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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die 45. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz und

Botschaft betreffend

die Ratifikation des Übereinkommens über die Abänderung der in früheren Übereinkommen enthaltenen Schlussartikel (Vom 4. Juni 1962)

Herr Präsident.

Hochgeehrte Herren, Gemäss den Bestimmungen der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation erstatten wir Ihnen hiemit Bericht über die 45. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz. Diesem Bericht fügen wir den Entwurf zu einem Bundesbeschluss betreffend die Genehmigung des Übereinkommens über die Abänderung der in früheren Übereinkommen enthaltenen Schlussartikel bei.

I. Allgemeines, Verhandlungen und Beschlüsse der Konferenz 1. Die 45. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz fand vom 7. bis 29. Juni 1961 in Genf statt. Die Tagesordnung umfasste folgende Gegenstände: 1. Bericht des Generaldirektors.

2. Finanz- und Budgetfragen.

3. Mitteilungen und Berichte über die Anwendung der Übereinkommen und Empfehlungen.

4. Verkürzung der Arbeitszeit (2. Beratung).

5. Arbeiterwohnungen (2. Beratung).

6. Beschäftigungsprobleme und Beschäftigungspolitik (allgemeine Beratung).

7. Berufliche Ausbildung.

1366 8. Gleichbehandlung von Inländern und Ausländern in der sozialen Sicherheit.

9. Entwurf eines Übereinkommens über die teilweise Abänderung der von der Allgemeinen Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation auf ihren ersten zweiunddreissig Tagungen angenommenen Übereinkommen zur Vereinheitlichung der Bestimmungen betreffend die Ausarbeitung von Berichten über die Durchführung der Übereinkommen durch den Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes.

10. Förderung des Wirtschaftswachstums und des sozialen Fortschritts in den Entwicklungsländern.

2. Unser Land war an der Konferenz durch eine Delegation vertreten, die sich aus dem inzwischen verstorbenen alt Bundesrat Dr. Eodolphe Bubattel und Herrn Dr. Max Holzer, Direktor des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit, als Begierungsvertreter, sowie Herrn Charles Kuntschen vom Zentralverband Schweizerischer Arbeitgeber-Organisationen, als Arbeitgebervertretor, und Herrn Jean Möri vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund, als Arbeitnehmervertreter, zusammensetzte. Herr Dr.Saxer, Direktor des Bundesamtes für Sozialversicherung, war stellvertretender Begierungsdelegierter. Der Delegation standen technische Berater zur Seite.

Zum Präsidenten der Konferenz wurde Herr M.Baschid, Minister für Industrie, Bergbau und Arbeit von Burma, gewählt. Nach Aufnahme von vier neuen Mitgliedern, Kuweit, Sierra-Leone, Islamische Bepublik Mauretanien und Tahganjika, zählt die Internationale Arbeitsorganisation gegenwärtig 102 Mitgliedstaaten. 94 Länder haben Delegierte nach Genf abgeordnet, so dass zusammen mit den technischen Beratern und Beobachtern über 1000 Personen anwesend waren. Die Aufnahme von Mauretanien ist von Seiten Marokkos' auf starke Opposition gestossen, da Blarokko Mauretanien als integrierenden Bestandteil seines eigenen Territoriums betrachtet. Dennoch sprachen sich die Mitgliedstaaten mit grossem Mehr für die Zulassung dieses neuen Staates aus, worauf die Delegation von Marokko demonstrativ die Konferenz verliess.

8. Die drei ersten Traktanden, mit denen sich die Konferenz alljährlich zu beschäftigen hat, geben uns zu folgenden Bemerkungen Anlass.

Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes befasste sich in seinem der Konferenz unterbreiteten Jahresbericht hauptsächlich mit den Arbeitsbeziehungen sowie mit der Tätigkeit
der Internationalen Arbeitsorganisation im Jahre 1960. In der anschliessenden Diskussion äusserten sich die über 200 Bedner vor allem zum Problem der Arbeitsbeziehungen und skizzierten ihre Auffassungen über den Weg, den die Internationale Arbeitsorganisation inskünftig auf diesem Gebiet beschreiten sollte.

Das von der Konferenz angenommene Budget für das Jahr 1962 beläuft sich auf 11 115 438 Dollar (9 857 110 für 1961). Der von der Schweiz zu entrichtende Beitrag wurde auf 1,30 Prozent (1,41 für 1961) festgesetzt, was einem Nettobetrag von 144 086 Dollar (138 103 für 1961) entspricht.

1367 Da der Mitgliederbestand, aber auch die Zahl der Konventionen, von Jahr zu Jahr zunimmt, gestaltet sich eine wirksame Kontrolle über die Anwendung der ratifizierten Übereinkommen immer schwieriger. Die mit dieser Kontrolle betraute Kommission prüfte unter dem Vorsitz von alt Bundesrat Eubattel, inwieweit die einzelnen Staaten ihre mit der Ratifikation der Übereinkommen eingegangenen Verpflichtungen erfüllen. Um die Durchführung dieser Aufgabe zu erleichtern, hat die Kommission beschlossen, an dem im Jahre 1959 versuchsweise eingeführten vereinfachten Verfahren festzuhalten, wonach die Berichte über die ratifizierten Übereinkommen nur alle zwei Jahre einzureichen sind. Die Konferenz hat diesem Beschluss zugestimmt.

4. Von der Konferenz sind zwei neue Urkunden, ein Übereinkommen und eine Empfehlung, angenommen worden, so dass heute die Zahl der Übereinkommen auf 116 und jene der Empfehlungen auf 115 angewachsen ist.

Die Frage der Arbeitszeitverkürzung, die im Jahre 1960 Gegenstand einer ersten Beratung bildete, kam 1961 erneut zur Behandlung und hätte zum Abschluss einer Empfehlung führen sollen. Die Empfehlung einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 40 Stunden, gegen die sich auch unsere Vertreter immer gewendet haben, erreichte jedoch in der Abstimmung, die gemäss den geltenden Bestimmungen durch Namensruf erfolgte, das nötige Quorum nicht. Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat in der Folge beschlossen, die Frage an der diesjährigen Tagung neuerdings auf die Tagesordnung zu setzen.

Im Zusammenhang mit diesem Traktandum hat die Konferenz durch die Annahme einiger Eesolutionen den Verwaltungsrat beauftragt, die Festlegung der Arbeitszeit für die Landwirtschaft, für die Hochseefischerei und für die Seeschiffahrt an einer der nächsten Tagungen zu behandeln und laufend Unterlagen über die Arbeitsdauer in den Mitgliedstaaten zu veröffentlichen.

Das Traktandum 5 über die Arbeiterwohnungen, das erstmals im vorhergehenden Jahr behandelt wurde, konnte 1961 mit der Annahme einer Empfehlung abgeschlossen werden, der alle Delegierten einmütig zugestimmt haben.

Wir werden in Abschnitt II darauf zurückkommen.

Beim Traktandum 6, Beschäftigungsprobleme und Beschäftigungspolitik, hat die Konferenz nach einer eingehenden Diskussion eine Eesolution angenommen. Neben verschiedenen
wirtschaftspolitischen Massnahmen zur Aufrechterhaltung der Vollbeschäftigung empfahl die Konferenz, die klassischen Methoden der Arbeitsmarktpolitik sowie der Organisation des Arbeitsmarktes anzuwenden, den regionalen und beruflichen Ausgleich von Angebot und Nachfrage an Arbeitskräften sicherzustellen sowie die berufliche Ausbildung in Zusammenarbeit mit den Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-Organisationen den Bedürfnissen der Wirtschaft anzupassen. Verschiedene Eedner haben dabei auf die Wichtigkeit einer intensiven wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den industrialisierten Ländern und den wirtschaftlich weniger entwickelten Ländern hingewiesen. Diese Zusammenarbeit sollte es ermöglichen, der anhaltenden Unterbeschäftigung und Arbeitslosigkeit in den Entwicklungsländern entgegenzu-

1368 treten und gleichzeitig in den industrialisierten Ländern die Produktivität zu fördern sowie die Arbeitsmöglichkeiten auszuweiten.

