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Botschaft dea

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Ausrichtung eines Bundesbeitrages an das Intergouvernementale Komitee für die Flüchtlinge.

(Vom.17. Dezember 1945.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Im Mai 1938 hat der verstorbene Präsident Boosevelt die europäischen und überseeischen Staaten, die voraussichtlich vom Flüchtlingsstrom aus Deutschland und Österreich als Asyl- und Einwanderungsländer erfasst würden, zur Gründung eines besonderen Intergouvernementalen Komitees eingeladen.

Die Schweiz nahm diesen Vorschlag an und beteiligte sich an der ersten Tagung des Intergouvernementalen Komitees, die am.6. Juli 1938 auf Einladimg des Präsidenten Eoosevelt in Evian eröffnet wurde. Das.Komitee wurde beauftragt, die Fragen zu prüfen, die die Massenflucht aus Deutschland und Österreich aufwarf, und gemeinsam mit den deutschen Behörden eine Lösung zu suchen.

Dieses Vorgehen sollte insbesondere den Nachbarstaaten Deutschlands die Lösung der steigenden wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten, der Folge dieser Emigration, ermöglichen oder doch erleichtern. Gleichzeitig wurde vorgesehen, den aus ihren Wohnsitzen vertriebenen Flüchtlingen die Mittel zum Aufbau neuer Heimstätten zu verschaffen.

Die Schweiz liess sich in der Folge nur noch an der Vollsitzung des Komitees im Juli 1939 in London vertreten.

Der Ausbruch des Krieges im September "gleichen Jahres zerstörte alle Hoffnung auf ein Abkommen und verunmöglichte teilweise die praktische Hüfstätigkeit des Komitees, obwohl in verschiedener Hinsicht weiterhin nützliche Arbeit geleistet werden konnte. Während des Krieges nahm das Flüchtlingsproblem sehr grosse Ausmasse an und ergriff schliesslich Millionen von Angehörigen verschiedener Nationen, Glaubensbekenntnisse und Herkunft.

Im Hinblick auf diese Lage wurde das Intergouvernementale Komitee anfangs August- 1943 reorganisiert mit den folgenden wichtigen Neuerungen: - . .

781 Erstens wurde der Auftrag des Komitees erheblich erweitert. Er sollte sich, sobald man es für notwendig und durchführbar erachtete, auf die ganze Erde erstrecken und alle Personen umfassen, die wegen ihrer Easse, Religion oder politischen Überzeugung ihren Wohnort in Europa verlassen mussten oder später noch die Flucht ergreifen würden.

Zweitens wurde das Komitee beauftragt, mit bisher nicht angewandten Mitteln für seine Schützlinge zu sorgen und auch ihre Bettung, den Unterhalt und Transport zu übernehmen.

Drittens hat das Komitee neue finanzielle Aufgaben übernommen. Während sich bisher seine Auslagen praktisch auf die Kosten des Zentralbureaus beschränkten, umfassten sie nun auch kostspielige Hilfsaktionen. Die "Verwaltungskosten werden nach einem bestimmten Schlüssel .auf alle Mitgliedstaaten verteilt. Die Ausgaben für Hilfsaktionen werden in erster Linie von den Regierungen Grossbritanniens und der Vereinigten Staaten von Amerika getragen, während die andern Regierungen eingeladen wurden, sich zu beteiligen.

Viertens wurde die Mitgliederzahl erhöht, indem einige Regierungen, die bisher nicht Mitglieder des Komitees waren, zur Teilnahme eingeladen wurden.

Von 1940 bis 1944 hielt sich die Schweiz gegenüber dem Komitee in höflicher Reserve. Grund dazu war unsere Neutralitätspolitik, die keine aktive Zusammenarbeit mit einer internationalen Organisation gestattete, die so eindeutig das Gepräge einer der kriegführenden Gruppen trug. Zudem musste sich die Schweiz bemühen, nicht durch zu enge Verbindung mit einer einseitig eingestellten Organisation die Verwirklichung anderer humanitärer Werke zu erschweren. Wir haben uns jedoch bemüht, durch die Tat zu zeigen, dass die Lösung der Aufgaben des Intergouvernementalen Komitees auch uns am Herzen liegt.

goit ungefähr einem Jahre haben sich unsere Beziehungen zum Intergouvernementalen Komitee vertieft. Wir waren glücklich, den Direktor, Sir Herbert Emerson, im November 1944 in Bern zu empfangen. Er regte an, in der Schweiz eine Delegation des Intergouvernementalen Komitees zu schaffen, und auswerte den Wunsch, Herrn Dr. Heinrich Rothmund, Chef der Polizeiabteilung des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, dafür zu gewinnen. Diese Ernennung, die im Februar 1945 erfolgte, zeigte deutlich den Fortschritt unserer Beziehungen zum Komitee. Die
Delegation nahm am 1. April 1945 an ihrem Sitz in Genf ihre Tätigkeit auf.

Im Juli 1945 übermittelte die schweizerische Gesandtschaft in London dem Politischen Departement ein Schreiben, das der Direktor des Komitees an die Regierungen aller Mitgliedstaaten gerichtet hatte. Darm wird um freiwillige Beiträge an die Kosten der Hilfsaktionen in den Jahren 1944 und 1945 ersucht. Sir Herbert Emerson hebt hervor, dass 1944 die Hilfsaktionen Auslagen von £ 257 091 verursacht hatten. Der Betrag wurde vollständig von der englischen und der amerikanischen Regierung aufgebracht, da die andern Regierungen der ersten Einladung zu freiwilligen Beiträgen keine Folge geleistet

782 hätten. Der Voranschlag für 1945 sah 2 Millionen Pfund Sterling Ausgaben vor.

