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Bericht der

ständeräthlichen Kommission, betreffend das Gesuch des Kantons Tessin um Gewährung eines Bundesbeitrages an die Korrektion des Tessinflusses auf der Strecke von Bellinzona bis zum Langensee.

(Vom 13. November 1882.)

Tit.

Mittelst Zuschrift vom 14. Februar 1882 übermittelte der Staatsrath des Kantons Tessin dem Bundesrathe ein Gesuch um einen Bundesbeitrag an die Korrektion des Tessinflusses auf der ungefähr 11 km. langen Strecke zwischen Bellinzona und Magadino am Langensee.

Dem Gesuch waren die technischen Vorlagen , bestehend aus den auf das Korrektionsprojekt bezüglichen Plänen, Kostenvoranschlägen und Berichten, beigegeben.

Ihre Kommission hat am 1. und 2. September abhin die betreffende Gegend besichtigt und erstattet Ihnen über die Erledigung ihrer Aufgabe folgenden Bericht: I.

Wenn man die dauernden Verwüstungen betrachtet, die der Tessin an seinem Ufergebiete anrichtet, wenn man sich die Ge-

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fahren vergegenwärtigt, denen, abgesehen von den Ländereien und Gebäuden im Privatbesitze, die öffeatlichen Werke, wie Eisenbahnen, Landstraßen und Vicinalwege, beständig ausgesetzt sind, so wird man nicht anders können, als den Zustand der Gegend einen höchst bedenklichen zu nennen.

Auf den ersten Blick erhält man nicht allein einen Begriff von den bereits geschehenen Verwüstungen, sondern wird auch von den lebhaftesten Besorgnissen für die Zukunft erfüllt. Denn so groß das Uebel bereits ist, es greift täglich noch weiter um sich, und wenn nicht umfassende Maßregeln ergriffen werden, um der bedenklichen Lage des untern Tessinthales zu steuern, so kann man sich auf eine Verheerung gefaßt machen, welche unberechenbare Folgen nach sich ziehen wird.

Das Thal ist von einem Ende zum andern einem Gewässer preisgegeben, das ganz die Eigenschaften eines ungestümen Wildbaches besitzt und dabei bisweilen binnen wenigen Stunden Wassermengen daherwälzt, die denjenigen eines Stromes entsprechen. Es ist dies eine bei allen am Südabhaugc der Alpen entspringenden Gewässern gemeinsame Erscheinung, welche jedoch beim Tessinflusse in Folge der topographischen Verhältnisse seines Quellengebietes in ganz besonderem Maße schädlich hervortritt.

Wenn auch eine Erörterung der Ursachen dieser besondern Verhältnisse nicht im Rahmen des vorliegenden Berichtes liegt, so mag es doch am Platze erscheinen, dieselben zu konstatiren, um von den Eigentümlichkeiten des hier in Frage stehenden Gewässers einen Begriff zu geben. Es genüge in dieser Hinsicht der Hinweis auf folgenden Vergleichsmaßstab: In ein und derselben Zeiteinheit beträgt die Abflußmenge des Rheins, mit einem Wassergebiete von 4200 km 2 , 3000 m 3 ; diejenige der Rhone, mit einem Gebiete von 5000 km 2 , TOOO m 3 ; diejenige des Tessins, mit einem Wassergebiete von blos 1500 km 2 , 2900 m8. Demnach würde also, auf gleiches Gebiet bezogen, die maximale Abflußmenge des Tessins mehr als das Sechsfache von derjenigen der Rhone und immerhin das Doppelte derjenigen des Rheins betragen.

Diese unbestreitbaren Thatsachen verdienen vom Wasserbautechnischen Standpunkte ernste Berücksichtigung und fallen um so mehr in's Gewicht, als das Thal keinen eigentlichen Thalweg besitzt, indem dessen Sohle in der Breite quer von Berg zu Berg beinahe eben ist.

619 IL Die eben geschilderten ungünstigen Verhältnisse tragen die Schuld an der gegenwärtigen kritischen Lage, von welcher die der bundesräthlichen Botschaft beigegebene Karte ein betrübendes Bild entwirft, indem sie die unzähligen, alles Denkbare übersteigenden Laufveränderungen des Flusses verzeichnet. Und doch bleibt diese Karte, auf einer vor bereits einigen Jahren erfolgten Aufnahme beruhend, noch hinter der Wirklichkeit zurück und entspricht nicht mehr genau den jetzigen, von Tag zu Tag sich verschlimmernden örtlichen Verhältnissen.

Abgesehen von den oberhalb Bellinzona einmündenden Nebenflüssen nimmt der Tessin thalabwärts, gleich bei Beginn der Ebene, linkerseits die Cimentina und die Morobbia auf, weiter unten den Riale di Progero und Riale di Cugnasco einer- und den Riale Trado andererseits. Alle diese Wildbäche vermehren das Geschiebe und tragen durch ihre successive bald links-, bald rechtsseitige Einmündung dazu bei, die Schlangenwindungen des Flußlaufes zu verstärken.

