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Schweizerisches Bundesblatt.

34. Jahrgang. I.

Nr. 4.

28. Januar 1882.

J a h r e s a b o n n e m e n t (portofrei in der ganzen Schweiz): 4 Franken.

Einrükungsgebühr per Zeile 15 Rp. -- Inserate sind franko an dio Expedition einzusenden Druk and Expedition der Stämpflischen Buchdrukerei in Bern.

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Botschaft des

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Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die Revision des Bundesstrafrechtes vom 4. Februar 1853.

(Vom 13. Januar 1882.)

Tit.

In Folge des Beschlusses des Ständerathes vom 28. Juni 1880 ist uns die Motion zum Berichte überwiesen worden, welche am 19. Juni 1880 von Herrn B r o s i gestellt worden ist und folgendermaßen lautet: ,,Der Bundesrath wird eingeladen, den eidgenössischen Räthen Bericht und Antrag zu hinterbringen über Revision des Bundesstrafrechtes vom 4. Februar 1853 im Sinne der Erweiterung des Begriffes der politischen Verbrechen und Vergehen, welche in die Kompetenz der Bundesassisen fallen."

Herr Brosi hat bei der Begründung seiner Motion erklärt, daß dieselbe durch den Stabioprozeß veranlaßt worden sei und den Zwek habe, durch ein zu erlassendes Gesez es möglich zu machen, daß ähnliche Straffälle künftig durch die Bundesassisen erledigt ' werden können.

Bekanntlich wurde unmittelbar nach den Vorfällen von Stabio durch die tessinischen Behörden eine Untersuchung eingeleitet, welche zur Ueberweisung von mehreren Angeklagten vor die tessinischen Assisen führte. Gegen diesen Ueberweisungsbeschluß erhob ein Theil der Angeklagten Beschwerde bei dem Bundesgerichte und Bundesblatt. 34. Jahrg. Bd. I.

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118 stellte das Begehren, es möge erklärt werden, daß der Prozeß betreffend die Vorfälle von Stabio und die darauf bezüglichen Ereignisse im Kanton Tessin vom Monat Oktober 1876 gemäß Art. 32, Ziffer 3 des Gesezes über die Organisation der Bundesrechtspflege und nach Maßgabe des Bundesgesezes über das Bundesstraf'recht in die Kompetenz der Bundesbehörden falle.

Mit Beschluß vom 17. Oktober 1879 wies das Bundesgericht, diese Beschwerde ab, indem es erklärte, daß die verfassungsmäßigen und gesezlichen Voraussezungen für die Jurisdiktion des Bundesgerichtes nicht vorhanden seien, indem die den Angeklagten zur Last gelegten Handlungen nicht unter den Begriff' der politischen Verbrechen fallen, den das Gèsez fordere, und weil, abgesehen hievon. eine eidgenössische bewaffnete Intervention, die eine weitere Bedingung der Kompetenz des Bundesgerichtes bilde, nicht stattgefunden habe.

In Folge dieses Beschlusses verblieb die Fortsezung und Erledigung dieser Angelegenheit in den Händen der Gerichte des Kantons Tessin und endigte mit der Freisprechung von sämmtlicheri Angeklagten.

Die gestellte Motion verfolgt nun das Ziel, die Kompetenz des Bundesgerichtes dadurch auszudehnen, ,,daß das Bundesstrafrecht im Sinne der Erweiterung des Begriffes der politischen Verbrechen und Vergehen revidirt wird". Damit -ist zunächst auf Art. 52 des eidgenössischen Strafrechts hingewiesen, der hinwieder mit Art. 112, Ziffer 3 der Bundesverfassung in engstem Zusammenhange steht und diejenigen Fälle normirt, in denen die regelsweise Strafgerichtsbarkeit der Kantone an den Bund übergeht. Diese Verfassungsbestimmung spricht sich so aus: ' T Art. 112. Das Bundesgericht urtheilt mit Zuziehung von Geschwornen, welche über die Thatfrage absprechen, in Straffälleo (Ziffer 3): ,,über politische Verbrechen und Vergehen, die Ursache ,,oder Folge derjenigen Unruhen sind, durch welche eine be,,waffnete eidgenössische Intervention veranlagt wird. a Da es sich zur Zeit um die weitere legislatorische Fortbildung dieser Bestimmung und eventuell um eine Aenderuug derselben auf dem Wege der Verfassungsrevision handelt, so erscheint es wünschenswerth, die Entstehungsgeschichte dieses Artikels in die Erinnerung zu rufen.

