Sehweizeri|ches

IQ ti n d e è b I a 11.

Jahrgang V. Band II.

Nro*

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M.

Samstag, den 9. Juli 1853.

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2Bcrid)t ,

des

schweizerischen Bundesrathes an die hohe Bundes* versammlung über seine Geschäftsführung im

Jahr 1852.

l. B e i l a g e zum -.Bericht des Justiz- und Polizeidepartements.

Jahresbericht des

eidg. Generalanwaltes über dessen Amtsführung während dem Jahre 1852.

A. Allgemeiner .-theil.

Die Amtsthätigkeit des Generalanwaltes umfaßt folflende Zweige:

I. S t r a f r e c h t l i c h e U n t e r s u c h u n g e n .

A. in den Bereich der eidg. Assisen fallende, Bundesblatt, Iahrg. V. Bd. II.

54

666

B. fiskalische und polizeiliche Bundesgesezübertretungen, C. administrativ - disziplinarische

Straf-

fälle.

H. C i v i l streitrg.keiten.

IH. H e i m a t h h ö r i g k e i t s u n t e r f u c h u n g e n un.d d a h e r i g e P r o z e s s e .

I. Strafrechttiche Unter..

snchungen.

Bereich ^x eidg. Assisen fallende Straf^z^.

Während der ersten Hälfte des Jahres 1852 kamen reine Strafunt.erfuchungen vor, welche in den Bereich.

^ ^ssise^ g.ehört.en., u.n.d nach Maßgabe des Bundesl^s^ ^ ^ Bundesstrafrechtspflege vom 27. August 1.^51 behandelt und beurtheilt wurden; wol aber wurden während des Restes des Jahres mehrere Fälle von dem Bundesrathe an den Generalprokurator zum Behufe des strafrechtlichen^ Einschreitens von Bundes^ wegen. überwiesen, .oon d^nen^ jedoch nur einer, n.ämlich der Straffall Eberli, von den in St. Gallen verfammelten.Asfisen des vierten eidgen. Geschwornenbezirks beurtheilt wurde.

Die gr.oßen.. K.o^n., d^ dabei entstanden, dan..^ der Umstand , daß noch kein eidgenössisches Strafgesezbuch bestand, ließen das l.1.nzwekmaßige dieser Unterfuchungsund Beurtheilungsweife von Vergehen und gemeinen Verbrechen. e^gen... Beamter erkennen, und es^hat^ diesem Uebelstand wesentlich dazu beigetragen, daß die schweizerische Bundesversammlung. im Bundesgeseze vom 4.

Hornung 1853 im Art. 75 die Bestimmung erließ, daß gemeine Verbrechen, welche von Beamten oder Angestellten des Bundes in ihrer amtlichen Stellung verübt werden , nach den Gesezen und von den Behörden des Kantons, in welchem das Verbrechen stattgefunden, künftig beurtheilt werden follen.

.^

667 Der Bundesrath ging, bei Anlaß des Srraffalles Eberli (schon vor dem Bestehen des Bundesstrafrechts-.

gefezes), von der Anficht aus, es habe die eidgen. Anklagekämmer des Bundesgerichtes bei gemeinen Verbrechen eidgen. Beamter, wegen der damaligen Ermanglung eines eidgenössischen Strafrechts, nach Massgabe des ^

Art. 50 des Orgauifationsgesezes. über die Bundesrechtspflege vom 22. Brachmonat 1849, und nach Analogie

des Art. 40 des Bundesstrafprozeßgefezes vom 27. August 1851 , die Kompetenz , dergleichen Straffälle , statt an die Asfisen, an die betreffenden Kantonalgerichte zu weisen; und in diesem. Sinne. wurde auch namentlich der Straffall Eberli puncto Unterschlagung von, der Post anvertrauten Geldern an den Genera.lanwalt überwiesen.

Diesen Austrag des Bundesrathes, zu dem derselbe um so mehr befugt zu sein glaubte, da selbst das Bundesstrafprozeßgesez, Art. 1 und 2, in seiner Anwendung die Existenz von Bundesstrafgesezen, obgleich dieselben damals noch nicht erlassen waren, voranssezt und da.

nach Art. 104 Litt. a d.er Bundesverfassung das Asfisengericht nur in Fällen urtheilt, wo von einer Bundesbehörde die von.. ihr ernannten Beamten an dasselbe.

überwiesen werden, beziehungsweise wo nach Art. 40 und 41 des Verantwortlichkeitsgesezes vom 9. Dezember 1850 der Bundesrath. solche Fälle überweiset, - diesen Auftrag des Bundesrathes hat der Generalanwalt da-.

durch erfüllt.,. daß. er beim Straffall Eberli an die. Anklagekammer den Rechtsfchluß stellte : es sei derselbe aus..

dem Grunde des Mangels einer eidgenösfifchen S.trafgesezgebung von den Gerichten des Kantons St. Gallen zu beurtheilen und Eberli in d.iesem Sinne in Anklage zustand zu verfezen. Die Anklagekammer theilte jedoch

668 keineswegs diese Rechtsanschauung des Bundesrathes und Generalanwaltes. Sie ging von der Anficht aus...

es stehe nichts im Wege, folche Fälle durch das Affifengericht beurteilen zu lassen, da das leztere eben so gut wie Kantonalgerichte eine Kantonalstrafgesezgebung in.

Anwendung bringen könne, und da deßhalb der Angeklagte in keine fchlimmere Lage verfezt werde.

Nach diesen allgemeinen Bemerkungen sei es mir erlaubt, auf die s p e z i e l l e n Fälle überzugehen, welche während dem Iahre l852 zur Behandlung kamen.

Ich mache hier nachfolgende Unterabtheilungen : .a.

Strafunterfuchungen,

w e l c h e nach

Art. 4 des B u n d e s s t r a f p r o z e s s e s vom B u n d e s r a t h e dem G e n e r a l a n w a l t e u n d vom leztern dem Untersuchungsrichter überwiesen wurden.

Es kamen folgende Fälle vor : 1) Eine Strafunterfuchung gegen Iohann Eberli, Posthalter von Oberutzwyl, Kantons St. Gallen, beschuldigt der Unterschlagung von Postgeldern.

Dieser Straffall wurde mit Bundesrathsbeschluß vom 19. Iuli 1852 dem Generalanwalteund von diesem dem Untersuchungsrichter überwiesen, und im Dezember 1852 .von den Asfisen des IV. Bezirkes vorgetragen. Das daherige, nach den St. Gallischen Gesezen erlassene Urtheil, welches unter Anderm auch auf körperliche Züchtigung lautete, ließ den Uebelstand der Anwendung von Kantonalgesezen durch ein eidgenössisches Gericht er-

669 kennen, und gab zu einer erst im Ianuar l853 erfolgten Begnadigung des Verurteilten durch die Bundesverfammlung Anlaß.

2) Ein anderer Straffall gegen Cmanuel Martin, Postkommis in Bafel, wegen Unterschlagung einer großen Menge von Briefen und Valoren, wurde im Oktober dem Generalanwalt überwiesen. Die betreffende Voruntersnchnng dauerte bis zu Ende des Jahres 1852 und noch während einem Theile des Jahres 1853.

3) Eine bereits seit dem 20. Juli 1852 anhängige, gerichtlich-polizeiliche Voruntersuchung gegen I o h a n n e s Ienk, von Bümplitz, Poftkondukteur zu Bern, weg..n Anklage auf Diebstahl, wurde dem Generalanwalt am

17. November .l 852 durch die Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern , als in die eidgenössische Iustiz gehörend, überwiesen.

4) Eine andere , ebenfalls bereits eingeleitete ge-

richtlich-polizeiliche Vornnterfnchung gegen K a s p a r H u n z i k e r , von Kirchlerau, Kantons Aargau, Briesträgerches in Bern, wegen Anklage auf Unterschlagung.

in amtlicher Stellung, wurde am 24. November, als in den Bereich der eidgenössischen Iustiz fallend, ebenfalls von der bernischen Anklagekammer dem Generalanwalt zugestellt und aus dessen Antrag unterm 29. November 1852 vom Bundesrath zu strafrechtlichem Einschreiten von Bundes wegen überwiesen.

5) Eine gerichtlich-polizeiliche Voruntersuchung gegen Philipp A l e x a n d e r M a r r o , Postremisenfaktor in Freiburg, pnnclo Diebstahles auf dem Poftbürean zu Freiburg, wurde am 19. Dezember von Seite der Iustizdirektion von Freiburg dem Generalanwalt zugestellt,.

670 und der Fall auf dessen Begutachtung den 20. Dezember .1852 vom Bundesrath .an die eidgenössische Iustiz ge wiesen , und durch Entscheid der Anklagekammer ist die gerichtliche Versolgung wegen Mangel genügender .Indieien aufgegeben worden.

Der fernere Verlauf der lezt benannten vier StrafUntersuchungen fällt in den Iahresbericht 1853.

b. S t r a f u n t e r f u c h u n g e n , welche nicht dem eid.g.

U n t e r s u c h u n g s r i c h t e r ü b e r m i t t e l t wurden.

Unter diefe Abtheilung gehören jene Untersuchungen, welche aus irgend einem Grunde, fei es deßhalb, weil keine oder zu wenig Inzichten gegen einen Beamten vorlagen, oder deßhalb, weil der Fall offenbar in den Bereich der Kantonalrechtspflege gehörte, oder deßhalb, .weil er zwar in die Kompetenz der Bundesbehörden, aber .nur in die disziplinarische Kompetenz der Verwaltungsbehörden gehörte und dahin gewiesen werden mußte, nicht durch den eidgenössischen Untersuchungsrichter geführt wurden.

Dahin gehören folgende Fälle: 1) Unterm 21. Mai wurde dem Generalanwalt durch das eidgen. Iustiz- und Polizeidepartement eine von der St. Gallischen Kantonalbehörde aufgenommene weitläufige Untersuchung über einen in der Nacht vom 8. Ianuar 1852 im Rorfchacher Kornhause, auf dem dortigen Zollbüreau stattgefundenen bedeutenden Kassadiebstahl von Fr. 4,853. 64 zur Begutachtung überreicht. Diefe

Untersuchung, welche sich auch über eine allfällige Schuldausmittlung, .welche die Person des dortigen Zollein.nehmers Frei berührte, ohne Resultat ausgedehnt

67 l hatte, wurde vom Bundesrath aus dem Grunde nicht an die eidgenössische Iustizbehörde gewiesen, weil zu wenig Inzichten gegen einen dortigen Zollbeamten fich heraus.gestellt hatten, so daß es fich nur noch um die civilrechtliche Verantwortlichkeit des Zolleinnehmers Frei handeln konnte.

2) Ein zweiter F.all betraf eine Untersuchung über die Entwendung eines Groups Baärfchaft im Dezember 1851 zwischen .Bern und Vivis. Der Generalanwalt beantragte im Iänner 1852 die daherige, den Kondukteur Magnai n theilweise betreffende Untersuchung, fallen zu lassen.

3) Am 25. August 1852 überwies die bernische Anklagekammer dem Generalanwalt eine bereits durch den Untersuchungsrichter von Konolfingen eingeleitete Straf-

untersuchung gegen Peter Flükiger im Gwätt bei Wyl, gewesener Postablagehalter daselbst, puncto Verl e z n n g des P o s t g e h e i m n i f f e s zu strafrechtlichem Einschreiten nach Art. 4 des Bundesftrafprozesses. Da der .Generalanwalt der Anficht war, es gehöre dieser

Fall nach Art. 10 und 11 des Postregalgefezes in die adminiftrativ-disziplinarifche Kompetenz des Postdeparten.ents , fo überwies er lezterem die Akten , erhielt jedoch diefe.lben am 26. November 1852 .mit dem Anftrage zurük., dieselben der bernischen Anklagekammer .zur Aburth.eilung durch die bernifchen Gerichte zurük zu stellen , weil Flükiger längst aus dem Postdienste getreten und fich überhaupt der Fall aus formellen und materiellen Gründen nicht zur bundesstrafrechtlichen Behandlung eigne. Es entstand nun ein Kompetenzkot.flikt, indem die Anklagekammer mit Schreiben vom 8. Dezember auf ihrer frühern Anficht beharrte und die Akten zurükwies.

672 Der Generalanwalt, die Anficht der Anklagekammer theilend, überwies den Fall neuerdings dem eidgenössischen Pofidepartement, welches mit Schreiben vom 19.

Dezember den Generalanwalt mit der Vervollständigung der Untersuchung beauftragte, welche durch den Untersuchungsrichter von Konolfingen leider ohne Erfolg vorgenommen wurde, so daß die Untersuchung, deren Erledigung in den Iahresbericht von 1853 fällt, von Seite des Postdepartements endlich ans administrativ-Disziplinarischem Wege ausgegeben wurde.

4) Mit Schreiben vom 8. November 1852 übersandte die Regierung von St. Gallen gegen einen I. B. G r a f ,

Briefträger in Untertoggenburg, pnncto Gelddiebstahl, einige polizeiliche Vorunterfuchungsakten zum Behufe des strafrechtlichen Einschreitens von Bundes wegen.

Auf den Antrag des Generalanwaltes, daß diefer Fall in die Kantonalstrafgerichtsbarkeit falle, weil Graf nur der Gehilfe eines angestellten Briefträgers und nur von l e z t e r e m angestellt war, wurden die Akten der Regierung von St. Gallen, als in die kantonale Kompetenz fallend, am 12. November zurükgesandt.

