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4743 Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über den Abbau der ausserordentlichen Vollmachten.

(Vom 1. Juni 1946.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, Ihnen eine Botschaft über die Beschränkung der ausserordentlichen Vollmachten zu unterbreiten.

I.

Durch Art. 8 des Bundesbeschlusses vom 80, August 1989 über Massnahmen zum Schutze des Landes und zur Aufrechthaltung der Neutralität erteilte die Bundesversammlung dem Bundesrat Vollmacht und Auftrag, die zur Behauptung der Sicherheit, Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz, zur Wahrung des Kredites und der wirtschaftlichen Interessen des Landes \md zur Sicherung des Lebensunterhaltes erforderlichen Massnahmen zu treffen.

Die tiefgreifenden und sich allmählich verschärfenden Auswirkungen des jahrelangen Krieges auf unser Land nötigten den Bundesrat, von diesen Vollmachten ausgiebigen Gebrauch zu machen ; es entstand in der Tat eine Notgesetzgebung von ausserordentlichem Umfang, die die mannigfachsten Gebiete beschlägt und sich, abgesehen von den Bundesratsbeschlüssen selbst, in zahlreichen Verfügungen von Departementen und untern Verwaltungsabteilungen verästelt.

An der Notwendigkeit besonderer Massnahmen für die Kriegszeit zweifelt niemand. Aber je länger der Krieg dauerte, je mehr die Notgesetzgebung sich ausdehnte, desto drückender wurden auch die sich summierenden Eingriffe empfunden. In der Öffentlichkeit wurden allmählich Stimmen laut, das Vollmachtenregime möge, wenn nicht gelockert, so doch nicht noch weiter verschärft werden. Der Bundesrat hat Verständnis für diese Mentalität. Seit längerer Zeit beschäftigte er sich wiederholt mit der Frage, ob an den ihm im August

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1939 übertragenen Vollmachten schlechthin festzuhalten sei oder ob die Möglichkeit einer Beschränkung bestehe. In seiner Einstellung zu dieser Frage durfte und darf er sich freilich nicht nur vom Bestreben leiten lassen, begreiflichen Wünschen möglichst entgegenzukommen; er muss, seiner Aufgabe und Verantwortung entsprechend, die wirkliche Situation ins Auge fassen, sich aber auch der Ungewissheit der künftigen Entwicklung bewusst bleiben. Ein voreiliger Verzicht auf die Möglichkeit, im Notfalle rasch zu handeln, läge nicht im Interesse des Landes.

Indessen ist das Bestreben nach einer Einschränkung auch im Parlament und in den Vollmachtenkommissionen zutage getreten; sie haben bei mancher Gelegenheit dem Bundesrat nahegelegt, von seinen Vollmachten einen möglichst zurückhaltenden Gebrauch zu machen. Diese Tendenz hat in zwei parlamentarischen Vorstössen ihren Ausdruck gefunden. Am 28. September 1944 reichte Herr Nationalrat Sappeur, unterstützt von 18 weitem Mitgliedern des Rates, eine Interpellation folgenden Inhalts ein: Ist der Bundesrat nicht auch der Auffassung, dass der Zeitpunkt gekommen sei, um den Erlass von Vollmaehtenbeschlüssen in dem Sinne einzuschränken, daas sie nur noch in Fällen von Zeitnot und nur auf militärischem und kriegswirtschaftlichem Gebiet im engern Sinn zur Anwendung gelangen, so dass der Übergang zum verfassungsmäBsigen Zustand erleichtert wird ?

Am gleichen Tage wurde von Nationalrat Schümperli und 52 Mitunterzeichnern folgendes Postulat gestellt: Der Bundesrat wird eingeladen, der Bundesversammlung einen zusammenfassenden Bericht und Antrag vorzulegen über die beschleunigte Wiederherstellung verfassungsmässiger Rechtszustände : 1. durch den Abbau der politischen Freiheitsbeschränkungen und des wirtschaftlichen Notrechts; 2. wo nötig, durch Umwandlung von Notrechtsheschlüssen in Gesetzes- und Verfassungsbestimmungen.

