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Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde des Herrn H. Wehrli-Wirz, in Schönenwerd, wegen Verweigerung eines Wirtschaftspatentes.

(Vom 4. Dezember 1911.)

Der schweizerische Bundesrat hat

über die Beschwerde des Herrn H. Wehrli-Wirz in Schönenwerd, wegen Verweigerung eines Wirtschaftspatentes, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluss gefasst: A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Mit Eingabe vom 19. November 1910 richtete H. WehrliWirz, Tapezierer und Buchbinder in Schönenwerd, an die Regierung des Kantons Solothurn das Gesuch um Erteilung eines Wirtschaftspatentes für sein an der Burgstrasse gelegenes Haus Nr. 458. Zwei Tage später, am 21. November 1910, reichte auch Gottfried Rieder in Schönenwerd bei der Regierung ein Gesuch um Bewilligung eines Wirtschaftspatentes für sein Haus ein, das ebenfalls an der Burgstrasse, nicht weit von demjenigen Wehrlis gelegen ist.

Der Regierungsrat behandelte die beiden Gesuche gemeinsam und wies sie durch Schlussnahme vom 30. Dezember 1910 ab.

Er anerkannte zwar, dass gegen die Eignung der in Frage

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kommenden Gebäulichkeiten und der Bewerber kein Einwand erhoben werden könne, gelangte aber, entgegen der Ansicht des Gemeinderates von Schönenwerd, zu dem Schlüsse, dass mit der Eröffnung der fraglichen Wirtschaften dem öffentlichen Wohle nicht gedient sei.

Die Gemeinde Schönenwerd mit 2639 Einwohnern weise zwar zurzeit nur 9 Wirtschaften auf und es könnte somit nach Massgabe von § 2, AI. l, des Regulativs betreffend die Handhabung der sog. Bedürfnisfrage bei Errichtung von neuen Wirtschaften, vom 20. Oktober 1896, die Eröffnung einer neuen Wirtschaft bewilligt werden, da dieser Paragraph bestimme, es sei im allgemeinen anzunehmen, dass, wenn an einem Orte auf weniger als 200 Einwohner eine Wirtschaft entfalle, dieses Verhältnis dem lokalen Bedürfnis und dem öffentlichen Wohle zuwider sei. Allein nach AI. 3 desselben Paragraphen fallen neben der Normalzahl von Wirtschaften für die Entscheidung die besonderen Verhältnisse der betreffenden Örtlichkeit in Betracht und diese müssten zur Abweisung der beiden Gesuche führen.

Das Wirtschaftsbedürfnis sei in Schönenwerd schon reichlich gedeckt. Speziell die in Aussicht genommenen Wirtschaftsbetriebe seien in einer Gegend des Dorfes gelegen, die schon genug solcher zähle. Die Gebäude der beiden Gesuchsteller seien nur ca. 110 bezw. 60 Meter von der nächstgelegenen Wirtschaft an der Hauptstrasse entfernt, in deren Nähe noch weitere Wirtschaften betrieben werden. Die Burgstrasse, welche in die Hauptstrasse mündet, sei abgelegen und werde fast nur von Arbeitern begangen, die in Nachbargemeinden wohnen; diesen Arbeitern brauche aber nicht Gelegenheit geboten zu werden, auf dem Heimweg noch Einkehr zu halten ; es sei dies dem öffentlichen Wohl nicht dienlich. Unter keinen Umständen sei es aber zulässig, dort gleichzeitig nahe beieinander zwei neue Wirtschaften zu eröffnen.

Das Gesuch des Petenten Wehrli könne insbesondere auch deshalb nicht bewilligt werden, weil er die Wirtschaft nicht persönlich betreiben wolle, sondern laut seinen Angaben hierfür ,,einen tüchtigen Fachmann in Aussicht genommen" habe. Nach dem Sinn des solothurnischen Wirtschaftsgesetzes könne aber das Patent nur derjenigen Person erteilt werden, die selbst die Wirtschaft betreiben wolle. Die in Aussicht genommene Persönlichkeit sei aber dem Regierungsrat nicht bekannt.

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IL Mit Eingabe vom 22. Februar 1911 rekurrierte H. WehrliWirz in Schönenwerd an den Bundesrat und verlangte, es sei der Entscheid des Regierungsrates des Kantons Solothurn vom 30. Dezember 1910 aufzuheben und die Regierung anzuweisen, dem Beschwerdeführer das nachgesuchte Wirtschaftspatent zu erteilen.

