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Schweizerisches Bundesblatt.

34. Jahrgang. III.

Nr. 30.

7. Juni 1882.

J a h r e s a b o n n e m e n t (portofrei in der ganzen Schweiz): 4 Franken.

Einrückungsgebühr per Zeile 15 Kp. -- Inserate sind franko an die Expedition einzusenden Druk und Expedition der Stämpflischen Buchdruker in Bern.

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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung zu dem Gesetzentwurf über die politischen Rechte der Schweizerbürger.

(Vom 2. Juni 1882.)

Tit.

Seit dem Inkrafttreten der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 haben sich die eidgenössischen Räthe schon zweimal mit der Ausarbeitung eines Bundesgesetzes befaßt, das die in den Art. 43, 45, 47, 66 und 74 derselben zerstreut niedergelegten Grundsätze betreffend die politischen Rechte der Schweizerbürger zusammenfassen, entwickeln und näher ausführen sollte. Bekanntlich sind beide Entwürfe in den Volksabstimmungen vom 23. Mai 1875 und 2l. Oktober 1877 verworfen worden. Der erste Entwurf, vom 24. Dezember 1874, unterlag mit 202,583 annehmenden gegenüber 207,263 verwerfenden Stimmen, also gegenüber einer Majorität von bloß 4680 Stimmen; der zweite dagegen, vom 28. März 1877, hatte gegen sich eine Mehrheit der Abstimmenden von 81,673, indem sich von 344,787 Stimmen 213,230 für Verwerfung und nur 131,557 für Annahme erklärten. Es ist jedoch zu bemerken, daß an der zweiten Abstimmung sich 65,059 Bürger weniger betheiligten, als an der ersten.

Ein Blick auf das Abstimmungstableau lehrt, daß mehrere Kantone, welche den ersten Entwurf mit zum Theil beträchtlichen Mehrheiten angenommen hatten, wie z. B. Bern, Baselland, Appenzell A.-Rh., Genf, das zweite Mal zu den Verwerfenden übergingen, während andere, wie St. Gallen, Aargau, wo das erste Mal die Bundesblatt. 34. Jahrg. Bd. III.

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Anhänger und die Gegner odes Gesetzes in ungefähr gleicher Stärke einander gegenüber gestanden , in der zweiten Abstimmung erdrückende Mehrheiten für Verwerfung aufwiesen und auch diejenigen Kantone, welche beiden Entwürfen zustimmten, wie Zürich, G-larus, Thurgau, Neuenburg, für den zweiten Entwurf viel weniger entschieden und kräftig eintraten, als für den ersten.

Man hatte dem Entwurfe vom 24. Dezember 1874, der sich mit voller Absicht auf die Ordnung der p o l i t i s c h e n S t i m m b e r e c h t i g u n g der Schweizerbürger in Ausführung der Artikel 43, 47, 66 und 74 des Bundesverfassung beschränkte, in der Tagespresse und in der öffentlichen Besprechung im Schöße von Vereinen und Versammlungen auf der einen Seite vorgeworfen, daß er die Aufenthalter nach einem allzu kurzen Zeitraum (3 Monate bei kantonalen und 6 Monate bei Gemeindeangelegenheiten) /ur Stinimgebung zulasse, trotz der Vorschrift des Art. 47 der Bundesverfassung den Unterschied zwischen Niederlassung und Aufenthalt nicht bestimme, eine mit Art. 43 der Bundesverfassung im Widerspruch stehende Präsumtion zu Gunsten der Stimmberechtigung aufstelle und im Ausschluß vom Stimmrecht viel zu wenig weit gehe; von der andern, der französischen Schweiz vornehmlich angehörenden Seite aber erhob man den Einwurf, daß der Gesetzentwurf in der Aufstellung von Ausschlußgründen, wie z. B. Konkurs und Almosengenössigkeit, zu weit gegangen sei.

Der Bundesrath, von der Dringlichkeit und der hohen staatsrechtlichen Bedeutung des Gegenstandes überzeugt, schenkte der Frage seine unausgesetzte, volle Aufmerksamkeit. Er beschloß nach dem negativen Votum vom 23. Mai 1875 die sofortige Wiederaufnahme der gesetzgeberischen Arbeit mit thunlichster Berücksichtigung der in der öffentlichen Besprechung zu Tage getretenen Ansichten und Begehren. Das eidgenössische Justizdepartement beauftragte den Verfasser des ersten Entwurfes, Dr. J. Dubs, mit der Ausarbeitung eines neuen Vorschlages. Dr. Dubs, damals Mitglied des Nationalrathes, reichte bereits im September 1875 ein gänzlich umgearbeitetes Projekt ein, das den Titel führte: ,,Bundesgesetz betreffend die p o l i t i s c h e n und b ü r g e r l i c h e n Verhältnisse der schweizerischen Niedergelassenen und Aufenthalter" und demzufolge als eine umfassende Ordnung deiin den vorgenannten u n d d e m A r t
. 46 der Bundesverfassung der Bundesgesetzgebung vorbehaltenen Verhältnisse sich einführte.

Eine im März 1876 zusammengetretene vorberathende Kommission ließ jedoch die Aufnahme der civilrechtlichen Verhältnisse in den Gesetzesvorschlag wiederum fallen; der Bundes-

% rath , dieser Anschauungsweise folgend , legte mit Botschaft vom 25. Oktober 1876 den eidgenössischen Räthen den zweiten Gesetzentwurf betreffend ,,die politischen Rechte der Niedergelassenen und Aufenthalter und den Verlust der politischen Rechte der Schweizerburger" und gleichzeitig, aber weil innerlich nicht zusammengehörig als selbstständige Arbeit, auch den Entwurf zu einem ,,Bundesgesetze über die bürgerlichen (civilrechtlichen) Verhältnisse der schweizerischen Niedergelassenen und Aufenthalter" vor.

Die Bundesversammlung ihrerseits genehmigte diese Art des Vorgehens und zog die beiden Vorlagen in gesonderte Berathung.

Ueber das Schicksal der letztern , welche bekanntlich im Schöße der eidgenössischen Räthe selbst nicht bis zu einem definitiven Bundesgesetzentwurfe gediehen ist, wollen wir uns hier nicht weiter auslassen. Wir beschränken uns auf einige Mittheilungen über den Gang der Berathung des erstgenannten Gesetzeswerkes.

Auf der Grundlage des bundesräthlichen Entwurfes vorn 25. Oktober 1876 und ohne wesentliche Abweichung von demselben einigten sich die gesetzgebenden Räthe der Eidgenossenschaft am 28. März 1877 auf ein sachbezügliches Bundesgesetz.

Dasselbe, von einer begrifflichen Feststellung des Unterschides zwischen Niederlassung und Aufenthalt absehend, überließ dem Schweizerbürger die freie Wahl zwischen den beiden Verhältnissen, machte jedoch einzelne Fälle namhaft, in welchen die Niederlassung obligatorisch sei, immerhin unter der den Kantonen verliehenen Befugniß, den Unterschied ganz fallen zu lassen; die Stimmberechtigung der Aufenthalter in kantonalen und Gemeindesachen sollte nach einer Wartefrist von einem Jahre eintreten, jedoch wiederum mit Anerkennung des Rechtes der Kantone, diese Fristbestimmung, sowie die durch die Verfassung vorgesehene dreimonatliche Wartefrist der Niedergelassenen abzukürzen oder aufzuheben ; die Präsumtion zu Gunsten des Stimmrechtes eines Bürgers wurde beibehalten, jedoch mit der Auflage, daß derselbe eine schriftliche, dasselbe bestätigende Erklärung abgeben müsse; die Ausschlußgründe erhielten eine verschärfte Fassung, indem die T h a t s a c h e des Konkurses den Verlust der politischen Rechte bis auf 10 Jahre nach sich ziehen konnte, sofern nicht durch Urtheil der zuständigen Behörde (nicht nur eines Gerichts) die völlige Unverschuldetheit
des Konkurses konstatirt würde, gleichwie auch die T h a t s a c h e der öffentlichen Almosengenössigkeit, ohne Rücksieht auf die Schuld oder Nichtschuld des Unterstützten, als Ausschlußgrund anerkannt wurde. Allein auch hier, in den eben erwähnten Fällen der Ausschließung vom Stimmrechte, enthielt das Gesetz

einen ausdiücklichen Vorbehalt hinsichtlich der Freiheit der Kantone, dieselben in ihrem Gebiete anzuerkennen oder zu beseitigen.

