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Schweizerisches Bundesblatt.

6l. Jahrgang.

IV.

No 37

15. September 1909.

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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beschwerde des Alfred Balli in La Chaux-de-Fonds gegen den Bundesratsbeschluss vom 14. Mai 1909, betreffend die Verweigerung eines Wirtschaftspatentes.

(Vom 7. September 1909.)

Tit.

I.

Mit Beschluss vom 12. Februar 1909 hat der Regierungsrat des Kantons Neuenburg ein Gesuch des Alfred Balli, die damals von Ernst Boss im Hause Nr. 5 Passage du Centre in La Chauxde-Fonds betriebene Wirtschaft am 1. Mai 1909 zu übernehmen und weiterzuführen, abschlägig beschieden. Am 14. Mai 19C9 haben wir die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde des Alfred Balli als unbegründet abgewiesen. Die nähern Verumständungen des Falles und die Gründe, die uns zur Abweisung des Rekurses veranlassten, gehen aus dem beigedruckten Entscheid hervor, auf den wir Sie verweisen.

n.

Alfred Balli hat unsern Beschluss mit einer innert der gesetzlichen Frist eingereichten Eingabe d. d. 9. Juni 1909 (bei der Bundeskanzlei eingelangt am 15. Juni 1909) an die Bundesversammlung weitergezogen. Zur Begründung seines Rekurses an Ihre h.

Versammlung führt er zunächst zur Bedürfnisfrage aus, es sei nicht richtig, dass das betreffende Quartier auf 91 Einwohner «ine Wirtschaft habe, da seine Wirtschaft die einzige des ,,PasBundesblatt. 61. Jahrg. Bd. IV.

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sage du Centre14 sei; übrigens würde ihm die Nähe des Marktplatzes genügenden Zuspruch verschaffen. Auch der Umstand, dass die Wirtschaft während den letzten 18 Jahren 9 Mal den Inhaber gewechselt habe, falle nicht in Betracht, weil in der Hälfte der Fälle der Tod des Inhabers den Wechsel verursacht habe. Der Rekurrent beanstandet ferner die Verordnung vom 7. März 1904, auf die sich der Regierungsrat beruft; sie sei nicht in die Gesetzessammlung des Kantons Neuenburg aufgenommen worden und daher nicht rechtswirksam ; und sie dürfte auch abgesehen davon nicht auf ein seit mehr als 50 Jahren bestehendes Etablissement angewendet werden. Was endlich die hygienische Eignung des Lokals anbelange, so sei die Aborteinrichtung am 13. Juli 1906 abgeändert und verbessert worden.

m.

Der Regierungsrat des Kantons Neuenburg bemerkt zu den Anbringen des Rekurrenten in seiner Antwort vom 10. Juli 1909: Laut den amtlichen Peststellungen der Gemeindebehörden von La Chaux-de-Fonds treffe es in dieser Gemeinde durchschnittlich auf 242 Einwohner eine Wirtschaft. Das Quartier aber, in dem der Rekurrent eine Wirtschaft zu führen beabsichtige, habe schon auf je 91 Einwohner eine Wirtschaft. Im Auschluss an die Behauptung des Rekurrenten, die fragliche Wirtschaft sei die einzige des ,,Passage du Centre", müsse festgestellt werden, dass die Strasse (Rue du Passage du Centre) im ganzen nur vier Häuser habe. In einer Entfernung von 25, 35 und 70 Metern befänden sich drei andere Wirtschaften. Der Kubikinhalt des Wirtschaftslokals betrage nur 71 Kubikmeter, die Höhe nur 2,6 Meter, während die Verordnung der Gemeinde La Chaux-de-Fonds, die als kommunalen Erlass natürlich nicht in die kantonale Gesetzessammlung aufgenommen worden sei, einen Kubikinhalt von 90 Kubikmeter und eine Höhe von 3 Meter vorschreibe.

IV.