Die Interpellation und das Postulat sind im Nationalrat noch nicht behandelt worden.

Mit der Einstellung der Feindseligkeiten in Europa sind, wie wir hoffen, die wesentlichsten Ursachen immer neuer Schwierigkeiten und Hindernisse weggefallen. Es ist daher heute der Zeitpunkt gekommen, einen Abbau dee Vollmachtenregimes ins Auge zu fassen.

Die auf dem Bundesbeschluss vom 30. August 1989 aufgebaute Notgesetzgebung muss als solche wieder verschwinden, sei es durch die Beseitigung der getroffenen Massnahmen -- dies wird für die Mehrzahl derselben zutreffen --, sei es durch ihre Überführung in mehr oder weniger veränderter Gestalt ins ordentliche Recht, Gegen manche dieser Erlasse hat sich Kritik erhoben.

Das kann angesichts ihrer Zahl und ihrer Beschaffenheit nicht wundern; im Widerspruch zu der überkommenen Ordnung mischte sich der Staat auf zahlreichen Gebieten des täglichen Lebens und der bisher freien Betätigung ein

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und legte dem Bürger sehr fühlbare Beschränkungen auf. Es bleibt aber zu bedenken, welche Schwierigkeiten zu meistern waren, insbesondere auf wirtschaftlichem Gebiet.

Eine nähere Erörterung darüber, ob der Bundesrat sich stets in jeder Hinsicht an die Schranken der ihm erteilten Befugnisse gehalten hat, kann wohl an dieser Stelle unterbleiben, schon deshalb, weil bei der sehr allgemein gefassten Ermächtigung die Antwort oft in guten Treuen so oder anders lauten mag.

Der Bundesrat hat sich bestrebt, von seinen Vollmachten nicht über Gebuhr Gebrauch zu machen, und er hängt nicht daran, dass sie länger als nötig aufrechterhalten werden; im Gegenteil begrüsst er seinerseits die Möglichkeit eines schrittweisen Abbaues im Sinne einer allmählichen Bückkehr zum.

normalen Rechtszustand.

II.

Erwägt man den hiefür am besten einzuschlagenden Weg, so liegt es nahe, sich der Vorgänge am Ende des ersten Weltkrieges zu erinnern. Dies um so mehr, als der Bundesbeschluss vom 30. August 1939 (A. S. 55, 769), um den es sich heute handelt, dem am S.August 1914 zu Beginn des ersten Weltkrieges gefassten (A, S. SO, 347) nachgebildet wurde und mit ihm inhaltlich im wesentlichen übereinstimmt. Der Beschluss von 1914 betonte in seinen Formulierungen noch besonders seine allgemeine Tragweite; so sprach er in Art. 8 von «unbeschränkter» Vollmacht (heute einfach «Vollmacht und Auftrag») und in Art. 4 von «unbegrenztem» Kredit (heute «notwendiger» Kredit). Eine praktisch spürbare Einschränkung konnte und wollte aber, der Natur der Sache nachj der geltende Beschluss mit seiner etwas zurückhaltenderen Ausdrucksweise nicht bewirken.

Was nun den Abbau der Vollmachten betrifft, so vollzog er sich nach dem ersten Weltkrieg in zwei Stufen. Zunächst erging ain 3. April 1919, nach dem Waffenstillstand, aber vor den Friedensschlüssen, der Bundesbeschluss betreffend Beschränkung der ausserordentlichen Vollmachten des Bundesrates (A. S. 35, 255). Er hob die Art. 3 und 4 des Beschlusses vom 3. August 1914 förmlich auf, erklärte aber, den Bundesrat weiterhin als ermächtigt, ausnahmsweise JVTassnahmen zu treffen, die für die Sicherheit des Landes oder zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen unumgänglich notwendig waren. Dem Bundesrat wurde ferner aufgetragen, die gemäss Art. 3 und 4 getroffenen Massnahmen aufzuheben, sobald die
Urnstände es erlaubten. Mit der schon seit 1914 bestehenden Pflicht des Bundesrates zur periodischen Berichterstattung über die getroffenen Massnahrnen wurde neu die Befugnis der Bundesversammlung verbunden, darüber zu entscheiden, ob die ihr vorgelegten Erlasse weiter in Kraft bleiben sollten, und überhaupt Erlasse zu bezeichnen, deren Aufhebung durch den Bundesrat sie wünschte.

