BBl 2021 www.bundesrecht.admin.ch Massgebend ist die signierte elektronische Fassung

zu 17.400 Parlamentarische Initiative Systemwechsel bei der Wohneigentumsbesteuerung Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates vom 27. Mai 2021 Stellungnahme des Bundesrates vom 25. August 2021

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates vom 27. Mai 20211 betreffend den Systemwechsel bei der Wohneigentumsbesteuerung nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

25. August 2021

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Guy Parmelin Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Am 9. Januar 2017 startete die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates (WAK-S) einen neuen Anlauf zur Streichung des Eigenmietwerts im Schweizer Steuerrecht und lancierte eigens eine Kommissionsinitiative (Pa.Iv. 17.400). Im Rahmen des Vorprüfungsverfahrens gab ihr am 14. August 2017 die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates (WAK-N) Folge.

Die erarbeitete Vernehmlassungsvorlage fusste auf einem partiellen Systemwechsel, wonach sowohl im Bundesgesetz vom 14. Dezember 19902 über die direkte Bundessteuer (DBG) als auch im Steuerharmonisierungsgesetz vom 14. Dezember 19903 (StHG) das am Wohnsitz selbstbewohnte Wohneigentum nicht mehr dem Eigenmietwert zu unterstellen sei. Mit Rücksicht auf die fiskalischen Interessen der Tourismuskantone sollte hingegen der Mietwert von selbstgenutzten Zweitliegenschaften weiterhin steuerbar bleiben. Systemkonform sollten mit dem Wegfall des Eigenmietwerts die Unterhaltskosten nicht mehr abziehbar sein. Bezüglich des Schuldzinsenabzugs wurden fünf Varianten zur Diskussion gestellt. Allen Varianten gemeinsam war, dass sie die Abziehbarkeit der Schuldzinsen abhängig von den steuerbaren Vermögenserträgen begrenzten, wobei die fünfte Variante ein komplettes Abzugsverbot bei den privaten Schuldzinsen vorsah. Bei den ausserfiskalisch motivierten Abzügen (Energiesparen, Umweltschutz und Denkmalpflege) sollte die Abzugsberechtigung im StHG wie bisher als Kann-Vorschrift bestehen bleiben, im DBG jedoch aufgehoben werden. Schliesslich sollte mit dem Ersterwerberabzug eine neue, zeitlich und betragsmässig beschränkte Steuervergünstigung im Schweizer Steuerrecht Einzug halten.

Das Vernehmlassungsverfahren dauerte vom 5. April bis zum 12. Juli 2019. Der Ergebnisbericht4 zeichnet ein durchzogenes Bild: Für 21 Kantone sowie die Konferenz der kantonalen Finanzdirektorinnen und Finanzdirektoren (FDK) fiel der Reformvorschlag im Vergleich zum Status quo unbefriedigend aus. Demgegenüber sprachen sich 5 politische Parteien (BDP, CVP, FDP, GLP und SVP) grundsätzlich für die Vorlage aus. Bei den Dachverbänden und den übrigen Organisationen hielten sich befürwortende und ablehnende Stellungnahmen die Waage.

Am 27. Mai 2021 hat die WAK-S eine Gesetzesvorlage verabschiedet, die gemäss ihrem Bericht5 in drei Bereichen von der Vernehmlassungsvorlage abweicht: ­

2 3 4

5

Sie sprach sich mit 7 zu 4 Stimmen für die Streichung des allgemeinen Schuldzinsenabzugs aus (= fünfte Variante der Vernehmlassungsvorlage).

SR 642.11 SR 642.14 Einsehbar unter www.fedlex.admin.ch > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2019 > Parl. > Bundesgesetz über den Systemwechsel bei der Wohneigentumsbesteuerung.

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Eine Kommissionsminderheit will den Umfang der abziehbaren Schuldzinsen auf 70 Prozent der steuerbaren Vermögenserträge begrenzen.

