedankens der Betriebs- und Berufsgemeinschaft dienen soll, möchten wir dabei aber nicht auf die Fragen des Arbeitsverhältnisses beschränken, sondern es sollen auf diesem Weg auch andere soziale und wirtschaftliche Probleme geregelt werden können.

ad Ut. e: Lohn- und VerdÄenstersatz für

Wehrmänner,

Das Problem der wirtschaftlichen Sicherung des Wehrmannes während des Militärdienstes wurde schon vor dem zweiten Weltkrieg studiert. Allseitig bestand die Auffassung, dass Art. 885 des Obligationenrechts, der übrigens das Bestehen eines Dienstvertrages voraussetzt und somit nur von den Unselbständigerwerbenden angerufen werden kann, selbst für Friedenszeiten ungenügend sei und bei einer allgemeinen Mobilmachung völlig versagen müsste. Ferner gelangte man aber auch zu der Ansicht, dass die Lohnzahlung während des Militärdienstes nicht allein dem Arbeitgeber Überbunden werden könnte und dass eine ·wirksame Lösung nur durch Ausgleichskassen und unter finanzieller Mitwirkung der öffentlichen Hand möglich sei. Auf dieser Grundlage liess das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement im Frühjahr 1989 einen Vorentwurf zu einem Bundesgesetz über den wirtschaftlichen Schutz der schweizerischen Wehrmänner ausarbeiten.

Es braucht hier nicht näher ausgeführt zu werden, wie eine solche Regelung für die Zeit des Aktivdienstes, gestützt auf die ausserordentlichen Vollmachten, in der Lohn- und Verdienstersatzordnung verwirklicht wurde und wie segensreich sich dieses grosse Werk der Solidarität während der vergangenen Jahre ausgewirkt hat. Es ist deshalb verständlich, dass Bestrebungen im Gange sind, diese Institution auch für die Friedenszeit beizubehalten. Wir erwähnen in diesem Zusammenhang das Postulat Boner, das wir am 20. September 1944 zur Prüfung entgegengenommen haben. Ohne uns hier näher über Inhalt und Form der zukünftigen Regelung auszusprechen, sind wir der Auffassung, dass es sich auch hier um eine wichtige soziale Aufgabe handelt und dass dem Bund deshalb im Zusammenhang mit den übrigen Bestimmungen über die Sozialpolitik die Befugnis eingeräumt werden sollte, Vorschriften über

924 einen angemessenen Ersatz des Lohn- und Verdienstausfalles infolge Militärdienstes zu erlassen, wie dies in Tinserm neuen Entwurf vorgesehen ist.

ad lit. d und e: Arbeitsvermittlung, Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosenfürsorge.

Trotzdem der Bund in Verbindung mit den Kantonen und der privaten Wirtschaft umfassende Arbeitsbeschaffungsmassnahmen vorbereitet hat, und im neuen Art. 31
Die organisatorischen Vorschriften über die Arbeitslosenversicherung sind in Abs. 3 enthalten und decken sich mit der schon bisher ins Auge gefassten Regelung.

ad Ut. f: Berufliche Ausbildung.

Während der Bundesbeschluss vom 21. September 1939 die Zuständigkeit des Bundes zur Gesetzgebung über die berufliche Ausbildung auf Handel, Industrie und Gewerbe beschränkt, lässt der neue Entwurf diese Beschränkung auf bestimmte Wirtschaftszweige fallen, Angesichts der ausschlaggebenden Bedeutung, die der Berufsausbildung für das wirtschaftliche Portkommen jedes Einzelnen und für die Leistungsfähigkeit der gesamten Wirtschaft zukommt, sind wir der Auffassung, dass der Bund ihr auch ausserhalb der genannten Wirtschaftszweige seine fördernde Unterstützung zukommen lassen soll. Wir denken dabei vor allem an die Landwirtschaft, an den Hausdienst und an die Pflegeberufe, wobei selbstverständlich die besondern Verhältnisse auf diesen Gebieten beim Erlass der entsprechenden Vorschriften angemessen berücksichtigt werden sollen.

