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No 43

Bundesblatt 79. Jahrgang.

Bern, den 26. Oktober 1927.

Band II.

Erscheint wöchentlich. Preis 20 Franken im Jahr, 10 Franken im Halbjahr, zuzüglich Nachnahme- and Postbestellungsgebühr Einrückungsgebühr : 50 Rappen die Petitzeile oder deren Raum. -- Inserate franko an Stämpfli * de. in Bern.

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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Genehmigung des am 7. August 1927 abgeschlossenen Niederlassungsabkommens zwischen der Schweiz und der Türkei.

(Vom 21. Oktober 1927.)

I.

Wie wir in der Botschaft vom 5. Januar 1926 betreffend die Genehmigung des am 19. September 1925 abgeschlossenen Freundschaftsvertrages zwischen der Schweiz und der Türkei 1) angedeutet haben, sind bereits im Herbst 1925 Verhandlungen über den Abschluss des in Artikel 3 des Freundschaftsvertrages vorgesehenen Niederlassungsabkommens und des Handelsabkommens angeknüpft worden.

Das schweizerisch-türkische Handelsabkommen, das am 4. Mai 1927 in Angora zustande gekommen ist, wurde der Bundesversammlung mit Botschaft vom 31. Mai letzthin unterbreitet; der Nationalrat hat es am 16. Juni, der Ständerat am 24. Juni gutgeheissen. Nachdem dieses Abkommen auch vom türkischen Parlament genehmigt worden ist, hat der Austausch der schweizerischen und türkischen Ratifikationsurkunden am 29. September in Bern stattgefunden.

Die Frage der rechtlichen Stellung der Schweizer in der Türkei und der Türken in der Schweiz bildete zunächst Gegenstand von Unterredungendüngen zwischen der Türkisehen Gesandtschaft und dem politischen Departement. Als in der Folge die t ü r R e g i e r u n g g i e r u n g mitteilte, es wäre für sie bequemer, in Angora zu verhandeln, wurde der schweizerische Geschäftsträger in der Türkei im März 1927 beauftragt, die in Bern begonnenen Besprechungen fortzuführen.

Nach Verhandlungen, die, wenn auch ziemlich langwierig, doch stets vom freundschaftlichsten Geiste getragen waren, kam es Ende Juli zu einer Ver*) Genehmigt vom Nationalrat am 13. April und vom Ständerat am 22. April 1926 ; in Kraft getreten am 23. April 1927, d. h. fünfzehn Tage nach dem Austausch der Ratifikationsurkunden, der am 8. April 1927 in Bern erfolgt ist.

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290 ständigung, und das Mederlassungsabkommen zwischen der Schweiz und der Türkei konnte am 7. August 1927 in Angora zwischen den türkischen Bevollmächtigten, Ali Djenani Bey, ehemaligem Handelsminister, Abgeordneten von Ghazi Aintab, und Ali Chevki Bey, Unterstaatssekretär im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, einerseits, und Herrn Henri Martin, schweizerischem Geschäftsträger in der Türkei, andererseits, unterzeichnet werden.

II.

Das Niederlassungsabkommen zwischen der Schweiz und der Türkei, dessen Wortlaut sich im Anhange zu dieser Botschaft findet, besteht aus dreizehn Artikeln und einem Zusatzprotokoll, das einen integrierenden Bestandteil des Abkommens bildet. Zu den einzelnen Vereinbarungen sei folgendes bemerkt.

Artikel l enthalt die Bestimmungen über die eigentliche Niederlassung.

Er sichert den Angehörigen eines jeden der beiden Staaten das Becht zu, sich auf dem Gebiete des andern Staates niederzulassen und aufzuhalten, ohne dass sie deswegen andere Lasten zu tragen hätten als die bestbehandelten Ausländer. Die restlose Anwendung der Gesetze und Verordnungen betreffend die Niederlassung und den Aufenthalt von Ausländern sowie der Bestimmung über die Einwanderung bleiben vorbehalten.

Artikel 2. Während langer Zeit hatte die Türkei den Ausländern den Besitz von Grundstücken auf ihrem Staatsgebiet untersagt. Erst seit 1867 gestattete die Hohe Pforte den Erwerb von Grundeigentum im Ottomanischen Eeiche den Angehörigen derjenigen Staaten, die für Streitigkeiten über Grundeigentum die ausschliessliche Zuständigkeit der ottomanischen Gerichte anerkannten. Ein vom 9. Juni 1868 datiertes Protokoll wurde den Mächten, die diese im türkischen Gesetze vom 7. Sefer 1284 (16. Juni 1867) vorgesehene Verpflichtung einzugehen wünschten, zur Zeichnung eröffnet. Ungeachtet der Schritte, welche die Schweiz ini Jahre 1885 zu diesem Ende durch Vermittlung der französischen Begierung unternahm, wurde sie nicht zur Erfüllung einer Formalität zugelassen, die den schweizerischen Staatsangehörigen den Erwerb von Grundeigentum in der Türkei ermöglicht haben würde.