Wir haben schon erwähnt, daß dieses Gesetz, das mit Recht als die Frucht eines nach allen Seiten hin Rücksicht tragenden Vermittelungsstandpunktes bezeichnet werden d a r f , vor dem Richterstuhl des Volkes wenig Anerkennung fand und mit einer viel entschiedenem Mehrheit als dasjenige vom 24. Dezember 1874 verworfen wurde.

Es wäre schwierig, ja schlechterdings unmöglich, aus der dem Volksentscheide vorausgegangenen öffentlichen Besprechung einen leitenden einheitlichen Gedanken herauszufinden. Man darf vielmehr sagen, und zwar mit noch größerer Sicherheit als das erste Mal, daß das Gesetz dem Zusammenwirken Derjenigen, welche es als zu weitgehend, zu freisinnig erfanden, mit Denjenigen, denen es als rückschrittlich, beengend, ohne durchschlagenden politischen Gedanken erschien, zum Opfer gefallen ist. Es darf indeß auch die von Vertretern verschiedener politischer Richtungen erhobene Einwendung nicht unerwähnt bleiben, daß dasselbe der Gegensätzlichkeit und Buntscheckigkeit in den politischen Stimmrechtsverhältnissen der Eidgenossenschaft nur in sehr beschränktem Maße ein Ende gemacht hätte.

Der Bundesrath konnte sich nach diesen Erfahrungen nicht ermuthigt finden, von sich aus ohne Weiteres neuerdings die Initiative zur Vorlage eines dritten Gesetzesentwurfes zu ergreifen. Es schien ihm gegentheils angezeigt zu sein, die offenbar diesfalls in einer gewissen Gährung begriffenen Volksanschauungen sich etwas mehr beruhigen und abklären zu lassen, bevor dem Urtheile des Volkes die Frage wiederum unterstellt würde. Es durfte erwartet werden, daß die öffentliche Meinung nicht zögern würde, in einer bestimmten und unzweideutigen Richtung in Bälde sich kundzugeben.

Am 2. März 1880 ging dem Bundesrathe eine Petition, d. d.

Bern, 22. Februar 1880, zu, deren 30 Unterzeichner sich als Vollmachtträger einer ,,Vereinigung schweizerischer Fallitena erklären und das Gesuch vorlegen: Der Bundesrath möge bei den eidgenössischen Bäthen den Antrag einbringen, daß die Bestimmungen kantonaler Gesetze oder Verordnungen, wonach der Konkurs die Entziehung oder zeitweilige Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit des Gemeinschuldners nach sich zieht, außer Wirksamkeit zu setzen seien
und. daß eine solche Entziehung oder Einstellung nur in Folge gerichtlichen Urtheils stattfinden dürfe. Der Bundesrath erwiederte dem Centralkomite der schweizerischen Falliten-Vereinigung, daß

er nicht ermangeln werde, diese Vorstellung bei seinen gesetzgeberischen Arbeiten in geeignete Würdigung zu ziehen.

Mit Zuschrift vom 3. Dezember 1880 reichte das genannte Centralkomite dem Bundesrathe zwei von 1070 Aktivbürgern und 1170 Konkursiten ausgehende Petitionen mit dem vorerwähnten Petitum zu Händen der Bundesversammlung ein und mit Schreiben vom 24. Dezember 1880 erfolgte eine gleiche Eingabe bei der Bundeskanzlei mit 593 Unterschriften Seitens des Vorstandes der ,,Falliten-Vereinigung Luzern's.a Der Bundesrath, welcher am 10./13. Dezember 1880 die erstgenannten Petitionen den gesetzgebenden Räthen der Eidgenossenschaft zur Kenntnißnahme unterbreitete, erhielt am 15. Dezember 1880 vom Ständerathe, dem die Priorität in der Behandlung des Gegenstandes zugefallen war, den Auftrag zu diesfälliger Berichterstattung.

Am 8. August 1881 sodann gelangte Herr Joseph Hug, gewesener Fabrikarbeiter und Rechtsagent, in einer von Luzern, 5. August, datirton Petition au die hohen Räthe der schweizerischen Eidgenossenschaft mit einem wesentlich gleichlautenden Gesuche.

Endlich luden, nachdem bereits in der Junisession 1881 ein bezügliches Postulat vom Nationalrathe anfänglich angenommen, dann aber auf den Beschluß des Ständerathes, es sei erst die Vorlage eines schweizerischen Konkursgesetzes abzuwarten, wieder fallen gelassen worden war, die Herren Nationalrathe Dr. Burckhardt und 4 Mitunterzeichner (Vonmatt, Deucher, Vessaz, Marmier} durch eine Motion vom 16. Dezember 1881 den Bundesrath ein, einen neuen Gesetzentwurf über die politischen Rechte der schweizerischen Niedergelassenen und Aufenthalter und über den Verlust der politischen Rechte der Schweizerbürger auszuarbeiten und in einer der nächsten Sessionen der Bundesversammlung vorzulegen.

Diese Motion wurde von Nationalrathe in seiner Sitzung vom 24. Januar 1882 einmüthig erheblich erklärt und an den Bundesrath mit der Wegleitung gewiesen, daß der Rath ohne ein weiteres Gutachten des Bundesrathes oder einer Kommission die Neuvorlage des fraglichen Gesetzes gewärtige. Aus der Begründung des Motionsstellers Burckhardt heben wir hervor, daß derselbe den Gegenstand ·als einen äußerst dringlichen und für sich, nicht in Verbindung mit der Ordnung der civilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter zu behandelnden bezeichnete,
indem ein Rechtszustand wie der gegenwärtige, wo den Aufenthaltern wohl die' Pflichten der Staatsbürger, -insbesondere die aktive oder steuerweise Militärpflicht, obliegen, dagegen ein Stimmrecht vielerorts

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nach den Erfahrungen bei den letzten Natioualrathswahlen nicht zugestanden wird, in allzuschroffer Weise gegen die Begriffe der politischen Gerechtigkeit und Gleichheit verstoße, um länger geduldet werden zu können.

Infolge dieser Einladung von Seite des Nationalrathes hat sich der Bundesrath beeilt, den hohen eidgenössischen Käthen einen neuen Entwurf eines Bundesgesetzes über die vorwürfige Materie zu übermitteln, zu dessen einläßlicher Besprechung wir nun schreiten.

Wir schicken voraus, daß uns bei der anerkannten Dringlichkeit der Ordnung der politischen Stimmberechtigung und bei der innerlichen Verschiedenheit derselben von den civilrechtlichen Verhältnissen eiue weitere Begründung, warum wir nicht über beide Gegenstände ein Gesetz erlassen wollen, nicht mehr geboten erscheint, und beginnen sofort mit der Betrachtung der einzelnen Abschnitte und Bestimmungen unseres Entwurfes, wobei wir uns auf die Hervorhebung der leitenden Gesichtspunkte beschränken.

