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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Genehmigung des am 20. August 1927 zwischen der Schweiz und Kolumbien abgeschlossenen Vertrages zur Erledigung von Streitigkeiten im Vergleichs-, Gerichts- und Schiedsverfahren.

(Vom 11. November 1927.)

Die Regierung von Kolumbien hatte uns durch ihren Minister in Bern, Herrn de Urrutia, wissen lassen, dass sie mit der Schweiz einen Vertrag abschliessen mochte, zwecks freundschaftlicher Erledigung der zwischen den beiden Ländern etwa entstehenden Streitigkeiten. Diese Anregung, die sich im Einklang mit seiner Politik auf dem Gebiete der Schiedsgerichtsbarkeit befand, nahm der Bundesrat mit Vergnügen auf.

Die Verhandlungen zwischen dem Politischen Departement und der Gesandtschaft von Kolumbien führten rasch zu einem Abkommen, da die von der Regierung von Kolumbien vorgesehene Übereinkunft im wesentlichen den früher von der Schweiz abgeschlossenen Vertragen entsprach.

Der mit Genehmigung des Bundesrates vom Politischen Departement ausgearbeitete Vertragsentwurf erhielt die Zustimmung der Regierung von Kolumbien, und am 20. August abbin konnte der Vorsteher des Politischen Departementes mit dem Minister von Kolumbien den Vertrag zur Erledigung von Streitigkeiten im Vergleichs-, Gerichts- uud Schiedsverfahren, dessen Text der vorliegenden Botschaft beigefügt ist, unterzeichnen.

Dieser Vertrag beruht auf folgenden drei Grundprinzipien : 1. Unter Vorbehalt einer entgegenstehenden Vereinbarung zwischen den vertragschliessenden Teilen (Art. l, Abs. 3), wird jede Streitigkeit, welcher Natur sie auch sei, die zwischen den beiden Landern entsteht, auf Ersuchen des einen Teiles, einem vorgängigen Vergleichsverfahren unterworfen.2. Falls das Vergleichsverfahren misslingt, werden die Streitigkeiten juristischer Art, die in Artikel 36, Absatz 2, des Statuts des Standigen Internationalen Gerichtshofes aufgeführt sind, diesem durch einfaches Begehren überwiesen (Art. 13, Abs. 1).

3. Alle anderen Streitigkeiten werden vor ein von den Parteien im gemeinsamen Einverständnisse zu bildendes Schiedsgericht gebracht (Art. 13, letzter Absatz).

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Der abgeschlossene Vertrag hat somit den Grundsatz des vorgängigen Vergleichsverfahrens, dessen Vorteile wir zu betonen wiederholt Gelegenheit hatten, aufgenommen. Er hat jedoch vorgesehen, dass die Parteien die Möglichkeit haben, im gemeinsamen Einverständnisse darauf zu verzichten, die Streitigkeit einem vorgängigen Vergleichsverfahren zu unterwerfen und in der Angelegenheit direkt an den Internationalen Ständigen Gerichtshof oder an ein von Fall zu Fall zu bildendes Schiedsgericht zu gelangen.

Gewisse Verträge, deren Muster der schweizerisch-italienische vom 20. September 1924 ist, machen in dieser Beziehung keinen Vorbehalt, da sie von dem im Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 11. Dezember 1919*) ausgedrückten Gedanken ausgehen, wonach ,,das Vergleichsverfahren in allen Fällen versucht werden sollte", denn u. a. ^schaltet es nach Möglichkeit die politischen Verstimmungen aus, die sich ergeben können, sei es aus der Notwendigkeit für die unterliegende Partei, sich einem Spruche fügen zu müssen, sei es gar aus einem Versuch einer Partei, sich dem gerichtlichen Verfahren zu entziehen". Die durch den Vertrag mit Kolumbien vorgesehene Möglichkeit, die zum Beispiel unser Vertrag mit Polen ebenfalls vorsieht, geht im Gegenteil von dem durchaus praktischen Gedanken aus, dass in gewissen Fällen die Ausschaltung des vorgängigen Vergleichsverfahrens gestattet, Zeit zu gewinnen, da eine Vergleichsaktion znm voraus zu einem Misserfolg bestimmt erscheinen kann, insbesondere wenu der Streitfall ein rein juristisches Problem aufwirft, dessen Lösung voraussichtlich von der einen Partei nur angenommen wird, falls sie ihr von einem für die Rechtsprechung besonders geeigneten Organ auferlegt wird.