In der Begründung der Beschwerde wird ausgeführt, der angefochtene Entscheid stelle sich als ein Akt der Willkür und der rechtsungleichen Behandlung dar und verletze den in Art. 31 B. V. garantierten Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit. Angesichts der gesetzlichen Bestimmungen, welche im Kanton Solothurn das Wirtschaftsgewerbe den durch das öffentliche Wohl geforderten Beschränkungen unterwerfen, hätte das Gesuch des Rekurrenten bewilligt werden müssen, denn, wie die Regierung selbst zugebe, könne weder gegen die für die Wirtschaft in Aussicht genommene Gebäulichkeit noch gegen die Person des Potenten ein Einwand erhoben werden. Seine Absicht, die Wirtschaft zu vermieten, bilde keinen Grund zur Abweisung des Gesuches, denn er sei von diesem Plan abgekommen und werde den Betrieb mit seiner Familie selbst an die Hand nehmen. Aber, wenn auch dies nicht der Fall gewesen wäre,, hätte sein Gesuch deshalb nicht abgewiesen werden können, denn er habe die Bewilligung für sich persönlich verlangt.

Da nach der nun massgebenden Bevölkerungsziffer in Schönenwerd auf eine Wirtschaft nahezu 300 Einwohner zu rechnen seien, müsse man im Sinne von Gesetz und Regulativ zur Bejahung der Bedürfnisfrage gelangen.

Dass ,,besondere Verhältnisse" in Schönenwerd vorliegen, welche der Errichtung neuer Wirtschaften entgegenstehen, werde bestritten.

Die Regierung widerspreche sich in ihrer Argumentierung selbst, denn sie bekämpfe die Wirtschaft des Rekurrenten sowohl deshalb, weil sie sich an der abgelegenen, fast nur von Arbeitern begangenen Burgstrasse befinde, als auch darum, weil sie zu nahe bei einer Wirtschaft an der Hauptstrasse liegen solle. Ferner sei die Befürchtung nicht begründet, dass durch die neue Wirtschaft den heimkehrenden Arbeitern unnötigerweise Veranlassung zum ,,Einkehren" geboten werde. Es werde die Einrichtung einer ,,bessern" Wirtschaft mit Ausschank von bayerischem Bier beabsichtigt. Übrigens müssten die Arbeiter, bevor

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sie auf ihrem Heimweg zur Wirtschaft des Rekurrenten kämen, bei 3 Wirtschaften passieren; ihr Konsum würde sich damit höchstens auf eine Wirtschaft mehr als bisher verteilen.

Andererseits seien aber die besonderen Verhältnisse hervorzuheben, welche ein Bedürfnis nach Vermehrung der Wirtschaften begründen, nämlich die Beschäftigung von über 2500 Arbeitern in den Ballyschen Fabriken in Schönenwerd, der stets zunehmende Verkehr der Ortschaft an gewöhnlichen Tagen und besonders Sonntags, sowie die fortschreitende Entwicklung des Quartiers, worin das Haus des Rekurrenten liege. Auf Ortschaften mit gr'ossem Verkehr passe das Regulativ über die Handhabung des Bedürfnisartikels nicht.

Die Ortsbehörden von Schönenwerd, Gesundheitskommission, Baukommission und Gemeinderat, welche die dortigen Verhältnisse am besten kennen, gelangen zur Bejahung der Bedürfnisfrage und empfehlen die Erteilung des begehrten Patentes. Wenn der Regierungsrat trotzdem unter Verneinung der Bedürfnisfrage das Gesuch abweise, mache er sich der Willkür oder Verletzung des Art. 31 B. V. schuldig. Die Berechtigung dieses Vorwurfes zeige sich sehr deutlich aus einem Vergleich mit den Verhältnissen an vielen anderen Orten des Kantons, wo auf weniger als 200 Einwohner schon eine Wirtschaft entfalle; in Solothurn auf 119, in Ölten sogar schon auf 102 Einwohner. Da würde Schönenwerd mit 10 Wirtschaften auf 2639 Seelen noch sehr vorteilhaft dastehen.