119 Schon in der K o m m i s s i o n s b e r a t h u n g der Tagsazung über die Bundesverfassung vom Jahre 1848 wurde mit einer Mehrheit von 16 Stimmen die Aufnahme der Bestimmung beschlossen : ,,Das Bundesgericht urtheilt über politische Verbrechen, die Ursache oder Folge derjenigen Unruhen sind, durch welche das eidgenössische Einschreiten veranlaßt worden ist."

In der Diskussion waren verschiedene weitergehende Antrage gestellt worden, so namentlich auch der, daß Verbrechen gegen das Münzwesen, gegen die Regalien, den Schleichhandel und auch Preßvergehen gegen die Eidgenossenschaft in die Kompetenz des Bundesgerichtes gelegt werden. Diese Anträge wurden damit begründet, daß, wenn in einem Kantone die Presse, begünstigt durch reaktionäre Richtungen, dahin ausgebeutet würde, die Eidgenossenschaft zu verleumden, Unzufriedene zum Ungehorsam gegen die Bundesbehörden aufzustacheln, die Beurtheilung nicht den gleichgesinnten Kantonalbehörden überlassen werden könne, sondern daß die Eidgenossenschaft von sich aus einschreiten müsse. Diesem Gedanken wurde mit dem Beschlüsse Rechnung getragen (siehe Art. 114 der jezigen Bundesverfassung), ,,daß das Bundesgericht ferner über alle Fälle zu urtheilen habe, welche ihm durch ein Gesez übertragen werden"1.

Bei dem gleichen Anlaße wurde von einem Mitglieds als eine wesentliche Bestimmung vermißt der Schuz, welcher dem Eidgenossen gegenüber seiner Kantonsregierung gewährt werden sollte.

Ohne Beispiele anzuführen, sei bekannt, wie noch in neuerer Zeit von Bürgern gewisser Kantone über verweigertes Recht, über Justizmord, bei der Tagsazung Klage erhoben worden sei, und nach dem bestehenden Bunde hätte die Behörde die Kraft nicht gehabt, dem Verlezten zum Rechte zu verhelfen und einen wahrhaft rechtlichen Zustand herzustellen. Der neue Bund sollte derartige Willkürlichkeiten unmöglich machen; er sollte den 'Eidgenossen die Garantie gewähren, daß in lezter Instanz vom Bundesgerichte Recht geschaffen und die Beeinträchtigung durch die Kantonalbehörden wieder aufgehoben würde. Ohne solche Gewähr dürfte noch hie und da, bei der mangelhaften Gerichtsverfassung, der Bürger durch Parteilichkeit und Leidenschaft in seinem guten Rechte verkürzt werden.

Aus den Berathungen der T a g s a z u n g ging der Artikel betreffend die Bestrafung von politischen Vergehen und
Verbrechen, die mit einer bewaffneten eidgenössischen Intervention zusammenhängen, nach dem Antrage der Kommission hervor. Aber auch hier wurden eine Reihe von Anträgen gestellt und Ansichten ge-

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äußert, welche mit der im Ständerathe von Herrn Brosi beantragten Motion in naher Beziehung stehen. So wurde einem Antrage gegenüber, daß gemeinsame Gesezgebung und Rechtspflege 1) in Kriminalsachen, 2) in Handelssachen, 3) für politische Vergehen eingeführt werden solle, geltend gemacht, daß ein solcher Antrag die im Grundsaze anerkannte Souveränität der Kantone aufhebe. Anders verhalte es sich aber mit einzelnen Grundsäzen, bei denen die ganze Eidgenossenschaft interessirt erscheine und welche, ohne das System zu beeinträchtigen, füglich aufgestellt werden könnten und wohin ganz besonders gehöre das Verbot der Todesstrafe auf politische Vergehen , sowie der Vermögeaskonfiskation , oder das Verbot, den politisch Verurtheilten Geldstrafen aufzulegen, welche in ihrer Wirkung den Vermögenseinziehungen gleichkommen. Der Bund habe die Pflicht, die öffentliche Ordnung überall zu sichern und die Kantone zu verhindern, solche Maßnahmen zu treffen, durch welche der Friede gefährdet und Revolutionen verursacht werden könnten.

In Zeiten der Aufregung unterliege die Stimme der Besonnenheit nur zu häufig den Eingebungen der Leidenschaft, und man sei nur zu geneigt, den besiegten Gegner mit den härtesten Strafen zu belegen oder ihn sogar zu vernichten. Hiedureh aber erzeuge sich eine Spannung, welche die Parteien nie zur Ruhe kommen lasse und welche über die Grenzen des Kantons hinaus verderblich wirke, indem die Bevölkerung der andern Kantone nicht gleichgültig zusehen werde, wie gegen politisch Angeklagte im Namen des Gesezes oder durch Ausnahmegeseze gewüthet werde.