I. Niederlassung und Aufenthalt.

Man hat sich hier vor $llem klar zu machen, auf welchem verfassungsrechtlichen Boden eia Bundesgesetz über Niederlassung und Aufenthalt sich bewegen muß.

Mit vollem Bewußtsein he.t die Verfassung von 1874 einen Artikel aufgenommen, der von dem Unterschied zwischen Niederlassung und Aufenthalt und den näher zu bestimmenden politischen und bürgerlichen Rechten der Aufenthalter spricht. Man wollte dem überlieferten Zustande, nach welchem die Rechtsverhältnisse der Aufenthalter von den Kantonen willkürlich geordnet werden konnten, ein Ende machen, man wollte den Aufenthaltern den eidgenössischen Rechtsschutz angedeihen lassen. Das t h a t s ä c h li-che Verhältniß, daß sich in der Schweiz, seitdem die französische Revolution auch den Nichtgemeindebürgern, den Ansaßen, das Staatsbürgerrecht verliehen, in der Klasse derselben zwei Abtheilungen, solche mit festem Wohnsitz und fester Lebensstellung und solche mit blos vorübergehendem Wohnsitz vorfanden, ohne daß die letzteren unter eidgenössischem Rechte standen, veranlagte deren Erwähnung in der Verfassung. Es wäre nun ein Irrthum, anzunehmen, daß die Verfassung zwischen den beiden Kategorien die Kluft, statt sie zu überbrücken ^ erweitern, als berechtigt anerkennen und für alle Zeiten festhalten wollte. Im Gegentheil

geht ja aus Art. 45 klar hervor, daß J e d e m die Niederlassung gewährt werden muß, der sie begehrt, und wenn er auch im Entferntesten nicht die Absicht der dauernden Wohnsitznahme hat.

Es liegt also im freien Willen des Schweizerbürgers, sich die politischen . Rechte eines Niedergelassenen zu erwerben. Dem gegenüber hat es nur noch einen untergeordneten und wenig praktischen Werth, den Unterschied zwischen Niederlassung und Aufenthalt begrifflich festzustellen. In dieser Beziehung enthält die Botschaft des Bundesrathes vom 25. Oktober 1876 folgende zutreffende Bemerkungen : ,,Was zunächst den Unterschied zwischen Niederlassung und Aufenthalt betrifft, so ha,ben wir eine formale Définition dieser Begriffe unterlassen. Sie ist sehr schwierig, weil die Verhältnisse in einander übergehen , und bietet keinen praktischen Vortheil dar.

Was nützt es, z. B. in einem Gesetze den Niedergelassenen als eine Person zu bezeichnen, die eine Niederlassungsbewilligung hat, und den Aufenthalter mit einer doppelten Negation als eine Person, die keine Niederlassungsbewilligung hat und doch nicht bloßer Durchreisender ist, wie dergleichen Definitionsversuche gemacht wurden?

Wir müssen uns überhaupt gestehen, daß der Unterschied zwischen Aufenthalt und Niederlassung ein innerlich wenig haltbarer und künstlicher ist, der in der Zukunft verschwinden wird , wie ihn bereits der Kanton Genf längst und der Kanton Zürich in neuerer Zeit beseitigt haben."1 Man hat dem Gesetzentwurf von 1877 den Vorwurf gemacht, daß der einzige effektive Unterschied, den er zwischen Niederlassung und Aufenthalt übrig ließ, in einer Differenz von Fr. 1. 50 bestehe, welche der Niedergelassene an Kanzleigebühren mehr zu bezahlen hatte als der Aufenthalter. Es klingt dies trivial; aber die Sache war wirklich so und -- fügen wir bei -- war so ganz verfassungsmäßig. Die Verfassung stellt eben keine objektiven Erfordernisse für Erlangung der Niederlassung auf. Darum kann es auch das Ausführungsgesetz nicht thun. Dieß anerkennt auch D u b s in seinem ,,Oeffentlichen Recht der schweizerischen Eidgenossenschaft" (Zweiter Theil, S. 120), wenn er sagt: ,,Das Schweizervolk hat um dieser Gefahren willen (welche die Stimmberechtigung der Aufenthalter in Gemeindesachen mit sich bringen soll) zu zwei Malen das »Ausführungsgesetz zu jenen Artikeln der
Bundesverfassung verworfen und zwar deßwegen, weil es den Unterschied zwischen Niedergelassenen und Aufenthaltern schärfer f i x i r t z u sehen wünscht, w a s f r e i l i c h i n l e g a l e r W e i s e nicht ohne V e r ä n d e r u n g des verfassungsmäßigen N i e d e r l a s s u n g s b e g r i f f e s m ö g l i c h s e i n wird.a

Wir sehen nun aber kein Bedürfniß, diesen Begriff zu ändern.

Hat ja doch das monarchische Deutschland seinen Niederlassungsbegriff nicht weniger · liberal gestaltet, als wir, indem es jedem Reichsangehörigen das Recht einräumt, ^innerhalb des Reichsgebietes an jedem Orte sich aufzuhalten oder niederzulassen, wo er eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen sich zu verschaffen vermag.a Es sind nur polizeiliche und fiskalische Gründe, welche zu einer andern Behandlung der Niedergelassenen und der Aufenthalter führen, sagen wir mit der bundesräthlichen Botschaft vom 2. Oktober 1874 auch heute wieder.

Diese in der kantonalen Verwaltuog liegenden Gründe sind aber nicht gewichtig genug, um den schönen und hohen Verfassungsgrundsatz des aus dem gemeinsamen Schweizerbürgerrechte fließenden allgemeinen Stimmrechts einem Theil der Bürger durch Aufrichtung innerlich unhaltbarer Unterschiede zu verkümmern.

Nach unserer Ansicht thut man am besten, von einer Umschreibung des dem Verwaltungsgebiete angehörenden Begriffs der Niederlassung, der mit dem civilrechtlichen Begriffe des Domizils nicht zu verwechseln ist, gänzlich abzusehen, auch nicht wie 1877 Fälle anzuführen, in welchen die Niederlassung vom Bürger begehrt werden muß, sondern es beim allgemeinen verfassungsmäßigen Grundsatz des Niederlassungsr e ch t e s des Bürgers bewenden zu lassen, als einziges äußeres Merkmal des Niederlassungverhältnisses aber die D a u e r des Wohnsitzes aufzustellen, wofür wir ein Jahr ansetzen.

Der einzige sichere Unterschied zwischen Niederlassung und Aufenthalt liegt ja doch nur im Willen, das Wohnsitz verhältniß mehr oder weniger dauernd zu gestalten, und dieser Wille läßt sich untrüglich nur in der faktischen Dauer des Wohnens erkennen. Alles Andere beruht auf P r ä s u m t i o n e n , die in unserer raschlebenden und vielbeweglichen Zeit thatsächlich ganz unbegründet sein können.