Der Entscheid der Solothurner Regierung verletze aber auch noch°den verfassungsmässigen Grundsatz der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, denn es seien seit dem Inkrafttreten der geltenden Vorschriften in Niedergerlaflngen (im Jahre 1900), in Derendingen (im Jahre 1905) und in Wangen bei Ölten neue Patente erteilt worden, trotzdem dort die Bedürfniszahl erreicht gewesen sei. An Hand des der Regierung zur Verfügung stehenden Materials liessen sich aus den letzten Jahren jedenfalls noch weitere Beispiele hierfür anführen.

Der Umstand endlich, dass 2 Tage nach dem Rekurrenten auch Herr Rieder ein Patentgesuch eingereicht habe für ein Gebäude, in der Nähe desjenigen des Rekurrenten, könne die Abweisung des von diesem eingereichten Gesuches nicht rechtfertigen, denn, wenn nicht beide Gesuche bewilligt werden könnten, so müsse eben die Priorität entscheiden.

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III.

In seiner Vernehmlassung vom 13. April 1911 hält der Regierungsrat an seinem Entscheide fest und macht unter Berufung auf die Begründung desselben geltend, dass nach Massgabe von § 2 des Regulativs vom 20. Oktober 1896 eia neues Patent auf Grund der besondern Verhältnisse in einer Ortschaft auch dann verweigert werden könne, wenn dort die Wirtschaften die Bedürfniszahl nicht erreichen. Die gegenteilige Ansicht des Gemeinderates von Schönenwerd, auf Grund welcher derselbe zur Empfehlung des vom Rekurrenten eingereichten Gesuches gelangt, sei nicht stichhaltig. Die bei Bewilligung der zwei Patentbegehren entstehende Häufung der Wirtschaften in engstem Bezirke der Ortschaft könne dem allgemeinen Wohle nicht förderlich sein und müsse bei der Entscheidung über die Gesuche in Betracht fallen, wenn auch mit Rücksicht auf die Bevölkerungszahl der Gesamtgemeinde im Sinne des Regulativs weitere Wirtschaften zugelassen werden könnten. Auch der Umstand, dass die beiden mehr abgelegenen Wirtschaften sich am Heimweg der Arbeiter befinden, spreche nicht zugunsten des begehrten Wirtschaftspatentes.

Es sei ja richtig, dass in vielen Gemeinden die Bedürfniszahl überschritten sei, das rühre aber aus der Zeit vor Inkrafttreten des gegenwärtigen Wirfcschaftsgesetzes her. Die Wirtschaften, die früher bewilligt worden seien, können nicht leicht wieder aufgehoben werden und es seien die Behörden praktisch darauf angewiesen, durch eingehende Prüfung der Bedürfnisfrage die Vermehrung der Wirtschaften einzudämmen. Dass dies geschehe, beweise die Praxis des Regierungsrates, welche in den letzten Jahren eine strengere geworden sei. So sei seit dem Jahre 1908 keinem Gesuch um Erteilung eines Wirtschaftspatentes mehr entsprochen worden; im Jahre 1907 seien von 10 Gesuchen 7, im Jahre 1906 von 16 Gesuchen 14 abgewiesen worden.

Mit den vom Rekurrenten angeführten Fällen von Patentbewilligungen könne der Beweis für eine angeblich rechtsungleiche Anwendung des Wirtschaftsgesetzes nicht erbracht werden. Einer dieser Fälle -- Wangen bei Ölten -- falle von vorneherein ausser Betracht, weil in dieser Ortschaft seit dem Inkrafttreten des geltenden Wirtschaftsgesetzes überhaupt keine neue Wirtschaft entstanden sei. In Niedergerlafingen sodann sei im Jahre 1900 nicht eine gewöhnliche Wirtschaft, sondern ein Gasthof

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bewilligt worden, weil am dortigen Hauptsitz der von Rollschen Bisenwerke die Eröffnung eines zweckentsprechenden Logierund Speisehauses von allen Instanzen als dringend nötig erachtet worden war. In Derendingen endlich sei ein Wirtschaftspatent im Jahr 1905 erteilt worden mit Rücksicht darauf, dass die Patentbewerberin sich anerboten habe, auch eine Badanstalt zu betreiben, wozu sie ausserstande gewesen wäre, wenn sie nicht nebenbei die Wirtschaftskonzession erhalten hätte; denn der Betrieb der Badeanstalt allein hätte ihr keine Existenzmöglichkeit geboten, trotzdem die Errichtung einer solchen Anstalt für die Gemeinde sehr wünschenswert war.

IV.