B. Fiskalische

Die Uebertretungen fiskalischer und polizei-

....d politiche licher B u n d e s g e f e z e über das Zollwesen, das PostStrafunter..

d Pulverregal füllten einen bedeutenden Theil der suchungen.

g

Thätigkeit der Bundesanwaltfchaft aus. Wiewol das

Bundesgesez vom 30. Inni 1849 in der Abficht erlassen wurde, ein g l e i c h f ö r m i g e s Verfahren bei Uebertre-

tungen fiskalischer und polizeilicher Bundesgefeze anzuordnen, fo konnte doch diefer Zwek nur soweit erreicht werden als die jeweiligen Uebertretungen und die bezüglichen Departementalstrafentscheide nicht nach Art. 16

673 leg. clt. an die Kantonälgerichte gewiefen wurden, sondern durch die polizeilich-administrative Strafkompetenz.

der obern Verwaltungsbehörden erledigt werden konnten, was überall da stattfand, wo die jeweiligen Geldbußen und Strafprotokolle von den Uebertretern als richtig anerkannt wurden.

Sobald jedoch fiskalische Straffälle an die Kantonal gerichte gewiesen werden mußten , was bei den meisten bedeutenderen von den vielen vorkommenden Fällen stattfand, so zeigte fich fast in allen Kantonen, troz den im Gesez vom 30. Inni 1849 Art. 16, 17 seq. vorgeschriebenen allgemeinen Grundsäzen über das Verfahren, z. B. der S u m m a r i t ä t , der O e f f e n t l i c h k e i t und

Mündlichkeit, des kontradiktorischen Verfahr e n s . u . s. w. ein durchaus, sowol in Beziehung auf das Verfahren selbst, als auch auf den Kostenpunkt höchst verschiedenes Procedere.

In einigen Kantonen, wie in Genf, urtheilt über fiskalische Bundesgesezübertragungen eine Jury, welche nicht gehalten ist, über die Erwägungen ihrer Verdikte sich durch Aufstellung von Entscheidungsgründen anszuweisen, eine Iury, welche durchaus nicht an einen f o r m e l l - j u r i s t i f c h e n Beweis gebunden ist, und die dieses dadurch in der Regel beurkundet,. daß fie z. B.

nur selten die im Art. 7 des Fiskalverfahrens grund-

säzlich aufgestellte juristisch -formelle "volle Beweisk r a f t " eines nach den Art. 2, 3, 4 und 5 leg. cit.

gesezlich und formgerecht abgefaßten Strafprotokolles anerkennt, was nothwendig dahin sühren muß, daß in fraglichen Gränzkantonen der Schmuggel selten bestraft wird, so daß in der R e g e l die in Genf angehobenen Zollübertretungsprozesse auch bei dem besten Rechte verloren gehen.

^

674 In andern Kantonen urtheilt ein Polizeigericht in g e h e i m e m , schriftlichem V e r f a h r e n , so im Kanton Solothurn, woselbst der Bundesanwaltschaft (freilich

erst seit 1853) das Recht bestritten wird, gegen freisprechende Urlheile (sei die Summe und die Buße so hoch sie wolle), zu appelliren und vor Gericht Vorträge zu halten.

Jm Kanton Bern urtheilt in erster Jnfianz ein .Einzelrichter, und zwar fast ausschließlich nach den durch das bernifche Strafverfahren von 1850 vorgeschriebenen Prozeßformen, wobei entgegen den Bestimmungen des eidgenöffifchen Fiskalverfahrens, außer der zuläßigen Appellation, beziehungsweife Kassation, vor das bernifche Obergericht, auch dieRevifion (ein nach dem Fiskalverfahren unzuläßiges Rechtsmittel) ohne alle Rüksicht auf die vorgeschriebene Summarität in Anwendung gebracht wird.

Jn den Kantonen Basel, Schaffhausen, St. Gallen u. s. w. urtheilen die betreffenden Polizeigerichte in ZollÜbertretungen ebenfalls mit zu geringer Würdigung vollkräftiger und rechtsförmlicher Prozeßverbale, entgegen dem

Art. 7 des Fiskalverfahrens, und die gewöhnlichen Motive freifprechender Urtheile find der sogenannte Mangel der d e l o s e n Absicht, welcher gesezlich den Richter keineswegs zur Freisprechung bei erwiesenem Thatbestand einer Zollübertretung berechtigt, sondern

höchstens zu einem Nachlaß, beziehungsweise Ermäßigung der Buße durch den Bundesrath (Art. 51 des Zollgesezes, Art. 112 d.er Instruktion an die Zollbehörden u. s. w.)

dem Uebertreter einen Anspruch gibt. Alle diese Uebelstände können freilich theilweise vom eidgenössischen

675 Kassationsgericht gehoben werden. Allein eben nur theilw e i f e , da durch den Art. 18 des Fiskalverfahrens, bei zuläßig erkannter Kassation, ein neues Gericht eines andern Kantons , in welchem in der Regel dieselben Grundsäze gelten, ...ine kassirte Fiskalprozedur neuer-

dings ab schließlich beurteilte.

Die amtliche Tätigkeit des Generalanwalts bei fiskalifchen und polizeilichen Bundesgesezübertretungen bestand hauptsächlich in der Abfassung von A k t e n berichten und Rechtsgutachten bei zweifelhaften oder litigiös gewordenen Straffällen. Der Unterzeichnete fand es notwendig, in seinen Berichterstattungen an das Departement sowol die faktischen A k t e n e r g ebnisse, als die auf das Gesez fich stüzenden Erwägungen möglichst vollständig aufzunehmen und zwar hauptsächlich aus dem Grunde, damit, wenn die betrefsenden Strafprozesse angehoben wurden, der Bericht und das Gutachten des Generalanwalts zugleich der Zolldirek.ion des Bezirkes, wo das Vergehen stattfand, und dem Anwalt, dem der Prozeß von lezterer übertragen wurde, als Grundlage der anzuhebenden Klage dienen konnte.

Durch jenes häufige Unterliegen der eidgenöffischen Zollverwaltung vor kantonalen Gerichten und abgesehen von d..n bedeutenden , dadurch erwachsenden Kosten ist vorzüglich der moralische Nachtheil, welcher dem ganzen Institute des eidgenössischen Zollwesens erwächst, in Berükfichtigung zu ziehen. Der Unterzeichnete sieht nur ein Mittel, wie diesen Uebelständen abgeholfen werden könnte , nämlich die Revision des Gesezes über das Verehren bei fiskalischen Bnndesgefezübertretungen vom 30. Iuni 1849. Weit entfernt zu wünfchen, daß folche

676 Straffälle der Kantonalgerichtsbarkeit gänzlich entzogen werden sollten, glaubt der Unterzeichnete dennoch, daß den Kantonen g e n a u e und u m f a f s e n d e Vorschriften über das Verfahren in einem v o l l s t ä n d i g e r e n Gefeze ertheilt werden , so daß das Bundesgericht als ein eid-

genössischer Appellationshof in solchen Fällen nicht bloß als K a f f a t i o n s h o f aufgestellt würde.

Nach diesen allgemeinen Vorbemerkungen gehen wir über zu der Betrachtung der einzelnen während dem Iahre 1852 vorgekommenen Straffälle.

Zollübertre..

tnngen.

Gutachten wurden während dem Iahre 1852 über Zollübertretungen und über allgemeine auf das Verfahren

a. Gutachten. bei denselben bezügliche Rechtsgrundsäze u. s. w. im Ganzen 6l erlassen.

aa. Allgemeine Von den 60 Gutachten in Zollfachen betreffen 5 allGn.achten.

gemeine, auf das Zollwefen und das bezügliche Verfahren fich beziehende Punkte, z. B. die Ausfertigung der Verbalprozesse und Strafprotokolle, die Frage der Strafumwandlung, die Zulässigkeit des Präventivverhaftes, die Exekution von Urtheilen u. dgl.

I..b. Spezial-

sälle.

Die Begutachtung der Spezialfälle umfaßte theils

die Fragen über die gerichtliche Verfolgung überhaupt, theils über die Ergreifung von Rechtsmitteln (Appellation und Kassation), theils über die Urtheilsvollziehnng, theils . über Aktenvervollständigungen zu erlassende Departementalentfcheide, Kompetenzkonflikte u. s. w.

Unter denselben befindet fich der Straffall Pierre, Wirth in Vautenaivre bei Saignélegier, Annoto Weinschmuggel, der wegen eonnex mitbehandelter Untersuchung gegen den Zolleinnehmer B r o f f a r d , punito Amts-

677 mißbrauch, zu einem K o m p e t e n z k o n f l i k t e zwischen den bernischen und Bundesbehörden und zu einer Korrespondenz zwischen dem Bundesrath und der Regierung von Bern u. s. w. Anlaß gab, welcher Kompetenzkonflikt nach Maßgabe des Art. 14 seq. des Verantwortlichkeitsgesezes vom 9. Dezember 1850 dadurch erledigt wurde, daß die Regierung von Bern erklärte, das gegen den Zolleinnehmer Brossard bundesgefezwidrig erlassene Urtheil nicht erequiren zu wollen.

Unter den übrigen Spezialfällen verdient namentlich der am 26. Hornung 1852 von dem Appellationsgerichte von Basel leztinstanzlich abgeurtheilte und zu Gunsten des Defraudante entschiedene Strafprozeß auf Zollver-

schlagung gegen das Handlungshaus Geigy und Bernoulli von Basel wegen falfcher Deklaration von Colophonium mit "Harz^ hervorgehoben zu werden. Die daherigen Prozeßverhandlungen erschienen im Druk und es war die Tendenz des Herausgebers: die Grundfäze, welche das Handels- und Zolldepartement leitet, als

"drükende Rükfichtslofigkeit" und "Unbilligkeit" darzustellen und zu bekritteln.

E.... zeigt diefer Prozeß so recht die häufig fich wieder.holende Tendenz und Anschauungsweise einzelner Kantonalgerichte, Zollübertretungen niemals als formelle Polizeivergehen, was sie doch theilweife find, anzusehen und überall freizusprechen, wo eine A b f i c h t (ein dolus) auch bei dem klarsten Beweise über das Faktum und bei dem Vorhandensein eines formellen Tatbestandes, nicht e i n g e s t a n d e n oder durch andere Indizien erwiefen ist.

Wie wichtig es aber ist, daß man Zollübertretungen als .formelle P o l i z e i v e r g e h e n behandle, und wie es das Gesez erfordert, nicht überall eine Abficht oder einen Dolus als zur Bestrafung notwendig vorausseze, be-

^

678 weis namentlich die Behandlung des Straffalles Geigy und Bernoulli zur Genüge ; denn unter dem Dekmantel des Irrthums und unter dem Nimbus eines kaufmännischeu guten Rufes ließen sich gerade die ärgsten Zollübertretungen und Schmuggeleien in großartigem Maßftabe ausführen, wenn die Grnndfäze des bafelfchen Appellationsgerichtes und mancher gleichgefinnter Kantonalgerichte die richtigen wären, und auch von der Bundesbehörde als solche anerkannt werden müßten.

.b. KassationsI) Gegen ein Urtheil des Appellationsgerichtes von begehren beim Schaffhausen vom 23. Inli 1851 verlangte ein gewisser eidg. Kassa-

B e r n h a r d Mag er, welcher wegen einer. Einschwärzung von Wagen und Pferden zu einer Zollbuße verfällt worden war, die Kassation. Das fragliche Urtheil wurde wirklich vom Kassationsgericht am 26. Iuni 1852 kassirt, weil von dem Advokaten der Zollverwaltung die Klage zu einer Zeit eingegeben worden war, nachdem der Strassall fchon verjährt gewefen.

2) Am 1. Dezember 1852 wurde gegen ein Urtheil des korrektionellen Gerichtshofes zu Genf vom 5. No-

vember 1852 in Sachen gegen Iules Bally, Wirth zu Meirin, punoto Weinfchmuggel, aus dem Grunde die eidgenössische. Kassation ergriffen, weil die Genfer Jury einen rechtsförmlichen Prozeßverbal nicht.als vollbeweiskräftig anerkennen. wollte..

3) Am 16. Dezember. 1852 gab der Generalanwalt gegen ein Urtheil des korrektionellen Gerichtshofes. von Genf vom 1. Dezember 1852 in Sachen gegen Iofepl) Cattin, Fuhrmann, und Iulius Dupont; Handelsmann in Genf, punctn falfcher. Gewichtsangabe, eine Kassationsbefchwerde ein, weil das benannte Urtheil gegen verschiedene gefezliche Bestimmungen fich verstieß und weil auch hier wieder ein rechtsförmlicher Prozeßverbal nicht als vollbeweiskräftig anerkannt wurde.

679 Die beiden lezten Kassationsfälle werden erst 1853 entschieden werden.

Außer dem bereits hievor snh b, 1 erwähnten Vor- c. Plädoyers trag vor dem eidgenössischen Kassationsgericht vom 26. vor dem eidg.

Iuni 1852 in Sachen Mager fand kein Vortrag über Kassationsgericht

.eine fiskalifche oder polizeiliche Bnndesgesezübertretung vor den Schranken dieses Gerichtes statt.

Im Iahre 1852 kamen drei Pofiregalsübertretungs- Postregalüber..

fälle zur Behandlung, nämlich: iretungen.

1). Am 6. Februar 1852 behandelte der Bundesrath das Nachlaßgesuch desUlrich Kuhn, Lohnkutscher, von Rheinek, welcher von St. Gallischer Gerichtsbehörde wegen Verlezung des Postregals bestraft worden war.

2). Am 11. Februar 1852 berichtete der Generalanwalt über die Kostenfrage in einer vom Polizeigericht in Laufanne beurtheilten Postregalübertretung des Lohnkntschers B r é d a z , wobei, obgleich die Poftverwaltung in der Hauptfrage obsiegte, fie dennoch die Kosten des.

Prozesses auf sich zu tragen hatte. Es wurde von einer fernern Verfolgung der Sache abstrahirt.

3) Die Poftregalverlezung eines Omnibusführers L e i p z i g in.Basel, welche auf den Antrag des Generalanwalts auf die Bußezahlungsverweigerung Leipzigs an die aargauischen Gerichte gewiesen. wurde, wo die.Sache pendent ist.

