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Bundesratsbeschluss über

den Rekurs der Gebrüder Dreifus in Zürich, betreffend Zutritt zur Börse.

(Vom 1. Oktober 1897.)

Der schweizerische Bundesrat hat

über den Rekurs der Gebrüder D r e i f u s in Zürich, betreffend Zutritt zur Börse, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Die Statuten des Effektenbörsenvereins Zürich vom Jahre 1896 bestimmen in § 31 : ,,Personen, welche den Börsensitzungen beiwohnen wollen, haben sich durch ein Mitglied des Börsenvereins einführen und in das für Börsenbesucher aufliegende Register eintragen zu lassen.

,,Auf Antrag des Vorstandes und durch Beschluß der Generalversammlung können Nichtmitgliedern, welche die Börse regelmäßig besuchen, Jahreskarten gegen eine von der Direktion des Innern zu genehmigende Gebühr verabfolgt werden. "

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Dieso Bestimmung wurde, in Verbindung mit dem übrigen Inhalt der Statuten, vom Zürcher Regierungsrat den 3. September 1896 auf Grund des § 22 des Zürcher Gesetzes betreffend den gewerbsmäßigen Verkehr mit Wertpapieren, vom 31. Mai 1896, genehmigt, entgegen dem Begehren des Louis Dreii'us, Teilhabers der Firma Gebrüder Dreifüs, Bank-, Effekten- und Kommissionsgeschäft in Zürich. Dreifüs hatte nämlich den 21. Juli 1896 das Gesuch an die Zürcher Regierung gerichtet, sie möchte den fraglichen Statuten die Genehmigung versagen und ,,der Börsenvereinigung aufgeben, ein neues Statut zu entwerfen, in welchem insbesondere die Requisite genau vorgeschrieben sind, unter welchen es ihr zusteht, Nichtmitglieder zur Börse zuzulassen oder von derselben auszuschließen".

II.

Das Gesuch der Gebrüder Dreifüs um Verabfolgung einer Jahreskarte zum Börsenbesuche irn Sinne des angeführten § 31 der Statuten wurde den 14. September 1896 vom EffektenbörsenVerein ohne nähere Angabe der Gründe abschlägig beantwortet.

Die Gebrüder Dreifüs beschwerten sich über diese Abweisung den 2. November 1896 bei der Zürcher Regierung, weil sie ein ganz willkürlicher Akt sei, der weder vor dem Gesetze noch vor der Bundesverfassung Bestand haben könne.

Den 12. Dezember 1896 wies der Regierungsrat des Kantons Zürich diese Beschwerde als unbegründet ab ; zur Begründung dieser Entscheidung schließt er sich den Ausführungen an, die der Effektenbörsenverein in seiner Rekursbeantwortung vom 12. November vorgebracht hatte. Diese Ausführungen sind im wesentlichen folgende : Laut § 21 des Gesetzes betreffend den gewerbsmäßigen Verkehr in Wertpapieren, vom 31. Mai 1896, bilden sämtliche Börsensensale und Börsenagenten eines Verkehrsplatzes eine Vereinigung, die ihre regelmäßigen Zusammenkünfte in einem bestimmten Lokale (Börse) hat. Dieser Verein bildet insofern einen Zwangsverein, als jeder Börsensensal und Börsenagent, der die staatliche Bewilligung als solcher erhalten hat, diesem Verein von Gesetzes wegen angehört. Die Beschwerdeführer Dreifüs gehören ohne weiteres dem Effektenbörsenvereine an, wenn sie von der Direktion des Innern die Bewilligung zur Ausübung des Berufes eines Börsenscnsals oder Börsenagenten erhalten ; alsdann steht ihnen auch der Zutritt zur Börse offen.

Bestimmungen über die Zulassung von Börsenbesuchern, die nicht Mitglieder der Börsenvercinigung sind, behält § 22, litt, d,

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des Gesetzes den Statuten des Vereins vor; diese Bestimmungen sind in dem regierungsrätlich genehmigten § 31 der Statuten enthalten.

