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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend die Eingabe der Vorstände des schweizerischen Grütlivereins, der schweizerischen socialdemokratischen Partei und des schweizerischen Gewerkschaftsbundes, vom Dezember 1894.

(Vom 26. Februar 1895.)

Tit.

Das C e n t r a l k o m i t e e des s c h w e i z e r i s c h e n G r ü t l i v e r e i n s , das P a r t e i k o m i t e e der s c h w e i z e r i s c h e n soc i a l d e m o k r a t i s c h e n P a r t e i und d a s B u n d e s k o m i t e e des s c h w e i z e r i s c h e n G e w e r k s c h a f ts b u n d e s haben an den Bundesrat, ,,sowie an die Herren National- und Ständeräte" eine vom Dezember 1894 datierte Eingabe gerichtet, nachdem sie eine solche schon den parlamentarischen Kommissionen unterbreitet hatten, welche unsern Bericht vom 16. Juni 1894 ,,betreffend die Motion Comtesse (Lohnzahlung) vom 9. April 1891, die Motion Vogelsanger (Vereinsfreiheit) vom 17. Dezember 1891 und die Maifeierpetitionen 1890--1893" zu behandeln haben. Jene Eingabe enthält das Gesuch, es möchte ,,durch Beiziehung von Vertretern von Arbeitern und Arbeitgebern" eine ,,möglichst gründliche Untersuchung" über die bisanhin von Bundes wegen erteilten Bewilligungen f ü r H ü l f s - , N a c h t - u n d S o n n t a g s a r b e i t e n angeordnet werden; insbesondere wird genannt der Bundesratsbeschluß vom 14. Januar 1,893, betreffend Nacht- und Sonntagsarbeit in Fabriken, welcher den Anlaß zu der Eingabe gebildet habe.

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Ohne formell von Ihrer Seite dazu eingeladen worden zu sein, glauben wir doch, Ihnen über diese Angelegenheit unsern Bericht zugehen lassen zu sollen, was im Nachfolgenden geschieht.

Die in Betracht fallenden Bestimmungen des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken sind :

Art. 12.

Die Bestimmungen des Artikels 11 (i. e. Maximalarbeitstag) finden keine Anwendung auf Arbeiten, welche der eigentlichen Fabrikation als Hülfsarbeiten voi'- oder nachgehen müssen und die von männlichen Arbeitern, oder von unverheirateten Frauenpersonen über 18 Jahren verrichtet werden."

Art. 13.

(Abs. 3.) Bei Fabrikationszweigen, die ihrer Natur nach einen ununterbrochenen Betrieb erfordern, kann regelmäßige Nachtarbeit stattfinden.

(Abs. 4.) Unternehmungen, welche diese Bestimmung für sich ansprechen, haben sich bei dem Bundesrat über die Notwendigkeit ununterbrochenen Betriebes auszuweisen und mit ihrer Eingabe gleichzeitig ein Reglement vorzulegen, aus welchem die Arbeitsordnung und die auf die Arbeiter entfallende Arbeitszeit, welche unter keinen Umständen für den Einzelnen 11 Stunden während 24 Stunden überschreiten darf, ersichtlich ist.

(Abs. 5.) Die Bewilligung kann bei veränderten Verhältnissen der Fabrikation zurückgezogen oder abgeändert werden.

Art. 14.

(Abs. 1.) Die Arbeit an den Sonntagen ist, Notfälle vorbehalten, untersagt, ausgenommen in solchen Etablissementen, welche ihrer Natur nach ununterbrochenen Betrieb erfordern und hierfür die in Art. 13 vorgesehene Bewilligung des Bundesrates erlangt haben. Auch in den Anstalten dieser Art muß aber für jeden Arbeiter der zweite Sonntag frei bleiben.

Wir erledigen zunächst das Thema ,, H ü l f s a r b e i t a (Art. 12); es kann kurz geschehen, um so mehr, als die genannte Eingabe sich darauf beschränkt, diesen Begriff zu nennen, ohne für das Vorhandensein damit verbundener Mißstände den geringsten Beweis anzuführen; wird doch durch den Bundesratsbeschluß vom 14. Januar 1893, von welchem sie ausgeht, nicht eine einzige Verrichtung als erlaubte Hülfsarbeit qualifiziert. Die seit Bestehen des Gesetzes sonst erteilten Bewilligungen zur Vornahme von Hülfs-

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arbeiten beschränken sich auf ein Minimum, wie unsere Ausweise in den jeweiligen Geschäftsberichten, wo über die Natur und Zahl der erteilten Bewilligungen für Hulfs-, Nacht- und Sonntagsarbeit stets genau Rechenschaft abgelegt wird, darthun. Im übrigen aber erlauben wir uns, auf die ausführliehen Darlegungen zu Art. 12 zu verweisen, welche in unserm B e r i c h t an die Bundesversammlung vom 3. Juni 1891, b e t r e f f e n d v i e r B e s c h l ü s s e der Räte zum Bundesgesetz über die A r b e i t in den F a b r i k e n , enthalten sind (Bundesblatt 1891, III, 211--226).

Wir haben nur beizufügen, daß das Gesetz /-war. nirgends vorschreibt, für die Vornahme von Hülfsarbeiten sei irgend eine Bew i l l i g u n g erforderlich, daß wir aber stets den Grundsatz aufgestellt haben, es sei diese Bewilligung trotzdem in nicht ausnahmsweisen bezw. unvorhergesehenen Fällen von nöten: wir nahmen auch die Befugnis zu deren Erteilung für uns selbst in Anspruch.