Laut den Feststellungen der Gemeindebehörden von La Chauxde-Fonds hat das in Frage stehende Quartier auf je 91 Einwohner eine Wirtschaft. Der Rekurrent bestreitet dies, bringt aber nicht den geringsten Beweis für seine Behauptung. Alles, was er dafür anführt, ist, dass seine Wirtschaft die einzige in der Rue du Passage du Centre ist, ein Umstand, der aber jede Bedeutung verliert, wenn man weiss, dass diese Strasse nur aus vier Häusern besteht. Auf Grund der unwiderlegt gebliebenen tatsächlichen Erhebungen der Gemeindebehörden über das Verhältnis der Zahl

589 der Wirtschaften zur Zahl der Einwohner steht somit fest, dass die Zahl der Wirtschaften in diesem Quartier eiue übermässig hohe ist, und dass ein Bedürfnis zum Betrieb einer Wirtschaft im Hause Nr. 5 der Rue du Passage du Centre nicht besteht.

Nach konstanter Praxis sind zum Schutz der öffentlichen Gesundheit erlassene baupolizeiliche Vorschriften über die Wirtschaftslokalitäten zulässig. Zum Erlass solcher Vorschriften sind nicht nur die Kantone, sondern (nach Massgabe des kantonalen Kechts) auch die Gemeinden berechtigt. Im vorliegenden Fall entspricht das für den Ausschank bestimmte Lokal den in der Gemeinde La Chaux-de-Fonds geltenden baupolizeilichen Vorschriften Unbestrittenermassen nicht. Die Frage, ob diese Vorschriften auch auf ein schon lange bestehendes Etablissement angewendet werden dürfen, könnte nur dann auftauchen, wenn der Rekurrent zur Zeit, da diese Vorschriften auf ihn angewendet werden wollen, im Besitze eines früher erworbenen, zeitlich noch nicht abgelaufenen Patentes für dieses Haus wäre, was nicht der Fall ist. Es besteht daher kein Grund, die zurzeit des Patentgesuchs geltenden baupolizeilichen Vorschriften nicht auch auf den Rekurrenten anzuwenden.

Die Behauptung der rechtsungleichen Behandlung hat der Rekurrent in seiner Beschwerde an Ihre hohe Versammlung nicht mehr aufrecht erhalten.

Gestützt auf die vorstehenden Erwägungen und mit dem Hinweis auf die Ausführungen, mit denen wir unsern Beschluss vorn 14. Mai 1909 begründet haben, beantragen wir Ihnen, Tit., die Beschwerde des Alfred Balli abzuweisen; Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 7. September

1909.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Vizepräsident:

Comtesse.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

l Beilage.

590 Beilage.

Bundesratsbeschluss über die Beschwerde des Alfred Balli in La Chaux-de-Fonds, betreffend Verweigerung eines Wirtschaftspatentes.

(Vom 14. Mai 1909.)

Der schweizerische Bundesrat

hat über die Beschwerde des Alfred B a l l i in La Chaux-de-Fonds, betreffend Verweigerung eines Wirtschaftspatentes, auf den Berieht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluss gefasst:

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Am 12. Februar 1909 hat der Regierungsrat des Kantons Neuenburg folgenden Beschluss gefasst: ,,Vu une demande du citoyen Alfred Balli, bernois, de prendre à partir du 1er mai 1909 la suite du débit de boissons tenu actuellement par le citoyen Ernest Boss, à la Chaux-de-Fonds, Passage du Centre N° 5, sous la dénomination de ,,Café-Brasserie* ; Vu le rapport de la Préfecture du distrit et le préavis du Conseil communal de La Chaux-de-Fonds;

591 Considérant que le nombre des établissements publics dans le quartier où se trouve le Café Boss est plus que suffisant pour les besoins de la population et qu'il n'est ainsi pas opportun d'autoriser la reprise de ce débit; Vu le décret du Grand Conseil du 15 février 1904 concernant la réduction du nombre des auberges; Entendu le Conseiller d'Etat, Chef du département de Police, arrête : La demande du citoyen Alfred Balli, de prendre la suite, à partir du 1« mai 1909, du débit de boissons tenu actuellement par le citoyen Ernest Boss, à la Chaux-de-Fonds, Passage du Centre N° 5, est rejetée."

In der Folge stellte Alfred Balli ein Wiedererwägungsgesuch.

Am 22. März hat der Regierungsrat dieses Gesuch abgewiesen.

