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Schweizerisches Bundesblatt mit schweizerischer Gesetzsammlung,

67. Jahrgang.

Bern, den 4. August 1915.

Band III.

Erscheint wöchentlich. Preis 10 Franken im Jahr, B Franken im Halbjahr, zuzüglich ,,Nachnahme- und Postbestellungsgebühr" Einrückungsgebühr : 15 Rappen die Zeile oder deren Raum. -- Anzeigen franko an die Buchdruckerei Stämpfli £ de. in Bern.

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Kreisschreiben des

Bundesrates an sämtliche Kantonsregierungen betreffend Verwendung des Notstandsfonds für Hülfsbedürftige.

(Vom 30. Juli 1915.)

Getreue, liebe Eidgenossen !

Nachdem wir im Februar dieses Jahres den Kantonen aus dem Notstandsfond für Hülfsbedürftige einen Beitrag von 10. Cts.

.auf den Kopf der Wohnbevölkerung zur Unterstützung schweizerischer Familien, welche durch die gegenwärtige Zeitlage in Not geraten sind, haben zukommen lassen, erachten wir angesichts der Fortdauer der ökonomischen Krisis für geboten, den kantonalen Behörden einen weiteren Beitrag an die ihnen erwachsenden Notstandsauslagen zur Verfügung zu stellen. Entsprechend den verfügbaren Mitteln wird dieser Beitrag auf 5 Cts.

auf den Kopf der gesamten Wohnbevölkerung bemessen.

Wir stellen dabei aufs neue die Bedingung, dass bei Verwendung der Beträge das Prinzip der wohnörtlichen Armenpflege massgebend sein soll. Während wir aber die erste Rate ausschliesslich zur Unterstützung schweizerischer Familien bestimmt hatten, lassen es die Umstände nunmehr als wünschenswert erscheinen, dass den Kantonen freigestellt wird, auch niedergelassene ausländische Familien, die sich in Notlage befinden und die Hülfe der schweizerischen Behörden in Anspruch nehmen, aus den Notstandsgeldern zu unterstützen.

Bundesblatt. 67. Jahrg. Bd. III.

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5b Demzufolge haben wir heute den nachstehenden Beschluss gefasst : 1. Von dem Notstandsfonds für Hülfsbedürftige wird jedem Kanton ein Betrag zur Verfügung gestellt in der Höhe von 5 Cts.

auf den Kopf der Bevölkerung, nach der Volkszählung von 1910 berechnet.

2. Diese Beträge sollen auf Grund des Wohnortsprinzips Verwendung finden zur Unterstützung von schweizerischen und ausländischen Familien, welche durch die gegenwärtige wirtschaftliche Krisis in Not geraten sind.

3. Die Unterstützungsbeträge dürfen nicht mit einem bestehenden Armenfonds vereinigt werden. Sie gelten nicht als Armenunterstützung und ziehen keinerlei Folgen nach sich, die mit dem Empfange von Armenunterstützung verbunden sind. Eine Rückforderung der geleisteten Unterstützung ist nicht statthaft.

4. Jeder Kanton hat binnen sechs Monaten nach Empfang der ihm zukommenden Summe dem Schweizerischen Politischen Departement über deren Verwendung Bericht zu erstatten. Die Berichterstattung über die Verwendung der im Februar 1915 als erste Rate ausbezahlten Beträge kann mit dem Bericht über die zweite Rate verbunden werden und wird demnach erst auf Anfang nächsten Jahres gewärtigt.

Sie wollen gefl. unserm Politischen Departement, das mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt ist, die Mitteilung zukommen lassen, ob Sie bereit sind, den auf Ihren Kanton entfallenden Anteil dem Zwecke, wie er durch obige Bestimmungen festgestellt ist, zuzuführen und über die Verwendung Bericht zu erstatten.

Wir benutzen den Anlass, um Sie, getreue, liebe Eidgenossen,, samt uns in den Machtschutz Gottes zu empfehlen.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Motta.

Der Vizekanzler: David.

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Kede des Herrn Bundespräsidenten Motta, gehalten am 1. August 1915 in Bellinzona.

Behörden, Offiziere,

Soldaten und Mitbürger !