Bei einem am 16. September 1911 vorgenommenen Augenschein hat sich ergeben, dass der zu den Akten gelegte Plan von Schönenwerd ungenau ist. In der Burgstrasse und an den Strassen südlich und südöstlich von ihr sind ausser den in den Plan mit Bleistift eingezeichneten Häusern des Rekurrenten und des Gr. Rieder noch eine ganze Anzahl weitere Häuser entstanden und zwei weitere waren im Bau begriffen. Die Burgstrasse und die angrenzenden Strassenzüge sind im Begriff zu Verkehrsadern eines neuen und stattlichen Wohnquartieres der Gemeinde zu werden. Bei Fabrikschluss benutzt ein ansehnlicher Teil der in Schönenwerd beschäftigten Arbeitermassen die Burgstrasse als Heimweg.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

An dem angefochtenen Entscheid fällt auf, dass er das Patentgesuch des Rekurrenten und das zwei Tage später eingelegte Gesuch des Gottfried Rieder gemeinschaftlich behandelt.

Es wäre angemessener gewesen, jedes Gesuch einzeln zu erledigen, schon aus dem einfachen Grund, weil ja die Möglichkeit bestand, dass die Bedürfnisfrage für eine neue Wirtschaft zu bejahen, für eine zweite neue Wirtschaft aber zu verneinen war .

und jedenfalls die Bewilligung des ersten Gesuches nicht auch die Bewilligung des zweiten zur notwendigen Folge haben musste.

Wenn auch noch in der Beschwerdeantwort des Regierungsrates der beiden Patentgesuche mehrfach gemeinschaftlich gedacht wird, Bundeeblatt. 64. Jahrg. Bd. III.

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so kann doch diesem ungewöhnlichen Vorgehen der Regierung keine allzu grosse Bedeutung beigemessen werden, da aus der Vernehmlassung, als Ganzes betrachtet, deutlich erhellt, dass die Regierung ihren ablehnenden Standpunkt auch dann eingenommen haben würde, wenn sie über das Gesuch des Rekurrenten allein entschieden hätte.

Den im angefochtenen Entscheid als Abweisungsgrund erhobenen Einwand, der Rekurrent wolle die Wirtschaft nicht persönlich betreiben, weshalb ihm das Patent nicht erteilt werden könne, nimmt die Regierung in der Vernehmlassung nicht mehr ausdrücklich auf; sie begnügt sich damit, in dieser Hinsicht auf die Erwägungen des Entscheides zu verweisen. Die Regierung hält diesen Einwand offenbar selbst nicht für ausschlaggebend, da sie sonst die Abweisung des Patentgesuches lediglich mit diesem Einwand hätte begründen können und damit der Erörterung der Bedürfnisfrage überhoben worden wäre. In der Tat ist denn auch dieser Einwand nicht stichhaltig; denn wie im Entscheid ausdrücklich festgestellt wird, suchte Wehrli das Patent auf seinen Namen nach und es musste daher angenommen werden, dass er, mindestens bis er den von ihm in Aussicht genommenen tachmännischen Mieter gefunden habe, die Wirtschaft selbst befreiben wolle. Dass er persönlich nicht genügende Garantien für einen klaglosen Wirtschaftsbetrieb biete, wird nirgends behauptet.

n.

Für die Beurteilung der Bedürfnisfrage, um die sich der Streit im vorliegenden Fall in erster Linie dreht, sind folgende Bestimmungen des solothurnischen Rechtes massgebend: 1. § 10 des Gesetzes vom 9. Februar 1896 betreffend das Wirtsehaftswesen und den Handel mit geistigen Getränken, lautend : ,,Das Patent für die Errichtung einer neuen, sowie die Erneuerung oder Übertragung eines Patentes für eine bestehende Wirtschaft soll verweigert werden, wenn das Entstehen oder die Weiterführung der Wirtschaft am betreffenden Orte dem lokalen Bedürfnis und dem öffentlichen Wohl zuwider ist.tt 2. § 2 des regierungsrätlichen Regulatives vom 20. Oktober 1896 betreffend die Handhabung der sogenannten Bedürfnisfrage bei Errichtung neuer Wirtschaften, lautend: ,,Im allgemeinen ist anzunehmen, dass wenn an einem Orte auf weniger als 200 Personen eine Wirtschaft entfällt, dieses

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Verhältnis dem lokalen Bedürfnis und dem öffentlichen Wohle zuwider sei."