Die Konferenz hat den Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes beauftragt, dieses Thema im Hinblick auf die Annahme einer entsprechenden Urkunde spätestens im Jahre 1963 wieder auf die Tagesordnung zu setzen.

Das Traktandum 7 über die berufliche Ausbildung wird dieses Jahr erneut zur Beratung kommen und soll zur Annahme einer Empfehlung durch die Konferenz führen. Wir werden in unserem Bericht über die diesjährige Tagung darauf näher eingehen. Die in Aussicht genommene Empfehlung soll die früheren Urkunden aus dem Jahre 1939 über die berufliche Ausbildung und über das Lehrlingswesen sowie die Empfehlung aus dem Jahre 1950 betreffend die berufliche Ausbildung der Erwachsenen, einschliesslich der Invaliden, ersetzen.

Das neue Abkommen soll die bestehenden internationalen Normen kodifizieren und sie, auch unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklungsländer, den heutigen Bedürfnissen anpassen.

Die Konferenz hat die allgemeine Beratung über die Gleichbehandlung der In- und Ausländer in der sozialen Sicherheit (Traktandum 8) abgeschlossen. An der diesjährigen Tagung sollen ein Übereinkommen und eine Empfehlung ausgearbeitet werden. Wir werden uns im Bericht über die 46. Tagung damit näher befassen.

Im Zusammenhang mit diesem Traktandum hat die Konferenz einer Entschliessung zugestimmt, mit der die Mitgliedstaaten dringend aufgefordert werden, das Übereinkommen (Nr. 102) über die Mindestnorm der sozialen Sicherheit aus dem Jahre 1952 zu ratifizieren. In unserem Bericht über die 85. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz (BEI 1953 III 1013) haben wir die Stellungnahme der Schweiz zu dieser Konvention ausführlich begründet und dargelegt, warum eine Ratifikation beim gegenwärtigen Stand unserer Sozialversicherung noch nicht möglich ist. Diese Gründe bestehen im wesentlichen auch heute noch, obwohl seither unsere Sozialversicherung durch die Einführung der Invalidenversicherung weiter ausgebaut wurde.

Dem unter Traktandum 9 behandelten Übereinkommen über die teilweise Abänderung der in früheren Übereinkommen enthaltenen Schlussartikel, dem allerdings nur formeller Charakter zukommt, hat die Konferenz einmütig zugestimmt. Wir werden darauf in Abschnitt
III zurückkommen.

Traktandum 10 bildete Gegenstand einer einlässlichen Aussprache, die zur Annahme einer Entschliessung betreffend die wirtschaftliche und technische Hilfe zur Förderung des Wirtschaftswachstums und des sozialen Fortschritts in den Entwicklungsländern führte. Die Konferenz war einstimmig der Auffassung, dass diese Länder in ihren Bemühungen um die wirtschaftliche und soziale Entwicklung unterstützt werden sollten. Die Entschliessung fordert die Mitgliedstaaten auf, ihre Hilfe gegenüber den weniger entwickelten Ländern zu intensivieren, wobei die Souveränität und nationale Unabhängigkeit dieser Staaten voll

1369 gewährleistet bleiben soll. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Zurverfügungstellung von qualifizierten Experten sowie die Aufnahme von Stipendiaten und Stagiaires.

Durch Bundesbeschluss vom 13. Juni 1961 betreffend die technische Zusammenarbeit der Schweiz mit den Entwicklungsländern wurde der Bundesrat ermächtigt, die von ihm in Zusammenhang mit der technischen Hilfe als nützlich erachteten Vorkehren zu treffen. Der für die nächsten drei Jahre zur Verfügung stehende Kredit von 60 Millionen Franken soll für Beiträge an die Entwicklungsprogramme der Vereinten Nationen sowie für die bilaterale Hilfe verwendet werden.

Wie an früheren Tagungen hat die Konferenz schliesslich einer Eeihe von Eesolutionen zugestimmt, die auf der Tagesordnung nicht aufgeführt waren und folgende Gegenstände betreffen: Kampf gegen den Hunger, bezahlte Ferien, Probleme der älteren Arbeitnehmer, Gewerkschaftsfreiheit, Menschenrechte sowie regionale Tätigkeit der Internationalen Arbeitsorganisation. Anlass zu einer einlässlichen Diskussion gab die Kesolution über die Verurteilung der Apartheid-Politik der Südafrikanischen Union. Mit der Eesolution wurde der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes eingeladen, der Union nahezulegen, sich aus der Organisation zurückzuziehen, falls sie weiterhin an ihrer Apartheid-Politik festhalte. Die Eesolution wurde mit 163 Stimmen, bei 89 Enthaltungen, angenommen. Die schweizerischen Eegierungsdelegierten enthielten sich der Stimme.

II. Empfehlung (Nr. 115) betreuend Arbeiterwohnungen 1. Zielsetzung und Inhalt der Empfehlung a. Im ersten Teil der Empfehlung, der die allgemeinen Grundsätze enthält, werden neben dem Geltungsbereich die Ziele der innerstaatlichen Wohnungspolitik klargelegt. Danach sollten der Wohnungsbau sowie die Instandhaltung und Verbesserung bestehender Wohnungen gefördert und den Arbeitnehmern passende und preisgünstige Wohngelegenheiten ermöglicht werden. Eine zentrale staatliche Stelle sollte Bauprogramme für Arbeiterwohnungen aufstellen und allfällige Elendsviertel sanieren. Es wird im allgemeinen nicht als wünschenswert erachtet, dass die Arbeitgeber Wohnungen für ihre Arbeitnehmer bereitstellen. Zum mindesten sollte vermieden werden, dass das Abhängigkeitsverhältnis vom Arbeitgeber irgendwie ausgenützt oder der Mietzins mit dem Arbeitslohn verrechnet
wird. Die zuständigen Behörden sollten ferner die notwendigen Massnahmen ergreifen, um das Wohnbauprogramm sowie dessen Finanzierung sicherzustellen. Auch sind Bestimmungen vorgesehen, um gewisse Mindestnormen für die bauliche Sicherheit und für die Hygiene zu gewährleisten. Neben Massnahmen zur Förderung der Leistungsfähigkeit des Baugewerbes sollten die Behörden Wohnbauprogramme vorbereiten, damit bei Eintritt einer Konjunkturabschwächung der Bau von Arbeiterwohnungen beschleunigt werden kann.

1370 Den öffentlichen Stellen wird ferner empfohlen, alle geeigneten Massnahmen zu treffen, um die Bodenspekulation zu verhüten und ihrerseits Bodenreserven zu schaffen, die dann für den Bau von Arbeiterwohnungen zur Verfügung gestellt werden können.

Der zweite Teil der Empfehlung umfasst Vorschläge betreffend die Anwendungsmethoden, wobei die im ersten Teil erwähnten Grundsätze näher umschrieben werden. Die Eegierungen sowie die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände werden eingeladen, alles zu unternehmen, um den Eigenheimbesitz der Arbeitnehmer zu fördern. Schliesslich wurden besondere Vorkehren zur Niedrighaltung des Mietzinses empfohlen.

b. Im Zusammenhang mit dieser Empfehlung hat die Konferenz zudem einer Eesolution zugestimmt, die sich vor allem an dio industrialisierten Länder richtet und diesen empfiehlt, den weniger entwickelten Ländern technische und finanzielle Hilfe zukommen zu lassen, damit ein Sofortprogramm zur Errichtung von Arbeiterwohnungen durchgeführt werden kann.

2. Stellungnahme zur Empfehlung Nr. 115 Der Geltungsbereich der Empfehlung umfasst Wohnungen für manuelle und nichtmanuelle Arbeitskräfte, einschliesslich selbständig Erwerbstätiger und älterer Personen, die im Euhestand leben oder körperlich behindert sind.

