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Bundesrathsbeschluss in

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Sachen des Christian V ö g e l i , aus dem Kanton Bern, niedergelassen in Heitenried, Kantons Freiburg.

(Vom 15. Juli 1879.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r ath hat

in Sachen des Christian V ö g e l i , aus dem Kanton Bern, niedergelassen in Heitenried, Kantons Freiburg, betreffend Stimmrecht und Steuerpflicht der Niedergelassenen ; nach-angehörtem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben: I. Unterm 8. April 1877 beschloß die Gemeindeversammlung von Heitenried, Kantons Freiburg, während der drei nächsten Jahre eine Gemeindesteuer von 2 ° oo von den Liegenschaften und den Kapitalien zu erheben, damit das bestehende Defizit gedekt und den stets wachsenden Gemeindeausgaben begegnet werden könne.

(Diese Steuer betrug früher bloß l °/oo.)

II. Herr Christian Vögeli, aus dem Kanton Bern,reformirterr Konfession, niedergelassen inHeitenried,, rekurrirte unterm 14. Oktober 1878 gegen diese Steuer an den Bundesrath und stellte die Anträge: ,,1. daß, so lange die freiburgische Gesezgebung den Grundsäzen der Art. 43, 45 und 60 der Bundesverfassung noch keine

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Verwirklichung gegeben und so lange zwischen den Gemeindebürgern und den Niedergelassenen, beziehungsweise der Erhebung, der Kontrole, der Verwaltung und der Herkunft der Steuern, keine -Gleichheit bestehe, der Rekurrent von diesen Steuern befreit werden möge, wenigstens von denjenigen, an denen er keinen Genuß habe, namentlich von der Armensteuer ; " ,, 2. daß er ebenfalls von der in Folge des Gemeindebeschlusses vom 9. April 1877 erhobenen sog. G e m e i n d e s t e u e r befreit werde, so lange der Ertrag derselben zu Schul- oder Kirchenzweken verwendet werde und lediglich der Bürgergemeinde zu Nuzen komme. u Zur Begründung dieser Anträge berief sich Rekurrent auf die Motivirung des von den HH. Mühlemann und Genossen bezüglich der gleichen Frage an den Bundesrath gerichteten Rekurses, welche sich darüber beschwert hatten, daß die Stellung der Niedergelassenen im Kanton Freiburg im Widerspruche mit den Artikeln 43 und 45 der Bundesverfassung stehe.

Nach dem Dafürhalten der HH, Mühlemann und Genossen nämlich kenne der Kanton Freiburg weder die G e m e i n d e , noch ·die Gemeindebürger im Sinne der Bundesverfassung. Wenn man sie auch unrichtigerweise ,, Gemeinden " benenne, so habe man doch in diesem Kantone das System der B ü r g e r g e m e i n d e n behalten, nach welchem die Niedergelassenen kraft der in Lemma 4 des Art. 43 enthaltenen beschränkenden Bestimmung keines der ausschließlich den B ü r g e r n , d. h. den Mitgliedern der Bürgerschaft zustehenden Rechte theilhaftigo seien. Die Folge der einO schlägigen freiburgischen Geseze sei, daß die Gemeindeangelegenheiten rein bürgerliche Angelegenheiten geblieben seien; die Gemeinde.guter seien Bürgergüter und werden von Behörden verwaltet, welche ausschließlich aus Bürgern bestehen uud auch von den B ü r g e r n ernannt werden. Auf diese Weise werden die Niedergelassenen von jeglicher Theilnahme an diesen Gütern, sowie an den Abstimmungen der Gemeindeversammlungen, welche lediglich B ü r g e r versammlungen seien, ausgeschlossen. Um die Richtigkeit ihrer Behauptungen nachzuweisen, hatten die Rekurrenten verschiedene Artikel des gegenwärtigen freiburgischen Gemeindegesezes von 1864 zitirt, insbesondere dessen Art. 5, wonach bloß die Gemeinde b ü r gO e r in den Gemeindeversammlungen stimmen und in o den Gemeinderath ernannt werden können. Ferner
bemerkten sie, daß auch das Gesez vom 30. November 1872, durch welches verschiedene Bestimmungen des Gesezes von 1864 modifizirt worden, lediglich den B ü r g e r n das Verwaltungs- und Stimmrecht in Gemeindeangelegenheiten gewährt und sich darauf beschränkt habe,