Ich überbringe euch vom Aarestrand den vaterländischen Gruss der Regierung der Eidgenossenschaft. Ich danke dem Komitee, das sich die Veranstaltung der heutigen Gedenkfeier zum Ziel gesetzt hat, bewegten Herzens für die Einladung, an dieser durch ihre patriotische Bedeutung so eindrucksmächtigen Feierlichkeit zu euch zu sprechen ; ich danke der Regierung meines Heimatkantons, dass sie diese Einladung mit einer Wärme unterstützt hat, die von Herzen kam und mir zu Herzen ging; ich danke euch, Offiziere und Soldaten, dass mit euch auch unsere Armee an dieser Kundgebung der nationalen Eintracht teilnimmt; Dank aber vor allem dir, du turmgekrönte Stadt reicher Vergangenheit, dir, edles Volk von Bellinzona, Dank, dass du in der Fülle deiner Blumen, im Zusammenklang deiner Harmonien, im Rauschen deiner Banner Ausdruck verliehen hast dem Hehrsten und Reinsten, das in der Seele der Tessiner ruht: der unverbrüchlichen Liebe und Treue zum gemeinsamen Vaterland !

Es sind heute sechshundertvierundzwanzig Jahre, dass der erste schriftliche Bundesvertrag zwischen den Leuten von Schwyz, Uri und Unterwaiden geschlossen worden ist. In der lateinischen Urkunde, welche im Archiv von Schwyz noch aufbewahrt wird, gelobten sich die ersten Eidgenossen Hülfe und Beistand gegen jede äussere Gefahr und erklärten, keinen Gerichtsherrn mehr anerkennen zu wollen, der fremd wäre oder sein Amt erkauft hätte. Wir wissen nicht mit völliger Sicherheit, welches die führenden Männer waren, die den Bund schlössen, noch wo der Ort liegt, wo sie zusammenkamen. Diese Anonymität -- nur die ehrwürdigen Siegel der Vertragschliessenden reden zu uns -- hüllt die Geburt unseres Freistaates in geheimnisvolles Dunkel, aber sie ist Beweis dafür, dass das Streben nach der Unabhängigkeit nicht so sehr dem Willen einzelner entsprang, als in der Tiefe des unbestimmten Bewusstseins der Allgemeinheit wurzelte.

Wahrscheinlich war Brunnen der Ort der Zusammenkunft, das reizende Dorf, das der See und die Berge und der Himmel zur Wiege unserer Freiheit vorausbestimmten und das sein An-

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gesiebt dem Rutti zuwendet. Heute, als der Zug mich euch entgegenführte, wandte ich noch einmal den Blick zum grünen ßütli ; ich habe es betrachtet, wie man einen Weihaltar betrachtet, ich habe es in eurem Namen gegrüsst, meine Mitbürger, und als erster tessinischer Bundespräsident legte ich dort im Geiste, mit kindlicher Ehrfurcht, Wunsch und Gelöbnis des Tessins nieder, des ewig freien und ewig schweizerischen Tessins !

Das war 1291, und im gleichen Jahr, während der Hauch der Freiheit am Nordhang der Alpen in den Waldstätten wehte, ging eine nicht unähnliche, aber weniger glückliche Bewegung im Süden durch die Bewohner der Leventina, welche unter der Führung von Alberto Cerro aus Airolo sich erhoben, das Joch Otto Viscontis abzuschütteln, und bei den ^deutschen Leuten", das heisst bei ihren Urner Nachbarn um Hülfe nachsuchten. So kommt es, dass von den ersten Anfängen an die Schicksale des Tessins und der Schweiz sich berühren und sich durchdringcn, so kommt es auch, dass, als das Tessin 1803 zum Rang eines freien Staates gelangte, nachdem es auf den Schlachtfeldern von Arbedo, Giornico und Marignane sein Blut mit dem Blut der Heldeneidgenossenschaft zusammen vergossen und nachdem es eine lange Vorzeit der Unterdrückung hinter sich hatte, in seiner endgültigen Vereinigung mit den ändern Ständen der Eidgenossenschaft das Sehnen und das Rufen der Jahrhunderte erfüllt wurden.

