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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung zu einer am 21. September 1895 zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reiche abgeschlossenen Übereinkunft betreffend die badische Gemeinde Büsingen.

(Vom 15. November 1895.)

Tit.

Die badische Gemeinde Büsingen, die zwischen Schaffhausen und Dießenhofen am Rheine liegt und gänzlich von schweizerischem Gebiete umgeben ist, wurde durch den deutschen Zollvereinsvertrag vom 8. Juli 1867 aus der deutschen Zolllinie ausgeschlossen. Die exceptionelle Lage jener Gemeinde, die schweiterischerseits als Zollausland betrachtet wird, hat zur Folge, daß Produkte, die ab deutschem Gebiete in Büsingen eingeführt werden, dem schweizerischen Eingangszoll unterliegen ; das Gleiche ist selbstverständlich der Fall, wenn aus der Enclave selbst Waren oder Vieh eingeführt werden, während umgekehrt den schweizerischen Erzeugnissen das kleine Gebiet von Büsingen zollfrei offen steht. Bei der Ausfuhr nach Deutschland genießt die Bevölkerung jener Gemeinde für landwirtschaftliehe Produkte, mit Inbegriff von Wein, sowie für Jungvieh, Zollfreiheit, sofern ein amtliches Ursprungszeugnis vorliegt ; alles Übrige aber, was aus der Enclave ins Reich eingeführt wird, muß verzollt \verden.

Nach der letzten deutschen Volkszählung hatte die Gemeinde Büsingen eine vorwiegend landwirtschaftliche Bevölkerung von 763 Seelen. Diese ist für den Absatz ihrer Produkte fast völlig auf den Markt von Schaffhausen angewiesen, da die badischen Märkte Radolfszell und Konstanz zu weit von Büsingen entfernt liegen und eine Schienenverbindung mit diesen Ortschaften nicht besteht.

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Als im Jahr 1886 der schweizerische Zolltarif revidiert und namentlich für Vieh bedeutend höhere Zölle in Aussicht genommen wurden, suchte der Gemeinderat von Büsingen die Vermittlung der großherzoglich badischen Regierung nach, um von Seiten der Schweiz für den Verkehr mit Schaffhausen und Dießenhofen die damals noch gültigen, niedrigeren Ansätze für Vieh und einige landwirtschaftliche Produkte zugesichert £u erhalten. Ein bezügliches Begehren wurde dann im -Jahr 189Î, während den Handelsvertragsunterhandlungen in Wien, die zum Abschluß der bestehenden Handelsverträge mit dem Deutschen Reiche und Österreich-Ungarn führten, gestellt. Die Angelegenheit konnte jedoch mangels Zeit 'zur Vornahme der nötigen Untersuchungen nicht mehr in den Bereich jener Unterhandlungen hineingezogen werden.

Kurzlich hat nun die deutsche Regierung neuerdings den Wunsch ausgesprochen, es möchte der exceptionellen Lage der Gemeinde Büsingen von der Schweiz Rechnung getragen und einige Zollerleichterungen für deren Erzeugnisse gewährt werden; zugleich wünschte die Reichsregierung noch einige die Interessen der Rechtspflege in der Enclave berührende Punkte vertraglich zu regeln.

Auf Grund einer näheren Prüfung der deutschen Vorschläge erklärten wir uns bereit, in Unterhandlungen zum Zwecke einer Vereinbarung einzutreten. Dieselben fanden zwischen dem Vorsteher des Departements des Auswärtigen, Herrn Vizepräsident Lachenal, und dem deutschen Gesandten, Herrn Dr. Busch, unter Assistenz des Großh. Badisehen geheimen Legationsrates Freiherrn von Marschall, in Bern statt und führten nach kurzen Beratungen zum Abschluß der vorliegenden Übereinkunft.

Die von uns in A r t i k e l l zugestandenen Zollerleichterungen für Brennholz und Eichenrinde, Butter und Fleisch, Weintrauben (bis 5 kg.), Rindvieh und Schweine bedeuten für den Fiskus eine so geringe Zolleinbuße, daß dieselben fast nicht in Betracht fallen ; der Wert der gesamten bisherigen Jahreseinfuhr aus Büsingen in die Schweiz ist auf cirka Fr. 2500 zu veranschlagen. Mögen die vereinbarten Erleichterungen auch eine Vermehrung der Einfuhr bewirken, so sind derselben durch die Kleinheit des Gemeindegebietes, um welches es sich handelt, jedenfalls sehr enge Schranken gezogen. Zum Schutze gegen allfälligen Mißbrauch kann unsere Zollverwaltung Ursprungsnachweise verlangen. Die
Straßenverbindungen mit der Enclave Büsingen von Schaffhausen, Buchthaien, Herblingen und Dörflingen her sind übrigens durch unsere Zollorgane so gut überwacht, daß Mißbräuche kaum zu befürchten sind. Es ist auch die Eventualität erwogen worden, daß die Zoll-