Die Aufhebung der ausserordentlichen Vollmachten selbst brachte dann der so betitelte Bundesbeschluss vom 19. Oktober 1921 (A. S. 37, 741). Auch

694 er konnte freilich nicht die damals noch geltenden Notverordnungen kurzerhand beseitigen. Vielmehr liess er sie einstweilen in Kraft und erklärte den Bundesrat befugt, sie abzuändern, insofern die Sicherheit des Landes oder die Wahrung der wirtschaftlichen Interessen und die Dringlichkeit es notwendig machten; .zudem hatte er sie aufzuheben, sobald die Interessen des Landes es erlaubten.

Die dem Bundesrat auch im Jahre 1919 belassene Kompetenz, auch noch neue Massnahmen zu treffen, war ihm hinfort entzogen und damit die Liquidation des Notrechts wirksamer als bis dahin eingeleitet.

Diese Methode der Rückkehr zum normalen Bechtszustand hat sich in jenen Jahren im allgemeinen bewährt. Die Abtragung des Notverordnungsrechts vollzog sich ganz allmählich und schrittweise, auch noch nach dem Bundesbeschluss von 1921. Durch zahlreiche Beschlüsse hob der Bundesrat seine Notverordnungen auf, manchmal eine grössere Zahl miteinander; manche wurden zunächst nur teilweise aufgehoben oder eingeschränkt und verschwanden stufenweise. So dauerte der Abbau im grossen und ganzen nach 1921 noch etliche Jahre. Einzelnen Notverordnungen war ein längeres Leben beschieden, namentlich wenn sie in das ordentliche Becht übergeführt werden mussten und dieser Prozess längere Zeit in Anspruch nahm.

III.

Da das Notrecht nur für die Dauer des Notstandes anzuerkennen ist, verliert es mit der Bückkehr normaler Verhältnisse seine Existenzberechtigung.

Aber so wenig wie nach dem ersten Weltkrieg kann es sich heute darum handeln, schlagartig die ganze weitverzweigte Kriegsgesetzgebung aufzuheben. Wir stehen bei weitem nicht am Ende der Schwierigkeiten und werden in mancher Hinsicht noch mit einer langen Entwicklung zu rechnen haben, bis wieder Verhältnisse eingekehrt sein werden, die wir als normal und dauernd betrachten dürfen. Und es wird durchaus nicht immer der Vorkriegszustand sein; vielmehr wird der Krieg auch bei uns tiefe Spuren hinterlassen und die künftige Gesetzgebung in mancher Hinsicht stark beeinflussen.

Aus dieser Situation ergibt sich ein dreifacher Schluss: Einmal müssen die zur Zeit in Kraft stehenden Notverordnungen einstweilen weitergelten und können im einzelnen erst dann aufgehoben werden, wenn die tatsächlichen Verhältnisse, denen sie ihre Entstehung verdanken, sich hinreichend gebessert haben werden; die Aufhebung wird bald schrittweise, bald auf einmal erfolgen können. Sodann aber muss der Bundesrat weiterhin ermächtigt bleiben, auch neue Massnahmen zu treffen, die sich jederzeit noch als unerlässlich erweisen können. Und schliesslich ist für manche Bestimmungen des Notrechts, auch wenn sie als solche infolge Wegfalls des Notstandes ihre Berechtigung einbüssen, zu prüfen, ob und in welcher Gestalt sie in dauerndes Becht überzuführen seien; das wird insoweit zutreffen, als eine Norm trotz ihrer kriegsbedingten Entstehung nicht mehr entbehrlich erscheint, weil die früheren tatsächlichen Verhältnisse nicht mehr wiederkehren oder die Anschauungen über

695 die Aufgabe des Gesetzgebers ihnen gegenüber sich inzwischen geändert haben, In der einen oder andern Weise aber muss schheaslich ein mit der Verfassung in Einklang stehender Zustand der Gesetzgebung wiederhergestellt werden.