,,Vu les nouveaux préavis de la Préfecture du distrit et du Conseil communal de La Chaux-de-Fonds ; considérant que les raisons invoquées par le requérant ne sont pas de nature à faire revenir le Conseil d'Etat sur sa décision.a

IL Mit Eingabe vom 29. März 1909 beschwert sich Alfred Balli beim Bundesrat. Zur Begründung der Beschwerde führt er im wesentlichen folgendes aus : In. erster Linie sei unter Hinweis auf den Bericht des schweizerischen Justiz- und Polizeidepartements vom 13. September 1899, abgedruckt bei Salis, Schweizerisches Bundesrecht, Bd. II, Nr. 922, zu bemerken, dass das vom Grossen Rat des Kantons Neuenburg am 7. Mai 1894 erlassene ,,Décret concernant la réduction du nombre des auberges" zu unbestimmt gefasst sei und daher den Anforderungen, die vom bundesrechtlichen Standpunkt aus an ein derartiges Gesetz gestellt werden müssten, nicht entspreche. Der Regierungsrat habe den Rekurrenten bei gleichen tatsächlichen Verhältnissen schlechter behandelt als andere Patentbewerber. So habe er z. B. die Weiterführung des Café Vermot-Droz in La Chaux-de-Fonds durch einen neuen Wirt gestattet, trotzdem in nächster Nähe desselben noch andere Wirtschaften beständen.

Ferner habe der Regierungsrat trotz dem Protest von mehreren hundert Einwohnern in Neuenburg die Eröffnung einer neuen Wirtschaft gestattet und endlich habe er in Sachen einer Patenterteilung an einen Jean Lehmann seinen frühem abweisenden Beschluss in Wiedererwägung gezogen und dem Petenten die Übernahme des Café Jaccoud in La Chaux-de-Fonds gestattet.

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m.

In seiner Vernehmlassung vom 16. April mit Nachtrag vom 24. April 1909 beantragt "der Regierungsrat des Kantons Neuenburg mit folgender Begründung Abweisung des Rekurses : Der angefochtene Beschluss stütze sich auf Art. l des ,,Décret concernant la réduction du nombre des auberges", vom 15. Februar 1904. Dieses Dekret selbst sei in Ausführung von Art. 31, lit. c, der Bundesverfassung erlassen worden. Der Regierungsrat gehe bei der Anwendung desselben in objektiver, die Rechtsgleichheit der Bürger nicht verletzender Weise vor, indem er folgende Tatsachen als wesentlich in Betracht ziehe: das Verhältnis der Zahl der Wirtschaften zur Bevölkerungszahl des in Betracht fallenden Quartiers, den Zustand und die Einrichtung der Wirtschaftslokalitäten, den mehr oder weniger häufigen Wechsel in der Person der Wirte. Von diesen Erwägungen ausgehend, habe der Regierungsrat dem Rekurrenten die Übernahme der Wirtschaft Passage du Centre N° 5 nicht bewilligen können : im fraglichen Quartier trofie auf je 91 Einwohner eine Wirtschaft; das Wirtschaftslokal befinde sich in einer Entfernung von 25, 35 und 70 Metern von drei ändern Wirtschaften. Das zum Ausschank bestimmte Lokal habe nicht die in der Verordnung vom 7. März 1904 vorgesehenen Dimensionen; dessen Inhalt betrage nur 71 statt 90 Kubikmeter und die Höhe nur 2,5 statt 3 Meter; die Aborte seien vom hygienischen Standpunkt aus zu beanstanden. Einer bereits im Jahre 1906 erfolgten Beanstandung durch den Gemeinderat habe der Hauseigentümer keine Folge gegeben. Seit 1891 sei die Bewilligung an 9 verschiedene Wirte übergegangen.

Den vom Rekurrenteu zum Beweise der behaupteten rechtsungleichen Behandlung angeführten Entscheidungen lägen wesentlich verschiedene tatsächliche Verhältnisse zu Grunde. Im Quartier, in dem das Café Vermot-Droz liege, treffe auf je 240 Einwohner nur eine Wirtschaft. Zudem sei die Wirtschaft Vermot-Droz geräumig und verhältnismässig gut frequentiert. Bezüglich der Wirtschaft Jaccoud sei zu bemerken, daas Madame Jaccoud bereits am 22. April 1907 die unbeschränkte Bewilligung zum Wirtschaftsbetrieb bis 30. April 1912 erteilt worden sei. Als dann der Bäcker Jean Lehmann auf 1. Mai 1909 diese Wirtschaft übernehmen wollte, habe der Regierungsrat ihm zuerst keine Bewilligung erteilen wollen, habe sie dann aber schliesslich bis 30. April 1912
erteilt. Massgebend für diesen vom frühern Beschluss abweichenden spätem Beschluss sei der Umstand gewesen, dass andernfalls Madame Jaccoud auf Grund der ihr vom 22. April 1907 erteilten Bewilligung die Wirtschaft selbst bis 30. April 1912 weiter be-

593 trieben hätte und dass Jean Lehmann mehr Gewähr geboten habe für einen richtigen Wirtschaftsbetrieb. Die Behauptung endlich, der Regierungsrat habe seine Erlaubnis zur Eröffnung einer neuen Wirtschaft in Neuenburg gegeben, sei tatsächlich unzutreffend.