Artikel 2 sichert nunmehr den Schweizern in der Türkei, gleich wie den Türken in der Schweiz, das Becht, unter den nämlichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen der meistbegünstigten Nation bewegliches und unbewegliches Eigentum jeder
Art zu erwerben, vorbehaltlich der in den beiderseitigen Landesgesetzen vorgesehenen Ausnahmefälle, und verschafft somit unsero Landsleuten in der Türkei eine Befugnis, die sie bisher nicht besessen hatten und deren Fehlen für sie eine Quelle steter Schwierigkeiten und Unzukömmlichkeiten gewesen war.

Diese Befugnis wird beschränkt durch Artikel 89 des türkischen Gesetzes vom 18. März 1340 (1924) 1), der den Inländern das Eigentumsrecht für Grund-

') Vergleiche ,,Législation turque", édition Rizzo, Bd. II, Seite 208.

291 stücke auf dem Lande und in den Dörfern vorbehält und den Ausländern nur den Erwerb und den Besitz des in den Städten und Marktflecken gelegenen Grundeigentums gestattet. Das eben erwähnte Gesetz kann allerdings kraft des dem Friedensvertrage von Lausanne angeschlossenen Niederlassungsabkommens vom 24. Juli 1923 und des Niederlassungsabkommens zwischen Deutschland und der Türkei vom 12. Januar 1927, wenigstens gegenwärtig, den französischen, britischen, italienischen, japanischen, griechischen, rumänischen und jugoslawischen Staatsangehörigen sowie den Deutschen nicht entgegengehalten werden. Trotzdem lehnte es die türkische Eegierung, ungeachtet all unserer Bemühungen, ab, den Schweizern ein Vorrecht einzuräumen, das, in naher Zukunft widerruflich, den Ausländern in der Türkei grundsätzlich nicht zusteht und das bereits den Angehörigen mehrerer Staaten, die mit der türkischen Republik Niederlassungsverträge abgeschlossen haben, namentlich Polen, Österreich, Firmland, Ungarn und der Tschechoslowakei, verweigert worden ist.

Was die steuerliche Belastung anbelangt, so haben die beiderseitigen Staatsangehörigen für ihr bewegliches und unbewegliches Eigentum keine andern oder höheren Steuern und Abgaben zu entrichten als die Inländer.

Artikel 3. Den Staatsangehörigen eines jeden der vertragschliessenden Teile wird das Recht zugestanden, auf dem Gebiete des andern Teils gleich den Inländern und bei gleicher steuerlicher oder anderer Belastung, wie sie die Inländer deswegen zu tragen haben, jede Art von Industrie und Handel zu betreiben. Ein Vorbehalt ist indessen für die Berufe und Erwerbstätigkeiten gemacht worden, die nach den Gesetzen und Verordnungen in jedem der beiden Länder nur von den Inländern ausgeübt werden können. Es handelt sich in der Schweiz um den Advokaten- und Notarsberuf und in der Türkei um verschiedene Tätigkeiten, wie z. B. diejenige eines Lotsen, Schiffers, Schiffsmechanikers, Kutschers, Chauffeurs, Hotelportiers oder Kellners und Angestellten bei Versicherungsgesellschaften, Berufe, die in der Türkei von Ausländern nur auf Grund einer besondern behördlichen Bewilligung betrieben werden dürfen.

Auf Verlangen der Schweiz sind ausserdem der Hausierhandel und sonstige Wandergewerbe ausgenommen worden.

Artikel 4 bezieht sich auf die Leistungen, die von den Angehörigen eines
jeden der beiden Staaten auf dem Gebiete des andern verlangt werden können.

In Kriegs- und Friedenszeiten sind sie vom Militärdienst und von jeder Leistung befreit, die an Stelle des persönlichen Dienstes tritt, desgleichen von der Übernahme und Ausübung aller administrativen Ämter und Verrichtungen, sowie von der Beteiligung an Zwangsanleihen. Gegen gesetzliche Entschädigung unterliegen sie den militärischen Leistungen (Einquartierungen usw.) und Requisitionen, die den Inländern auferlegt werden können, sind aber von ausserordentlichen, nicht gesetzmässigen Leistungen (Zwangsabgaben) befreit.