Es geschah dies, um eine allzuweitgehende oder eine ungleichförmige Auslegung des Gesetzes zu verunmöglichen, · wie u. a. aus folgenden zwei Entscheiden hervorgeht : a. In den Fabrikordnun^en einiger Müller fand sich die BeStimmung: ,,Bei notwendiger längerer Arbeitszeit, für welche jew ei l en, außer in dringenden Notfällen, die gesetzliche Bewilligung einzuholen ist" etc.; sie wurde vom Fabrikinspektorat beanstandet und gab uuserm Industriedepartement am 27. Februar 1888 Veranlassung zu nachstehendem Beschluß : Es ist unzweifelhaft, daß der Vorbehalt ,,außer in dringenden Notfällen" aus naheliegenden Gründen zu erheblichen Mißbrauchen Anlaß geben kann, weshalb die betreffende Kantonsregierung, welche die Fabrikordnungen bereits genehmigt hatte, auch nicht auf dessen Beibehaltung bestand, sondern an dessen Stelle die Worte ,, a u ß e r für d r i n g e n d e H ü l f s a r b e i t e n ( A r t . 1 2 F a b r i k g e s e t s ! ) a zusetzen vorschlug. Das Departement hatte auch diesem Wortlaut gegenüber Bedenken. Es darf dem Arbeitgeber nicht in so allgemeiner Weise überlassen werden, zu entscheiden, wann überhaupt Hülfsarbeiteu vorliegen; allerdings enthält das Gesetz hierüber keine specielle Vorschrift, dagegen nahm von jeher die Bundesbehörde selbst die ihr von niemand bestrittene Befugnis in Anspruch, über die Anwendbarkeit des Art. 12 auf gewisse
Kategorien accessorischer Arbeiten zu entscheiden. Wäre dies dem Belieben des Arbeitgebers anheimgestellt, so würden jedenfalls sehr sonderbare, willkürliche und dem Sinne des Gesetzes durchaus nicht entsprechende Definitionen für ,,Hülfsarbeit" die Folge sein. Zuzugeben ist, daß es gewisse Hülfsarbeiten giebt, welche plötzliche, nicht in den Rahmen des llstündigen Arbeitstages fallende Vollziehung erfordern, und für welche es nicht möglich ist, die Bewilligung der Behörde einzuholen, weil ö

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396 sie eben unvorhergesehenes, sofortiges Einschreiten verlangen. Insofern als das Gesetz die Vornahme solcher Arbeiten gestattet, ist es aber gänzlich überflüssig, in der Fabrikordnung eine bezügliche Bestimmung aufzunehmen ; der Arbeitgeber darf, dem plötzlich auftretenden Zwange äußerer Verhältnisse sozusagen unwillkürlich folgend, die entsprechenden Maßregeln ergreifen. Findet er. aber in seiner Fabrikordnung einen Vorbehalt allgemeiner Natur, so wird er versucht, dieses und jenes in denselben einzubeziehen und ihn in willkürlicher Weise zu seinen Gunsten möglichst auszunutzen.

Es würden so unzweifelhaft auch direkte Zuwiderhandlungen gegen das Gesetz entstehen, und damit solchen und auch bloßen Mißverständnissen nicht- durch Fabrikordnungsbestimmungen der bezeichneten oder ähnlicher Art Vorschub geleistet werde, entschied das Departement, es seien dieselben aus den betreffenden Reglementen überhaupt zu entfernen.

o. Das Fabrikinspektorat meldete, daß eine K a n t o n s r e g i e r u n g generelle Bewilligungen für Vornahme von .,,Notarbeiten11 an Sonntagen erteile. Der Regierung gegenüber, die hierzu die Kompetenz in Anspruch nehmen zu können glaubte, machte das Departement am 9. Oktober 1893 auf Ziff. 2 des Bundesratsbeschlusses vom 3. Juni 1891 (A. S. n. P. XII, 125) aufmerksam, wonach sich die Bundesbehörde vorbehalten habe, für die Vornahme anderer als der in diesem Beschlüsse genannten H ü l f s - , eventuell N o t a r b e i t e n die generelle Erlaubnis zu erteilen; es müsse demnach verlangen, dali bezügliche Gesuche, sei es von einzelnen Etablissementen, sei es kollektiv von den Angehörigen ganzer Industriegruppen, ihm künftig zum Entscheide vorgelegt werden; diese Verhältnisse müssen von Bundes wegen geordnet werden, damit die Vollziehung des Gesetzes in den Kantonen eine einheitliche sei, während allerdings in solchen Fällen, wo es sich um Notarbeiten vorübergehender oder ausnahmsweise!1 Natur handle, die kantonale Behörde zuständig sei, dafür Bewilligungen zu erteilen oder, wenn deren Einholung nicht zuvor möglich sei, die nachträgliche Anzeige vorgenommener Notarbeit behufs Kontrolle entgegenzunehmen. -- Übergehend zu den Bewilligungen für N a c h t - und S o n n t a g s a r b e i t bemerken wir von vornherein, daß wir auch in Bezug auf sie stets mit der größten Gewissenhaftigkeit
zu verfahren glauben.

Es wird stets genau geprüft, ob die vom Gesetz verlangte Notwendigkeit zu Nacht- oder Sonntagsarbeit erwiesen sei, und im Zweifelsfall der strengern Auffassung, d. h. der Nichtbewilligung, der Vorzug gegeben. In unsern Geschäftsberichten finden Sie denn auch alljährlich Angaben über abgewiesene Gesuche. Über jedes

397 «inlangende Begehren wird überdies die zuständige Kantonsregierung -- obschon eine gesetzliche Vorschrift nicht besteht -- und das eidgenössische Fabrikinspektorat angehört, so daß Gewähr für gründliche Untersuchung geboten ist. Wir dürfen sogar die Überzeugung aussprechen, daß die Beschwerdeführer kaum einen einzelnen Fall zu nennen im stände seien, in welchem nachgewiesen werden könnte, daß wir der Einschränkung der Nacht- und Sonntagsarbeit auf das Notwendigste nicht die vollste Sorgfalt gewidmet hätten.

