454

# S T #

Bundesbeschluss betreffend

die Genehmigung des am 20. August 1927 zwischen Kolumbien und der Schweiz abgeschlossenen Vertrages zur Erledigung von Streitigkeiten im Vergleichs-, Gerichts- und Schiedsverfahren.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht der Botschaft des Bundesrates vom 11. November 1927, beschliesst: 1. Der am 20. August 1927 zwischen der Schweiz und Kolumbien abgeschlossene Vertrag zur Erledigung von Streitigkeiten im Vergleichs-, Gerichts- und Schiedsverfahren wird genehmigt.

2. Der Bundesrat wird mit dem Vollzüge dieses Beschlusses beauftragt.

455

Vertrag zwischen

der Schweiz und Kolumbien zur Erledigung von Streitigkeiten im Vergleichs-, Gerichts- und Schiedsverfahren.

Der Schweizerische Bundesrat und

der Präsident der Republik Kolumbien, geleitet von dem Wunsche, die zwischen der Schweiz und Kolumbien bestehenden freundschaftlichen Bande zu festigen und die etwaigen zwischen den beiden Ländern entstehenden Streitigkeiten einer friedlichen Regelung zu unterwerfen, sind übereingekommen, zu diesem Zwecke einen Vertrag abzuschliessen, und haben zu ihren Bevollmächtigten ernannt, der Schweizerische Bundesrat: Herrn Giuseppe Motta, Bundespräsident, Vorsteher des Politischen Departementes, der Präsident der Republik Kolumbien: Seine Exzellenz Herrn Francisco J. de Urrutia, ausserordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister von Kolumbien in der Schweiz, die. nachdem sie sich ihre Vollmachten mitgeteilt und sie in guter und gehöriger Form befunden haben, über folgende Bestimmungen übereingekommen sind : Artikel 1.

Alle Streitigkeiten irgendwelcher Natur, die zwischen den beiden Staaten sich erheben sollten, und auf diplomatischem Wege binnen angemessener Frist nicht haben beigelegt werden können, sind auf Ersuchen eines der vertragschliessenden Teile «einem Vergleichsverfahren zu unterwerfen.

Falls das Vergleichsverfahren misslingt, so wird die Streitigkeit auf Ersuchen eines Teiles einem gerichtlichen oder schiedsgerichtlichen Verfahren überwiesen, gemäss Art. 13 des gegenwärtigen Vertrages.

Die vertragschliessenden Teile können gleichwohl vereinbaren, dass eine bestimmte Streitigkeit auf gerichtlichem oder schiedsgerichtlichem Wege ohne vorgängiges Vergleichsverfahren erledigt wird.

456

Artikel 2.

Das Vergleichsverfahren wird einer Kommission von drei Mitgliedern anvertraut, die von Fall zu Fall durch den vertragschliessenden Teil gebildet wird.

Die vertragschliessenden Teile bezeichnen jeder für sich, nach freier Wahl; ein Mitglied und ernennen im gemeinsamen Einverständnisse das dritte Mitglied, das ohne weiteres Vorsitzender der Kommission ist, aus den Angehörigen eines dritten Staates. Der auf diese Weise gemeinsam bezeichnete Kommissar darf seinen Wohnsitz nicht auf dem Gebiete der vertragschliessenden Teile haben, noch sich in ihrem Dienste befinden.

Die Vergleichskommission wird binnen einer Frist von drei Monaten von dem Tage an, wo ein vertragschliessender Teil dem andern seine Absicht, das Vergleichsverfahren einzuleiten, zur Kenntnis gebracht hat, bestellt.

Wenn der im gemeinsamen Einverstandnisse zu ernennende Kommissar binnen dieser Frist nicht ernannt ist, so wird er auf Begehren auch nur einer der Parteien, durch den Präsidenten des Ständigen Internationalen Gerichtshofes oder, falls dieser Angehöriger eines der vertragschliessenden Staaten ist, durch den Vizepräsidenten oder das älteste Mitglied des Gerichtshofes, die nicht Angehörige eines der vertragschliessenden Staaten sind, ernannt.