In der Absicht, den Stoff zu Staatsumwälzungen und öffentlichen Friedensstörungen zu beseitigen, wurde von der Gesandtschaft des Kantons G l a r u s , in Uebereinstimmung mit derjenigen des Standes St. G a l l e n , folgendes Amendement gestellt: ,,Todesstrafen und Geldstrafen , welche, einer Konfiskation des ganzen Vermögens gleich- oder nahekommen , sind bei politischen Vergehen unzuläßig."1 In der Abstimmung ergab sich nur für die Abschaffung der Todesstrafe bei politischen Verbrechen eine Mehrheit, während für gemeinsame Gesezgebung in Beziehung auf politische Verbrechen nur drei Stände stimmten.

In einer spätem Verhandlung hatte die Gesandtschaft des Kantons Uri den Antrag gestellt, daß ,,über Kriminalurtheile der Kantone in politischen Fällen dem Verurtheilten die Appellation an das Bundesgericht offen bleibe."

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Dieser Antrag wurde aber mit der Bemerkung abgelehnt, es möchte allerdings zwekmäßig sein, wenn über Urtheile, die politische Vergehen betreffen, der Rekurs an das Bundesgericht offen stünde.

Allein wegen der großen Verschiedenartigkeit in der Gesezgebung und im Strafverfahren sei der Vorschlag praktisch kaum als ausführbar zu betrachten.

* Das endliche Resultat aller dieser Vorgänge war das, daß die kantonale Souveränität in Strafsachen durch die Bundesverfassung vom Jahre 1848 nur in folgenden Punkten beschränkt wurde: 1) durch das Verbot der Aufstellung von Ausnahmegerichten (Art. 53); 2) durch das Verbot von Todesurtheilen bei politischen Vergehen (Art. 54) ; 3) durch die Ordnung des Auslieferungswesens (Art. 55) , und endlich : 4) durch die Kompetenz, über politische Verbrechen und Vergehen zu urtheilen, wenn dieselben mit einer eidgenössischen bewaffneten Intervention im Zusammenhange stehen (Art. 104).

Die Bundesverfassung vom Jahre 1874 hat in den Artikeln 58, 65, 67 und 112 diese Einschränkungen aufs Neue aufgestellt und denselben noch die Artikel 44 (Verbot der Verbannung) und 66 (Bundesgesezgebung über den Verlust der politischen Rechte) beigefügt.

Die durch Art. 104 der frühern und Art. 112 der jezigen Bundesverfassung; aufgestellte Vorschrift fand auf dem Wege der Gesezgebung durch das Bundesstrafrecht vom 4. Februar 1853 ihre Vollziehung. Durch den Art. 52 in Verbindung mit Art. 45 bis 50 sind die Bedingungen festgestellt, unter welchen der Richter gewisse Verbrechen und Vergehen im Sinne von Art. 112, Ziff. 3 der Bundesverfassung als politische Verbrechen und Vergehen zu betrachten hat und die Jurisdiktion des Bundesgerichtes an Stelle derjenigen der kantonalen Gerichte tritt.

Sollen nun diese Grenzen im Sinne der Motion des Herrn Brosi erweitert werden?

Es läßt sich nicht bestreiten, daß die oben angeführten, in der Tagsazung für die Abschaffung der Todesstrafe geltend gemachten Motive auch heute noch bestehen und in vollem Maße für die in Frage liegende Erweiterung der Kompetenz des Bundesgerichtes und die Beschränkung der kantonalen Jurisdiktion angerufen werden können. Wir stehen deßhalb nicht an, den 'der Motion zu Grunde

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liegenden Gedanken als einen richtigen und zugleich praktischen und zeitgemäßen zu bezeichnen.

Wenn die Aufregung und die Leidenschaft in einem Staate nicht nur die Leiter der Politik ergreift, sondern die Bevölkerungen ganzer Kantone aufregt, und damit auch die Unparteilichkeit der Gerichte, namentlich der Ges'chwornengerichte, gefährdet und noch öfter geradezu ausschließt, soll der Bund den Angeklagten und dem Kantone zu Hülfe kommen und Untersuchung und Urtheil in die Hände unparteiischer Richter legen und dadurch die gestörte Rechtsordnung wieder herstellen.

