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Bundesrathsbeschluss in

Sachen des Hrn. J. J. D i e r a u e r in Oberuzwyl (St. Gallen), und Genossen, betreffend Beeinträchtigung der Handelsund Gewerbefreiheit.

(Vom 31. Januar 1879.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t h hat

in Sachen des lim. J. J. D i e r a u e r in O b e r u t z wy l (St. Gallon), und G e n o s s e n . , betreffend Verlegung des Artikels 3l der Bundesverfassung; nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben: I. Unterm 23. November 1878 erließ der Große Rath des Kantons St. Gallen ein ,,Gesez über den Marktverkehr und das Hausiren" (in Kraft getreten den 13. Januar 1879), dessen Art. 4, Ziffer 2, als Hausiren oder Gewerbebetrieb im Umherziehen erklärt : ,,das Aufsuchen von Bestellungen mit Mustern bei anderen .Personen ,,als solchen, welche mit dem betreffenden Artikel Handel treiben, ,,oder denselben in ihrem Gewerbe verwenden"-, und dessen Art. 16 u. A. bestimmt, daß für das Aufsuchen von Waarenbestelhingen laut Art. 4, Ziffer 2, von den im Kanton niedergelassenen Kaufleuten, welche in demselben ihr eigenes Waarenlager oder den eigentlichen Siz ihres Geschäftes haben, eine (monatliche) Patent-

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taxe von Fr. 10--20 zu entrichten sei. Bei Patentlaxen für eine längere Dauer sind jedoch billigere Taxen aufgestellt, indem für ein Vierteljahr die doppelte, für ein halbes Jahr die vierfache und für ein ganzes Jahr die achtfache Patenttaxe bezahlt werden soll.

II. Gegen diese Bestimmungen rekurrirten Hr. J. J. Dierauer in Oberuzwyl und 37 andere im Kanton St. Gallen niedergelassene Kaufleute an den Bundesrath, Sie machen geltend: 1) Art. 4, Ziffer 2, stehe im Widerspruche mit dem BundesBeschlüsse vom 29. Juli 1859, wonach Kantone von schweizerischen Handelsreisenden für Warenbestellungen keine Patenttaxen oder andere Gebühren erheben sollen; 2) daß Art. 31 der Bundesverfassung verlezt sei, indem eine Taxe von Fr. 80--160 jährlich, zumal wenn ein und dasselbe Haus mehrere Handelsreisende habe und daher auch mehrere Patente lösen müsse, offenbar nicht mehr eine bloß polizeiliche Patentgebuhr repräsentire, sondern eine fiskalische Maßregel, durch welche diese Form des Gewerbebetriebes erschwert und unter Umständen unmöglich gemacht werde, was namentlich dann der Fall wäre, wenn von einein auswärts wohnenden Kunden die schnelle Vorlage der Muster gewünscht würde, während die Geschäftsreisenden abwesend wären ; 3) daß endlich die beanstandete Bestimmung dem Art. 46 der Bundesverfassung widerstreite, weil sie eine Doppelbesteurung schaffe, indem alle reklamirenden Geschäftsfirmen schon mit der Erwerbs.steuer belegt seien.

Die Potenten stellen das Gesuch, daß die angefochtene Stelle im Art. 16 des erwähnten Gesezes aufgehoben werden möchte.

III. Die Regierung des Kantons St. Gallen beantragt Abweisung des Rekurses.

Zunächst macht sie darauf aufmerksam, daß die Einspruchsfrist abgelaufen sei, ohne daß eine einzige Stimme gegen das erwähnte Gesez sich ausgesprochen habe.

Das Raisonnement, welches die Rekurrenten aus dem Bundesbeschluß vom 29. Juli 1859 ableiten, werde zugegeben, allein dennoch seien sie im Unrecht, indem der Bundesrath arn 11. Oktober 1878 i n seinem Entscheide Über d i e Beschwerden gegen aufgegeben habe. Das neueGesez, des Kantons St. Gallen befinde sich ganz auf dem Bodender' Erwägungen dieses neuereu bundesräthlichen Entscheides, der auch dem Großen Rathe vorgelegen habe.

681 Die weitere Einrede, daß das St. Gallische Gesez mit Art. 31 der Bundesverfassung im Widerspruche stehe, »ei durch jene Erwägungen des Bundesrathes ebenfalls widerlegt, zumal die Maximaltaxe von Fr. 200 im Geseze von Baselland als zulässig anerkannt worden sei, während der angefochtene Artikel im St, Gallischen Geseze nur eine Taxe von Fr. 00--160 per Jahr vorsehe.

Ebenso sei die Behauptung-, daß eine Doppelbesteuerung vorliege, unrichtig. Die nationalräthliche Kommission zur Prüfung des Geschäftsberichtes des Bundesrathes pro 1877 (Bundesbl. 1878, II, 861) habe die Palenttaxe neben der Gewerbesteuer als zuläßig anerkannt. Auch das Gesez über das Wirthschaftswesen unterscheide zwischen den Abgaben für das Patent und dei- Einkommen.steuer, resp. Getränkabgabe.

