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Schweizerische Bundesversammlung,

Die gesetzgebenden Räte der Eidgenossenschaft sind am 4. Juni 1895 zur ordentlichen Sommersession zusammengetreten.

Im N a t i o n a l r a t e eröffnete der abtretende Präsident, Herr Dr. B r e n n e r , die Session mit folgender Ansprache: Meine Herren Kollegen !

Die Mitglieder des Rates sind, der an sie ergangenen Einladung Folge leistend, zur ordentlichen Sommersession in Bern eingetroffen.

Ich heiße Sie hiermit herzlich willkommen.

Eine Fülle von Arbeit harrt der Erledigung, und es bedarf großer Anstrengung, wenn bis zum Ablauf der gegenwärtigen Amtsperiode die zahlreichen Probleme, welche die Behörden an die Hand genommen habe, zu einem guten Ende geführt werden sollen.

Neben den zeitraubenden Diskussionen, welche bei der Beratung des Gesetzes über die Errichtung der Bundesbank, sowie des Gesetzes über die Stira m berech tigung der Aktionäre von Eisenbahngesellschaften bevorstehen, ist die Beratung der Militärartikel der Bundesverfassung spruchreif geworden. Dazu kommen verschiedene Fragen der Organisation der Bundesverwaltung und die Behandlung des Geschäftsberichts, abgesehen von zahlreichen andern laufenden Geschäften.

Die Durchführung der Kranken- und Unfallversicherung wird nach der mit Ungeduld erwarteten Vorlage des Bundesrates unsere erste Sorge sein müssen, und die nachdrücklichere Mitwirkung des Bundes zur Hebung der Volksschule dürfte nur eine Frage der Zeit sein. Die vorbereitenden Studien, welche die Wege für die Verstaatlichung der modernen Verkehrsmittel ebnen sollen, sind im Gange, und mit ihrem Abschluß wird der Zeitpunkt des zielbewußten Handelns für die Volksvertretung gekommen sein.

Möge daher der Rat seine Zeit gut ausnützen, um den an ihn gestellten Anforderungen gewachsen zu sein.

199 Bevor wir zur Tagesordnung übergehen, fühle ich mich gedrungen, einem jüngst verstorbenen Kollegen der Bundesversammlung, welcher zeitweise unserm Rate angehört hat, ein Wort der Erinnerung an dieser Stelle zu widmen.

Dr. Gustav Heinrich Sehoch, · Vertreter des hohen Standes Schaff hausen, ist mitten aus des Lebens Lust und Drang in jäher Weise herausgerissen worden. Ein tragisches Geschick hat es gefügt, daß der nimmer rastende Kollege, gesund und rüstig von einer vaterländischen Mission dem heimischen Herd zueilend, von einem Herzschlag betroffen, aus den Reihen der Lebenden geschieden ist, ein erschütterndei- Schlag für die ahnungslos ihn erwartenden Familienglieder und Freunde, -- ein Heimgang zur ewigen Ruhe für den Entschlafenen, ohne die vorausgehenden düstern Schatten des Krankenlagers.

Dr. Gustav Sehoch, geboren im Jahre 1841, heimatberechtigt in Bau ma., Kanton Zürich, verbrachte seine Jugendzeit in Schaffhausen. Der außerordentlich begabte Jüngling begann seine juristischen Studien schon im siebzehnten Altersjahr und legte seine Doktorprüfung ab, bevor er sein zwanzigstes Altersjahr angetreten hatte. Sein Wissen und seinen Gesichtskreis erweiterte er durch Reisen, welche ihn nach verschiedenen Metropolen Europas führten, um alsdann sich einen Wirkungskreis in Schaffhausen zu suchen.

Der juristischen und öffentlichen Laufbahn des Verstorbenen kann ich nur in kurzen Zügen gedenken, denn überaus /ahlreich und mannigfach sind die Gebiete, auf denen er dem engern und weitern Vaterland ausgezeichnete Dienste leistete. Als Obergerichtsschreiber legte er in den Jahren 1861 bis 1868 vollgültige Beweise seines Geschickes und seiner umfassenden Gesetzeskenntnis ab. Während der nächsten zwanzig Jahre übte er mit kurzer Unterbrechung den Beruf eines Anwaltes aus, und seit dem Jahre 1889 versah er mit der ihm angeborenen Gewissenhaftigkeit das Amt eines Gerichtspräsidenten.

Dem Großen Rate seines Heimatkantons gehörte der Entschlafene viele Jahre an, vorübergehend auch dem Regierungsrat, und trat Ende der sechziger und anfangs der siebziger Jahre in hervorragender Weise für die Erweiterung der Volksrechte und eine zeitgeoiäße Revision der Verfassung seines Heimatkantons ein.