Die Beispiele sind in der Schweizergeschichte bis auf die neueste Zeit zahlreich, daß durch den Verlauf von Kriminalprozessen nicht bloß die Gerechtigkeit, sondern in Folge dessen auch die öffentliche Ordnung über die Grenzen der Kantone hinaus gefährdet wurde. In dem politischen Leben der Eidgenossenschaft nimmt nicht selten die ganze Bevölkerung an den Fragen, deren Erledigung rechtlich ausschließlich den Kantonen zusteht, den lebhaftesten Antheil, und der Spruch eines Gerichtes, dem mit Recht oder Unrecht das Vertrauen der Unparteilichkeit fehlt, wird zur brennenden Frage des ganzen Landes. Wir brauchen nur auf das lezte Beispiel dieser Art, auf den Stabioprozeß, zu verweisen, um ohne weitere Ausführung diesen Gedanken klar zu machen.

Diese Fälle, die sich täglich wiederholen können, sind eine Verlegenheit für die Kantone, eine Gefahr für die Angeklagten und enthalten die Keime schwerster Zerwürfnisse für das ganze Land.

Soweit hier eine Abhülfe auf dem Wege der Gesezgebung getroffen werden .kann, wird sie zur Pflicht, und sie kann getroffen werden, wenn es möglich wird, von vorneherein einen unbefangenen und daher unparteiischen Richter anzurufen. Hiezu zeigt die Bundesverfassung selbst den Weg. Nach Art. 112, Ziffer 3 intervenir!

der Bund bei kantonalen ,,Unruhen" in doppelter Weise: er hält mit bewaffneter Macht die Ordnung aufrecht und stellt die kan tonalen Gerichte still, wenn es sich um ,,politische Verbrechen und Vergehen00 handelt, die mit diesen Unruhen im Zusammenhange stehen. Derselbe Grund und dieselbe politische Notwendigkeit besteht aber für die eidgenössische Intervention auch dann, wenn die Rechtspflege eines Kantones und dadurch die öffentliche Ordnung desselben bedroht erscheint. In diesem Falle hat der Bund den
y,Unruhentt vorzubeugen, indem er sich darauf beschränkt, die Jurisdiktion an sich zu ziehen. In erster Linie wäre also die Substitution der eidgenössischen Gerichte von einer bewaffneten Intervention unabhängig zu machen, womit jedoch nur nach einer Seite hin geholfen ist. Es liegt auf der Hand, daß aus den angeführten

123 Gründen die Jurisdiktion der Eidgenossenschaft am Plaze derjenigen der Kantone auch bei andern als politischen Verbrechen und Vergehen nothwendig werden kann. Wie weit man auch den Begriff des politischen Verbrechens im Gegensaz zum gemeinen Verbrechen ausdehnen will, so würde man doch schwerlich je da.hin gelangen, in dem Stabioprozesse die Tödtung des Pedroni als ein politisches Verbrechen zu erklären; denn wollte man auch annehmen, daß jedes Verbrechen als ein politisches erklärt werden müsse, welches aus einem politischen Motîv begangen, wird, so wird es doch stets unzuläßig sein, ein Verbrechen auch dann in diese Kategorie einzureihen, wenn sich auch nur die äußerliche Veranlagung desselben auf politische Verhältnisse zufükführen läßt. Die Aufregung, welche der Stabioprozeß veranlaßte, hatte auch keineswegs darin ihren Grund, daß die vefübten Verbrechen nicht als politische betrachtet wurden, sondern sie war durch die Befürchtung veranlaßt, daß ein Theil der Angeklagten der politischen Leidenschaft des Gerichtes zum Opfer fallen möchte.

Die Lösung der Aufgabe kann also nicht darin liegen, den Begriff der politischen Verbrechen und Vergehen zu erweitern, sondern es muß die in Art. 112, Ziffer 3 eng beschränkte Jurisdiktion des Bundes auf den wichtigeren und häufigeren Fall ausgedehnt werden, daß nach den thatsächlichen Verhältnissen anzunehmen ist, ein Beklagter falle in die Hände von parteiischen Richtern, die seine politischen Gegner sind. In der Regel wird di ese Gefahr allerdings nur in solchen Fällen drohen, wo auch das eingeklagte Delikt mit politischen Verhältnissen im Zusammenhange steht, aber nothwendig ist das Zutreffen dieser Voraussezung nicht, und sie darf daher auch nicht eine Bedingung der eidgenössischen Jurisdiktion bilden.