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differenz für Büsingervieh spekulative Händler veranlassen könnte, sich nach Büsingen zu wenden, um diese Zollerleichterung geschäftsmäßig auszubeuten. Es versteht sich aber von selbst, daß in diesem Falle der Vertrag von uns gekündet würde. Es liegt im Interesse der Gemeinde Büsingen, dafür zu sorgen, daß uns keine Veranlassung hierzu geboten werde.

Mit Be/,ug auf die Viehseuchenpolizei sind in den Bestimmungen unter Ziff. 3 von Art. \ ebenfalls alle erforderlichen Reserven enthalten.

Durch den A r t i k e l 2 der Übereinkunft wird den deutschen Gerichtsbehörden gestattet., Personen anderer als schweizerischer Staatsangehörigkeit, die wegen eines strafbaren Vergehens in Büsingen verhaftet werden, unbeanstandet durch das schweizerische Gebiet auf den nach Randegg führenden Straßen von deutschen Beamten durchführen zu lassen. Diese Bestimmung kann nicht als ein Einbruch in das Prinzip vuu Art. 2 des schweizerischdeutschen Ablieferungsvertrages aufgefaßt werden ; sie bedeutet nur eine Erleichterung der Aburteilung fremder Staatsaugehöriger, die bereits auf deutschem Gebiete ergriffen worden sind und sich also schon in der Polizeigewalt des andern Staates befinden.

Durch das zweite Alinea des Artikels 2 wird in Anwendung der Grundsätze des Auslieferungsvertrages und der schweizerischen Gesetzgebung bestimmt, daß Schweizerbürger, die von deutschen Behörden wegen einer strafbaren Handlung verfolgt und in Büsingen verhaftet worden sind, sofern sie auf das schweizerische Gebiet übergeführt werden, der Polizoidiroktion des Kantons Schaffhausen zum Zwecke einstweiliger Verwahrung bis zum Eintreffen der Verfügungen des Bundesrates betreffend ihre Beurteilung zuzuführen sind.

Wir empfehlen Ihnen hiermit die vorliegende Übereinkunft, zu deren Abschluß uns vorwiegend freundnachbarliche Rücksichten bewogen haben, zur Annahme und benutzen den Anlaß, Sie, Tit., unserer vollkommenen Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 15. November

1895.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d es pr äs i d en t : Zemp.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Bingier.

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(Entwurf.)

Bundesbeschluß betreffend

eine am 2t. September 1895 zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reiche abgeschlossene Übereinkunft betreffend die badische Gemeinde Büsingen.

D i e B u n des v e r s a m ' m l u n g der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht 1. einer am 21. September 1895 mit dem Deutschen Reiche abgeschlossenen Übereinkunft betreffend die badische Gemeinde Büsingen; 2. einer Botschaft des Bundesrates vom 15. November 1895, beschließt: Art. 1. Der genannten Übereinkunft wird die vorbehaltene Genehmigung erteilt.

Art. 2. Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Übereinkunft zwischen

der Schweiz und dem Deutschen Reiche betreffend die badische Gemeinde Büsingen.

Der Bundesrat der schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits, und Seine Majestät der Deutsche Kaiser, König von Preussen, im Namen des Deutschen Reiches anderseits, von dem Wunsche geleitet, der badischen Gemeinde Büsingen gewisse Erleichterungen im grenznachbarlichen Verkehr zu gewähren und die Handhabung der Strafrechtspflege innerhalb dieser Gemeinde zu sichern, haben zu diesem Zwecke Unterhandlungen eröffnen lassen und zu ihren Bevollmächtigten ernannt : Der Sundesrai- der sclnveigerischen Eidgenossenschaft: Herrn A. L a c h e n a l , Vizepräsidenten des Bundesrates, Vorsteher des Departements des Auswärtigen, Seme Majestät der Deutsche Kaiser, König von Preussen: Allcrhöchstihren außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister bei der schweizerischen Eidgenossenschaft, Wirklichen Geheimen Rat, Herrn Dr. C l e m e n s August Busch, welche, unter dem Vorbehalte beiderseitiger Ratifikation, folgende Übereinkunft abgeschlossen haben :

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Art. 1.