Die Gebrüder Dreifus können sich weder über die Statuten selbst, deren Rechtsbeständigkeit sie durch ihr Gesuch um Vcrabfolgung einer Jahreskarte anerkannt haben, noch über deren Handhabung beklagen. Durch das Institut des Börsenkommissariates ist in genügender Weise Vorsorge getroffen tür eine gehörige Kontrolle des Verkehrs mit Wertpapieren ; zudem hat jeder Auftraggeber das Recht, von seinem Beauftragten den Gegenschlußzottel zu verlangen, und kann sogar im Zweifelsfalle die Hülfe des Börsenkommissärs in Anspruch nehmen, um das Geschäft auf seine Richtigkeit prüfen zu lassen. Der Zweck des Gesetzes, möglichen Mißbräuchen und Ausschreitungen im Verkehr mit Wertpapieren an der Börse zu begegnen, wird nur dadurch erreicht, daß, abgesehen von der sorgfaltigen Auswahl der Börsensensale und Börsenagenten, der Zutritt zur Börse nicht jedermann freigestellt ist.

Es muß sodann in erster Linie den Mitgliedern des Effektenbörsenvereins das Entscheidungsrecht darüber zustehen, wer in ihrem eigenen Lokale zu verkehren befugt ist, sonst könnte die Börse der Tummelplatz für Neugierige u. s. w. werden. Es liegt auch vom Gesichtspunkte der Gewerbeausübung keine Notwendigkeit vor, den Börsenbesuch jedermann zu gestatten, und so muß dem Verein die Befugnis zustehen, jedem, den er nicht für geeignet hält, die Interessen der Börse zu fördern, ohne Angabe von Gründen, die Jahreskarte zu verweigern.

Endlich bildet ein in Nr. 279 der Basler Nationalzeitung von 1895 erschienener Artikel, welcher die schwersten Angriffe und Beschuldigungen gegen die Zürcher Börse enthält und allgemein einem der Teilhaber der Firma Gebrüder Droifus zugesehrieben wird, einen entscheidenden Grund zur Mißstimmung gegen die Beschwerdeführer.

m.

Die angeführte Nummer 279 der Basler Nationalzeitung von 1895 enthält insbesondere folgende Darstellung der Zürcher Börsenverhältnisse : ,, Am Zürcher Platze sind die sogenannten Börsenagcnten zu einem Großteil Spekulanten ; sie führen die ihnen übermittelten Aufträge als Selbstkontrahenten aus. Selbstkontrahent identifiziert sich hier gar häufig mit demjenigen, der seine Selbst- oder Sonderinteressen wahrnimmt In krisenartigen Zeiten bildet diese

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eigentümliche Stellung als Selbstkontrahent dem Zürcher Börsenagenten ein einträgliches Operationsgebiet, ganz besonders wenn er eigene spekulative Positionen unterhält und von der Kundschaft im gleichen Papier Kaufs- und Verkaufsaufträge erhält, die ihm erlauben, ohne die Interessen der Kundschaft zu wahren, einfach ZVL kompensieren. Als Beispiel dürfte der Markt in Chamern vom 13. November, vormittags, dienen. Es sind am genannten Tag größere Kaufsordres zum Kurs von 860 und 850 an den Markt gelegt worden, während auch größere Aufträge für Exekutionsund Bestensverkäufe vorlagen. Zu 860 und 850 sind nur sehr wenige Stücke gehandelt worden. Der Kurs fiel sofort auf 841.

