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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung zum Entwurf eines Bundesgesezes betreffend Ankündigung und Vertrieb von sogenannten Geheimmitteln, Patentmedizinen und Spezialitäten.

(Vom 12. November 1879.)

Tit.!

Der Widerstand des Einzelnen gegen den Geheimmittelschwindel ist machtlos. Auch das gegen denselben ins Feld geführte Mittel der Belehrung und Aufklärung ist darum wirkungslos, weil es nicht mit gleicher Ausdauer, gleicher Energie und allüberall zu gleicher Zeit angewendet werden kann, wie dies bei der keine Kosten scheuenden Reklame der Geheimmittelindustrie der Fall ist. Einzelne Regierungen sind daher schon früher zu der Ueberzeugung gekommen, daß nur die starke Hand des Staates das Geheimmittelunwesen, wenn nicht zu beseitigen, doch wenigstens wesentlich zu beschränken im Stande ist. Von dieser Ueberzeugung getragen, haben den angestellten Erhebungen zufolge die Kantone Zürich, Bern, Luzern, Zug, Freiburg, Basel-Stadt, Basel-Land, Schaffhausen, Appenzell A.-Rh., Appenzell I.-Rh., St. Gallen, Graubünden, Aargau, Tessin, Waadt, Wallis und Neuenburg über diese Materie bereite mehr oder weniger genaue Bestimmungen erlassen. Von Uri, Obwalden und Genf erhielten wir keine Antwort, während Schwyz, Nidwaiden, Glarus, Solothurn und Thurgau erklärten, daß sie keine gesezlichen Vorschriften über den Geheim mittelverkauf besizen.

669 Allein das vereinzelte Vorgehen der Kantone erwies sich als unzureichend, und es brach sich die Ansicht. Bahn, daß nur vereintes Vorgehen dem Überall gefühlten und anerkannten Uebel steuern könne. Von diesem Gedanken geleitet, hat schon im Jahre 1866 die Regierung von Thurgau auf die Wünschbarkeit einer Vereinigung der Kantone zur gemeinsamen Abwehr gegen den trüben Strom des Geheimmittelunwesens aufmerksam gemacht. Es kam auch zu einer interkantonalen Konferenz, welche unterm 2. Dezember 1867 den Entwurf eines Konkordats aufstellte; allein dasselbe scheiterte schließlich an den Differenzen der Kantone über Einzelheiten des Entwurfs. Im Jahre 1877 hat dann, in Würdigung einer vom Schweiz, ärztlichen Centralverein ausgegangenen Anregung, die Regierung von Thurgau diese Angelegenheit neuerdings aufgegriffen und auf das Bedürfniß einer Vereinigung zum Schuz gegen das gemeinsame Uebel hingewiesen. Ueber diese Anregung zur Meinungsäußerung eingeladen, erstattete die schweizerische Aerztekommission ein einläßliches Gutachten, das die legislatorische Regelung dieser Angelegenheit warm befürwortete. Die hierauf veranstaltete Konferenz vom 22. November 1877 war von den Abgeordneten der meisten Kantone besucht und sprach sich einstimmig für die Notwendigkeit der staatlichen Regelung aus. Die große Mehrheit glaubte aber, daß ein Konkordat nicht zum Ziele führe und daß es, um den Zweit zu erreichen, unbedingt nöthig sei, diese Materie durch ein Bundesgesez zu regliren ; ebenso erklärte jene Konferenz, daß es nicht geniige, bloß die Ankündigung zu normiren, sondern daß mit der Ankündigung auch der Verkauf der Geheimmittel zu kontroliren sei. Nachdem man sich über diese Prinzipien verständigt hatte, wurde die Ausarbeitung eines bezüglichen Gesezentwurfes einer Spezialkommission überwiesen. Dieselbe fand, daß eine Hauptschwierigkeit bei der Normirung dieser Frage die einseitige, von dem Handel mit Medikamenten überhaupt losgetrennte Normirung des Handels mit Geheimmitteln bilde. Die Uebelstände, welche beim Handel mit Geheim mitteln existiren, haften nämlich in ähnlicher Weise dem Handel mit Medikamenten überhaupt an, und wenn vom sanitätspolizeilichen Standpunkt aus der Handel mit Geheimmitteln zu regliren sei, so sprechen die gleichen sanitätspolizeilichen Gründe für eine Reglirung des Handels mit allen
Medikamenten. Jene Kommission fand darum, daß es besser und rationeller sei, statt bloß bruchstükweise die Geheimmittel , als zusammengehöriges Ganzes den Medikamentenhandel überhaupt legislatorisch zu regliren, da möglichst jeder Schaden, welcher durch den freien Verkauf von allen Medikamenten für die Volksgesundheit entstehen kann, vermieden werden soll. Mit der Ausarbeitung eines Gesezentwurfes für diese erweiterte Aufgabe

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wurde eine engere Kommission betraut, und nachdem derselbe, mit den Motiven gedrukt, den Kantonsregierungen zur Vernehmlassung mitgetheilt worden war, wurde er mit den eingegangenen Antworten unterm 7. Mai 1879 der weitern Kommission zur Berathung unterbreitet.