Artikel 5. Der Schutz des Privateigentums ist gewährleistet. Enteignungen dürfen nur stattfinden, wenn es sich um einen gesetzlich als dem allgemeinen

292 Nutzen dienlich anerkannten Grund handelt; in diesem Falle muss vorgängig eine gerechte Entschädigung gewährt und die Massnahme zuvor in gehöriger Weise veröffentlicht -worden sein, Artikel 6. Die Staatsangehörigen eines jeden der vertragschliessenden Teile erfreuen sich auf dem Gebiete des andern Teils hinsichtlich ihrer Person und ihres Eigentums des vollständigsten Schutzes der Gesetze; sie können gleich den Inländern die Hilfe der Behörden anrufen und vor den Gerichten auftreten. Die Frage der Sicherheitsleistung für Prozesskosten und des Armenrechts soll indessen noch durch ein Sonderabkommen zwischen den beiden Regierungen geregelt werden.

Artikel 7. Wiewohl die steuerrechtliche Lage der beiderseitigen Staatsangehörigen hinsichtlich der für Niederlassung und Aufenthalt auf dem Gebiete des andern Staates, für unbewegliches und bewegliches Eigentum, sowie für die Ausübung ihrer Berufstätigkeit zu entrichtenden Steuern bereits in Absatz 2 von Artikel l, 2 und 3 geregelt wird, schien es doch nicht überflüssig, in einem besondern Artikel zu vereinbaren, dass die Schweizer in der Türkei, gleich den Türken in der Schweiz, in keinem Falle andern oder höhern Steuern, Zöllen oder Abgaben irgendwelcher Art unterliegen als die Inländer. Diese Bestimmung hat eine gewisse praktische Bedeutung; in der Türkei bestehen tatsächlich gewisse besondere Auflagen, beispielsweise für Schulen und Strassen, die aus dem üblichen Kahmen der persönlichen Abgaben und der Steuern auf Vermögen und Einkommen herausfallen. Es herrscht ferner darüber Einverständnis, dass, wenn den Angehörigen eines dritten auswärtigen Staates, abgesehen von Beiträgen an öffentliche Unternehmungen in Form eines Steuernachlasses, Steuerbefreiungen gewährt werden, diese den Angehörigen eines jeden der vertragschliessenden Teile gleichfalls zugute kommen sollen.

Artikel 8 ergänzt den vorhergehenden Artikel durch Bestimmungen über die steuerrechtliche Lage der durchreisenden beiderseitigen Staatsangehörigen und setzt mit Bucksicht auf das in der Türkei bestehende Ausreisevisum besondere Erleichterungen für die Heimschaffung mittelloser Landsleute fest.

Artikel 9 regelt die Bedingungen, unter denen Ausweisungen stattfinden können.

Artikel 10. Im Gegensatze zu den meisten älteren Niederlassungsverträgen, die der Eechtslage der auswärtigen
juristischen Personen geringe Aufmerksamkeit schenken, enthält das vorliegende Abkommen mit Bücksicht auf die heutigen Erfordernisse dieserhalb ausdrückliche Bestimmungen. Sofern die Handels-, Industrie- und Finanzgesellschaften, einschliesslich der Transport und Versicherungsgesellschaften, die auf dem Gebiete des einen der Vertrags teile bestehen, nicht gegen die öffentliche Ordnung verstossen und nach den Gesetzen des Landes, wo sie ihren Sitz haben, rechtsgültig errichtet sind, können sie auf dem Gebiete des andern Vertragsteils Niederlassungen gründen und dort im Eahmen der Landesgesetze ihre Tätigkeit ausüben. Unter den näm-

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liehen Bedingungen wie natürliche Personen, die dem gleichen Staate wie sie selbst angehören, haben sie freien Zutritt zu den Gerichten. Natürlicherweise sind für ihre Fähigkeit, vor Gericht aufzutreten, die Gesetze ihres Heimatlandes massgebend. Wie natürliche Personen und unter den nämlichen Vorbehalten können sie die für ihren Gewerbebetrieb erforderlichen Grundstücke erwerben, wobei indessen der Grundstückhandel nicht den Geschäftszweck der Gesellschaft bilden darf. Sie unterliegen denselben Steuerbestimmungen wie die inländischen Gesellschaften ; wie die natürlichen Personen sind sie indessen von der Beteiligung an Zwangsanleihen und von nicht gesetzmässigen Leistungen befreit. Gegen gesetzliche Entschädigung unterliegen sie militärischen Requisitionen gleich den inländischen Gesellschaften. Einer besondern Bestimmung zufolge dürfen die im Gebiete des andern Vertragsteils bestehenden Zweigniederlassungen, Agenturen und sonstigen Vertretungen nur für das in diesen Vertretungen investierte Kapital oder für die von ihnen erzielten Gewinne besteuert werden.