I n E r w ä g ung: 1) Bei Anlaß der Prüfung des Geschäftsberichtes für das Jahr 1877 bat die nationalräthliche Kommission (Bundesbl. 1878, II, 861) folgende Säze aufgestellt: ,,Die Schweiz, resp. die Kantone sind berechtigt: ,,a. die Aufnahme von Bestellungen bei Nichtgewerbetreibenden, ,,resp. von Haus zu Haus, als Hausirhandel zu erklären; ,,b. für die Ausübung des Hausirhandels eine Legitimation, ein ,,Patent oder einen Gewerbeschein zu verlangen; ,,c. sowohl für den Ausweis eine Ausfertigungstaxe zu erheben, ,,als auch den gesammten Hausirverkehr mit einer ent,,sprechenden Gewerbesteuer zu belegen."

und die Bundesversammlung hat bei dem gleichen Anlaße den Bundesrath eingeladen, die in Frage liegenden Verhältnisse einer nochmaligen Prüfung zu unterwerfen, beziehungsweise einen von ihm früher erlassenen Entscheid in Wiedererwägung zu ziehen.

(Eidg. Gesezsammlung, neue Folge, III, 448.)

2) In Vollziehung dieses Auftrages und in Uebereinstimmung mit jenen Säzen der nationalräthlichen Kommission hat der Bundesrath bei Anlass das Rekurses Flückiger und Genossen die Frage der Patenttaxen für Musterreisende einer erneuerten Prüfung unterstellt und ist - in seinem Beschlüsse vorn 8. Oktober 1878 -- zu folgenden Ergebnissen gelaugt: a. daß allerdings ein absolutes "Verbot des Gewerbebetriebes im Umherziehen und der Aufnahme von Bestellungen von Haus zu Haus gegenüber dem Art. 31 der Bundesverfassung sich nicht rechtfertigen ließe, weil dadurch unzweifelhaft der Grundsaz dei- Gewerbefreiheit in Frage gestellt wäre. Ebenso würde ein Besteuerungssystem mit übermäßigen Taxen im

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Effekt einem Verbot gleichkommen und deßhalb beanstandet werden können, während soweit nur eine mäßige Patentaxe, die den Gewerbebetrieb in keiner Weise verunmöglicht, in Frage liegt, von einem Widerspruche gegen die Vorschriften von Art, 31 der Bundesverfassung nicht die Rede sein kann ; b. daß wenn die beiden angefochtenen Geseze der Kantone Bern und Basellandschaft nach Maßgabe dieses Grundsazes gewürdigt werden, dasjenige von Baselland, welches eine Taxe von Fr. 1 50 per Jahr im Maximum aufstellt, nicht beanstandet werden kann, dasjenige von Bern dagegen, welches eine Taxe bis auf Fr. 200 per Monat ermöglicht, in der Anwendungunter Umständen in der That die Ausübung des fraglichen Gewerbetriebes unmöglich machen könnte, weßhalb in dieser Beziehung eine freie Prüfung und Entscheidung von Beschwerden im einzelnen Falle vorbehalten werden muß.

3) Die gleichen Grundsäze müssen nunmehr auch auf das 8t. Gallische Hausirgesez Anwendung linden, das mit seinen Taxen dem basellandschaftfichen Geseze nahe steht.

4) Die Patenttaxe ist für die staatliche Bewilligung des Hausirens zu bezahlen und ist von der Erwerbssteuer, welche auf die Erträgnisse eines Berufes oder Gewerbes (also auch dos Hausirens, Wirthschaftsbetriebes u. s. w.) gelegt wird, aus einander zu halten.

Welche Basis der lezteren zu Grunde gelegt, werden darf, ist hier nicht näher zu erörtern, und es würde, wenn wirklich durch die Konkurrenz der Taxe und der Steuer eine thatsächliche Doppelbesteuerung entstehen würfle, eine darauf sich stüzende Beschwerde in die Kompetenz des Bundesgerichtes nach Art. 59, Litt, a des Bundesgesezes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 27. Juni 1874 fallen.

beschlossen: 1. Der Rekurs wird als unbegründet erklärt.

2. Dieser Beschluß soll der Regierung des Kantons St.. Gallen und den Rekurrenten mitgetheilt werden.

B e r u, den 31. Januar 1879, Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä si d e n t:

Hammer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Schiess.

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Bundesrathsbeschluss in

Sachen des Verwaltungsrathes der Bank für Graub ü n d e n in Chur, betreffend Beeinträchtigung der Gewerbefreiheit.

(Vorn 21. Februar 1879.)

Der schweizerische Bundesrath hat

in Sachen des V e r wal t u n g s ra th es der B a n k für G r a u b l i n d e n in Chur, betreffend Beeinträchtigung der Gewerbefreiheit; nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polizeidepartementes und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben: I, In der Junisizung 1877 erließ der Große Rath des Kantons Graubünden ein ,,Gesez b e t r e f f e n d A u s g a b e von B a n k n o t e n in G r a u b ü n d e n " , welches im Wesentlichen folgende Bestimmungen enthält : § 1. Jede Bank bedarf zur Ausgabe von Banknoten einer Konzession des Großen Rath es. Bei Privatbanken darf die Emissionssumme den Betrag des einbezahlten Kapitals nielli: übersteigen.

§§ 2 und 3, Die Banknoten sind durch die Finanzverwaltung zu stempeln. Noten unter 50 Franken sind nur so lauge zuläßig, als andere Schweizerkantone solche ebenfalls emittiren.

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Bundesrathsbeschluss in Sachen des Hrn. J. J. Dierauer in Oberuzwyl (St. Gallen), und Genossen, betreffend Beeinträchtigung der Handels- und Gewerbefreiheit. (Vom 31.

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