­

Die Abziehbarkeit der Kosten denkmalpflegerischer Arbeiten soll nicht nur im StHG (dort als Kann-Vorschrift), sondern unter den gleichen Voraussetzungen auch im DBG beibehalten werden.

­

Die Abziehbarkeit der Kosten von Energiespar- und Umweltschutzmassnahmen soll im StHG weiterhin als Kann-Vorschrift ausgestaltet bleiben.

Allerdings soll diese steuerliche Förderung nur möglich sein, bis die energiepolitischen Ziele nach Artikel 3 Absatz 1 des CO2-Gesetzes vom 25. September 20206 erreicht sind.

In der Gesamtabstimmung wurde der Gesetzesentwurf mit 9 zu 2 Stimmen bei 1 Enthaltung angenommen.

2

Stellungnahme des Bundesrates

Das geltende System der Eigenmietwertbesteuerung wird seit Jahren infrage gestellt.

Insbesondere stellen sich Eigenheimbesitzerinnen und Eigenheimbesitzer Fragen über Sinn und Zweck der Besteuerung eines als «fiktiv» empfundenen Einkommens.

Der Bundesrat hat sich in der jüngeren Vergangenheit wiederholt für eine Reform der Wohneigentumsbesteuerung offen gezeigt, sofern diese ausgewogen, in sich konsistent und finanziell verkraftbar ausgestaltet ist. Des Weiteren hat er in früheren Reformprojekten (Steuerpaket 20017 und indirekter Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Sicheres Wohnen im Alter»8) betont, dass das heutige System verschiedene Mängel aufweise. Er hat dabei unter anderem Bezug genommen auf die fehlende Eindämmung der Anreize zu privater Verschuldung, die technische Komplexität der Eigenmietwertbesteuerung sowie die fehlenden periodischen Anpassungen bei der Festlegung der Eigenmietwerte und die damit verbundenen Folgen bei staatlichen Transferzahlungen (Stipendien, Prämienverbilligungen etc.). Schliesslich ist auch die anhaltende Kritik der Rentnerinnen und Rentner an der heutigen Ausgestaltung der Wohneigentumsbesteuerung unüberhörbar, weil in ihrem Fall der Saldo zwischen Eigenmietwert und Abzügen einen beachtlichen Anteil an den Gesamteinkünften ausmachen kann. Das hängt damit zusammen, dass die Amortisation der Hypotheken bei pensionierten Eigenheimbesitzerinnen und Eigenheimbesitzern typischerweise weit vorangeschritten ist.

In den letzten 20 Jahren haben die Kantone gegenüber einem Systemwechsel bei der Wohneigentumsbesteuerung eine zunehmend skeptischere Grundhaltung eingenommen. Die Vernehmlassung bezüglich des Wohneigentumsteils zum Steuerpaket 2001 ergab noch eine Unterstützung von 15 Kantonen für einen Systemwechsel. Knapp zehn Jahre später kippte die Mehrheit, denn anlässlich der Vernehmlassung zum indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Sicheres Wohnen im Alter» sprachen sich 6 7 8

BBl 2020 7847 Siehe dazu www.parlament.ch > Geschäftsnummer 01.021.

Siehe dazu www.parlament.ch > Geschäftsnummer 10.060.

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17 Kantone gegen eine Abschaffung des Eigenmietwerts aus. Die jüngste Vernehmlassung hat gezeigt, dass der Widerstand der Kantone seither noch grösser geworden ist. Dabei dürfte eine wesentliche Rolle spielen, dass die Aufhebung der Eigenmietwertbesteuerung im aktuellen Zinsumfeld zu bedeutenden Mindereinnahmen für den Fiskus führen kann.