In den Jahren 1875 bis 1878 war Gustav Sehoch Mitglied des Nationalstes, vom Jahre 1881 bis zu seinem Tod ununterbrochen
Mitglied des StändeTates, dessen Vorsitz er vom Juni 1888 bis 1889 führte.

Dr. Sehoch war allezeit eine der Sache auf den Grund gehende Natur, ein von hohem sittlichem Ernst für seine Aufgabe durch-

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drungener Charakter. Selbständiges Denken und unabhängiges Wesen waren ihm angeboren. Bin Feind jeder Parteischablone, ging er in allen Fragen, welche seinen lebhaften Geist beschäftigten, seine eigenen Wege und bildete sich unter offenbar oft schweren Kämpfen seine Überzeugung in religiösen, politischen und socialen Fragen, welche er alsdann mit einer jedermann imponierenden Schlagfertigkeit vertrat. Mit Vorliebe befaßte er sich mit Fragen des Civil- und Prozeßrechts, insbesondere auch der Eisenbahngesetzgebung, und nicht minder lag ihm die socialpolitische Gesetzgebung am Herzen. Seinem Scharfsinn und seiner Gewissenhaftigkeit in allen Dingen wurde je und je ungeschmälertes Lob gezollt, und ungemein empfindlich ist die Lücke, welche der mit großem legislatorischem Geschick ausgerüstete Parlamentarier hinterläßt.

Ich lade Sie ein, dem Entschlafenen die letzte Ehre zu erweisen, indem Sie sich von Ihren Sitzen erheben.

Im S t ä n d e r a t e sprach sich Herr Präsident de T o r r e n t e wie folgt aus : Hochgeehrte Herren Ständeräte !

Indem ich die Sommersession 1895 eröffne, liegt mir die schmerzliche Pflicht ob, festzustellen, daß der Tod seit der letzten Session eine neue Lticke in unsero Reihen gerissen hat. Herr Dr.

Schoch, der noch im letzten März Ihren Beratungen mit der ihm eigenen Ausdauer gefolgt ist, wurde in der Vollkraft des Lebens und der geistigen Fähigkeiten plötzlich vom Tode ereilt, getroffen in der Ausübung seines Mandates, denn im Eisenbahnwagen, auf der Rückkehr von Lausanne, wo er die Kommission präsidiert hatte, welcher die Aufgabe zukam, die Übertragung der Kompetenzen des Bundesrates in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen an das Bundesgericht zu prüfen, ereilte ihn ein Schlaganfall.

Die Natur hatte Herrn Schoch mit außerordentlichen Geistesfähigkeiten ausgerüstet und seine Liebe zum Studium war so groß, daß er nach frühzeitiger Beendigung der Mittelschulstudien und einigen Studienjahren auf der Hochschule sein juristisches Doktordiplom noch vor seinem 20. Altersjahr erlangte. Nachdem er seine Ausbildung in London und Paris durch das Studium der französischen, und englischen öffentlichen Einrichtungen erweitert hatte, kehrte er in seinen Heimatkanton zurück, wo er zur Leitung der Kanzlei des Obergerichts berufen wurde. Nach. einigen Jahren solcher praktischen Thätigkeit trat er zur Advokatur über, wo sein Wissen und sein Arbeitseifer ihm verdiente Erfolge sicherten.

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Von diesem Moment an wurde sein Einfluß auch im politischen Leben fühlbar und er wurde durch das Vertrauen seiner Mitbürger nacheinander zu den höchsten Ehrenstellen berufen, die der Kanton zu vergeben hatte. So wurde er Mitglied des Großen Rates, Nationalrat, Ständerat, Präsident des Schaffhauser Bezirksgerichtes.

Man erzählt vom Verstorbenen einen Charakterzug, der besonders gut seinen ausdauernden Charakter und seine unermüdliche Arbeitskraft kennzeichnet. Als die Revisionsbewegung in der Eidgenossenschaft in Fluß kam und einen Kanton um den andern ergriff, entschloß sich auch Schaffhausen zur Revision seiner Verfassung. Herr Schoch war zuerst Mitglied, dann Präsident des Verfassungsrates, der von 1873 bis 1876 seiner Aufgabe oblag. Drei Entwürfe wurden nacheinander ausgearbeitet und beraten, aber keiner fand Gnade in den Augen des Volkes. Mit besonderem Geschick trug nift Herr Schoch allen geäußerten neuen Ansichten Rechnung, nicht weniger den Einwendungen, die gegen die ersten Entwürfe erhoben wurden, und arbeitete einen vierten Entwurf aus, der fast einstimmig angenommen wurde.

In den eidgenössischen Behörden gehörte Herr Schoch dem Nationalrat an von 1875 bis 1879, hierauf dem Ständerat, den er im Jahre 1892 präsidierte, vom Jahre 1882 bis zu seinem Tode.