Der umschriebene Geltungsbereich ist weiter gezogen, als der Titel der Empfehlung vermuten lässt; er entspricht ungefähr dem, was nach unserer Gesetzgebung als «sozialer Wohnungsbau» bezeichnet wird, d.h. Bau von Wohnungen mit Mietzinsen oder Eigentümerlasten, welche für Bevölkerungskreise in bescheidenen finanziellen Verhältnissen tragbar sind. Die Schweiz stellt auf die finanziellen Verhältnisse als einziges Kriterium ab, nicht aber auf Berufsgruppen oder andere Umschreibungen der Begünstigten. Die Zielsetzung der Empfehlung ist trotz der allzu kasuistischen Umschreibung, die gewisse Fragen offenlässt, gleicher Art. Gegenüber den Möglichkeiten in der Schweiz, jedenfalls insofern es sich um Bundesmassnahmen allgemeiner Natur handelt, beschränkt sich die Empfehlung jedoch nicht auf Familien. Für den Erlass bundesrechtlicher Bestimmungen ist diese Begrenzung indessen durch Art. 34Quinqutes der Bundesverfassung (Familienschutzartikel) gegeben, als einziger verfassungsrechtlicher Grundlage, auf die sich Förderungsmassnahmen des Bundes auf dem Gebiete des Wohnungs-
und Siedlungswesens stützen können.

Die Annahme der vorliegenden Empfehlung ist erfreulich, weil sie, im ganzen gesehen, geeignet erscheint, eine Besserung der Verhältnisse im Wohnungswesen herbeizuführen. Die Schweiz hat deshalb gegen die Ausarbeitung eines internationalen Instruments nicht opponiert, aber sich von Anfang an dafür eingesetzt, dass dieses Instrument in die Form einer Empfehlung und nicht in die einer Konvention gekleidet werde ; den gleichen Standpunkt hat schliesslich die weit überwiegende Mehrheit der Mitglieder vertreten. Angesichts der Vielgestalt

1371 der Gegebenheiten in den Mitgliedstaaten - unter denen sich Entwicklungsländer und hochindustrialisierte Staatswesen finden -, sind die Postulate zwangsläufig so gefasst, dass sie die weit auseinanderliegenden Ausgangssituationen und Zielsetzungen und die zu ihrer Verwirklichung nach Massgabe der Verhältnisse sehr verschiedenen Mittel und Wege umspannen. Es liess sich deshalb nicht vermeiden, dass manches, was in der Empfehlung enthalten ist, namentlich auch in bezug auf die vorgeschlagenen Wege, die beschritten werden sollen, unseren Verhältnissen nicht oder doch in ungenügender Weise Eechnung trägt. So enthalten eine Eeihe von Vorschlägen dirigistische und zentralistische Züge, die sich mit der föderativen Struktur unseres Staatswesens und unserer Wirtschaftsordnung nicht wohl vereinbaren lassen, abgesehen davon, dass wir angesichts der Struktur unserer Wirtschaft gewisser Mittel zur Erreichung der gesetzten materiellen Ziele nicht bedürfen.

So bestehen im Vergleich zu den meisten andern Mitgliedstaaten hei uns wesentliche Unterschiede in den Voraussetzungen für die Aufstellung und Durchführung von Wohnbauprogrammen, indem in der Schweiz die Wohnungsproduktion, abgesehen von einem ganz geringen Prozentsatz, von der Privatwirtschaft (natürliche und juristische Personen) getragen wird. Auch an der Finanzierung sind die Gemeinwesen, einschliesslich ihrer Eigenbauten, im Durchschnitt nur mit ca. 10 Prozent aller neuerstellten Wohnungen beteiligt.

Ein Wohnbauprogramm, ausgehend von den gegenwärtigen Verhältnissen und der mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Entwicklung von Angebot und Nachfrage, kanü bei uns wohl nur als Leitbild einer wünschbaren Entwicklung der Wohnbauproduktion aufgestellt werden. Die Beschränkung eines solchen Programms auf bestimmte Wohnungskategorien, ohne Eücksicht auf die übrige Bautätigkeit, wäre aber kaum sinnvoll. Immerhin dürfte es sich für die Schweiz voraussichtlich auch in Zukunft nur darum handeln, dass die Ge- meinwesen unter bestimmten Voraussetzungen - sei es gemeinsam oder einzeln direkte oder indirekte Massnahmen vorsehen, um die tatsächliche Wohnbautätigkeit dem im Programm fixierten Leitbild möglichst anzunähern.

Diese Fragen werden auch im Bericht berührt werden, der in der beratenden Eidgenössischen Wohnbaukommission auf Grund des Postulates
Heil vom l I.März 1960 zur Zeit zuhanden des Bundesrates ausgearbeitet wird. Es sollen die Voraussetzungen und Grundsätze einer unseren Verhältnissen angemessenen Wohnbaupolitik dargelegt und konkrete Vorschläge für Massnahmen gemacht werden, deren Verwirklichung gestützt auf den politischen Willen der Bürger, in deren Händen letzten Endes die Entscheidung liegt, möglich erscheint.

1372 III. Übereinkommen (Nr. 116) über die Abänderung der Schlussartikel 1. Zielsetzung und Inhalt des Übereinkommens In Anbetracht des rein formellen Charakters.dieses Übereinkommens können wir uns auf folgende Ausführungen beschränken.

Die in den Jahren 1919 bis 1949 angenommenen Konventionen enthielten jeweils einen Schlussartikel, der den Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes verpflichtet, der Konferenz alle zehn Jahre einen Bericht über die Durchführung des Übereinkommens zu erstatten und zu prüfen, ob die gänzliche oder teilweise Abänderung des Übereinkommens beantragt werden soll.

Seit dem Jahre 1950 überlässt es der in den Übereinkommen enthaltene Schlussartikel dem Verwaltungsrat, selbst zu bestimmen, auf welchen Termin er eine allfällige Abänderung des Übereinkommens vorschlagen will. Mit der vorliegenden Konvention soll nun das seit 1950 angewendete, etwas geschmeidigere Verfahren für alle früher angenommenen Übereinkommen vorgeschrieben werden.

2. Stellungnahme zum Übereinkommen Nr. 116 Wie wir bereits oben ausgeführt haben, war dieses Übereinkommen im Plenum der Konferenz unbestritten. Die neue Urkunde besitzt keine materielle Tragweite. Sie bringt für unser Land weder neue Verpflichtungen mit sich, noch bedingt sie irgendwelche weiteren Vorkehren. Wir empfehlen Ihnen deshalb, uns zur Katifikation dieses Übereinkommens zu ermächtigen.

Wir bitten Sie, von den vorstehenden Ausführungen in zustimmendem Sinne Kenntnis zu nehmen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vorzüglichen Hochachtung.

B e r n , den 4. Juni 1962.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : P. Chaudet Der Bundeskanzler : Ch. Oser

1373 Entwurf)

Bundesbeschluss betreffend

die Genehmigung des internationalen Übereinkommens über die Abänderung der in früheren Übereinkommen enthaltenen Schlussartikel

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der Schweizerischen E i d g e n o s s e n s c h a f t , gestützt auf Artikel 85, Ziffer 5 der Bundesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 4. Juni 1962, beschliesst: Einziger Artikel 1

Das Übereinkommen (Nr. 116) über die Abänderung der in früheren Übereinkommen enthaltenen Schlussartikel, das an der 45. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz angenommen wurde, wird genehmigt.

2 Der Bundesrat ist ermächtigt, das Übereinkommen zu ratifizieren.

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Bundesblatt. 114. Jahrg. Bd. I.

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1374 Beilage

Wortlaut des von der Internationalen Arbeitskonferenz an ihrer 45. Tagung im Jahre 1961 angenommenen Übereinkommens und der Empfehlung

Die nachstehend abgedruckten deutschen Texte bilden die in Übereinstimmung mit Artikel 42 der Geschäftsordnung der Internationalen Arbeitskonferenz angefertigten offiziellen Übersetzungen der französischen und englischen Urtexte.

Übereinkommen (Nr,, 116) über die teilweise Abänderung der von der Allgemeinen Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation auf ihren ersten zweitmddreissig Tagungen angenommenen Übereinkommen zur Vereinheitlichung der Bestimmungen betreffend die Ausarbeitung von Berichten über die Durchführung der Übereinkommen durch den Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 7. Juni 1961 zu ihrer fünfundvierzigsten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend die teilweise Abänderung der von der Konferenz auf ihren ersten zweiunddreissig Tagungen angenommenen Übereinkommen zur Vereinheitlichung der Bestimmungen betreffend die Ausarbeitung von Berichten über die Durchführung der Übereinkommen durch den Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 26. Juni 1961, das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über die Abänderung der Schlussartikel, 1961, bezeichnet wird.