Im übrigen mag nachstehenden Zahlen entnommen werden, wie verhältnismäßig s e l t e n die Bewilligung für Nacht- und Sonntagsarbeit überhaupt ist : Im Februar 1895 waren in Kraft 47 Bewilligungen für Nacht- und Sonnlagsarbeit, 57 Bewilligungen für Nachtarbeit allein, 11 Bewilligungen für Sonntagsarbeit allein.

Zahl der Ende 1894 dem Gesetz unterstellten Etablisseinente: 4793.

Beizufügen ist, daß zufolge des Bundesratsbeschlusses vom 14. Januar 1893 diejenigen vorher erteilten Bewilligungen, die durch ihn generell geregelt oder welche sonst als hinfällig betrachtet wurden, zur Streichung gelangten, nämlich : 103 Bewilligungen für Nacht- und Sonntagsarbeit, 91 Bewilligungen für Nachtarbeit allein, 19 Bewilligungen für Sonntagsarbeit allein.

Wir gelangen hiermit zu dem angefochtenen B u n d e s r a t s b e s c h l u ß vom 14. Januar 1893 betreffend N a c h t - und S o n n t a g s a r b e i t in F a b r i k e n (A. S. n. F. XIII, 259), von welchem die beschwerdeführenden Vereinsvorstände behaupten, daß nach den ^gemachten Erfahrungen" die in ihm enthaltenen generellen Bewilligungen teils ,,zu weitgehend", teils ^in ihrem Wortlaut ungenau" seien, teils ,,eine richtige Durchführung des Fabrikgesetzes beinahe unmöglich machen"1 ; welches die ,,gemachten Erfahrungen" 8eien, wird nicht mitgeteilt.

Wir bestreiten die Richtigkeit dieser Vorwürfe des entschiedensten. Der Bundesratsbeschluß verfolgt gerade die entgegengesetzten Tendenzen. Über seine Entstehung und die bei ihr obwaltenden A b s i c h t e n giebt das den Beschluß begleitende Kreisschreiben des Industriedepartements an die Kantonsregierungen vom 14. Januar 1893 (Bundesbl. I, 115) folgenden Aufschluß: ,,Es konnte nicht ausbleiben, daß die von den Bundesbehörden erteilten Bewilligungen für Nacht- und Sonntagsarbeit mit der Zeit Bondesblatt. 47. Jahrg. Bd. I.

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398 Ungleichheiten, veraltete und überflüssig gewordene Bestimmungen, zu weit gehende Erlaubnisse etc. aufwiesen, deren Beseitigung wünschenswert wurde.

Wir sahen uns deshalb veranlaßt, in dieser Hinsicht eine genaue Untersuchung vorzunehmen, indem wir zunächst das eidgenössische Fabrikinspektorat beauftragten, die bisher erteilten Bewilligungen einer Durchsicht und Prüfung zu unterwerfen, mit den beteiligten Fabrikinhabern Rücksprache zu nehmen und uns Vorschläge für eine Revision einzureichen.tt Um Mißdeutungen vorzubeugen, sei gleich bemerkt, daß die Begrüßung der Fabrikinhaber deshalb angeordnet wurde, damit ihnen Gelegenheit geboten würde, sich zuv Sache überhaupt zu äußern, um so mehr, als für viele unter ihnen die Revision eine erhebliche E i n s c h r ä n k u n g der früher erhaltenen Bewilligung bedeutete.

In der That führt das erwähnte Kreisschreiben selbst aus, daß die neu redigierten Bewilligungen in verschiedener Hinsicht weniger weit gehen, als die den nämlichen Fabriken früher erteilten; so wurde unter andertn die Sonntagsarbeit bei der Papier- und Gripsfabrikation abgeschafft, bei der Cernent- und Kalkfabrikation auf das Brennen beschränkt, die Nachtarbeit für die als Einzelmaschinen betriebenen Kalander in der Papierfabrikation beseitigt, indem eben die im Laufe der Jahre gemachten Erfahrungen zu Rate gezogen werden konnten. Beim gleichen Anlaß wurden aus verschiedenen Gründen zurückgezogen beziehungsweise als dahingefallen erklärt die früher erteilten Bewilligungen für Nacht- und Sonntagsarbeit in 2 Tüllwebereien, 2 Tabakfabriken, 2 Rotfärbereieu, je l Seidenappretur, Kunstwollfabrik, Chokoladefabrik, Buchdruckerei, Firnisund Lackfabrik. Wir hielten an den einmal getroffenen Verfügungen fest, obschon mancher Versuch unternommen wurde, von uns deren Abschwächung oder Rücknahme zu erlangen. So wurden im Jahr 1893 abgewiesen: die Gesuche einer Karbonisieranstalt und einer Tabakfabrik um Wiedererteilung zurückgezogener Bewilligungen zu Nachtarbeit; einer Cementfabrik, Kartonfabrik, Holzstofiffabrik und einer Mehlmühle um Bewilligung von Sonntagsarbeit in Abweichung vom Bundesratsbeschlusse vom 14. Januar 1893; des schweizerischen Zieglervereins betreffend Nichtanwendung von Art. II, Ziff. 3, des erwähnten Beschlusses auf den Brennbetrieb der Ziegeleien (Bundesbl. 1893, II, 809); des Vereins schweizerischer Cément-, Kalk- und Gipsfabrikanten um Abänderung desselben Beschlusses (Bundesbl. 1893, Y, 390).

