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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die in Abänderung des AuslieferungVertrages vom 13. Mai 1874 zwischen der Schweiz und Belgien getroffene Uebereinkunft vom 11. September 1882. .

(Vom 1. Dezember 1882.)

Tit.

Mit Note vom 31. Januar dieses Jahres setzte der belgische Gesandte bei der schweizerischen Eidgenossenschaft uns davon in Kenntniß, daß er von seiner Regierung beauftragt sei, die Aufmerksamkeit der schweizerischen Behörden auf eine Lücke in dem zwischen den beiden Ländern im Jahr 1874 abgeschlossenen Auslieferungsvertrag*) zu lenken.

Die von der belgischen Regierung in's Auge gefaßte Bestimmung war Art. 9 des Vertrages, also lautend: ,,Das ausgelieferte Individuum kann für keine andere Gesetzes Verletzung verfolgt oder verurtheilt werden, als für diejenige, welche die Auslieferung begründet hat, es wäre denn der Angeklagte ausdrücklieh und freiwillig hiermit einverstanden und diese seine Einwilligung dem ausliefernden Staate zur Kenntniß gebracht worden.a Wie die belgische Note hervorhob, anerkennt dieser Artikel den Grundsatz der unbedingten Spezialität der Auslieferung, das heißt den Grundsatz, daß das ausgelieferte Individuum in keinem Falle ohne seine Zustimmung wegen einer andern Gesetzesübertretung als derjenigen, welche die Auslieferung veranlaßt hat, verfolgt *) Siehe eidg. Gesetzsammlung neue Folge, Band I, Seite 59.

481 werden darf. Dieses allzu absolute System hat aber Uebelstände in seinem Gefolge, die von der Praxis an den Tag gelegt worden sind.

Es kann vorkommen, daß nach der Auslieferung eine derselben vorhergegangene Gesetzesübertretung zur Last des betreffenden Individuums entdeckt wird; in diesem Falle wird der Ausgelieferte unter dem Schütze des Art. 9 des Auslieferungsvertrages sich der Straflösigkeit erfreuen. Wenn die strafbare Handlung in einem andern Staate begangen worden und dieser die Ueberantwortung des Schuldigen verlangt, so wird der Staat, an welchen der Angeschuldigte für ein bestimmtes Vergehen überliefert worden ist, sich für verpflichtet halten, diese neue Auslieferung zu verweigern. So legt wenigstens Belgien den Art. 9 des Vertrages von 1874 aus, und man muß zugeben, daß diese Auslegung sich unzweideutig aus dem Wortlaut des vorerwähnten Artikels ergibt.

Da es unbestreitbar ein gemeinsames Interesse der Staaten ist, zum Behuf der Bestrafung der Verbrecher sich gegenseitig au die Hand zu gehen, indem eine aus unvollkommenen Gesetzesbestimmungen hervorgehende Straflösigkeit derselben zum Nachtheile aller Staaten ausschlägt, lag für die Schweiz ein nicht minder gewichtiges Motiv als für Belgien vor, den von der belgischen Note hervorgehobenen Mangel des Vertrages von 1874 zu beseitigen. Der Bundesrath hat denn auch die Eröffnungen der belgischen Regierung günstig aufgenommen und den Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartements beauftragt, die bezüglichen Unterhandlungen mit dem belgischen Gesandten einzuleiten. Dieselben haben zu einer von den beidseitigen Bevollmächtigten am letzt verflossenen l I.September unterzeichneten und andern Tages durch den Bundesrath genehmigten Uebereinkunft geführt, deren Ratifikation gegenwärtig der Bundesversammlung beantragt wird.

Der durch diese Uebereinkunft in's Auge gefaßte Fall, d. h.

der Fall, wo nach der Auslieferung eine frühere sti-afbare Handlung des Ausgelieferten entdeckt wird, die er entweder in dem Lande, an das er ausgeliefert worden, oder in einem andern Lande begangen hat, will durch dieselbe in folgender Weise geregelt werden. Es ist dreierlei möglich: 1) Die der Auslieferung vorhergegangene Gesetzesübertretung betrifft ein politisches Vergehen ; 2) sie betrifft ein Vergehen, für welches die Auslieferung nicht vei-langt werden
kann ; 3) das frühere Vergehen gehört zu denjenigen, für welche die Auslieferungspflicht besteht. Im ersten Falle kann nach der Vereinbarung das betreffende Individuum erst verfolgt worden, wenn ihm während Monatsfrist die Freiheit gelassen war, das Land zu meiden; im zweiten Falle verhält es sich ebenso, der Betreffende

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darf nicht früher verfolgt oder einem dritten Staate übergeben werden, als nachdem er während eines Monats die Möglichkeit gehabt, sich fortzubegeben; im dritten Falle endlich soll der Angeschuldigte nur mit Zustimmung des Landes, welches ihn ausgeliefert hatte, verfolgt oder einem dritten Staate übergeben werden, es wäre denn, daß er selbst in die neue Auslieferung einwilligen würde oder trotz der ihm gewährten Möglichkeit, sich zu entfernen, das Land nicht verlassen hätte.