Dass auch die Verfassung selbst von Änderungen, die in ihren Ursachen auf die .Kriegszeit zurückgehen, nicht verschont bleiben wird, sei nur nebenbei -erwähnt.

Auch die Interpellation Sappeur und das Postulat Schümperli erstreben :nur die schrittweise Rückkehr zum normalen Bechtszustand, durch Abbau des Notrechts und möglichst sparsame künftige Anwendung der Vollmachten. Das Ziel ist in beiden Fällen die Wiederherstellung des verfassungsmässigen Eechtszustandes. Die Interpellation sucht ihm näherzukommen durch die Beschränkung der Vollmachten auf das militärische und das kriegswirtschaftliche Gebiet im engern Sinne. Das Postulat ist etwas weiter gefasst; es erwähnt auch die Umwandlung von Notverordnungen in Gesetzes- oder Verfassungsbestimmungen und stellt neben den wirtschaftlichen Eingriffen die politischen Freiheitsbeschränkungen in den Vordergrund. In Hinsicht auf diese letztern darf an den Bundesratsbeschluss vom 27. Februar 1945 betreffend Massnahmen zum Schutze der verfassungsmässigen Ordnung und die Aufhebung der Parteiverbote (A. S. 61, 117) erinnert werden, der die verfassungsmässige Vereinsfreiheit wieder hergestellt hat.

Zu prüfen ist nun insbesondere, ob im Sinne der Interpellation Sappeur die Vollmachten auf das militärische und das eigentliche, kriegswirtschaftliche Gebiet zu beschränken seien. Der Bundesrat kann eine solche Einschränkung nicht empfehlen. Dass er auf dem militärischen Gebiet, trotz der Einstellung der Feindseligkeiten in Europa, volle Bewegungsfreiheit behalten muss, leuchtet ein. Ebenso verhält es sich auf dem kriegswirtschaftlichen Gebiet. Weniger gewiss scheint uns, dass stets ohne weiteres erkennbar sein wird, was «im engern Sinne» zu diesen! Gebiet gehört. Mit einer solchen Umschreibung würde über den künftigen Bereich der Vollmachten eine Unsicherheit geschaffen, die sich mit den Anforderungen der Notgesetzgebung schlecht verträgt ; auf Auslegungsschwierigkeiten und subtile Diskussionen über den Umfang der Vollmachten sollte man es nicht ankommen lassen. Die Beschränkung auf die genannten beiden Gebiete ist aber überhaupt zu eng
und bringt die Gefahr mit sich, dass entweder der Bundesrat sich eines Tages ausserstande sieht, zu handeln, trotzdem heute nicht voraussehbare Ereignisse dies jederzeit noch erfordern können, oder aber dass er die ihm gesetzten Schranken bewusst durchbrechen muss, wenn er seiner Aufgabe gerecht werden soll. Auch ausserhalb des eigentlichen wirtschaftlichen Gebietes sind in der Bechtsgesetzgebung mancherlei Eingriffe notwendig geworden, weil die auf normale Zustände abgestimmten Vorschriften sonst unbillig oder unerträglich geworden wären (wie etwa Beschränkung der Kündigung im Mietvertrag, Verhütung der Entlassung von Arbeitnehmern, Milderungen der Zwangsvollstreckung, sogar die Beschränkung der freien Niederlassiing wegen Wohnungsnot, nicht zu reden von den zahllosen Massnahmen in bezug auf die Ausländer). Der Bundesrat

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gedenkt auch in diesem Bereich wenn irgend möglich nicht weiterzugehen, im Gegenteil eher abzuhauen, aber er würde es nicht als ratsam erachten, dass.

die Möglichkeit des Eingreifens ihm insoweit überhaupt genommen werdeMit gutem Grund hat es auch der Bundesbeschluss vom Jahre 1919 vermieden, die Vollmachten auf bestimmt bezeichnete Gebiete einzugrenzen. Heute liegt die Situation in dieser Hinsicht jedenfalls nicht günstiger. Es ist auch nach Beendigung der Kriegshandlungen nicht möglich, mit irgendwelcher Sicherheit vorauszusehen, wie die Entwicklung verlaufen und vor was für Aufgaben sie uns noch stellen wird, die rasches Handeln und wenigstens vorübergehend einschneidende Massnahmen verlangen können.

