15.079 Botschaft zum einfachen Bundesbeschluss über die Verlängerung des Moratoriums für die Ausfuhr abgebrannter Brennelemente zur Wiederaufarbeitung vom 18. November 2015

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf eines einfachen Bundesbeschlusses über die Verlängerung des Moratoriums für die Ausfuhr abgebrannter Brennelemente zur Wiederaufarbeitung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

18. November 2015

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Simonetta Sommaruga Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2015-2377

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Übersicht Der Gesetzgeber führte 2005 mit dem Kernenergiegesetz ein zeitlich befristetes Verbot der Ausfuhr abgebrannter Brennelemente zur Wiederaufarbeitung (Moratorium) ein, das Ende Juni 2016 ausläuft. Inzwischen haben National- und Ständerat im Rahmen des ersten Massnahmenpakets der Energiestrategie 2050 ein (unbefristetes) Verbot der Wiederaufarbeitung beschlossen. Diese Vorlage wird im Zeitpunkt des Auslaufens des Moratoriums allerdings noch nicht in Kraft sein. Vor diesem Hintergrund beantragt der Bundesrat, das Verbot der Ausfuhr zur Wiederaufarbeitung unabhängig vom Schicksal des ersten Massnahmenpakets der Energiestrategie 2050 um zehn Jahre zu verlängern.

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Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

Für den Umgang mit abgebrannten Brennelementen aus Kernkraftwerken stehen bis heute zwei Möglichkeiten zur Verfügung: Die Wiederaufarbeitung der Brennelemente inklusive der Entsorgung der dabei entstehenden radioaktiven Abfälle oder die direkte Entsorgung der Brennelemente.

Die abgebrannten Brennelemente aus den Schweizer Kernkraftwerken wurden früher in den Wiederaufarbeitungsanlagen in La Hague (Frankreich) und Sellafield (Grossbritannien) wieder aufgearbeitet. Aus verschiedenen Gründen, auf die nachfolgend näher einzugehen ist (vgl. Ziff. 1.3), schlug der Bundesrat dem Parlament in seiner Botschaft vom 28. Februar 2001 zu den Volksinitiativen «MoratoriumPlus ­ Für die Verlängerung des Atomkraftwerk-Baustopps und die Begrenzung des Atomrisikos (MoratoriumPlus)» und «Strom ohne Atom ­ Für eine Energiewende und die schrittweise Stilllegung der Atomkraftwerke (Strom ohne Atom)» sowie zu einem Kernenergiegesetz1 (nachfolgend Botschaft KEG) ein Verbot der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente vor.

Bei der Beratung des Kernenergiegesetzes vom 21. März 20032 (KEG) wurde die Frage der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente zu einem Kernthema.

Das Parlament lehnte das vom Bundesrat vorgeschlagene Verbot ab, einigte sich jedoch auf ein Moratorium für die Ausfuhr abgebrannter Brennelemente zur Wiederaufarbeitung. Ab dem 1. Juli 2006, nachdem sämtliche vertraglich vereinbarten Ausfuhren zur Wiederaufarbeitung durch die Kernkraftwerkbetreiber abgeschlossen waren, wurde die Ausfuhr zur Wiederaufarbeitung während einer Zeit von 10 Jahren verboten (Art. 106 Abs. 4 KEG).

In seiner Botschaft vom 4. September 2013 zum ersten Massnahmenpaket der Energiestrategie 2050 (Revision des Energierechts) und zur Volksinitiative «Für den geordneten Ausstieg aus der Atomenergie (Atomausstiegsinitiative)»3 schlug der Bundesrat dem Parlament erneut ein Verbot der Wiederaufarbeitung vor. Er begründete diesen Vorschlag zum einen mit der politischen Ausgangslage, welche sich mit den Beschlüssen von Bundesrat und Parlament zum Ausstieg aus der Kernenergie geändert hat. Zum anderen gelten die im Rahmen der Botschaft KEG vorgebrachten Gründe für ein Verbot der Wiederaufarbeitung nach wie vor.

Die parlamentarischen Beratungen zum ersten Massnahmenpaket der Energiestrategie 2050 werden voraussichtlich frühestens in
der Frühjahrssession 2016 abgeschlossen sein. Ein allfälliges Verbot der Wiederaufarbeitung könnte somit unter Berücksichtigung der Referendumsfrist erst nach Ablauf des zehnjährigen Moratoriums (30. Juni 2016) in Kraft treten.