4. Arbeitsbeschaffung.

Die Massnahmen des Bundes auf dem Gebiete der Arbeitsbeschaffung sollen ihre verfassungsmässige Grundlage in dem neuen Artikel 3l
925

geeignete Vorkehren den Ausbruch einer drohenden Krise nach Möglichkeit zu verhindern sucht. Wir haben deshalb einen Gesamtplan zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit aufgestellt, der Massnahmen zur Förderung des Exportes und zur Erhaltung der Arbeit in der privaten Wirtschaft umfasst und überdies durch einen entsprechenden Einsatz der Öffentlichen Arbeiten und Aufträge die Schwankungen der privaten Wirtschaft bestmöglichst auszugleichen trachtet. Der neu vorgeschlagene Arbeitsbeschaffungsartikel 8Wulnciules «Der Bund trifft in Verbindung mit den Kantonen und der privaten Wirtschaft Massnahmen zur Verhinderung drohender und zur Bekämpfung eingetretener Arbeitslosigkeit. Er erlässt Vorschriften über die Arbeitsbeschaffung.»

berücksichtigt diese Überlegungen dadurch, dass er nicht bloss von Massnahmen zur Bekämpfung einer eingetretenen Störung der Wirtschaft spricht, sondern auch von solchen zur Verhinderung drohender Arbeitslosigkeit.

Der vorsorgliche Charakter der Arbeitsbeschaifungsmassnahmen, wie er bereits in unserem Zwischenbericht vom 20. Mai 1944 über die vorbereitenden Massnahmen der Arbeitsbeschaffung1) zum Ausdruck kam, wird somit im Gegensatz zur Fassung von 1939 bewusst hervorgehoben.

Entsprechend der staatsrechtlichen Struktur unseres Bundesstaates werden die Arbeitsheschaffungsmassnahmen vielfach nicht vom Bund allein, sondern müssten in Verbindung mit den Kantonen durchgeführt werden.

Auch dieser Umstand kommt in der neuen Passung zum Ausdruck. Die Arbeitsbeschaffung wird aber nur dann zum Ziel führen und Arbeit im Beruf und am Wohnort gewährleisten, wenn es geinigt, auch die private Wirtschaft zur Mitwirkung heranzuziehen. Was in Zukunft auf diesem Gebiet angestrebt werden muss, ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft. Es erscheint deshalb gerechtfertigt, auf die Mitarbeit der privaten Wirtschaft ausdrücklich hinzuweisen, wie dies übrigens auch im Bundesratsbesohluss vom 29. Juli 1942 über die Eegelung der Arbeitsbeschaffung während der Kriegskrisenzeita) geschieht.

Gegenüber der Vorlage von 1939, die sich mit einer blossen Ermächtigung begnügte, hat im neuen Entwurf die Kompetenz des Bundes für den Erlass von Vorschriften über die Arbeitsbeschaffung eine imperativere Fassung erhalten, was zweifellos der heutigen Auffassung über die Aufgabe des Bundes auf diesem Gebiete besser entspricht.

Der staatspolitischen Bedeutung der Arbeitsbeschaffung Bechnung tragend, hielten wir es für angezeigt, diese Materie in einem besonderen Verfassungsartikel zu ordnen, um ihr so erhöhtes Gewicht zu verleihen.

Der vorgeschlagene Artikel statuiert für den Bund neben der eindeutigen Pflicht zur Verhinderung und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit die hiefür notwendige Kompetenz und Bewegungsfreiheit. Unter «Massnahmen zur Verhinderung drohender Arbeitslosigkeit» kann praktisch alles verstanden werden, was geeignet erscheint, einer allfälligen Krise entgegenzuwirken, soweit *) Bundesblatt 1944, Seite 44S.

») A. S. 58, 717.

926 derartige Vorkehren nicht "mit anderen verfassungsmässigen Bestimmungen im Widerspruch stehen. Auch finanz- und steuerpolitische Massnahmen sowie solche, die in das Gebiet einer aktiven Konjunkturpolitik fallen, können allenfalls unter diesen Begriff subsuroiert werden, wobei noch nichts über die Wünschbarkeit oder Notwendigkeit derartiger Eingriffe gesagt sein soll. Dem Eecht auf Arbeit wird die Pflicht des Staates zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gegenübergestellt, ohne dass damit an den überlieferten Freiheitsrechten des Individuums und dem Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit gerüttelt wird.

5. Rechtsgrundlage für den obligatorischen Fähigkeitsausweis.

Ein Hauptzweck, der mit der Revision der Wirtschaftsartikel verfolgt wird, liegt in der Umschreibung der Voraussetzungen, unter denen der Bund bei der Ausübung seiner Gesetzgebungskompetenzen vom Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit abweichen kann. In diesem Zusammenhang stellt der Schweizerische Gewerbeverband insbesondere das Begehren, dass eine absolut einwandfreie Bechtsgrundlage für die Einführung des obligatorischen Eähigkeitsausweises für die Eröffnung von Betrieben in existenzbedrohten Berufszweigen geschaffen werde.