399 Der Beschluß vom 14. Januar 1893 selbst darf als äußerst sorgfältig vorbereiteter und wohl erwogener bezeichnet werden.

Die Verhältnisse jeder einzelnen von ihm berührten Industrie wurden des genauesten geprüft, und es wurde in Bezug auf Nacht- und Sonntagsarbeit nur das zugestanden, was als durchaus erforderliches Miniraum angesehen werden mußte. Es würde viel zu weit führen, dies in jedem einzelnen Falle hier nachzuweisen und die in dea Akten niedergelegten weitläufigen technischen und andern Erörterungen wiederzugeben. Gerade der Umstand aber, daß die Bewilligungen sich auf das Notwendigste beschränkten, erlaubte es, gleichartige Verhältnisse zusammenzufassen und g e n e r e l l zu erledigen, nachdem ein analoges Verfahren schon im Jahre 1886 für die Mehlmühlen und Bierbrauereien eingeführt worden war. Es geschah hierbei gar nichts anderes, als daß eine Anzahl bestehender Bewilligungen einheitlich redigiert und für die bereits dem Gesetz unterstellten oder noch zu unterstellenden Betriebe derselben Art verbindlich erklärt wurde. Es wurde durch diese Maßregel erreicht, daß geordnetere Verhältnisse bestehen und Behörden wie Betriebsunternehmer genau wissen, woran sie seien. Wo man, wie bei den im Beschluß genannten Industriezweigen, sicher war, daß ihnen die und die Bewilligung nicht versagt werden könne, hatte es keinen Zweck, die zur Formalität werdende Gesuchstellung im einzelnen Falle beizubehalten; jedenfalls wäre daraus der Vollziehung des Gesetzes nicht der geringste Vorteil erwachsen, wohl aber wurde Behörden und Fabrikanten unnutze Mühe erspart, was wir als einen Fortschritt betrachten, wenn nicht anderes darunter leidet. Übrigens ist nicht außer acht zu lassen, daß eine große Zahl von Betriebsarten übrig bleibt, welche durch den erwähnten Beschluß nicht berührt sind, und für welche in Hinsicht auf die Verschiedenartigkeit der Verhältnisse die Gesuchstellung und Bewilligung in jedem einzelnen Fall fortbesteht.

Wenn die Beschwerdeführer meinen, der Wortlaut unseres Beschlusses sei in vielen Fällen zu a l l g e m e i n gefaßt, aber eine genaue Präcisierung sei wegen der Verschiedenheit der einzelnen Gewerbebetriebe nicht möglich und es müssen daher spezielle Bewilligungen erteilt werden, so erwidern wir, daß dieser Übelstand sich auch in der Einzel bewilligung wiederholt. Er läßt sich
auch in letzterer nicht beseitigen, weil die erforderliche ,,Anzahl der Überstunden" in den Fällen, um die es sich hier handelt (z. B. in der Gerberei, Milchindustrie), naturgemäß überhaupt nicht für längere Zeit genau vorauszubestimmen ist, auch nicht für den einzelnen Betrieb. Wollte man im Sinne der Beschwerdeführer verfahren, so hieße das Bureaukratie treiben, und man hätte überdies die Gewißheit, daß den getroffenen Verfügungen schlechterdings nicht nach-

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gelebt werden könnte. Jener Einwand ist daher als ein hinfalliger anzusehen.

Was nun die K o n t r o l l e betrifft, von welcher die Beschwerdeführer behaupten, daß sie ,,beinahe zur Unmöglichkeit" geworden sei, so haben wir folgendes zu bemerken : Einmal ist durch die Veröffentlichung unseres Beschlusses vom 14. Januar 1893 dafür gesorgt, daß jedermann im stände ist, sich über die Gestaltung der Nacht- und Sonntagsarbeit in den betreffenden Geschäften zu unterrichten und persönliche Kontrolle zu üben. Jedenfalls ist diese private Kontrolle viel leichter als früher, wo die geschriebenen Einaelbewilligungen bestanden und in ihren Einzelheiten nur den Behörden und Fabrikanten zur Kenntnis gebracht wurden. Sodann ist auch für die Vollziehungsorgane, namentlich die untern, die Aufsicht erleichtert, da sie statt einer Anzahl einzelner, unter sich da und dort abweichender Bewilligungen für dieselbe Kategorie von Geschäften den einheitlichen Beschluß vor sich haben.

Endlich soll nach Angabe der Beschwerdeführer gar den Fabrikanten selbst ,,für Übertretungen und Umgehungen des Fabrikgesetzes Thür und Thor geöffnettt worden sein. Es hält uns schwer, zu begreifen, wie eine solche Behauptung aufgestellt werden kann.

Thatsächlich war früher gewöhnlich verlangt worden, daß die Arbeitseinteilung (Stundenplan für die Tag- und Nachtschichten) der Ortsbehörde mitgeteilt und nebst der Bewilligung den Arbeitern durch Anschlag in den Arbeitslokalen bekannt gegeben werde. In unserm Beschluß vom 14. Januar 1893 gingen wir einen bedeutenden Schritt weiter, indem in Art. II unter den vorgeschriebenen Bedingungen sich folgende findet: ,,4, Die Bewilligung nebst deren Bedingungen, sowie die Arbeitseinteilung (Stundenplan) sind in den Arbeitslokalen anzuschlagen.