Der Bundesrat hat die gegebenen Verhältnisse berücksichtigt, indem er Kolumbien vorschlug, der Vergleicbskommission keinen ständigen Charakter zu verleihen. Er misst der Ständigkeit von Vergleichskommissionen eine besondere, sogar wesentliche Bedeutung bei zwischen Nachbarstaaten, also zwischen Ländern, deren vielfache und häufige Beziehungen nur zu leicht die Quelle von Missverständnissen und Streitigkeiten werden können.

Es ist von Bedeutung, dass diese Staaten, im Falle des Versagens der Verhandlungen zwischen den Regierungen, die Möglichkeit haben, sich unverzüglich an Vermittler zu wenden zur
Regelung von Streitigkeiten, die sich verschlimmern könnten infolge von Verzögerungen, welche verursacht sind durch das Aufsuchen und Instandsetzen von geeigneten Mitteln zwecks Behebung diplomatischer Schwierigkeiten. Aber zwischen entfernten Staaten, wie Kolumbien und die Schweiz, sind Gefahren dieser Art kaum zu befürchten, um so mehr, da die Möglichkeiten zu Streitigkeiten viel beschränkter sind, als zwischen Nachbarstaaten oder Staaten, die wenig weit voneinander entfernt liegen. Es schien daher überflüssig, zwischen den beiden Staaten eine ständige Vergleichskommission einzusetzen. Die Re*) Bundesblatt, 1919, Band V, Seite 925 ff.

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gierung von Kolumbien nahm diese Gründe ohne weiteres an, und man kam überein, sich für den Grundsatz einer von Fall zu Fall zu bildenden Vergleichskommission zu entscheiden (Art. 2, Abs. 1).

Diese Kommission hätte sich aus fünf Mitgliedern zusammensetzen können, gemäss der Formel, die durch zahlreiche, von der Schweiz mit dem Ausland abgeschlossene Verträge mit Vergleichsklausel eingeführt worden ist (drei im gemeinsamen Einverständnisse bezeichnete Mitglieder, ein durch jeden vertragsehliessenden Staat frei bezeichnetes Mitglied).

Wir hielten jedoch dafür, -- und die Regierung von Kolumbien hat sich unserer Ansicht ohne weiteres angeschlossen --, dass es vorzuziehen sei, ein System zu vereinfachen, das eher geschaffen worden ist im Hinblick auf die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Staaten, deren Nachbarschaft Meinungsverschiedenheiten von besonderer Wichtigkeit und Schärfe entstehen lassen kann. Das Ergebnis des Vergleichsverfahrens wird übrigens sehr oft von der Schnelligkeit, mit der es ins Werk gesetzt werden kann, abhängen. Man würde nun aber vielleicht kostbare Zeit damit verlieren, zwischen zwei durch die Meere getrennten Staaten eine Kommission zu bestellen, wovon drei Mitglieder im gemeinsamen Einverständnisse zu bezeichnen wären. So sind denn die beiden Regierungen übereingekommen, die Anrufung einer Kommission von drei Mitgliedern vorzusehen, deren eines, der Vorsitzende, gemeinsam zu ernennen ist, während von den zwei andern Kommissaren je einer von jeder Partei bezeichnet wird (Art. 2).

Auf diese Weise werden die der raschen Einsetzung einer Vergleichskommission anhaftenden Schwierigkeiten auf ein Mindestmass herabgesetzt.