2.1

Antrag: Eintreten auf die Vorlage

Die anhaltenden Rückschläge bei Vorhaben zur Überwindung der Eigenmietwertbesteuerung sei es bereits im Parlament, sei es in Volksabstimmungen hatten den Bundesrat dazu bewogen, nicht mehr von sich aus tätig zu werden. Folgerichtig hielt er am 10. Juni 2016 in einer Medienmitteilung zum Bericht über Verschuldungsanreize der Privathaushalte einer gemischten Arbeitsgruppe mit Vertreterinnen und Vertretern der Bundesverwaltung sowie der Schweizerischen Nationalbank fest, dass er im Moment darauf verzichte, von sich aus einen Systemwechsel bei der Eigenmietwertbesteuerung vorzuschlagen.9 Aus Sicht des Bundesrates stehen heute grundsätzlich andere Steuerprojekte im Vordergrund: Die Reform der Verrechnungssteuer, die Abschaffung der Emissionsabgabe sowie die Aufhebung der Industriezölle sind geeignet, die Standortattraktivität der Schweiz zu stärken und weisen ein vergleichsweise günstiges Kosten-NutzenVerhältnis aus. Hinzu kommen der von den eidgenössischen Räten im Rahmen der Legislaturplanung 20192023 geforderte Wechsel zu einer Individualbesteuerung, der je nach Ausgestaltung mit bedeutenden Mindereinnahmen verbunden sein kann, sowie die mögliche weitergehende Abschaffung der Stempelabgaben, die das Parlament im Rahmen der parlamentarischen Initiative 09.503 berät. Schliesslich kann auch das OECD-Projekt zur Besteuerung der digitalisierten Wirtschaft Massnahmen erfordern, die einem drohenden Verlust an Standortattraktivität entgegenwirken. Aufgrund der im zweiten Abschnitt von Ziffer 2 genannten Schwachstellen liegt nach Ansicht des Bundesrates allerdings auch ausreichender Handlungsbedarf für einen Systemwechsel bei der Wohneigentumsbesteuerung vor.

Die finanziell bedeutsamsten steuerpolitischen Projekte des Bundes (jeweils mit wiederkehrenden Mindereinnahmen von voraussichtlich mehr als 100 Mio. Fr. pro Jahr) lassen sich wie folgt zusammenfassen (Stand 13. August 2021): Projekte und mögliches Inkrafttreten

Geschätzte Mindereinnahmen für den Bund in Mio. Fr.

Abschaffung der Emissionsabgabe (ab 2022)10

­ 250

Verrechnungssteuergesetz. Stärkung des Fremdkapitalmarkts (ab 2023)11

­ 180

9 10 11

www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-62128.html www.parlament.ch > Geschäftsnummer 09.503.

www.parlament.ch > Geschäftsnummer 21.024.

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Projekte und mögliches Inkrafttreten

Geschätzte Mindereinnahmen für den Bund in Mio. Fr.

Aufhebung der Industriezölle (ab 2024)12

­ 55013

Abschaffung der Umsatz- und Versicherungsabgabe (ab 2025)14

­ 2000

Erhöhung der Pauschalabzüge von Krankenkassenprämien bei der direkten Bundessteuer (ab 2025)15

­ 230

Einführung der Individualbesteuerung (ab 2025) gemäss Bundesbeschluss vom 21. September 202016 über die Legislaturplanung 20192023

mangels beschlossener Eckwerte zurzeit nicht quantifizierbar17

OECD-Projekt zur Besteuerung der digitalisierten Wirtschaft (Inkrafttreten offen)

mangels beschlossener Eckwerte zurzeit nicht quantifizierbar

Generell hat sich die finanzielle Lage infolge der Coronakrise verdüstert. Aufgrund der hohen Ausgaben zur Bewältigung dieser Krise wird beim Bund für 2021 ein ähnlich hohes Defizit erwartet wie im Jahr 2020. Die ausserordentlichen Ausgaben führen zudem zu einer Verschuldung, die gemäss geltendem Recht wieder abgebaut werden muss. Ausgehend von den für 2021 bewilligten Ausgaben könnte sich der Fehlbetrag auf dem Amortisationskonto per Ende 2021 auf rund 30 Milliarden Franken belaufen.

