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Schweizerisches Bundesblatt.

49. Jahrgang. IV.

Nr. 36.

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8. September 1897.

Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über den Rekurs der Witwe des Soldaten Louis Fournier in Genf betreffend Pensionierung.

(Vom 3. September 1897.)

Fournier, Louis, Gärtner, Villette (Gent), geboren 1864, Soldat, rückte am 27. August 1895 anscheinend gesund zum Wiederholungskurs des Füsilierbataillons 13 ein. Am 2. September wurde er wegen einer leichten Blinddarmentzündung ins Spital Yverdon gebracht. Bereits am 5. wurde er als genesen, aber noch schonungsbedürftig zum Bataillon entlassen. Hier meldete er sich noch am 7. und 8. beim Arzt und wurde jeweilen für l Tag dispensiert; nachher meldete er sich bis zur Entlassung (13. September) nicht mehr.

Die Militärbehörde erfuhr über Fournier etwas weiteres erst durch ein Schreiben des Militärdepartements Genf vom 26. November 1895, welches meldet, Fournier sei an einer im letzten Militärdienst erworbenen Krankheit gestorben, d. h. er habe nachher wieder an den Folgen seiner Blinddarmentzündung gelitten, sei hypoehondrisch geworden und habe sich am 1. November erschossen ; seine Witwe verlange für sich und ihr Kind eine Pension.

Aus dem diesem Schreiben beigelegten Gesuch der Witwe Fournier ergab sich, daß Fournier erst am 1. Oktober, also 18 Tage nach der Entlassung des Bataillons, den Herrn Prof. Revillod e i n m a l konsultierte wegen Folgen einer frühern Perityphlitis und wegen einer ,,psychopathie spéciale", und n a c h h e r erst den OrtsBundesblatt 49. Jahrg. Bd. IV.

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arzt Dr. Kohler, und zwar, wie sich aus spätem Erhebungen ergiebt, letztern auch bloß e i n m a l . Letzterer konstatierte Hypochondrie infolge Unterleibsleiden und schrieb dieser Gemütsstörung den Selbstmord zu.

Das Gutachten des Oberfeldarztes vom 2. Dezember 1895 lautete \vie folgt: ,,Die im Militärdienst aufgetretene Perityphlitis war offenbar eine ganz leichte, sonst hätte 1. der sehr gewissenhafte Spitalarzt in Yverdon den Mann nicht schon nach 3 Tagen wieder zum Bataillon entlassen, allerdings unter Empfehlung zur Dispensation vom Sacktragen, und 2. der Assistenzarzt des Bataillons, Oberlieutenant Stephani, hätte ihn nachher nicht beim Bataillon weiter behandelt, sondern wieder in Spitalbehandlung gesandt. Daß letzterer dem Patienten alle Aufmerksamkeit zuwandte, beweist die einläßliche Begründung seiner Diagnose auf dem Krankenpaß, wie er überhaupt, nach seinen Rapporten etc. zu schließen, seinen bei einem Genferbataillon gar nicht leichten Dienst sehr sorgfältig gethan hat.

,,Beim Bataillon 13 sind wie bei jedem ändern Bataillon in diesem Dienst die Vorschriften betreffend Erkrankung nach dem Dienst der Mannschaft erläutert worden, wie dies schon in den beiden vorhergehenden Wiederholungskursen, welche Fournier mitmachte (1892 und 1894), geschehen war. Er kann sich um so weniger auf Unkenntnis derselben berufen, als eine erhebliche Anzahl von Soldaten seines Bataillons davon Gebrauch gemacht hat.

Hätte er es auch gethan, so wäre er ins Spital, eventuell in die Irrenanstalt gesandt und geheilt oder jedenfalls vor Selbstmord bewahrt worden.

,,Wenn er nach dem Dienste von einer Hypochondrie befallen worden ist, welche sich bis zum Selbstmord steigerte, so mag sein Unterleibsleiden hierzu allerdings den Anlaß gegeben haben, aber nicht den wirklichen Grund. Dieser muß in angeborener Anlage gesucht werden, an welcher der Militärdienst unschuldig ist. Unzweifelhaft würde eine unparteiische psychiatrische Anamnese eine erbliche Belastung darthun.