Das Zusammenwirken aller obigen Umstände hat zur Folge gehabt, daß der Fluß sozusagen jeden Augenblick und an jedem Punkte seine Richtung ändert, so daß von einem eigentlichen Bette kaum mehr die Rede sein kann ; es herrscht hiebei beim Flusse das Bestreben vor, gegen das linke Ufer hinzuströmen, mit dessen Bestand wichtige Interessen verknüpft sind.

Einige Punkte dieses Ufers sind ganz besonders gefährdet, so derjenige gegenüber der Ortschaft S. Antonio und ein anderer, weiter unten gelegener, Coione genannt, etwas oberhalb der Eisenbahnbrücke. An den genannten Stellen greift die Strömung in rechtwinkliger Richtung das Ufer an und bewirkt daselbst bedenkliche Uferbrüche. Das Gleiche ist unterhalb Trado der Fall, woselbst der Fluß, nachdem er sich gegen die Landstraße und die Wohnhäuser in Del Ponte bei Magadino gestürzt hat, die Felder des rechten Ufers zu überfluthen droht.

III.

Im Ganzen läßt sich angesichts des gegenwärtigen Zustaudes des Flusses die Behauptung aufstellen, die ganze Ebene von der Einmündung der Morobbia bis zum Langensee sei nicht bloß bedroht, sondern befinde sich in der äußersten Gefahr.

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Alle Ländereien dieser fruchtbaren Gegend mit allen darauf befindlichen Wohnstätten, die Eisenbahnen nach Locamo und Magadiuo, die kantonalen Landstraßen und andern Verbindungswege, kurz die ganze Gegend in einer Ausdehnung von 26,000 ha. befindet sich wie unter einem Damoklesschwerte, den Launen des Tessins preisgegeben. Aus dieser Schilderung, die doch nur ein schwaches Bild der Wirklichkeit zu entwerfen vermag, läßt sich schon ermessen, in wie hohem Grade . die Interessen des Landes gefährdet sind.

IV.

Bei einem so beklagenswertheu Zustande kann man gewiß keinen Augenblick über die Dringlichkeit dieser Flußkorrektion im Zweifel sein ; im Gegentheil, man muß sich darüber wundern, daß ein Werk von solcher Wichtigkeit und Nothwendigkeit nicht schon längst ist in Angriff genommen worden.

Man sagt uns wohl, man habe schon längst daran gedacht und die Ausführung des Werkes nur aus Furcht vor den großen Ausgaben bis jetzt aufgeschoben.-] Wir wünschen nur, daß man diesen Aufschub nie möge zu bereuen haben ; denn wir können die Besorgniß nicht verhehlen, man könnte noch vor Ausführung des geplanten Werkes ein schweres Unglück zu beklagen haben.

V.

Das Korrektionssystem beruht auf einem zusammengesetzten Profil, bestehend aus unüberströmbaren innern Hochwasserdämmen, an welche sich gegen den Thalweg hin gesenkte Sporen anlehnen, und aus Hinterdämmen für. die außerordentlichen Hochwasser, welche mittelst Traversen mit der innern Dammlinie verbunden sind.

In Beziehung auf die technische Seite des Projektes verweisen wir auf die bundesräthliche Botschaft, welche in dieser Beziehung in weitläufige und interessante Auseinandersetzungen sich einläßt.

Nachdem diese Seite der Frage durch den eidgenössischen Oberbauinspektor, welcher hiezu vorzüglich geeignet ist, eingehend und in allen Einzelheiten geprüft worden ist, wäre es eine Anmaßung von uns, wollten wir diese Frage einläßlich diskutiren, was übrigens nicht im Bereiche unserer Aufgabe liegt.

Immerhin können wir uns nicht versagen, einige in der Botschaft enthaltene Rathschläge auch unserseits besonders zu empfehlen.

So halten wir es, falls die iunern Längsdämme, wie prqjektirt (von außergewöhnlichen Hochwassern abgesehen), als u n ü b e r -

621 s t r ö m b a r e erstellt werden, für durchaus angemessen, die Ausführung der Hinterdämme so weit als möglich zu verschieben, ,,damit nicht denselben eine Ausdehnung gegeben werde, welche sich später als nicht nothwendig herausstellen könnte, und es darf somit die Verschiebung der Erstellung der Hochwasserdämme als zuläßig angesehen werden."1 Dasselbe gilt bezüglich der Traversen, indem dieselben zunächst in rohem Steinwurf erstellt würden, um erst zu gelegener Zeit in Mauerwerk ausgeführt zu werden.

Bei einem solchen Verfahren ließen sich in den Ausgaben bedeutende, Ersparnisse erzielen.