Die übrigen Klauseln des Vertrages betreffend das Vergleiehverfahren bedürfen keines Kommentars; sie sind alle Verträgen entnommen, die früher von der Schweiz abgeschlossen worden sind.

Der Vertrag huldigt, wie wir schon sahen, dem Grundsatz des obligatorischen und bedingungslosen Gerichts- oder Schiedsverfahrens. Er geht also in dieser Beziehung ebensoweit wie unser mit Italien abgeschlossener Vertrag zur Erledigung von Streitigkeiten im Vergleichs- und Gerichtsverfahren. Aber zum Unterschied von diesem Vertrage, der nur die Gerichtsbarkeit des Ständigen Internationalen Gerichtshofes für die Beilegung von im Vergleichsverfahren nicht erledigten Streitigkeiten
vorsieht, weist der Vertrag mit Kolumbien, in Anlehnung an das unseren Verträgen mit Frankreich und Belgien zugrunde liegende System, die in Artikel 36, Absatz 2, spezifizierten Streitigkeiten juristischer Art des Statuts des Gerichtshofes an diesen und behalt die Anrufung eines Schiedsgerichtes für alle Streitigkeiten vor, die nicht zu der erwähnten Kategorie gehören (Art. 13).

Wir hätten es vorgezogen, uns an das einheitliche System des schweizerisch-italienischen Vertrages zu halten und, im Falle eines Misslingens des Vergleichsverfahrens, die Anrufung der Rechtsprechung des Gerichtshofes für alle Streitigkeiten vorzusehen. Da Kolumbien jedoch

452 seine Vorliebe für das System der doppelten Rechtsprechung bekundete, ein System, das wir schon andern Staaten gegenüber angenommen haben, so glaubten wir auf diese Frage kein zu grosses Gewicht legen zu sollen, um so mehr, da der Vorbehalt zugunsten der Schiedsgerichtsbarkeit von keiner erheblichen praktischen Bedeutung ist, da die durch Artikel 36 des Statuts des Gerichtshofes vorgesehenen Kategorien von Streitigkeiten fast die Gesamtheit der Anstände umfassen, die normalerweise zwischen Staaten entstehen können.

Es ist zu beachten, dass der Internationale Ständige Gerichtshof auf Antrag eines der vertragschliessenden Teile befasst wird. Der Anspruch auf Einleitung des Verfahrens ist also nicht abhängig vom Abschluss einer Schiedsordnung. Unter den bisher von der Schweiz abgeschlossenen Verträgen hatte einzig der Vertrag mit Frankreich diesen früher jedem Schiedsverfahren unentbehrlichen Bestandteil aufgegeben ; die einseitige Gerichtsvorladung ist eine der wesentlichen Besonderheiten des auf Grund des Artikels 36 des Gerichtsstatuts eintretenden gerichtlichen Verfahrens. DaKolumbien darauf hielt, sich in dem Vertrag auf den gedachten Artikel zu beziehen und sogar die von ihm aufgestellte Einteilung der Streitigkeiten juristischer Art wörtlich zu übernehmen, so konnte man sich an den Grundsatz des einseitigen Begehrens halten, wie er durch diesen Artikel eingeführt ist, und wie er uns gegenüber fünfzehn Staaten, die mit der Schweiz dem Genfer Protokoll betreffend die obligatorische Zuständigkeit des Ständigen Internationalen Gerichtshofes beigetreten sind, bindet.

Es wäre übrigens zurzeit schwierig, sich kurzweg für das S}Tstem des Begehrens oder das System der Schiedsordnung z.u erklären, d. h., um den allgemeinsten Fall ins Auge zu fassen, das System, das dem Richter oder Schiedsrichter nur gestattet über die Schriftstücke der Parteien zu befinden, wenn die Schiedsordnung innerhalb einer bestimmten Frist nicht hat ausgearbeit werden können (siehe z. B. Art. 16, Abs. 4, des schweizerisch-italienischen Vertrages). Das erste System hat den Vorzug der Raschheit, indem jede Partei sich direkt, ohne vorgängiges Einverständnis, an das zuständige Gericht wenden kann ; das zweite, sofern ein Einverständnis über den Wortlaut der Schiedsordnung zustande kommt, hat denjenigen der Genauigkeit, in dem
Sinne, dass es eine klare Feststellung der von dem Schiedsrichter oder Richter zu entscheidenden Fragen zulässt.