Während dem Iah.re 1852 (20. November 1852) kam Pulverregal.

nur ein einziger Pulverregalübertretungsfall vor gegen übertretungen.

Luigi Guillazoni und Giufeppe A n d r e a z z i in Lugano. Die Erledigung des Falles fällt in das Jahr 1853. (Sie haben sich unterzogen.)

Unter diefe Rubrik gehören jene Fälle, in denen das C. Administra

Gutachten des Generalanwalts über disziplinarifche Be- div=disziplinarische Strafsälle.

.680 strafung von eidgenössischen Beamten durch die betrefsenden Verwaltungsbehörden eingeholt wurden, nämlich: 1) Gehört hiezu ein Straffall gegen den Zolleinnehmer B r o s s a r d in Vantenaivre wegen Amtsmißbrauch bei einer Beschlagnahme ; welcher Straffall zu dem bereits oben erwähnten Kompetenzkonflikt Anßla gegeben hat.

2) Ein Strassall gegen Postpferdhalter Bischofs und Postillon I o s e p h R u c k s t u h l i n Rheinfelden , wobei der Generalanwalt mit Gutachten vom 3. Dezember 1852 an das Postdepartement, gegen Bischoss wegen Reglementsverlezung auf eine Ordnungsbuße und gegen Ruckstuhl wegen Ungehorsam gegen den Kondukteur auf Ordnungsbuße und Entlassung antrug.

3) Auf administrativ -disziplinarischem Wege wurde auch der bereits oben erwähnte Strassall des Flükiger, Postablaghalter in Wyl, welcher ebenfalls Anlaß zu einem Kompetenzkonflikte gegeben hatte, erledigt, welche Erledigung jedoch erst in das Iahr 1853 fällt.

II. Eivilstrei1) Eine weitläufige Untersuchung erforderte die Betigkeiten.

gutachtung der Frage: "In wie weit der Zolleinnehmer a. Gutachten.

F r e i zu Rorschach zum Ers.aze des Betrages des aa. An das Justiz und Po. Rorfchacher - Kassendiebstahls per Fr. 3397. 55 verIizeideparte.ment.

pflichtet sei."

Der Bundesrath überwies die Beurteilung des Falles den St. Gallischen Gerichten.

2) Als eine rein eivilrechtliche Frage wurde mit Gut-

achten vom 11. August 1852 ein Rechtsstreit zwischen Basel-Landschaft und A a r g a u , betreffend die Zusprechung eines in dem Gefängniß zu Liestal erzeugten und gebornen Kindes einer aargauischen Bürgerin I a k o b e a G a n t n e r behandelt, wobei zu bemerken ist, daß das Begehen Bafel -Landschafts, daß die Sache

681 als eine Heimathlosenangelegenheit vom Bundesrath behandelt werden möchte, nach dem Gutachten des Generalanwalts vom Bundesrathe abgewiesen wurde.

3) Cin Gutachten vom 7. Juli an das Finanzdepar- bb. Um das tement betraf die Frage: Oh der Bund in der Erbschaft Finanzdep.........

G r e n u s zu Genf auch jene Erbshandänderungsge- tement.

..bühren von den Legaten bezahlen müsse, über welche der in Sachen zwischen dem Bund und dem Grenus'schen Legatarerben Albert Moriz Edmund von Grenus vom .Bundesgerichte am 29. Juni erlassene Entscheid kein Dispositiv getroffen, welche Frage b e j a h e n d beantwortet wurde.

4) Ein am 6. August an das Finanzdepartement gerichtetes Gutachten betraf die Frage: ob nach allgemeinen Rechtsgrundfäzen und insbesondere nach der schwyzerischen Gesezgebung der Bund das Recht habe, die rükständigen Sonderbundskriegsfchnldrat..n des Kantons Schwyz mit den diesem Kantone zu gut kommenden Postregals- und Zollentschädigungssummen zu verrechnen, was bejahend beantwortet wurde.

Diese Frage erledigte sich später von selbst, indem die Regierung von Schwyz nach erfolgtem Nachlaß der Kriegsschuld die Reklamation zurükzog.

5) Von den vermiedenen an das Poftdepartement ce. Um dass erlassenen Gutachten betrafen einige die Fragen von Ver.- Postdeparteantwortlichkeit von Postpferdehaltern, von Entschädigungs- ment.

forderungen, Reklamationen Dritter u. f. w., das Recht Dritter auf Beschlagnahme von der Post anvertrauter Gegenstände u. dgl.

Befonders erwähnt zu werden verdient ein Bericht und Gutachten vom 24. Mai 1852, betreffend den Prozeß zwifchen B a f e l - L a n d f c h a f t , Kläger, gegen den Bund eventuell B a f e l - S t a d t ,

.Beklagte, puncto Erhöhung der PostregalsentBundesblatt. Jahrg. V. Bd. II.

55

l

682 schädigungsforderung von Seite Basel - Landschaft.

Es wurde begutachtet, in keine Streitgenossenschaft mit Bafel-Stadt einzutreten, sondern Basel-Stadt als Litisdenuneiaten zu betrachten und ihm den Streit zu verkünden, welcher Antrag vom Bundesrath genehmigt und vollzogen wurde. Der Prozeß ist pendent.

6) Eben so wurde in verschiedenen Berichten undGutachten eine verwalte Streitsache zwischen einem Handelsmann B a n d o l f i in Genf und der Poftadminiftration behandelt, welcher Streit den Etsaz eines Manco in einem Geldgroup betraf, das mit der Post von Genf nach Puschlav befördert wurde.

Der Generalanwalt trug auf Abweifung des Begehrens von Bandolfi an, und leitete durch Requisition an die Behörden von Pufchlav und Genf die von dem Postdepartement angeordnete postalifch-administrative Voruntersuchung. Die Sache wurde während dem Iahre 1852 nicht erledigt; aber im Mai l853 gütlich dadurch

beseitigt, daß Bandolfi fich mit einem Theil der reklamirten Summe von Fr. 800 begnügte.

.dd. An das

7) Unterm 10. September l852 reichte der Unter-

^ande.s und zeichnete dem Handels- und Zolldepartement ein GutZolldeparte- achten über die Fraae der zivilrechtlichen Haftbarkeit des Herrn Louis Marning, Baumeister in Bafel, ein, für die Zurücksezung eines von Marning vertragswidrig konstruirten Zollrevifionsschuppens in Rheinfelden, und die Erekution eines darüber erlassenen bestrittenen schieds-

m e n t .

^

richterlichen Urtheils.

c. Plädier vor Bundes-

Am 29. Inni 1852 trug der Generalanwalt im Namen de.r schweizerischen Eidgenossenschaft, beziehungs-

t

weife der Grenus'schen Jnvalidenkasse, als Beklagter vor den Schranken des schweizerischen Bundesgerichtes die Verantwortung ans eine von Herrn Albert Moriz Edmund von Grenus in Genf angehobene Zivilklage vor.

683 Der Streitgegenstand betraf Fr. 22,400, welche der Bundesrath, Namens der Eidgenossenschaft, als Haupterbin des in Genf am 4. Ianuar 1851 verstorbenen Baron Franz Theodor Ludwig von Grenus für ein an den Kläger auszurichtendes Legat von Fr. 200,000 als Erbfchaftsabgabe von 11 1/5 % an den Fiskus von Genf hat bezahlen müssen, und welche Summe bei der Abzahlung des Legates von dem Bundesrath dem Legatar in Ausübung des Ri.kgriffsrechtes auf ihn war. abgerechnet worden.

Es war nämlich im Testamente vom 22. August 1850, Art. 3, die schweizerische Cidgenossenschast als Universalerbin des Vermögens von Baron von Grenus für Fr. 1,833,130. 75 eingesezt worden, unter der Bedin-

gung, daß fie alle ,, charges de l'hoirie" bezahle und verschiedene Legate ausrichte. Die Rechtsfrage war nun : Ob die Erbschaftsabgabe von 11 1/5 % welche von den Fr. 200,000, die an Edmund von Grenus als Legat ausgerichtet werden mußten, von dem Fiskus von Genf gefordert wurden, eine charge de l'hoirie, eine Last des Universalerben , oder nicht vielmehr eine charge du léga.aire particulier sei, welche bloß von dem Universalerben in erster Linie bezahlt werden mußte, wofür ihm aber das Rükgrisssrecht auf den Legatar zu Gebote stehe.

Für die Anficht der Eidgenossenschaft, welche geltend . machte , fragliche Handänderungsgebühr sei eine Last des Legates, hatten sich, gestüzt auf die genferische Gesezgebung, zwei Rechtsgelehrte von Genf, die Advokaten Dr. Cougnard und I. Goudet, in ausführlichen Rechtsgutachten ausgesprochen. Das Bundesgericht jedoch hat den Ausdruk ,, charge de l'hoirie" im ausgedehntesten Sinne verstanden und zu Gunsten des Legatarerben ausgelegt, so daß die Eidgenossenschaft verfällt wurde, die streitigen Fr. 22,400 dem Legatarerben Grenus auszubezahlen.

684 Dieser Spruch des eidgenössischen Bundesgerichts hatte die Folge, daß die Eidgenossenschaft auch die Erbsgebühren, welche von den übrigen Legaten an den genfer'schen Fiskus ausgerichtet wurden , auf sich tragen mußte.

Es ist dieß der einzige Vortrag, welcher vor dem schweizerischen Bundesgerichte in Civilsachen gehalten wurde, indem in dem zweiten Prozesse, welchen die Eidgenossenschaft zu bestehen hatte , während dem Iahre 1852, die Sache noch nicht zu einem bundesgerichtlichen Entfcheide gekommen war.

Da der Generalanwalt über diesen dritten Theil Ill. Heimathhörigleitsun.. seines Iahresberichtes, nämlich über das Heimathlosentersuchnngen, wesen, welches einen großen Theil seiner Amtstätigkeit und daherige während dem Iahre 1852 in Anspruch nahm, einen Prozesse.

besondern Bericht abgefaßt, welcher als selbstständiges Ganzes besteht, so wird auf den leztern verwiefen.

Diefer Gefammtüberblik kann nur unvollständig geGesammtüberblik der Arbei- geben werden, indem vom frühern Generalanwalt keine ten.

Gefchäftskontrole vorliegt.

Vom 8. Mai 1852 bis 31. Dezember 1852 weist die Kontrole folgende Zahlenverhältnisse aus :

a. eingegangene amtliche Schreiben .

.

. 550 wovon in Heimathlofenangelegenheiten 397 in andern Geschäften .

.

.

.153 b. abgegangene Schreiben und Berichterstattung e n

.

.

.

-

.

.

.

5 0 4

wovon in Heimathlofenangelegenheiten 314 i n andern Geschäften .

.

.

. 190 c. während dem Gefammtjahr 1852 wurden von der Bundesanwaltschaft an die einzelnen Departement folgende Rechtsgutachten, beziehungsweise größere Berichte erlassen :

685 1) an das Justiz- und Polizeidepartement

.

.

.

.

.

.

2

6

2) a n d a s P o f t d e p a r t e m e n t . . . 2 3 3) an das Handels- und Zolldepartement

.

.

.

.

.

.

.

4) an das F i n a n z d e p a r t e m e n t

.

.

6

0

.

3

Summa: 112 d. V e r h ö r e und K o n f r o n t a t i o n e n während dem Jahre 1852 in Heimathlosenunterfuchung e n

.

.

.

.

.

.

.

.

2 4 5

(wovon 239 in die Amtsdauer des Unterzeichneten fallen).

e. Kapiaturen und Aktenextrakte .

.

.142

II. B e i l a g e zum Bericht des Justiz- und Polizeidepartements.

B.

Besonderer Theil.

Heimathlosenwesen.

Bevor der Unterzeichnete in die Einzelnheiten der durch ihn mit dem 8. Mai 1852 an die Hand genommenen Bereinigung des schweizerischen H e i m a t h l o s e n .... ese n s eintritt, fei es ihm zum bessern Verständniß diefer umfangreichen und schwierigen Arbeit vergönnt, in einem Abrisse den Zustand des Heimathlosenwefens in der Schweiz, wie es vor und beim Beginne des Jahren

1852 sich zeigte, im Allgemeinen zu erwähnen.

686 Die frühere Erfahrung hat hinlänglich gezeigt, daß.

troz allen Bemühungen der frühern Tagfaznngen und Vororte zur Zeit vor der neuen Bundesverfassung, troz aller Konkordate und Kreisschreiben die Schweiz nie dahin kam, diesem Grnndübel der gesellschaftlichen Zustände mit wesentlichem Erfolg entgegen zu wirken.

Wenn auch in manchen Kantonen manches gethan wnrde, um dem einer guten össentlichen Ordnung sowohl, als den Erfordernissen der öffentlichen Moral widerstrebenden Uebel nach Kräften, fei es durch Einbürgerung einer Anzahl Heimathloser, sei es auf andere Weise abzuhelfen , so hat doch aus der andern Seite gar mancher Kanton gezaudert und sich wohl auch widersezt, dem schönen Beispiel seiner Mitstände nachzukommen und ahnliche Maßregeln zu ergreifen.

Allein anch da, wo etwas geschehen ist, auch da, wo ehemalige Heimathlofe eingeteilt oder eingebügert, oder doch als Toleraten anerkannt worden waren , zeigte sich die Erscheinung, daß Eltern und Kinder, man möchte fast fagen, dem natürlichen Instinkte einer wilden Freiheit folgend, ihr altes Nomadenleben fortsezten. Die nächste Folge davon war, daß eine große Menge von neuen Heimathlosen entstanden. Es konnte dieß um so leichter

geschehen, da die römisch-katholische Kirche ihr Möglichstes dazu beitrug, eigenmächtig und ohne Berüksichtigung der in allen zivilisirten Staaten geltenden Erfordernisse und angenommenen Grundsäze über Ehen, sowohl längst bestandene als neue Konkubinate mit dem Stämpel der kirchlichen Sanktion zu versehen und in Ehen umzuwandeln. So finden wir eine Menge zu Rom geschlossener Ehen. Die daberigen , oft auf Pergament geschriebenen und mit dem päpstlichen Sigill bekräftigten .populationsscheine, auf denen hie und da statt der ächten, die ange-

687 nommenen falschen Namen figuriren , waren nebst den römischen, zur Rükkehr ausgestellten Pässen in der Regel die einzigen Urkunden und Papiere, welche die in die Schweiz zurükkehrenden Heimatlosen bei sich trugen, aber gewöhnlich sorgfältig verstehen, damit dieselben nicht in

die Hände der Polizei fielen.