Aus diesen Gründen befürwortet der Bundesrat, auch diesmal ungefähr nach derselben Methode vorzugehen wie bei Beendigung des ersten Weltkrieges.

Die Vollmachten müssen im Prinzip einstweilen aufrechterhalten werden, und von ihrer Zurückbindung auf bestimmte Gebiete ist abzusehen. Wohl aber kann ein demnächst zu fassender Bundesbeschluss durch eine allgemein lautende Vorschrift die Anwendung der Vollmachten einschränken und den allmählichen Abbau der Notgesetzgebung einleiten, bis später, in einem heute noch nicht voraussehbaren Zeitpunkt, die grundsätzliche Aufhebung der Vollmachten möglich sein wird.

- IV-

Im Sinne dieser Ausführungen gestatten wir uns, Ihnen den Entwurf zu einem «Bundesbeschluss über den Abbau der ausserordentlichen Vollmachten des Bundesrates» vorzulegen. Eine erste Fassung desselben haben wir bereitsden Volhnachtenkommissionen der beiden Bäte zur Begutachtung unterbreitet.

Wir sind also auch hier entsprechend dem Art. 6, Abs. 2, des Bundesbeschlusses vom 30. August 1989 vorgegangen, obwohl ein Anwendungsfall dieser Vorschrift nicht. vorliegt ; angesichts der Vertrautheit der Vollmachtenkommissionen mit der Notgesetzgebung und des engen Kontakts, den wir mit ihnen all die Jahre hindurch pflegen konnten, schien es uns durchaus gegeben, sie von unsern Absichten in Kenntnis zu setzen und ihre Meinung darüber einzuholen. Die beiden Kommissionen haben im Prinzip zugestimmt, zum vorgeschlagenen Wortlaut des Beschlusses aber verschiedene Vorschläge und Wünsche geäussert, denen soweit als möglich Bechnung zu tragen wir uns bemühten. Der dieser Botschaft beiliegende Entwurf ist das Ergebnis dieser Überarbeitung. Zu seinem Inhalt im einzelnen seien noch die folgenden Bemerkungen angebracht.

Vor allem werden im ersten Artikel des Entwurfs die Art. 8 und 4 des Bundesbeschlusses vom 80. August 1939, auf denen die ganze Notgesetzgebung der Kriegszeit beruht, als aufgehoben erklärt. Darin kommt die Auffassung zum Ausdruck, dass heute nicht mehr Vollmachten in jener allgemeinen Formulierung notwendig erscheinen und dass mit der Beendigung des Krieges auch der Höhepunkt des Notrechts überschritten ist. Es soll, den veränderten tatsächlichen Verhältnissen entsprechend, dein Bundesrat nur noch in be-

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schränkten! Umfang zur Verfügung stehen und seine künftige Anwendung sich im Zeichen der Bückkehr zum normalen Bechtszustand bewegen. In dieser Weise ist auch der Bundesbeschluss von 1919 vorgegangen. Unzuträgliche Hemmungen sind davon nicht zu befürchten, wenn andererseits die dem Bundesrat noch verbleibende Ermächtigung nicht zu eng umschrieben und .zugleich der Abbau des bestehenden Notrechts zweckmässig in die Wege geleitet wird.

Mit dem letztern befasst eich Art. 2 des Entwurfes. Die bisher erlassenen Notverordnungen sollen, soweit sie nicht schon aufgehoben -werden konnten, in Kraft bleiben, solange über sie nichts anderes beschlossen wird. Das entspricht der tatsächlichen Notwendigkeit und lässt sich auch formell ohne weiteres rechtfertigen, da über diese Erlasse gemäss Art. 5 des Bundesbeschlusses von 1989 der Bundesversammlung Bericht erstattet wurde und diese «ich mit ihnen, einverstanden erklärt hat ; andernfalls hätten sie bereits abgeändert oder aufgehoben werden müssen. Doch soll die Aufhebung oder wenigstens die Lockerung dieser Vorschriften in dem Masse erfolgen, als die Verhältnisse es erlauben. Wo nicht die gänzliche Beseitigung eines Erlasses möglich ist, können vielleicht vorerst einzelne Artikel aufgehoben oder der Erlass kann im Sinne einer Milderung abgeändert werden.

