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Bundesgesetz betreffend

Prioritätsrechte an Erfindungspatenten und gewerblichen Mustern und Modellen.

(Vom 3. April 1914.)

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, unter Bezugnahme auf Art. 4 und 11 der Pariser Verbandsübereinkunft vom 20. März 1883 zum Schütze des gewerblichen Eigentums, revidiert in Brüssel am 14. Dezember 1900 und in Washington am 2. Juni 1911*); in teilweiser Abänderung des Bundesgesetzes vom 21. Juni 1907 betreffend die Erfindungspatente und des Bundesgesetzes vom 30. März 1900 betreffend die gewerblichen Muster und Modelle; nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 25. Juli 1913, beschliesst: I. Anmeldungs-Prioritätsrecht.

Art. 1. Die Angehörigen von Ländern des internationalen Verbandes zum Schütze des gewerblichen Eigentums, die für ihre Erfindungen und Gebrauchsmuster in einem nichtschweizerischen Verbandslande ein Gesuch um gesetzlichen Schutz regelrecht hinterlegt haben und innerhalb zwölf Monaten seit der Hinterlegung dieselben Erfindungen und Gebrauchsmuster zum Patentschutze in der Schweiz anmelden, erlangen, sofern die Vorschriften von Art. 6 beobachtet werden, für diese Anmeldung, unter Vorbehalt der Rechte Dritter, ein Prioritätsrecht. Dieses *1 Siehe Eidg. Gesetzsammlung n. F., Bd. XXIX, S. 72.

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besteht darin, dass der Anmeldung Tatsachen, die seit der im nichtschweizerischen Verbandslande bewirkten Hinterlegung eingetreten sind, nicht entgegengehalten werden können.

Das Prioritätsrecht kann nur auf Grund der ersten in einem nichtschweizerischen Verbandslande erfolgten Anmeldung erworbeü werden.

Unter den nämlichen Voraussetzungen steht das gleiche Recht den Anmeldern von gewerblichen Mustern und Modellen zu, sofern die Anmeldung in der Schweiz nicht später als vier Monate nach der ersten Anmeldung bewirkt wurde.

Art. 2. Den Angehörigen von Ländern des internationalen Verbandes zum Schütze des gewerblichen Eigentums sind die Angehörigen anderer Länder gleichgestellt, die in einem der vertragschliessenden Länder ihren festen Wohnsitz oder eine wirkliche und ernst zu nehmende gewerbliche oder Handelsniederlassung haben.

Art. 3. Wenn die Schutzanmeldung in der Schweiz von einem Rechtsnachfolger des ersten Anmelders bewirkt wird, so erwirbt auch dieser Rechtsnachfolger das Prioritätsrecht, selbst wenn er weder Angehöriger eines Verbandslandes noch einem solchen nach Art. 2 gleichgestellt ist.

Als Rechtsnachfolger des ersten Anmelders ist anzusehen, wer von dem letztern das Recht an der Erfindung, am Gebrauchsmuster oder am gewerblichen Muster oder Modell, die Gegenstand der ersten Anmeldung bilden, für das Gebiet der Schweiz erworben hat.

Vereinbarungen, die mit den vorstehenden Bestimmungen im Widerspruch stehen, sind ungültig.

Art. 4. Hat ein Nichtberechtigter die erste Anmeldung im Ausland, die Anmeldung in der Schweiz oder beide Anmeldungen bewirkt, so kann, wenn die Vorschriften des Art. 6 beobachtet worden sind, der an der Erfindung, am Gebrauchsmuster oder am gewerblichen Muster oder Modell Berechtigte die Priorität aus der ersten Anmeldung geltend machen.

Art. 5. Besteht an einer Erfindung oder au einem Gebrauchsmuster ein Prioritätsrecht, so ist die Erwerbung eines Mitbenutzungsrechtes am Gegenstande des Patentes (Art. 8 des Bundesgesetzes vom 21. Juni 1907 betreffend die Erfindungspatente) während der Prioritätsfrist ausgeschlossen.

Art. 6. Wer für eine Erfindung oder ein Gebrauchsmuster das Prioritätsrecht beanspruchen will, muss vor dem amtlichen Datum der Eintragung des Patentes eine schriftliche Erklärung über Zeit und Land der ersten Anmeldung abgeben und die zugehörigen technischen Akten (Beschreibung oder Beschreibung und bildliche Darstellung') in einer Wiedergabe einreichen, deren Übereinstimmung mit den Originalen von der Behörde bescheinigt ist, bei der die erste Anmeldung stattgefunden hat. Wenn die Beschreibung nicht in einer der drei schweizerischen Landessprachen abgefasst ist, muss, soweit die Vollziehungsverordnung zu diesem Gesetze nicht Ausnahmen vorsieht, die Übersetzung in einer der genannten Sprachen beiliegen.

Wer für ein gewerbliches Muster oder Modell das Prioritätsrecht beanspruchen will, rnuss bei der Anmeldung eine schriftliche Erklärung über Zeit und Land der ersten Anmeldung abgeben.