Das Bundesgesez über das Strafverfahren enthält in Art. 32, Litt. l. eine Bestimmung, welche inner den Grenzen der eidgenössischen Jurisdiktion dem nämlichen Zweke dient. Die Anklagekammer ist nämlich nicht verpflichtet, einen Angeklagten an den Assisenhof zu verweisen, in dessen Bezirk das Vergehen begangen worden ist, sondern sie kann die Verhandlung und Beurtheilung einem andern Gericht übertragen, wenn nur in dem Ueberweisungsbeschlusse angegeben wird, daß diese Bestimmung in Folge einer speziellen Berathung getroffen worden sei.

Noch deutlicher
und für unsern Zwek maßgebend spricht sich in Art. 51 das Gesez vom 27. Juni 1874 über die Organisation der Bundesrechtspflege aus. Es sagt : ,,Die Kriminalkammer bezeichnet jeweilen den Ort, wo die Assisen gehalten werden.a

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,,In der Regel soll jedes Verbrechen oder Vergehen in demjenigen Assisenbezirk beurtheilt werden, in welchem es verübt worden ist. Im Interesse einer unbefangenen Rechtspflege oder der öffentlichen Sicherheit kann jedoch hievon eine Ausnahme gemacht werden.tt Damit ist für die eidgenössische Justiz die Anweisung eines unabhängigen und unparteiischen Richters gesichert, und die Gefahren, die aus dem Urtheil eines abhängigen und parteiischen Gerichtes hervorgehen können, sind zum Voraus ausgeschlossen. Droht aber diese Gefahr durch die Einleitung eines kantonalen Strafverfahrens, so ist die Eidgenossenschaft wehrlos und sie muß vorerst die aus diesem Verfahren oder dem Urtheil entstehenden Unruhen abwarten, um interveniren zu dürfen.

Das französische Strafrecht enthält eine dem eben angeführten eidgenössischen Geseze analoge Bestimmung. In Art. 542 des ,,Code d'instruction criminelle" wird nämlich dem Kassationshofe das Recht ertheilt, eine Strafsache von einem Gerichtshofe an den andern zu verweisen, ,,pour cause de sûreté publique ou de suspicion légitime." Nach der französischen Jurisprudenz (Rivière, Codes français) wird die Besorgniß dann als begründet angenommen, wenn zu befürchten ist, daß die lokalen Leidenschaften auf das Geschwornengericht Einfluß üben können. (Il y a lieu à renvoi pour cause de suspicion légitime, lorsque l'ardeur des passions locales peut influencer le jury.)

Nach dieser allgemeinen Begründung des Gesezesvorschlages bleiben nur noch wenige Bemerkungen zu machen.

Es ist schon ausgeführt worden, daß das Gesez seinen Zwek nicht erreichen würde, wenn die Erweiterung der Kompetenz des Bundesgerichtes nur politische Verbrechen zum Gegenstand haben sollte. Gegenüber der Nothwendigkeit, zwischen politischen und andern Verbrechen nicht zu unterscheiden, ist es ohne jede Bedeutung, daß das zu erlassende Gesez allerdings auch jedem Dieben oder Betrüger die Möglichkeit bietet, seinen kantonalen Richter als parteiisch zu bezeichnen und die Ueberweisung an das Bundesgericht zu verlangen. Diese Fälle werden übrigens selten sein und nie zum Ziele führen, weil nicht das Begehren des Angeklagten, sondern der Beschluß des Bundesrathes über die Ueberweisung entscheidet.

Es läßt sich die Frage aufwerfen, ob die Ueberweisung an das Bundesgericht diesem selbst oder dem Bundesrathe übertragen werden soll. Für den ersteren Weg läßt sich anführen, daß in der Ueberweisung eine eigentliche Kompetenzbestimmung liege,

125 welcher eine gerichtliche Kognition der Verhältnisse und Thatsachen vorausgehen müsse. Dem gegenüber ist aber zu erwägen, daß auch in dem jezigen Strafverfahren (Art. 74 des Bundesstrafrechtes) dem Bundesrathe die Befugniß der Entscheidung zukommt, ob ein in den Rahmen des eidgenössischen Strafgesezes fallendes Verbrechen an die Kantonalbehörden gewiesen oder aber nach dem eidgenössischen Prozeßverfahren zu untersuchen und durch die Bundesassisen zu beurtheilen sei. Bei politischen Verbrechen darf überhaupt eine Strafklage ohne die Zustimmung des Bundesrathes nicht stattfinden (Art. 29 des Bundesgesezes über die Strafrechtspflege). Dazu kommt noch, daß die im Gesezesvorschlage vorgesehene Ueberweisung auf politischen Erwägungen und Voraussezungen beruht und daher auch aus diesem Grunde eher dem Bundesrathe zur Erledigung zufällt.