Die Vorschriften über Niederlassung und Aufenthalt beziehen sich auf die Gesetzgebung sowohl derjenigen Kantone, welche beim Wohnsitzwechsel von Gemeinde zu Gemeinde die Einholung einer Bewilligung vorsehreiben als derjenigen, welche dieß nur beim Uebergang von Kanton zu Kanton thun. Unzweifelhaft enthält eine Gesetzesbestimmung im erstem Sinne auch in der Anwendung auf die eigenen Kantonsangehörigen nichts, was der Bundesverfassung zuwider
wäre. Andererseits muß aber auch zugegeben werden, daß es keineswegs im Willen der Bundesverfassung liegt, den Kantonen zu verbieten, daß sie ihre Angehörigen in der ganzen Ausdehnung ihres Gebietes als im Heimatorte befindlich betrachten, so daß die-

selben beim Wohnsitzwechsel von Gemeinde zu Gemeinde weder eine Niederlassungs- noch eine Aufenthaltsbewilligimg nachzusuchen haben. Eine gegenteilige bundesgesetzliche Vorschrift würde in den Kantonen, welche diesen letztern Grundsatz anwenden, mit Recht als illiberal und rückschrittlich angesehen werden. Die Eidgenossenschaft hat keinerlei Veranlassung, die Kantone zu solchen Neuerungen zu nöthigen. Die Bestimmungen unseres Gesetzentwurfes sind demnach auf beide Fälle anwendbar, sowohl auf den Fall einer von einer Gemeindebehörde ausgestellten und auf die Gemeinde beschränkten Niederlassungs- und Aufenthaltsbewilligung, als auf den Fall der Ausstellung einer solchen Bewilligung durch eine Kantonsbehörde mit Gültigkeit für das ganze Kantonsgebiet.

Wir bemerken in dieser Hinsicht bloß noch, daß dort, wo die Kantonsangehörigen von Gemeinde zu Gemeinde ohne Einholung einer Bewilligung den Wohnsitz wechseln können, die mit einer Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung versehenen Bürger anderer Kantone beim Wechsel des Wohnorts innerhalb des betreffenden Kantonsgebiets die Taxen nicht neuerdings zu entrichten haben.

Daß wir es den Kantonen wiederum freistellen, die Unterscheidung' zwischen Niederlassung und Aufenthalt fallen zu lassen und allen Schweizerbürgern, die nicht bloß auf der Durchreise begriffen sind, die verfassungsmäßigen Rechte von Niedergelassenen zu verleihen, bedarf nach unsern obigen Ausführungen keiner weitern Begründung. Wenn dagegen gerügt wird, daß wir auf diese Weise wieder kein einheitliches Gesetz für die ganze Schweiz erhalten , so ist hierauf zu erwidern, daß die Gleichförmigkeit in dieser Sache zur Zeit nicht erreicht, sondern bloß angestrebt werden kann, auf welchem Wege das vorliegende Gesetz einen Abschnitt bildet.

Uebrigens ist die Gleichförmigkeit auch nicht unter allen Umständen und um jeden Preis wünschenswert!!, In dem verfassungsmäßigen Vorbehalt, daß die kantonalen Gesetze über Niederlassung und Aufenthalt der Genehmigung des Bundesrathes unterliegen, erblicken wir die Bürgschaft dafür, daß die Entwickelung dieses Verhältnisses nicht nach auseinandergehenden Richtungen erfolgen wird.

IT. Stimmberechtigung der Schweizerbürger.

Wir wollen auf dem Wege, zu einem für alle Schweizerbtirger auf gleichen Grundlagen fußenden Stimmrecht in eidgenössischen, kantonalen und Gemeindeangelegenheiten zu gelangen, vorwärts schreiten. Auf dieses Ziel wies schon die Botschaft des Bundes-

10 ratlies von 1874 hin. Ein jeder Staat und zumal der demokratische hat seine einzige feste Grundlage in der Gerechtigkeit seiner Einrichtungen. Es widerspricht nun aber den einfachsten Begriffen von Gerechtigkeit, wenn in einem Lande die Pflichten und Rechte ungleich vertheilt, wenn nicht aer Pflicht das entsprechende Recht gegenübersteht. Im Interesse der Befestigung unserer Einrichtungen befürworten wir die Ausdehnung des Stimmrechts. In unseren Augen liegt die Gefahr nicht in der Betheiligung der großen Massen an den öffentlichen Angelegenheiten, sondern in der Fernhaltung derselben von einer geordneten Theilnahme daran. Es ist unsere Aufgabe, das politische Interesse in den weitesten Kreisen zu wecken und durch liberalste Gewährung der politischen Rechte die großen Massen politisch zu bilden. Wir folgen übrigens dadurch nur dem Beispiele, das die uns umgebenden Staaten Frankreich, Italien, Deutschland und die nordamerikanischen Staaten uns geben.

Es sei uns hier gestattet, auf die höchst interessanten Angaben zu verweisen, welche der vom eidg. statistischen Bureau 1881 herausgegebene Erste Band betreffend die Resultate der eidg. Volkszählung vom 1. Dezember 1880 über die Bevölkerung nach Heimat und Aufenthalt enthält. Daraus entnehmen wir, daß in dem Jahrzehnt von 1870 bis 1880 die Gesammtzahl der in der Schweiz befindlichen Bürger sich von 2.518,195 auf 2,634,908 erhöht, also um 4,63 °/o vermehrt hat. Wir sehen aber daraus ferner, daß seit 1870 die in ihrem Heimatkauton lebenden Bürger sich nur um 32,456 Köpfe oder um 1,46 °/o vermehrten, während dagegen die in andern Kantonen lebenden um 84,257 Köpfe oder um 28,66 °/o zugenommen haben. 1870 waren auf 1000 Einwohner Bürger der Zählungsgemeinde 546, Bürger einer andern Gemeinde des Kantons 287, Bürger anderer Kantone 110, Ausländer 57; 1880 weist die entsprechenden Zahlen 493, 300, 133 und 74 auf.

Der Direktor des statistischen Bureau macht hiezu folgende beherzigenswerthe und uns hier spezioll interessirende Bemerkungen : ,,Die allmälig in dem Stäi'keverhältnisse dieser vier Gruppen sich vollziehende Aenderung ladet zu ernstem Nachdenken ein.

Unser kleines Land ist nur staïk unter der Voraussetzung, daß wir ,,ein einig Volk von Brüdern* sind, die in keiner Noth und Gefahr sich trennen. Eine Hauptbediagung dieser Einigkeit ist die, daß
gleichen Pflichten auch gleiche Rechte entsprechen. Nun haben wir aber eine stets wachsende Zahl von Ausländern, welche fast dieselben Lasten tragen, wie die Inländer (sie bezahlen auch den Militärpflichtersatz, wenn sie nicht durch Staatsverträge oder Reciprozitätsverhältnisse mit dem heimatlichen Staate davon entbunden sind), welche von der Mitwirkung an der Gemeinde- und Staats-

11 Verwaltung ausgeschlossen sind; die Bürger anderer Kantone, die sich seit 30 Jahren verdoppelt haben, besonders die sogenannten Aufenthalter, sind noch in manchen Kantonen ebenfalls geringeren Rechts; auch die Bürger anderer Gemeinden desselben Kantons sind nicht durchweg im Mitgenusse und der Mitverwaltung der öffentlichen Institutionen, an welche sie beitragen, den Gemeindebürgern ganz gleichgestellt; diese letztern aber, die Vollbürger; bilden nicht mehr die Hälfte der Bevölkerung. Und zu alledem stehen diese Gruppen noch unter verschiedenartigen Civilgesetzgebungen, was nicht wenig den Verkehr unter den neben einander wohnenden Angehörigen derselben stört. Die Lösung dieser Frage ist freilich keine leichte. Wenn wir aber sehen, wie andere Staaten durch Gleichstellung ihrer Bürger und Assimilirung der einziehenden fremden Elemente ihre Kräfte verstärken und wenn wir unsere eigenen Auswanderer in ihrer neuen Heimat gerne den Bürgern derselben gleichgestellt sehen, so dürfen wir nicht im eigenen Volke Differenzen dieser Art groß werden lassen.a Solchen Stimmen dürfen wir das Gehör nicht versagen. Wir haben uns deßhalb ohne Bedenken entschlossen, wie in den eidgenössischen, so auch in den kantonalen Angelegenheiten die beiden Klassen gleichzustellen und ihnen nach höchstens dreimonatlichem Wohnsitz das kantonale Stimmrecht und damit auch die übrigen politischen Rechte, welche die Kantone ihren eigenen Angehörigen verfassungsgemäß zukommen lassen, einzuräumen.