Artikel l In den von der Internationalen Arbeitskonferenz auf ihren ersten zweiunddreissig Tagungen angenommenen Übereinkommen ist der Schlussartikel,

1375 wonach der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung des Übereinkommens vorzulegen hat, durch den nachstehenden Artikel zu ersetzen: «Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat, sooft er es für nötig erachtet, der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und zu prüfen, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.» Artikel 2 Jede von einem Mitglied dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Übereinkommens mitgeteilte förmliche Eatifikation eines der von der Konferenz auf ihren ersten zweiunddreissig Tagungen angenommenen Übereinkommen gilt als Eatifikation des betreffenden Übereinkommens in der durch das vorhegende Übereinkommen abgeänderten Fassung.

Artikel 3 Zwei Ausfertigungen dieses Übereinkommens werden vom Präsidenten der Konferenz und vom Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes unterzeichnet. Eine dieser Ausfertigungen wird im Archiv des Internationalen Arbeitsamtes hinterlegt, die andere dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zwecks Eintragung nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen übermittelt. Der Generaldirektor stellt jedem Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation eine beglaubigte Abschrift dieses Übereinkommens zu.

Artikel 4 1. Die förmlichen Ratifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes mitzuteilen.

2. Das Übereinkommen tritt mit dem Tag in Kraft, an dem der Generaldirektor die Eatifikationen zweier Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation erhalten hat.

3. Sobald dieses Übereinkommen in Kraft getreten ist, sowie in der Folge beim Eingang jeder weiteren Eatifikation dieses Übereinkommens gibt der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes allen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation und dem Generalsekretär der Vereinten Nationen hiervon Kenntnis.

4. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, erkennt an, dass vom Zeitpunkt des erstmaligen Inkrafttretens dieses Übereinkommens an die in Artikel l dieses Übereinkommens enthaltenen Bestimmungen des abgeänderten Artikels an die Stelle der Verpflichtung treten, die dem Verwaltungsrat ·durch die von der Konferenz auf ihren ersten zweiunddreissig Tagungen ange-

1376 nommenen Übereinkommen auferlegt wurde, der Konferenz in den darin vorgeschriebenen Zeitabständen einen Bericht über die Durchführung jedes dieser Übereinkommen vorzulegen und gleichzeitig zu prüfen, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

Artikel 5 Ungeachtet irgendwelcher Bestimmungen in den von der Konferenz auf ihren ersten zweiunddreiwsig Tagungen angenommenen Übereinkommen bewirkt die Eatifikation dieses Übereinkommens durch ein Mitglied nicht ohne weiteres die Kündigung irgendeines der bezeichneten Übereinkommen; ebensowenig schliesst das Inkrafttreten dieses Übereinkommens weitere Eatifikationen eines jener Übereinkommen aas.

Artikel 6 1. Nimmt die Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise abändert, und sieht das neue Übereinkommen nichts anderes vor, so gelten folgende Bestimmungen: a: Die Batifikation dos neugefassten Übereinkommens durch ein Mitglied schliesst ohne weiteres die Kündigung des vorliegenden Übereinkommens in sich, vorausgesetzt, dass das neugefasste Übereinkommen in Kraft getreten ist.

b. Vom Zeitpunkt des Inkraftretens des neugefassten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.

2. Indessen bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt jedenfalls in Kraft für die Mitglieder, die dieses, aber nicht das heugefasste Übereinkommen ratifiziert haben.

Artikel 7 Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise massgeben.d.

1377 Empfehlung (Nr. 115) betreffend Arbeiterwohnungen Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwalturigsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 7. Juni 1961 zu ihrer fünfundvierzigsten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend die Arbeiterwohnungen, eine Frage, die den fünften Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form einer Empfehlung erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 28. Juni 1961, die folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend Arbeiterwohnungen, 1961, bezeichnet wird.

Da die Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation vorsieht, dass die Organisation die in der Erklärung von Philadelphia dargelegten Ziele fördern soll, worin die feierliche Verpflichtung der Internationalen Arbeitsorganisation anerkannt wird, bei den einzelnen Nationen der Welt Programme zur Erreichung angemessener Wohnverhältnisse zu fördern, da die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommen wurde, anerkennt, dass «jeder Mensch Anspruch auf eine Lebenshaltung hat, die seine und seiner Familie Gesundheit und Wohlbefinden, einsohliesslich... Wohnung..., gewährleistet», da die Vereinten Nationen und die Internationale Arbeitsorganisation in Übereinstimmung mit dem Koordinierten Arbeitsprogramm der Vereinten Nationen und der Sonderorganisationen für Wohnungswesen und Stadt- und Landesplanung, von dem der Wirtschafts- und Sozialrat und der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes im Jahre 19.49 Kenntnis nahmen, anerkannt haben, dass die Vereinten Nationen die Verantwortung auf dem gesamten Gebiet des Wohnungswesens und der Stadt- lind Landesplanung haben und die Internationale Arbeitsorganisation ein besonderes Interesse an Angelegenheiten in Zusammenhang mit Arbeiterwohnungen hat, empfiehlt die Konferenz, dass jedes Mitglied im Eahmen seiner allgemeinen Sozial- und Wirtschaftspolitik die folgenden allgemeinen Grundsätze in einer den innerstaatlichen Verhältnissen entsprechenden Art und Weise anwendet: Allgemeine Grundsätze I. Geltungsbereich

l. Diese Empfehlung gilt für Wohnungen von manuellen und nichtmanuellen Arbeitskräften, einschliesslich selbständig erwerbstätiger und älterer, im Euhestand befindlicher oder körperlich behinderter Personen.

1378 II. Ziele der innerstaatlichen Wohnungspolitik 2. Die innerstaatliche Politik sollte darauf abzielen, im Eahmen der allgemeinen Wohnungspolitik den Bau von Wohnungen und zugehörigen Gemeinschaftseinrichtungen zu fördern, damit allen Arbeitnehmern und ihren Familien ausreichende und angemessene Wohnungen in geeigneten Umweltverhältnissen zur Verfügung stehen. Den Personen mit dem dringendsten Bedarf sollte ein gewisser Vorrang eingeräumt werden.

8. Ebenso sollte der Instandhaltung, Verbesserung und Modernisierung der bestehenden Wohnungen und zugehörigen Gemeinschaftseinrichtungen Beachtung geschenkt werden.

4. Es sollte das Ziel sein, dass der Arbeitnehmer für eine ausreichende und angemessene Wohnung nicht mehr als einen zumutbaren Teil seines Einkommens, sei es in Form von Mietzins oder von Zahlungen zum Erwerb einer solchen Wohnung, aufwenden muss.

5. Die Programme für den Arbeiterwohnungsbau sollten dem privaten, genossenschaftlichen und öffentlichen Wohnungsbau angemessenen Spielraum lassen.

6. Da die Programme für die Errichtung dauerhafter Wohnbauten in grossem Maßstab wegen der Knappheit an gelernten und angelernten Arbeitskräften sowie an materiellen Hilfsmitteln, die sowohl für den Wohnungsbau als auch für die Erzeugung anderer der Erweiterung der Produktionskapazität dienlicher Güter benötigt werden, mit den Programmen für die Entwicklung und das Wachstum der Wirtschaft unmittelbar konkurrieren können, sollte die Wohnungsbaupolitik mit der allgemeinen Sozial- und Wirtschaftspolitik in der Weise koordiniert werden, dass dem Arbeiterwohnungsbau ein Dringlichkeitsgrad eingeräumt werden kann, der sowohl den Bedarf an Arbeiterwohnungen als auch die Erfordernisse einer ausgeglichenen Wirtschaftsentwicklung berücksichtigt.

7. Jede Familie sollte, falls sie es wünscht, eine gesonderte, vollständige Wohnung haben.

III. Aufgaben der öffentlichen Stellen 8. (1) Die zuständigen innerstaatlichen Stellen sollten unter gebührender Berücksichtigung des verfassungsmässigen Aufbaus des betreffenden Landes eine zentrale Stelle errichten, mit der alle öffentlichen Stellen, die Aufgaben irgendwelcher Art auf dem Gebiet des Wohnungswesens haben, zusammenwirken sollten.