Artikel 11. Wie aus dem Vorstehenden ersichtlich ist, beruht das Abkommen auf dem Grundsatze der Gleichbehandlung mit den Inländern. Die türkische Eegierung zeigt in der Tat gegenüber der Meistbegünstigungsklausel, die sich in der Mehrzahl der von der Schweiz abgeschlossenen Niederlassungsverträge findet, einige Zurückhaltung, und sie glaubte, nicht auf unsern Vorschlag eingehen zu können, wonach diese -- in den türkischen Niederlassungsverträgen nur ganz ausnahmsweise vorkommende -- Klausel dem schweizerischtürkischen Abkommen zugrunde zu legen sei. Da übrigens kaum ein Staat die Ausländer besser zu behandeln pflegt als die eigenen Landesangehörigen, ist die Inländerbehandlung grundsätzlich der Meistbegünstigung vorzuziehen.

Kraft der mit dritten Staaten abgeschlossenen, auf dem Grundsatze der Gleichbehandlung mit den Inländern beruhenden Abkommen fällt übrigens die Meistbegünstigung in der Praxis sehr oft mit der Inländerbehandlung zusammen ; wir glaubten denn auch nicht auf einer Frage bestehen zu sollen, der vorwiegend theoretisches Interesse zukommt.

Einzelne, übrigens bereits hervorgehobene Bestimmungen (Artikel 1 Absatz 2; Artikel 2, Absatz 1; Artikel 7, Absatz 2) sehen nichtsdestowenigevor, dass sich die Staatsangehörigen eines jeden
der vertragschliessenden Teile in bestimmten Fragen (Niederlassungs- und Aufenthaltsgebühren, Eigentumsrecht und Steuerbefreiungen) auf dem Gebiete des andern Vertragsteils der Gleichbehandlung mit den bestbehandelten Ausländern erfreuen sollen.

Auf Begehren der Türkei wurde in Artikel 11 vereinbart, dass nach dem Grundsatze der Gegenseitigkeit keiner der beiden Teile, gestützt auf die Meistbegünstigungsklausel, andere oder ausgedehntere Vorteile beanspruchen kann, als er selbst auf den nämlichen Gebieten den Staatsangehörigen oder den Gesellschaften des andern Teils einräumt.

Artikel 12. Das Niederlassungsabkommen zwischen der Schweiz und der Türkei gilt für die Dauer von zwei Jahren ; es bleibt indessen durch stillschwei-

294 gende Erneuerung solange in Kraft, bis einer der vertragschliessenden Teile durch eine sechs Monate zuvor erfolgte Kündigung bekanntgegeben hat, dass er seine Handlungsfreiheit zurückzunehmen wünsche.

Artikel 13 enthält die Ratifikationsklausel.

Z u s a t z p r o t o k o l l . Die Schweizerkolonie in der Türkei, die sich bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts kräftig zu regen begann, zählt heute 600 Mitglieder, von denen manche bereits seit längerer Zeit eine angesehene Stellung im Handel einnehmen. Unter diesen Umständen ist es begreiflich genug, dass unsere Landsleute in der Türkei Mittel und Wege suchten, um dem gesetzlichen Hindernis für den Erwerb der zu Unterkunft und Gewerbebetrieb notwendigen Grundstücke zu begegnen. Im Augenblicke, wo ein Niederlassungsabkommen zum ersten Male ihre rechtliche Lage in der Türkei regelt und ihnen das Recht zum Erwerbe von Grundstücken zugesteht, war es unerlässlich, zu vereinbaren, wie sie ihre Eigentumstitel an Grundstücken, deren tatsächliche Besitzer sie bereits sind, regularisieren können. Die türkische Regierung brachte den Erfordernissen dieser Ausnahmelage volles Verständnis entgegen, und sie bot Hand zu den im Hinblick auf die Regularisierung zu treffenden Massnahmen.