In der Botschaft vom 10. September 1937 haben wir hiezu ausgeführt, dass Art. S2,; Abs. 2, ht. b, des damaligen Entwurfes diesem Begehren Bechnung tragen würde1). Diese Auslegung wurde in der parlamentarischen Beratung nicht angefochten und darf somit wohl als Ausdruck der damals herrschenden Auffassung betrachtet werden. Die nationalrätliche Kommission hatte allerdings beantragt, unter den für die Allgemeinverbindlicherklärung in Betracht fallenden Sachgebieten auch den Befähigungsnachweis zu erwähnen 2). Diesem Umstand darf indessen nicht die Bedeutung zugemessen werden, dass die Einführung des Fähigkeitsausweises auf dem Wege der Ausführungsgesetzgebung zu Art. 31Ws dadurch hätte ausgeschlossen werden sollen, zumal die Enumeration in Art, 81ter in der Folge als Ganzes gestrichen wurde. Nachdem die eingangs zitierte Bestimmung ohne wesentliche Änderungen als Art. 81biB, Abs. 2, lit. a, in den Bundesbeschluss vom 21. September 1939 aufgenommen wurde, könnte sie deshalb unseres Erachtens ohne weiteres als Eechtsgrundlage für die Einführung des Eähigkeitsausweises in Anspruch genommen werden, sofern «das Gesamtinteresse es rechtfertigt» und soweit die Massnahme «zur Erhaltung wichtiger, in ihrer Existenz gefährdeter Wirtschaftszweige oder Berufsgruppen» dient.

In einem vom eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement eingeholten Gutachten ist demgegenüber die Auffassung vertreten worden, dass Art. 3lbls, Abs. 2, lit. a, nur Massnahmen zugunsten ganzer Berufsgruppen, nicht aber für einzelne Berufe, erlaube. Nach dieser Auffassung käme der obligatorische Fähigkeitsausweis also beispielsweise nur für das ganze Baugewerbe, nicht !)

Bundesblatt 1937, Bd. II, Seite 881; Separatausgabe Seite 49.

s ) Stenographisches Bulletin, Nationalrat 1938, Seite 877.

927 aber für das Malergewerbe oder das Dachdeckergewerbe als einzelne Zweige dieser Beruf sgruppò in Betracht. Es hegt auf der Hand, dasa seiner Anwendung damit zu enge Grenzen gesetzt wären, denn die Voraussetzung der Existenzgefährdung wäre wohl selten für eine ganze Berufsgruppe erfüllt. Überhaupt ist der Fähigkeitsausweis in erster Linie für einzelne Berufe gedacht, und auch der Bundesratsbeschluss vom 16. Februar 1945 über den Fähigkeitsausweis für die Eröffnung von Betrieben im Gewerbe *) geht von dieser Auffassung aus.

Wir haben deshalb im neuen Entwurf die Wendung «Wirtschaftszweige und Berufsgruppen» durch «Wirtschaftszweige oder Berufe» ersetzt.

Abgesehen von dieser mehr terminologischen Beurteilung wendet das erwähnte Gutachten gegen unsere Auffassung über die Bedeutung von Art. 31bls, Abs. 2, lit. a, mit Bezug auf den Fähigkeitsausweis auch ein, dass einerseits die hier vorausgesetzte Existenzgefährdung in der Eegel überhaupt nicht oder nur indirekt vom Grad der beruflichen Fähigkeiten der einzelnen Gewerbetreibenden herrühre, sondern meist auf Kriseneinflüsse, Berufsübersetzung oder ähnliche Ursachen zurückgehe und dass ausserdem der Fähigkeitsausweis eher ein Mittel zur Hebung des Berufsstandes und der beruflichen Tüchtigkeit darstelle, zur Bekämpfung der einem Erwerbszweig drohenden Gefahren aber nicht geeignet sei. Hiezu ist zu sagen, dass die Einführung des Fähigkeitsausweises als Voraussetzung zur Eröffnung eines Betriebes einerseits unmittelbar eine gewisse Abhilfe gegenüber einem krisenhaften Zustand bringen kann, weil sie der Entstehung neuer Betriebe entgegenwirkt, dass diese Massnahme andererseits aber auch eine Sanierung auf lange Frist zu bewirken vermag, indem sie untaugliche oder ungenügend ausgebildete Personen von der selbständigen Berufsausübung fernhält. Die Massnahme geht in ihren Wirkungen über die Förderung der beruflichen Ertüchtigung und Leistungsfähigkeit hinaus, denn sie dient gleichzeitig zur Erhaltung eines in seiner Existenz -- oder zutreffender: in seinen Existenzgrundlagen -- gefährdeten Berufes.