Dem Beispiele Roms solgten namentlich im Kanton Tessin und in den k l e i n e n K a n t o n e n , auch in den Kantonen Luzern, Solothurn und G r a u b ü n d e n manche katholische Pfarrer, und es hatten schon nach den frühern Konkordaten vom 3. August 18l9, vom 17. Heumonat 1828 und vom 30. Juli 1847 diese unredlichen Ehen die rechtliche Folge, daß Heimatlose den Kartonen zur Last fielen, wo solche Kopulationen stattfanden.

Die diplomatischen Korrespondenzen einiger Kantone mit dem hl. Stuhl, die schon zur Zeit des Bestehens jener Konkordate stattfanden, halfen natürlich nicht das Mindeste. Hatte doch der päpstliche Nuntius, Exzbifchos von Karthago, auf eine Note der Regierung von Unterwalden

nid dem Wald. vom 5. Oktober 1836 in einer Zuschrift vom 26. gleichen Monats über diesen Gegenstand Folgendes geantwortet : " Der hl. Vater, welcher in seiner "Eigenschaft als Oberhirte über alle Gläubigen (pasteur "universel de tous les li.1e.es) das Recht hat, für ihr "Seelenheil zu forgen, welches auch das Land fei, dem "sie angehören, kann nicht zulassen, daß diese Gläubigen, ,,welche sich in G e w i s s e n s f a c h e n nach Rom verfügen,.

"dieselben nicht sollten in's Reine bringen können (arranger) "durch alle Mittel, welche ihnen die Kirche biete, und ,,selbst durch das Mittel der Ehe."

Es versteht sich, daß der hl. Stuhl mit diesen Grundsäzen keineswegs die Verpflichtung übernahm, die staatlichen Folgen solcher Ehen in irgend welcher Weise aus

688 sich zu tragen. So wollte die Regierung von Nidwalden im Jahre 1836 einen gewissen heimatlosen ehemaligen nidwalden'schen Toleraten H use r (obgleich er ehemals in Nidwalden tolerirt war), als einen Angehörigen des römischen Staates dorthin fortweisen, weil sie die Ansicht hatte, Huser habe zufolge feiner in Rom ohne Bewilligung der Regierung von Nidwalden stattgefundene Verehelichung auf das nidwalden'fche Toleranzrecht verzichtet, und sie wandte sich in diesem Sinne an den Nuntius, znm Behuse der Ausstellung eines Passes nach dem Kirchenstaate. Allein, wie vorauszusehen war, es wollte die Nuntiatur in diese Rechtsanfchauung nicht eintreten. Der Nuntius antwortete am 10. November 1836: "Die Ehe "gebe den Fremden weder Titel noch Rechte in dem Lande, ,,wo die Ehe eingegangen wurde , so daß man nicht an"nehmen könne, es seien dadurch die Fremden Angehörige "des Landes geworden, denn der Papst habe nicht in "seiner Eigenschaft als Souverän der römischen Staaten "eine solche Handlungsweise vorgenommen, sondern einzig "und allein als Oberhirte der Kirche, welcher, nachdem ,,er sür das Seelenheil seiner Herde (onailles) selbst ,,durch die Ehe gesorgt, ihnen dadurch nicht nur ein Asyl "darbiete, sondern sie selbst zwinge, es anzunehmen, um ,,sie unter seinen Schuz gegen jede Verfolgung zu neh"men , und um nicht Anlaß zu Klagen von Seite ihrer "Regierungen zu geben."

Wir haben obiger Stellen aus der erwähnten diplomatischen Korrespondenz absichtlich erwähnt, weil dieselbe ein amtliches Beleg ist über eine der Hanptursachen, welche in unserm Vaterlande das Vagantenwefen zum Theil erzeugt, zum Theil vermehrt und vergrößert hat. Diesem Uebelstande kann nach unserer Ansicht nicht anders entgegen gesteuert werden, als dadurch, daß man

689 solche Römerehen nicht nur in eivilrechtlicher , sondern auch in polizeilicher und strafrechtlicher Hinsicht dem Kon-

kubinate gleich stellt.

Ein anderer Uebelstand , der aus früherer Zeit in unsere jezige hinüber gekommen, ist die Art und Weise, mit der man srüher gegen Heimathlofe, um sie sich vom Halse zu schaffen, in vielen Kantonen verfahren ist. Statt die Vaganten über Herkunft und Verhältnisse zu verhören , hat mansichdamit begnügt, d i e f e l b e n von G r ä n z e zu G r ä n z e zu j a g e n , von Kanton zu Kanton, hinüber und herüber zu fchieben.

Allein weder diese polizeilichen Maßregeln, noch andere, wie Haarabschneiden und Stokstreiche , haben im Geringsten das Vagantenthum vermindert, indem fast alle Heimathlofen dadurch veranlaßt wurden, zu Verstellungskünsten ihre Zuflucht zu nehmen, ihre Namen von Zeit zu Zeit zu wechfeln, und überhaupt falfche Namen anzunehmen, um nicht Gefahr zu laufen, in jenen Kantonen, ans welchen sie einmal ausgewiesen worden, eine schärfere Behandlung zu erleiden.

Dieses Unwesen der Verheimlichung von Herkunst, Geburtsort, Verwandtschaftsverhältnissen u. s. w. hat sich aus der srühern Zeit bis in die jezige hinüber geerbt.

Die meisten, so zu sagen fast alle frühern Dnldnngsscheine, welche von der eidg. Bundeskanzlei, und später auch vom Bundesrath auf unvollständige Untersuchung hin provisorisch ausgestellt wurden, lauteten auf falsche Namen, und es war daher die Hauptaufgabe der B undesanwaltschaft , aus diesem unendlichen Chaos von Lügen, falschen Angaben und absichtlich salschen Depositionen anderer Heimathlosen , die man zum Aufschlußgeben ersucht hatte, sich herauszuwinden , was nur dadurch möglich war , daßsichdieselbe eine möglichst genaue Kenntniß

690 der Gefammtheit der Heimathlofen-Unterfuchnngen, die zu erledigen waren, und die zum Theil schon früher Gegenstand von Kantonal- und Tagsazungsverhandlungen n. s. w.

ohne Ersolg gewesen, durch das Studium sämmtlicher vorhandener Akten zu verschaffen suchte, um einen Gesammtüberblik und Anhaltspunkt in der Untersuchung zu gewinnen.

Die frühere Erfahrung hat gezeigt , daß das getrennte Behandeln einzelner Untersuchungen meist fehr unfruchtbar geblieben. Die Beobachtung des Unterzeichneten hat jedoch immer mehr die Erfcheinnng heransgestellt, daß eine

große Anzahl der als heimathlos in der Schweiz sich herumtreibenden Vagantenfamilien unter sich durch den häufigen Wechsel der Konkumbenten in einer verwandtfchaftlichen Beziehung, daher auch in Bezug auf die bei der Einbürgerung gesezlich geltenden Grundfäze in einer solchen Konnexität stehen, daß nur eine möglichst zufam-

menhängende und möglichst gleichzeitige Untersuchung zu einem wesentlichen Resultate führen kann.

Die frühern vorörtlichen Kreisfchreiben , z. B. diejenigen vom 1. Brachmonat 1842 und 1. Hexbstmonat 1842, waren weniger daranf ausgegangen eine gemeinschaftliche Unterfuchung über alle fchweizerischen Heimathlosen anzuordnen, als vielmehr dahin zu wirken, die einzelnen Kantone zur bürgerrechtlichen Versorgung nach den Bestimmungen der Konkordate vom 3. Angust 1819 und 17. Heumonat 1828, da , wo es noch nicht gefchehen , aufzufordern und dem Vororte Verzeichnisse von Heimathlofen, Convertiten, Tolerirten und Landsaßen zur Gewinnung einer grössern Uebersicht einzuschiken und davor zu warnen , daß einmal eingeteilte Heimathlose sich neuerdings dem herumschweifenden Leben.

69l Eben so wenig gelang es den durch die Konkordate

vom 17. Henmonat 1828 und 30. Heumonat 1847 ausgestellten vorörtlichen Kommissionen, die Heimath- oder Duldungsrechte der sich in der Schweiz befindenden und von keinem Kanton anerkannten Heimathlofen in derjenigen Ausdehnung zu ermitteln, die wünfchbar gewesen wäre.

Nur gering ist die Zahl der von dem eidg. Schiedsgerichte beurteilten Fälle, und die Arbeiten der vorörtlichen Kommissionen waren nur vereinzelte.

So war der Zustand des schweizerischen Heimathlosenwesens zur Zeit, als die schweizerische Bundesversammlung am 2l. Dezember 1849 den Bundesrath beantragte,

einen Gesezesvorfchlag zur Ausführung des Art. 56 der Bundesverfassung vorzulegen , nach welchem Artikel die Ausmittlnng von Bürgerrechten für Heimathlofe und die Maßregeln zur Verhinderung der Entstehung neuer Heimathlosen Gegenstand der Bundesgesezgebung geworden war.

Mit fraglichem Beschluß wurde die srühexe Heimathl o s e n k o m m i s s i o n durch den Bundesrath, und das

frühere eidgenössische Schiedsgericht durch das Bundesgericht bis zum Erlaß des neuen Gesezes provisorisch exsezt; es konnten jedoch während dieser Zwischenperiode bis zum 3. Dezember 1850, als das. Bundesgesez über die Heimathlosigkeit erlassen wurde, keine bedeutenden Maßregeln getroffen, fondern nur vorbereitet werden. -B e v o r das fragliche Gesez erlassen war, welches das Verdienst hat, die bei dem Entscheide über die Einbürgernng Heimathloser maßgebenden Verhältnisse, theils nach den Grnndfäzen früherer Konkordate genau ausgeschieden zu haben, hat sich der B u n d e s r a t h damit befaßt, den frühern Uebelständen, in Anwendung polizei-

^

^692 licher Maßregeln von Seite der Kantone abzuhelfen. Es

gefchah dieß vorzüglich durch die Kreisfchreiben vom 16. Januar und 14. Februar 1850. Der Bundes^ .-

ratb. sah als das einzig wirksame Mittel eine thätige

Handhabung der Fremdenpolizei in den Kantonen.

Gleichzeitig wurden die Kantone zur vorläufigen Duldung von Heimathlofen , die nicht vom Auslande hereingekommen und zur Berichterstattung aufgefordert, fowol über die Zahl, als über den Aufenthalt der Heimathlofen , als auch über ihre Personalverhältnisse, allfälligen Schriften und Ausweifen, die sie bei sich tragen. Die Kantone wurden aufgefordert, Verzeichnisse der Heimathlofen in drei abgesonderten Tabellen einzusenden , nämlich : 1) Der T olerat e n, aber nicht bestimmten Gemeinden

zugetheilten; 2) der Heimathlosen, welche bestimmten Gemeinden zu-

getheilt sind; 3) derjenigen, deren Angehörigkeit zwischen den Kantonen streitig ist.

Eben so wurden die Kantonsbehörden um Aufschluß über

die rechtliche Stellung ersucht, in welcher sich die Heimathlosen gegenüber dem Kanton und den Gemeinden befinden.

Die von den Kantonen eingesandten Verzeichnisse waren ziemlich unvollständig, denn es wurden^.nur jene Heimathlosen in dieselben ausgenommen, welche im strengsten Sinne des Wortes in eine jener Rubriken^gehöxten, und bei einigen Kantonen auch diese nur unvollständig.

Die große Anzahl jener Heimathlosensamilien aber erschien nicht darauf, die als eigentliche Vaganten nirgends zugetheilt, nirgends anerkannt und geduldet und auch noch nicht zwischen einzelnen Kantonen streitig waren.

Wiewol nun eine Menge von Toleraten und Kinder .früherer Eingeteilter sich ebenfalls neuerdings dem Vagan-

693 tenleben ergeben hatten, falsche Namen angenommen, im Konkubinate gelebt hatten, so ist doch die Anzahl jener Heimathlosen , über welche die eingesandten Tabellen durchaus keine Anhaltspunkte boten, ebenfalls fo bedeutend, daß die Untersuchung über dieselben erst recht den Umfang diefer Arbeit ermessen ließ.

Die Ertheilung von p r o v i f o r i f c h e n Duldungsfcheinen an eine Menge von Heimathlofen war feit dem Anfang des Jahres 1850, um die frühern Hin- und Herschiebungen zwischen den Kantonen zu verhindern, zur unumgänglichen Notwendigkeit geworden. Diese Dul-

dungsfcheine, die hauptsächlich auf den Grnnd des längsten und lezten Aufenthalts gestüzt, nicht wie diejenigen, welche früher von der vorörtlichen Bandeskanzlei ausgestellt wurden, auf die ganze Schweiz, fondern nur auf einzelne bestimmte Kantone lauteten, - diese Duldungsscheine hatten das Gute, daß die deßhalb mit den Heimathlosen veranstalteten Verhöre , wenn sie auch zu einer definitiven Eintheilung durchaus nicht genügten, doch wenigstens zu der spätern umfassenden Untersuchnng Anhaltspunkte boten, und daß das Hin- und Herjagen diefer Leute dadurch, wenn auch nicht ganz gehoben, doch bedeutend vermindert wurde.