(2) Zu den Aufgaben dieser zentralen Stelle sollte es gehören, a. den Befarf an Arbeiterwohnungen und Gemeinschaftseinrichtungen zu untersuchen und zu ermitteln und

1379 6. Programme für den Arbeiterwohnungsbau aufzustellen, die Massnahmen zur Sanierung von Elendsvierteln und zur Umsiedlung ihrer Bewohner umfassen sollten.

(3) Die massgebenden Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände sowie andere beteiligte Organisationen sollten bei der Tätigkeit der zentralen Stelle mit herangezogen werden.

9. Die innerstaatlichen Wohnungsbauprogramme sollten darauf gerichtet sein, unter Berücksichtigung anderer innerstaatlicher Ziele und in den Grenzen des Bedarfs zu gewährleisten, dass alle privaten und öffentlichen Hilfsquellen, die für diesen Zweck verfügbar gemacht werden können, koordiniert und für den Bau von Arbeiterwohnungen und zugehörigen Gemeinschaftseinrichtungen verwendet werden.

10. Ist zur laufenden Deckung des innerstaatlichen Bedarfs an Arbeiterwohnungen eine erhebliche, dauernde Erweiterung der Kapazität des Wohnungsbausektors erforderlich, so sollten die Pläne für die Wirtschaftsentwicklung unter Berücksichtigung anderer innerstaatlicher Ziele Massnahmen umfassen, die dem Wohnungsbau auf lange Sicht die benötigten Facharbeitskräfte, Baustoffe, Ausrüstung und Finanzierungsmittel sichern sollen.

11. Die öffentlichen Stellen sollten, soweit erforderlich, und durchführbar, für die direkte Bereitstellung von Arbeiterwohnungen sorgen, die gemietet oder zu Eigentum erworben werden können, oder sollten deren Bereitstellung anregen.

IV. Bereitstellung von Wohnungen durch die Arbeitgeber 12. (1) Die Arbeitgeber sollten anerkennen, wie wichtig es für sie ist, dass ihren Arbeitnehmern unter gerechten Bedingungen Wohnungen durch öffentliche Stellen oder selbständige private Körperschaften, wie etwa Wohnungsgenossenschaften und andere von den Unternehmen getrennte Gesellschaften, zur Verfügung gestellt werden.

(2) Es sollte anerkannt werden, dass es im allgemeinen nicht wünschenswert ist, dass Arbeitgeber direkt Wohnungen für ihre Arbeitnehmer bereitstellen, ausser wenn die Umstände dies erfordern, zum Beispiel wenn ein Betrieb weit von den üblichen Wohnzentren entfernt liegt oder wenn die Art der Arbeit erfordert, dass der Arbeitnehmer auf Abruf zur Verfügung stehen muss.

(8) Werden Wohnungen durch den Arbeitgeber bereitgestellt, so sollten a. die grundlegenden Menschenrechte, insbesondere die Vereinigungsfreiheit, den Arbeitnehmern gegenüber anerkannt werden ;
6. die Gesetze und Gewohnheiten des Landes im Falle der Kündigung des Mietvertrages oder der Käumung solcher Wohnungen bei Beendigung des Arbeitsvertrages in vollem Umfang beachtet werden und c. die verlangten Mietzinse mit dem in Absatz 4 aufgestellten Grundsatz in Einklang stehen und keinesfalls einen spekulativen Gewinn abwerfen.

1380 (4) Die Bereitstellung von Unterkünften und Gemeinschaftsdiensten als Arbeitsentgelt durch die Arbeitgeber sollte verboten oder soweit geregelt werden, als dies der Schutz der Interessen der Arbeitnehmer erfordert.

V. Finanzierung 13. (1) Die zuständigen Stellen sollten alle Massnahmen treffen, die geeignet sind, die Durchführung der genehmigten Programme für den Arbeiterwohnungsbau sicherzustellen, indem sie für die notwendige regelmässige und fortlaufende Finanzierung sorgen.

(2) Zu diesem Zweck sollten a. öffentliche und private Einrichtungen für die Gewährung von Darlehen zu massigen Zinssätzen zur Verfügung gestellt werden und b. diese Einrichtungen durch andere zweckdienliche Methoden der direkten und indirekten finanziellen Unterstützung geeigneter privater, genossenschaftlicher und öffentlicher Hauseigentümer, zum Beispiel in Form von Zuschüssen, Steuererleichterungen und Senkung der Steuerbemessungsgrundlage, ergänzt werden.

14. Die ^Regierungen sowie die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände sollten Wohnungsgenossenschaften und ähnliche gemeinnützige Wohnungsgesellschaften fördern.

15. Die öffentlichen Stellen sollten zu gewährleisten suchen, dass Arbeitnehmern, die Eigentümer einer Wohnung werden oder ein Eigenheim errichten wollen, öffentliche und private Einrichtungen für die Inanspruchnahme von Darlehen zu tragbaren Bedingungen zur Verfügung stehen, und andere zur Förderung des Eigenheirabesitzes geeignete Massnahmen treffen.

16. In Landern, in denen ein gesunder Kreditmarkt besteht und es angebracht erscheint, sollten staatliche Systeme der Hypothekenversicherung oder der Übernahme einer öffentlichen Bürgschaft für private Hypotheken als Mittel zur Förderung des Arboiterwohnungsbaues eingeführt werden.

17. In Übereinstimmung mit den. landesüblichen Gepflogenheiten sollten geeignete Massnahmen getroffen werden, um a. die Spartätigkeit von Einzelpersonen, Genossenschaften un'd privaten Einrichtungen, die zur Finanzierung des Arbeiterwohnungsbaues herangezogen werden können, anzuregen; b. Investitionen von Einzelpersonen, Genossenschaften und privaten Einrichtungen für den Arbeiterwohnungsbau zu fördern.

18. Mit Hilfe öffentlicher Mittel gebaute Arbeiterwohnungen sollten nicht zum Gegenstand von Spekulationen werden.

1381 VI. Wohnnormen 19. Die zuständige Stelle sollte grundsätzlich unter Berücksichtigung der Ortsverhältnisse Mindestwohnnormen festlegen, um die bauliche Sicherheit und ein annehmbares Mass an Wohnlichkeit, Hygiene und Komfort zu gewährleisten, und geeignete Massnahmen zur Einhaltung dieser Normen treffen.

VII. Massnahmen zur Förderung der Leistungsfähigkeit des Baugewerbes 20. Die Eegierungen sollten in Zusammenarbeit mit den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden Massnahmen fördern, um die wirksamste Verwendung der verfügbaren Hilfsquellen des Baugewerbes und der damit in Verbindung stehenden Wirtschaftszweige zu erreichen, und nötigenfalls die Erschliessung neuer Hilfsquellen anregen.

VIII. Wohnungsbau und Stabilisierung der Beschäftigungslage 21. Die innerstaatlichen Wohnungsbauprogramme sollten in der Weise geplant werden, dass der Bau von Arbeiterwohnungen und zugehörigen Gemeinschaftseinrichtungen beim Eintreten einer Konjunkturabschwächung beschleunigt werden kann.

22. Die Eegierungen und die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände sollten zur Erhöhung des jährlichen Bauvolumens an Arbeiterwohnungen und zugehörigen Einrichtungen unter Beachtung der in Absatz 6 erwähnten Grundsätze geeignete Massnahmen treffen, durch welche die Saisonarbeitslosigkeit im Baugewerbe verringert wird.

IX. Stadt-, Landes- und Regionalplanung 23. Die Programme für den Arbeiterwohnungsbau sollten nach bewährten Grundsätzen der Stadt-, Landes- und Eegionalplanung aufgestellt und durchgeführt werden.

24. (1) Die öffentlichen Stellen sollten alle geeigneten Massnahmen zur Verhütung der Bodenspekulation treffen.

(2) Die öffentlichen Stellen sollten a. befugt sein, für den Bau von Arbeiterwohnungen und zugehörigen Gemeinschaftseinrichtungen Grundstücke zu vertretbaren Preisen zu erwerben und b. Bodenreserven in geeigneten Lagen schaffen, um die Vorausplanung des Baues solcher Wohnungen und Einrichtungen zu erleichtern.