Wir hatten Gelegenheit, die Fähigkeiten und die tiefe Einsicht unseres Kollegen kennen zu lernen. Sein so reicher Geist gefiel sich darin, nach der Lösung der abstraktesten Probleme zu suchen -- aber vor allem war er Rechtsgelehrter und die Diskussion rechtlicher Fragen wurde von ihm deutlich bevorzugt; in solchen Angelegenheilen gab er seinem lebhaften Wort, seiner unversieglichen Gedankenfülle freien Lauf und sein Eingreifen in die Beratung übte fast stets einen entscheidenden Einfluß aus zu gunsten der von ihm verteidigten Aufstellungen.

Ein aufgeklärter Kopf, überzeugter Demokrat, war bei ihm die praktische Umsetzung seiner Prinzipien in die That immer gezügelt durch die Achtung vor dem Gesetz und sein angeborenes Rechtlichkeitsgefühl, so daß seine Haltung immer wohlwollend war gegenüber abweichenden Meinungen politischer Gegner, wie auch die Unabhängigkeit seines Charakters ihm kaum gestattete, sich der Parteidisciplin zu beugen. Niemand ließ sich mehr leiten von seinem Ideal, als er, der dasselbe suchte in der Herrschaft der
Gerechtigkeit und in der Übung der Freiheit durch alle und für alle.

Der Tod des hervorragenden Vertreters des Kautons Schaffhausen hinterläßt eine Lücke, die auszufüllen im Ständerate schwer Bundesblatt. 47. Jalirg. Bd. III.

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halten wird, wo Herr Schoch wegea seiner tiefen juristischen Kenntnisse und seiner vollen Unabhängigkeit in allen Fragen volle Würdigung fand.

Im privaten Verkehr zeichnete er sich aus durch einen milden, entgegenkommenden Charakter, seine leichte Zugänglichkeit, seine immer anziehende und geistreiche Unterhaltungsgabe, und er zählte so viele Freunde, als es Mitglieder des Rates gab. Sein unerwarteter Hinscheid wird von allen seinen Kollegen tief empfunden.

Hochgeehrte Herren Ständeräte ! Ich lade Sie ein, durch Erheben von den Sitzen dem Andenken des Kollegen, den wir soeben verloren haben, Ausdruck zu geben.

Die Neubestellung der Bureaux beider Räte ergab folgendes Resultat: i. Nationalrat.

Präsident:

Herr B a c h m a n n , Jak. Huldreich, von Stettfurt, in Frauenfeld.

Vizepräsident: ,, S t o c k m a r , Joseph, von Courchavon, in Bern.

Stimmenzähler: ,, G o o d , Wilhelm, von und in Mels.

,, T h é l i n , Adrien, von Bioley-Orjulaz, in La Sarraz.

,, Z i m m e r m a n n , Joh., von Lyß, in Aarberg.

,, M o s e r, Johann, von und in Klein-Andelfingen.

2. Ständerat.

Präsident :

Herr J o r d a n - M a r t i n , Adolphe, von Granges, in Lausanne.

Vizepräsident: ,, H o h l , Joh. Jak., von Heiden, in Herisau.

Stimmenzähler: ,, H i l d e b r a n d , Joseph, von Cham, in Zug.

,, R o b e r t , Arnold, von und in Chaux-de-Fonds,

Der neugewählte Präsident des Nationalrates, Herr Dr. B a c h m a n n , übernahm sein Amt mit folgenden Worten:

203 Meine Herren Kollegen !

Ich danke Ihnen für das mir entgegengebrachte Zutrauen und die erwiesene Ehre. Es ist mir wohl bewußt, daß diese Ehrung weniger meiner Person gilt als dem Kanton, den in diesem Rate zu vertreten ich die Ehre habe, sowie der Parteigruppe, der ich angehöre. Aber gerade darum erfüllt mich Ihre Wahl mit um so größerer Befriedigung, weil ich dieselbe auffassen darf als den Ausdruck einer allgemein in diesem Saale herrschenden Stimmung, daß Sie unbeirrt durch die Rücksicht auf kleinere Differenzen des Parteistandpunktes alle Elemente, welche für die Erhaltung der Grundfesten unseres jetzigen staatlichen und socialen Seins einstehen und es im übrigen treu und redlich mit unserem Volke meinen, au gemeinsamer Mitarbeit einigen wollen, um sich mit ganzer ungeteilter Kraft der Lösung der großen uns obliegenden Aufgaben zu widmen. Sie können versichert sein, daß ich redlich bemüht sein werde, bei dieser Ihrer Arbeit nach besten Kräften mitzuwirken und zu diesem Ende unsere Geschäfte möglichst zu fördern, sowie unsere Verhandlungen mit Unparteilichkeit zu leiten.

Sofern aber meine Kräfte den an sie gestellten Anforderungen nicht genügen, bitte ich Sie, mir mit Ihrer Nachsicht und mit Ihrem Rate zur Seite zu stehen.

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1895

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

05.06.1895

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198-203

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10 017 069

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