Ein Exemplar des Stundenplanes ist durch Vermittlung der kantonalen Vollziehungsbehörde dem zuständigen eidgenössischen Fftbrikinspektor zuzustellen.a Diese Mitteilung des S t u n d e n p l a n s an den F a b r i k i n s p e k t o r ermöglicht es letzterm, filr jedes einzelne Geschäft zu prüfen, ob den Anforderungen des Gesetzes, beziehungsweise den an die Bewilligung zu Nacht- und Sonntagsarbeit geknüpften Bedingungen Genüge geleistet sei, und sie bedingt somit eine Kontrollmaßregel , wie sie vorher nicht bestanden, welche sich aber bei der Vollziehung als
höchst zweckmäßig und nötig erwies. In einer Reihe von Fällen mußten die Stundenpläne abgeändert werden und es bedurfte einer mehrmonatlichen Arbeit seitens der kantonalen Behörden und der eidgenössischen Fabrikinspektoren, bis die Be-

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triebsverhältnisse überall dem Gesetze angepaßt waren. Thafcsächlich ist also die Kontrolle über die Vollziehung des letztern, wesentlich erleichtert und verschärft worden. Es kann auch keine Rede davon sein, daß der Arbeitgeber mit genereller Bewilligung leichter das Gesetz übertrete, indem er sich mit dieser ausrede; die generelle Bewilligung und der Stundenplan schreiben ihm sehr genau vor, wie weit er gehen darf, und wenn er das Gesetz übertreten will, wird er es ebensogut versuchen können, ob seine Bewilligung nun generell oder speciell sei. Die beteiligten Arbeiter aber sind vermöge unserer erwähnten Verfügung, wonach die Bewilligung, deren Bedingungen und der Stundenplan in den Arbeitslokalen angesehlagen sein sollen (wir wissen nicht, warum die Potenten noch Anschlagen ,,beim Eingang des Fabrikgebäudes" verlangen), in der Lage, selbst vorkommende Übertretungen ausfindig zu machen und anzuzeigen. In letzterer Hinsicht sei bemerkt, daß die Arbeiter in der Ausübung ihres Beschwerderechts nicht gehindert sind, indem jeder Fabrikinspektor nicht anonyme Anzeigen entgegennimmt, ohne den Namen des Urhebers preiszugeben. Im übrigen sind ja auch die gewerkschaftlichen und andere Organisationen da, welche die Interessen der Arbeitnehmer vertreten. Statt aber, wie in der Eingabe vom De/ember 1894, allgemeine Anschuldigungen zu erheben, thäten sie wohl besser, wirklich vorkommende Gesetzesübertretungen den kantonalen Vollziehungsorganen oder den eidgenössischen Inspektoren zu verzeigen, um die Beseitigung jener herbeizuführen.

Zur Charakterisierung des Beschlusses vom 14. Januar 1893 erwähnen wir endlich noch, daß in Art. II eine S o n n t a g s r u h e von 24 unmittelbar aufeinander folgenden Stunden festgesetzt wurde, während sie früher oft nur 12 Stunden betrug.

In der Beilage findet sich ein B e r i c h t der e i d g e n ö s s i s c h e n F a b r i k i n s p e k t o r e n , vom 15. Januar 1895, über die vorliegende Angelegenheit, auf den zu verweisen uns erübrigt.

Wir empfehlen seine Ausführungen Ihrer Aufmerksamkeit bestens.

Wenn wir auch jeder Zeit gern Anregungen und Vorschläge betreffend die Durchführung des Fabrikgesetzes und Hinweise auf bestehende Mängel entgegennehmen, dürfte aus dem Vorstehenden doch ersichtlich sein, daß diesmal der Gegenstand schlecht gewählt wurde. Wir können daher
dem Verlangen nach einer Untersuchung unter Beiziehung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern nicht Folge geben, und hoffen, daß Sie sich mit unserer Anschauung einverstanden erklären können. Einen besondern Antrag zu stellen, sehen wir uns nicht veranlaßt, da die Angelegenheit von Gesetzes wegen in unsere Kompetenz gehört.

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Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 26. Februar 1895.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Dei- B u n d e s p r ä s i d e n t :

Zemp.

Der Stellvertreter des eidg. Kanzlers : Schatzmann.

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Beilage.

Bericht der eidgenössischen Fabrikinspektoren.

(Vom 15. Januar 1895. J

Tit. Schweiz. Industriedepartement, Bern.'

Sie haben uns am 19. Dezember v. J. beauftragt, gemeinsam die Eingabe des Centralkomitees des schweizerischen Griltlivereins, des Parteikomitees der schweizerischen socialdemokratischen Partei und des Bundeskomitees des schweizerischen Gewerkschaftsbundes zu begutachten. Wir kommen heute Ihrem Auftrag nach.

Das genannte Aktenstück erhebt Beschwerde gegen die Art und Weise, wie die Bestimmungen des Fabrikgesetzes betreffend Hülfs-, Nacht- und Sonntagsarbeiten ausgeführt werden, und wendet sich speciell gegen den Bundesratsbeschluß vom 14. Januar 1893.

Ehe wir näher auf die Eingabe eintreten, bemerken wir, daß wir es stets als sehr wünschbar betrachtet haben, daß die Arbeiter und besonders die Arbeitervereine sich an der Durchführung des Fabrikgesetzes beteiligen, auf Übelstände und Mißbrauche aufmerksam machen, sie zur Anzeige bringen, wo der Einzelne sich nicht getraut oder nicht im stände ist, dies zu thun. Wir haben in unsern Inspektionsberichten wiederholt um diese Mithülfe gebeten, zugleich aber die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, daß die Vereine sich lebhaft bemühen sollten, vorher eine genaue Untersuchung, reifliche Prüfung walten zu lassen.

