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Bundesratsbeschluss über


(Vom 6. März 1909.)

Der schweizerische Bundesrat hat

über die Beschwerde des Advokaten P a g n a m e n t a , in Bellinzona, und K o n s o r t e n , betreffend das Stimmrecht in eidgenössischen Angelegenheiten, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, in Erwägung: I.

Der Bundesrat war nicht in der Lage, über die Beschwerde vom 23. Oktober 1908 vor den Wahlen vom 25. Oktober Beschluss zu fassen oder Verfügungen im Sinne des Begehrens der Rekurrenten zu treffen, da er die Vernehmlassung der Regierung «inholen und namentlich abwarten musste, welchen Entscheid der Regierungsrat über die erst am 22. Oktober bei ihm eingereichte Beschwerde der Rekurrenten fällen werde. Inzwischen sind die Nationalratswahlen im Kanton Tessin validiert worden, und infolgedessen ist die Beschwerde, soweit sie diese Wahlen betrifft, gegenstandslos geworden. Dagegen ist sie für die Anlage der Stimmregister in eidgenössischen Angelegenheiten in der Zukunft noch von Bedeutung, und da die Rekurrenten sie mit Zuschrift

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vom 17. Januar 1909 ausdrücklich aufrecht erhalten, so muss ·der Bundesrat einen Entscheid fällen.

II.

Wie der Regierungsrat zugegeben hat, sind eine Anzahl Gendarmen, die im 41. Wahlkreis ihre Familie haben und im 42. Wahlkreis stationiert sind, entweder von. den Gemeinderäten ihres Dienstortes ohne weiteres, oder auf Anordnung des Regierungsrates hin, in die Wählerlisten des 42. Wahlkreises aufgenommen worden. Die Rekurrenten behaupten nun, dieses Vorgehen widerspreche dem Bundesrecht, Nach Theorie und Praxis steht fest, dass der Schweizerbürger in eidgenössischen Angelegenheiten nur an e i n e m Orte stimmberechtigt sein soll. Dieser Ort wird bestimmt durch den Wohnsitz des Stimmberechtigten, und der politische Wohnsitz fällt zusammen mit dem zivilrechtlichen Wohnsitz (vgl. Salis, Bundesrecht, IH, Nr. 1147, 1193, 1194, 1220, HI, 4, 1221; Bundesblatt 1889, HI, 381 ff.). Hierfür spricht auch der Wortlaut des Art. 43, Absatz 2, der Bundesverfassung, welcher, genauer als Art. 3 des Gesetzes vom Jahr 1872, den Wohnsitz -als den Ort bezeichnet, wo der Schweizerbürger seine politischen Rechte auszuüben hat. Auch die Polizisten sind somit an dem ·Orte als stimmberechtigt zu betrachten, wo sie ihre Familie haben, wohin sie, nach Verrichtung ihres Dienstes am Stationsort, immer wieder als an den Mittelpunkt ihrer bürgerlichen Existenz zurückkehren. Der Polizist, dessen Wohnsitz im 41. Wahlkreis liegt, ist einzig im 41. Wahlkreis stimmberechtigt. Seine Eintragung in die Stimmregister des 42. Wahlkreises steht also im Widerspruch mit dem Bundesrecht. Es ist auch irrig anzunehmen, wie der Regierungsrat es zu tun scheint, Art. 3, Absatz l, des Bundesgesetzes vom 19. Heumonat 1872 gebe dem Schweizerbürger die Wahl, sein Stimmrecht an einem der drei dort genannten Orte auszuüben. Das ist keineswegs der Sinn des Bundesgesetzes; das Stimmrecht soll nur am Wohnsitz ausgeübt werden, welchen der Stimmberechtigte als Ortsbürger, Niedergelassener oder Aufenthalter hat. Mit dieser Vorschrift wollte der Gesetzgeber die Frage, wo der Bürger zu stimmen habe, nach einem einheitlichen und der Willkür sowohl des Bürgers selbst, als der Behörden entzogenen Merkmal entscheiden.

Wenn auch im Entscheide vom 8. November 1902 in Sachen Rossi und Konsorten (Bundesbl. 1902, V, 461 ff.) zur Bestimmung des politischen Domizils der Studenten ausnahmsweise ein-

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mal auf das tatsächliche Wohnen abgestellt worden ist, so fällt doch dieser vereinzelte Entscheid gegenüber der übrigen Praxis,, die vom rechtlichen Begriff des Wohnsitzes ausgeht, nicht ins Gewicht. In Bestätigung dieser'Praxis ist daher im vorliegenden Fall anzunehmen, dass die Polizeisoldaten, die ihre Familie nicht an ihrem Dienstort haben, auch nicht dort, sondern am Wohnorte ihrer Familie domiziliert sind und hier auch ihre politischen Rechte auszuüben haben.

in.

Auf welche Weise den Gendarmen, sofern sie ihres Dienstes wegen nicht nach ihrem Wohnsitz beurlaubt werden können, die Stimmabgabe zu ermöglichen sei, mag dahingestellt bleiben, jedenfalls dürfen sie ihre Stimme nur für denjenigen Wahlkreis abgeben, in welchem sie domiziliert sind. Sollte ihnen aber aus irgendwelchen zwiugenden Gründen die Stimmabgabe für den Wahlkreis ihres Wohnsitzes nicht ermöglicht werden können, sä dürfen sie deshalb nicht in die Stimmregister eines anderen Wahlkreises aufgenommen und zur Stimmabgabe für diesen zugelassen werden.

beschliosst: Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen und die Regierung des Kantons Tessin eingeladen, dafür besorgt zu sein, dass inskünftig bei eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen die Polizeisoldaten ihr Stimmrecht gemäss den eidgenössischen Vorschriften ausüben können.

B e r n , den 6. März 1909.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates., Der Bundespräsident:

Deuclier.

Der I. Vizekanzler : Schutzmann.

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Bundesratsbeschluss über die Beschwerde des Advokaten Pagnamenta, in Bellinzona, und Konsorten, betreffend das Stimmrecht in eidgenössischen Angelegenheiten. (Vom 6. März 1909.)

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17.03.1909

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