Es war 1291, am Ausgang des Mittelalters. Die Geister waren des fast mystischen Gedankens vom heiligen römischen Reich noch nicht entwöhnt. Dante selbst, der überragende Geist, der damals als Sechsundzwanzigjähriger in Florenz lebte, machte damals die Idee vom Imperium zur seinigen als die Idee von einer rechtmässigen und alles umfassenden Gewalt. Die ersten Eidgenossen gingen anfangs einzig auf die Befreiung von jeder Gewalt aus, welche nicht kaiserliche Obergewalt war. Jede spätere Ausdehnung, wie jeder von ihnen geführte Krieg gehorchte dieser Auflassung. Nach und nach indessen, mit der anwachsenden Macht der Schweizer, lockerten sich auch die Bande /um Reich; jede von ihnen geschlagene Schlacht ist eine neue Anstrengung zur Befreiung; ihr Fussvolk wird das gefürchtetste Europas; nach dem Schwabenkrieg waren die Reichsbandc tatsächlich gelöst, bis dann 1648, anderthalb Jahrhundert später, der Westfälische Frieden, mit
der Beendigung des Dreissigjährigen Krieges, an dem die Schweizer zu ihrem grossen Glück nicht teilgenommen, die endgültige Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft anerkannte.

61 Nach dem Abschluss der glorreichen Zeit der Freiheitskriege tat sich eine neue Zeit auf: die Zeit der Religionskämpfe, der inneren Wirreu und der oligarchischen Vorstösse. Die Schweizer kämpfen nicht mehr gegen den Fremdling, sondern sie gehen hin und dienen ihm; sie greifen nicht mehr zu den Waffen gegen die äusseren Feinde, sondern gegeneinander selbst. Zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts dringen die Heere der Französischen Revolution auf unsern Boden ein, die alte Eidgenossenschaft, welche Streit und Zwietracht geschwächt, zerfällt in Ruinen; die heldenhaften Verteidiger von Bern, Schwyz und Unterwaiden retten die Ehre der sterbenden Freiheit, aber für mehrere Jahre wird die Schweiz Schauplatz und Spielball der fremden Soldaten und Diplomaten. Und mitten in all dem Unglück taucht eine edle und versöhnende Gestalt auf und erglänzt in besonderem Licht, denn durch die Erziehung der Kinder und der Jungmannschaft bereitet sie ein besseres Vaterland vor: ich meine die Gestalt Heinrich Pestallozzis, von Zürich, wahrscheinlich aber aus altem Locarneserstamm.

Doch entspricht die Erhaltung der Schweiz einer europäischen Notwendigkeit; die aus soviel Wundertaten der Tapferkeit geborene älteste Republik der Welt darf nicht für immer untergehen; die Alpenwacht im Herzen Europas kann dem ehrlichen Volk nicht entrissen werden, das sie bisher hielt ; das von unseren Vätern bei Sempach, St. Jakob, Murten, Giornico, Neuenegg, am Rotzberg vergossene Blut ist eine ewige Freiheitsaat. Vom Genius Napoleons I. getragen und geschirmt, entsteigt eine neue Schweiz aus den Trümmern der Vergangenheit, eine besser ausgeglichene Schweiz, welche keinen Unterschied mehr machen wird zwischen herrschenden Ständen und Untertanenländern, eine gerechtere Schweiz, welche die Vorrechte der Familien und Klassen abschaffen wird, eine brüderlichere Schweiz, welche in ihrem Schoss drei Sprachen und drei Rassen vereinigen und über die früheren Ideale das neue Ideal von drei Hochkulturen stellen wird, welche sich unter einer demokratischen Staatsform zusammenschliessen, um eine hochherzigere und gesittetere Volksgesellschaft zu verwirklichen.

Und dieses im Lauf eines Jahrhunderts erschlossene Ideal zeigt sich heute unentbehrlicher als je. Europa ist durch einen Krieg verheert, welcher in seinem Zerstörungswerk das tragischste Bild
der Phantasie übertrifft, so dass die Schweiz, dieses Eiland der Friedensgedanken, ringsherum ein Meer von Blut und Feuer wüten sieht und hört. Die Zivilisation erlebt eine tiefgehende

62 Krise, weil die Errungenschaften der Wissenschaft, die zur Schaffung von Werken des Lebens berufen sind, Werken der Vernichtung zugewendet werden. Was für eine neue Welt wird morgen aus dieser beispiellosen Umwälzung hervorgehen? Was für sittliche, soziale, wirtschaftliche und finanzielle Fragen werden in den verschiedenen Staaten zu lösen sein, nach der Katastrophe ?

Ich suche vergeblich, wer mir Antwort geben könnte, aber ich meine, dass der Austausch der moralischen und materiellen Güter zwischen den Nationen nicht rettungslos vernichtet worden mag, und dass die Gefühle des Hasses nicht ewig fortdauern werden, wie auch das Recht niemals vor der Gewalt auf immer abdanken kann.