Für diesen Abbau zu sorgen, liegt in erster Linie dem Bundesrat selbst ob ; die Notverordnungen, die er erlassen hat, kann er auch wieder einschränken oder aufheben, und er hat es da und dort schon getan. Art. 2, Abs. l, des Entwurfs erteilt ihm ausdrücklich diese Weisung. Überdies soll es aber nach Abs. 2 der Bundesversammlung vorbehalten bleiben, ihrerseits dem Bundesrat bestimmte Erlasse zu bezeichnen, deren Aufhebung oder Einschränkung sie verlangt. Sie hat dazu Gelegenheit bei Prüfung der Berichte des Bundesrates, die sich künftig auch über die Einschränkung bestehender Notverordnungen aussprechen sollen (vgl. Art. 4 des Entwurfs). Das Kontrollrecht des Parlaments soll sich auch auf Umfang und Tempo des Abbaues erstrecken. Dem Bundesrat wird es unbenommen bleiben, in zweifelhaften Fällen die Vollinachtenkommissionen über die Frage der Aufhebung zu konsultieren und so auch in dieser Hinsicht mit ihnen in Fühlung zu bleiben.

Art. 3 des Entwurfs sodann umschreibt die Vollmachten, wie sie für die Zukunft
noch bestehen sollen. Er erwähnt neben der Sicherheit des Landes nicht mehr besonders die Unabhängigkeit und Neutralität (vgl. ebenso Z. I, Abs. 2, des Bundesbeschlusses vom 3. April 1919). Hervorgehoben wird dagegen, dass die Vollmachten nur noch ausnahmsweise für unumgänglich notwendige Massnahmen gebraucht werden sollen. Erweisen sich solche neue Vorschriften noch als erforderlich, so werden sie in der Begel vorübergehender Art sein, so dass der Weg der ordentlichen Gesetzgebung ohnehin nicht in Frage kommt. Ist aber eine dauernde Vorschrift geplant, so soll dieser Weg beschritten werden, sofern nicht die Dringlichkeit dazu zwingt, zunächst sich noch mit den Vollmachten zu behelfen und daneben den gesetzlichen Erlass vorzubereiten.

698 Auch in bezug auf die finanziellen Auswirkungen der Noterlasse kamt eine Einschränkung Platz greifen (Art. 8, Abs. 2). Dem Bundesrat muss freilich, soweit seine Vollmachten noch reichen, auch der erforderliche Kredit weiterhin zustehen. Dagegen kann auf die in Art. 4 des geltenden Bundesbeschlusses ausserdem enthaltene besondere Ermächtigung zur Aufnahm& von Anleihen nun verzichtet werden.

Im übrigen sollen nach Art. 3, Abs. 3, des Entwurfes für die Notverordnungen, die der Bundesrat künftig noch erlässt, die nämlichen Vorschriften wie für die bisherigen, insbesondere die Art. 5 und 6 des Bundesbeschlusses von 1939 gelten. Über solche Erlasse ist demnach je auf die Juni- und die Dezembersession hin Bericht zu erstatten, und der Bundesrat wird in wichtigeren Fällen womöglich vor dem definitiven Beschluss die Vollmachtenkommissionen begrüssen. Ebenso soll für die Wiederaufhebung neu erlassener Bestimmungen Art. 2 des Entwurfs selbst massgebend sein.