Seit dem 20. April 1850 bis zum Ende des Jahres 1851 wurden an 41 verschiedene Heimathlose , beziehungsweise Heimathlosenfamilien, vom Bundesrathe provisorische Dnldungsfcheine auf verschiedene Kantone der Schweiz ausgestellt; nämlich an 34 Mannspersonen, 35 Weiber und 77 Kinder, zufammen an 146 Personen.

So vorteilhaft diefes für die Bereinigung des Heimathlofenwefens während dem Jahre 1852 war, so hatte es doch anch seine Nachtheile; denn es waren, wiebereits bemerkt, sehr viele dieser Duldungsscheine ans

694 falsche Namen ausgestellt, was zu allerlei Verwiklungen und Mißverständnissen und auch zu unangenehmen Korrespondenzen mit den Kantonalbehörden , welche solche .provisorische Zuweisungen nur mit Widerwillen aufnahn.en, Anlaß gab.

Während dem Jahre 1851 und feit Erlaß des Bundesgesezes über die Heimatlosigkeit hatte der Bundesrath serner noch sich veranlaßt gesunden, die eidgenössischen Stände auf einzelne Erfcheinungen aufmerksam zu machen, welche zum Theil eine Folge des neuen Gesezes waren.

C.s zeigte sich nämlich, daß aus den N a c h b a r s t a a t e n V a g a b u n d e n in die Schweiz eindrangen, vermutlich im Cinverständniß und herbeigelokt von den hierscitigen

Heimathlosen, in der Absicht, diese Eigenschaft ebenfalls.

vorzuschüzen und dadurch die Vortheile des erwähnten Gesezes sich anzueignen.

Der Bundesrath sand sich daher veranlaßt, mit Kreisschreiben vom 13. O k t o b e r 1851 die Gränzkantone zur Wachsamkeit im Gebiete der Fremdenpolizei zu ermuntern.

Eben so hat der Bundesrath, da der status q..o der Heimathlosen keineswegs gehandhabt wurde, sondern das Fortjagen von Gränze zu Gränze nicht selten noch eintrat , und zwar oft nach ganz entgegengesehen Richtungen, als woher sie eingedrungen , sich veranlaßt gesehen , diesem Uebelstande dadurch entgegen zusteuern, daß er die Kantone aufforderte : 1) Die sämmtlichen Vaganten über Herkunft , Familienverhältnisse und Aufenthalt einzuvernehmen und unter

fpezielle polizeiliche Aufsicht zu stellen; 2) Vaganten, welche aus einem Kanton in den andern gelangen, ebenfalls einzuvernehmen und dann zurük. zuschieben u. s. w.

695 Diese vom Bundesrathe . angeordneten Maßregeln hätten , wenn sie von den Kantonen im Sinne des betrefsenden Zirkulars vom 13. Oktober 1851 befolgt worden wären, jedenfalls der Bundesbehörde ihre Arbeit zum Behufe der definitiven Zutheilung bedeutend erleichtert.

Allein mit Ausnahme der Kantone Aargau und ^Bern geschah hierin von andern Kantonen wenig oder gar nichts, und wol auch gerade das Gegentheil von dem, was im Sinne des Zirkulars lag.

So entstanden zwi-

schen Zürich und Aargau , Luzern und Aargau , Schwyz und Glarus , Zug und Luzern u. s. w. Korrespondenzen und Mißhelligkeiten über Nichtbefolgung des Zirkulars, die zum Theil an den Bundesrath gelangten und von ihm entschieden werden mußten. Man stritt sich über das .Recht und die Befugniß der Zuschiebungen und nahm die Verhöre, statt über die Hauptsache, nämlich über Herkunft, Geburt und Familienverhältnisse u. f. w., über bloße Nebendinge, nämlich über die allerlezten Anfenthaltsverhältnisse , die Orte der Arretirung u. f. w. auf, und behandelte die lezteren durchaus unwesentlichen Punkte so ausführlich und zugleich vorherrschend im Interesse m o m e n t a n e r A b s c h i e b u n g , daß durch diese Handlungsweise einzelner Kantonsbehörden gegenüber den Behörden anderer Kantone so zu sagen nichts Ersprießliches für die spätere durch die Bundesanwaltschaft an die Hand genommene .Untersuchung sich herausstellte. Dazu kömmt noch der Umstand, daß da wo wirklich einläßlichere Verhöre aufgenommen wurden, dieselben bisweilen vom Parteistandpunkte des Kantons aus stattfanden. Namentlich ist dieß bei Heimathlofen der Fall, deren provisorische ^Duldung zwischen einzelnen kleinern Kantonen streitig war, wobei es nicht selten vorkömmt, daß in Verhören, .welche mit den gleichen Heimathlosen in verschiedenen

696 Kantonen aufgenommen wurden , ganz verschiedene Angaben über die Ausenthaltsverhältnisse enthalten sind.

Eine ehrenvolle Ausnahme machen nebst einigen andern vorzüglich die im Aargau aufgenommenen Verhöre.

Es hatten mittlerweile die Kantonsregierungen ihre Toleratenregister eingefandt und es bildeten diefelben bei den fpätern Unterfuchungen eine Hauptquelle zu Nachforschungen über eine Menge von Heimathlofen und Heimathlosenfamilien, deren Mitglieder in verwandtschaftlichem Zusammenhang zu Toleraten standen, obgleich dieselben nicht ans den Registern erschienen.

Eben so hatte sich das eidgenössische Justiz- und ^olizeidepartement mit der Zusammenstellung der Notizen, aus den von den Kantonsregierungen eingegangenen Berichten über die Rechtsverhältnisse der Heimathlosen befaßt.

Während dem Jahre 1851 konnte von dem Bundesrath aus den oben berührten Gründen, namentlich deßhalb, weil eine provisorische Regnlirung der Aufenthaltsverhältnisse von vielen Heimathlofenfamilien nöthig geworden, und weil die Akten über fast alle Untersuchungen durchaus unvollständig waren, nur eine einzige Familie, die der Katharina Kaufmann und ihrer Kinder (4 Personen) zur Einbürgerung (an den Kanton Luzern) definita überwiesen werden, mit welchem bundesräthlichen Ent-

scheide sich Luzern durch Schreiben vom 5. Mai 1852 einverstanden erklärte.

So stand es mit dem Heimathlosenwesen der Schweiz.

beim Beginne des Jahres 1852.

Wenn der Bericht der ständeräthlichen Kommission über die Geschäftsführung des Bundesrathes während des Jahres 1851 bemerkt hat, es hätte die Vollziehung des .Art. 6 des Heimathlosengesezes, nach welchem dem Bun-

697 desrathe obliegt, die Zahl und die Verhältnisse der in der Schweiz befindlichen Heimathlofen zu ermitteln, mit mehr Beförderung und Energie ins Werk gefezt werden sollen , so mag diese Erscheinung vom Standpunkte des

Erwähnten ihre billige Berücksichtigung finden.

Gegenwärtig noch ist die Zahl der eigentlichen Heimathlosen in der Schweiz nich't ermittelt. Beständig langen neue Familien , von denen man früher nichts gewußt, . die auf keinen Regifiern erscheinen, die noch nie abgehört werden sind, und die seit der Mitte des Jahres 1852 sich bei der Bundesanwaltschaft all-

nrahlig zur Aüsmittelung ihres Heimathrechtes entweder freiwillig erstellt, oder ihr polizeilich zugeführt worden sind. Die ständeräthliche Kommission hat geglaubt, dass eo, um zu einem sichern Ergebnisse zu gelangen, wdl

unumgänglich nothwendig fei, gleichzeitig in allen Bezirpen und Gemeinden der ganzen Sch.veiz, unter Aufbietung außerordentlicher Polizeikräfte, die vorhandenen Vaganten verhaften und sodann über deren Herkunft und Verhältnisse die genauesten Nachforfchungen anstellen zu lassen.

Eine solche Maßregel ist nicht geschehen. Sie wäre auch nur dann von einigem Erfolge gewesen, wenn fowol in den Kantonen, als an der Seite der Bnndesanwaltschast ein angemessenes Untersuchüngspersonal aufgestellt worden wäre, welches die Untersuchung möglichst voll-

ständig und gleichzeitig gef.ihrt und die betreffenden Akten der Bundesanwaltschäst zltm Behuse sernerer Ergänzungen und Weisungen eingesandt hätte. Es wäre auch diesem Maßregel mit bedeutenden Kosten verbunden gewesen,.

die keineswegs dem Erfolge entsprochen hätten. Die Untersuchung wäre zersplittert gewesen, und aus .diesem Grunde hätten die einzelnen Unterfuchungsbehörden zn wenig Was-.

Bundesblatt Jahrg. V. Bd. II 56

698 sen gehabt, um das althergebrachte Lügensystem der Va- ..

ganten zu bekämpfen und zu brechen.

Dessen ungeachtet ist auch diesem. Wunsche der ständeräthlichen Kommission theils auf Anordnung des Justizund Polizeidepartementes, theils auf diejenige des Generalanwalts während dem Jahre 1852 wenigstens in zwei .größern Kantonen, B e r n und Aargau, einigermaßen entsprochen worden. Jn . diesen beiden Kantonen wnrden sowol von den Kantonalbehörden, als von den General.prokuratoren Migy und Amiet, während dem Jahre l852 mit sämmtlichen in diesen Kantonen betrossenen Heimathlosen umständliche Verhöre ausgenommen, die betreffenden Vaganten in Untersuchungshaft gesezt und dieselben nicht .eher .entlassen, als bis die Untersuchungen. einen solchen Grad von Vollständigkeit erreicht hatten, welcher eine Entlassung ermöglichte. . .

.Es wurden außer diesen Maßregeln noch fernere Vor.kehren. getroffen , die wir später berühren werden.

Wenn in früheren Jahren, namentlich den Iahren

1850 und 1851, der Bundesrath und das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement, so wie die Bundesanwaltschaft sich mehr damit befaßt haben, den sich meldenden oder .polizeilich zugeführten Heimathlofen provisorische Duldungsscheine aufzustellen, so mußte im Laufe des verflossenen Jahres mehr auf die d e f i n i t i v e E int h e i-.

lung. Bedacht genommen werden. Der Unterzeichnete .erhielt daher fogleich bei seinem Amtsantritte, den 8.

Mai. 1852, von dem Justiz- und Polizeidepartemeut die .Weifung,. nur. in den d r i n g e n d s t e n Fällen Anträge auf provisorische Duldung einzureichen und vielmehr die Akten über die Heimathlosen-Untersuchungen so weit zu vervollständigen, daß die Anträge statt bloß auf proviso..rifche Duldung zugleich auch nach Art. 9 des Heimath-

699 losengesezes .aus die Einbürgerungspflicht sich ausdehnen solle. Der frühere Generalprokurator hatte sich hauptfächlich dam i t befaßt, den Heimathafen nach Art. 8 des Heimathlosengesezes vorläufige Duldnngsschetne ohne Präjudiz für die betreffenden Kantone auszuwirken, um dann später die Akten zum Behufe der bundesräthlichen Einbürgerungsentscheide allmählig vervollständigen zu können.

Die .Aufgabe des Unterzeichneten ging mehr aus den leztbenannten Zwek, und fast ausschließlich auf diesen allein. Der Unterzeichnete musstesich, um nur einigermaßen einen Ueberblik über die gesammte Arbeit und um die nöthigen Anhaltspunkte bei der Untersuchung und den Verhören zu gewinnen, Monate lang mit dem Studium der vorhandenen^ unvollständigen Akten von über 130 Uftenfaszike.n und mit der möglichst genauen Durchsicht der noch vorhandenen Heimathlosenuntersuchungsakten aus frühern Zeiten befassen. Dazu kam die Arbeit der Unterfuchnng selbst, die Mengender .abzunehmenden Verhöre, die große Zahl der zu erlassenden Requisitorialfchreiben u. f.m. .Alt' dieses.ist der Grund, warum im Verhältnisse zu dem, was wirklich geschah und was für das folgende Jahr 1853 vorgearbeitet wurde, während dem Jahr 1852 viele Untersuchungen, wenn sie auch großenteils vollendet wurden, nicht mehr zum bundesrathlichen Entscheide gelangten, weil der größte Theil der Zeit des Bundesanwalts mit den .beständig fortdauernden Verhörsaufnahmen, Requisitorialschreiben u. s. w. ausgefüllt wurde.

P r o v i s o r i s c h e D u l d u n g s scheine sind von derBun-.

deokanzlei während des Jahres 1852, zufolge bundesräthlicher Beschlüsse, nur 3 ausgestellt worden, einen auf den. Kanton Bern und zwei auf den Kant. Basel-Landfchaft, zusammen zu Gunsten von 3 Männern, 2 Weibspersonen und 6 Kindern.

Dagegen hat der Generalanwalt sämmtlichen Heimathlosen,

700 die er verhörte, nach beendigten Verhören be.i ihrer Entlassung aus dem Untersuchungshaft, wenn. sie nicht bereite eidgen. Duldungsfcheine hatten., selbst. provisorische A u .s w e i f e ausgestellt, auf denen er bescheinigte, daß. die Träger derselben sich bei. der Bundesanwaltschaft zum Verhöre erstellt haben , daß die Untersuchung; hängig sei, und daß die betreffenden. Kantonsbehörden gebeten seien, die Träger dieser Ausweise bis zu dem bevorstehenden Entscheide des Bundesrathes, ohne alle Präjudiz. für einen spätern Entscheid, provisorisch: zu dulden, u. s. w.

Es dienten sonach diese Ausweise den Heimathlosen, wie..dieß bei den frühern Duldungsscheinen .der Bundes-.

der Fall war, als Pässe.