Die Bedingungen, unter denen die Schweizer in der Türkei ihre unregelmässigen Eigentumstitel gegen ordnungsmässige Titel austauschen können, sind in einem Zusatzprotokoll umschrieben, das dem Niederlassungsabkommen beigegeben und mit dem Abkommen selbst zu ratifizieren ist. Besondere Bestimmungen, die keiner weitern Erläuterung bedürfen, waren erforderlich, um den von Eall zu Fall wechselnden Verhältnissen und den Vorschriften der türkischen Gesetzgebung Rechnung zu tragen. Durch diese Bestimmungen werden in der Praxis alle gutgläubig erworbenen Rechte, selbst jene an ländlichem Grundbesitze, sichergestellt.

III.

Das Abkommen, das wir Ihnen hiermit zur Genehmigung vorlegen, trägt in mancher Hinsicht die Spuren der Zugeständnisse, die wir dem Standpunkte der türkischen Regierung zu machen genötigt waren ; wir sind jedoch überzeugt, dass es seinem Zwecke, nämlich auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und nach den Grundsätzen der heutigen Auffassung die Rechtslage der Schweizer in der Türkei und der Türken in der Schweiz zu regeln, in vollem Umfange gerecht wird. In dieser Hinsicht entspricht das Abkommen einem dringenden Bedürfnisse, angesichts der stattlichen Anzahl der beiderseitigen Staatsangehörigen, die auf dem Gebiete des Gegenkontrahenten niedergelassen, und mit Rücksicht auf die Bedeutung der Unternehmungen, die am Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern interessiert sind.

Das Abkommen bestätigt zugunsten der Türken die Rechte und Vorteile, deren sich die Ausländer auf unserem Boden erfreuen. Es sichert aber auch den Schweizern in der Türkei, die sich bisher auf keine genau umschriebene vertragliche Bestimmung berufen konnten, eine klare, weitherzige und sicher-

295 lieh ebenso günstige Kechtslage, wie sie den Angehörigen anderer Staaten zukommt. Das Abkommen kann demnach nur dazu beitragen, die bereits bestehenden freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Staaten noch enger und lebhafter zu gestalten.

Unter diesen Umständen bitten wir Sie, den untenstehenden Entwurf eines Bundesbeschlusses gutheissen zu wollen.

Bern, den 21. Oktober 1927.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Vizepräsident :

Schulthess.

Der Vizekanzler:

Leimgruber.

(Entwurf.)

Bundesbeschluss betreffend

die Genehmigung des am 7. August 1927 abgeschlossenen Niederlassungsabkommens zwischen der Schweiz und der TUrkei.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 21. Oktober 1927, beschliesst : 1. Das am 7. August 1927 abgeschlossene Niederlassungsabkommen zwischen der Schweiz und der Türkei wird genehmigt.

2. Der Bundesrat wird mit der Vollziehung des gegenwärtigen Beschlusses beauftragt.

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Niederlassungsabkommen zwischen der Schweiz und der Türkischen Republik.

Der Schweizerische Bundesrat einerseits und der Präsident der Türkischen Republik andererseits, von dem Wunsche geleitet, die Niederlassungsverhältnisse der schweizerischen Staatsangehörigen in der Türkei und der türkischen Staatsangehörigen in der Schweiz zu regeln, haben beschlossen, ein Niederlassungsabkommen zu treffen, und haben zu diesem Zwecke zu ihren beiderseitigen Bevollmächtigten ernannt : der Schweizerische Bundesrat: Herrn Henri Martin, Schweizerischen Geschäftsträger in der Türkei, und der Präsident der Türkischen Republik: Herrn Ali Djenani Bey, ehemaligen Handelsminister, Abgeordneten von Ghazi Aintab, Herrn Ali Chevki Bey, Unterstaatssekretär im Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten, die nach gegenseitiger Mitteilung ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten über die nachstehenden Bestimmungen übereingekommen sind: Artikel 1.

Die Staatsangehörigen eines jeden der vertragschliessenden Teile haben auf de,m Gebiete des andern Teils, unter Vorbehalt der dort gegenwärtig und inskünftig geltenden Gesetze und Verordnungen, das Eecht, sich frei niederzulassen und aufzuhalten sowie zu bewegen, unbeschadet der Bestimmungen betreffend die Einwanderung.

Hinsichtlich der für Aufenthalt oder Niederlassung zu entrichtenden oder zu tragenden Abgaben und Lasten aller Art sollen die Staatsangehörigen der beiden Teile dieselbe Behandlung erfahren wie die bestbehandelten Ausländer.

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Artikel 2.