,,Massgebend für die Einwohnerzahl ist die letzte eidgenössische oder Gemeinde-Volkszählung.a ,,Daneben fallen für die Entscheidung die besonderen Verhältnisse der betreffenden Örtlichkeit in Betracht.tt Der Rekurrent glaubt aus diesen Bestimmungen den Satz ableiten zu können, dass da, wo, wie in Schönenwerd, die Normalzahl von Wirtschaften (l auf weniger als 200 Einwohner) noch nicht erreicht sei, ein Bewerber gewissermassen einen Anspruch auf Bewilligung seines Patentgesuches habe. Demgegenüber vertritt der Regierungsrat die Auffassung, ein solcher Anspruch existiere nicht und die patenterteilende Behörde habe, auch wenn die Normalzahl nicht erreicht werde, das Recht, ein Patent zu verweigern, sofern die besondern Verhältnisse der Örtlichkeit dies rechtfertigen. Diese Auffassung kann nun angesichts des Wortlauts der zitierten Bestimmungen nicht als willkürlich bezeichnet werden. Richtig ist, dass sich aus jenen Bestimmungen auch der weitere Satz ableiten lässt, die patenterteilende Behörde könne eine Wirtschaft auch dort auf Grund der besondern Verhältnisse bewilligen, wo die Normalzahl schon überschritten ist und es springt in die Augen, dass mit der Aufstellung dieser beiden Sätze die Normalzahl an Bedeutung wesentlich verliert; das rein objektive Kriterium der Zahl tritt neben der Beurteilung der besondern Verhältnisse der Örtlichkeit in den Hintergrund. Allein auch eine solche, die Bedeutung der Normalzahl stark einschränkende Interpretation des § 2 des Regulativs kann nicht willkürlich genannt werden ; sie findet ihre beste Stütze in der vagen Ausdrucksweise des ersten Alineas des genannten § 2 selbst.

Nach dieser Feststellung ist zunächst zu prüfen, ob im vorliegenden Fall besondere Verhältnisse vorliegen, die die Verweigerung der Wirtschaftsbewilligung rechtfertigen. In dieser Hinsicht macht die Regierung geltend, es entstände durch die Bewilligung der vom Rekurrenten geplanten Wirtschaft eine vom Standpunkte des öffentlichen Wohles aus nicht zu billigende Häufung der Wirtschaften in einem engbegrenzten Rayon ; ausserdem aber sei die Burgstrasse und deren Umgebung noch in den Anfängen der baulichen Entwicklung begriffen, sodass dieser Bezirk der Ortschaft an sich noch keiner Wirtschaft bedürfe.

Diese Ausführungen sind, wie sich bei einem vom schweizerischen Justiz- und Polizeidepartement angeordneten Augenschein ergeben

576 hat, nur mit gewissen Einschränkungen richtig. Das von der Burgstrasse durchschnittene Quartier südöstlich der Hauptstrasse ist in seiner baulichen Entwicklung bedeutend weiter vorgeschritten, als nach dem zu den Akten gelegten Plan zu vermuten war, und es hat ganz den Anschein, als ob dieses Quartier das von der baulustigen Bevölkerung derzeit bevorzugte sei. Und was sodann die Häufung der Wirtschaften in einem engbegrenzten Rayon anbelangt, so kann diesem Umstand in einer immer mehr nach städtischer Bauweise sich entwickelnden Ortschaft keine allzugrosse Bedeutung beigelegt werden. Immerhin darf ohne willkürliche Würdigung der Verhältnisse angenommen werden, dass vorläufig noch die an der Hauptstrasse wenig westlich von der Burgstrasse gelegenen drei Wirtschaften in Verbindung mit der Kleinverkaufsstelle dem Bedürfnis dieses Teiles der Ortschaft genügen, sodass dermalen die Bewilligung einer neuen Wirtschaft im vordem Teil der Burgstrasse, wo sich das Haus des Rekurrenten befindet, nicht geboten erscheint. Dies um so eher, als die Ausflügler die nach Schönenwerd kommen, wohl nur in Ausnahmefällen von der Hauptstrasse ab in die Burgstrasse gelangen werden, und der Arbeiter, der die Burgstrasse als Heimweg benutzt, wenige Schritte von ihrem Beginn entfernt Gelegenheit genug hat, seinen Durst zu stillen. Wenn nun auch zuzugeben ist, dass der Rekurrent in guten Treuen hinsichtlich des Bedürfnisses anderer Meinung sein kann, so lässt sich doch die vom Regierungsrat vertretene Beurteilung der besondern Verhältnisse nicht als willkürlich bezeichnen.