Vor diesem Hintergrund besteht kein Spielraum, um Projekte zu finanzieren, die nicht Priorität geniessen.

Der von der WAK-S beantragte Systemwechsel führt kurzfristig zu Mindereinnahmen bei Bund, Kantonen und Gemeinden. Bei der direkten Bundessteuer ist bei einem Hypothekarzinsniveau von 1,5 Prozent mit Mindereinnahmen von etwas mehr als 100 Millionen Franken zu rechnen. Diese im derzeitigen Tiefzinsumfeld vergleichsweise geringen Mindereinnahmen werden aber im verfassungsrechtlichen Sinne teuer erkauft, da die Kommission bereit ist, massive Einschnitte bei der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit hinzunehmen. Aus Sicht des Bundesrates darf dieser elementare Besteuerungsgrundsatz indes nicht kurzsichtigen fiskalischen Interessen geopfert werden. Der Schuldzinsenabzug müsste im Zuge eines Systemwechsels im Einklang mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip ausgestaltet werden allerdings um den Preis, dass die Reform im derzeitigen Tiefzinsumfeld gesamtstaatlich zu milliardenschweren Mindereinnahmen führen würde.

Bezüglich Einführung eines Ersterwerberabzugs gilt es in Erinnerung zu rufen, dass der Bundesrat anlässlich der Verabschiedung seines indirekten Gegenvorschlags zur 12 13 14 15 16 17

www.parlament.ch > Geschäftsnummer 19.076.

Diese setzen sich zusammen aus Mindereinnahmen von 530 Mio. Fr. bei den Zöllen und 20 Mio. Fr. bei der Mehrwertsteuer.

www.parlament.ch > Geschäftsnummer 09.503.

www.parlament.ch > Geschäftsnummer 17.3171.

BBl 2020 8385 (Art. 4 Ziff. 13) In der Botschaft vom 21. März 2018 zur Änderung des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (Ausgewogene Paar- und Familienbesteuerung) wurden für die Umsetzung des Modells «Mehrfachtarif mit alternativer Steuerberechnung» Mindereinnahmen in der Höhe von 1,2 Milliarden Franken geschätzt (BBl 2018 2133).

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Volksinitiative «Sicheres Wohnen im Alter» dieses Förderinstrument ebenfalls vorgeschlagen hatte. Es diene der Wohneigentumsförderung allgemein (Art. 108 BV) und der Selbstvorsorge (Art. 111 Abs. 4 BV). Als Förderungsmassnahme müsse und könne der Abzug nicht zwangsläufig dem Gleichbehandlungsgebot umfassend genügen. Die zeitliche und betragsmässige Beschränkung der Massnahme stelle eine akzeptable und vertretbare Lösung dar.

Demgegenüber bewirkt die Einführung eines Ersterwerberabzugs hohe Mitnahmeeffekte, denn es werden damit teilweise Personen begünstigt, die auch ohne diese Steuervergünstigung ein Eigenheim erwerben würden. Zudem steht eine solche Steuererleichterung in einem Spannungsfeld zum Ziel der Finanzsystemstabilität, da Ersterwerberinnen und Ersterwerber ihr Eigenheim oftmals mit hohem Fremdkapitaleinsatz finanzieren (müssen) und das Instrument es gerade Personen an der Schwelle zur Kreditwürdigkeit erleichtert, Wohneigentum zu erwerben. Aufgrund der engen Wechselwirkungen zwischen dem allgemeinen Schuldzinsenabzug und dem Ersterwerberabzug kann eine abschliessende Beurteilung des letzteren nicht ohne Kenntnis der Ausgestaltung des ersteren vorgenommen werden.