Der Regierungsrat habe in dein Fall, den der Rekurrent im Auge habe, noch keinen Beschluss gefasst.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

Durch die lit. c des Art. 31 der Bundesverfassung sind die Kantone ermächtigt worden, auf dem Wege der Gesetzgebung die Zahl der Wirtschaften nach Massgabe des öffentlichen Bedürfnisses zu beschränken. Von diesem Rechte Gebrauch machend, hat der Grosse Rat des Kantons Neuenburg am 15. Februar 1904 das von der Regierung in ihrer Vernehmlassung zitierte Gesetz erlassen, dessen Art. l folgendermassen lautet : ,,Après avoir pris l'avis des autorités communales et lorsqu'il est constaté que le nombre des auberges et débits de boissons (article 31, lit. c, de la constitution fédérale) est suffisant pour les besoins d'une localité, le Conseil d'Etat est autorisé à refuser l'ouverture de nouveaux établissements publics de ce genre, ou la reprise de ceux déjà existants par d'autres personnes.11 Diese Bestimmung steht mit der Bundesverfassung im Einklang; der Bundesrat hat aber, auf Beschwerde hin, zu prüfen, ob sie die kantonale Regierung in einer mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Bürger verträglichen Weise angewendet habe. Die vom Rekurrenten angeführten Fälle sind jedoch keineswegs dazu angetan, seine Behauptung, er sei unter gleichen Umständen schlechter behandelt worden als andere Bürger, zu unterstützen. Die behauptete Erlaubnis zur Eröffnung einer neuen Wirtschaft in Neuenburg fällt, weil tatsächlich unzutreffend, ausser Betracht. Dem Gesuch um Erteilung der Bewilligung zur Übernahme des Cafe Vermot-Droz, das in einem Quartier liegt, in dem auf je 240 Einwohner nur eine Wirtschaft trifft, lagen andere tatsächliche Verhältnisse zu Grunde als dem Gesuch des Rekurrenten um die Erlaubnis zur Übernahme einer Wirtschaft in einem Quartier, in dem auf je 91 Einwohner eine Wirtschaft trifft. Neben der Einwohnerzahl darf auch die Beschaffenheit der Wirtschaftslokalitäten in hygienischer Beziehung berücksichtigt werden. Was endlich die durch Lehmann übernommene Wirtschaft Jaccoud anbelangt, so erteilte der Regierungsrat die Bewilligung dazu, weil die Wirtschaft sonst durch die bisherige Inhaberin weiter betrieben worden wäre und die

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Verweigerung der Übertragung daher nicht zur Unterdrückung einer Wirtschaft geführt hätte. Bei der für den Rekurrenten in Frage kommenden Wirtschaft scheinen die Verhältnisse in dieser Beziehung ebenfalls andere zu sein. Mag übrigens diesem Umstand auch nicht diejenige Bedeutung zukommen, die ihm der Regierungsrat des Kantons Neuenburg zumisst, so genügen doch schon die übrigen VerweigerungsgrUnde, namentlich die ungenügenden Lokalitäten und der offenkundige Mangel des Bedürfnisses für sich vollkommen, um den Beschlnss der neuenburgischen Regierung zu rechtfertigen und die Behauptung des Rekurrenten,- er sei rechtsungleich behandelt worden, zu widerlegen.

Demgemäss wird erkannt: Der Rekurs wird abgewiesen.

B e r n , den 14. Mai 1909.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Vizepräsident:

Comtesse.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beschwerde des Alfred Balli in La Chaux-de-Fonds gegen den Bundesratsbeschluss vom 14. Mai 1909, betreffend die Verweigerung eines Wirtschaftspatentes. (Vom 7. September 1909.)

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15.09.1909

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