Was nun die Beendigung der Heimathlosenun.tersuchungen bis zu. deren Heranreifung zur Möglichkeit.

eines definitiven bundesräthlichen Entscheides über die Einbürgerung .betrifft, so muß bemerkt werden, daß eine.

grosse. Menge von Untersuchungen. vollendet, beziehungsweise sa st vollendet wurden, über welche der Bundesrath während dem Jahre 1852 noch keine Einbürgerungsentscheide treffen konnte.

Während des Jahres 1852 erließ der Bundesrath, aus die Anträge des Generalauwalts und. der eidgen. Justiz- .

und Polizeidepartements, Ent.fcheide über. 62. eigentliche Heimathlose, betreffend die Einburgerungspflicht derselben, nämlich über 6 Männer., 7 Weiber und. 4.)

Kinder. Die übrigen Entscheide betrafen Dolche angebliche Heimathlose, die als sremde Vaganten durch den Generalanwalt ausgemittelt wurden. Von diesen 62 eigentlichen Heimathlofen sielen

16 auf den Kanton Schwyz; 14 ..

,, Luzern; 8 ,, ,, St. Gallen.;

70l 7 6 5 2

und einer zu 1/4 auf den Kanton Aargau; auf den Kanton Waadt; ,, ,, Bern; und einer zu 1/4 auf den Kanton Solotburn;

1 auf den Kanton Appenzell J. Rh.; 1 ,, ,, Glarus; 1 und einer zu 1/4 auf den Danton .Zug;

1 zu 1/., auf den Kanton Basel-Landschaft; Summa 62.

Gegen obige bundesräthliche Entscheide haben folgende Kantone protestirt, .und wollen .vom Bundesgericht die Sache entscheiden lassen: 1) Die Kantone Zug, Basel-Landschaft, Solothurn und Aargau wegen gemeinschaftlicher Einbürgerung einer Heimathlosen; 2) der Kanton Bern wegen der Einbürgerung von 5 mit einer Heimathlosen erzeugten Kindern eines bernischen Bürgers, der sich unter falfchem Namen als heimathlos herumgetrieben.

3) der Kanton Luzern wegen Einbürgerung einer frühern .Toleratin, die als solche nicht anerkannt wurde und

ihrer 11 Kinder; 4) Der Kanton Schwyz wegen Einbürgernng zweier heimathlofen Konknmbenten und ihrer 5 Kinder.

Einverstanden mit den bundesräthlichen Entscheiden haben sich erklärt: 1) Der Kanton Zug über einen Heimathlosen; 2) der Kanton Schwyz über eine Heimathlose und deren

7 Kinder; 3) der Kanton Appenzell J. Rh. über ein Kind; 4) der Kanton Glarus über einen Heimathlosen ^

702 5) der Kanton St. Gallen über .einen .Heimathafen;.

6) der Kanton Schwyz über eine Heimathlose. ^ Noch nicht ausgesprochen haben sich die Kantone Aargau,.

St. Gallen und Solothurn über 2 heimathlofe Weiber

und 14 Kinder.

..

Nebst den eben erwähnten Entscheiden ist zu bemerken, daß bei andern Untersuchungen m e h r e r e V a g a n t e n , die sich bis dahin unter falschem Namen, theils mit Duldungsscheinen ve.. sehen, als heimathlos herumgetrieben haben, als N i c h t h e i m a t h l o s e erkannt worden sind.

. Bei diesen handelte es sich darum, entweder auf dem Wege diplomatischer K o r r e s p o n d e n z mit dem Ausland, die bürgerrechtliche Anerkennnng von den Staatsbehörden des Auslandes zu erwirken, oder aber, wenn sie Angehörige eines Schweizerkantonswaren, dieselben in ihren Heimathskanton, beziehungsweise in ihre Heimathsgemeinde

.zurückfchieben zu lassen. Es ist natürlich, daß dieUntersuchungen über solche Vaganten mit eben so viel und oft noch mit weit mehr Mühe verbunden war, als die Untersuchung über eigentliche Heimathlose, da wenn dieselben ihre Heimath verschwiegen, wie es beim Beginne der Untersuchungen immer der Fäll ist, weit weniger Anhaltspunkte über die Ausmittlung der Heimath vorhanden .sind.

Die Zahl der Vaganten, die nach vollendeten Heimathlosigkeitsuntersuchungen im Jahre 1852 als Au s l ander erkannt wurden und worüber der Bundesrath 1852 diplomatische Korrespondenzen gepflogen, war 26, worunter

1l Kinder. ^ Die Zahl der angeblichen Heimathlosen, über welche vom eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement, so wie vom Generalanwalt Untersuchungen geführt wurden, und die als A n g e h ö r i g e und bereits E i n g e b ü r g e r t e

703 oder T o l eri r t e e i n z e ln e r K a n t o n e erkannt Wurden,.

ist

dreizehn.

^

Ueber obige schweizerischer Vaganten mußten vorder Generalanwaltschaft bei einigen ziemlich voluminöse Untersuchungen geführt werden, die mit bedeutenden Verhaltskosten verbunden waren, namentlich z. B. über Marianne Hufer, die troz aller Mühe erst nach einer halbjährigen.

Untersuchung zum Bekenntniß gebracht werden konnte,..

und zulegt als eine entlaufene Ehefrau Marianne Hüzzi aus dem Kanton Schwyz erkannt wurde. Die Person konnte auch die fchweizerischen Behörden dermaßen täuschen, daß sie von denselben nicht anerkannt und in den Kanton Bern als Heimathlofe zurük transportirt wurde.

Der Generalanwalt mußte mit Marianne Hüzzi und über dieselbe mit andern Heimathlosen nicht weniger als 39 Verhöre aufnehmen, bis ihre Heimathhörigkeit erwiefen und sie zum Geständniß gebracht worden war.

Aehnlich verhielt es sich mit dem Vaganten Friedrich Ackermann, eines Müllers Sohn von Ryhinen, Kantons Aargau, der sich zuerst als ein heimathlofer Friedrich Eichwalder, und als er seiner Lügen überwiesen worden . war, als ein heimathloser Franz Duardt, Sohn einer solothurnischen eingeteilten Elisabeth Dnardt (nach vorausgegangenen polizeilichen Maßregeln) ausgegeben hatte; und als er merkte, daß man ihn auch dieser Lüge überweisen konnte und deßhalb Züchtigung besürchtete, aus dem hiesigen Untersuchungshafte entsprang und im Kanton Solothurn einen Diebstahl beging, wo er sich gegen-

wärtig im Gefängniß befindet. Dieser Erzvagant hatte fchon im Jahre 1850, da er von dem eidgenössischen Kanzler verhört wurde, sich einen eidgenössischen Duldungsschein als Heimathloser zu erschleichen gewußt, und als er diesen Ieztern verloren zu haben behauptete, den.

704 18. Juli 1850 nach einem damals durch den Vorsteher des eidgenössischen Justizdepartements mit ihm abgehaltenen Verhöre einen neuen erhalten.

Noch mehr Zeitaufwand, als die Untersuchung über eingebürgerte schweizerische Vaganten erforderten für den Generalanwalt die Heimathhörigkeitsuntersuchungen mit ausländifchen Vaganten, die, Heimath und Herkunft verläugnend, sich als schweizerische Heimathlose aufdrängen wollten.

Der Generalanwalt hat eine große Menge folcher Ausländer während dem Jahre 1852 verhört, allein, mit Ausnahme derjenigen obgenannten, über welche diploniatische Korrespondenzen vom Bundesrathe gepflogen wurden, und über welche noch keine Anträge während dem Jahre 1852 eingereicht werden konnten, die daherigen Untersuchungen nicht mehr vollenden können.

So verursachte bedeutende Mühe die voluminöse Untersuchung über Anton Einholz recte Vollmann und seine Beihälterin Elisabeth Trommeter, recte Lauber; ferner die Untersuchung über zwei ausländische Vaganten Gottl. Spieß und V e r e n a Götz und Joseph Wiesensatb, so wie die zahlreiche Familie des alten neunzigjährigen Vaganten, E a j e t a n O st er tag und feiner Beihälterin Maria Keller, sammt deren neun Kindern und gegen dreißig Enkeln und viele andere, welche aufzuführen hier .zu weitläufig wäre.

Es wurden sonach während dem Jahre 1852 über 101 Heimathlose oder angeblich heimathlose Personen vom .Generalanwalt Untersuchungen geführt und bundesräthliche Entscheide hervorgerufen, nämlich:

a. über 62 eigentliche Heimathlose; b.

.o.

,, 28 wahrscheinlich fremde Vaganten; ,, l 3 einheimische Vaganten.

Total 101 Personen, beziehungsweise Kinder. Dabei

705 ist zu bemerken, daß unter obigen die Untersuchungen ..über jene ^icht mit berechnet sind, über welche vom Bundesanwalt nöch keine Anträge .eingereicht werden konnten.

Bei ^der .Anhandnahme aller .dieser Untersuchungen ging der Unterzeichnete von der ^Ansicht aus, daß es besser und .sür die Zukunft weit ersprießlicher sei, eine möglichste V o l l s t ä n d i g k e i t der A k t e n vor der .Einreichung der betreffenden Anträge an den Bundesrath zu erreichen, während früher man sich damit begnügte, die Akten nur fo weit zu vervollständigen, um einen bundesräthlichen Endfcheid provisorisch motiviren zu können. Es ist begreiflich, daß eine minder detaillirte Unterfuchungsweife weit rascher eine provisorische Bereinigung herstellen würde; allein es würde dieselbe die d e f i n i t i v e Bereinigung durchaus nicht früher ermöglichen, sondern im Gegentheil dieselbe sür die Zukunft bedeutend erschweren, indem vorauszufehen ist, daß die Kantonsregierungen bei weniger vollständigen Aktenergebnissen und bei weniger aktengemäß motivirter Begründung der bundesräthlichen Entscheide die meisten Untersuchungen durch das Bundesgericht entscheiden lassen würden, was eine desinitive Bereinigung nur verzögerte, weil dann

bei der Abfassung der bezüglichen Klagen der Bundesanwalt dasjenige nachholen müßte, was früher versäumt worden. Der Unterzeichnete ist der e n t f c h i e d e n e n Ansicht, daß in der Zukunft bei g e n a u und vollständig motivirten bundesräthlichen Entscheiden viele Prozesse und bedeutende Prozeßkosten erspart werden, die ohne solches notwendig gekommen wären, oder kommen würden.

Bereits haben sich die betreffenden Kantone von 22 im Jahre 1852 vom Bundesrathe erlassenen Einbürge-

706 rungsentscheiden mit neun Entscheiden e i n v e r s t a n d e n erklärt, über fünf andere ist die Anerkennung wahrscheinlich und zu gewärtigen, und nur sechs gelangen vor der Hand ans Bundesgericht.

Um über die Thätigkeit der Bnndesanwaltfchaft im Heimathlosenwesen überhaupt während des Jahres 1852 ein Zahlenverhältniß anzugeben, sei bemerkt, daß während des Jahres 1852 von der Bundesanwaltschaft 245 Verhöre aufgenommen wurden, wovon 239 in die Zeit von

Anfangs Mai bis Ende 1852 fallen.

Vom 8. Mai bis 31. Dezember 1852 gingen dem Unterzeichneten in Heimathlosenfachen, theils von den Bundes-, theils von den Kantonalbehörden Schreiben

397 ein.

Ferner zählt die Geschäftskontrole des Unterzeichneten, vom 8. Mai an, an abgegangenen Schreiben, Requisitorialen u. s. w. in Heimathlofensachen 3l4, und durch das Sekretariat besorgten Aktenextrakten, Kopiaturen u. s. w. aus frühern Aktenstüken 142 Nummern.

Was die urkundlichen Hülfsquellen betrifft, welche der Generalanwalt bei der Untersuchung über die Heimathlofen benuzte, fo sind es folgende: -.) Die frühern ans der vorörtlichen eidgenössis chen Kanzlei herrührenden, dem eidgenössischen Staatsarchiv enthobenen Akten über frühere durch das eidgenöfsifche Schiedsgericht beurtheilte und theilweise von der Kanzlei unterfuchte Heimathlosenfälle, aus den Jähren

1820 bis 1838 und fpäter.

2) Die Prozeßakten über die in den Jahren 1824 bis 1830 von meheren Kantonen durch eine außerordentliche Zentralunterfuchungskommission geführten G a n n e r ..

p r o z e f f e , welche reichliche Ansbente, namentlich über die jezt noch zahlreich in der Schweiz hernmvagirenden

707 Nachkommen und .Verwandten der Familien Wagner ,.

Regelizeter's und Wendel ("Clara. Wendel ,"Indene Clare,"Krüsihans " u. f. w.), welche Akten ^dem aargauischen Archive enthoben wurden.

3) .Mehrere ebenfalls dem aargauischen Archive eut. hobenen Akten über verschiedene Heimathlosenfälle.

4) .Das im .Jahr 1838 zu.Aaran .gedrukte Verzeich.niß von früher dort. betroffenen sogenannten Heimatlosen, welches Verzeichniß . über frühere Aufenthaltsverhältnisse

ziemlichen Ausschluß gibt.

5) Die voluminösen und höchst ergiebigen Untersuchtungsakten über die in den Jahren1843 und 1844 im Kanon T h u r g a u g e f ü h r t e P r o z e d u r über mehrere sogenannte Heimathlose, sammt den betreffenden Korrespondenzfaszikeln. Es wurden diese Akten anf den Wunsch des Generalanwalts durch das eidgenössische Justiz- und ..Polizeidepartement zur Benuzung reklamirt, und es war dieß bei sehr vielen Untersuchungen weitab die beste Quelle.

.

.

.

..

.

.

^

6) Der au.s obiger Prozedur ausgezogene gedrtikte

thurganische Aktenbericht, welcher eine solche Bedeutung erlangt hat, daß er bis dahin von den Polizeibehörden als eigentliches Handbuch gebraucht werden konnte, indem er über nicht weniger als über 239 Vaganten mehr oder weniger einläßlichen Aufschlnß ertheilt.