694 d i e n i e d e r g e l a s s e n e n F r e i b u r g e r u n d S c h w e i z e r stimmfähig zu erklären, wenn es sich handelt: a. um die Ernennung des General- und Gemeinderathes; b. um eine Frage, welche auf einen öffentlichen Dienst Bezug: hat, wie Bau und Unterhalt von Straßen, Beleuchtung, Réglemente und .Polizeiausgaben, sowie in den im Art. 6 des Gesezes vorgesehenen Fällen.

Freilich habe der Staatsrath nach dem Inkrafttreten der 1874er Bundesverfassung im Art. 12 einer Verordnung vom 12. Februar 1878 bestimmt, daß, ,,um wählbar zu sein, es nicht nöthig sei, Bürger der Gemeinde zu sein ;" allein diese Vergünstigung werde in Folge der erdrükenden Mehrheit der bürgerlichen Bevölkerung illusorisch gemacht. Aus diesen Gründen meinten die Rekurrenten, daß die gegenwärtige Lage der Niedergelassenen im Kanton Freiburg mit der von der neuen Bundesverfassung geschaffenen Ordnung; unverträglich sei.

Ueberdies suchte Herr Vögeli aus den Rechnungen der Gemeinde Heitenried darzuthun, daß die fragliche Steuer in der That zu solchen Ausgaben verwendet worden sei, welche die Schule, oder die Armen, oder die Erhaltung der B ü r g e r g ü t e r betreffen, und nicht zu Ausgaben, die im Interesse der Gesammtheit und der Gemeinde liegen, zu welchen allein die Niedergelassenen zugezogen werden dürfen.

III. Da indessen die kantonalen Instanzen -nicht erschöpft worden waren, so verwies der Bundesrath den Hrn. Vögeli unterm 18. Oktober 1878 zunächst an die kantonalen Behörden.

IV. Inzwischen wurde von der Gemeinde Heitenried der Betrag der auf den Rekurrenten entfallenden Steuerquote vor den freiburgischen Gerichten eingeklagt.

Vögeli erhob Einsprache, welche indessen durch Urtheil des Gerichtes des Sensebezirkes, d. d. 21. Januar 1879, aus dem Grunde abgewiesen wurde, weil die fragliche Steuer in gesezlicher Weise (Art. 246, 40, 252 und 253 des Gemeindegesezes) erhoben und von dem Staatsrathe genehmigt worden sei, und weil die von Vögeli vorgebrachten Gründeunzuläßig seien.

Am 26. Mai 1879 erklärte der Appellhof den hiegegen ergriffenen Rekurs als unzuläßig, weil der Betrag der von Hrn. Vögeli eingeforderten Steuerquote, nämlich Fr. 144. 18, selbst mit der Anzahl der Jahre multiplizirt, für welche der Bezug dieser Steuer genehmigt worden, d. h. 3 Jahre, auf nur Fr. 432. 54 zu stehen komme, während

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gemäß Art. 111, Litt, a, des Gesezes über die Organisation der Gerichtspflege, vom 26. Mai 1848, die Bezirksgerichte über solche Streitigkeiten, deren Gegenstand weniger als Fr. 400 alte Währung oder Fr. 579. 71 neue Währung betrage, in definitiver Weise zu entscheiden haben.

V. Mittelst Eingabe an den Bundesrath, d. d. 14. Oktober 1878, nahm Herr Vögeli seinen Rekurs wieder auf, indem er denselben gleichzeitig auf die oberwähnten Urtheile der freiburgischen Gerichte ausdehnte. Herr Vögeli machte geltend, daß diese Urtheile, weil lediglich auf dem freiburgischen Gemeindegeseze beruhend, die konstitutionelle Seite der Frage unberührt lassen, nämlich die im Kanton Freiburg in Gemeindeangelegenheiten zwischen Gemeindebürgern und Niedergelassenen festgehaltene Ungleichheit, sowie die Zuziehung der lezteren zu Steuern, welche, wie es sich aus den Gemeinderechnungen ergebe, zu speziellen Bürgergemeinde-, Korporations-, Kultus- oder Kirchenzweken verwendet werden, die den Steuerzahlern fremd seien. In den zwei Jahren 1876 und 1877 hätten sich die Ausgaben dieser Art auf Fr. 6661. 28 belaufen, welche der Rekurrent nebst den übrigen Niedergelassenen reformirter Konfession ungebührlicherweise als Steuer zahlen solle.