Schliesslich ergänzt Art. 4 des Entwurfs das Kontrollrecht der Bundesversammlung speziell in Hinsicht auf den Abbau der Notgesetzgebung. Der soeben erwähnte halbjährliche Bericht des Bundesrates hat auch die Abänderung oder Aufhebung von Notverordnungen zu umfassen und wird bei blosser Einschränkung solcher die Gründe erwähnen, weshalb die gänzliche Aufhebung noch nicht möglich war. Dagegen sind Erlasse, die unverändert fortbestehen, auch künftig im Bericht nicht zu erwähnen. In dieser Hinsicht greift aber alsdann die in Art. 2, Abs. 2, der Bundesversammlung vorbehalten» Befugnis ein, von sich aus die Einschränkung oder Aufhebung bestimmter Vorschriften zu verlangen. Die Eäte werden also in ihrer Kontrolle nicht an den jeweilen durch den Bericht des Bundesrates gezogenen Eahmen gebunden sein. Um ihnen die Übersicht über den Stand der Notgesetzgebung und über das Fortschreiten des Abbaues zu erleichtern, ist künftig jedem solchen Bericht ein Verzeichnis der auf den Vollmachten beruhenden, noch in Kraft stehenden Bundesratsbeschlüsse beizufügen.

Die von uns vorgeschlagene Ordnung wird, wie wir glauben, die allmähliche Abtragung der Notgesetzgebung und die Bückkehr zum normalen Bechtszustand ermöglichen, ohne sich doch über die vorhandenen und noch zu gewärtigenden Schwierigkeiten hinwegzusetzen.

Wir empfehlen Ihnen deshalb die Annahme des nachfolgenden
Beschlussesentwurfes und benützen auch diesen Anlass, Sie unserer vollkommenen Hochachtung zu versichern.

Bern, den 1. Juni 1945.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates,

Der Bundespräsident: Ed. v. Steiger.

Der Bundeskanzler:

Leimgruber.

699 (Entwurf.)

Bundesbeschluss über

den Abbau der ausserordentlichen Vollmachten des Bundesrates.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 1. Juni 1945, beschliesst:

Art. 1.

Die Art. 8 und 4 des Bundesbeschlusses vom 80. August 1939 über Massnahmen zum Schutze des Landes und zur Aufrechthaltung der Neutralität werden aufgehoben.

Art. 2.

Die gestützt auf Art. 8 des Bundesbeschlusses vom 30. August 1989 erlassenen Beschlüsse hat der Bundesrat ganz oder teilweise aufzuheben oder einzuschränken, sobald die Verhältnisse es erlauben.

Der Bundesversammlung bleibt überdies vorbehalten, diejenigen Beschlüsse zu bezeichnen, deren Aufhebung oder Einschränkung sie verlangt.

Art. 3.

Der Bundesrat bleibt ermächtigt, ausnahmsweise Massnahmen zu treffen, die zur Sicherheit des Landes, zur Wahrung seines Kredites und seiner wirtschaftlichen Interessen sowie zur Sicherung des Lebensunterhalts unumgänglich notwendig sind und entweder nur vorübergehend gelten sollen oder wegen ihrer Dringlichkeit nicht auf dem Wege der ordentlichen Gesetzgebung getroffen werden können.

Zur Deckung der damit verbundenen Auslagen wird dem Bundesrat der notwendige Kredit eingeräumt.

Für diese Massnahmen gelten Art. 5, Abs. 2, und Art. 6, Abs. 2, des Bundesbeschlusses vom 80, August 1939 sowie Art. 2 des gegenwärtigen Beschlusses.

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Art. 4.

Der vom Bundesrat gemäss Art. 5 des Bundesbeschlusses vom 80. August 1939 der Bundesversammlung jeweils auf die Juni- und die Dezembersession hin zu erstattende Bericht hat sich insbesondere auch über die in Nachachtung von Art. 2 des gegenwärtigen Beschlusses vorgenommenen Einschränkungen bestehender Erlasse auszusprechen.

Diesem Bericht hat der Bundesrat jeweils ein Verzeichnis der von ihm auf Grund der Vollmachten gefassten, noch in Kraft stehenden Beschlüsse beizufügen.

Art. 5.

Dieser Bundesbeschluss tritt sofort in Kraft.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über den Abbau der ausserordentlichen Vollmachten. (Vom 1. Juni 1945.)

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