Wie wir Ihnen bereits im Bericht über unsere Geschäftsführung im Jahr 1878 mitzutheilen die Ehre hatten, sprachen sich 17 Kantono für den Erlaß eines Bundesgesezes aus, 7 gaben einem Konkordate den Vorzug, ein Kanton wollte überhaupt nicht eintreten. Was vorab die Frage, ob Bundesgesez, ob Konkordat, betraf, so konnte dieselbe füglich als gelöst betrachtet werden, da es, nachdem die ineisten Kantone das Referendum besizen, schon aus technischen Gründen im höchsten Grade schwierig, wenn nicht unmöglich erscheinen dürfte, jezt noch ein Konkordat herzustellen. Zum Erlaß eines Bundesgesezes räumt aber auch Art. 3l der Bundesverfassung vollständig die Kompetenz ein. Mit Rüksicht auf die Anlage des Gesezentwurfes fiel in Betracht, daß der Anlaß -zu allen diesfälligen Anregungen durch die Ueberhandnahme der Geheimmittel und die daherigen Klagen gegeben wurde, daß in den frühem Konkordatsverhandlungen nie davon die Rede war. eine gesezliche Reglirung über die Geheimmittel hinaus auszudehnen, daß der Konkordatsentwurf sowohl, wie die neue Anregung der Regierung von Aargau, auf die Geheimmittel sich beschränken, und daß endlich nur diese Frage den Kantonen unterstellt wurde. Auf eine nähere Würdigung dieser Gründe gestüzt, gelangte man schließlich dazu, von dem Gedanken, den Medikamentenhandel bundesgesezlich zu ordnen, zurükzu treten und die ursprüngliche Idee, lediglich dem Geheimmittelunwesen zu begegnen, wieder aufzunehmen. Es wurde sodann von unserm Departement des Innern ein hierauf basirter neuer Gesezentwurf aufgestellt, welcher unterm 18. August 1879 noch die Berathung der zu diesem Zwek, bestellten Spezialkommission passirte, bevor wir selbst denselben in Behandlung nahmen.

Der Besprechung der einzelnen Bestimmungen des Entwurfes vorgängig, sei uns noch eine allgemeine Würdigung des Gegenstandes gestattet.

Die Tendenz, die Gesundheit des Volkes zu schüzen. ist in dem bereits erwähnten Art. 31 der Bundesverfassung niedergelegt.

Dieser Artikel, welcher von der Freiheit des Handels und der Gewerbe redet, statuirt diese Freiheit mit der
Einschränkung, daß besondere sanitätspolizeiliche Maßregeln gegen Epidemien vorbehalten seien. Doch dasGrundgesezz wollte sich auch damit nicht begnügen, sondern es hat in Lemma c des zitirten Artikels ausdruklich weiter festgesezt, daß auch gegenüber dem Grundsaz der

6,71 Freiheit des Handels und der Gewerbe noch besondere Verfügungen über die Art und Weise der Ausübung derselben statthaft seien.

Als solche müssen in allererster Linie diejenigen als zwekmäßig, ja als nothwendig erscheinen, welche vom Bestreben diktirt sind, die Öffentliche Gesundheit zu schüzen. Handel und Gewerbe sollen nur so ausgeübt werden können, daß daraus für die Gesundheit des Volkes kein Nachtheil erwachst. Es dürfen und müssen Vorschriften erlassen werden, welche bestimmen, in welcher Weise solche Zweige des Handels und der Gewerbe betrieben werden können, die, bei vollständiger Freiheit, Gefahren für die öffentliche Gesundheil, in sich schließen, und zwar ist es Pflicht des Staates, solche schüzende Bestimmungen aufzustellen, welche die bestmögliche Garantie bieten, daß die Volksgesundheit nicht gefährdet werden kann.