Unter Beobachtung der Landesgesetze und Verordnungen haben die Staatsangehörigen eines jeden der vertragschliessenden Teile das Recht, im Gebiete des andern Teils in dem selben Umfange wie die Staatsangehörigen der meistbegünstigten Nation bewegliches und unbewegliches Eigentum jeder Art zu erwerben, zu besitzen und zu veräussern, vorbehaltlich der in den beiderseitigen Landesgesetzen vorgesehenen Ausnahmefälle. Sie können insbesondere unter den nämlichen Bedingungen durch Verkauf, Kauf, Schenkung, Übertragung, Tausch, Ehevertrag, letztwillige Verfügung oder in jeder andern Art frei darüber verfügen sowie auf Grund gesetzlicher Erbfolge oder durch Zuwendung unter Lebenden oder durch letztwillige Verfügung in seinen Besitz kommen.

In keinem der vorerwähnten Fälle unterliegen sie andern oder höheren Lasten, Abgaben oder Steuern irgendwelcher Bezeichnung als die Inländer nach Massgabe der jeweiligen im Lande geltenden Steuerbestimmungen.

Artikel 8.

Die Staatsangehörigen eines jeden der vertragschliessenden Teile haben das Eecht, auf dem Gebiete des andern Teils, abgesehen vom Hausierhandel und allen sonstigen Wandergewerben, gleich den eigenen Staatsangehörigen jede Art von Industrie und Handel zu betreiben und jede Erwerbstätigkeit und jeden Beruf auszuüben, soweit diese nach den jeweilen geltenden Landesgesetzen und Verordnungen nicht ausschliesslich den eigenen Staatsangehörigen vorbehalten sind.

Sie haben für diese Tätigkeit keine andere oder höhere wie immer geartete Steuer, Abgabe oder Last zu entrichten oder zu tragen als die eigenen Staatsangehörigen.

Artikel 4.

Die Staatsangehörigen eines jeden der vertragschliessenden Teile sind in Kriegs- und Friedenszeiten im Gebiete des andern Teils vom Militärdienst jeder Art und von jeder Geld- oder Naturalleistung befreit, die an Stelle des persönlichen Dienstes tritt. Sie sind ferner der Beteiligung an Zwangsanleihen enthoben.

Abgesehen von den militärischen Leistungen und Requisitionen, die in Kriegs- und Friedenszeiten den Inländern auferlegt sind und denen sie gleich den Inländern, gegen Entschädigung nach Massgabe der beiderseitigen Landesgesetze, unterliegen, werden von ihnen nur diejenigen Leistungen gefordert, die die Eigenschaft einer gesetzlich zugunsten des Staates oder seiner Verwaltungsbezirke erlassenen Abgabe oder
Steuer haben.

Die Staatsangehörigen eines jeden der vertragschliessenden Teile sind ferner von allen obligatorischen administrativen oder richterlichen Ämtern und Verrichtungen befreit.

298 Artikel 5.

Die Staatsangehörigen eines jeden der vertragschliessenden Teile können auf dem Gebiete des andern Teils hinsichtlich ihres beweglichen und unbeweglichen Eigentums nicht enteignet oder, auch nur vorübergehend, in dessen Genuss beschränkt werden, es sei denn aus einem Grunde, der gesetzlich als dem allgemeinen Nutzen dienlich anerkannt ist, und gegen vorhergehende gerechte Entschädigung.

Es kann keine Enteignung ohne vorhergehende Veröffentlichung stattfinden.

Artikel 6.

Die Staatsangehörigen eines jeden der vertragschliessenden Teile sollen sich auf dem Gebiete des andern Teils hinsichtlich ihrer Person und ihres Eigentums des vollständigsten Schutzes der Gesetze, der Gerichte und sonstigen Behörden, gleich den Inländern, erfreuen.

Für die Bestimmungen über Sicherstellung der Prozesskosten und über das Armenrecht ist bis zur Eegelung dieser Fragen durch ein zwischen den vertragschliessenden Teilen zu treffendes Sonderabkommen die örtliche Gesetzgebung massgebend.

Artikel 7.

Vorbehaltlich der Bestimmungen von Artikel l, Absatz 2, des gegen wärtigen Abkommens unterliegen die Staatsangehörigen eines jeden der vertragschliessenden Teile in keinem Falle irgendwelchen andern oder höhern Steuern, Zöllen oder Abgaben als die Inländer.

Hinsichtlich der Befreiungen von steuerlichen Lasten irgendwelcher Art oder Bezeichnung, abgesehen von den Steuerbefreiungen, die den vom Staate errichteten Unternehmungen oder den konzessionierten Inhabern öffentlicher Unternehmungen gewährt werden, verpflichtet sich jeder der vertragschliessenden Teile, sie auch den Staatsangehörigen und den Gesellschaften des andern Teils unter den nämlichen Bedingungen zugute kommen zu lassen wie den Staatsangehörigen und Gesellschaften der meistbegünstigten Nation.