Unseres Erachtens würde Art. SlUs, Abs. 2, lit. a, nach der Ersetzung des Ausdruckes «Berufsgruppe» durch «Berufe» ohne weiteres eine genügende Rechtsgrundlage für die Einführung des obligatorischen Fähigkeitsausweises darstellen. Um in dieser Eichtung jedoch
keinen Zweifel offenzulassen, sehen wir in unserem Entwurf ausser dieser Abänderung auch einen Zusatz über die Förderung der beruflichen Leistungsfähigkeit vor.

Im Sinne dieser Überlegungen erhält Art. Sl1318, Abs. 2, lit. a, im neuen Entwurf folgende Fassung, wobei für die Bestimmungen zum Schutze wirtschaftlich bedrohter Landesteile eine besondere lit. c vorgesehen wird (hiezu unten Ziffer 6) : «Wenn das Gesamtinteresse es rechtfertigt, ist der Bund befugt, nötigenfalls in Abweichung von der Handels- und Gewerbefreiheit, Vorschriften zu erlassen: o. zur Erhaltung wichtiger, in ihren Existenzgrundlagen gefährdeter Wirtschaftszweige oder Berufe und zur Förderung der beruflichen Leistungsfähigkeit.

*) A. S. 61, 93.

928 Dieser Wortlaut deckt eich im wesentlichen mit einem nachträglich vom Vorort des Schweizerischen Handels- und Industrievereins, vom Zentralverband der schweizerischen Arbeitgeber-Organisationen, vom Schweizerischen Bauernverband und vom Schweizerischen Gewerbeverband gemeinsam eingereichten Vorschlag, der ebenfalls den Zweck verfolgt, in lit. a eine sichere Bechtsgrundlage für den obligatorischen Fähigkeitsausweis zu schaffen.

Es sei hier bemerkt, dass der Schweizerische Gewerbeverband in einer früheren Eingabe beantragt hatte, dem Art. 31bls folgenden neuen Absatz über den Fähigkeitsausweis beizufügen: «Zum Schutze wichtiger Zweige des Handwerks, des Gastgewerbes und des Detailhandels ist der Bund befugt, im Rahmen von Vorschriften gemäss Abs. 2, lit. a, die Eröffnung oder Übernahme selbständiger Betriebe vom Nachweis der persönlichen Befähigung abhängig zu machen.»

Der Antrag ging von der Voraussetzung aus, dass die Zulässigkeit des Fähigkeitsausweises als Massnahme im Sinne von Art. 31Ms, Abs. 2, lit. a, nicht allgemein anerkannt würde. Wenn die Eäte unsern vorstehenden Ausführungen zustimmen und im Hinblick auf die erwähnte gemeinsame Eingabe der Arbeitgeber-Organisationen, darf er wohl als überholt betrachtet werden.

Unseres Erachtens würde die besondere Erwähnung einer einzelnen Massnahme die Wirkung von Art. Sl1518, Abs. 2, abschwächen und ausserdem Anlass zu weitern Detailvorschriften geben. Andererseits hätte sie jedoch den Vorteil, dass sie das Anwendungsgebiet des Fähigkeitsausweises gemäss der herrschenden Auffassung auf das Gewerbe im engern Sinne beschränken würde. Da dies in unserer Formulierung nicht zum Ausdruck kommt, möchten wir hier ausdrücklich feststellen, dass der Fähigkeitsausweis seiner Natur nach auf die Industrie keine Anwendung finden kann und eine diesbezügliche Klarstellung im Verfassungstext deshalb unseres Erachtens entbehrlich ist.

6. Selbsthilîemassnahmen.

Der Bundesbeschluss vom 21. September 1989 stellt den Grundsatz auf, dass Schutzbestimmungen gemäss Art. 31blB, Abs. 2, lit. a, nur zu erlassen sind, wenn die zu schützenden Wirtschaftszweige und Berufsgruppen diejenigen Selbsthilfemassnahmen getroffen haben, die ihnen billigerweise zugemutet werden können. Es liegt auf der Hand, dass wir diesen gesunden Grundsatz unter allen Umständen beibehalten wollen, doch erachten wir in zwei Detailpunkten eine Änderung als angezeigt.

Nach dem Zitat ·-- ht. a -- wäre die genannte Voraussetzung auch beim Erlass von Vorschriften zum Schutze wirtschaftlich bedrohter Landesteile zu beachten, wogegen der Wortlaut solche Selbsthilfemassnahmen nur von den zu «schützenden Wirtschaftszweigen und Berufsgruppen» verlangt. Diese Differenz wird im Sinne des Wortlautes dadurch bereinigt, daes die Vorschriften zum Schutze wirtschaftlich bedrohter Landesteile in eine besondere lit. c abgetrennt werden, die dann in Abs. 8 nicht zitiert wird. Angesichts des tatkräftigen Willens zur Selbsthilfe, den alle Landesteile je und je an den Tag

929

gelegt haben, scheint una ein ausdrücklicher Hinweis in Art. 8l1"6, Aha. 8, in diesem Zusammenhang entbehrlich.