Die Schweiz verkörpert heute das Ideal der Nächstenliebe und der Brüderlichkeit. Lasst ihre Fahne flattern und haltet das weisse Kreuz im roten Felde empor, auf dass es, so Gott will, noch einmal zum Zeichen der Verständigung und der Liebe werde !

So aufgefasst, kann die Politik unseres Landes keine andere sein, als diejenige der freimütig erklärten und loyal beobachteten Neutralität. Zu ihrer Aufrechterhaltung haben wir uns harten Opfern unterzogen. Wenn der Krieg nicht im laufenden .Jahr sein Ende findet, wird die eidgenössische Staatsschuld wohl um eine halbe Milliarde angewachsen sein, eine eindrucksvolle Ziffer, wenn man bedenkt, dass die Schweiz, ein an natürlichen Reichtümern armes Land, kaum drei Millionen und achthunderttnusend Einwohner zählt. Dank einem erstklassigen Kredit, der sich neuestens wieder bewährt hat, ist es uns bis zur Stunde gelungen, uns die Mittel zu verschaffen, um unsern Verpflichtungen nachzukommen. Nächstes Jahr werden wir mit der Erhebung der Kriegssteuor beginnen, welche das Volk mit wunderbarer Einsicht für seine Lebensbedürfnisse schon bewilligt hat. Dank sage ich euch, meine Mitbürger, für eure Stimmabgabe am 6. Juni ; sie war es, die mich am lebhaftesten gerührt hat. Trotz den überraschenden wirtschaftlichen Rückwirkungen des Krieges, als unverdiente Unglücksschläge euren durch zähe Sparsamkeit erworbenen Besitz schon grossenteils vernichtet hatten, habet ihr einzig auf die Stimme des Vaterlandes und den Ruf der Pflicht gehört.

Nach dem Krieg werden andere und schwerere Opfer von den Steuerpflichtigen gefordert werden : die neuen Bedarfsmittcl werden sich um die vierzig Millionen herum bewegen, jährlich.

Ich bin überzeugt, dass das Volk die neuen Opfer bewilligen

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\\'ird, im ganzen Umfang der Notwendigkeiten; denn ein Staatswesen ohne geordnete Finanzen wäre nicht bloss nicht mehr imstande, seine politische und soziale Aufgabe zu erfüllen, sondern würde zudem die privaten Geschäfts- und Vermögensverhältnisse in Verwirrung bringen.

Es ist heute ein Jahr, dass der Draht den Befehl zur allgemeinen Mobilisation in die hintersten Täler trug. Wie segneten wir damals die Staatsklugheit, welche mit den militärischen Aufwendungen nicht gekargt hatte, und wie stolz waren wir, eine ·so starke und disziplinierte Armee ausgerüstet zu haben ! Die aufrichtigen Zusicherungen unserer Nachbarstaaten -- ich hebe mit besonderer Befriedigung die im August 1914 abgegebenen und im Mai letzthin erneuten Erklärungen Italiens hervor -- und der Verlauf des Krieges haben uns eine bedeutende Herabsetzung der Grenzbesetzungsbestände gestattet, aber die tapfere Grenzwacht, welche ja keinen Akt des Misstrauens gegen irgend jemanden darstellt oder darstellen will, entspricht fortgesetzt nicht bloss einer nationalen Notwendigkeit, sondern auch einer klaren und gebieterischen internationalen Pflicht.

Lieben wir unsere Armee; sie ist die Werkstatt der Demokratie und die Schule der Entsagung. Geben wir uns keinen leichtfertigen Einbildungen hin ; der wirksamste Schutz unserer Unabhängigkeit ist unser Gewehr und unser Schwert. Im Heer soll unser Volk sich verschmelzen wie in einem Tiegel. Wir wollen die Kräftigsten und Gebildetsten unter der Tessiner Jugend anspornen, in den soldatischen Wettbewerb einzutreten und die militärischen Grade zu erringen, damit die Führung der Tessiner Truppen, nach Massgabe des Verständigen und Möglichen, Tessiner Bürgern anvertraut werde, jawohl! Aber lassen wir jedes Wort ·beiseite, welches die Disziplin unserer Miliztruppen in Mitleidenschaft zieht; denn die wahre Disziplin, weil unbedingt, verträgt keine Unterscheidung nach Klassen oder Rassen. Wenn die Elementar- und Mittelschule auf die Entfaltung und Pflege der geistigen Eigenart und der angeborenen Vorzüge · eines jeden mit eidgenössischen Volksstammes ausgeht, so will die Armee dagegen der feierlichste Ausdruck der helvetischen Einheit sein.