Während ein Großteil der Kaufsaufträgo den vertrauensseligen Kunden zu den Hochkursen aufgegeben worden sein dürfte, dürften die Verkaufsaufträge zu den niedrigem Notierungen in Verrechnung gestellt worden sein. Für normale Zeiten, wo die Schwankungen unbedeutender sind, existiert ein anderes beliebtes Mittel. Einen Agenten, der von seinen Kunden einen größeren Kaufs- oder Verkaufsauftrag erhält, befriedigt ein besonders niedriger Geldkurs oder er acceptiert ohne weiteres einen allzuhoch gestellten Briefkurs; er findet dann natürlich gute Gelegenheit, den Rest seines erhaltenen Auftrages zu niedrigeren Kursen zu decken oder zu höheren Kursen zu verkaufen, während er seinem Auftraggeber die Ordre, wie oben geschildert, nach Konvenienz aufgeben kann ; er ist durch den im offiziellen Kursblatt festgestellten Kurs legitimiert.

Die Zürcher Börsenagenten nennen diesen True einen ,,Kurs malen".

Diese ,,Kursmalerei" ist zwar nicht so sehr von nöten, da die Kursschwankungen hierfür in der Regel genügenden Spielraum lassen Der Zürcher Börse fehlt eben die an anderen größeren Börsen bestehende Einrichtung des ,,ersten Kurses", durch welchen die willkürliche Feststellung eines Kurses durch den Börsenmakler und eine Übervorteilung des Publikums ausgeschlossen ist In Zürich ist der Börsenagent vollständig frei. Als Spekulant und Selbstkontrahent dient ihm das Publikum, das ihm seine Aufträge anvertraut, als geeigneter Vorspann. Der Börsenkommissär in Zürich ist nicht in der Lage, Sonderabmachungen zweier Börsenagenten zu erkennen, wie solche vorkommen, ebensowenig kann er die ,,Kursmalereiu hindern, indem man solche Manöver sehr legitim
ausführen kann ! Wer also mit der Börse zu verkehren hat, wird in den meisten Fällen nur dadurch eine korrekte oder wenigstens nicht zu beanstandende Ausführung seines Auftrages erzielen können, daß er Gelegenheit findet, an der Börse selbst die Ausführung seines Auftrages zu überwachen. Dies gilt speeiell

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in Zeiten krisenhafter Zustände, wie sie jetzt herrschen. Die Zürcher Börsenagenten wollen aber ihr Dorado nicht entweiht, ihr Thun nicht kontrolliert wissen.

,,Während an allen europäischen Börsen des Festlandes der Zutritt zu den Börsen frei ist oder jedem unbescholtenen, in bürgerlichen Ehren und Rechten dastehenden Manne gegen Zahlung einer entsprechenden Gebühr gewährt werden muß, haben die Zürcher Börsenagenten das Privilegium zu wahren gewußt, Drittpersonen je nach Belieben vom Besuche ihres Tempels auszuschließen ,, Dies sind illegale, mit der allgemeinen Moral und der Gerechtigkeit unverträgliche Zustände, die den Vorschriften der kantonalen und der Bundesverfassung gerade zuwiderlaufen. Man schaffe wieder beeidigte Sensale, die nicht für eigene Rechnung spekulieren und Geschäfte abschließen dürfen und die dadurch eine Gewähr für korrekte Ausführung bieten, oder es werde zum mindesten eine klare Bestimmung in das im Entwurfe liegende Börsengesetz aufgenommen, wodurch Gelegenheit geschaffen wird,, daß der Interessent dem Börsenverkehr beiwohnen und seine Interessen selbst wahren kann. Es ist ein schreiendes Mißverhältnis,, wenn der Börsenagent das Privilegium für Vermittlung von Börsenabschlüssen hat und dabei SensaL, Spekulant und Selbstkontrahent in einer Person sein kann. Es existieren unter den Zürcher Börsenagenten recht gewissenhafte Persönlichkeiten ; sie kommen aber selbstredend in die Gefahr, bei Verfolgung ihrer eigenen Interessen diejenigen ihrer Auftraggeber zu verletzen, wie nachgewiesen ist.""

IV.