Umgekehrt erachten wir es als eine wohl unbeabsichtigte Lücke, dass neben Abs. 2, lit. a, nicht auch die lit. b zitiert wird. Es liegt nach unserer Auffassung kein sachlicher Grund dafür vor, die billigerweise zumutbaren Selbsthilferaassnahmen nur von den in ihrer Existenz bedrohten Wirtschaftszweigen und Berufsgruppen zu fordern, bei den Massnahmen zugunsten der L a n d w i r t s c h a f t von dieser Voraussetzung jedoch abzusehen. Es bedeutet eine Selbstverständlichkeit und für die Landwirtschaft eine auch von ihr anerkannte Ehrenpflicht, aus eigener Kraft zur Erhaltung und Mehrung ihrer Leistungsfähigkeit, zur Erhaltung eines gesunden Bauernstandes und zur Festigung des bäuerlichen Grundbesitzes beizutragen und die Hilfe des Staates erst dann in Anspruch zu nehmen, wenn sie von den zahlreichen Möglichkeiten der Selbsthilfe in dem ihr zumutbaren Ausmass Gebrauch gemacht hat. Um die Landwirtschaft in dieser Beziehung mit den übrigen Wirtschaftszweigen und Berufen gleichzustellen, wird deshalb in Abs. 3 unseres Entwurfes auch auf Abs. 2, lit. fc, verwiesen.

7. Formelle und redaktionelle Änderungen.

Im Ingress des Bundesbeschlusses wird das Zitat von Art. 84 über die allgemeinen Kompetenzen der Bundesversammlung als überflüssig gestrichen und das Zitat von Art. 121 auf dessen Abs. l beschränkt, weil diese Bestimmung im übrigen nur von der Partialrevision auf dem Wege der Initiative handelt.

Die verbleibenden Zitate entsprechen der bei Verfassungsänderungen neuerdings befolgten Praxis.

In Art. 31, Abs. 2, wird beim Vorbehalt anderslautender Bestimmungen das Wörtchen «wo» entsprechend dem geläufigeren Sprachgebrauch durch den Ausdruck «soweit» (die Bundesverfassung nichts anderes vorsieht) ersetzt.

Nachdem in Art. 31bls, Abs. 2, für die Massnahmen zum Schutze bedrohter Landesteile eine besondere lit. c geschaffen wird (hiezu oben Ziffer 6), werden die bisherigen ht. c und d neu zu ht. d und e. In lit. e tritt an Stelle des Ausdruckes «Kriegsvorsorge» die etwas weiter gefasste Wendung «vorsorgliche Massnahmen für Kriegszeiten».

In Art. 31Ms, Abs. 3, heisst.es neu «Bestimmungen» statt «Schutzbestimmungen», und ausserdem wird das Zitat erweitert (hiezu oben Ziffer 6).

Da der bisherige Art. 31ter gestrichen wird, rücken die Bestimmungen über die Befugnisse der Kantone als Art. 31ter und der sogenannte Bankenartikel als Art, Blister nach. In Art. 31ter werden die eng zusammengehörenden beiden ersten Absätze über das Wirtschafts- und Lichtspieltheatergewerbe als Abs. l zusammengefasst und damit deutlicher vom Schlussabsatz, der die Möglichkeit zu weitern Kompetenzdelegationen vorsieht, abgegrenzt. Im übrigen sind beide Bestimmungen unverändert.

930

Der neue Art. 31quinquies über die Arbeitsbeschaffung tritt an die Stelle von Ar34ter*», Abs. 8. IQ Ar34ter*«* wird der bisherige Abs. 2 zum Abs. 8, während der neue Abs. 2 weitgehend dem frühern Ar34ter er , A b 3 , S, entspricht!

Die neuen Zitate in Art. 82, Abs. 3, und Art. 34ter, Abs. 4, ergeben sich aus den bereits erwähnten Verschiebungen. Sie entsprechen materiell der bisherigen Regelung.

Gestützt auf die vorstehenden Ausführungen beantragen wir Ihnen die Annahme des beiliegenden Entwurfes zu einem Bundesbeschluss über eine Bevision der Wirtschaftsartikel.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 3.August 1945.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Ed. v. Steiger.

Der Bundeskanzler:

Leimgruber.

Beilagen : 1. Entwurf zu einem Bundesbeschluss über eine Revision der Wirtschaftsartikel.