Der aus dem deutschen Zollgebiete ausgeschlossenen badisehcn Gemeinde Biisingen werden, außer den in der Anlage C zum Handels- und Zollvertrag vom 10, Dezember 1891 zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reiche allgemein zugestandenen Befreiungen im grenznachbarlichen Verkehr, noch folgende Erleichterungen eingeräumt : 1. Für nachgenannte Erzeugnisse der Gemeinde Busingen werden bei ihrem Eingang in die Schweiz, sofern derselbe über die Grenzzollstellen in Schaffhausen oder Dießeuhofen erfolgt, die beigesetzten ermäßigten Zölle erhoben : Nr. des Schweiz.

Tarifes.

aus 60 224 235 242

Zolle.

Fr.

p. 100 lg.

Brennholz, Eichenrinde Butter, frisch Fleisch, frisch geschlachtetes Weintrauben bis 5 kg.

frei 3. -- 2. -- frei p. Stück.

422 423 425 aus 426 aus 426

Kühe und Rinder, geschaufelt . . . .

Jungvieh, ungeschaufelt Kälber bis und mit 60 kg. Gewicht . .

Schweine mit und über 60 kg Schweine unter 60 kg

5.

2.

2.

2.

1.

-- -- -- -- --

2. Die vorstehend aufgeführten Erzeugnisse sollen, wenn dies von der eidgenössischen Zollverwaltung verlangt wird, von Ursprungszeugnissen begleitet sein, die vom Bürgermeisteramt Busingen auszustellen sind.

3. Der Transport der vorstehend genannten, sowie sonstiger Gegenstände auf den Straßen, die von Busingen über Randegg oder über Gailingen in das deutsche Zollgebiet führen, soll unbeanstandet unter den von der eidgenössischen Zollbehörde anzuordnenden Kontrollmaßregeln stattfinden, jedoch unbeschadet der wegen Ausbruchs von

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Viehseuchen ergehenden Verbote. Indessen soll in dieser Beziehung die Gemeinde Büsingen nicht ungünstiger behandelt werden, als die umliegenden schweizerischen Ortschaften.

Sofern Gesundheitszeugnisse für Vieh aus Büsingen verlangt werden, so sollen die von den Tierärzten in Schaffhausen und Dießenhofen ausgestellten Atteste als genügend anerkannt werden.

Art. 2.

Personen, die wegen einer nach den Gesetzen des Deutschen Reiches oder des Großherzogtums Baden mit Strafe bedrohten Handlung oder auf Grund eines von einem deutschen Gerichte erlassenen Strafurteils oder Haf'tbefehla in der Gemeinde Büsingen vorhaftet worden sind, dürfen, wenn sie nicht etwa die schweizerische Staatsangehörigkeit besitzen, unbeanstandet durch das schweizerische Gebiet auf den vou Büsingen nach Randegg führenden Straßen von deutschen Beamten durchgeführt werden.

Besitzt eine solche Person die schweizerische Staatsangehörigkeit, so finden auf dieselbe, wenn sie auf schweizerisches Gebiet übergeführt wird, die Bestimmungen entsprechende Anwendung, welche der zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reiche bestehende Auslieferungsvertragund, subsidiär, die schweizerische Gesetzgebung für den Fall aufstellen, daß ein in der Schweiz befindlicher Schweizerbürger von den Behörden des Deutschen Reiches wegen einer strafbaren Handlung verfolgt wird.

Der Verhaftete ist daher in diesem Falle der Polizeidirektion des Kantons Schaffhausen zuzuführen, die ihn einstweilen verwahrt und sofort dem schweizerischen Buudesrate über den Thatbestand, sowie über den bisherigen Wohnsitz und das Heimatrecht des Verhafteten Bericht erstattet. Der Bundesrat trifft hierauf die nach obigen Festsetzungen erforderlichen weiteren Verfügungen.

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Art, 3.

Die heutige Übereinkunft soll ratifiziert, und es sollen die Ratifikationsurkunden sobald^ als möglich in Bern ausgewechselt werden. Dieselbe tritt unmittelbar nach der Auswechslung der Ratifikationsurkunden in Kraft.

Jeder der beiden vertragschließenden Teile behält sich das Recht vor, diese Übereinkunft zu jeder Zeit wieder außer Wirksamkeit treten zu lassen und sie zu diesem Zwecke awölf Monate vorher zu kündigen.

Geschehen in B e r n , in doppelter Ausfertigung, am einundzwanzigsten September 1895.

(L. S.) gez. A. Lachenal.

(L. S.) gez. Busch.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zu einer am 21. September 1895 zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reiche abgeschlossenen Übereinkunft betreffend die badische Gemeinde Büsingen. (Vom 15. November 1895.)

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20.11.1895

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