Der Rekurrent macht nun aber ferner noch geltend, der angefochtene Entscheid verletze die Rechtsgleichheit. Um diese nachzuweisen, vergleicht der Rekurrent die Bevölkerungszahl und die Zahl der Wirtschaften in einigen solothurnischen Gemeinden mit den entsprechenden Ziffern von Schönenwerd, wobei sich allerdings für Schönenwerd die gunstigste Verhältniszahl ergibt, nämlich l Wirtschaft auf 240 Einwohner. Ferner verweist er auf die letzten Patenterteilungen in Niedergerlafingen vom Jahr 1900, in Derendingen vom Jahr 1905 und in Wangen bei Ölten, in welchen Ortschaften nach Einführung des Bedürfnisartikels je eine neue Wirtschaft bewilligt worden sei, trotzdem die Normalzahl (_! Wirtschaft auf 200 Einwohner) schon überschritten war.

Diese Anbringen können
für die Beurteilung der vom Rekurrenten behaupteten Verletzung der Rechtsgleichheit nicht rnassgebend sein und zwar aus folgenden Gründen. Zunächst stellt der Regierungsrat fest, dass fast überall, wo in solothurnischen

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Gemeinden auf weniger als 200 Einwohner eine Wirtschaft kommt, dieser Zustand zurückzuführen ist auf Patentbewilligungen vor Einführung der Bedürfnisklausel. Sodann aber macht der Regierungsrat geltend, er sei, um dem Zweck der Bedürfnisklausel gerecht zu werden, genötigt, seit einiger Zeit eine strengere Praxis bei Beurteilung neuer Patentgesuche einzuhalten als früher. Der Bundesrat hat nun schon wiederholt anerkannt, dass eine solche Verschärfung der Praxis zum angegebenen Zweck statthaft sein muss, ansonst. es den Kantonen sozusagen unmöglich gemacht würde, .unhaltbare, mit dem öffentlichen Wohl im Widerspruch stehende Zustände im Wirtschaftswesen zu sanieren.

Selbstverständliche Voraussetzung ist dabei, dass die verschärfte Praxis auch festgehalten und gleichmässig durchgeführt werde.

An Hand der Rechenschaftsberichte des solothurnischen Justizund Polizeidepartementes ergibt sich nun, dass diese strengere Praxis in der Tat mit dem Jahr 1908 eingesetzt hat und dass in diesem und im Jahr 1909 überhaupt keine neue Wirtschaft bewilligt worden ist. Der Rekurrent hätte einen gültigen Beweis für die Behauptung rechtsungleieher Behandlung nur erbringen können, wenn es ihm gelungen wäre, aus der Zeit nach Inaugurierung der strengern Praxis Fälle anzuführen, wo unter annähernd gleichen Verhältnissen wie in Schönenwerd Wirtschaftsbewilligungen erteilt worden wären; die von ihm genannten neuern Patenterteilungen in Niedergerlafingen (1900) und Derendingen (1905) -- in Wangen bei Ölten wurde, wie der Regierungsrat festgestellt hat, seit Inkrafttreten der Bedürfnisklausel keine neue Wirtschaft bewilligt, -- fallen hierfür nicht in Betracht. Allerdings sind im Jahr 1910 zwei neue Patente erteilt worden, aber laut einer mündlich beim solothurnischen Justiz- und Polizeidepartement eingeholten Information auf Grund besonderer Verhältnisse. Die eine neue Wirtschaft wurde im Gemeindebezirk Gempen bewilligt an einem Ausflugspunkt mit Aussichtsturm, die zweite in Rodersdorf anlässlich der Betriebseröffnung der neuen Strecke der Birsigthalbahn, die von Flühen nach der Endstation Rodersdorf weitergeführt worden ist. Solche besondere Umstände fallen für das Patentgesuch des Reklirrenten nicht in Betracht.

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Demgemäss wird erkannt: Die Beschwerde wird abgewiesen.

Bern, den 4. Dezember 1911.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundesräsident: Rächet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

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Bundesratsbeschluss über die Beschwerde des Herrn H. Wehrli-Wirz, in Schönenwerd, wegen Verweigerung eines Wirtschaftspatentes. (Vom 4. Dezember 1911.)

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