Vor diesem Hintergrund stellt der Bundesrat keinen Antrag auf Änderung oder Streichung des Ersterwerberabzugs. Er lädt das Parlament jedoch ein, diesen Eckwert noch einmal zu prüfen, insbesondere wenn es dem Antrag des Bundesrates betreffend den allgemeinen Schuldzinsenabzug folgen sollte.

Der Bundesrat beantragt trotz der dargelegten Bedenken hinsichtlich der kurzfristigen Mindereinnahmen und der derzeitigen Ausgestaltung Eintreten auf die Vorlage. Sollte das Parlament auf die Vorlage eintreten, stellt er die nachfolgenden Änderungsanträge.

2.2

Änderungsanträge

2.2.1

Vollständiger Systemwechsel

Erst ein vollständiger Systemwechsel, der den Wegfall des Eigenmietwerts auf Zweitliegenschaften miteinschliesst, vermag konzeptionell zu überzeugen. Ansonsten werden zwei parallel zu führende Systeme aufrechterhalten, die sich verwaltungsökonomisch als schwerfällig erweisen. Das Vereinfachungspotenzial eines Systemwechsels wird dadurch nicht ausgeschöpft.

Hinzu kommt, dass nur ein vollständiger Systemwechsel eine Gleichbehandlung mit der Eigennutzung anderer ertragloser Vermögenswerte (teure Autos, Yachten, Wohnmobile oder Bilder) sicherstellt. So hat Professor René Matteotti, Ordinarius an der Universität Zürich, in seinem Kurzgutachten vom 10. Mai 201918 zuhanden der FDK festgehalten, dass sich die Differenzierung zwischen selbstbewohntem Wohneigentum am Wohnsitz und selbstgenutzter Zweitliegenschaft quer zum Grundsatz der Sys-

18

Einsehbar als Beilage unter www.fdk-cdf.ch > Themen > Steuerpolitik > Wohneigentumsbesteuerung > 13.6.2019: 17.400 Pa.Iv. WAK-S. Systemwechsel bei der Wohneigentumsbesteuerung. Stellungnahme zur Vernehmlassungsvorlage.

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temgerechtigkeit der Steuerrechtsordnung stelle. Auch stehe sie in einem Spannungsverhältnis zur Entscheidungsneutralität. So bekämen Eigentümerinnen und Eigentümer mehrerer Liegenschaften einen steuerlich motivierten Anreiz, ihren Wohnsitz vorübergehend zu verlegen, um am ursprünglich selbstbewohnten Wohneigentum am Wohnsitz Unterhaltsarbeiten in Abzug bringen zu können. Insgesamt erscheint es gemäss Professor Matteotti vertretbar, die Beibehaltung der Eigenmietwertbesteuerung bei Zweitliegenschaften als verfassungswidrig zu qualifizieren.

18 Kantone haben anlässlich des Vernehmlassungsverfahrens den partiellen Systemwechsel und die damit verbundene unterschiedliche Behandlung von gleichen Sachverhalten (Eigennutzung von Wohneigentum) ebenfalls als verfassungsrechtlich schwer begründbar beurteilt.

Fazit: Die Beschränkung des Wegfalls des Eigenmietwerts auf das am Wohnsitz selbstbewohnte Wohneigentum ist mit Blick auf das Vereinfachungspotenzial eines vollständigen Systemwechsels abzulehnen und erweist sich auch aus verfassungsrechtlicher Sicht als problematisch. Will man den Zweitliegenschaftskantonen entgegenkommen, dann muss eine wie auch immer geartete anderweitige finanzielle Kompensation gefunden werden.