Dank euch, o Tessiner, für die festliche Aufnahme, welche ihr in allen Gegenden dieses gastlichen Landes den miteidgenös ·sischen Truppen bereitet habt; diese erwidern
sie euch mit überquellender Zuneigung und Liebe !

Fort für ,immer mit den Vorurteilen und Zweideutigkeiten !

Der eine oder andere unglückliche Zwischenfall der verflossenen

64 Monate hat vielleicht, an der Oberfläche und für einen Augenblick, die öffentliche Meinung aufgeregt. Wir leben in unsicheren und ungewöhnlichen Zeiten, und deshalb hat die Bundesversammlung dem Bundesrat Generalvollmachten für die Staatsleitung übertragen. Die Kompetenzen der bürgerlichen und der militärischen Behörden sind nicht überall klar ausgeschieden ; das Tessin wie der Jura, wie Basel, wie Graubünden und Wallis, ist als Heeresbereich erklärt worden. Es ist nicht erstaunlich, wenn dann und wann Anlass /u Meinungsverschiedenheiten entsteht.

Die militärischen Behörden ersuche ich, den eigenen Eifer zu zügeln und im Auge zu behalten, dass ihre Gewalten aus Ausnahme Verhältnissen sich ableiten; und die bürgerlichen Behörden bitte ich, einige vorübergehende Verzichtleistungen auf Kosten ihrer sonstigen Rechte auf sich nehmen zu wollen ; allen zusammen empfehle ich das gegenseitige Vertrauen und den Geist der Versöhnlichkeit, welcher Ärger, üble Laune und Bitterkeit auf dem Altar des Vaterlandes a u f o p f e r t . . . .

Zu den Miteidgenossen, welche sich anscheinend mitunter ohne triftigen Grund beunruhigen, wenn die Tessiner allzu laut ihre Forderungen und Sympathien hinsichtlich Sprache und Rasse betonen oder mit Ungeduld gegen die Idee einer allzu einförmigen Staatsdisziplin sich auflehnen, diesen Miteidgenosscn sage ich : ,,Miteidgenossen ! ennetbirgische Brüder ! lasset ab von der Angst und von den Befürchtungen und fahret nicht zusammen wegen jeden Windhauchs oder jeden Blätterrauschens ! Wenn die Tessiner, nach drei langen Jahrhunderten schmerzlicher Untertanenschiift, schon von 1798 ab erklärten, frei sein zu wollen, aber Schweizer, und wenn sie zur Antwort für die Abgesandten der cisalpinischuu Republik auf dem grossen Platz in Lugano stolz den Tellenhut aufpflanzten, so war es, weil sie gefühlt und begriffen hatten, dass es die geschichtliche Bestimmung des Tessins sei, sein eigenes Geschick mit den Geschicken der Schweiz zu verknüpfen. Das Tessin, wachsamer Vorposten arn Südwall der Lepontinisclien Alpen, musste sich verbrüdern mit einem freien Volke, das stolz ist auf seine demokratischen Einrichtungen, aber zur BeruhigungEuropas, fernab steht von jedem Gedanken der Ausdehnung oder der Eroberung. Das Tessin ohne die Schweiz musste aus Rang und Art fallen, die Schweiz ohne das
Tessin sähe ihr ureigenes Staatsideal verstümmelt. Für die Vaterlandsliebe aller Tessiner, ohne Unterschied der Klasse, der Stellung und der Partei, würde ich, wenn nötig, selbst mich verbürgen, im Angesicht aller Volksstämme der Eidgenossenschaft ; denn ich weiss, dass meine Mit-

65 bürger, wenn sie zu Hause leben, die Scholle ehren und verehren, welche sie Tag für Tag im Schweisse ihres Antlitzes bebauen, und dass sie, wenn sie weit weg aus der Heimat auswandern, nach nichts anderem träumen und seufzen, als einmal heimzukehren, um in einigem "Wohlstand zu leben und dann zum letzten Schlaf sich hinzulegen, an der Seite der Grabstätte der Väter.