2. Bundesbeschluss vom 21. September 1939 über eine Revision der Wirtschafteartikel.

931 Beilage 1.

(Entwurf.)

Bundesbeschluss über

eine Revision der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, in Anwendung der Art. 85, Ziff. 14, 118 und 121, Abs. l, der Bundesverfassung, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 10. September 1987 und einer Ergänzungsbotschaft vom 8. August 1945, beschliesst:

Art. 1.

ter

1. Die Art. 81, 32 und 34 der Bundesverfassung werden aufgehoben und durch folgende Bestimmungen ersetzt:

Art. 31.

1

Die Handels- und Gewerbefreiheit ist im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft gewährleistet.

2

Kantonale Bestimmungen über die Ausübung von Handel und Gewerben und deren Besteuerung bleiben vorbehalten; sie dürfen jedoch, soweit die Bundesverfassung nichts anderes vorsieht, den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit nicht beeinträchtigen.

3

Vorbehalten bleiben auch die kantonalen Begalrechte.

Art. 31bl».

1 Der Bund kann im Kahmen der dauernden Interessen der schweizerischen Gesamtwirtschaft Vorschriften erlassen über die Ausübung von Handel und Gewerben und Massnahmen treffen zur Förderung einzelner Wirtschaftszweige oder Berufe. Er ist dabei an den Grundsatz der Handelsund Gewerbefreiheit gebunden

932 2 Wenn das Gesamtinteresse es rechtfertigt, ist der Bund befugt, nötigenfalls in Abweichung von der Handels- und Gewerbefreiheit, Vorschriften zu erlassen: a. zur Erhaltung wichtiger, in iliren Existenzgrundlagen gefährdeter Wirtschaftszweige oder Berufe und zur Förderung der beruflichen Leistungsfähigkeit ; fc. zur Erhaltung eines gesunden Bauernstandes und einer leistungsfähigen Landwirtschaft, sowie zur Festigung des bäuerlichen Grundbesitzes ; c. zum Schutze wirtschaftlich bedrohter Landesteile; d. gegen volkswirtschaftlich oder sozial schädliche Auswirkungen von Kartellen und ähnlichen Organisationen; e. über vorsorgliche Massnahmen für Kriegszeiten, 3

Bestimmungen gemäss Abs. 2, lit. a und b, sind nur zu erlassen, wenn die zu schützenden Wirtschaftszweige oder Berufe diejenigen Selbsthilfemassnahmen getroffen haben, die ihnen billigerweise zugemutet werden können.

Art. Slter.

1

Die Kantone sind befugt, auf dem Wege der Gesetzgebung die Führung von Betrieben des Wirtschafts- und des Lichtspieltheatergewerbes von der persönlichen Befähigung und die Zahl der Betriebe vom Bedürfnis abhängig zu machen, sofern diese Gewerbe durch übermässige Konkurrenz in ihrer Existenz bedroht sind. In den Vorschriften über das Wirtschaftsgewerbe ist der Bedeutung der verschiedenen Arten von Wirtschaften für das Gemeinwohl angemessen Eechnung zu tragen.

2 Ausserdem wird die Bundesgesetzgebung den Kantonen Aufgaben übertragen, die keiner allgemeinen Begelung durch den Bund bedürfen und für welche die Kantone nicht kraft eigenen Hechts zuständig sind.

Art. 81
Der Bund ist befugt, über das Bankwesen Bestimmungen aufzustellen.

2 Diese Bestimmungen haben der besondern Aufgabe und Stellung der Kantonalbanken Eechnung zu tragen.

1

Art. 81iuin4ules.

Der Bund trifft in Verbindung mit den Kantonen und der privaten Wirtschaft Massnahmen zur Verhinderung drohender und zur Bekämpfung eingetretener Arbeitslosigkeit. Er erlässt Vorschriften über die Arbeitsbeschaffung.

933

Art. 82.

Die in Art. 31bis 31quater und 31quinquies genannten Bestimmungen dürfen nur durch Bundesgesetze oder Bundesbeschlüsse eingeführt werden, für welche die Volksabstimmung verlangt werden kann. Für Fälle dringlicher Art in Zeiten wirtschaftlicher Störungen bleibt Art. 89, Abs. 3, vorbehalten.

.

2 Der Vollzug der Bundesvorschriften wird in der Regel den Kantonen übertragen. Diese sind vor Erlass der Ausführungsgesetze anzuhören.

3 Die Organisationen, welche die einzelnen Wirtschaftszweige in Landesverbände zusammenfassen, sind vor Erlass der Ausführungsgesetze anzuhören. Die zuständigen Organisationen der Wirtschaft können beim Vollzug der AusführungsVorschriften zur Mitwirkung herangezogen werden.