So schwerwiegend die Gründe sein mögen, die uns zur Gleichstellung der Niedergelassenen und Aufenthalter auch in Gemeindesachen veranlassen könnten, so haben wir doch nicht geglaubt, so weit gehen zu dürfen. In mehrern Kantonen scheinen die Gemeinden in Betreff der Zulassung der Aufenthalter zum Stimmrecht nach blos dreimonatlichem Aufenthalt große Besorgnisse zu hegen. Indem wir diesen Befürchtungen Rechnung tragen, schlagen wir vor, den Aufenthaltern das Stimmrecht in der Gemeinde erst nach sechs Monaten zu gewähren.

Dagegen scheint es uns nicht gerechtfertigt, diese Frist noch mehr zu verlängern, sie etwa auf ein Jahr auszudehnen, noch viel weniger, wie es von Einigen verlangt wird, den Aufenthaltern das Stimmrecht in der Gemeinde ganz zu versagen. Es sprechen Gründe von höchster politischer Bedeutung für die Ausdehnung und Verallgemeinerung
des Stimmrechts und insbesondere auf dem Boden der Gemeinde gilt es, eine möglichst große Zahl von Bürgern zur Theilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten heranzuziehen. Dr. J. Dubs gab diesem Gedanken schon in seinem so bemerkenswerthen Berichte von 1874 mit Worten Ausdruck, au welche wir hier erinnern wollen: ,,In

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materieller Beziehung," sagt jener Bericht, ^müssen wir sodann darauf aufmerksam machen, daß es uns ebenso gerecht als weise erscheint, allen Schweizerbürgern einen aktiven Antheil an dem politischen Leben derjenigen Gemeinde, in welcher sie ihren Aufenthalt genommen haben, zu gestatten. Wir Schweizer betrachten alle insgesammt ein volles und gesundes Gemeindeleben als die Wurzel eines gedeihlichen und freien Staatslebens und wir dürfen daher ohne dringende Gründe Niemandem die Betheiligung am Gemeindeleben verweigern. Auch ist es nicht wohlgethan, die beweglicheren Elemente von denselben fern zu halten ; denn die Gefahr ist weit größer, daß in diesen kleinern Kreisen das Leben in Stagnation, als daß es in allzustarke Bewegung gerathe.a

Ueber einen Punkt erlauben wir uns noch Einiges beizufügen.

Wir haben in Artikel 11 die Bestimmung des Gesetzentwurfes von 1874, betreffend den Ausweis. über die Stimmberechtigung, wiederaufgenommen. Es ist uns wohl bekannt, daß dieser - Punkt 1875 eine starke Opposition hervorgerufen hat und geradezu als Verletzung des Art. 43 der Bundesverfassung dargestellt worden ist.

Diese Ansicht wird durch die gewichtige Autorität von BlumerMorel (Handbuch des Schweizerischen Bundesstaaisrechts, I. Theil, S. 314) unterstützt, welcher überhaupt den Gesetzentwurf von 1874, einer, wie uns scheint, allzulebhaften und nicht immer gerechtfertigten Kritik unterwirft (S. 320 1. c.). Trotz diesen sehr beachtenswerthen Einwendungen glauben wir an der Ansicht von 1874, welche auch in Art. 5 des Bundesgesetzes betreffend die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen vom 19. Juli 1872 niedergelegt und vom Bundesrathe und Nationalrathe im bekannten Rekurse des Gemeinderathes von Dürnten vertreten worden ist. festhalten zu sollen. Nicht nur vermögen wir die Verfassungswidrigkeit einer Präsurntion zu Gunsten des Stimmrechts nicht einzusehen, sondern wir halten vielmehr diese Auffassung nach allgemein gültigen politischen und bürgerlichen Rechtsbegriffen für die verfassungsmäßig allein richtige. Mit welchem Rechte will man denn dem Bürger einen über die Voraussetzungen, welche sein Stimmrecht begründen, hinausgehenden negativen Beweis aufbürden?. Quivis praesumitur bonus donec probetur contrariimi -- sollte dieser Rechtssatz nicht auch in staatsbürgerlichen Dingen gelten ?

Der Artikel 43 der Bundesverfassung sagt, daß jeder Schweizerbürger an seinem Wohnsitze an den Wahlen und Abstimmungen Antheil nehmen könne, ,,nachdem er sich über seine Stimm-

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berechtigung gehörig ausgewiesen hat." Auf diesen Satz glaubt man sich da und dort berufen zu können, wenn man vom Bürger den Beweis verlangt, daß er in keiner Weise seiner politischen Rechte verlustig geworden sei. Diese Auslegung ist jedoch offenbar irrig. Wenn die Verfassung fordert, daß der Bürger sich über seine Stimmberechtigung ausweise, so verlangt sie von ihm keinen weitem Nachweis, als daß die verfassungsmäßigen Bedingungen des Stimmrechts bei ihm erfüllt seien. Diese Bedingungen sind aber nach Artikel 74 derselben Verfassung folgende zwei: Besitz des Schweizerbürgerrechts und vollendetes 20. Altersjahr. Hierüber allein hat sich der Bürger behufs Anerkennung seiner Stimmberechtigung auszuweisen. Wer behauptet, daß ihm dieselbe entzogen worden sei, hat dafür den Beweis zu erbringen. Dem Bürger selbst kann diese Beweislast nicht aufgelegt werden, denn er hätte vielleicht Stimmfähigkeitszeugnisse aus 25 Kantonen beizubringen und unter Umständen würden nicht einmal diese genügen. Was wäre das anderes, als ein politisches System, das auf dem allgemeinen Stimmrecht fußt, aber an die Spitze seiner Bestimmungen die Regel stellt, daß bis nach geleistetem Gegenbeweis von jedem Bürger vermuthet werde, er habe seine politischen Rechte verloren?

Auch die im Entwürfe von 1877 geforderte schriftliche Erklärung des Stimmenden zur Bestätigung seines Stimmrechts will uns nicht gerechtfertigt erscheinen ; sie beruht auf dem Mißtrauen in die Ehrenhaftigkeit des Bürgers, der im Begriffe steht, sein höchstes politisches Recht auszuüben. Irren wir nicht, so befolgt auch keiner unserer Nachbarstaaten ein solches System.

III.

Entzug der politischen Rechte.

Wir betreten hiemit das am meisten bestrittene Gebiet. Es kommt ihm auch in staatsrechtlicher Beziehung die höchste Bedeutung zu. Hag in den mehr reglementarischen Bestimmungen über die Einholung der Niedeiiassungs- und Aufenthaltsbewilligung u. s. f., mag selbst hinsichtlich der Wartefrist der Aufenthalter infolge Ihrer Berathungen die eine oder andere Abänderung eintreten, es liegt uns so viel nicht daran. Viel eingreifender und folgenschwerer ist, was Sie über den Ausschluß des Schweizerbürgers von seinen politischen Ehrenrechten beschließen werden.