Der Direktor machte jedoch darauf aufmerksam, dass infolge des Kriegsendes ·wahrscheinlich mit einem bedeutend höheren Betrag zu rechnen sei.

Sir Herbert Emerson fügte bei, dass die Eegierungen Grossbritanniens und der Vereinigten Staaten von Amerika wahrscheinlich die ganze Frage und ihre früheren Verpflichtungen neu überprüfen würden, wenn nicht die finanzielle Grundlage der Hilfswerke erweitert werden könne. Der Direktor macht zum Schluss darauf aufmerksam, dass das ganze Hilfswerk des Intergouvernementalen Komitees auf dem Spiele stehe und die Verwirklichung vom Ergebnis des Aufrufes abhänge.

* * * '· Vom 20. bis 22. November 1945 fand in Paris die 5. Vollsitzung des Intergouvernementalen Komitees statt. Sie gab uns die Gelegenheit, unsern Willen zur aktiven Mitarbeit an den Zielen der Organisation zu bekunden und besonders das Interesse zu unterstreichen, das die Schweiz der Lösung des Plüchtlingsproblems auf internationaler Grundlage entgegenbringt. Unser Gesandter in Paris, Herr Minister C. J. Burckhardt, den wir als Delegierten bezeichnet hatten, wurde zum ersten Vizepräsidenten ernannt und leitete einen Teil der Verhandlungen. Mit lebhafter Genugtuung haben wir erfahren, dass der Direktor in seinen mündlichen Erläuterungen zum Geschäftsbericht besonders lobend erwähnte, dass die Schweiz während des zweiten Weltkrieges den Flüchtlingen weitherzig ihre Gastfreundschaft gewährt, habe.

An der Tagung waren verschiedene Delegierte in der Lage, als Antwort auf den Appell des Komitees Beiträge ihrer Regierungen bekanntzugeben.

Die Schweiz könnte zu dieser Aufforderung, einen Beitrag zu leisten, mit gutem Eecht auf ihre ununterbrochenen Anstrengungen und ihre Aufwendungen hinweisen, die sie für die im Lande aufgenommenen Flüchtlinge machte. Wenn man die direkten Auslagen des Bundes und die Mittel aus den privaten Sammlungen zusammenzählt, erreicht man bereits die Zahl von ungefähr 100 Millionen Franken. Angesichts des namenlosen Elends der durch den Krieg von ihren Heimen Vertriebenen sind wir aber der Meinung, die Schweiz dürfte sich nicht damit begnügen. Sie ist sich schuldig, ihren Teil an der schweren Aufgabe auf sich zu nehmen, die das Schicksal unserer Generation anvertraut hat, und getreu ihrer Tradition
alles Mögliche zu tun zur wirksamen Lösung des schmerzlichen Flüchtlingsproblems.

Eine der wichtigen Aufgaben, des Komitees ist, Möglichkeiten und Mittel für die Auswanderung der Flüchtlinge zu finden, die sich noch bei uns aufhalten und nicht in ihren früheren Wohnstaat zurückkehren können.

Nach den verschiedenen Heimschaffungen, die in letzter Zeit gemeinsam mit den alliierten Behörden durchgeführt werden konnten, befinden sich in der Schweiz noch etwas über 20 000 Flüchtlinge. Meistens wird es nötig sein, für sie aufnahmebereite Einwanderungsländer zu finden.

783 Wenn die Schweiz dem Unterstützungsgesuch für das Budget der Hufswerke entspricht, fördert sie also ein Unternehmen, aus dem sie selbst einen Ge-winn ziehen wird.

Für die Festsetzung des Betrages müssen folgende Erwägungen berücksichtigt werden: Der Beitrag der Schweiz an die Verwaltungskosten ist % desjenigen Grossbritanniens. Die britische Regierung trägt für die Hilfswerke 17 Millionen bei.

Im gleichen Verhältnis würde der schweizerische Beitrag nicht ganz 3 Millionen betragen.

In Berücksichtigung der erwähnten Überlegungen und der Lasten, denen der Bund 1946 gegenübersteht, halten wir dafür, dass der freiwillige Beitrag der Schweiz an die Kosten der dem Intergouvernementalen Komitee obliegenden Hilfstätigkeit auf 2 Millionen festzusetzen wäre.

Wir empfehlen Ihnen deshalb, gemäss dem beiliegenden Entwurf einen Bundesbeschluss zu fassen, der den Bundesrat ermächtigt, an die Kosten der dem Intergouvernementalen Komitee obliegenden Hilfstätigkeit bis zur Höhe von 2 Millionen Franken beizutragen, wobei die erste Eate von l Million Franken sofort ausbezahlt werden soll.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 17. Dezember 1945.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Ed. v, Steiger.

Der Bundeskanzler: Leimgruber.

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(Entwurf.)

Bundesbeschluss betreifend

die Ausrichtung eines Bundesbeitrages an das Intergouvernementale Komitee für die Flüchtlinge.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 17. Dezember 1945, beschliesst:

Art. 1.

Der Bundesrat wird ermächtigt, an die Kosten der dem Intergouvernement tale Komitee obliegenden Hilfstätigkeit bis zur Höhe von 2 Millionen Franken beizutragen.

Der Bundesrat wird dem Intergouvernemental Komitee unverzüglich eine erste Bäte von l Million Franken ausbezahlen, Art. 2.

Dieser Beschluss tritt, als nicht allgemein verbindlicher Natur, sofort in Kraft.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Ausrichtung eines Bundesbeitrages an das Intergouvernementale Komitee für die Flüchtlinge. (Vom.17.

Dezember 1945.)

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1945

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4913

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20.12.1945

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