Grundsätzlich wäre nach den Bestimmungen von Artikel 3 des Vernehmlassungsgesetzes vom 18. März 20054 (VlG) bei dieser Vorlage ein Vernehmlassungsverfahren 1 2 3 4

BBl 2001 2665 SR 732.1 BBl 2013 7561 SR 172.061

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durchzuführen. Das Verfahren bezweckt nach Artikel 2 VlG die Beteiligung der Kantone, der politischen Parteien und der interessierten Kreise an der Meinungsbildung des Bundes und es soll über die sachliche Richtigkeit und Akzeptanz eines Vorhabens Aufschluss geben. Zur Frage des (unbefristeten) Verbots der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente fand jedoch bereits in den Jahren 2000 (KEG) sowie 2012­13 (erstes Massnahmenpaket der Energiestrategie 2050) ein Vernehmlassungsverfahren statt. Bei einer erneuten Durchführung eines Vernehmlassungsverfahrens für die Verlängerung des Moratoriums sind nur zweieinhalb Jahre nach der letzten Vernehmlassung zum Thema keine neuen Erkenntnisse zur sachlichen Richtigkeit oder Akzeptanz des Vorhabens zu erwarten. Der Zweck des Vernehmlassungsverfahrens nach Artikel 2 VlG könnte bei einer erneuten Durchführung nach so kurzer Zeit mithin gar nicht erfüllt werden. Deshalb wurde vorliegend auf die Durchführung einer Vernehmlassung verzichtet.

1.2

Die beantragte Neuregelung

Aus den vorstehend genannten Gründen beantragt der Bundesrat der Bundesversammlung, von ihrer in Artikel 106 Absatz 4 letzter Satz KEG verankerten Kompetenz Gebrauch zu machen und das Moratorium für die Ausfuhr abgebrannter Brennelemente durch einfachen Bundesbeschluss um zehn Jahre zu verlängern.

Dadurch wird das zeitlich beschränkte Verbot der Ausfuhr zur Wiederaufarbeitung unabhängig vom Schicksal des ersten Massnahmenpakets der Energiestrategie 2050 verlängert. Ohne diese Verlängerung wäre die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente ab dem 1. Juli 2016 wieder zulässig, zumindest für eine gewisse Zeitspanne. Sofern und sobald die vom Bundesrat vorgeschlagene Teilrevision des KEG mit dem Verbot der Wiederaufarbeitung in Kraft tritt, wird das Moratorium obsolet.

Mit der beantragten Verlängerung des Moratoriums soll das seit dem 1. Juli 2006 geltende Verbot der Ausfuhr zur Wiederaufarbeitung für zehn weitere Jahre, d.h. bis am 30. Juni 2026, Bestand haben. Die abgebrannten Brennelemente sind während dieser Zeit als radioaktive Abfälle zu entsorgen.

1.3

Begründung und Bewertung der vorgeschlagenen Lösung

Die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente wird kontrovers beurteilt. Im Rahmen der Vernehmlassung zum ersten Massnahmenpaket der Energiestrategie 2050 wandten die Befürworter der Wiederaufarbeitung ein, abgebrannte Brennelemente seien kein Abfall, sondern ein Wertstoff, der wiederverwendet werden könne.

Die Wiederaufarbeitung von acht abgebrannten Brennelementen ermögliche die Herstellung zweier neuer Brennelemente. Mit einem Verbot verzichte man auf ein Recycling von Rohstoffen und beschränke die Nutzung des Urans auf ein bis zwei Prozent (anstelle von gegen 100 Prozent im Fall von fortgeschrittenen Brennstoffzyklen). Die Trennung der Wertstoffe von den Abfällen reduziere die Abfallmengen und die Radiotoxizität gegenüber der direkten Tiefenlagerung von gebrauchten Brennelementen.