In Ansehung dieser hochwichtigen Frage gilt es unseres Erachtens , heute , nachdem nahezu fünf Jahre seit der Verwerfung des letzten Gesetzentwurfes verflossen, einen grundsätzlichen Standpunkt einzunehmen. Der Standpunkt von 1877 hat erfahrungsgemäß schlechte Früchte getragen und dem Gesetze von damals mehr Widersacher als Freunde zugezogen. Wohl mit Recht. Ein

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Gesetz, von dem man, wie die bundesräthliche Botschaft vom 25. Oktober 1876, sagen kann, es enthalte Bestimmungen, welche weder rationell noch human sind, sein Vorzug bestehe darin, daß es die Kantone zu keinem Rückschritt nöthige und für den Fortschritt kein Hinderniß bilde, besitzt jedenfalls einen sehr zweifelhaften Werth. Es ist nicht gut, einer unsichern Hoffnung auf Erfolg die wahren Grundsätze der Demokratie zu opfern. Darum kommen wir dazu, als Gründe des Ausschlusses von der Ausübung der politischen Rechte mit einer einzigen Abweichung nur die im bundesräthlichen Entwurfe von 1874 vorgesehenen anzuerkennen, welche bekanntlich auf das gerichtliche Strafurtheil und die Bevogtung sich beschränkten.

Wir lassen nämlich den Konkurs als Ausschlußgrund wegfallen und nehmen die öffentliche Almosengenössigkeit nur für den seltenem und schwerern Fall auf, wo ein gerichtliches Urtheil die Selbstverschuldung des Unterstützten wegen liederlicher Lebensweise dargethan hat.

Ohne Zweifel hat die öffentliche Meinung seit 1874 eine ganz entschiedene Wandlung in diesem Sinne durchgemacht.

Die schwere Krisis in Handel, Industrie und Gewerbe, die kaum hinter uns liegt, hat gar manches Vorurtheil zerstört und das Urtheil der .Menge über finanziellen Niedergang und ökonomisches Mißgeschick, nicht der Börsenspekulanten, wohl a.ber der Geschäftsleute der Mittelklassen, milder gestimmt.

Mit Bezug auf den Konkurs gilt heute in verstärktem Maße, was der Bundesrath in seiner Botschaft vom 2. Oktober 1874 diesfalls ausführte: ,,Diese Frage hängt mit der ganzen Gestaltung des Schuldrechtes zusammen. Fast in allen Staaten, deren Ursprünge weit in die Vergangenheit zurückreichen , stößt uns die Wahrnehmung auf, daß die Schuldexekution sich zuerst mehr gegen die P e r s o n des Schuldners richtet. So im alten Griechenland und Rom, wie in unsern Staaten mittelalterlichen Ursprungs. Schuldsklaverei, Schuldhaft, V errufung, verbunden mit Verbannung, Ausstellung am Pranger, schimpfliche Verpflichtung zum Tragen eines grünen Hutes (Unterwaiden), Ehr- und Wehrlosigkeit haben sich gegenüber Falliten theilweise noch bis auf unsere Tage erhalten. Allein ebenso übereinstimmend ist die Wahrnehmung, daß, sobald der Güterverkehr eines Volkes sich in vollerer und reicherer Art entwickelt, die Schuldexekution ihren Kurs ändert und
sich mehr an das Gut als an die Person des Schuldners zu halten beginnt. So sind dann auch bei uns schon im Jahre 1850 die Falliten als wehrpflichtig erklärt und noch in jüngster Zeit sowohl die Schuldhaft als die Ausweisung der Falliten durch die Artikel 59 und 45 der Bundesverfassung beseitigt worden. Mann kann aber in diesen Dingen nicht auf halbem Wege stehen bleiben, ohne sich in Widersprüche zu ver-

15 wickeln und Ungerechtigkeiten zu begehen. Unsere Republik kennt zwei für ihr Wesen und Leben maßgebende Instruktionen : die allgemeine Wehrpflicht und das allgemeine Stimmrecht. Beide stehen mit einander im innigsten Zusammenhange; wer in vaterländischen Dingen sein maßgebendes Wort sprechen kann, soll im Nothfall auch dafür mit seiner Person einstehen, aber es soll auch umgekehrt Derjenige, welcher im Nothfall sein Blut einsetzen muß, nicht stumm sein in der Gemeinde. Wenn man nun einem Theil der Bürger die Wehrpflicht auferlegt, ihnen aber das Stimmrecht entzieht, so vollzieht man in diesem Doppelverhältniß von Recht und Pflicht einen unnatürlichen Bruch; man erniedrigt den des Stimmrechts Beraubten zum Söldner und man hebt damit im Volk und Heer die Rechtsgleichheit auf. Das alte System war in sich konsequent, indem es die Falliten ehr- und wehrlos machte; das neue aber ist in einem innern Widerspruche befangen, der gelöst werden muß und billiger Weise nur so gelöst werden kann, daß man der konstituirten Pflicht ihr korrelatives Recht beigesellt.

,,Dazu kommt, daß diese Maßregel sehr ungleich trifft. In heutiger Zeit ist das förmlich durchgeführte gerichtliche Falliment eines großen Geschäftsmannes zu einer großen Seltenheit geworden ; es bleibt an dessen Stelle gewöhnlich das Akkommodement. Man setzte deßhalb früher und setzt noch jetzt in einigen Gesetzgebungen das Akkommodement dem Falliment gleich. Allein man ist in vielen Kantonen davon zurückgekommen, weil man dadurch das Interesse der Kreditoren schädigt; denn die Kreditoren werden in den meisten Fällen sich beim Akkommodement viel besser befinden, als bei der Durchführung des Konkurses, und mau hat daher kein Interesse, eine Pönalbestimmung an das Akkommodement zu knüpfen, das sich überdies in vielen Fällen auch außergerichtlich vollzieht. Die Sachen, stehen deßhalb so, daß im Grunde gewöhnlich nur der Konkurs des kleinen Mannes von der Bestimmung des Gesetzes getroffen wird, und selbst unter dieser Kategorie geht der liederlichste Theil der gar nichts Besitzenden noch oft frei aus, weil Niemand die Konkurskosten tragen will, während die ganze Wucht des Gesetzes auf jene Leute fällt, welche sich Mühe gaben, ihr Besitzthum noch möglichst zu erhalten , und die deßhalb dem verfolgenden Gläubiger wenigstens noch Aussicht auf theilweise
Befriedigung bieten. Eine Maßregel, die in der Praxis so ungleich zur Anwendung kommt, kann sicher nicht als eine gute betrachtet werden.

,,Dem politischen Ehrengedanken steht aber noch ein anderer Gedanke gegenüber, welcher unseres Erachtens mit viel mehr Gewicht in die Wagschale des Entscheides fällt. Es ist dies das

16 große, einer Republik würdige Prinzip, daß die Größe des Privatbesitzes keinerlei Einfluß auf die politische Rechtsfähigkeit der Bürger ausüben soll ; daß dem Aermsten und an Habe Entblößtesten im Volke dieselbe politische Ehre zukömmt, wie dem Reichsten; daß als ein Lump nur der gilt, der sich durch schlechte Handlungen der bürgerlichen Ehre verlustig gemacht hat. Und dies Prinzip, welches jeder Art von Aristokratie des Besitzes rechtlich den Riegel stößt, trägt unendlich mehr dazu bei, das Ehrgefühl im Volke zu erhöhen, dem momentan Gefallenen das Wiederaufkommen zu erleichtern und selbst die Berichtigung früherer Schulden zu ermöglichen, als jenes künstliche Niederdrücken einzelner ins Unglück Gerathener. a Von diesem Standpunkte aus beseitigen wir den Konkurs als Grund des Ausschlusses vom politischen Stimmrecht und den übrigen aktiven und passiven politischen Rechten. Wo ein bezüglicher oder ein leichtsinniger Konkurs oder ein anderweitiger, mit dem Konkurse zusammenhängender Straffall vorliegt, mag der Strafrichter einschreiten und dem Schuldigen seine bürgerlichen Ehrenrechte auf angemessene Zeit aberkennen. Darüber hinaus aber gehen wir nicht.