Herr Vögeli stellte zugleich das Gesuch, es möchte der Bundesrath die von den. freiburgischen Gerichten bis anhin gewährte Suspendirung der Zahlung der bestrittenen Steuern fortdauern lassen, sowie auch die provisorische Suspendirung der Vollziehung der angegriffenen Urtheile anordnen.

VI. Dieser Rekurs erforderte keine besondere Beantwortung des Staatsrathes des Kantons Freiburg, indem die von demselben in Sachen Mühlemann und Genossen eingereichten Bemerkungen ebenfalls auf die Beschwerde des Christian Vögeli anwendbar waren.

Damals hatte nämlich der Staatsrath erwidert, daß die von den Rekurrenten (HH. Mühlemann und Genossen} gemachte Erörterung der Stellung der Niedergelassenen, nach welcher dieselben an den Gemeindeangelegenheiten gar keinen Antheil haben, völlig unrichtig sei. Es werden zwar einige Bestimmungen des Gesezes von 1864 von den Rekurrenten zitirt, aber sie hüten sich wohl, Art. 6 des gleichen Gesezes anzuführen, welcher den S t e u e r p f l i c h t i g e n in den Gemeindeversammlungen das Stimmrecht ertheile, wenn ein Beschluß in Frage stehe, welcher die Hilfsquellen der
Gemeinde stark in Anspruch nehmen oder für die Steuerpflichtigen beschwerliche Folgen nach sich ziehen könnte, so z. B. die Erhebung einer Steuer. Auch achten sie nicht die spateren Geseze, wodurch dasjenige von 1864 modifizirt; worden, so zunächst das Gesez vom

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30. November 1872, dann den Beschluß, welchen der Staatsrath am 26. November 1875 bezüglich der Niederlassungsbewilligungen erlassen, wodurch dem Art. 45 der Bundesverfassung Genüge geleistet werde, und endlich den Beschluß vom 12. Februar 1878, welcher bei Anlaß der Integralerneuerung der Gemeinderäthe in Art. 2 bestimmt habe, daß alle im Aktivbürgerrecht stehenden Schweizerbürger, Freibarger und andere, welche seit mindestens 3 Monaten in der Gemeinde niedergelassen seien, zur Theilnahme an der Abstimmung berechtigt seien, während Art. 12 vorgeschrieben habe, daß man nicht Gemeindebürger zu sein brauche, um wählbar zu sein. In Folge der verschiedenen Aenderungen, welche an der freiburgischen Gesezgebung vollzogen worden, genießen im Gegentheil die im Kanton Freiburg niedergelasseneu Schweizer alle in den Art. 43, 45 und 60 dei: Bundesverfassung erwähnten Rechte. Sie werden nicht bloß zu allen Abstimmungen in kantonalen Sachen zugelassen, sondern dürfen auch in Gemeindeangelegenheiten an allen Beschlußfassungen T heil nehmen, die sich nicht ausschließlich auf die Bürgergüter beziehen, somit an allen Beschlußfassungen über Steuern, öffentliche Dienste, Polizeireglemente, Ausgaben u. s. w. Wenn es sich um die Wahl des Gemeinderathes handle, seien sie Wähler und wählbar. In einem Worte genießen sie alle Rechte der Bürger, mit Ausnahme des gesezlichen Mitgenusses an den Bürgergütern und des Stimmrechtes in den rein bürgerlichen Angelegenheiten.

Der Staatsrath hatte daher den Antrag gestellt, es sei der Rekurs der HH, Mühlemann und Genossen abzuweisen.