Die Erfahrung hat jedoch . bewiesen , daß der thurgauische Aktenbericht nur mit Vorsicht gebraucht werden muß. Eine Menge von darin enthaltenen Angaben sind bloß den Depositionen der beiden .Gebruder Jakob und Michael H um b o l e t z k i entnommen, welche rafftnirte

Vaganten sich damals (1843 und 1844) von dem ihurgauischen Verhörrichter Ammann zur Auskunftertheilung

. . .

708 über andere polizeilich gebrauchen ließen. Es ist begreiflich, daß die Angaben des Humboletzki oft absichtlich lügenhaft, oft unzuverläßigen Aussagen Anderer entnommen, bisweilen jedoch auch währ sind.

Wahr namentlich ist die Aussage des Humbolezki (die wir dem thurgauischen Aktenberichte entnehmen), "daß die ,,meisten der sog. Heimathlosen ihre wahre Herkunft ver,,läugnen und unter dem Prätext der Heimatlosigkeit ein

"der polizeilichen Aufsicht jedes Staates Troz bietendes "Gaunerleben fortpflanzen." Wahr ist, "daß die meisten .,,der Heimathlosen die Söhne und Töchter oder die Enkel "der alten Gauer sind, die sich im vorigen Jahrhunderte ,,so berüchtigt gemacht haben, und zu welchen Stamm,,haltern der Gaunerei sich von Zeit zu Zeit entwichene "Sträflinge, Deserteurs, oder wer sonst feinen angebor,,nen Namen nicht tragen durfte, gefchlagen habend Eben fo ist die Beobachtung , die der Unterzeichnete machte , daß eine Menge der im Thurgauer Aktenbericht beschriebenen sog. Heimathafen und Vaganten, deren Heimath damals zum Theil schon ausgemittelt wurde, gegenwärtig noch unter a n d e r n Namen in der Schweiz herumvagiren, eine Bestätigung des im Thurgauer Aktenbericht über das Heimathlosenwesen Gesagten. Dem Unterzeichneten sind . nicht weniger als 47 V a g a n t e n , beziehungsweise Familien, bis jezt vorgekommen und von ihm verhört worden, welche b e r e i t s im thurgauischen A k t e n b e r i c h t e r w ä h n t sind, ebenso eine Menge von jenen, welche auf dem Aargauer Verzeichniß von 1835 erscheinen. Diese sog. Heimathlofen sind fast alle Körber, bisweilen einer ein Vogelfänger, Keßler, Schirmfliker, Gefchirrhändler , Seiltänzer, Marionetten- und Schauspieler.

709 Die Schilderung über die Gaunerei und Sittenlosigkeit derHeimathlofen, wie sie im thurgauischen Aktenberichte erscheint , ist jedoch mit viel zu grellen Farben aufgetragen.

Dieselbe mag für frühere Zeiten, z. B. für die Zeit , als der berühmte Gaunerprozeß eine eidgenössische Zentraluntersuchungskommission Jahre lang beschäftigte, als. die Bande des Krüsihans und der Klara Wendel noch eine Rolle spielte, eher eine wahrheitsgetreue Schilderung sein.

Gegenwärtig jedoch hört man verhältnißmäßig von. den.

eigentlichen Heimathlosen weit weniger, daß. sie.Verbrechen begangen und. dafür bestrast worden waren, als. von den Eingebürgerten.. Wenn auch viele im Elende und Bettel sich herumschleppen, so ist doch weitaus die Mehrzahl von ihnen keineswegs dem Müßiggang ergeben, sondernder.nährt sich ehrlich, und es .gibt unter ih.nen oft einzelne Erfcheinnngen, welche Achtung (in Hinsicht auf die treue Anhänglichkeit, welche sie zu ihrer, wenn auch nur im Konkubinat erzeugten .Familie beweisen) verdienen: 7) Eine fernere Ouelle bei den Untersuchungen sind die von den Kantonen eingesandten Tolertatenregister.

Ueber dieselben ist jedoch schon ..oben .bemerkt wvrden, daß sie ungenügend. sind.. Namentlich. werden die Verzeich-.

niffe der in einigen .Kantonen schon in früher n Zeiten.

(1816-1835 u. f. w.) geschehenen allgemeinen Einbürgerungen vermißt.

8) So wie früher das Verhörrichteramt des Kantone Thurgau, fo benuzte der Unterzeichnete auch die Depositionen von Heimathlofen und Vaganten über die Herkunfts- und Familienverhältnisse anderer. Einige Dienste leistete in dieser Hinsicht P e t e r Dürand von Fahh,.

Kt. Bern , der seit Jahren unter dem salschen Namen Peter W e n g e l nnd Peter Hartmann als angeblicher Heimathlofer sich herumgetrieben, bis es gelang, feine

710 wahre Heimath auszumitteln. Dann Hans Georg Kleinmann, der sog. "Miesbuggel", ein sich feit circa 30 Jahren in der Schweiz herumtreibender Sigmaringer, ferner der ehemals berüchtigte und nun im Kanton Thurgau eingeteilte Michael Humboletzki, der ans der.

thurgauifchen Zwangsarbeitsanstalt entwichen und nach Bern gekommen war, um feine Dienste anznbieten; ebenso Johann Scherr (Schwarztonis), welche beiden leztern freiwillig mehrere Wochen in der äußern Gefangen.

fchaft zu Bern sich aufhielten und von dem Unterzeichneten zur Berichterstattung über die daselbst konzernirten Hei-

mathlosen, von denen oft über 30 in gleichzeitiger Untersuchung standen, bennzt wurden. Der Unterzeichnete bezahlte denselben ein Zeugengeld , wie es auch bei Strafunterfuchungen für Berichterstattungen und Zeugendepositionen üblich ist. Es wurden auch die Depositionen vieler anderer Heimathlofen über einander bennzt , wobei jedoch zu bemerken ist , daß man selten etwas Wahres oder Bestimmtes aus ihnen herausbrachte. Sagte doch schon der thurgauische Aktenbericht : "Das einzige Statut, unter denen "die Banden der Heimathlosen leben, scheine das zu sein, "daß man nicht "zegamseln" oder "baldowern", "d. h. verrathen dürfe." Daher mag es kommen, daß die meisten Heimathlosen , wenn sie über Andere Auskunft erlheilen sollten , bei den Unterfuchungen gewöhnlich die Maxime befolgen, daß sie einander durchaus nicht kennen wollen.

Was die bisherige Ausdehnung der Heimathlofenbereinigung betrifft, fo fei bemerkt, daß im Büreau der

Bundesanwaltschaft sich bis zum 31. Dezember 1852 132 Aktenfaszikel von meist laufenden Untersuchungen

befanden, welche sich. bis zum Mai 1853 auf 155 vermehrt haben, .und deren Zahl noch größer werden wird. .

711 Der ungefähr ausg emittente .Personalbestand der gegenwärtig .in Untersuchung stehenden Heimathlosen .

betrifft eirea 572 Personen, .. worunter 302 Erwachsene und 270 Kinder. Dieses Zahlenverhältniß kann jedoch durchaus nicht als eine genaue Angabe über fämmtliche .in .der Schweiz vagirenden Heimathlosen betrachtet werden, indem über viele hierorts noch keine .Akten liegen und sich seit dem Beginne einer Untersuchung in größerm Maß- .

stabe eine . Menge von Personen und Familien als heimathlos gemeldet haben., von welchen man früher gar nichts wußte.

.

. .. .

.

Was nun die Art

und

Weise

der

Unter-

suchung betrifft, fo muß bemerkt werden, daß dieselbe .

mit einer Anzahl von Heimathlosen, welche im Kanton Aargau in Untersuchungshaft waren, in A a r a u durch Hrn. Altlandammann Wagner vorgenommen wurde.

Diese Untersuchungen wurden später in A a r a u selbst durch den. Generalanwalt vervollständigt und theilweise beendigt. Ebenso ließ der Unterzeichnete in B e r n eine große Menge von Heimathlofenfamilien in Detention fezen und führte mit denselben die Untersuchungen gleichz e i t i g , was.den Vortheil gewährte, daß die Untersuchung mit mehr Erfolg geführt. werden konnte und .daß die Heimathlosen selbst am Ende einsahen, es sei besser, das alte Lügensystem zu verlassen und die Wahrheit zu be.kennen. Namentlich wirkte in moralischer Beziehung die freilich erst später. eingeführte Photographirung der Heimathlofen , auf welche wir zurükkommen werden.

Hinsichtlich der K o s t e n ging fowol das eidg. Justizund Polizeidepartement als der Bundesrath von der Ansicht aus, daß diejenigen Untersuchungen, welche über w i r k l i c h e H e i m a t h l o s e , nicht aber über v a g a b u n dir.ende A n g e h ö r i g e der Kantone, gemäß den frühern

712 Zirkularen oder im Auftrage der Bundesbehörden geführt werden, einsweilen ni cht zu Lasten der betreffenden Kantone fallen können. Der Bundesrath bezahlte daher diese Kosten, mit dem Vorbehalte, die Rechnungen zu prüfen und gutfindenden Falls dem Bundesgerichte die Frage vorzulegen, ob diefe Kosten nicht im Verhältniß auf die Kantone fallen sollen, welchen die Heimathlosen zuerkannt werden. Da

das Budget von 1852 für die Heimathlosenbereinignng eine Summe von 6400 Fr. angewiesen, so konnte eine Überschreitung des Kredites um so eher geschehen, als

der Kredit von 4000 Fr., welcher für das Jahr 1851 angewiesen war, in gar nichts gebraucht wurde und für das Jahr 1853 Fr. 10,000 angefezt waren. Jn obigem Sinne, betreffend die grnndsäzliche Kstoenanerken-

nung, erließ auch der Bundesrathem 20. August 1852 ein Schreiben an A a r g au, welches mit verschiedenen Begehren eingekommen war. Aargau wollte nämlich die dort früher detinirten Heimathlosen nach einsweilen vollendeter Untersuchung bis zu den ^ betreffenden definitiven Entscheiden in Bezirke eingränzen und die Kinder aus

Kosten der Eidgenössenschäst in Verköstigung behalten.

Es könnte jedoch weder das Justiz- und Polizeidepartement mit diesem Pl.ane Aargau'.... einverstanden sein,.

noch der Bundesrath denselben billigen, weil der Kredit

für die Durchführung der Angelegenheit nicht dafür bestimmt ist, die zahlreichen Kinder der Heimäthlofen auch nach Entlassung ihrer Aeltern auf Kosten des Bundes zu ernähren und überdieß diese Kosten allmählig auf fehr bedeutende Summen ansteigen würden. Die Regierung von Aärgau wurde daher vom Bundesrathe eingeladen, die Heimathlofeu , deren Untersuchung beendigt war, mit ihren sämtlichen Kindern zn entlassen und über die Erwachsenen genaue Signalemente auszunehmen. Die Re-

713 gierung von Aargau äußerte jedoch, gestüzt auf Art. 19 des Heimathlosengefezes, Bedenken über die Entlassung der schulpflichtigen Kinder der Heimathlofen, weil nach diefem Artikel Personen, welche in verschiedenen Kantonen auf einem Gewerbe herumziehen, das Mitführen schulpflichtiger Kinder verboten ist. Allein der Bundesrath fand mit Beschluß vom 25. August 1852, daß fraglicher Artikel auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar fei, indem er sich felbst bloß auf nicht heimathlofe Vaganten be-

beziehe, und übrigens jeder Zweifel durch Art. 16 des Gesezes gelöst sei, wonach, wie ganz natürlich , die Kinder erst dann zum Schulunterricht angehalten werden können , wenn sie in einem Kantone eingebürgert sind.

Die aarganifchen Rechnungen für Untersuchnngsdetention der Heimathlosen beliefen sich auf Fr. 4729. 86, wovon jedoch ein Theil, als beanstandet, näherer Untersuchung anheim fiel.

Was die Unterfuchungskosten im Kanton Bern . betrifft, die auf Anordnung des Generalanwalts während der zweiten Hälfte des Jahres 1852 entstanden, so beliefen sich diefelben : a. Für Untersnchnngsverhaft bis zum 30. September 1852 auf die Summe von .

. Fr. 1,476. 90 b. Vom 30. September bis 31. De-

zember 1852 auf . .

Jm Ganzen auf .

. ,. 2,206. 45 . Fr. 3,683. 35

Zu obigen Kosten kommen noch diejenigen, welche der Generalanwalt d i r e k t bezahlte, z. B. Fr. 134. 10 an den Gefangenwart für an Heimathlose verabreichte Kleidungsstüke während dem Jahre 1852 und andere außerordentliche Auslagen, z. B. Reisekosten des GeneralanBnndesblatt. Jahrg. V. Bd. II.

57

714 walts u. s w. Eine durchaus notwendige Ausgabe der Bundesbehörde war die Anschaffung von Kleidungsstüken für die in Detention befindlichen Heimathlosen, die meist in elende Lumpen gehüllt herkamen und deren Kinder meist halb nakt waren. Die Ausgabe war nicht nur vom Standpunkte der Humanität aus betrachtet

notwendig, fondern auch deßhalb nüzlich und zwekmäßig, weil eine humane Behandlung der Heimathlosen weit

mehr prozeffualische und polizeiliche Erfolge der Untersuchung zu Tage fördert, als die in frühern Zeiten bisweilen angewandte Einfperrung und schmale Kost.