,,Wenn somit Fournier auch im Dienst an Perityphlitis erkrankt ist, so ist doch sein Tod nicht dieser Erkrankung zuzuschreiben, sondern dem Umstand, daß er von Haus aus zu Geistesstörung geneigt war, und daß er sich nach dem Dienste der militärärztlichen Behandlung entzog. Nur so ist es zu erklären, daß die an sich leichte Erkrankung auf sein Gemüt einen so verderblichen Einfluß äußern konnte, und dafür kann der Militärdienst nichts.

123 ,,Ich beantrage daher Abweisung des Entschädigungsgesuches, gestützt auf Pensionsgesetz, Art. 4, Lemma l und 2 (französische Ausgabe Lemma 2 und 3).a Unterm 3./6. Dezember teilte unser Militärdepartement demjenigen des Kantons Genf den wesentlichen Inhalt dieses Gutachtens mit und bemerkte, es könne dem Entschädigungsgesuch keine Folge geben.

Mit Schreiben vom 18. Dezember 1895 reklamierte das Militärdepartement Genf gegen diesen Bescheid, indem es geltend machte : 1. Fournier hätte im Spital oder der Irrenanstalt allerdings keinen Selbstmord begangen; die behandelnden Ärzte hätten aber seine Versetzung in eine dieser Anstalten nicht für nötig gehalten, und Fournier wäre vielleicht nicht aufgenommen worden.

2. Fournier sei zweifellos während dem Dienst krank gewesen und auch nachher aus der nämlichen Ursache ; sein Entschädigungsanspruch sei daher zweifellos.

3. Wenn Fournier die bestehenden Vorschriften nicht beachtet habe, so sei es ungerecht, die Witwe dafür büßen zu lassen.

Unser Militärdepartement konnte aus dieser Reklamation und ihrer Begründung noch immer nicht die Überzeugung gewinnen, daß ein berechtigter Entschädigungsanspruch vorliege. Um indessen nichts zu versäumen, wurde an Genf ein Pensionsfragebogen gesandt und gleichzeitig (19. Februar) von dem Ortsarzt Dr. Kohler als Ergänzung seines Zeugnisses Auskunft verlangt 1. ob Fournier schon früher an Perityphlitis oder Hypochondrie gelitten, 2. ob derselbe seine Krankheit dem Militärdienst zugeschrieben, und 3. warum derselbe sich nicht auf eidgenössische Kosten habe behandeln lassen wollen, obschon er die betreffenden Vorschriften kannte (er hatte dieselben nicht bloß im letzten Wiederholungskurs, sondern bereits in zwei frühern erläutern gehört).

Die weitere Behandlung des Falles verzögerte sich, weil Dr.

Kohler diese Fragen erst auf wiederholte Reklamationen beantwortete, und zwar ein erstes Mal unterm 15. Juni uneinläßlich und unvollständig (aus dieser Antwort ist bloß hervorzuheben, daß Dr. Kohler den Fournier vor dem Dienst ein einziges Mal behandelt hat wegen Bienenstich und nach dem Dienst ein e i n z i g e s Mal beraten wurde wegen Resten der Blinddarmentzündung, daß damals Fornuier v o l l s t ä n d i g a r b e i t s f ä h i g , aber gemütlich gedrückt und über die Folgen seiner Krankheit sehr beunruhigt war).

Die vom
Oberfeldarzt unterm 22. Juni wiederholt gestellten Fragen beantwortete Dr. Kohler erst auf Reklamation des Militärdepartements unterm 3. Oktober, und zwar Frage l, Fournier

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habe vorher niemals an Perityphlitis gelitten, 2. er habe seine Krankheit dem Militärdienst zugeschrieben und 3. er habe im Anfang der Sache wenig Wichtigkeit beigelegt,, da ihn der Truppenarzt darauf vorbereitet hatte, er werde noch einige Zeit etwas verspüren. Dann seien Anf'äÜe von Hypochondrie gekommen abwechselnd mit Zeiten normalen Befindens oder auch von ungewöhnlicher Heiterkeit 5 in den Anfällen von Schwarzseherei habe er sich über die Folgen seiner Krankheit übertriebene Sorgen gemacht und sich in einem solchen Anfalle das Leben genommen.