(3) Solche Grundstücke sollten zu vertretbaren Preisen für den Bau von Arbeiterwohnungen und zugehörigen Gemeinschaftseinrichtungen zur Verfügung gestellt werden.

1382 X. Anwendung der Allgemeinen Grundsätze 25. Bei der Anwendung der Allgemeinen Grundsätze dieser Empfehlung sollten sich die Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation und die beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, soweit möglich und wünschenswert, durch die folgenden Vorschläge betreffend die Methoden zur Anwendung der Empfehlung leiten lassen.

Vorschläge betreffend die Anwendungsmethoden I. Allgemeine Erwägungen 1. Die gemäss Absatz 8 der Allgemeinen Grundsätze angenommenen und durchgeführten Programme für den Arbeiterwohnungsbau sollten die grösstmögliche Verbesserung der Wohnverhältnisse der Arbeitnehmer bewirken, und zwar so rasch es die zu berücksichtigenden Umstände zulassen, wie zum Beispiel die verfügbaren innerstaatlichen Hilfsquellen, der Stand der Wirtschaftsentwicklung, die Technik und mit dem Wohnungsbau konkurrierende andere dringliche Vorhaben.

2. Die innerstaatlichen Wohnungsbauprogramme, insbesondere in Entwicklungsländern^ sollten besonders den Wohnraumbedarf jener Arbeitnehmer berücksichtigen, die in Wirtschaftszweigen oder in Gebieten beschäftigt oder benötigt werden, denen grosse Bedeutung für das gesamte Land zukommt.

3. Bei der Aufstellung und Durchführung von Programmen für den Arbeiterwohnungsbau sollte auf örtlicher Ebene besondere Beachtung geschenkt werden a. der Grosse der Familie des Arbeitnehmers und ihrer Zusammensetzung nach Alter und Geschlecht; b. den Verwandtschaftsbeziehungen innerhalb der Familie und

c. den besonderen Verhältnissen körperlich behinderter, alleinstehender und älterer Personen.

4. Wo es angebracht ist, sollten Massnahmen mit dem Ziel einer besseren Ausnutzung des vorhandenen Bestandes an Mietwohnungen getroffen werden, indem der Wohnungstausch entsprechend den Bedürfnissen, die sich zum Beispiel auf Grund der Familiengrösse und des Arbeitsortes ergeben, gefördert wird.

5. Die zuständigen Stellen sollten dem Sonderproblem der Unterbringung von Wanderarbeitnehmern und gegebenenfalls deren Familien besondere Beachtung schenken, um in dieser Hinsicht so rasch wie möglich die Gleichbehandlung der Wanderarbeitnehmer mit den inländischen Arbeitnehmern zu erreichen.

6. Die Sammlung und Analyse umfassender Bau- und Bevölkerungsstatistiken sowie die Durchführung soziologischer Studien sollten als wesentliche Elemente bei der Aufstellung und Durchführung langfristiger Wohnungsbauprogramme gefördert werden.

1383 II. Wohnnormen 1. Die in Absatz 19 der Allgemeinen Grundsätze erwähnten Wohnnormen sollten sich insbesondere beziehen auf a. das Mindestmass an Eaum pro Person oder pro Familie, wobei darauf geachtet werden sollte, dass die Eäume angemessene Dimensionen und Grössenverhältnisse aufweisen, unter Zugrundelegung einer oder mehrerer der nachstehenden Bezugsgrössen: i) Bodenfläche, ii) Eauminhalt oder iii) Grosse und Anzahl der Eäume; b. die Zuleitung einwandfreien Wassers in die Wohnung des Arbeitnehmers in einer Menge, die für alle im Haushalt lebenden Personen für persönliche und Haushaltzwecke ausreicht; c. entsprechende Abwässer- und Müllbeseitigung; d. ausreihenden Schutz gegen Hitze, Kälte, Feuchtigkeit, Lärm, Brand und krankheitsübertragende Lebewesen, insbesondere Insekten; e. ausreichende sanitäre Anlagen, Belüftung, Wasch- und Kochgelegenheiten, Abstell- und Vorratsräume sowie Beleuchtung durch natürliches und künstliches Licht; /. die Mindestvoraussetzungen zum Schütze der privaten Sphäre i) der einzelnen Personen innerhalb des gemeinsamen Haushalts und ii) der Haushaltsmitglieder gegen Beeinträchtigungen von aussen; g.- die geeignete Trennung der Wohnräume von den zur Unterbringung von Tieren bestimmten Eäumlichkeiten.

8. Werden gemeinsame Unterkünfte für ledige oder von ihren Familien getrennt lebende Arbeitnehmer zur Verfügung gestellt, so sollte die zuständige Stelle Wohnnormen aufstellen, die zum mindesten folgendes vorsehen: a. ein eigenes Bett für jeden Arbeitnehmer; b. getrennte Unterbringung von Männern und Frauen; c. ausreichende Versorgung mit einwandfreiem Wasser; d. ausreichende Abwässerbeseitigung und sanitäre Anlagen; e. ausreichende Belüftung und im Bedarfsfall Beheizung; /. gemeinsame Speiseräume, Kantinen, Euhe- und Erholungsräume und Einrichtungen der Gesundheitsfürsorge, sofern sie in der näheren Umgebung nicht zur Verfügung stehen.

9. Die Normen für Arbeiterwohnungen sollten von Zeit zu Zeit überprüft werden, damit der sozialen, wirtschaftlichen und technischen Entwicklung sowie dem Steigen des Eealeinkommens pro Kopf der Bevölkerung Eechnung getragen wird.

1384 10. Im allgemeinen und an Orten, wo die Beschäft.igungsgelegenheiten nicht nur vorübergehender Natur sind, sollten Arbeiterwohnungen und zugehörige Gemeinschaftseinrichtungen als dauerhafte Bauten errichtet werden.

11. Es sollte das Ziel sein, Arbeiterwohnungen und zugehörige Gemeinschaftseinrichtungen mit den geeignetsten verfügbaren Baustoffen zu bauen, wobei die örtlichen Verhältnisse, wie zum Beispiel die Gefährdung durch Erdbeben, berücksichtigt werden sollten.

III. Sonderprogramme 12. In den Entwicklungsländern sollten, solange noch nicht genügend Facharbeitskräfte und kein vollentwickeltes Baugewerbe vorhanden sind, als Übergangsmassnahme besondere Programme in Betracht gezogen werden, die vor allem in ländlichen Gebieten ein Mittel zur Verbesserung der Wohnverhältnisse darstellen, wie zum Beispiel umfassende Programme zum Bau von provisorischen Wohnungen auf der Grundlage der geförderten Selbsthilfe. Gleichzeitig sollten in diesen Ländern Massnahmen zur Ausbildung arbeitsloser und ungelernter Arbeitskräfte für das Baugewerbe getroffen werden, wodurch die Kapazität für den Bau von Dauerwohnungen erhöht wird.

13. Die Eegierungen, die Arbeitgeber sowie die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände sollten alle geeigneten Massnahmen treffen, um den Eigenheimbesitz von Arbeitnehmern und, wo dies zweckmässig ist, den Wohnungsbau auf der Grundlage der Selbsthilfe zu fördern. Diese Massnahmen könnten zum Beispiel folgendes umfassen: a. die Bereitstellung technischer Dienstleistungen, wie zum Beispiel bautechnische Betreuung und nötigenfalls fachkundige Beaufsichtigung der Arbeit; b. Forschungen im Bereich des Wohnungs- und Bauwesens und die Veröffentlichung und Verbreitung von Handbüchern und leichtfasslichen illustrierten Broschüren, die über Fragen wie Baupläne, Wohnnormen, Baumothodon und Baustoffe Auskunft geben; c. die Ausbildung in einfachen Bauverfahren im Hinblick auf den Wohnungsbau auf der Grundlage der Selbsthilfe ; d. den Verkauf oder die Vermietung von Ausrüstung, Baustoffen oder AVerkzeugen zu unter den Selbstkosten liegenden Preisen ; e. verbilligte Zinssätze und ähnliche Vergünstigungen, wie etwa direkte Zuschüsse zu dem bei Baubeginn erforderlichen Kapitalaufwand, den Verkauf von Bauland zu einem niedrigeren Preis, als er nach der Erschliossung betragen würde, und die langfristige
Verpachtung von Land zu Anerkennungszinsen.