Die zu Bern veranstaltete Coneentration der Heimathlosen zum Behufe der Untersuchung geschah hauptfächlich zufolge eines von dem eidg. Justiz- und Polizeidepartemente entworfenen Planes einer Unterfuchungsweise in g r ö ß e r e m Maßstab. Die Nichtbesolgnng des Verfahrens, welches durch die bundesräthlichen Kreisschreiben vorgeschrieben war, hatte nämlich das Departement zu der Ueberzeugung gebracht, daß v e r e i n z e l t e successive Untersuchungen mit keinem genügenden Resultate verbunden sind. Das Departement fah wol ein, daß, um alle die frühern Nachtheile zu beseitigen, nur ein Mittel existire, nämlich eine Vereinigung der V a g a n t e n zu bewirken und eine zentrale, möglichst umfassende und gleichzeitige Untersuchung anznordnen. Ein Antrag des Departements wnrde vom Bundesrath be-

rathen (23. August 1852), der dahin ging, eine allgem..ine Vagantenfahndung in der ganzen Eidgenossenschaft anzuordnen und dem Generalanwalt ein hinreichendes Unterfnchungspersonal beizugeben u. s. w. Allein dieser

Plan kam nicht zur Aussührung, weil diese Einrichtung, den Voranschlag bedeutend überstiegen hätte und weil

715 man besorgte, daß eine große Menge nicht heimathloser Vaganten für längere Zeit der eidgenössischen..

Kasse zur Last fallen würde. Dagegen wurde das Departement ermächtigt , Maßregeln zur Betreibung der Untersuchung in größerm Umfange zu ergreifen. Aus diefem.

Grunde fand auch C o n c e n t r a t i o n der H e i m a t h l o s e n in Bern, welche dem ursprünglichen Plan einigermaßen.

entsprach, in U..bereinstimmnng mit dem eidg. Justiz- und Polizeidepartement statt , ohne daß jedoch ein größere Untersuchungsperfonal für nöthig befunden wurde.

Es wurden vom Generalanwalt gleichzeitig nebst den.

in Bern detinirten Heimathlofen auch viele folche verh.ört, welchesichniemals in Untersuchungshaft befanden .

sondern in der Umgegend von Bern sich aushielten, ruhig.

ihr Brod verdienten und sich stets freiwillig zum Verhöre.

stellten. Es hielt sich diefer leztere Theil der Heimathlosen, die namentlich aus den Familien Reichenbach, Siegel, Suter (falfch Nußbaum), Bapt.Scherr u.s.w.

bestanden, meist im Amt F r a u b r u n n e n auf eidg. Duldungsschein hin auf. Dieser Umstand aber gab zu einer B e s c h w e r d e der G e m e i n d e G r a s s e n r i e d Anlaß, welche mit Zuschrift vom 23. August 1852 durch die Regierung von Bern an den Bundesrath gelangte. Fragliche Heimathlosensamilien, welche damals zufällig in einem.

Walde bei Graffenried zusammen betroffen wurden, sind von den Bauern von Grassenried unter Anführung der Gemeindevorsteher und unter Beihilfe eines Landjägers...

aus dem Walde vertrieben und ihre Zelte weggerissen worden u. s. w. Jn einer Beschwerde an das Regierungsstatthalterann nnd an die Regiernng von Bern wandte sich sodann sragliche Gemeinde klagend gegen die Bundes-

behörden, ihre Selbsthilfe rechtfertigend. Mit Schreiben vom 16. September an die Regierung von Bern

ant

716 .wortete der Bundesrath, daß die fraglichen Heimathlofen sämmtlich vom Generalanwalt verhört worden feien, daß .diefelben Duldungsscheine auf den Kanton Bern haben ..und daher völlig unter dessen Polizeigewalt stehen, fo daß .die gutfindenden Verfügungen über Verkeilung und Ein.gränzung derfelben Sache der bernischen Behörde fei.

Eine zweite, vom eidg. Justiz- und Polizeidepartemente .angeordnete und vom Bundesrathe genehmigte Maßregel war die P h o t o g r a p h i r u n g der Heimathlosen.

Durch dieselbe wollte der Bundesrath eine Hauptfchwierig.keit bei der Behandlung der Angelegenheit der Heimath-

..losen und Vagabunden beseitigen. Diese Schwierigkeit Besteht nämlich in der Ausmittlung ihrer Persönlichkeit, welche oft unmöglich ist, weil durch das Verbergen der Papiere , durch die stete Namensänderung und das konseguente Läugnen und Verschweigen der Verhältnisse oft .alle Bemühungender Behörden vereitelt werden, und weil auch da, wo es gelingt, die wahre Perfon auszumitteln und dieselbe in ihre Heimath zu schiken oder ihr eine neue Heimath anzuweisen , man nicht die minödeste G a r a n t i e hat, daß nicht dieselbe Person später .unter anderm Namen neuerdings als angeblich Hei.mathlofer erscheine, fo daß die Untersuchung nieder von .Neuem beginnen mußte. Dieser Uebelstand wurde durch .die bisherigen S i g n a l e m e n t e keineswegs gehoben. Man ..mußte daher auf ein Mittel sinnen, die Individuen, welche in Untersuchung kommen und denen eine Heimath angewiesen wird, so genau zu bezeichnen, daß sie beim Rük..fall in die Vagabnndität leicht wieder zu erkennen sind.

.Das Departement sowol als der Bundesrath fanden

als das beste Mittel hiezu die Photographirung der e r w a c h s e n e n V a g a n t e n und die Vervielfältigung die-

ser Bilder durch die Lithographie.

717 Die Ausführung des bezüglichen Beschlusses wurde.

dem Generalanwalt übertragen, welcher mit Herrn Photograph und Lithograph Durheim ei.ien Vertrag abschloß.

Der Bundesrath zeigte mit Zirkular vom 3. Nov.

1852 den Kantonen an, daß er diese Maßregel getroffen und sich dadurch bedeutenden Nuzen sowol für die polizeiliche Ueberwachnng der Vaganten, als für die Verminderung künftiger Unterfuchungskosten verspreche. Von diesen Bildern wurden jeder Kantonspolizei 4 Exemplare gratis versprochen und die betreffenden Polizeibehörden ersucht,.

bei dem eidgen. Justiz- und Polizeidepartement sür den Mehrbetrag zu abonniren. Die Kosten sind nicht bedeutend und werden jedensalls durch den Nuzen weit überwogen..

Während dem Jahr 1852 konnten nnr 75 Bilder (Photographien) vollendet werden, wobei jedoch zu bemerken ist, daß eine ziemliche Anzahl von ebenfalls verhörten..

Heimathlofen noch nicht photographirt worden sind, weil sie schon vor dem Beginne dieser Maßregel aus den...

Untersuchungshafte entlassen worden waren. Da die Phol.ographien in

dem Hofe der äußern Gefangenschaft zu

Bern gleichzeitig mit der Unterfuchung aufgenommen wurden, fo bildete diefe Maßregel zugleich ein moralisches

Schrekmittel gegen Vorbringung unrichtiger Angaben.

Die meisten der Heimathlofen hielten sich schon verrathen.

wenn sie mit festgefchraubtem Kopfe vor der Maschine saßen, die in einigen Minuten ihr Bild erzeugte und dieihre höchste Bewunderung erregte.

Dieser moralische Eindruk war fo bedeutend, daß die meisten Heimathlosen, weit entfernt, sich gegen die Photographirung zu sträuben, im Gegentheil einen Stolz darauf sezten und es sich zur Ehre anrechneten, photographirt zu

werden. Es war auch begreiflich, daß dieses polizeiliche Mitte....

718 ghnen besser behagte, als das früher in einigen Kantonen bei den Weihern angewandte Mittel des Haarabschneidens.

.Die von Herrn D u r h e i m gemachten Photographien und .Herrn Maler Wüst darnach gezeichneten Lithographien können im Allgemeinen als sehr gelungen betrachtet werden.

Die Bilder werden von den Heimathlofen felbst .erkannt. Sie ersezen daher in einzelnen Fällen, in denen ...in Heimathloser über die Verhältnisse eines Andern Bericht geben soll, die K o n f r o n t a t i o n e n und es ist vorauszusehen, daß fie den Kantonalpolizeien von eben fo großem Nuzen fein werden, als sie bereits der Bundes
Es sei hier am Plaze, noch eines Anstandes zwischen .den Kantonen B a s e l - L a n d s c h a f t und A a r g a n zu er.wähnen, welcher von Seite Bafel -Landschaft als eine Sache betrachtet wurde, die nach den Grundsäzen des .Heimathlofenrechts entschieden werden müsse. Eine aarganisolche Bürgerin, J a k o b e a G a n t n e r , von Zuzgen, wurde .in dem Gesängniß zn Liestal von einem dortigen Gefangenhärter geschwängert nnd gebar im Gesängniß in Liestal .ein Kind, welches die Gemeinde Zuzgen und die aargauische Regierung nicht anerkennen wollte, weil die Gantner im Gesängniß zu Liestal, wo sie unter staatlicher Aufsicht stund, geschwängert wurde und weil daher der Staat Basel-Landfchaft die Folgen einer mangelhaften Aufsicht zu tragen habe. Basel-Landschaft wollte darauf die Sache über die Heimathhörigkeit des Kindes Gantner durch den Bundesrath nach den Grnndfäzen des Heimathlofengefezes beurtheilen lassen.

Allein der Bundesrath wies am 19. November 1852, auf die Anträge des Generalanwalts und des eidgen.

.Justiz- und Polizeidepartements, das Begehren Basel-

719 Landschafts ab, weil fragliches Kind nicht als hei.nathlos betrachtet werden könne, sondern nach aargauischen Gesezen ipso jure dem Bürgerrecht der Mutter folge.

Noch muß eines Kreisschreibens erwähnt werden, welches der Bundesrath an einige Kantone erlassen hatte, veranlaßt durch eine Zuschrift der R e g i e r u n g von Zürich vom 29. Juli 1852, darüber, daß in einigen Kantonen die Vergütung der Tränsportkosten für Vagabnnden verweigert werde. Zürich verlangte, gestüzt auf Art. 18 und 19 des Heimathlofengesezes, die Einwirkung des Bundesrathes, welcher mit Entscheid vom 23. August 1852 auch nicht anstand, die betreffenden Kantone Bern,

Aargau und Schwyz ans die Vollziehung fraglicher Gesezesartikel ausmerksam zu machen. Jn Bezng ans die Kosten fand der Bundesrath, es dürfe keinem begründeten Bedenken unterliegen, die sehr mäßig gehaltenen Taxen auch bei Vagabnnden anzunehmen, welche hinsichtlich des Transportes u. s. w. in den Bundesgesezen enthalten seien.

Eine nicht unwichtige Grnndsazfrage wurde ferner veranlaßt durch das Begehren der R e g i e r u n g von

St. Gallen vom 5. April 1852, welche für eine Heimathlose (Viktoria Brunner) und ihre Kinder eine Unterstüzung verlangte. Der Bundesrath ging jedoch, aus den Antrag des Justiz- und Polizeidepartementes, in dieses Begehren keineswegs ein, sondern von der Ansicht aus, daß das Gesez über die Heimathlosen keinerlei Andeutung enthalte, als ob Heimathlose auf irgend eine Weife dem Bunde zur Last fallen können, mit Ausnahme des Falls im Art. 10, wenn in Folge bestimmter Verfügungen eidgen.

Behörden Fälle von Heimatlosigkeit entstehen. Der Bundesrath glaubte, es gehe aus dem ganzen Geseze und au....

720 der geschichtlichen Entwicklung dieser Angelegenheit hervor, daß die Heimathlosen und alle damit verbundenen Nachtheile den Kantonen zufallen, und daß der Bund lediglich berufen ist, auf die Regulirung der Angelegenheit hinznwirken, woraus natürlich folge, daß die Kantone im . Nothfall auch diejenigen zu unterstüzen haben, welche ihnen zur provisorischen Duldung zngewiesen sind, mit dem Vorbehalte jedoch, solche Kosten bei der definitiven Zutheilung in Rechnung zu bringen.

Der Generalanwalt:

Amiet.

721

N a ch tr a g z1uu

Geschästsbericht des Finanzdepartements.

Jn dem Rechenschaftsbericht des Finanzdepartements sind nur die von der h. Bundesversammlung am 31. Januar 1853 für das Jahr 1852 bewilligten Nachtragskredite im Gesammtbetrage von Fr. 93,843. 42 bei den einzelnen Verwaltungsstellen aufgeführt, aber übersehen worden, daß schon am 16. August 1852 sür das gleiche

Rechnungsjahr nachträglich Fr. 217,791. 02 bewilligt wurden.

Nach Seite 243-249 der offiziellen Sammlung betragen nun diefe Summen: 1) bei der Bundeskanzlei:

a. . Fr. 27,000. -b. " 8,600. -

Fr. 35,600. -

2) Politischem Departement:

a. Fr. 4,500. b. ., 3,300. 63 .

Fr.

7,800. 63

3) Justiz- und Polizeidepartement:

a. Fr. 50,000. b. ,, 4,000. -

Fr. 54,000. --

4) Militärdepartement:

a. Fr. 42,191. 02 b. ,, 63,910. 60 Fr. 106,10l. 62 Uebertrag: Fr. 203,502. 25

722

Uebertrag: Fr. 203,502. 25 5) Finanzdepartement:

a. Fr. 7,100. -b. ,, 2,129. 60 Fr.

9,229. 60

6) Handels- und Zolldepartement:

a. Fr. 31,000.

b. " 6,300. -Fr. 37,300. -

7) Post- und Baudepartement:

a. Fr. 56,000. -b. " 5,602. 59 Fr. 61,602. 59 Durch diese Nachtragskredite im Gesammtbetrage von . . . .

Fr. 311,634. 44 sind die Ausgaben einzelner Verwaltungszweige nicht allein gedekt, sondern auch manche vorgesehenen Summen nicht vollständig benuzt worden.

Dagegen finden sich aber andere Budgetansäze doch noch überschritten, und es wird deßhalb auf die Staatsrech-

nung felbst und den hieraus bezüglichen Geschäftsbericht verwiesen.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des schweizerischen Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahr 1852.

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Bundesblatt

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Feuille fédérale

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Jahr

1853

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

31

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

09.07.1853

Date Data Seite

665-722

Page Pagina Ref. No

10 001 179

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