Gegen die Entscheidung der Zürcher Regierung vom 12. Dezember 1896 haben die Gebrüder Dreifus den 5. Januar 1897 den staatsrechtlichen Rekurs an den Bundesrat wegen Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit und Verletzung der Gleichheit vor dem Gesetz ergriffen ; sie machen geltend : Der Regierungsrat scheint anzunehmen, der an ihn gerichtete Rekurs habe schon aus formellen Gründen abgewiesen werden müssen, weil er sich nur als eine Wiederholung der vom Regierungsrate als unbegründet erklärten Eingabe vom 21. Juli 1896 gegen die damals im Entwurfe vorliegenden Statuten darstelle.

Allein durch die Abweisung des Begehrens um Nichtgenehmigung der Statuten sind die Rekurrenten keineswegs des Rechtes zur Beschwerdeführung wegen der Anwendung dieser Statuten verlustig gegangen, denn erst durch die Anwendung der angefochtenen Be-

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Stimmung werden sie in ihren verfassungsmäßigen Rechten verletzt.

Es kann daher auch nicht gesagt werden, die Gebrüder Dreifus haben die Gültigkeit des § 31 der Statuten anerkannt.

Die Rekurrenten bestreiten, daß der oben mitgeteilte, in der Basler Nationalzeitung erschienene Artikel, welchen der Zürcher Börsenverein als Grund seiner Mißstimmung anführt, von ihnen direkt oder indirekt herrühre oder inspiriert sei. Die Zulassung zur Börse sollte übrigens nicht von Stimmungen abhängig sein.

Die Geschäftsleute, welche den Börsensensalen oder Börsenagenten Aufträge geben, haben ein hohes Interesse daran, freien Zutritt zur Börse zu haben. Wer hier anwesend ist, kann die Chancen der Kursschwankungen für sich ausnützen; wer nicht da ist, erfährt den Kurs erst später, wenn die Konjunktur durch andere schon ausgenützt ist; er arbeitet unter weit schwierigeren Bedingungen, als der erste. Da den Börsensensalen nach § 13 des Gesetzes der Abschluß von Geschäften auf eigene Rechnung nicht gestattet ist, so giebt es thatsächlich an der Zürcher Börse keine Sensale, sondern nur Börsenagenten; diese dürfen aber als Selbstkontrahenten in die von ihnen abzuschließenden Geschäfte eintreten.

Bei der dabei entstehenden Interessenkollision zwischen den Agenten und den Auftraggebern ist eine Kontrollierung jener durch diese durchaus erforderlich. Der Auftraggeber will sich selbst davon überzeugen, ob der Agent den wirklich erzielten Kurs und nicht zu seinem Vorteil einen anderen in Rechnung stellt, was er ja als Selbstkontrahent, sofern er nur die Limite einhält, unter Umständen, ohne eine Widerrechtlichkeit zu begehen, thun kann.

Wenn auch die Börse dem Effektenverein gehört, so steht es doch diesem nicht zu, nach Gutdünken über die Zutrittsberechtigung von Nichtmitgliedern zu entscheiden. Das Gesetz, welches selbst den Fall des Besuches der Börse durch Nichtmitglieder vorsieht und durch die Statuten geregelt wissen will, wollte gewiß nicht dem Börsenverein diese schrankenlose Kompetenz einräumen.

Mit der den Rekurrenten eröffneten Möglichkeit, selbst Mitglieder des Börsenvereins zu werden, ist ihnen nicht geholfen ; den Sensalen ist es verboten, auf eigene Rechnung Geschäftsabschlüsse zu machen, und was die Stellung der Agenten betrifft, so genügt, von anderm abgesehen, darauf aufmerksam zu machen, daß sie eine
Jahresgebühr von Fr. 500 und eine Kaution von Fr. 20,000 zu leisten haben und sich die Prüfung ihrer Bücher durch den Börsenkommissär gefallen lassen müssen und anderen vexatorischen Maßregeln unterworfen sind.

389 Die staatliche Aufsichtsbehörde hat die Pflicht, dafür zu sorgen, daß durch Beschlüsse eines ihrer Aufsicht unterstellten korporativen Verbandes die verfassungsmäßigen Rechte der Bürger nicht geschmälert werden.