Selbstverständlich ist es wohl, daß solche Beschwerden sich zuerst mit den Specialfällen befassen und diese zur Kenntnis der die Gesetzesausftihrung überwachenden Amtsstellen bringen sollten.

Damit würden letztere befähigt, sowohl die einzelne Übertretung zu verfolgen, als auch Mißstände allgemeiner Art zu erkennen und auf deren Beseitigung hinzuwirken. Erst wenn nichts oder nicht Genügendes gethan worden ist, wären allgemeiner gehaltene Beschwerden am Platz. Wir sind daher sehr erstaunt, plötzlich von so groben Mängeln der Gesetzesausführung zu hören, ohne daß mau vorher versucht hätte, uns dieselben an Einzelfällen naehzu-

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weisen und unser Einschrekeu zu fordern. Bestehen doch manche der angefochtenen Bestimmungen schou 16 Jahre, ohne daß die Beschwerdeführer sich dagegen erhoben hätten.

Mag aber auch nicht richtig verfahren worden sein, liegt uns doch ob, die erhobenen Anklagen und Beschwerden zu prüfen, zu ermitteln, ob und inwieweit sie begründet seien.

Der Bundesratsbeschluß vom 14. Januar 1893 wurde gefaßt, um einer langen Reihe von Ungleichheiten in der Anwendung des Gesetzes abzuhelfen, überflüssige Gestaltungen aufzuheben, unzweckmäßige Bestimmungen zu beseitigen, bureoukratische, umständliche Verfahren zur Erlangung der Bewilligungen zu vermeiden. Die Inspektoren erhielten Auftrag, die Industrien mit Bewilligungen sämtlich genau mit Bezug auf die Frage zu prüfen, welche Ausnahmegestattungen vermeidlich und welche andern zu beschränken seien. Sie besprachen sich darüber einläßlich mit Prinzipalen und mit Arbeitern : sie holten zahlreiche schriftliche Erkundigungen ein> wie aus misera Korrespondenzen ersichtlich ist; sie hielten selbstim Ausland in gleichartigen Betrieben Nachfrage.

Das Resultat war, daß manche frühere Bewilligungen von Nacht- und Sonntagsarbeiten zurückgezogen oder beschränkt wurden.

Wir führen beispielsweise den Sonntagsbetrieb der SchnupftabakStampfen, der Cementmühlen, der Papiermaschinen, der Karbonisierapparate in Kunstwollfabriken an. In manchen Betrieben ermittelten wir, daß bisher insgeheim Sonntags- oder Nachtarbeit üblich gewesen sei. Sie wurden angehalten, um Bewilligung nach vorhergehender Prüfung des Gesuchs einzukommen. Die Folge war Beseitigung oder Reduktion mancher nächtlichen oder sonntäglichen Arbeit. Bei unsern Untersuchungen stellte sich heraus, daß in gewissen Industrien a l l e dieselbe betreibenden Geschäfte gleichmäßig gewisse Gestattungen bedürfen, daß aber nicht alle dieselbe eingeholt hatten, teils weil sie die Umständlichkeiten der Gesuchstellung' -- Eingaben bei den kantonalen Regierungen und bei Ihrem Departement -- scheuten, teils in der Voraussetzung, was andern unter genau gleichen Umständen gestattet worden sei, könne auch ihnen nicht versagt werden. Es erschien daher vernünftiger, für alle Betriebe einer Industrie, sofern sie ausnahmslos eine gewisse Bewilligung bedürfen, dieselbe g e n e r e l l zu erteilen. Zugleich aber wurde Vorsorge getroffen,
um den Mißbrauch dieser oder specieller Bewilligungen möglichst zu verhüten. Jedes eine Ausnahmsgestattung beanspruchende Etablissement wurde, was früher nicht der Fall war, angehalten, einen Stundenplan zu entwerfen. Alle Amtsstellen, welche ihn (nach Art. II, § 4) erhielten, konnten dagegen Einsprache erheben. Das geschah auch recht oft. Unsere

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Kopierbücher zeugen für die viele Mühe und Schreiberei, welche uns die Richtigstellung und Beschränkung der Stundenpläne auf das gesetzliche Muß gemacht haben und immer wieder machen. Sind sie in Ordnung, müssen sie, nebst der Bewilligung und deren Bedingungen , im Arbeitslokal angeschlagen werden. Der Arbeiter, der Polizist, der inspizierende Beamte weiß also jeden Augenblick,, was, w a n n , wie l a n g e und, wenn dies nötig ist, von wie vielen gearbeitet werden darf. Eine Menge Übertretungen sind infolge dieser Verfügung zur Kenntnis der Behörden gelangt.

Was die Erteilung, resp. Revision dei- Bewilligungen anbetrifftgeht aus unsern Konferenz-Protokollen hervor, in wie vielen, langen Sitzungen Ihr Departement mit uns die Gründe für und wider durchgesprochen und erwogen hat, wie oft erneute Prüfung, wiederholte Nachschau an Ort und Stelle, neue Einvernahme Sachverständiger verlangt wurde, ehe man zu einem definitiven Schluß gelangte.

Vor allem aus suchte man daran festzuhalten, daß die t e c h n i s c h e N o t w e n d i g k e i t nachgewiesen sein müsse, ehe man die Bewilligung erteile. Aber wie die Kommissionen der Bundesversammlung im Jahr 1878 überzeugte man sich auch jetzt wieder, daß es Industrien giebt, welche ohne Nachtarbeit die Konkurrenz mit dem Ausland oder ihren kleinern, dem Fabrikgesetz nicht unterstellten Berufsgenossen aufgeben müßten, wenn auch keine technische Notwendigkeit der Nachtarbeit besteht. Es wäre eine sinnlose Schädigung der privaten Interessen nicht nur, sondern auch des allgemeinen Wohls, wenn man durch die Versagung aller Ausnahinegestattungen diese Industrien lebensunfähig machen wollte.