Artikel 3.

Der Vergleichskommission liegt ob, die Fragen, welche den Gegenstand des Streites bilden, aufzuhellen und in einem Berichte Vorschläge zur Beilegung des Anstandes zu machen.

Die Anrufung der Kommission erfolgt im Wege eines Begehrens, das von einem der vertragschliessenden Teile an den Kommissionsvorsitzenden gerichtet wird. Dieses Begehren wird gleichzeitig durch die Partei, von der es ausgeht, der Gegenpartei zur Kenntnis gebracht.

Artikel 4.

· Die Vergleichskommission tritt, unter Vorbehalt entgegenstehender Vereinbarung zwischen den Parteien, an dem von ihrem Vorsitzenden bezeichneten Orte zusammen.

Artikel 5.

Das Verfahren vor der Vergleichskommission ist kontradiktorisch.

Die Kommission setzt selbst das Verfahren fest, indem sie, unter Vorbehalt eines einstimmig gefassten entgegenstehenden Beschlusses, den im dritten Titel des Haager Abkommens zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfalle vom 18. Oktober 1907 enthaltenen Bestimmungen Rechnung trägt.

457 Artikel 6.

Die Beratungen der Vergleichskommission sind nicht öffentlich, es sei denn, dass die Kommission im Einverständnisse mit den Parteien anders beschliesst.

Artikel 7.

Die vertragschliessenden Teile sind berechtigt, bei der Vergleichskommission besondere Agenten zu ernennen, die gleichzeitig als Mittelspersonen zwischen ihnen und der Kommission zu wirken haben.

Artikel 8.

Unter Vorbehalt von Art. 5, Absatz 2, trifft die Vergleichskommission ihre Entscheidungen mit einfacher Stimmenmehrheit.

Artikel 9.

Die vertragschliessenden Teile verpflichten sich, die Arbeiten der Vergleichskommission in möglichst weitgehendem Masse zu fördern und insbesondere alle ihnen nach ihrer internen Gesetzgebung zur Verfügung stehenden Mittel anzuwenden, um es der Kommission zu ermöglichen, auf ihrem Gebiete Zeugen und Sachverständige vorzuladen und zu vernehmen, sowie Augenscheine vorzunehmen.

Artikel 10.

Die Vergleichskommission hat ihren Bericht innerhalb von sechs Monaten zu erstatten, nachdem sie in einer Streitigkeit angerufen worden ist, es sei denn, dass die vertragschliessenden Teile diese Frist im gemeinsamen Einverständnisse verlängern. Jeder der Parteien wird eine Ausfertigung des Berichtes ausgehändigt.

Der Kommissionsbericht hat weder in bezug auf den Tatbestand, noch hinsichtlich der rechtlichen Erwägungen die Bedeutung eines Schiedsspruches.

Artikel 11.

Die Vergleichskommission hat die Frist festzusetzen, binnen deren die Parteien sich zu ihren Vorschlagen zu äussern haben. Diese Frist darf indessen drei Monate nicht überschreiten.

Artikel 12.

Während der Dauer der Arbeiten der Vergleichskommission erhält jeder Kommissar eine Entschädigung, deren Höhe zwischen den vertragschliessenden Teilen zu vereinbaren ist.

Jede Partei übernimmt ihre eigenen Kosten und einen gleichen Teil der Kosten der Kommission.

458

Artikel 13.

Nimmt eine der Parteien die Vorschläge der Vergleichskommission nicht an oder äussert sie sieh nicht binnen der in dem Berichte festgesetzten Frist, so kann jede von ihnen durch einfaches Begehren den Ständigen Internationalen Gerichthof anrufen, falls gemäss Art. 36, Absatz 2, des Gerichtsstatuts die Streitigkeit zum Gegenstand hat: a. die Auslegung eines Staatsvertrages ; b. irgendwelche Fragen des internationalen Rechtes; c. die Existenz einer Tatsache, die, wenn sie bewiesen wäre, der Verletzung einer internationalen Verpflichtung gleichkommen würde ; d. die Art oder den Umfang einer wegen Verletzung einer internationalen Verpflichtung geschuldeten Wiedergutmachung.