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Allerdings gibt es Zweifel an der Nachhaltigkeit der Wiederaufarbeitung. So werden in den Wiederaufarbeitungsanlagen radioaktive Stoffe in verdünnter Form an Wasser und Luft abgegeben. Deshalb dürfte der Bau einer Wiederaufarbeitungsanlage in der Schweiz politisch wohl kaum eine Chance haben. Schon aus diesem Grund erachtet es der Bundesrat als nicht vertretbar, die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente aus Schweizer Kernkraftwerken zuzulassen, wenn sie im Ausland erfolgt und die damit verbundenen Abgaben von radioaktiven Stoffen dort stattfinden. Eine Nutzung von gegen 100 Prozent des Urans bzw. die sogenannten fortgeschrittenen Brennstoffzyklen setzen die Technologie der schnellen Brutreaktoren voraus, die zumindest in Europa heute nicht mehr ernsthaft weiterentwickelt wird. Zudem wird die Reduktion der Abfallmengen bezweifelt. Nach erfolgtem Einsatz von wiederaufgearbeiteten Brennelementen fallen sogenannte Mischoxid(MOX-)Brennelemente an, die nicht ein zweites Mal in den heutigen Wiederaufarbeitungsanlagen aufgearbeitet werden können. Abgebrannte MOX-Brennelemente müssen daher als radioaktive Abfälle direkt entsorgt werden. Daneben fallen bei der Wiederaufarbeitung radioaktive Abfälle an, die in Form von verglasten, hochaktiven Abfällen von den Kernkraftwerken wieder zurückgenommen werden. Nach heutigem Kenntnisstand ist die gesamte Abfallmenge mit oder ohne Wiederaufarbeitung etwa gleich. Im Übrigen herrscht weltweit ein Überschuss an Plutonium (z.B. aus Abrüstungsprogrammen). Es scheint sinnvoller, bereits vorhandenes Plutonium für die Produktion neuer MOX-Brennelemente zu verwenden, als mit der Wiederaufarbeitung neues Plutonium zu produzieren. Nicht zuletzt steigt wegen der Wiederaufarbeitung auch das Proliferationsrisiko.

Im Rahmen der parlamentarischen Beratung zum KEG wurde die Technologie der Wiederaufarbeitung als unwirtschaftlich, umweltgefährdend und nicht sicher genug bezeichnet. Es wurde aber davon ausgegangen, dass die technologische Entwicklung nicht stillstehen würde und mit der Zeit Verfahren entwickelt würden, die diese Mängel und Unsicherheiten beseitigen würden. Aus diesen Gründen wurde das vom Bundesrat beantragte dauerhafte Verbot abgelehnt und stattdessen ein Moratorium beschlossen: Die Wiederaufarbeitung soll solange verboten sein, wie noch keine neuen Verfahren
verfügbar sind, welche die genannten Nachteile nicht mehr aufweisen.

Der Bundesrat stellt fest, dass weiterhin keine neuen Verfahren verfügbar sind, die für die Wiederaufarbeitung von abgebrannten Brennelementen der Schweizer Kernkraftwerke in Frage kommen. Die Wiederaufarbeitung wird noch immer nach den grundsätzlich gleichen Verfahren durchgeführt, wie es vor über zehn Jahren bei der Beratung des KEG der Fall war. Die damals vorgebrachten Argumente gegen die Wiederaufarbeitung gelten deshalb nach wie vor. Es entspricht folglich auch dem Willen des historischen Gesetzgebers, das Moratorium um zehn Jahre zu verlängern, wie dies der Bundesrat mit der vorliegenden Botschaft beantragt.

1.4

Rechtsvergleich

In den EU-Mitgliedstaaten wird die Wiederaufarbeitung unterschiedlich gehandhabt.

Heute wird die Wiederaufarbeitung nur noch von Kernkraftwerken in Frankreich, Grossbritannien, den Niederlanden und Ungarn durchgeführt. Italien lässt die Brennelemente seiner endgültig ausser Betrieb genommenen Kernkraftwerke ebenfalls wiederaufarbeiten. Die übrigen EU-Mitgliedstaaten mit Kernkraftwerken lassen 8667

ihre abgebrannten Brennelemente nicht wiederaufarbeiten, sondern sehen in der Regel die direkte Entsorgung der abgebrannten Brennelemente vor. Namentlich Deutschland, Belgien, Finnland und Litauen kennen ein ausdrückliches gesetzliches Verbot der Wiederaufarbeitung.

Weltweit zeigt sich bei den übrigen Ländern mit Kernkraftwerken ein ähnlich heterogenes Bild. Die Kernkraftwerke in Japan, Indien und teilweise Russland lassen ihre abgebrannten Brennelemente wiederaufarbeiten. Kanada und Südkorea führen keine Wiederaufarbeitung durch und namentlich in den USA ist diese verboten.