Wir glaubten, diese allgemeinen Bemerkungen vorausschicken zu sollen, bevor wir auf die Begründung der Eingabe detailliert eintreten.

In derselben wird behauptet: I. Die Notwendigkeit zur Nacht- und Sonntagsarbeit liege gar nicht vor. Dies soll auf Mühlen und Sägereien zutreffen. Was nun letztere anbelangt, wurde sie durch technische und ökonomische Notwendigkeit motiviert. Brstere besteht nur teilweise. Einzelne Holzarten gehen nämlich bei längerem Liegen Farbveränderungen ein, die sie bedeutend entwerten. Sie müssen daher in bestimmter" kurzer Frist aufgearbeitet werden. Hat der Säger zufällig viel von dieser Sorte zu verarbeiten, muß er zuweilen die normale Arbeitszeit
überschreiten oder Nachtarbeit (Sonntagsarbeit wird nicht gestattet) einführen, um rechtzeitig fertig zu werden. Ein weiterer Grund besteht in der Konkurrenz der Geschäfte, die man nicht unter das Fabrikgesetz stellen kann. Diese kleinen Betriebe arbeiten beliebig lang; sie nutzen ihre Wasserkraft, die oft kurze Zeit vor-

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hält, beliebig aus. Ihre Arbeiter reiben sich dabei fast auf. Es darf nicht wunder nehmen, daß auch die Geschäfte unter dem Fabrikgesetz ihre Arbeitszeit zu verlängern suchten. Die kantonalen Regierungen gewährten ihnen monatelang 3, 4, ja 5 Stunden Überzeitarbeit. Niemand konnte sie hindern. Derselbe Arbeiter blieb nun, inklusive Eßpausen, 16, 17, 18 Stunden angespannt. Um diesen Mißbrauch zu vermeiden, gestattete man a l l e n Sägereien, auf ·bloße Anzeige, resp. Stundenplan hin, Tag- und Nacht-, resp.

Schichtenarbeit, und versagte Arbeitszeitverlängerung. Der einzelne Arbeiter hat somit nicht mehr als 11 Stunden effektive Arbeit.

Wir erachten dies als einen sehr großen Fortschritt. -- Es kommt ferner hinzu, daß das Sägen zwischen der Zeit stattfinden muß, wo das Holz geschlagen, und derjenigen, wo es verwendet wird. Endlich ist die ausländische Konkurrenz wohl zu beachten. Bekanntlich kommen ungeheure Mengen geschnittenes Holz in die Schweiz, so daß unsere Säger oft schwer die Konkurrenz aushallen. Werden nun durch Verbot der Nachtarbeit die Zinsen für die Anlagekosten, welche in Sägereien einen ganz unverhältnismäßigen Teil der Betriebskosten ausmachen, aufs Doppelte für gleiche Produktion gesteigert, so ist der Wettbewerb mit dem Ausland, das eine solche Beschränkung der Arbeitszeit nicht kennt, nicht mehr möglich. Die nationalökonomischen Folgen liegen auf der Hand.

Ähnlich steht es mit den Mühlen, welche übrigens nicht erst seit 1893, sondern seit ihrer Unterstellung unter das Fabrikgesetz Nachtarbeit hatten. Dieselbe hätte also längst angefochten werden können. Auch die größern Mühlen könnten ohne sie den unter keinem Gewerbegesetz stehenden kleinen nicht stand halten; sie könnten es namentlich dem Ausland gegenüber nicht. Jedermann ·weiß, wie sie zeitweise von den ungarischen Mühlen bedrängt werden.

Wir haben Ihnen seiner Zeit Zahlen vorgelegt, welche die Situation unserer Mühlenindustrie kennzeichneten ; ob heute die gleichen noch zutreffend wären, bezweifeln wir ; wir verzichten deshalb auf die Reproduktion. -- Die Mühlen haben nun freilich auch 3 Stunden Sonntagsarbeit zum Putzen. Daß wir an deren Unentbehrlichkeit zu zweifeln anfingen, entnahmen Sie unserm letzten Amtsbericht.

Wir haben uns bemüht, durch Nachfragen auf allen Seiten uns Gewißkeit darüber zu verschaffen, sind aber
heute noch nicht in der Lage, ein ganz bestimmtes Votum über diese Frage abzugeben.

Daß sie diskutabel ist, darüber sind wir mit den Beschwerdeführern einig.

Dagegen sind wir überzeugt, daß dieselben die Motive der Gestattung für Mühlen und Sägen gar nicht recht kannten, obwohl ·es nur einer einfachen Anfrage bei uns bedurft hätte, um sie in Erfahrung zu bringen.

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Die Beschwerdeschrift sagt ferner, die Funktionen hätten genannt sein sollen, auf welche sich die Bewilligung beziehe. Da der Verfasser von den -- freilich im Gesetz ausdrücklich erwähnten -- Stundenplänen nichts gewußt zu haben scheint, konnte er auch keine Ahnung von der Kontrolle haben, welche durch dieselben in wirksamster Weise geübt wird. Aus dem Stundenplan kann sofort entnommen werden, ob- noch für andere Funktionen Nacht- und Sonntagsarbeiten verwendet werden, als gestattet ist.