Den Rekurrenten kommt es lediglich darauf an, die Zulassung zur Börse zu erlangen; sie fechten daher in erster Linie den regierungsrätlichen Entscheid vom 12. Dezember 1896 als verfassungswidrig an, eventuell auch die demselben zu Grunde liegenden Bestimmungen des Gesetzes und der Statuten des Zürcher ßörsenvereins.

V.

In seiner Veruehmlassung vom 15. März 1897 bemerkt der Regierungsrat des Kantons Zürich, die Abweisung der Beschwerde beantragend, zuerst, daß die Frage der Verspätung des Rekurses in der angefochtenen Entscheidung nicht urgiert worden sei ; die Verweigerung der Zulassung der Rekurrenten zur Börse sei übrigens materiell gerechtfertigt aus folgenden Gründen: Die Börse ist nach § 21 des Gesetzes vorn 31. Mai 1896 ein korporativ organisiertes Institut; das Recht der Niehtmitglieder, an der Börsenversammlung teilzunehmen, ist somit von vornherein ein prekäres. Der Hauptzweck der gesetzlichen Regulierung des Börsenverkehrs war von Anfang an, ,,die frühere, sozusagen wilde Versammlung von Börsenbesuchern, zu der alle Welt herzulaufen konnte, durch einen mitgliedschaftlich abgeschlossenen Verein zu ersetzen, dessen Thätigkeit sich staatlich beaufsichtigen und kontrollieren läßtu.

Das Gesetz schließt allerdings die Zulassung von Nichtmitgliedern zur Börse nicht aus ; allein es wollte doch der Börsenvereinigung, namentlich in Bezug auf Zulassung von Nichtmitgliedern, eine gewisse Selbständigkeit wahren.

Es ist übrigens weder gegen die bezüglichen Bestimmungen der Statuten, noch gegen ihre Anwendung auf den vorliegenden Fall etwas einzuwenden. Liegt es doch schon im Hausrecht begründet, daß irgendwie zweifelhafte Gäste ferne gehalten werden können ; überdies ist der ,,Ruf der Börse zu difficil, um nicht auf völlige Integrität bedacht sein zu sollen11.

Louis Dreifus hat endlich keineswegs beweisen können, daß er nicht der Autor der gegen die Zürcher Börse gerichteten Korrespondenz vom 25. November 1895 in der Basler Nationalzeitung sei.

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B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

1. Unrichtig ist die Auffassung, daß die Beschwerde der Gebrüder Dreifus sich lediglich als eine Wiederholung des an den.

Regierungsrat gerichteten Gesuches vom 21. Juli 1896 um Nichtgenehmigung der jetzt bestehenden Statuten des Effektenbörsenvereins Zürich darstelle; denn wenn es dem Einzelnen zusteht,, bei den kompetenten Behörden Schritte zu thun, um das Zustandekommen einer Norm zu verhindern, durch die er sich in seinen verfassungsmäßigen Rechten gefährdet glaubt, so muß ihm, auch nachdem die angefochtenen Bestimmungen formell rechtsgültig geworden sind, die Befugnis zustehen, die Behörden um Schutz gegen deren Handhabung anzugehen.

2. Unzulässig, ist ferner die Annahme, die Gebrüder Dreifus hätten die Rechtsgültigkeit der Bestimmung des § 31 der in Frage stehenden Statuten anerkannt, indem sie auf Grund dieser statutarischen Vorschrift eine zum regelmäßigen Besuche der Börse berechtigende Jahreskarte verlangt haben. Es braucht nicht entschieden zu werden, ob eine stillschweigende Anerkennung in diesem Nachsuchen einer Jahreskarte zu erblicken ist ; denn selbst wenn eine ausdrückliche Anerkennung seitens der Rekurrenten vorläge, wäre dieselbe völlig irrelevant. Eine an sich verfassungswidrige obrigkeitliche Vorschrift kann nicht durch die Anerkennung eines Bürgers Gültigkeit erlangen ; sie bleibt vielmehr ungültig ; und jeder Bürger, selbst jener, der sich einmal ihr unterworfen hat, kann jederzeit unter Hinweisung auf ihren verfassungswidrigen Charakter verlangen, daß ihr die rechtliche Wirksamkeit abgesprochen werde (vgl. auch v. Salis, Bundesrecht, II, Nr. 455).