Es liegt uns nun ob, die Kompetenz zum Erlasse dieses Gesezes zu begründen. Wir finden dieselbe in der Bestimmung des Art. 114 der Bundesverfassung, welcher es der Bundesgesezgebung überläßt, außer den in den Artikeln 110, 112 und 113 bezeichneten Gegenständen auch noch andere Fälle in die Kompetenz des Bundesgerichtes zu legen. Auch hier wird es am Plaze sein, sich die Tragweite dieser Bestimmung aus der Entstehung derselben klar zu machen. In der Tagsazung vom Jahre 1848 war der Antrag gestellt worden, diese Bestimmung zu streichen, indem in den früheren Artikeln bereits genauer ausgeschieden sei, was in die Kompetenz des Bundesgerichtes gehöre, und man nicht Gefahr laufen wolle, daß auf dem Wege der Bundesgesezgebung noch beliebig andere Gegenstände den Kantonalgerichten entzogen werden. Von der Vertretung des Kantons Genf war beantragt worden, zu sagen : ,,Outre les cas mentionnés aux art. 97 et 101, la législation fédérale peu placer d'autres affaires du ressort de la Confédération dans la compétence du tribunal fédéral."

Mit Mehrheit wurde der Artikel in derjenigen Fassung angenommen , in welcher er auch in die jezige Bundesverfassung übergegangen ist (Art. 114). Dieser Uebergang war unbeanstandet, soweit er den Verfassungsentwurf vom Jahre 1872 betrifft, und zwar erfolgte derselbe, nachdem der Bundesrath in seiner Botschaft vom 17. Juni 1870 erklärt hatte: ,,Die Bundesverfassung von 1848 hat zwar dem Bundesgerichte sehr spärliche Funktionen zugetheilt, jedoch
den Fall vorausgesehen, daß eine Zeit kommen könnte, wo dessen Arbeitsgebiet erweitert werden müßte. Art. 106 der Bundesverfassung enthält eine Art Generalvollmacht zur Erweiterung der bundesrechtlichen Kompetenz

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auf alle beliebigen Gebiete, und er ermöglicht auch, auf bundesgesezlichem Wege dem Bundesgerichte beliebige Funktionen anzuweisen, sei es zu erst- und leztinstanzlicher Aburtheilung von Streitigkeiten, sei es zu Funktionen als Appellations- oder Kassationsinstanz; es bedarf also durchaus keiner Kompetenz in diesen Richtungen.a Diese Auffassung des Bundesrathes wurde bei den Verhandlungen über die 1874er Verfassung von den Gegnern des Art. 114 getheilt. Dieselben machten nämlich geltend, daß nach dem Inhalte dieser Bestimmung der Autorität des Bundesgerichtes auf dem Wege der Gesezgebung alles Mögliche übertragen werden könnte, so daß von einer Ausscheidung durchaus nicht mehr die Rede wäre, worauf erwidert wurde, es finde sich diese Bestimmung schon in der jezigen Bundesverfassung, und es würde einen eigentümlichen Eindruk machen, wenn man nach Ausdehnung der Kompetenzen nun zu einem Rükschritte sich entschließen wollte, da die Bedingungen, welche im Jahre 1848 vorhanden gewesen seien, auch gegenwärtig noch fortbestehen.

Wenn die Meinung geltend gemacht worden ist, die in Art. 112, Ziffer 3 ausgesprochene Kompetenz des Bundesgerichtes sei in der Weise auf die Intervention des Bundes beschränkt, daß eine AusdehnungO auf Grund der Vollmacht des Art. 114 nicht zuläßigO erscheine, so läßt sich hiefür weder aus dem Wortlaute des Artikels 1 noch sonst ein Grund abführen. Wäre diese Beschränkung beabsichtigt gewesen, so würde die Fassung entsprechend lauten, und es würde gesagt sein, daß die politischen Verbrechen und Vergehen auss c h l i e ß l i c h in dem Falle in der Kompetenz des Bundesgerichtes liegen, wenn dieselben als Ursache oder Folge mit der eidgenössischen Intervention zusammenhängen. Bei dieser oder einer ähnlichen Redaktion könnte man Bedenken tragen, die Ausdehnung der Kompetenz als zuläßig zu halten, während der angewendete Wortlaut keinen Zweifel übrig läßt, daß die Verfassung von sich aus für einen genau bestimmten Fall die Kompetenz in Art. 112 ausdrüklich begründen wollte und zu der Erweiterung derselben in Art. 114 der Bundesgesezgebung Freiheit ließ.