Wenn die Eingabe endlich gegen die generellen Bewilligungen sich ausspricht, verweisen wir auf das früher Gesagte. Wie alles den jeweiligen Verhältnissen in jedem gegebenen Moment angepaßt werden könnte durch eine Bewilligung, die doch für Jahr und Tag oder gar für immer -- das Recht des Rückzugs vorbehalten -- erteilt wird, verstehen wir nicht, denn in vielen der in Frage kommenden Industrien schwankt das Bedürfnis nach Jahreszeit, Geschäftsgang etc.

Diese Bemerkung führt uns hinüber zum II. B e s c h w e r d e p u n k t der Eingabe. Sie tadelt den zu a l l g e m e i n g e f a ß t e n W o r t l a u t des Kreisschreibens. Unglücklicherweise exempliert sie mit einem sehr schlecht gewählten Beispiel, den G e r b e r e i e n .

Diese legen Häute für längere Zeit in seichtes Wasser. Bei heißem Wetter wird dieses lau, auf der einen Fläche der Haut beginnt eine gewisse Zersetzung, die durch Wenden der Häute vermieden werden muß. Ebenso ist ein Wenden erforderlich, wenn Häute in die sogenannten Farben gelegt sind. Diese müssen gleichmäßig einwirken können, jede Stelle muß mit ihnen in Berührung kommen.

Je nach der Witterung, je nach der Zahl der gerade in diesem Zubereitungsstadium befindlichen Häute ist am Sonntag ungleich viel Arbeit erforderlich ; die Zeitdauer zu präcisieren, ist einfach unmöglich. Hätte der Verfasser vorher gefragt, um was es sich eigentlich handle, er hätte gewiß so etwas nicht hingeschrieben. -- Zwar wäre es ihm auch bei den andern Fällen, wo er ebenfalls solche Unbestimmtheiten anficht, nicht viel besser gegangen. Eine Anstalt für Milchverwertung weiß nicht zum voraus, wie viel Milch kommt, innerhalb welcher Zeit -- bei verschiedenem Weg und Wetter -- die Milchtransporte herangefahren kommen; sie k a n n sich also für die bewilligten Überzeitarbeiten nicht an genau bestimmte Grenzen halten. Zudem
muß es ja der Betriebsleitung selbst recht sein, die Leute, welche sie zu keinen andern Funktionen verwenden darf, recht bald entlassen zu können. -- Die Teigwarenfahriken müssen auch Sonntags gewisse langsam trocknende Produkte wenden, sonst werden sie sauer, also ungenießbar. Aber je nachdem sie viel oder wenig gerade von dieser zu wendenden Sorte hergestellt haben, oder je nachdem mehr oder weniger Arbeiter die

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Sonntagsarbeit, zu der man sie nicht zwingen kann, leisten, erfordert das Geschäft 2, l, vielleicht nur Va Stunde. -- Es geht aus alledem hervor, daß man weder bei generellen noch bei speciellen Gestattungen im stände ist, die Zeitdauer der Sonutagsarbeit scharf zu bestimmen.

Dem III. Vorwurf, der Verunmöglichung der richtigen Kontrolle, stellen wir einfach die Behauptung gegenüber, daß das Gegenteil richtig ist. Wir haben bereits gezeigt, wie und warum die Kontrolle für jedermann e r l e i c h t e r t worden ist. Allerdings kann man zu den Ansichten 'gelangen, welche dieser Abschnitt der Eingabe ausspricht, wenn man sich nicht die Mühe nimmt, den Bundesratsbeschluß vom 14. Januar 1893 zu Ende zu lesen; man kann auf diese Weise dazu kommen, ein Verlangen zu stellen, das seit zwei Jahren schon erfüllt ist. Der mit der Sache vertraute Leser hingegen wird den Eindruck erhalten, daß einer Eingabe, die mit solcher Oberflächlichkeit zu Werke geht, das größte Mißtrauen entgegengebracht werden 'muß.

Wir geben gerne zu, daß die angefochtenen Bewilligungen hie und da mißbraucht, daß sie überschritten werden, aber wir bestreiten, daß der vielerwähnte Bundesratsbeschluß dazu beiträgt, daß Gesetzesverletzungen stattfinden oder nicht entdeckt werden.

Wir haben auch nicht Ein Anzeichen dafür aufzufinden vermocht.

.Die vorliegende Eingabe scheint uns durch falsche Auffassung des Beschlusses, mangelhafte Kenntnis desselben, Unkenntnis der technischen Notwendigkeiten, sowie der Motive, auf denen er basiert, veranlaßt. Wir halten daher die verlangte Untersuchung für überflüssig. Erst wenn eine Anzahl wohlkonstatierter Thatsachen vorliegen, welche eine andere Regelung der Bewilligungen wünschbar erscheinen lassen, wollen wir gerne zustimmen, wenn eine Enquête im Sinn der Eingabe vorgenommen wird; der bloße Nachweis, daß Übertretungen des Gesetzes vorgekommen seien, genügt uns aber nicht. Sie werden unter jeder Verordnung vorkommen. Ihnen zu wehren, wird den Eingebern weit eher als durch immer neue Verordnungen dadurch gelingen, daß sie uns im Ermitteln und Verfolgen der Übertretungen behülflich sind, indem sie ihren Mitgliedern zur Pflicht machen, von allen solchen Gesetzesverletzungen uns getreue und zuverlässige Mitteilung zu machen.

Indem wir in diesem Sinn einstweilen Ablehnung des gestellten Begehrens beantragen, zeichnen wir hochachtungsvoll

Di. F. Schuler.

H. Ranschenbach.

Ami Campiche.

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend die Eingabe der Vorstände des schweizerischen Grütlivereins, der schweizerischen socialdemokratischen Partei und des schweizerischen Gewerkschaftsbundes, vom Dezember 1894. (Vom 26. Februar...

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