In E r w ä g u n g :

1. Der vorliegende Rekurs ist unter allen Umständen in der angebrachten Form unzuläßig. Ein Steuerpflichtiger kann nicht die Entrichtung einer Steuer, Staats- oder Gemeindesteuer, verweigern, mit der allgemeinen Motivirung, er bezahle nicht, bis die in den Art. 43, 45 und 60 der Bundesverfassung den Niedergelassenen zugesicherten Rechte durch die freiburgische Gesezgebung anerkannt und die Gleichstellung zwischen Niedergelassenen und Bürgern thatsächlich eingeführt sein werde. Glaubt der Rekurrent, daß ihm konstitutionelle Rechte vorenthalten oder entzogen werden, so mag er eine diesfällige Beschwerde bei den zuständigen Behörden anbringen und entsprechende Anträge stellen, nicht aber kann er sich auf dem Wege der Steuerverweigerung selbst Recht verschaffen und noch weniger von den Behörden verlangen, daß sie ihn in einem solchen Verfahren schüzen werden.

2. Der Bundesrath hat übrigens bereits in seinem Entscheide über den gleichartigen Rekurs in Sachen Mühlemann ausgeführt,

697 daß eine Gleichstellung der Niedergelassenen mit den Bürgern züglich der Armenversorgung aus der Bundesverfassung nicht geleitet werden könne, und daß bezüglich des Stimmrechtes Niedergelassenen die freiburgische Gesezgebung mit Art. 43 Bundesverfassung im Einklänge stehe.

beabder der

3. Was die Verrechnung von Auslagen betrifft, welche nach der Meinung des Rekurrenten nicht die politische Gemeinde berühren, so kann der Bundesrath auf diese Beschwerde nicht eintreten, weil die Organisation und die Aufsicht über den Gemeindehaushalt ausschließlich Kantonalsache ist und vorn Standpunkte des Bundesrechtes nur verlangt werden kann, daß die schweizerischen Niedergelassenen nicht höher besteuert werden dürfen als die eigenen Kantonsangehörigen, und daß gemäß Art. 49, leztes Alinea, der Bundesverfassung Niemand zur Bezahlung von Steuern verhalten werde, welche speziell für eigentliche Kultuszweke einer Religionsgenossenschaft, der er nicht angehört, auferlegt werden. In lezterer Richtung ist eine Beschwerde durch den Rekurrenten nicht erhoben worden und müßte eine solche bei dem Bundesgerichte angebracht werden, beschlossen: 1.

Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen,

2. Dieser Beschluß wird dem Staatsrathe des Kantons Freiburg, sowie den Rekurrenten mitgetheilt, B e r n , den 15. Juli 1879.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Hammer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Schiess.

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Bundesrathsbeschluss betreffend

Errichtung einer Inventarkontrole der schweizerischen Militärverwaltung.

(Vom 7. November 1879.)

Der schweizerische Bundesrath, in Vollziehung des Bundesbeschlusses vom 20. Juni 1879, wonach bis zum Erlaß eines neuen Kriegsverwaltungreglements der Bestand, sowie die Beschaffung und Verwendung des Kriegsmaterials einer besondern Kontrole zu unterstellen ist; auf den Antrag seines Militärdepartements, beschließt: Art. 1. Zum Behufe der Kontrolirung des Bestandes der Beschaffung und Verwendung des Kriegsmaterials wird bei der eidgenössischen Militärverwaltung eine Inventarkontrole errichtet, deren Funktionen für einmal bis zum Erlasse eines neues Kriegs Verwaltungsreglements einem Beamten des Oberkriegskommissariats übertragen werden.

Art. 2. Die Inventarkontrole steht direkt unter dem Oberkriegskommissär, durch welchen ihr gesammter schriftlicher Verkehr und alle ihre Beziehungen nach Außen stattfinden. Im Dienste außerhalb dem Bureau handelt erstere im Namen und im Auftrag desselben.

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Bundesrathsbeschluss in Sachen des Christian V ö g e l i, aus dem Kanton Bern, niedergelassen in Heitenried, Kantons Freiburg. (Vom 15. Juli 1879.)

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15.11.1879

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