Die thatsächliche Anwendung, welche die Bundesversammlung von der Vollmacht des Art. 114 gemacht hat, ist mit dieser Auffassung übereinstimmend und von entscheidender Bedeutung. Schon in dem Geseze vom 4. Februar 1853 wurde von dieser
Kompetenz der umfassendste Gebrauch gemacht. Für die Aufstellung der nachstehenden Verbrechensbegriffe und der darauf gesezten Strafen hatte die Bundesversammlung kein anderes verfassungsmäßiges Recht, als die in Art. 114 (damals Art. 106) liegende Vollmacht:

127 Art.

,, ,, ,, ,, ,,

61.

62.

64.

65.

66.

67.

Verfälschung von Bundesakten; Falsches Zeugniß vor einer Bundesbehörde; Uebertretung der Landesverweisung; Anwerbung in fremden Militärdienst; Störung der Telegraphenanstalt; Gefährdung und Schädigung von Post- und Eisenbahnzügen.

Alle diese Vergehen wurden nicht nur dem Begriff und der Strafe nach bundesrechtlich normirt, sondern ausdriiklich (Art. 74) nach dem Gutfinden des Bundesrathes der bundesgerichtlichen Jurisdiktion unterstellt. Ja in dem Art. 76 ist allgemein ausgesprochen, daß im Falle konnexer Verbrechen, von denen die einen in die Bundes-, die andern in die Kantonal kompetent einschlagen, es den Bundesassisen freisteht, die leztern ebenfalls zu beurtheilen.

Allein nur auf der durch Art. 114 eingeräumten Kompetenz beruht auch der Erlaß einer Reihe von andern Bestimmungen, wodurch die Jurisdiktion des Bundesgerichtes entweder ausschließlich oder in seiner Eigenschaft als Kassationsbehörde begründet wird.

Wir .lassen diese Bestimmungen folgen: 1) Art. l und 18 des Gesezes vom 30. Juni 1849, betreffend das Verfahren bei Uebertretungen fiskalischer und polizeilicher Bundesgeseze, wonach alle von den kantonalen Gerichten bei Uebertretungen der Bundesgeseze über Zölle, Posten, Pulver, Münzen, Maß und Gewicht *), sowie anderer fiskalischer und polizeilicher Bundesgeseze ausgefällten Urtheile an das Bundesgericht als Kassationsgericht weitergezogen werden können (vide Art. 55' des Gesezes vom 27. Juni 1874 über die Organisation der Bundesrechtspflege) ; 2) Art. 4, Abs. l des Gesezes vom 23. Dezember 1851 über die politischen Garantien, nach welchem auch gemeine Verbrechen, begangen an Mitgliedern des Bundesrathes oder des Bundesgerichtes, der eidgenössischen Straf Justiz unterstellt werden; 3) Art. 59 des Gesezes vom 24. Dezember 1874 über den Civilstand. Ueber die Anwendung der bundesrechtlich festgesezten Strafen entscheidet das kantonale Gericht. Sämmtlichen Interessirten steht aber gegen die Urtheile der kantonalen Gerichte der Rekurs an das Bundesgericht offen.

Dasselbe gilt: *) Uebertretungen der eidg. Maß- und Gewiohtsordnung sind am 18. Juli 1856 (A. S. V, 345) wieder der kantonalen Gerichtsbarkeit überlassen worden. Dieser Bundesbeschluß ist durch das neue Gesez über Maß und Gewicht nicht aufgehoben (A. S. n. P. I, 752).

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4) von dem Geseze über Forstpolizei (24. Mävz 1876), sowie von dem Fabrikgeseze (23. März 1877), dem Geseze über Fischerei (18. September 1875), und endlich von dem Geseze über die Wasserbaupolizei (22. Juni 1877); 5) das neueste Gesez, welches auch die Jurisdiktion des Bundesgerichtes mit ausdrüklichen Worten aus Art. 114 der Bundesverfassung ableitet, ist das Banknotengesez' vom 8. März 1881.

Art. 49 desselben schreibt Folgendes vor: ,,Der Bundesrath hat die in den Artikeln 47 und 48 aufgezählten Straffälle jeweilen nach ihrer Bedeutung entweder gemäß Art. 114 der Bundesverfassung und nach Analogie des Art. 74 des Bundesstrafrechtes vom 4. Februar 1853 dem Bundesgerichte oder aber den zuständigen kantonalen Gerichten zur Erledigung zuzuweisen.