Zu den Tessinern sage ich : Liebet eure Miteidgenossen ! die Eidgenossenschaft ist eine Gemeinschaft freier Leute, welche die verwerflichen Künste der Herrschsucht so wenig mehr kennen, als die vergiftenden Gefühle des Vergewaltigtseins. Die Natur hat jedem Volksstamm seine eigenen Vorzüge geschenkt: dem deutschen Stamm den Sinn für Ordnung, Organisation und Gesetztheit, dem welschen den Genius und sozusagen die Leidenschaft der Freiheit und des individuellen Rechts, und dem unsrigen die zutrauliche Arglosigkeit des Herzens und das Feingefühl für alle Schönheit, die lachend über unsere Seen, unsere Hügel und Täler ausgegossen ist und die jedesmal, wenn das Glück mir die Bucht von Lugano vor Augen führt, an einem Frühlingsabend vom Damm von Melide aus, mir einen Lobgesang entreisst auf die Natur und ihren Schöpfer. Unsere Aufgabe ist es, diese Vorzüge einander zu übertragen und die einen von den anderen zu lernen; es ist die Pflicht der gebildeten Schweizer der neuen Generationen, die Landessprachen sich anzueignen, damit in Zukunft das Schauspiel verschwinde von Brüdern, welche sich nicht verstehen oder sich als Fremdlinge anschauen. Und was den Zweifel und den Verdacht betrifft, als ob die Eidgenossenschaft das Tessin nach Ausnahmeregeln oder wie ein Land minderen Rechts behandle, o lasst mich niemals mehr dieses unselige Wort hören ! Der Bund war nie und wird nie taub sein, wo es sich um eine berechtigte Forderung des Tessins handelt, denn das Tessin -- ich bezeuge es hier vor dem Denkmal unserer Unabhängigkeit, als höchste Amtsperson der Republik und nach drei und mehr Jahren der persönlichen Erfahrung im Schoss der eidgenössischen Regierung -- das Tessin ist der Lieblingssohn der gemeinsamen Mutter.

0 Vaterland, an diesem Tage, welcher dein Geburtstag ist, schliessen wir uns, eines Herzens, um dich zusammen !

Wenn dieses' oder das kommende Jahr uns trübe Tage unerwarteter Prüfungen bringen sollten, so geloben wir, sie mutig auf uns zu nehmen ; wenn du von uns auch das Leben forderst, siehe : wir opfern es dir freudig.

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Unsern Gruss voll Hochachtung und menschlicher Teilnahme all den Helden, welche für ihr Vaterland sterben, zu Land und zu Wasser, in Belgien, in Polen, in Flandern, am Isonzo, gegen Sonnenaufgang und gegen Sonnenuntergang! Dir aber, schweizerisches Vaterland, das du uns bis zur Stunde die unschätzbare Wohltat des Friedens bewahrt hast, dir geloben wir, dass wir von heute an, wenn wir die Richtlinien für unsere Meinung suchen, vor allen anderen an dich denken werden, und dass wir, aus Liebe zu dir, eingedenk des Rates von Bruder Klaus, nie die Sache anderer zur unseren machen wollen, wenn sie nicht mit deiner Sache im Einklang steht.

Beseelt von diesen Gefühlen, Mitbürger, empfehle ich das Vaterland in den Schutz des Allerhöchsten und rufe mit euch: Es lebe die Schweiz ! Es lebe das Tessin !

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Aus den Verhandlungen des Bundesrates.

(Vom 27. Juli 1915.)

Dem zum spanischen Berufskonsul für die ganze Schweiz, an Stelle des versetzten Herrn Ramon Abella, mit Sitz in Genf, ernannten Herrn Manuel de la Escosura y Fuertes wird das Exequatur erteilt.

Das Volkswirtschaftsdepartement wird ermächtigt : 1. Der Genossenschaft schweizerischer Käseexportfirmen das ausschliessliche Recht zur Ausfuhr von Käse in Form von Einzelbewilligungen oder periodischen Bewilligungen zu übertragen.

2. An die Ausfuhrbewilligungen alle die Bedingungen zu knüpfen, die im Interesse der Lebensmittelversorgung des Landes liegen.

Das Finanzdepartement hat folgende Schenkungen erhalten, deren Betrag; wie folgt überwiesen wurde :

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Kreisschreiben des Bundesrates an sämtliche Kantonsregierungen betreffend Verwendung des Notstandsfonds für Hülfsbedürftige. (Vom 30. Juli 1915.)

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1915

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31

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

04.08.1915

Date Data Seite

57-66

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