2.2.2

Schuldzinsenabzug

Der Bundesrat sprach sich bereits vor über zehn Jahren (indirekter Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Sicheres Wohnen im Alter») für eine Begrenzung der Anreize zu privater Verschuldung aus und befürwortete im Gesetzesentwurf eine Beschränkung der Abzugsfähigkeit der privaten Schuldzinsen auf einen Umfang von 80 Prozent der steuerbaren Vermögenserträge. Der Kommissionsbeschluss, der eine vollständige Aufhebung des allgemeinen Schuldzinsenabzugs ins Auge fasst und im Einklang steht mit der fünften Variante der Vernehmlassungsvorlage, schiesst indessen deutlich über das Ziel hinaus. Denn er würde bedeuten, dass Schuldzinsen auch dann nicht mehr zum Abzug zugelassen werden, wenn sie den Charakter von Gewinnungskosten aufweisen, d. h. wenn sie der Erzielung eines steuerbaren Einkommens dienen.

Könnten künftig keine privaten Schuldzinsen mehr steuerlich abgezogen werden, so führte dies zu einer verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigenden Schlechterstellung namentlich von Eigentümerinnen und Eigentümern von selbstgenutzten Zweitliegenschaften sowie von vermieteten oder verpachteten Liegenschaften. Diese hätten weiterhin die Eigennutzung in Form des Eigenmietwerts bzw. der erzielten Miet- oder Pachterträge zu versteuern; im Gegenzug aber wären die zur Erzielung der genannten Einkünfte notwendigen Zinsaufwendungen nicht mehr zum Abzug zugelassen. Auch bei beweglichem Vermögen (beispielsweise ein kreditfinanziertes Aktienportfolio) können Schuldzinsen im Einzelfall den Charakter von Gewinnungskosten haben.

Professor Matteotti hält im erwähnten Kurzgutachten fest, dass eine solche Radikalvariante das aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip hergeleitete Nettoprinzip verletze und sich daher als verfassungswidrig erweise. Entsprechend hat sich im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens auch kein einziger Kanton für diese Schuldzinsenregelung ausgesprochen. Am meisten Zuspruch erhielt demgegenüber die Begrenzung der

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Abzugsmöglichkeit auf einen Umfang von 80 Prozent der steuerbaren Vermögenserträge. Von knapp der Hälfte der Kantone wurde indessen eine noch stärkere Einschränkung der Abzugsmöglichkeit ins Feld geführt.

Auch unter ökonomischen Gesichtspunkten ist ein generelles Abzugsverbot von Schuldzinsen im Privatvermögen bedenklich, da namentlich auf Mietwohnungsmärkten mit Anpassungseffekten zu rechnen ist. Zum einen werden private Vermieterinnen und Vermieter, die ihre Renditeliegenschaft mit Fremdkapital finanzieren, versuchen, die gestiegenen Kosten auf die Mieterschaft zu überwälzen. Zum anderen ist es denkbar, dass das Abzugsverbot die Anlageentscheidungen der privaten Haushalte beeinflusst und von fremdkapitalintensiven Kapitalanlagen ­ dies ist bei Vermietungen oftmals der Fall ­ Abstand genommen wird. Beide Effekte haben indirekte Auswirkungen auf Mieterhaushalte, da entweder das Angebot an Mietwohnungen knapper ausfallen wird oder Mietpreiserhöhungen zu erwarten sind.

Fazit: Obwohl keine mathematisch exakte Formel für die Zuordnung von Schuldzinsen existiert, sollten Schuldzinsen abzugsfähig sein, wenn sie Gewinnungskostencharakter haben. Die von der WAK-S beschlossene Streichung des Abzugs ist vorab aus verfassungsrechtlichen Gründen abzulehnen. Eine Begrenzung der Abzugsfähigkeit der privaten Schuldzinsen auf einen Umfang von 70 Prozent der steuerbaren Vermögenserträge, wie von der Kommissionsminderheit gefordert, erweist sich als vertretbar.

2.2.3

Energiespar- und Umweltschutzabzüge

Der von der WAK-S in einer Übergangsbestimmung (Art. 78h Abs. 2 E-StHG) vorgenommene Verweis auf das CO2-Gesetz ist nach dessen Ablehnung in der Volksabstimmung vom 13. Juni 2021 hinfällig geworden, sodass eine Anpassung notwendig ist.