Wenn die Frage bestritten ist, ob die Streitigkeit einer gerichtlichen Erledigung im Sinne des vorstehenden Absatzes fähig ist, entscheidet der Gerichtshof.

Alle andern Streitigkeiten werden auf Ersuchen einer Partei auf schiedsgerichtlichem Wege unter den im Artikel 14 des gegenwärtigen Vertrages vorgesehenen Bedingungen erledigt.

Artikel 14.

Für die Anrufung der Schiedsgerichtsbarkeit ist das Haager Abkommen zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle vom 18. Oktober 1907 massgebend.

Kann das Schiedsgericht innerhalb eines Zeitraumes von drei Monaten, nachdem eine der Parteien die schiedsgerichtliche Austragung der Streitigkeit verlangt hat, nicht im Einverständnisse der Parteien gebildet werden, so wird das Schiedsgericht aus fünf Schiedsrichtern, die aus der Liste der Mitglieder des Ständigen Schiedsgerichtshofes im Haag auszuwählen sind, zusammengesetzt. Jede Partei ernennt einen Schiedsrichter nach freier Wahl ; die drei andern, und unter diesen den Obmann, bezeichnen die Parteien im gemeinsamen Einverständnisse. Diese drei Schiedsrichter dürfen weder Angehörige der vertragschliessenden Teile sein, noch auf deren Gebiet ihren Wohnsitz haben oder in deren Dienste stehen.

Hat die Ernennung der gemeinsam zu bezeichnenden Schiedsrichter oder die Bezeichnung des Obmannes binnen sechs Monaten, nachdem eine Partei das Begehren um schiedsgerichtliche Austragung der Streitigkeit gestellt hat, nicht stattgefunden, so werden die Ernennungen gemäss Artikel 45 des Haager Abkommens zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle vom 18. Oktober 1907 vorgenommen.

459

Artikel 15.

Während des Verlaufs des Vergleichs-, Gerichts- oder Schiedsgerichtsverfahrens enthalten sich die vertragschliessenden Teile jeglicher Massnahme, die eine nachteilige Kiickwirkung auf die Annahme der Vorschläge der Vergleichskommission oder auf die Ausführung des Urteils des Ständigen Internationalen Gerichtshofes oder des Spruchs des Schiedsgerichtes haben könnte.

Artikel 16.

Etwaige Anstände über die Auslegung oder Ausführung des gegenwärtigen Vertrages sind, unter Vorbehalt anderweitiger Vereinbarung' zwischen den Parteien, im Wege ,eines einfachen Begehrens dem Ständigen Internationalen Gerichtshofe zu unterbreiten.

Artikel 17.

Der gegenwärtige Vertrag soll ratifiziert werden. Die Ratifikationsurkunden sollen so bald als möglich in Bern ausgetauscht werden.

Der Vertrag tritt mit dem Austausche der Ratifikationsurkunden in Kraft. Er ist abgeschlossen für die Dauer von zehn Jahren, gerechnet vom Tage des Inkrafttretens an. Wird er nicht sechs Monate vor A blauf dieser Frist gekündigt, so gilt er als für einen neuen Zeitraum von fünf Jahren verlängert, und so fort.

Falls im Zeitpunkte des Ablaufs des gegenwärtigen Vertrages ein Vergleichs-, Gerichts- oder Schiedsverfahren hängig sein sollte, so wäre dieses Verfahren nach den, Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages durchzuführen.

Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten den gegenwärtigen Vertrag unterzeichnet.

So geschehen zu Bern, in doppelter Urschrift, den 20. August 1927.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesbeschluss betreffend die Genehmigung des am 20. August 1927 zwischen Kolumbien und der Schweiz abgeschlossenen Vertrages zur Erledigung von Streitigkeiten im Vergleichs-, Gerichts- und Schiedsverfahren.

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1927

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

46

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

16.11.1927

Date Data Seite

454-459

Page Pagina Ref. No

10 030 198

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.