Wir fügen hier bei, daß laut einem Bericht des Bataillonsarztes Fournier im Krankenzimmer auffallend fröhlich und der Spaßmacher des Krankenzimmers war; es ist dies, zusammengehalten mit obigem, ein weiterer Beleg dafür, daß Fournier, wie viele Hypochonder,, von sehr wechselnder Gemütsart war, heute abnorm fröhlich, morgen abnorm gedrückt.

Aus dem Pensionsfragebogen ergiebt sich, dass Fournier eine Witwe, geb. 1864, und einen Knaben, geb. 1888, hinterlassen hat, daß er kein Vermögen hatte und von seiner Gärtnerei lebte ; über die Höhe seines Verdienstes ist nichts angegeben.

Der Oberfeldarzt gab seinen Bericht zum Pensionsfragebogen am 5. Oktober 1896 mit folgenden Worten ab : ,,Der Selbstmord wäre nicht erfolgt, wenn Fournier rechtzeitig nach dem Dienst krank gemeldet worden wäre, denn er wäre dann ins Spital, eventuell in die Irrenanstalt gebracht worden, wo höchst wahrscheinlich die Tendenz zum Selbstmord nicht aufgekommen und wenn dennoch aufgekommen, der Selbstmord selber verhütet worden wäre. Die Hauptschuld am Tode des Fournier trägt somit dessen Nichteintritt in eidgenössische Behandlung nach dem Dienst, und der Bund muss alle und jede Verantwortlichkeit für diesen Todesfall und dessen Folgen ablehnen.

,,Ich beantrage daher nochmals Abweisung des Pensionsgesuches.tt Auch die Pensionskommission sprach sich einstimmig für Abweisung des Gesuches aus, und gestützt auf deren Gutachten wies das Militärdepartement das Gesuch des Militärdepartemenls Genf unterm 17./22. Oktober ab.

Auf eine schriftliche Intervention des Herrn Ständerat Gavard vom 18. März glaubte der damalige Departementsvorsteher die Angelegenheit Fourniers noch einmal der Pensionskommission vorlegen zu sollen. Dieselbe behandelte sie in ihrer Plenarsitzung vom 15. Mai und bestätigte einhellig ihr früheres abweisendes Votum (s. Protokoll).

125 Auf Antrag des Militärdepartements und in Bestätigung seiner zweimaligen Abweisung der durch das Militärdepartement Genf eingereichten Entschädigungsgesuche, haben wir dann unterm 4. Juni abhin .die Reklamation des Herrn Ständerat Gavard abgewiesen, gestützt darauf, daß der Mann der Petentin weder im Kampfe mit dem Feinde, noch an einer im eidgenössischen Mililitärdienst erlittenen Krankheit oder Verwundung gestorben ist (Art. 2, Pensionsgesetz), sondern daß sein Tod durch Selbstmord erfolgt ist. Will man auch Hypochondrie als Ursache dieses Selbstmordes annehmen, so ist doch der Grund dieser Krankheit in der bereits in den Dienst mitgebrachten Gemütsanlage des Verstorbenen zu suchen, und hätte derselbe, seine Ärzte oder seine Angehörigen nach dem Militärdienst von seinem abnormen Befinden dem Oberfeldarzt vorschriftsgemäß Anzeige gemacht, so wäre der Mann ins Spital gesandt und der Grund seiner körperlichen Beschwerden, der erkrankte Wurmfortsatz, durch eine relativ leichte und ungefährliche Operation entfernt und unter allen Umständen der Selbstmord verhütet worden.

Gegen diesen Beschluß des Bundesrates ist nun der unterm 27. Juli 1897 an den Bundesrat eingereichte Rekurs an die Bundesversammlung gerichtet.

Dieser Rekurs bringt absolut nichts neues Thatsächliches, sondern verweist einfach auf die Vorakten.

Gestüzt auf diese können wir den Rekurs nicht als begründet anerkennen, weshalb wir Ihnen dessen Abweisung beantragen.

Auf die Frage, ob ein Rekurs an die Bundesversammlung in solchem Falle überhaupt zulässig sei, treten wir nicht neuerdings ein, nachdem die Bundesversammlung diese Frage schon wiederholt bejaht hat.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 3. September 1897.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Vizepräsident: Ruffy.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

, j.

Ringier.

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08.09.1897

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