II.

1. Indem der Zürcher Gesetzgeber am 31. Mai 1896 ein Gesetz betreffend den gewerbsmäßigen Verkehr mit Wertpapieren erlassen hat, hat er von der ihm durch Art. 31, litt, e, der Bundesverfassung vorbehaltenen Befugnis Gebrauch gemacht, Verfügungen zu treffen über Ausübung von Handel und Gewerbe und über Besteuerung des Gewerbebetriebes unter Wahrung des Grundsatzes der Handels- und Gewerbefreiheit. Er ist auf dem Wege, den er im Jahr 1883 mit dem Gesetze betreffend die Gewerbe derEffektensensale und Börsenagenten betreten hat, weiter geschritten. Nicht

391 allein das Gewerbe der Effektensensale und Börsenagenten, sondern der gewerbsmäßige Verkehr mit Wertpapieren im allgemeinen (ausgenommen Wechsel, wechselähnliche Papiere und Schuldbriefe) ist einer bestimmt normierten staatlichen Aufsicht unterstellt.

Während aber Börsensensale und Börsenagenten zur Ausübung ihres Gewerbebetriebes einer staatlichen Bewilligung bedürfen, die vom Vorhandensein bestimmter Requisite in der Person des Petenten abhängig gemacht wird, haben andere Personen und Gesellschaften, die, ohne Börsenagent oder Börsensensal sein zu wollen, den Verkauf und Kauf von Wertpapieren (vorbehalten Prämienlose) gewerbsmäßig betreiben oder vermitteln wollen, ihren Geschäftsbetrieb und ihr Geschäftsdomizil bei der Direktion des Innern anzumelden (§ 2 des Gesetzes). Der Unterschied beider Kategorien von Gewerbetreibenden liegt darin, daß sämtliche Börsensensale und Börsenagenten eines Verkehrspiatzes eine Vereinigung bilden, die ihre regelmäßigen Zusammenkünfte in einem bestimmten Lokale (Börse) hat (§ 21 des Gesetzes), daß dagegen die übrigen mit Wertpapieren gewerbsmäßig Handel treibenden Personen und Gesellschaften von dieser Vereinigung ausgeschlossen sind. Gerade dadurch, daß der Zürcher Gesetzgeber den gewerbsmäßigen Verkehr init Wertpapieren in den Händen einer bestimmten Anzahl von Börsensensalen und Börsenagenten nicht monopolisiert, ferner dadurch, daß er diesen Verkehr nicht an der Börse konzentriert, wahrt er das verfassungsmäßige Prinzip der Handels- und Gewerbefreiheit. Immerhin ist der auf Grund der citierten §§ 2 und 21 des Gesetzes konstituierte Effektenbörsenverein Zürich keine bloße private Vereinigung, und ebensowenig ist die Börse dieser Vereinigung, die Effektenbörse Zürich, ein reines Privatinstitut; der Verein ist nicht nur eine Zwangskorporation, sondern auch der einzige, rechtlich zulässige Verein seiner Art auf dem Platz Zürich, und ebenso ist die Börse dieses Vereins die einzig rechtlich zulässige Effektenbörse in Zürich ; sagt ja § 27 des Gesetzes, in Anlehnung an § 17 des Gesetzes aus dem Jahre 1883 (vgl. v. Salis, Bundesrecht, H, Nr. 596, p. 205, 206, 210) deutlich: ,,Alle außerhalb der in § 21 dieses Gesetzes vorgesehenen Börsenvereinigung stehenden Sondervereinigungen, welche sich zu dem Zwecke bilden, die Vorschriften dieses Gesetzes zu umgehen, sind
untersagt". Es ergiebt sich also, daß zwar nicht der gewerbsmäßige Verkehr in Wertpapieren überhaupt der Börse des ,,Effektenbörsenvoreins Züricha vorbehalten ist, wohl aber der b o r s en m ä ß i g e Verkehr in Wertpapieren.