Die Beobachtung dieser Vorschriften enthebt den Inhaber eines Patentes oder eines gewerblichen Musters oder Modelies nicht der Pflicht, im Streitfälle vor Gericht nachzuweisen, dass das von ihm angerufene Prioritätsrecht wirklich zu seinen Gunsten besteht. Jedoch wird vermutet, dass die bei der schweizerischen Anmeldung angerufene ausländische Anmeldung die erste im Verbandsgebiete gewesen sei.

II. Aiisstellungs-Prioritätsreeht.

Art. 7. Die Angehörigen von Ländern des internationalen Verbandes zum Schütze des gewerblichen Eigentums, die ihre Erfindungen, Gebrauchsmuster und gewerblichen Muster und Modelle, deren Gegenstand sie an einer offiziellen oder offiziell

588 anerkannten gewerblichen Ausstellung in der Schweiz oder in einem der übrigen Verbandsländer zur Schau gestellt haben, innerhalb sechs Monaten seit dem Tage der Eröffnung der Ausstellung zum Patent- oder zum Muster- und Modellschutz in der Schweiz anmelden, erlangen, sofern die Vorschriften von Art. 9 beobachtet werden, für diese Anmeldung, unter Vorbehalt der Rechte Dritter, ein Prioritätsrecht. Dieses besteht darin, dass der Anmeldung Tatsachen nicht entgegengehalten werden können, die seit dem Tage der Verbringung ihres Gegenstandes auf den Ausstellungsplatz, jedoch nicht früher als drei Monate vor dem Tage der Eröffnung der Ausstellung eingetreten sind.

Die Vorschriften von Art. 2, 3 und 5 finden auf das Ausstellungs-Prioritätsrecht entsprechende Anwendung.

Art. 8. Hat ein Nichtberechtigter den Gegenstand einer Erfindung oder eines Gebrauchsmusters oder eines gewerblichen Musters oder Modelles ausgestellt oder die Schutzanmeldung in der Schweiz bewirkt, oder hat er beides bewerkstelligt, so kann, wenn die Vorschriften des Art. 9 beobachtet worden sind, der Berechtigte die Priorität aus der Ausstellung geltend machen.

Art. 9. Wer für eine Erfindung oder ein Gebrauchsmuster das Prioritätsrecht beanspruchen will, muss vor dem amtlichen Datum der Eintragung des Patentes eine schriftliche Erklärung über die Ausstellung, an der die Gegenstände zur Schau gestellt worden sind, und über den Tag der Eröffnung der Ausstellung abgeben.

Wer für ein gewerbliches Muster oder Modell das Prioritätsrecht beanspruchen will, muss diese Erklärung bei der Schutzanmeldung abgeben.

Die Beobachtung dieser Vorschriften enthebt den Inhaber eines Patentes oder eines gewerblichen Musters oder Modelles nicht der Pflicht, im Streitfalle vor Gericht nachzuweisen, dass das von ihm angerufene Prioritätsrecht wirklich zu seinen Gunsten besteht.

589 III. Übergangs- und Schlussbestimmungen.

Art. 10. Durch das gegenwärtige Gesetz werden die Art. 36 und 37 des Bundesgesetzes vom 21. Juni 1907 betreffend die Erfindungspatente und die Art. 34 und 35 des Bundesgesetzes vom 30. März 1900 betreffend die gewerblichen Muster und Modelle aufgehoben.

Art. 11. Das gegenwärtige Gesetz gilt mit Bezug auf das Prioritätsrecht ohne Rücksicht auf den Beginn der Prioritätsfrist für alle nach dem 30. April 1913 in der Schweiz angemeldeten Patente und gewerblichen Muster und Modelle. Für die vor dem Ablauf von drei Monaten nach dem Inkrafttreten des Gesetzes eingetragenen Patente und gewerblichen Muster und Modelle kann die Erfüllung der in den Art. 6 und 9 vorgeschriebenen Förmlichkeiten bis zum Ablauf dieser drei Monate nachgeholt werden.

Die Bestimmungen über den Ausschluss der Erwerbung eines Mitbenutzungsrechtes während der Prioritätsfrist gelten nur für diejenigen Patente, welche erst nach dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Gesetzes angemeldet werden.

Art. 12. Der Bundesrat wird beauftragt, die zur Vollziehung des gegenwärtigen Gesetzes erforderliche Verordnung zu erlassen.

Also beschlossen vom Nationalrate, B e r n , den 2. April 1914.

Der Präsident : Dr. A. v. Planta.

Der Protokollführer: Schatzmanu.

Also beschlossen vom Ständerate, B e r n , den 3. April 1914.

Der Präsident: Dr. Eugene Riehard.

Der Protokollführer: David.

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Der schweizerische B u n d e s r a t b e s c h l i e s s t : Das vorstehende Bundesgesetz ist gemäss Art. 89, Absatz 2, der Bundesverfassung und Art. 3 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874 betreifend Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse zu veröffentlichen.

B e r n , den 6. April 1914.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Hoffmann.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schutzmann.

N o t e . Datum der Veröffentlichung: 8. April 1914.

Ablauf der Referendumsfrist: 7. Juli 1914.

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Bundesgesetz betreffend Prioritätsrechte an Erfindungspatenten und gewerblichen Mustern und Modellen. (Vom 3. April 1914.)

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