Der Bundesrat hat am 28. August 2019 entschieden, dass die Schweiz ab dem Jahr 2050 unter dem Strich keine Treibhausgasemissionen mehr ausstossen soll. Dies bedeutet Netto-Null-Emissionen. Damit entspricht die Schweiz dem international vereinbarten Ziel, die globale Klimaerwärmung auf maximal 1,5°C gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Das Klimaziel 2050 legt den Grundstein für die Klimastrategie 2050 der Schweiz. Diese hat der Bundesrat am 27. Januar 2021 verabschiedet. Damit kommt die Schweiz einer Verpflichtung aus dem Übereinkommen von Paris nach.19 Die energetische Sanierung des Schweizer Gebäudeparks braucht Zeit. Deshalb soll diese steuerliche Förderung im StHG bestehen bleiben, bis das Klimaziel 2050 erreicht ist.

19

SR 0.814.012; www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/klima/mitteilungen.

msg-id-76206.html; www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/dokumentation/ medienmitteilungen/anzeige-nsb-unter-medienmitteilungen.msg-id-82140.html.

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2.2.4

Finanzielle Auswirkungen der Änderungsanträge des Bundesrates im Vergleich zur Vorlage der WAK-S

Die nachfolgenden Aufkommenseffekte werden für ein Zinsniveau von etwa 1,5% und 3,5% dargestellt. Verhaltensanpassungen der Wirtschaftssubjekte sind nicht berücksichtigt. Die WAK-S hat bereits in ihrem Bericht auf die eingeschränkte Datenbasis hingewiesen.20 Die nachfolgenden Aussagen beziehen sich auf ein exemplarisches Zinsniveau von etwa 1,5%: Änderungsanträge des Bundesrates

Finanzielle Auswirkungen für Bund, Kantone und Gemeinden

Abschaffung des Eigenmietwerts und der unmittelbar damit verbundenen Abzüge für die Gewinnungskosten (insb. die Unterhaltskosten) auf selbstgenutzten Zweitliegenschaften

Nicht quantifizierbare Mindereinnahmen gegenüber der Vorlage der WAK-S

Schuldzinsenabzug im Umfang von 70% der steuerbaren Vermögenserträge

Geschätzte 1 Mrd. höhere Mindereinnahmen als die Vorlage der WAK-S

Energiespar- und Umweltschutzabzüge

Keine zusätzlichen Aufkommenseffekte gegenüber der Vorlage der WAK-S, solange die Übergangsregelung gilt

Die WAK-S hat bei einem Zinsniveau von 1,5% die Mindereinnahmen auf 660 Mio.

Franken geschätzt. Unter Berücksichtigung der Änderungsanträge des Bundesrats ergeben sich Mindereinnahmen von etwa 1,66 Mia. Franken. Hinzu kommen nicht quantifizierbare Mindereinnahmen für Bund, Kantone und Gemeinden aus dem Systemwechsel betreffend Zweitliegenschaften.

Die nachfolgenden Aussagen beziehen sich auf ein exemplarisches Zinsniveau von etwa 3,5%: Änderungsanträge des Bundesrates

Finanzielle Auswirkungen für Bund, Kantone und Gemeinden

Abschaffung des Eigenmietwerts und der unmittelbar damit verbundenen Abzüge für die Gewinnungskosten (insb. die Unterhaltskosten) auf selbstgenutzten Zweitliegenschaften

Nicht quantifizierbare Mindereinnahmen gegenüber der Vorlage der WAK-S

Schuldzinsenabzug im Umfang von 70% der steuerbaren Vermögenserträge

Geschätzte 1,86 Mrd. höhere Mindereinnahmen als die Vorlage der WAK-S

Energiespar- und Umweltschutzabzüge

Keine zusätzlichen Aufkommenseffekte gegenüber der Vorlage der WAk-S, solange die Übergangsregelung gilt