Wir sprechen hier vom einfachen Konkursfalle, in welchem das Strafgesetz nicht in Anwendung kommt. Es ist Einer in die Unmöglichkeit versetzt, seine Schulde:.! zu bezahlen ; Verluste, die er erlitten, und vielleicht unvorhergesehene Ausgaben, Mangel an Voraussicht, Gleichgültigkeit, haben ihn so weit gebracht. Ist es geboten, ihm deßhrüb die Eigenschaft eines Aktivbürgers zu entziehen?

Das ist in ihrer einfachsten Form die Frage, die wir zu beantworten haben. Wir verneinen dieselbe.

In Betreff der öffentlichen Alrnosengenössigkeit ist es eine interessante Wahrnehmung, daß diesfalls viele sonst als sehr liberal und vorgeschritten geltende Kaatone, wie Zürich, Bern, Solothurn, Baselland, sich auf einen engherzigem Standpunkt stellen, als z. B.

Uri, Schwyz, Obwalden, Appenzell Inner-Rhoden, die den Ausschluß aus diesem Grunde entweder geradezu verbieten, oder doch bloß im Falle der Selbstverschuldung des Unterstützten oder nur mit zeitlicher Beschränkung zulassen.

Wir haben die öffentliche Almosengenössigkeit nur in Gemeindesachen und nur mit Beschränkung auf den Fall, wo ein gerichtliches Urtheil die Selbstverschuldung der Hülfsbedürftigkeit
des Unterstützten oder zu Unterstützenden wegen liederlichen Lebenswandels ausgesprochen haben wird, als Ausschlußgrund aufgenommen.

Nur bis zu dieser Grenze ist es uns möglich, Denjenigen entgegenzukommen, die den öffentlich Unterstützten als ipso facto der bürgerlichen Ehrenrechte verlustig erklären wollen.

17 Nach unserm Dafürhalten beruht dieser Ausschluß in Hinsicht auf das Seelenleben des Einzelnen sowohl als mit Rücksicht auf die gesellschaftlichen Verhältnisse auf einem ganz verkehrten Gedanken. Man glaubt, durch die Entehrung den Begehren um öffentliche Unterstützung entgegenzuwirken, das Ehrgefühl zu wecken, und kommt naturnothwendig zum gegentheiligen Resultate, man erstickt in dem Verarmten das Gefühl der persönlichen Würde, an dem er sich wieder emporzuringen sonst vielleicht im Stande gewesen wäre. Man glaubt, den Unterstützten gewissermaßen eine Strafe auflegen zu sollen dafür, daß sie die öffentliche Wohlthätigkeit in Anspruch nehmen. Es widerspricht aber dem Begriffe der Wohlthat, den Empfänger dafür zu strafen, daß er sie entgegennimmt , ihm gleichsam mit der einen Hand eine Gabe zu reichen und mit der andern einen Backenstreich zu versetzen.

Die öffentliche Unterstützung hülfsbedürftiger Personen ist eine der menschlichen Gesellschaft, dem Staate, obliegende Pflicht. Die Erfüllung von Pflichten berechtigt aber nicht, auch wenn sie noch so ungern erfüllt werden, zu unfreundlicher oder gar verletzender Behandlung Derjenigen, welchen gegenüber dieselben bestehen.

Selbstverständlich sind es nicht solche Personen, welche kräftig, arbeits- und erwerbsfähig sind, aber aus Trägheit oder Liederlichkeit die öffentliche Unterstützung anrufen , zu deren Gunsten wir hier das Wort führen. Es ist klar, daß eine nur einigermaßen einsichtige Verwaltung diesen nicht eine unverdiente Hülfe wird zukommen lassen.

Man führt oft zu Gunsten des Ausschlusses an , daß ejn im öffentlichen Almosen stehender, der öffentlichen Wohlthätigkeit zur Last gefallener Mann in einem Abhängigkeitsverhältnisse sich befinde, das eine freie Stimmgebung seinerseits verhindere. Aber wir fragen: Welcher Person gegenüber besteht denn die Abhängigkeit? Die Antwort lautet: Der Gemeinde, dem Staate, der ganzen Gesellschaft gegenüber, die für ihre Wohlthat keinen andern Dank verlangt, als den des guten Bürgers, und das Verhältniß ist ein öffentliches, Jedem bekanntes. Es wäre unseres Erachtens höchst wünschbar, daß überall, wo eine Abhängigkeit besteht, diese nur im Verhältniß des Einzelnen zur Gesammtheit vorkäme, wie bei der öffentlichen Armenunterstützung. Die Gefahr, daß fremde, persönliche Rücksichten bei der Stimmgebung sich
geltend machen, läge dann viel ferner.

Jener zu Gunsten des Ausschlusses der Unterstützten angeführte Grund könnte auf viel mehr Wahrheit Anspruch machen, wenn man ihn auf die von Privatwohlthätigkeitsgesellschaften unterhaltenen Armen, auf die Schutzbefohlenen von Patronatsvereinen, Bundesblatt. 34. Jahrg. Bd. III.

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ja selbst, man muß es leider zugestehen, auf die Tausende, die ihr Brod in fremdem Dienste verdienen, anwenden wollte. Bin auf die in vollständig unabhängiger gesellschaftlicher Stellung lebenden Personen beschränktes Stimmrecht würde auffallend Wenigen zu Gute kommen. Aber dahin zielende Vorschläge werden ja von keiner Seite gemacht.

Gestatten Sie uns zum Schlüsse noch eine allgemeine Betrachtung.

Es liegt im Interesse Aller, daß eine möglichst große Zahl von Bürgern an den öffenllichen Dingen Antheil nehme und die politischen Rechte ausübe. Die dauerhaftesten Einrichtungen sind diejenigen, welche auf der breitesten Grundlage ruhen. Darum wäre es nicht blos ein Akt der Unmenschlichkeit und Ungerechtigkeit, ganze Klassen von Personen, wie Konkursiten, Unterstützte, gleichsam von der menschlichen Gesellschaft auszuschließen, obgleich man sie ja nicht hindern kann, zu denken und nöthigenfalls zu handeln, es wäre dieß in unseren Augen nicht bloß eine Mißkennung der Rechtsgleichheit, dieser obersten Regel in den Beziehungen der Menschen, es wäre auch eine Unklugheit.

Ein Land ka»n seiner Zukunft nur dann mit Sicherheit entgegenschauen, wenn seine selbstgeschaffenen Einrichtungen beständig der Willensausdruck der großen Mehrheit der Bürger sind ; es wird aber diesen Willen nicht zu erkennen vermögen, wenn es ganze Klassen von Bürgern a'n der Aussprache desselben verhindert.

Wir glauben nicht nöthig zu haben, diesen Gedanken weiter auszuführen; man wird uns nicht mißverstehen.

Wir benutzen diesen Anlaß, um Sie, Tit., wiederholt unserer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 2. Juni 1882.

Im Kamen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident: Bavier.

Der Stellvertreter des Kanzlers der Eidgenossenschaft: Schatzmanu.

19 (Entwurf)

Bundesgesetz über

die politischen Rechte der Schweizerbürger.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, in Ausführung der Artikel 43, 45, 47, 66 und 74 der Bundesverfassung 5 nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 2. Juni 1882, beschließt:

I. Niederlassung und Aufenthalt.

Art. 1. Ein Schweizerbürger, welcher in einem andern als seinem Heimatkantono Wohnsitz nehmen will, hat bei der durch die Kantonalgesetzgebung hiefür bezeichneten Stelle eine Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung nachzusuchen.