14. Wo erforderlich, sollten alle geeigneten Massnahmen getroffen werden, um den Familien Auskünfte über die Instandhaltung und die rationelle Verwendung der Einrichtungen in ihrem Heim zu erteilen.

1385 IV. Bereitstellung von Wohnungen durch die Arbeitgeber 15. Werden Wohnungen durch den Arbeitgeber bereitgestellt, so sollten folgende Bestimmungen gelten, sofern durch Gesetz, Gesamtarbeitsvertrag oder andere bindende Vereinbarungen kein gleichwertiger Schutz gewährleistet ist : a. der Arbeitgeber sollte berechtigt sein, über die Wohnung innerhalb einer angemessenen Frist nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses des betreffenden Arbeitnehmers wieder frei zu verfügen; b. der Arbeitnehmer oder seine Familie sollte berechtigt sein, die Wohnung während eines angemessenen Zeitraumes zu behalten, damit eine zufriedenstellende andere Wohnung gefunden werden kann, wenn er infolge von Krankheit, Erwerbsunfähigkeit, Behinderung durch Arbeitsunfall oder Berufskrankheit, Eintritt in den Euhestand oder Tod seine Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt; c. der Arbeitnehmer, der infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Wohnung räumen muss, sollte Anspruch auf eine angemessene Entschädigung haben i) für Kulturen, die er auf dem Grund und Boden des Arbeitgebers mit dessen Einwilligung angebaut hat, und ii) ganz allgemein für Verbesserungen bleibender Art, die er mit Einwilligung des Arbeitgebers in der Wohnung vorgenommen hat und die durch den Gebrauch noch nicht voll abgeschrieben sind.

16. Der Arbeitnehmer, der Inhaber einer vom Arbeitgeber bereitgestellten Wohnung ist, sollte die Bäume, abgesehen von der normalen Abnutzung, im gleichen Zustand erhalten, in dem sie sich bei seinem Einzug befanden.

17. Personen, die mit einem Arbeitnehmer, der Inhaber einer vom Arbeitgeber bereitgestellten Wohnung ist, privat oder geschäftlich, wie etwa auch im Zusammenhang mit Gewerkschaftsangelegenheiten, zu tun haben, sollten freien Zutritt zur Wohnung dieses Arbeitnehmers haben.

18. Gegebenenfalls sollte die Möglichkeit geprüft werden, dass eine öffentliche oder andere Stelle oder die betreffenden Arbeitnehmer gegen einen vertrebaren Preis das Eigentum an den vom Arbeitgeber bereitgestellten Wohnungen, erwerben, sofern diese nicht innerhalb des eigentlichen Betriebsgeländes liegen.

V. Finanzierung 19. Die öffentlichen Stellen sollten Programme zum Bau von Mietwohnungen entweder direkt finanzieren oder finanziell unterstützen, insbesondere zugunsten bestimmter Gruppen von Arbeitnehmern, wie zum Beispiel Personen,
die vor kurzem einen eigenen Hausstand gegründet haben, alleinstehende Personen und Personen, deren Freizügigkeit im Interesse einer ausgeglichenen Wirtschaftsentwicklung wünschenswert ist.

1886 20. Die den Arbeitnehmern gemäss Absatz 15 der Allgemeinen Grundsätze gewährten Darlehen sollten die Gestehungskosten der Wohneinheit ganz oder zu einem beträchtlichen Teil decken, zu massigen Sätzen verzinslich und langfristig tilgbar sein.

21. Die Einrichtungen der Sozialen Sicherheit und Sozialfürsorge sollten ermutigt werden, ihre für langfristige Kapitalanlagen verfügbaren Eeserven zur Gewährung von Darlehen für den Arbeiterwohnungsbau einzusetzen.

22. Werden dem Arbeitnehmer Darlehen zur Förderung des Eigenheimbesitzes gewährt, so sollten ausreichende Vorkehrungen getroffen werden, um ihn gegen den Verlust seines finanziellen Anteils an seinem Heim infolge von Arbeitslosigkeit, Unfall oder anderen unverschuldeten Ereignissen und insbesondere seine Familie im Falle seines Todes gegen den Verlust seines finanziellen Anteils zu schützen.

28. Die öffentlichen Stellen sollten Arbeitnehmern, die wegen ihres unzureichenden Einkommens oder zu grosser Familienlasten keine geeignete Wohnung finden können, eine besondere finanzielle Unterstützung gewähren.

24. Gewähren die öffentlichen Stellen eine direkte finanzielle Unterstützung zum Erwerb eines Eigenheimes, so sollte der Empfänger die sich daraus ergebenden finanziellen und anderen Verpflichtungen nach Massgabe seiner Leistungsfähigkeit übernehmen.

25. Die öffentlichen Stellen, die eine finanzielle Unterstützung für Wohnungsbauprogramme gewähren, sollten dafür sorgen, dass Vermietung oder Verkauf von Arbeiterwohnungen nicht auf Grund der Easse, des Glaubensbekenntnisses, der politischen Meinung oder der Gewerkschaftszugehörigkeit verweigert wird.

VI. Massnahmen zur Förderung der Leistungsfähigkeit des Baugewerbes 26. Programme für den Arbeiterwohnungsbau sollten auf langfristiger Grundlage durchgeführt und über das ganze Jahr verteilt werden, damit durch den ununterbrochenen Fortgang der Arbeiten Einsparungen erzielt werden.

27. Es sollten geeignete Massnahmen zur Verbesserung und nötigenfalls zum Ausbau der Einrichtungen für die Ausbildung von gelernten und angelernten Arbeitskräften, Aufsichtspersonal, Bauunternehmern und leitendem technischem Personal, wie Architekten und Ingenieuren, getroffen werden.

28. Besteht Knappheit an Baustoffen, Werkzeugen oder Ausrüstung, so sollten vor allem der bevorzugte Bau von Fabriken zur Erzeugung
solcher Güter, die Einfuhr von Ausrüstungen für diese Fabriken und die Förderung des Handels mit diesen Gütern in Erwägung gezogen werden.

29. Bauordnungen und andere die Bauplanung, Baustoffe und Bauverfahren betreffende Vorschriften sollten unter gebührender Berücksichtigung

1387 aller Erfordernisse der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes so abgefasst sein, dass sie die Verwendung neuer Baustoffe und Methoden einschliesslich der an Ort und Stelle verfügbaren Materialien und des Wohnungsbaues auf der Grundlage der Selbsthilfe, gestatten.

30. Unter anderem sollte besonders auf die Verbesserung der Planung und der Organisation der Arbeit auf den Baustellen, auf weitergehende Normung der Baustoffe und Vereinfachung der Arbeitsverfahren sowie auf die Verwertung der Ergebnisse der Bauforschung Bedacht genommen werden.

31. Es sollte alles getan werden, um restriktive Praktiken der Bauunternehmer, Baustofflieferanten und Bauarbeiter zu beseitigen.

32. Zur Durchführung von Forschungsarbeiten in bezug auf die sozialen, wirtschaftlichen und technischen Probleme des Arbeiterwohnungsbaues sollten innerstaatliche Einrichtungen geschaffen werden. Die Dienste der regionalen Zentren für Wohnungsfragen, die unter dem Patronat der Vereinten Nationen und anderer in Frage kommender internationaler Organisationen stehen oder deren Unterstützung gemessen, können gegebenenfals in Anspruch genommen werden, soweit solche Dienste geleistet werden können.

33. Es sollte alles getan werden, um die Leistungsfähigkeit der kleinen Bauunternehmen zu steigern, zum Beispiel indem ihnen Informationen über billige Baustoffe und Baumethoden zugänglich gemacht werden, sowie durch die Schaffung zentraler Stellen für die Vermietung von Werkzeugen und Ausrüstungen, durch Spezialausbildungskurse und durch die Schaffung geeigneter Finanzierungseinrichtungen, wo diese noch nicht bestehen.