Die Vorlage der WAK-S führt zu geschätzten Mehreinnahmen von 2,01 Mia. Franken. Unter Berücksichtigung der Änderungsanträge des Bundesrates ergeben sich Mehreinnahmen von etwa 150 Mio. Franken. Hinzu kommen nicht quantifizierbare Mindereinnahmen für Bund, Kantone und Gemeinden aus dem Systemwechsel

20

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betreffend Zweitliegenschaften, so dass der Gesamtaufkommenseffekt tiefer als 150 Mio. Franken ausfallen wird.

2.3

Zur Umsetzung

Sollte das Parlament die Vorlage dereinst verabschieden, so gilt es bezüglich der Umsetzung folgende Punkte zu beachten: Eigentümerinnen und Eigentümer von Liegenschaften brauchen eine angemessene Übergangsfrist, um sich auf die veränderten Rahmenbedingungen (Hypothekarverschuldung, Liegenschaftsunterhalt) einzustellen. Dies gilt umso mehr, falls das Parlament die Radikalvariante eines vollständigen Abzugsverbots bei Schuldzinsen beschliessen sollte. Denn diese Gesetzesänderung reicht weit über das am Wohnsitz selbstbewohnte Wohneigentum hinaus, und gerade im aktuellen Tiefzinsumfeld haben viele Hypothekarkreditverträge eine lange Laufzeit. Auch die Kantone brauchen eine angemessene Übergangsfrist, damit genügend Zeit bleibt für die Umsetzung der neuen Bestimmungen im kantonalen Recht. Sollte es in der Kompetenz des Bundesrates liegen, das Inkrafttreten festzulegen, so wird er dazu die FDK anhören.

3

Anträge des Bundesrates

3.1

Antrag: Eintreten

Der Bundesrat beantragt Eintreten auf den Erlassentwurf der Kommission.

3.2

Änderungsanträge

3.2.1

Antrag 1: Vollständiger Systemwechsel

1. Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer Art. 21 Abs. 1 Bst. b und Abs. 2 Aufgehoben Art. 32a Sachüberschrift und Abs. 1 Einleitungssatz Vermietete oder verpachtete Liegenschaften Bei vermieteten oder verpachteten Liegenschaften im Privatvermögen können abgezogen werden: 1

2. Steuerharmonisierungsgesetz Art. 7 Abs. 1 erster Satz Der Einkommenssteuer unterliegen alle wiederkehrenden und einmaligen Einkünfte, insbesondere solche aus unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, aus Vermögensertrag, aus Vorsorgeeinrichtungen sowie aus Leibrenten. ...

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Art. 9a Sachüberschrift und Abs. 1 Einleitungssatz Vermietete oder verpachtete Liegenschaften Bei vermieteten oder verpachteten Liegenschaften im Privatvermögen können abgezogen werden: 1

3.2.2

Antrag 2: Schuldzinsenabzug

1. Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer Art. 33 Abs. 1 Bst. a erster Satz 1

Von den Einkünften werden abgezogen: a.

die privaten Schuldzinsen im Umfang von 70 Prozent der nach den Artikeln 20, 20a und 21 steuerbaren Vermögenserträge. ...

2. Steuerharmonisierungsgesetz Art. 9 Abs. 2 Bst. a 2

Allgemeine Abzüge sind: a.

3.2.3

die privaten Schuldzinsen im Umfang von 70 Prozent der nach den Artikeln 7 und 7a steuerbaren Vermögenserträge;

Antrag 3: Energiespar- und Umweltschutzabzüge

2. Steuerharmonisierungsgesetz Art. 78h Abs. 2 erster Satz Bis das Ziel einer ausgeglichenen Treibhausgasbilanz erreicht ist, längstens aber bis 2050, können die Kantone Abzüge für Energiesparen und Umweltschutz vorsehen.

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