Es ist zu bemerken, daß in Bezug auf politische Vergehen von der Auslieferung an einen dritten Staat nicht die Rede ist, indem sowohl die von Seite der Schweiz als die durch Belgien abgeschlossenen Auslieferungsverträge jede Auslieferung für diese Art von Handlungen ausschließen.

Diese neuen Bestimmungen, welche die Artikel 3 und 9 des Vertrages von 1874 ersetzen sollen, erreichen unseres Erachtens den beabsichtigten Zweck, die Anforderungen der Gerechtigkeit mit dem Rechte des Ausgelieferten und den Rechten des ausliefernden Staates in ein richtiges Verhältniß zu setzen. Es können somit diese neuen Bestimmungen als eine Vervollkommnung unseres schweizerischbelgischen Auslieferungsvertrages betrachtet werden.

Der Bundesrath hatte die Absicht gehabt, bei diesem Anlaße noch andere Verbesserungen an unserm Auslieferungsvertrage mit Belgien anzubringen. Die erste hätte darin bestanden, in unzweideutigen Worten für einen jeden der beiden Staaten die Verpflichtung aufzustellen, solche Landesangehörige, welche nach Verübung eines Verbrechens oder Vergehens im andern Staate sich auf das heimatliche Gebiet geflüchtet haben, strafrechtlich zu verfolgen.

Die zweite neue Klausel wäre eine natürliche Folge der ersten gewesen : man hätte durch dieselbe festgestellt, daß der Staat, in dessen Gebiet das Vergehen stattgefunden und auf dessen Begehren die strafrechtliche Verfolgung in dem andern eingeleitet worden, gegen den Thäter nicht neuerdings bei sich die Strafverfolgung eintreten lassen dürfe -- gemäß dem Rechtssatze : Non bis in -idem !

Die belgische Regierung hat sich noch nicht entschließen können, diesen beiden Klauseln ihre Zustimmung zu ertheilen, vornehmlich nicht der letztern. Sie befürchtet, mit Unrecht nach unserm Dafürhalten, dadurch für die schwierige und wichtige Frage der Anerkennung fremder gerichtlicher Urtheile ein
Präjudiz zu schaffen.

Wie dem auch sei, die Unterhandlungen über diese Punkte nehmen ihren Fortgang. Die beiden Regierungen wollten aber die Vereinbarung betreffend die von Belgien vorgeschlagenen und beidseitig als eine Verbesserung des Vertrages von 1874 angesehenen neuen Bestimmungen nicht länger hinausschieben.

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Aus diesen Gründen gluuben wir Ihnen die Genehmhaltung der dieser Botschaft anliegenden Uebereinkunft empfehlen zu können.

Genehmigen Sie, Tit., die erneuerte Versicherung unserer besondern Hochachtung.

B e r n , den 1. Dezember 1882.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Bavier.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft, Ringier.

(Entwurf)

Bundesbeschluss betreffend

die Ratifikation der Uebereinkunft vom 11. September 1882, betreffend Abänderung des Auslieferungsvertrages zwischen der Schweiz und Belgien vom 13. Mai 1874.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom I. Dezember 1882, beschließt: Art. 1. Der zwischen der Schweiz und Belgien am II. September 1882 abgeschlossenen Uebereinkunft, betreffend Abänderung des Auslieferungsvertrages zwischen der Schweiz und Belgien vom 13. Mai 1874, wird hiermit die vorbehaltene Ratifikation ertheilt.

Art. 2. Der Bundesrath ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Uefoereinkunft zwischen

der Schweiz und Belgien, betreffend die Abänderung des am 13. Mai 1874 abgeschlossenen Auslieferungsvertrages.

(Vom 11. September 1882.)

Der Bundesrath der schweizerischen Eidgenossenschaft und Seine Majestät der König der Belgier,

indem sie es für zweckmäßig erachten, den Auslieferungsvertrag vom 13. Mai 1874 in einigen Punkten abzuändern, haben zu diesem Behufe zu ihren Bevollmächtigten ernannt, nämlich : Der Bundesrath der schweizerischen Eidgenossenschaft: Herrn L o u i s R u c h o n n e t , Vize-Präsident des Bundesrathes und Chef des eidg. Justiz- und Polizeidepartements, und Seine Majestät der König der Belgier: Herrn M a u r i c e Del f o s s e , außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister des Königs der Belgier in der Schweiz, welche nach gegenseitiger Mittheilung ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten vereinbart haben, was folgt:

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Artikel I.

Die Artikel 3 und 9 des erwähnten Vertrages werden durch die nachstehenden Bestimmungen ersetzt : 1. Die Auslieferung, kann niemals bewilligt werden wegen politischer Verbrechen oder Vergehen oder wegen Handlungen, die mit solchen Verbrechen oder Vergehen zusammenhangen.