Bnndesblatt. 49. Jahrg. Bd. IV.

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2. Es wäre nun von Bundes wegen nichts dagegen einzuwenden gewesen, wenn der Zürcher Gesetzgeber den Börsenbesuch auf die Mitglieder der Börsenvereinigung beschränkt hätte ; er hätte damit dem Gedanken Ausdruck gegeben, daß die ,,völlige Integrität" der Börse, auf die mit Recht großes Gewicht gelegt wird, nur erhalten werden kann, wenn jedes korporationsfremde Element, das sich sowohl der genossenschaftlichen wie der staatlichen Kontrolle ohne große Schwierigkeit entziehen kann, von der direkten Teilnahme am Geschäftsverkehr in und auf der Börse ferngehalten wird. Der Zürcher Gesetzgeber hat sich nicht auf diesen Boden gestellt ; vielmehr geht er davon aus, daß außer den Börsenagenten und Bürsensensalen auch andere Personen an den regelmäßigen Zusammenkünften der Börsenvereinigung, d. h. eben an der Börse, teilzunehmen befugt sind. Dabei handelt es sich natürlich nicht um gelegentliche Börsenbesucher, die etwa aus Neugierde oder aus einem Interesse, das kein geschäftliches Interesse ist, einer Börsenversammlung beiwohnen, es handelt sich auch nicht um Personen, die Börsenaufträge erteilt haben und nun die redliche Ausführung dieser Aufträge durch die beauftragten Börsonagcnten oder Börsensensalc zu überwachen gedenken ; es handelt sich vielmehr um regelmäßige Börsenbesucher, die durch ihre Anwesenheit bei der börsenmäßigen Zusammenkunft ihre wirtschaftlichen Interessen wahren wollen. Da während der Börsenstundon der Kurs der Wertpapiere oft sehr bedeutenden Schwankungen unterliegt, so kann der Börsenbesucher die augenblickliche Situation geschäftlich in vorteilhafter Weise ausnützen, indem er je nach der Konjunktur sofort Wertpapiere kauft oder verkauft oder einen Kaufauftrag oder einen Verkaufauftrag erteilt. Die Zutrittsbewilligung zur Börse ist aber im Gesetz vom 31. Mai 1896 nicht 'direkt festgesetzt. Während beispielsweise der baselstädtische Gesetzgeber in seinem Gesetz betreffend die Effektenbörse vom 8. April 1897 (§§ 10, 11) den Kreis der zur Börse zutrittsborechtigten Personen genau umschreibt, begnügt sich der Zürcher Gesetzgeber durch § 22 des Gesetzes die Börsenvereinigung zu verpflichten, Statuten aufzustellen und die Statuten dem Regierungsrato ziu1 Genehmigung zu unterbreiten : in diese Statuten müssen insbesondere auch Bestimmungen über die Zulassung von Börsenbesuchern aufgenommen
werden. Indern nun durch den regierungsrätlich vorbehaltlos genehmigten § 31, Absatz 2, der Statuten des Effektenbörsenvereins Zürich der regelmäßige Börsenbesuch von Personen, die nicht Mitglieder der Börsenvoreinigung sind, abhängig gemacht wird von einem Zulassungsbeschluß des durch seine Generalvev-

393 Sammlung vertretenen Vereins, wird sowohl die durch die Bundesverfassung gewährleistete Handels- und Gewerbefreiheit als auch die Rechtsgleichheit der Bürger verletzt. Denn es steht ganz im Belieben und in der Willkür der genannten Versammlung, ob sie die Zulassung eines Mitgliedes zur Börse gestatten oder vorsagen will; der durch sie Ausgeschlossene ist in der Ausübung seines Gewerbes gegenüber dem Zugelassenen insofern beschränkt, als er seine wirtschaftlichen Interessen während der Börsenstunden durch mündliche Aufträge im Börsenlokal nicht zu wahren in der Lage ist. Es darf daher nur aus bestimmten, durch die eigenartigen Verhältnisse und Bedürfnisse des Börsenverkehrs gerechtfertigten Giünden der Börsenzutritt besonders den Bankiers und anderen Personen, die den Handel mit Wertpapieren betreiben, verweigert werden.