Die Angaben betreffend die Arbeitsmengen und Einheitspreise, sowie die annähernd berechnete Gesarnmtsumme des Kostenvoranschlags entziehen sich hier einer nähern Erörterung, und es kann von einer solchen um so mehr Umgang genommen werden, als in dieser Beziehung den in der bundesräthlichen Botschaft ausgesprochenen Vorbehalten in pünktlicher Weise wird Rechnung getragen werden.

VI.

Wir glauben an dieser Stelle erwähnen zu müssen, auf welche Weise, abgesehen vom Bundesbeitrage, die Kosten des Unternehmens aufgebracht werden sollen.

Der Kanton Tessin besitzt ein Gesetz vom 6. Juni 1853, welches diese Angelegenheit regelt; dasselbe fordert die Eindämmung aller Flüsse und Wildbäche im ganzen Gebiet des Kantons.

Nach den Bestimmungen dieses Gesetzes müssen der Staat, die Eisenbahngesellschaften, die Gemeinden und die Grundbesitzer an die Kosten solcher Werke beitragen und zwar im Verhältnisse zum Nutzen, den ihr Eigenthum daraus zieht; dasselbe Gesetz bestimmt auch die Art und Weise, wie die Grundbesitzer sich zu Genossenschaften zu verbinden haben.

In Ausführung dieses Gesetzes nimmt der Staatsrath die Klassifizirung vor und läßt die Besitzungen schätzen, welche an diese Kosten beizutragen haben, wonach dann der Quotenantheil jedes einzelnen Interessenten sich bestimmt.

Uebrigens macht die bundesräthliche Botschaft in Art. 7 den Vorbehalt, daß der Kanton Tessin vor Erlangung des Bundesbeitrages den Finanzausweis für den Mehrbetrag der für die Korrektion veranschlagten Kosten zu leisten habe.

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VII.

Was das Maß des Beitrages anbetrifft, so beantragen wir im Einklang mit dem Bundesrath 40 °/o der wirklichen, nach Maßgabe der gutgeheißenen Pläne gemachten Ausgaben.

Die Regierung des Kantons Tessin hat zwar verlangt, daß derselbe auf 50 °/o solle gesteigert werden ; allein wir sehen keinen Grund dafür ein, warum hier ausnahmsweise ein Betrag sollte bewilligt werden, der noch bei keinem Unternehmen dieser Art gewährt worden ist; im Gegentheil wurde der Normalansatz immer auf 33x/s % angesetzt, selbst bei Korrektionen, deren Verhältnisse keine günstigeren waren, als im vorliegenden Falle.

Gestützt auf die vorstehenden Erwägungen und in Anwendung des Gesetzes über die Wasserbaupolizei im Hochgebirge vom 22. Juni 1877 beantragt die Kommission, der bundesräthlichen Vorlage vom 10. Oktober 1882 beizupflichten und den Entwurf eines Bundesbeschlusses, wonach für die Korrektion des Tessinflusses von Bellinzona bis zum Langensee ein Bundesbeitrag soll zugesichert werden, in seinem ganzen Wortlaute anzunehmen.

B e r n , den 13. November 1882.

Die K o m m i s s i o n des Stände rathes: J. Chappex, Berichterstatter.

Sahli.

Hohl.

Müller.

Birmann.

Herzog.

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Bericht der

Kommission des Ständerath s betreffend Bewilligung einer Nachsubvention für die Juragewässerkorrektion an die Kantone Freiburg, Waadt und Neuenburg und an den Kanton Bern.

(Vom 14. November 1882.)

Tit.

Die bei der Juragewässerkorrektion betheiligten Kantone Freiburg, Waadt und Neuenburg einerseits und der Kanton Bern anderseits stellen an den Bund das Gesuch um Nachsubventionen für die Arbeiten dieser Unternehmung.

Dieses doppelte Ansuchen an den Bundesrath bildet den Gegenstand einer Botschaft desselben an die Bundesversammlung vom 3. November abhin.

Die mit Prüfung dieser Angelegenheit betraute Kommission hält es für angemessen, zunächst die anfänglichen Phasen der Juragewässerkorrektion vorzuführen.

Die Bundesversammlung votirte mit Bundesbeschluß vom 22. Dezember 1863 einen Bundesbeitrag von einem Drittel der auf Fr. 14 Millionen devisirten Kosten, d. h. von Fr. 4,670,000.

Die betheiligten Kantone konnten sich jedoch über die Vertheilung dieser Summe nicht verständigen, welche sie für ungenügend erachteten, weil der Devis auf gewisse Ausgaben, herrührend von der Senkung der Seen, der daherigen Aenderung von Hafenanlagen und von Uferschutzvorkehrungen, nicht Rücksicht nahm.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht der ständeräthlichen Kommission, betreffend das Gesuch des Kantons Tessin um Gewährung eines Bundesbeitrages an die Korrektion des Tessinflusses auf der Strecke von Bellinzona bis zum Langensee. (Vom 13. November 1882.)

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1882

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59

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23.12.1882

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617-623

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