,,Vorbehalten bleibt in den leztern Fällen das im Art. 55 des Organisatioüsgesezes über die Bundesreehtspflege vorgesehene Recht der Kassationsbeschwerde beim Bundesgeiichte.

,,Die Geldbußen fallen zur Hälfte dem Bunde, zur Hälfte dem betreffenden Kanton anheim.a Es ist wohl zu bemerken, daß der Bund in diesem Falle von der Kompetenz des Art. 114 Gebrauch gemacht hat, obwohl ihm nur das Aufsichtsrecht im Banknotenwesen zusteht und trozdem er bisanhin die Jurisdiktion über die Münzverbrechen, wo es sich um das Regal des Bundes handelt, den Kantonen beließ. Daß er auch diese Gerichtsbarkeit an sich zu ziehen das Recht hätte, ist wohl keinem Zweifel unterworfen.

Nach dieser Darstellung darf die Behauptung aufgestellt werden, daß das durch Art. 114 in klaren Worten ausgesprochene und von dem Bunde nicht nur in Civilsachen, sondern auch im Strafwesen vielfach geübte Recht auch im vorliegenden Falle begründet ist, wo es sich darum handelt, ,,außer dem im Art. 112, Ziffer 3 genannten Gegenstande auch noch einen andern Fall in die Kompetenz des Bundesgeriehtes 'zu legen", den Fall nämlich, der in dem Gesezentwurfe norrnirt ist. Wir sagen ausdrüklich diesen ,,Fall", denn wir theilen die Meinung nicht, als ob in dem Art. Il4 auch die Befugniß liege, ganze Rechtsgebiete, so z. B. das ganze Strafrecht, als Sache des Bundes zu behandeln. Eine solche Auffassung würde sich weder mit dem Wortlaute des Art. 114 und noch weniger mit den Bestimmungen der Verfassung vertragen, durch welche die Souveränität der Kantone auch im Gerichtswesen als Regel gesichert ist. Von dieser Regel ist die Bupdesverfassung nur in einzelnen Punkten, in denen das Interesse der Gerechtigkeit

129 mit demjenigen der öffentlichen Ordnung des ganzen Landes eng verbunden schien, abgewichen, indem sie die Bundesgesezgebung ermächtigt, in ähnlichen Fällen dasei be zu thun.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommensten Hochachtung.

B e r n , den 13. Januar 1882.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Bayier.

Der Stellvertreter des Kanzlers der Eidgenossenschaft : Schatzmann.

(Entwurf)

Bundesgesez betreffend

die Revision des Bundesstrafrechtes vom 4. Februar 1853.

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 13.Jänner 1882; gestüzt auf Artikel 114 der Bundesverfassung, beschließt: Art. 1. Das Gesez über das Bundesstrafrecht vom 4. Hornung 1853 wird durch folgenden Artikel ergänzt:

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Art. 74 bie . Wenn in Folge politischer Verhältnisse die Unabhängigkeit oder Unbefangenheit kantonaler Gerichle in Bezug auf eine ihrer Beurtheilung unterstellte Strafklage als gefährdet angesehen werden muß, so ist der Bundesrath auf Verlangen eines Betheiligten berechtigt, die Untersuchung und Erledigung einer solchen Klage an das Bundesgericht zu überweisen, auch wenn das Verbrechen oder Vergehen in dem gegenwärtigen Geseze nicht vorgesehen ist. Das Bundesgericht urtheilt in dem leztem Falle nach der Gesezgebung des Kantons, in welchem das Verbrechen begangen wurde, in der Meinung jedoch, daß der Richter auf Todesstrafe nicht erkennen darf und unter das geringste gesezliche Strafmaß herabgehen kann.

Unter der gleichen Voraussezung bleibt das Bundesgericht zur Beurtheilung der im Artikel 52 dieses Gesezes genannten Fälle zuständig, wenn auch eine eidgenössische Intervention nicht stattgefunden hat.

Art. 2. Der Bundesrath ist beauftragt, auf Grundlage der Bestimmungen des Bundesgesezes vom 17. Brachmonat 1874 die Bekanntmachung dieses Gesezes zu veranstalten und den Beginn der Wirksamkeit desselben festzusezen.

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die Revision des Bundesstrafrechtes vom 4. Februar 1853. (Vom 13. Januar 1882.)

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28.01.1882

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