1

Art. 84ter 1

Der Bund ist befugt, Vorschriften aufzustellen: a. über den Schutz der Arbeitnehmer; b. über das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern mit Einschluss der Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen und von anderen gemeinsamen Vorkehren von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden zur Förderung des Arbeitsfriedens ; c. über den angemessenen Ersatz des Lohn- ' und Verdienstausfalles infolge Militärdienstes; d. über die Arbeitsvermittlung;

e. über die Arbeitslosenversicherung und die Arbeitslosenfürsorge; /. über die berufliche Ausbildung.

2 Die Allgemeinverbindlicherklärung gemäss lit. b ist nur für Sachgebiete, welche das Arbeitsverhältnis betreffen und nur dann zulässig, wenn sie von unabhängigen Sachverständigen begutachtet ist, wenn die Regelung begründeten Minderheitsinteressen und regionalen Verschiedenheiten angemessen Rechnung trägt und die Rechtsgleichheit sowie die Verbandsfreiheit nicht beeinträchtigt: 3 Die Durchführung der Arbeitslosenversicherung ist Sache öffentlicher sowie privater, sowohl paritätischer als einseitiger, Kassen, Die Befugnis zur Errichtung öffentlicher Arbeitslosenversicherungskassen sowie zur Einführung eines allgemeinen Obligatoriums der Arbeitslosenversicherung bleibt den Kantonen vorbehalten.

4 Die Vorschriften von Art. 31ter, Abs. 2, und Art. 32 finden entsprechende Anwendung.

934 2. In Art. 32quater, Abs. 2, der Bundesverfassung wird der Ausdruck «.. .innerhalb der Grenzen von Art. 31, lit, e,..» ersetzt durch « . . .innerhalb der Grenzen von Art. 31, Abs. 2...».

3. Art. 6 der Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung wird aufgehoben.

Art. 2. ' 1

Dieser Beschluss wird der Abstimmung des Volkes und der Stände unterbreitet.

2 6904

Der Bundesrat ist mit dem Vollzug beauftragt.

935 Beilage 2.

Bundesbeschluss über

eine Revision der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung.

(Vom 21. September 1939.)

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, in Anwendung der Art. 84, 85, Ziff. 14, 118 und 121 der Bundesverfassung, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 10. September 1937, beschliesst:

Art. 1.

1. Die Artikel 31, 82 und 34ter der Bundesverfassung werden aufgehoben und durch folgende Bestimmungen ersetzt: Art. 31.

Die Handels- und Gewerbefreiheit ist im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft gewährleistet.

2 Kantonale Bestimmungen über die Ausübung von Handel und Gewerben und deren Besteuerung bleiben vorbehalten; sie dürfen jedoch, wo die Bundesverfassung nichts anderes vorsieht, den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit nicht beeinträchtigen.

8 Vorbehalten bleiben auch die kantonalen Regalrechte.

1

Art. 31bis.

Der Bund kann im Rahmen der dauernden Interessen der schweizerischen Gesamtwirtschaft Vorschriften erlassen über die Ausübung von Handel und Gewerben und Massnahmen treffen zur Förderung einzelner Wirtschaftszweige und Berufsgruppen. Er ist dabei an den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit gebunden.

2 Wenn das Gesamtinteresse es rechtfertigt, ist der Bund befugt, nötigenfalls in Abweichung von der Handels- und Gewerbefreiheit, Vorschriften zu erlassen: a. zum Schutze wirtschaftlich bedrohter Landesteile und zur Erhaltung wichtiger, in ihrer Existenz gefährdeter Wirtschaftszweige und Berufsgruppen; b. zur Erhaltung eines gesunden Bauernstandes und einer leistungsfähigen Landwirtschaft, sowie zur Festigung des bäuerlichen Grundbesitzes; c. gegen volkswirtschaftlich oder sozial schädliche Auswirkungen von Kartellen und ähnlichen Organisationen; d. über die Kriegsvorsorge.

8 Schutzbestimmungen gemäss Abs. 2, lit. a, sind nur zu erlassen, wenn die zu schützenden Wirtschaftszweige und Berufsgruppen diejenigen Selbsthilfemassnahmen getroffen haben, die ihnebilligerweisese zugemutet werden können.

1

936 Art. 31ter.

Der Bund ist befugt, Bestimmungen zu erlassen über die Allgemeinverbindlichkeit von Vereinbarungen und Beschlüssen der Berufsverbände und ähnlicher Wirtschaftsorganisationen.

2 Die Sachgebiete, für welche der Bund oder die Kantone solche Vereinbarungen und Beschlüsse allgemeinverbindlich erklären dürfen, sind durch Bundesgesetze au bezeichnen.