Artikel 8.

Die Staatsangehörigen des einen vertragschliessenden Teils, die während ihres Aufenthalts auf dem Gebiete des andern Teils, ohne dort ständig niedergelassen zu sein, irgendeine Tätigkeit ausüben sollten, unterliegen deswegen keinerlei andern oder höheren Steuer, Abgabe oder Last als die Inländer für eine Tätigkeit gleicher Art oder Bedeutung.

Jeder der vertragschliessenden Teile erklärt sich bereit, unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit den Staatsangehörigen des andern Teils, die mittellos sein Gebiet zu verlassen wünschen, unentgeltlich das Visum zu erteilen, wenn deren Bedürftigkeit durch den zuständigen diplomatischen oder konsularischen Vertreter bescheinigt ist.

299 Artikel 9.

Falls einer der vertragschliessenden Teile entweder auf Grund eines gerichtlichen Urteils oder gemäss den sitten-, gesundheits- oder armenpolizeilichen Gesetzen und Verordnungen oder aus Gründen der innern und äussern Sicherheit des Staates Staatsangehörige des andern vertragschliessenden Teils im Wege von Einzelmassnahmen ausweisen sollte, so wird die Ausweisung unter den Bedingungen durchgeführt werden, die den Anforderungen der Hygiene und Menschlichkeit entsprechen.

Artikel 10.

Die Handels-, Industrie- oder Finanzgesellschaften, einschliesslich der Transport- und Versicherungsgesellschaften, die nach den Gesetzen des einen der vertragschliessenden Teile rechtsgültig errichtet sind und auf seinem Gebiete ihren Sitz haben, werden im andern Lande rechtlich anerkannt, sofern sie keinen unerlaubten oder unsittlichen Zweck verfolgen; ihre Fähigkeit und ihr Eecht, vor Gericht aufzutreten, richten sich nach den Gesetzen ihres Heimatlandes.

Sie haben das Kecht, sich im Gebiete des andern Teils niederzulassen und ihre Tätigkeit auszuüben, sofern sie die dort gegenwärtig oder inskünftig geltenden Gesetze und Verordnungen beobachten.

Sie haben das Eecht, nach Massgabe der Landesgesetze im Gebiete des andern Teils jede Art von beweglichem Eigentum zu erwerben, ebenso unbewegliches Eigentum, soweit es für den Betrieb der Gesellschaft erforderlich ist, wobei jedoch darüber Übereinstimmung herrscht, dass im letzterwähnten Falle dieser Erwerb nicht den Zweck der Gesellschaft bilden darf.

Sie haben unter den nämlichen Bedingungen wie natürliche Personen, die dem gleichen Staate wie sie selbst angehören, freien Zutritt zu den Gerichten, sei es als Kläger oder als Beklagte.

Sie unterliegen keinen andern oder höheren Gebühren, Abgaben oder überhaupt irgendwelchen Geldleistungen als die inländischen Gesellschaften.

Sie sind der Beteiligung an Zwangsanleihen enthoben.

Abgesehen von den militärischen Leistungen und Requisitionen, die in Kriegs- und Friedenszeiten den Inländern auferlegt sind und denen sie unter den gleichen Bedingungen wie die inländischen Gesellschaften, gegen Entschädigung nach Massgabe der beiderseitigen Landesgesetze, unterliegen, werden von ihnen nur diejenigen Leistungen gefordert, die die Eigenschaft einer nach den Gesetzen und Verordnungen zugunsten des Staates oder
seiner Verwaltungsbezirke erlassenen Abgabe oder Steuer haben.

Die im Gebiete des einen Teils bestehenden Zweigniederlassungen, Agenturen und sonstigen Vertretungen von Firmen und Gesellschaften, die im Gebiete des andern Teils ordnungsmässig errichtet sind, sollen nur für das in den genannten Zweigniederlassungen, Agenturen und sonstigen Vertretungen regelrecht investierte Kapital oder für die von ihnen im Lande erworbenen

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Gewinne oder Einkünfte besteuert werden; dabei können diese Gewinne und Einkünfte zur Ermittlung des zu versteuernden Kapitals dienen, wenn dieses nicht anderweitig festgestellt werden kann.

Artikel 11.