Mag auch das Börsengebäude Eigentum des Börsenvoreins sein, so kommt dennoch der darin abgehaltenen Börse eine bestimmte öffentlich-rechtliche Bedeutung zu ; der Börsenverein hat daher nicht die Stellung eines beliebigen Hauseigentümers, der im allgemeinen den Eintritt in sein Haus nach freiem Ermessen gewähren oder versagen kann. Die Börse hat ferner auch nicht den Charakter einer Zusammenkunft eines einfachen Privatvereins ; mag auch ein einfacher Privatverein die Thüren seines Lokals vor Fremden verschließen nach seinem freien Belieben, so steht eben diese Befugnis dem privilegierten Börsenveroin nicht z u , und da die Börsenzusammenkünfte gewerbliche Zwecke verfolgen, so darf von zwei Gewerbetreibenden, die in gleicher Lage gegenüber dem Börsenverein sind, nicht der eine vor dem ändern grundlos bevorzugt oder grundlos schlechter gestellt werden.

Wohl könnte der auf Grund des § 31 der Statuten Ausgeschlossene den Zutritt zur Börse dadurch erreichen, daß er Börsenagent würde ; indessen liegt doch offenbar eine ungleiche, willkürliche Behandlung der Bürger vor, wenn z. B. der eine Bankier den Börsenzutritt nur dadurch erlangen kann, daß er sich den gesetzlichen Bestimmungen über die Börsenagenten unterzieht, während der andere Bankier ohne solche Auflage zur Börse Zutritt erhält.

Gerade wie nach den §§ 32 und 33 der Statuten aus genau festgesetzten Gründen bestimmten Personen in bundesrechtlich durchaus zulässiger Weise das ,,Zutrittsrecht entzogen" wird oder ,,der Zutritt
zu den Börsensitzungen zu verweigern ista, so ist es Sache des Börsenvereins, in § 31, Absatz 2, seiner Statuten, unter Ausschluß des freien Beliebens irgend eines Börsonorganes, diejenigen

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Gründe näher zu umsehreiben, auf welche gestützt die Organe des Effektenvereins Zürich die Verabfolgung von Jahreskarten zum regelmäßigen Börsenbesuche verweigern dürfen.

III.

Aus den bisherigen Erörterungen geht zur Genüge hervor, daß eine ,,Mißstimmung"1, wie sie unter den Börsenagenten und Börsensensalen Zürichs gegen die Gebrüder Dreifus wegen ihrer vermeintlichen oder wirklichen Beteiligung an dem oben mitgeteilten Artikel der Basler Nationalzeitung von 1895, Nr. 279, vorhanden ist, nicht genügt, um ihnen den regelmäßigen Zutritt zur Effektenbörse zu untersagen.

Demnach wird beschlossen: 1. Der Rekurs ist begründet.

'ö* 2. Die Regierung des Kantons Zürich wird eingeladen, dafür zu sorgen, daß dem Gesuch der Gebrüder Dreifus um Verabfolgung einer Jahreskarte zum regelmäßigen Börsenbesuch entsprochen und daß § 31, Absatz 2, der Statuten des Effektenbörsenvereins Zürich im Sinne obiger Erwägungen abgeändert wird.

B e r n , den 1. Oktober 1897.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesratsbeschluss über den Rekurs der Gebrüder Dreifus in Zürich, betreffend Zutritt zur Börse. (Vom 1. Oktober 1897.)

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1897

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06.10.1897

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383-394

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