II Die Allgemeinverbindlicherklärung ist nur zulässig, wenn sie von unabhängigen Sachverständigen begutachtet ist und wenn die Vereinbarungen und Beschlüsse begründeten Minderheitsinteressen und regionalen Verschiedenheiten angemessen Rechnung tragen, dem Gesamtinteresse nicht zuwiderlaufen und die Rechtsgleichheit sowie die Verbandsfreiheit nicht beeinträchtigen. Abweichungen vom Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit sind dabei zulässig.

1

Art. 31quater 1

Die Kantone sind befugt, auf dem Wege der Gesetzgebung die Führung von Betrieben des Wirtschafts- und des Lichtspieltheatergewerbes von der persönlichen Befähigung und die Zahl der Betriebe vom Bedürfnis abhängig zu machen, sofern2 diese Gewerbe durch übermässige Konkurrenz in ihrer Existenz bedroht sind.

In den Vorschriften über das Wirtschaftsgewerbe ist der Bedeutung der verschiedenen Arten von Wirtschaften für das Gemeinwohl angemessen Rechnung zu tragen.

3 Ausserdem wird die Bundesgesetzgebung den Kantonen Aufgaben übertragen, die keiner allgemeinen Regelung durch den Bund bedürfen und für welche die Kantone nicht kraft eigenen Rechts zuständig sind.

"Art. 31quinquies 1 2

Der Bund ist befugt, über das Bankwesen Bestimmungen aufzustellen.

Diese Bestimmungen haben der besondern Aufgabe und Stellung der Kantonalbanken Rechnung zu tragen.

Art. 32.

.

Die in Art. 31bis 31ter und 31quinquies genannten Bestimmungen dürfen nur durch Bundesgesetze oder Bundesbeschlüsse eingeführt werden, für welche die Volksabstimmung verlangt werden kann. Für Fälle dringlicher Art in Zeiten gestörter Wirtschaft bleibt Art. 89, Abs. 3, vorbehalten.

3 Der Vollzug der Bundesvorschriften wird in der Regel den Kantonen übertragen.

Diese sind vor Erlass der Ausführungsgesetze anzuhören.

8 Die Organisationen, welche die einzelnen Wirtschaftszweige in Landesverbände zusammenfassen, sind vor Erlass der Ausführungsgesetze anzuhören.

Die zuständigen Organisationen der Wirtschaft können beim Vollzug der Ausführungsvorschriften zur Mitwirkung herangezogen werden.

1

Art. 34ter.

Der Bund ist befugt, zum Schutze der Arbeitnehmer, über die Arbeitsvermittlung und die Arbeitslosenversicherung, sowie über die berufliche Ausbildung in Handel, Industrie und Gewerbe Bestimmungen aufzustellen, 2 Die Durchführung der Arbeitslosenversicherung ist Sache öffentlicher sowie privater, sowohl paritätischer als einseitiger, Kassen. Die Befugnis zur Errichtung öffentlicher Arbeitslosenversicherungskassen sowie zur Einführung 1

937 eines allgemeinen Obligatoriums der Arbeitslosenversicherung bleibt den Kantonen vorbehalten.

3 Der Bund bekämpft in Zeiten gestörter Wirtschaft die Arbeitslosigkeit und mildert deren Folgen; er kann über die Arbeitsbeschaffung Vorschriften erlassen.

* Die Vorschriften von Art. 31quater Abs. 2, und Art. 32 finden entsprechende Anwendung.

2. In Art. 32quater, Abs. 2, der Bundesverfassung wird der Ausdruck « . . .innerhalb der Grenzen von Art. 31, lit. e . . . » ersetzt durch «...innerhalb der Grenzen von Art. 31, Abs. 2 . . . » .

3. Art. 6 der Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung wird aufgehoben.

Art. 2.

1Dieser Beschluss wird der Abstimmung des Volkes und der Stände unterbreitet.

2 Der Bundesrat ist mit dem Vollzug beauftragt.

Also beschlossen vom Nationalrat, Bern, den 21. September 1939.

Der Präsident: Vallotton.

Der Protokollführer: G. BoYet.

Also beschlossen vom Ständerat, Bern, den 21. September 1939.

Der Präsident : E. Löpfe-Benz.

Der Protokollführer: Leimgruber,

Bundesblatt. 97. Jahrg.

Bd. 1.

67

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Ergänzungsbotschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Revision der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung. (Vom 8. August 1945.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1945

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

17

Cahier Numero Geschäftsnummer

4788

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

16.08.1945

Date Data Seite

905-937

Page Pagina Ref. No

10 035 357

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.