2

Auswirkungen

Auf Bund und Kantone hat die Vorlage keine direkten Auswirkungen.

Über die Auswirkungen der Verlängerung des Moratoriums auf die Kernkraftwerkbetreiber lassen sich keine genauen Angaben machen. Dem Bundesrat liegen keine verlässlichen Zahlen vor betreffend die Kosten der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente sowie allfällige Einsparungen bei der Entsorgung radioaktiver Abfälle. Im Übrigen machten die Betreiber in der Vernehmlassung zum ersten Massnahmenpaket der Energiestrategie 2050 keine Mehrkosten oder bedeutenden Mehraufwände bei Einführung eines Verbots der Wiederaufarbeitung bzw. keine wesentlichen Einsparungen bei Nichteinführung des Verbots geltend.

3

Rechtliche Aspekte

3.1

Verfassungsmässigkeit

Der Bundesgesetzgeber verfügt mit Artikel 90 der Bundesverfassung5 (BV) über eine umfassende Kompetenz zur Regelung der Kernenergie. Die Vorlage stützt sich auf Artikel 106 Absatz 4 KEG, der die Möglichkeit einer höchstens zehnjährigen Verlängerung des Moratoriums vorsieht.

3.2

Erlassform

Nach Artikel 164 Absatz 1 BV sind wichtige rechtsetzende Bestimmungen in der Form eines Bundesgesetzes zu erlassen. Die Verlängerung des Moratoriums ist rechtsetzend und wichtig, weshalb sie durch Änderung der Übergangsbestimmungen des KEG erlassen wird.

Artikel 106 Absatz 4 KEG sieht vor, dass die vorliegende Änderung des Kernenergiegesetzes durch einfachen Bundesbeschluss vorgenommen werden kann. Weil sich der Bundesbeschluss rechtsetzend auswirkt, ist er in der amtlichen Sammlung zu veröffentlichen. Nach Artikel 163 Absatz 2 BV untersteht der vorliegende einfache Bundesbeschluss nicht dem Referendum.

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SR 101

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Verhältnis zur Legislaturplanung und zu nationalen Strategien des Bundesrates

4.1

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 25. Januar 20126 zur Legislaturplanung 2011­2015 noch im Bundesbeschluss vom 15. Juni 20127 über die Legislaturplanung 2011­2015 angekündigt.

Weil die parlamentarische Beratung des ersten Massnahmenpakets der Energiestrategie 2050 mehr Zeit als ursprünglich angenommen in Anspruch nimmt, kann das im Massnahmenpaket enthaltene Verbot der Wiederaufarbeitung nicht vor Ablauf des Moratoriums in Kraft treten. Damit die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente nicht ab Mitte 2016 wieder zulässig wird, ist das Moratorium vordringlich und unabhängig von der Energiestrategie 2050 zu verlängern.

4.2

Verhältnis zu nationalen Strategien des Bundesrates

Die Schweiz hat die nachhaltige Entwicklung zu einem langfristigen Staatsziel erhoben. In der Bundesverfassung ist die nachhaltige Entwicklung mehrfach verankert, unter anderem im einleitenden Artikel 2 zum Zweck der Eidgenossenschaft.

Um den Verfassungsauftrag zu erfüllen, formuliert der Bundesrat seine Absichten seit 1997 regelmässig in der Strategie Nachhaltige Entwicklung. Die Strategie bildet einen Referenzrahmen für das Verständnis von nachhaltiger Entwicklung und deren Umsetzung.

Die Strategie Nachhaltige Entwicklung 2012­20158 formuliert in Kapitel 8 das Ziel, bei globalen Entwicklungs- und Umweltherausforderungen Verantwortung zu übernehmen. Die Schweiz ratifizierte die Oslo-Paris-Konvention (OSPAR), die Massnahmen zur Vorbeugung und Beseitigung der Meeresverschmutzung und zum Schutz der Meeresumwelt gegen schädliche Auswirkungen menschlicher Tätigkeiten im Nordostatlantik vorsieht. Die Verlängerung des Moratoriums steht somit im Einklang mit der Strategie Nachhaltige Entwicklung, zumal die Schweiz damit ihren Beitrag zur Reduktion radioaktiver Einleitungen in die Nordsee leistet.

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BBl 2012 481 BBl 2012 7155 Im Internet abrufbar unter: www.are.admin.ch > Rubrik Nachhaltige Entwicklung

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