84. Die der Senkung der Baukosten dienenden Massnahmen sollten keine Herabsetzung der Normen für die Arbeiterwohnungen und die zugehörigen Einrichtungen zur Folge haben.

VII. Wohnungsbau und Stabilisierung der Beschäftigungslage 35. Geht die Arbeitslosigkeit im Baugewerbe merklich über die Arbeitslosigkeit hinaus, die in der Übergangszeit zwischen der Beendigung der Beschäftigung eines Bauarbeiters an einer Baustelle und der Aufnahme der Beschäftigung an einer anderen Baustelle auftritt, oder besteht ausserhalb des Baugewerbes Arbeitslosigkeit in wesentlichem Umfang, so sollten, wo dies angebracht ist, die Programme für den Bau von Arbeiterwohnungen und zugehörigen Einrichtungen erweitert werden, um möglichst vielen
Arbeitslosen eine Beschäftigung zu bieten.

36. In Zeiten des Eückgangs der privaten Bautätigkeit oder der Wirtschaftstätigkeit im allgemeinen sowie wenn ein Bedürfnis nach einem höheren Bauvolumen besteht, sollte die Eegierung besondere Massnahmen treffen, um den Bau von Arbeiterwohnungen und zugehörigen Einrichtungen durch die

1388 Ortsbehörden, durch Privatunternehmer oder durch beide zu fördern, indem sie ihnen etwa finanzielle Unterstützung gewährt oder ihre Befugnisse zur Aufnahme von Krediten erweitert.

37. Die Massnahmen, die nötigenfalls zur Intensivierung des privaten Wohnungsbaues getroffen werden, könnten die Senkung der Zinssätze und der geforderten finanziellen Eigenleistung und die Verlängerung der Tilgungsfristen umfassen.

38. Die zur Verringerung der Saisonarbeitslosigkeit im Baugewerbe zu treffenden Massnahmen könnten, wo dies angebracht ist, umfassen a. die Verwendung aller geeigneten Anlagen, Baugeräte, Baustoffe und Bauverfahren, damit die Bautätigkeit in sicherer und zufriedenstellender Weise ausgeübt werden kann und der Arbeitnehmer während der Perioden, die herkömmlicherweise als ungünstig für die Ausführung von Bauarbeiten betrachtet werden, geschützt wird; b. die Aufklärung der Beteiligten darüber, dass es technisch durchführbar und sozial erwünscht ist, die Bautätigkeit unter ungünstigen klimatischen Verhältnissen nicht zu unterbrechen; c. die Gewährung von Zuschüssen zum vollen oder teilweisen Ausgleich etwa anfallender Mehrkosten einer Bautätigkeit unter solchen Bedingungen und d. die zeitliche Verteilung der verschiedenen Massnahmen, die in den Programmen für den Bau von Arbeiterwohnungen und zugehörigen Einrichtungen vorgesehen sind, und zwar in der Weise, dass sie zur Verringerung der Saisonarbeitslosigkeit beitragen.

39. Erforderlichenfalls sollten geeignete Massnahmen getroffen werden, um die verwaltungsmässige und finanzielle Koordinierung sicherzustellen zwischen den verschiedenen zentralen und örtlichen Behörden sowie zwischen ihnen und privaten Stellen bei der Durchführung einer auf die Stabilisierung der Beschäftigungslage gerichteten Politik, die sich auf den Bau von Wohnungen und zugehörigen Einrichtungen auswirkt.

VIII. Mietzinspolitik 40. (1) In den hochindustrialisierten Ländern mit hohem und steigendem Lebensstandard sollte zwar eines der Fernziele darin bestehen, dass der Mietzins unter Berücksichtigung der Bestimmungen von Absatz 4 der Allgemeinen Grundsätze die normalen Kosten der Wohnung deckt, doch sollte es als allgemeines Ziel gelten, dass der Anteil des Arbeitnehmereinkommens, der für den Mietzins aufgewendet wird und die normalen Kosten der Wohnung deckt, infolge
des Steigens der Eeallöhne und infolge der Produktivitätssteigerung im Baugewerbe allmählich abnimmt.

(2) Eine Erhöhung des Mietzinses darf auf keinen Fall dazu führen, dass das investierte Kapital einen höheren Ertrag abwirft, als angemessen ist.

1389 (8) In Zeiten akuter Wohnungsknappheit sollten Massnahmen zur Verhinderung des ungerechtfertigten Steigens der Mietzinse bestehender Arbeiterwohnungen getroffen werden. Sobald die Wohnungsknappheit nachlässt und eine für den Bedarf ausreichende Zahl von Arbeiterwohnungen von annehmbarer Qualität zur Verfügung steht, könnten diese Massnahmen, wenn dies angebracht ist, unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen dieses Absatzes schrittweise gelockert werden.

IX. Stadt-, Landes- und Regionalplanung 41. Soweit durchführbar und unter Berücksichtigung der verfügbaren öffentlichen und privaten Verkehrsmittel sollten die Arbeiterwohnungen von den Arbeitsstätten aus leicht erreichbar sein, in unmittelbarer Nähe von Gemeinschaftseinrichtungen wie Schulen, Einkaufszentren, Erholungsstätten und -einrichtungen für alle Altersgruppen, religiösen Einrichtungen und Gesundheitsdiensten liegen und so angelegt sein, dass sie ein anziehendes und zweckvoll gestaltetes Wohnmilieu mit freien Flächen bilden.

42. Bei der Planung von Häusern und neuen Siedlungen für Arbeitnehmer sollte alles getan werden, um diejenigen Organe, die die künftigen Bewohner vertreten, anzuhören, die am besten in der Lage sind, über die geeignetsten Mittel zur Befriedigung ihrer Wohn- und Umweltbedürfnisse Batschläge zu erteilen.

48. Bei der Wahl des Standortes von Arbeiterwohnungen sollten die Möglichkeit einer Verunreinigung der Luft -durch gewerbliche Betriebe sowie die Bodenverhältnisse, die für die Ableitung der Abwässer über und unter der Erde und die Beseitigung anderer Abfälle wichtig sein können, berücksichtigt werden.

44. Beim Bau von provisorischen Wohnungen ist es besonders wichtig, dass die Belange der Gemeindeplanung gewahrt werden und die Wohndichte überwacht wird.

45. Es ist wünschenswert, in den Städten den Grundsatz der Schaffung miteinander verbundener Zonen, wie etwa Wohn-, Geschäfts- und Industriezonen, anzuwenden,, um dem Arbeitnehmer und seiner Familie möglichst angenehme Umweltverb.ältnisse zu gewährleisten und um den Zeitaufwand und die Gefahren, denen der Arbeitnehmer auf seinem Weg zur und von der Arbeit ausgesetzt ist, auf ein Mindestmass zu beschränken.

46. Zum Zweck der Beseitigung von Elendsquartieren sollten die zuständigen Stellen, gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit Vereinigungen zur Förderung öffentlicher
Angelegenheiten und anderen beteiligten Organisationen sowie mit den Besitzern von Miethäusern und Eigenheimen und den Mietern, alle durchführbaren Massnahmen treffen, um die Elendsviertel zu sanieren, wie zum Beispiel durch Instandsetzung und Modernisierung der hierfür geeigneten Gebäude und die Erhaltung der vom baukünstlerischen oder historischen Standpunkt interessanten Bauten. Die zuständigen Stellen sollten auch entBundesblatt. 114. Jahrg. Bd. I.

97

1890 sprechende Massnahmen treffen, um den Familien, die während der Durchführung solcher Sanierungsmassnahmen vorübergehend ihre Wohnungen verlassen müssen, eine angemessene Unterkunft zu gewährleisten.

47. Um der Übervölkerung der Großstädte entgegenzuwirken, sollte die zukünftige Entwicklung auf regionaler Grundlage geplant werden, damit einer übermässigen Industrie- und Bevölkerungsballung vorgebeugt und ein besserer Ausgleich zwischen der Entwicklung der städtischen und der ländlichen Gebiete erreicht wird.

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die 45. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz und Botschaft betreffend die Ratifikation des Übereinkommens über die Abänderung der in früheren Übereinkommen enthaltenen Schlussartikel (Vom 4...

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