Er hat, falls die Kantonalgesetzgebung es vorschreibt, sich auch in seinem Heimatkanton um eine solche Bewilligung zu bewerben, wenn er in einer andern als seiner Heimatgemeinde Wohnsitz nehmen will.

Art. 2. Dem Bewerber steht es frei, zwischen dem Niederlassungs- und dem Aufenthaltsverhältnisse zu wählen.

20 Es wird jedoch Derjenige, welcher nach zurückgelegtem 20. Altersjahr länger als ein Jahr am gleichen Orte wohnt, als Niedergelassener betrachtet.

Mit ihrem Meister im gleichen Haushalt lebende Arbeiter, sowie Dienstboten und Studirende verbleiben indeß auch nach einjährigem Wohnsitze in der Stellung von Aufenthaltern, so lange sie nicht verlangen, als Niedergelassene betrachtet zu werden.

Art. 3. Den Kantonen bleibt freigestellt, die Unterscheidung zwischen Niederlassung und Aufenthalt fallen zu lassen und alle mit festem Wohnsitz im Kanton befindliche Personen als Niedergelassene zu behandeln.

·3^ Art. 4. Wer sich um die Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung bewirbt, ist gehalten, auf erstes Verlangen seinen Heimatschein oder eine andere gleichbedeutende Ausweisschrift zu hinterlegen.

Die Form der Heimatscheine wird vom Bundesrathe festgestellt: derselbe wird auch diejenigen Ausweisschriften bezeichnen, welche dem Heimatscheine gleichzuhalten sind.

Die Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung soll die Bezeichnung der hinterlegten Ausweisschriften enthalten.

Art. 5. Die vom Familienhaupte erhobene Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung gilt für die ganze zusammenlebende Haushaltung, mit Ausnahme solcher Familienglieder, welche ein Gewerbe oder einen Beruf auf eigene Rechnung betreiben.

Art. 6. Die Niederlassungsbewilligungen sind auf unbestimmte Zeit gültig.

Die Aufenthaltsbewilligungen, welche an mit ihrem Meister in gleicher Haushaltung lebende Arbeiter, an Dienstboten und Studirende ertheill; werden, sind so lange gültig, als diese Personen in der nämlichen Stellung verbleiben.

Die übrigen Aufenthaltsbewilligungen haben während eines Jahres Gültigkeit.

21 Sowohl die Niederlassungs- als die Aufenthaltsbewilligung erlischt, wenn die Ausweisschrift, auf deren Grundlage die Bewilligung ertheilt wurde, ausläuft, ohne rechtzeitig erneuert, oder ersetzt zu werden.

Art. 7. Die Kanzleigebühren, welche ein Schweizerbürger zu bezahlen hat, dürfen im Ganzen für die Niederlassung Fr. 2 und für den Aufenthalt 50 Rappen nicht übersteigen.

Falls der Aufenthalt in die Niederlassung übergeht, ist nur die Differenz zwischen den beiden Gebühren zu bezahlen.

Die Kantone sind befugt, diese Kanzleigebühren beijedem Wechsel der Wohnsitzgemeinde erheben zu lassen, sofern ihre Gesetzgebung den Kantonsangehörigen, welche in einer andern als der Heimatgemeinde Wohnsitz nehmen wollen, die Einholung einer Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung vorschreibt.

Art. 8. Die Verweigerung der Ausweispapiere an einen handlungsfähigen Schweizerbürger, welcher seinen Wohnort wechseln will, ist, die Fälle militärischen Aufgebots oder strafrechtlicher Verfolgung vorbehalten, unstatthaft.

Art. 9. Die kantonalen Gesetze über Niederlassung und Aufenthalt unterliegen der Genehmigung des Bundesrathes.

II. Stimmberechtigung der Schweizerbürger.

Art. 10. Stimmberechtigt sowohl bei eidgenössischen als kantonalen und Gemeinde-Wahlen und Abstimmungen ist jeder Schweizerbürger, welcher das 20. Altersjahr zurückgelegt hat.

Den Kantonen bleibt freigestellt, die Stimmberechtigung in kantonalen und Gemeindesachen schon mit einem frühern Altersjahre eintreten zu lassen.

Art. 11. Der Ausweis betreffend die Stimmberechtigung wird durch die Vorweisung einer Bescheinigung über das Schweizerbürgerrecht und das gesetzliche Alter geleistet.

22 Die in Art. 15 erwähnten Ausschlußgründe müssen von der einsprechenden Person oder Behörde bewiesen werden.

Art. 12. Die Bundesgesstzgebung stellt über die Ausübung des Stimmrechts in eidgenössischen Angelegenheiten die nöthigen Vorschriften auf.

Die Ausübung des Stimmrechts bei Wahlen und Abstimmungen der Kantone und der Gemeinden wird unter Vorbehalt der nachstehenden Vorschriften durch die Kantone geordnet.

Art. 13. Zur Stirn mgebung, sowie zur Ausübung aller übrigen politischen Rechte, welche den Kantonsangehörigen zukommen, müssen die schweizerischen Niedergelassenen und Aufenthalter zugelassen werden: a. in kantonalen Angelegenheiten nach einer Niederlassung oder einem Aufenthalt von höchstens drei Monaten im Kantone; b. ia Gemeindeangelegenheiten nach einer Niederlassung von höchstens drei oder einem Aufenthalt von höchstens sechs Monaten in der Gemeinde.

Art. 14. Bei vorstehenden Fristbestimmungen ist das Datum maßgebend, an welchem die Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung nachgesucht wurde.

III. Entzug der politischen Rechte.

Art. 15. Durch Verfügung einer Gerichtsbehörde kann ein Schweizerbürger seiner politischen Rechte verlustig erklärt werden : a. wenn er zu einer kriminellen oder korrektioneilen Strafe verurtheilt wird; b. wenn er wegen Verschwendung, Geisteskrankheit oder Blödsinn unter Vormundschaft steht; c. wenn er infolge liederlichen Lebenswandels der öffentlichen Unterstützung anheimfällt, während der Dauer derselben.

23

Im letztgenannten Falle kann jedoch nur der Verlust des Stimmrechts in Gemeindeangelegenheiten ausgesprochen werden.

IV. Uebergangs- und Schlußbestimmungen.

Art. 16. Alle mit diesem Gesetze in Widerspruch stehenden Bestimmungen der eidgenössischen und kantonalen Gesetzgebung sind aufgehoben; insbesondere treten außer Kraft : 1) das Bundesgesetz über die Dauer und die Kosten der Niederlassungsbewilligung, vom 10. Dezember 1849 (A. S. I, 271); 2) das Konkordat über die Form der Heimatscheine auf Grundlage der Konferenzbeschlüsse vom 28. Januar 1854 (A. S. IV, 357)"; * 3) Der Art. 6 des Bundesgesetzes vom 23. Dezember 1851 über die politischen und polizeilichen Garantien zu Gunsten der Eidgenossenschaft (A. S. III, 33).

Ebenso treten alle vor dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Gesetzes erfolgten Beschränkungen des politischen Stimmrechts, soweit sie mit den Bestimmungen des vorhergehenden Artikels im Widerspruche stehen, außer Wirksamkeit.

Art. 17. Der Bundesrath wird beauftragt, auf Grundlage der Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874, betreffend die Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse, die Bekanntmachung dieses Gesetzes zu veranstalten und den Beginn der Wirksamkeit desselben, festzusetzen.

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung zu dem Gesetzentwurf über die politischen Rechte der Schweizerbürger. (Vom 2. Juni 1882.)

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