Die Erfahrung allein wird lehren, ob eines dieser beiden Systeme dem andern vorzuziehen wäre.

Was die allfällige Anrufung des Schiedsgerichtes für die Streitigkeiten anbetrifft, die nicht unter die eine oder die andere Kategorie von Anständen juristischer Art gemäss Artikel 36 des Statuts des Gerichtshofes fallen, so sei hervorgehoben, dass es den Parteien freisteht, ein Schiedsgericht nach ihrem Belieben zu bilden. Käme aber diesbezüglich innert einer Frist von drei Monaten von dem Tage an, wo eine der Regierungen das schiedsgerichtliche Verfahren nachgesucht hat, ein Ein-

453 Verständnis nicht zustande, so würde das Schiedsgericht aus fünf Schiedsrichtern nach einem Ernennungsverfahren zusammengesetzt, ähnlich demjenigen, das zum Beispiel als Regel gilt für das durch den schweizerischdeutschen Schieds- und Vergleichsvertrag vorgesehene Schiedsgericht, sowie für die ständigen zwischen der Schweiz und einer Anzahl von Staaten gebildeten Vergleichskommissionen von fünf Mitgliedern (drei gemeinsam bezeichnete Schiedsrichter und ein von jeder Partei ernannter Schiedsrichter). Im übrigen ist das Schiedsgerichtsverfahren geordnet entsprechend dem Haager Abkommen zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle vom 18. Oktober 1907. Der vorbehaltlose Verweis auf dieses Abkommen ermöglicht es, alles was auf das Schiedsverfahren Bezug hat, in einem einzigen Artikel (Art. 14) zu regeln.

Wenn wir beifügen, dass der Vertrag für die Dauer von zehn Jahren abgeschlossen ist, mit der Möglichkeit, ihn von fünf zu fünf Jahren durch stillschweigende Erneuerung zu verlängern (Art. 17), so ist das Wesentliche über seinen Aufbau gesagt.

Der mit Kolumbien abgeschlossene Vertrag zur Erledigung von Streitigkeiten im Vergleichs-, Gerichts- und Schiedsverfahren wird zu den weitestgehenden gerechnet werden können, die von der Schweiz bis heute auf diesem Gebiet eingegangen worden sind. Er begründet ein neues Band zwischen der Eidgenossenschaft und einem Lande, mit dem sie die besten Beziehungen unterhält. Er hat in dieser Hinsicht den Charakter eines eigentlichen Freundschaftsvertrages. Dies wäre ein genügender Grund, ihn Ihrer Zustimmung zu empfehlen. Aber er kann sich noch auf einen andern Titel berufen, der, wenn auch nicht ausschliesslich auf dem nationalen Interesse beruhend, in unsero Augen trotzdem von grossem Wert ist : er trägt in nützlicher Weise zu der Bewegung bei, die sich in der Welt mehr und mehr zugunsten der Schiedsgerichtsbarkeit und des obligatorischen Gerichtsverfahrens vollzieht, und an der die Schweiz die Ehre hatte, seit Beginn aktiv teilzunehmen.

Wir sind sicher, dass Sie dem abgeschlossenen Vertrag Ihre Genehmigung erteilen werden und bitten Sie, zu diesem Zwecke dem beigefügten Entwurf eines Bundesbeschlusses zuzustimmen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 11. November 1927.

Im Namen des Schweiz, ßundesrates, Der Bundespräsident: Motta.

Der Bundeskanzler : Kaeslin.

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16.11.1927

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