Ein wegen einer andern Uebertretung der Strafgesetze ausgeliefertes Individuum kann unter keinen Umständen wegen einem seiner Auslieferung vorausgegangenen politischen Verbrechen oder Vergehen oder einer damit zusammenhängenden Handlung verfolgt oder verurthèilt werden, es sei denn, daß ihm während einem Monat nach der über ihn ergangenen strafgerichtlichen Verhandlung, beziehungsweise im Falle seiner Verurtheilung, nach Ausstehung der Strafe oder nach der Begnadigung, die Freiheit gegeben worden, das Land, an welches seine Auslieferung stattgefunden hatte, wiederum zu verlassen.

2. Ein ausgeliefertes Individuum kann in dem Lande, an welches es ausgeliefert worden, weder verfolgt noch bestraft, noch von demselben an einen dritten Staat ausgeliefert werden für irgend ein im Vertrage vom 13. Mai 1874 nicht vorgesehenes und der Auslieferung vorausgegangenes Verbrechen oder Vergehen, es sei denn, daß ihm, im einen wie im andern Falle, die Freiheit gegeben worden, das oben benannte Land unter den oben näher bezeichneten Bedingungen wiederum zu verlassen.

Das betreffende Individuum kann ebensowenig auf Grund eines der Auslieferung vorausgegangenen und im Vertrage vorgesehenen, aber von demjenigen, welches die Auslieferung veranlaßte, verschiedenen Verbrechens oder Vergehens ohne die Zustimmung des Staates, von welchem die Auslieferung bewilligt worden, verfolgt oder bestraft werden; es steht hiebei diesem letztern Staate auch zu, die Vorlegung eines der im Artikel 5 des besagten Vertrages erwähnten Beweisstücke zu verlangen.

Die Einwilligung der nämlichen Regierung ist gleichfalls erforderlich, wenn die Auslieferung des betreffenden Angeklagten an einen dritten Staat bewilligt werden will. Indessen kann von der Einholung dieser Zustimmung Umgang genommen werden, wenn der Angeschuldigte von sich aus vor Gericht gestellt zu werden oder seine Strafe anzutreten verlangt, oder wenn er innerhalb der oben bestimmten Frist das Gebiet des Landes, an welches er ausgeliefert worden, nicht verlassen hat.

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Artikel II.

Der gegenwärtige Zusatzvertrag soll ratiflzirt und die Ratifikations-Urkunden sollen ehestens in B e r n ausgewechselt werden.

Derselbe tritt zehn Tage nach seiner gemäß der Gesetzgebung der beiden Länder vorzunehmenden Publikation in Rechtskraft.

Die vorstehenden Bestimmungen haben für dieselbe Zeitdauer Geltung, wie der Vertrag vom 13. Mai 1874, auf den sie sich beziehen.

Dessen zur Urkunde haben die Unterzeichneten diesen Zusatzvertrag unter Beidrückung ihrer Siegel unterschrieben.

So geschehen in B e r n den eilften September eintausend achthundert zwei und achtzig (11. September 1882j.

(L. S.) (Gez.) L. Ruchonnet.

(L. S.) ( ,, ) Maurice Delfosse.

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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend Zusicherung eines Bundesbeitrages an den Kanton Waadt für die Korrektion des untern Laufes der Gryonne.

(Vom 1. Dezember 1882.)

Tit.

Der Staatsrath des Kautons Waadt hat mit Schreiben vom 16. Mai laufenden Jahres das Gesuch um Bewilligung eines Bundesbeitrages für die Korrektion des untern Laufes der Gryonne eingereicht. Außerdem, daß dieses Schreiben selbst sich einläßlich über den Gegenstand verbreitet, ist demselben auch eine technische Vorlage beigefügt, bestehend in Bericht (notice descriptive), Plänen und Kostenvoranschlag.

Wir entnehmen dieser Eingabe zunächst Folgendos über die Vorgeschichte der Angelegenheit: Die Gryonne, früher zwar schon als ein nicht ganz unschuldiger Bach bekannt, hat doch erst seit einem Hochwasser vom 31. Oktober 1870 den seither bewiesenen, höchst gefährlichen Charakter angenommen. Damals wurde in wenigen Stunden im untern Laufe das Bachbett verstopft und ein großer Theil der Ebene zwischen Ollon und St. Triphon einerseits und Bex anderseits mit Schlamm und Geröll überdeckt. Im obern Gebiete bildeten sich aber überall tiefe Runsen und infolge dessen Bodenbewegungen, also Zustände, welche die Gefahr in sich schlössen, daß der Bach bei jeder Anschwellung neuerdings große Geschiebsmassen in die Ebene führen werde.

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die in Abänderung des Auslieferungsvertrages vom 13. Mai 1874 zwischen der Schweiz und Belgien getroffene Uebereinkunft vom 11. September 1882. (Vom 1. Dezember 1882.)

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