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Bundesratsbeschluß betreffend

den Rekurs der Baumwollspinnerei Emmenhof in Derendingen in Sachen ihrer Fabrikordnung.

(Vom 1. Oktober 1897.)

D e r s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s rat, hat nach Einsicht einer Eingabe vom 22. Juni 1897, womit die Baumwollspinnerei Emmenhof in Derendingen das Gesuch stellt, es möchte die vom Regierungsrate des Kantons Solothurn unterm 14. Juni gleichen Jahres in Sachen ihrer Fabrikordnung getroffene Verfügung wieder aufgehoben werden,

folgenden Beschluß gefaßt:

Aus den Akten ergiebt sich: Die Baumwollspinnerei Emmenhof in Derendingen hat in ihre Fabrikordnung unter anderm nachstehende Bestimmungen aufgenommen : a. ,,Wo nicht durch schriftliche Übereinkunft etwas anderes bestimmt ist, kann das Arbeitsverhältnis zwischen der Fabrikunternehmung und dem Arbeiter durch eine, jedem Teile freistehende, 4 Wochen vorher erklärte Kündigung aufgelöst werden . . . ."

b. ,,Die Direktion oder deren Vertretung ist zur augenblicklichen Entlassung des Arbeiters ohne Ausbezahlung des Décompte

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berechtigt, wenn dieser sich das eine oder andere der nachstehenden Vergehen zu Schulden kommen läßt . . . . " · Der Regierungsrat des Kautons Solothurn hat die Gutheissung der Fabrikordnung der Baumwollspinnerei Emmenhof unter der Bedingung ausgesprochen, daß statt der vierwöchentlichen Kündigungsfrist (o) die vierzehntägige Kündigung festgesetzt werde, und daß im fernem die Worte ,,ohne Ausbezahlung des Décompte" (6) gestrichen werden.

Die Petentin kann sich mit diesem Bescheide des Regierungsrates nicht begnügen, sondern sucht um Aufhebung der getroffenen Verfügung nach.

B.

In rechtlicher Hinsicht fällt in Betracht: Ad a. Art. 9 des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken bestimmt: ,,Wo nicht durch schriftliche Übereinkunft etwas anderes bestimmt wird, kann das Verhältnis zwischen dem Fabrikbesitzer und Arbeiter durch eine, jedem Teile freistehende, mindestens 14 Tage vorher erklärte Kündigung aufgelöst werden und zwar jeweilen am Zahltag oder am Samstag." Das Gesetz hat also eine Kündigung des Dienstverhältnisses und zwar eine solche von mindestens 14 Tagen vorgesehen, sofern nicht die Parteien, d. h. Arbeitgeber und Arbeitnehmer infolge schriftlicher Übereinkunft etwas anderes, d. h. eine kürzere oder längere Frist bestimmt haben. Das Gesetz nennt die von ihm, beim Fehlen einer schriftlichen Übereinkunft der Parteien, festgesetzte Zeit eine ,,jedem Teile freistehende". Nach dieser Gesetzesbestimmung steht es dem einen Teile nicht zu, die Kündigungsfrist von s i c h aus mit der Wirkung zu verlängern, daß der andere Teil sich diese Verlängerung gefallen lassen müsse und von dem Recht der Kündigung auf 14 Tage nicht mehr Gebrauch machen könne. Denn in diesem Falle würde es dem ändern Teile nicht mehr ,,freistehen, in 14 Tagen das Dienstverhältnis" zu lösen.

Die Petentin beruft sich mit Unrecht auf den Bundesratsentscheid vom 23. April 1880 (Bundesbl. 1881, II, 18/19; Comm. 60), denn dieser bezieht sich auf den Décompte, nicht auf die Kündigungsfrist von 4 Wochen.

Der Bundesrat hat sodann mit Beschluß vom 7. Oktober 1885 (Bundesbl. 1886, I, 279; Comm. 61) betont, daß das Gesetz dem Fabrikherr nicht gestatte, die vierzehntägige Kündigung durch einen einseitigen Akt zu verlängern ; dies könne nur durch eine schriftliche Vereinbarung zwischen den Parteien geschehen; es sei Sache

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des Richters, zu bestimmen, was als schriftliche Übereinkunft im Sinne von Art. 9 des Gesetzes zu betrachten sei.

Der Regierungsrat des Kantons Solothurn hat also durchaus gemäß den gesetzlichen Bestimmungen gehandelt, wenn er die Abänderung der vierwöchentliehen Kündigungsfrist in der Baumwollspinnerei Emmenhof in eine v i e r z e h n t ä g i g e verfügt hat.

Ad b. § 18 der Fabrikordnung des genannten Etablissements zählt eine Reihe von Vergehen auf, die den Arbeitgeber gegenüber dem fehlbaren Arbeiter zu einer plötzlichen Entlassung berechtigen.

Wenn nun der Arbeitgeber sich zu diesem Recht noch ein weiteres vindiziert, nämlich den Arbeiter ,,ohne Auszahlung des Décompte"1 zu entlassen, so ist der Arbeiter gegenüber seinem Prinzipal im Nachteil. Art. 9, Abs. 2, des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken schreibt ausdrucklich vor: ,,Streitigkeiten über die gegenseitige Kündigung und alle übrigen Vertragsverhältnisse entscheidet der zuständige Richter." In der Kompetenz des Richters liegt es auch, zu entscheiden, ob der Arbeitgeber zum Zurückhalten des Décompte berechtigt sei oder nicht. Im allgemeinen steht diesem die Berechtigung zum Abzug nur dann zu, wenn der Arbeiter ohne Kündigung das Dienstverhältnis einseitig löst (s. Rekursentscheid des Bundesrates vom 20. April 1880, Bundesbl. 1881, II, 17; Comm. 68). Es hat also die kantonale Regierung durchaus korrekt gehandelt, wenn sie die Aufnahme des fraglichen Passus in die Fabrikordnung verweigerte.

Deshalb wird beschlossen: Das von der Baumwollspinnerei Emmenhof in Derendingen an den Bundesrat gerichtete Gesuch betreffend Aufhebung der vom Regierungsrat des Kantons Solothurn in Sachen ihrer Fabrikordnung unterm 14. Juni 1897 getroffenen Verfügung wird abgewiesen.

B e r n , den 1. Oktober 1897.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Bundesratsbeschluß betreffend den Rekurs der Baumwollspinnerei Emmenhof in Derendingen in Sachen ihrer Fabrikordnung. (Vom 1. Oktober 1897.)

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06.10.1897

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