Es besteht Einverständnis darüber, dass keiner der vertragschliessenden Teile den Genuss der in diesem Abkommen vorgesehenen Meistbegünstigungsklausel beanspruchen kann, um für seine Staatsangehörigen und Gesellschaften andere oder ausgedehntere Hechte zu verlangen, als er selbst den Staatsangehörigen oder Gesellschaften des andern vertragschliessenden Teils gewährt.

Artikel 12.

Das gegenwärtige Abkommen tritt einen Monat nach dem Tage des Austausches der Eatifikationsurkunden in Kraft und gilt für die Dauer von zwei Jahren.

Wird das Abkommen nicht von dem einen oder dem andern vertragschliessenden Teile wenigstens sechs Monate vor Ablauf des genannten Zeitraums von zwei Jahren gekündigt, so bleibt es in Kraft bis es gekündigt wird, wobei diese Kündigung ihre "Wirkung erst nach Ablauf einer Frist von sechs Monaten ausüben soll.

·

Artikel 13.

Das gegenwärtige Abkommen soll mit seinem Zusatzprotokoll, das einen integrierenden Bestand des Abkommens bildet, ratifiziert und die Eatifikationsurkunden sollen baldmöglichst, in Bern ausgetauscht werden.

Zu Urkund dessen haben die beiderseitigen Bevollmächtigten das gegenwärtige Abkommen unterzeichnet und mit ihren Siegeln versehen.

So geschehen in doppelter Ausfertigung in Angora am 7. 'August 1927.

(gez.) Henri Martin.

Ali Djenani.

A. Chevki.

Zusatzprotokoll.

1. Im Augenblicke der Unterzeichnung des heutigen Niederlassungsabkommens sind die hierzu gehörig ermächtigten Unterzeichneten hinsichtlich des städtischen und ländlichen Grundeigentums, das schweizerische Staatsangehörige oder Gesellschaften schweizerischer Nationalität unter irgendeinem Titel erworben haben und im Zeitpunkte des Inkrafttretens des gegenwärtigen Abkommen a in irgendeiner Form besitzen, dahin übereingekommen, dass die Eegierung der Türkischen Eepublik alle erforderlichen Massnahmen treffen

301 wird, um es den gutgläubigen Berechtigten zu ermöglichen, ohne Entrichtung neuer Handänderungsgebühren und gemäss der Übergangsbestimmung von Artikel 4 des provisorischen Gesetzes über den Besitz von unbeweglichem Eigentum, vom 5. Djemaziul-ewel 1331 der Hedschra (30. März 1329/1913), die Ausstellung ordnungsmässiger, auf ihren Namen lautender Eigentumstitel zu erlangen gegen alle sonstigen Titel, die hinsichtlich dieser Güter auf den Namen eines allenfalls als Mittelsperson vorgeschobenen Dritten ausgestellt worden sind, ohne Eücksicht auf die Nationalität dieser Mittelsperson.

2. Den schweizerischen Staatsangehörigen und Gesellschaften, die unter dem Deckmantel einer andern Nationalitat auf ihren eigenen Namen unbewegliches Eigentum erworben haben, steht die Möglichkeit offen, ihre Titel durch Eintragung ihrer wahren Nationalität bereinigen zu lassen.

3. Den schweizerischen Staatsangehörigen und Gesellschaften, die bereits unter ihrer wahren Nationalität unbewegliches Eigentum besitzen, wird ihr Eigentumsrecht durch das gegenwärtige Abkommen bestätigt.

4. Desgleichen werden den schweizerischen Staatsangehörigen gegen Entrichtung der Handänderungsgebühren die Eigentumstitel über städtische und ländliche Grundstücke, die ihnen durch Erbgang zugefallen sind, ausgestellt.

5. Die vorstehenden Bestimmungen finden keine Anwendung auf Grundstücke, die auf den Namen von Austauschbaren oder von Abwesenden («mutegaib») im Sinne der türkischen Gesetzgebung eingetragen sind.

6. Die Formalitäten, die von den wahren schweizerischen Eigentümern der oben bezeichneten Grundstücke zu dem angegebenen Ende erfüllt werden müssen, sind innerhalb von sechs Monaten nach dem Tage des Inkrafttretens des gegenwärtigen Abkommens und seines Zusatzprotokolls einzuleiten.

Angora, den 7. August 1927.

(gez.) Henri Martin.

Ali Djenani.

A. Chevki.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Genehmigung des am 7. August 1927 abgeschlossenen Niederlassungsabkommens zwischen der Schweiz und der Türkei. (Vom 21. Oktober 1927.)

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