Wenn wir die wirkliche und gesunde Industrie, deren Arbeit die Mittel zum Leben und behaglichen Dasein aus fernen Ländern herbeizieht, durch das Fabrikpolizeigesez zu koutroliren für nöthig finden, haben wir noch viel mein- die Pflicht, eine ungesunde Industrie, die Geheimmittelfabrikation, zu kontroliren, die, sanitarisch und nationalökonomisch betrachtet, eine öffentliche Schädlichkeit ist, und nur darum so lange geduldet wurde, weil sie, mit Phrasen geschikt aufgepuzt und von einer verschwenderischen Reklame geschüzt, weder den Regierungen noch dem Volke näher bekannt war. Die Geheimmittelindustrie ist eine Macht, die Alle mit Schreken erfüllt, welche in ihr Getriebe hineingesehen. Hunderttausende von Franken wandern alljährlich aus den Taschen armer Leute, die kaum ihren kärglichen Lebensunterhalt aufbringen, in die Kassen schlauer Spekulanten; Tausende von Phantasiekranken und von Leichtkranken kuriren sieh mit diesen Mitteln zu Schwerkranken.

Wir wissen, daß Frankreich jährlich für 105 Millionen seiner ,,Spezialitäten" ausführt, daß England jährlieh 60--70,000 Livr.

1878 aus Frankreich, DeutschlandOesterreichch und Italien 1505 metrischCentnereGeheimmittelel und fertige Arzneimittel in die Schweiz eingeführt wurden, welchegemäßäß einer von Sachverständigen augestellten Schäzung, im Minimum einen Ankaufspreis von Fr. 900,000 bis l Million und im Minimum einen Verkaufswerth von Fr. 1,500,000 bis Fr. 1,800,00repräsentirten.n.

In einer Zeit, welche die öffentliche
und private Gesundheitspflege und eine geordnete Seuchenpolizei als Grundlagen der Volksgesundheil anerkennt, ist es ein Anachronismus, den Wahn zu unterstüzen, daß es überhaupt Heilmittel gebe, welche alle sanitären Schädlichkeiten ungeschehen machen und deren Folgen hinwegBundesblatt. 31. Jahrg. Bd. III.

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nehmen könnten. Es ist ein Anachronismus, zu glauben, daß man Medikamente für gewisse Krankheitsfälle vorräthig halten und verkaufen könnte. Ein Medikament, ohne Anpassung T'ur den gegebenen Fall, ist überhaupt gar kein Medikament, sondern ein Lotterieloos und insofern schlimmer als dieses, weil die Nieten nicht bloß mit dem Geldbeutel, sondern oft auch m i t d e r v Gesundheit bezahlt werden.

Die Geheimmittel und Spezialitäten sind Übrigens großenteils nicht mehr geheim, sondern vielfach bekannt, und es bestehen große Verzeichnisse solcher Enthüllungen, ohne Nuzen für das Publikum, welches davon wenig Notiz nimmt, und ohne Schaden für dea Schwindler, welcher sich auf die Unwissenheit oder Leichtgläubigkeit seiner Abnehmer verlassen kann.

Ein großer Theil der ausgekündeten und im Handverkauf vertriebenen Geheimmittel, 22 % nach Richters Zusammenstellung von 938 Analysen, ist giftig ; -- nicht giftig, aber auch nicht harmlos, unter Umständen selbst gefährlich, fand Richter fernere 25%.

Allerdings ist vorgesorgt, daß sehr selten plözliche (akute) Vergiftungen entstehen und dem Fabrikanten Prozesse wegen Tödtung zuziehen; aber die chronischen Wirkungen bleiben deßwegen nicht aus. Das Opium z. B. verderbt Kindergehirne, Arsenik und Queksilker machen manchen Ausschlagkranken und Brustschwachen hektisch ; die sehr populären Purgirmittel führen eine Unzahl Magenkranker zu bleibendem Siechthum. Die ausgesucht schlechte Qualität der Waare, die rohe Zusammensezung, die elegante Verpakung und die unverschämte Anpreisung sind für diese Artikel charakteristisch.

Ein anderer Theil der Geheimmittel ist ganz und gar unschuldige Waare; der Fehler liegt bloß darin, daß Stoffe, welche im gewöhnlichen Handel und Verkehr für fünf Centimes zu haben sind, hier für mehrere Franken verkauft werden. Diese Gruppe, nach Richter 52% aller Geheimmittel, hat es vorzugsweise auf den Betrug und die Plünderung der Armen und Kranken abgesehen.

Ein anderer Theil von Geheimmitteln enthält keine physiologischen Gifte, aber moralische, tödtet niemals einen Kranken, aber ist zuweilen die Veranlaßung, daß er sich selbst tödtet, oder, wie aus uns vorliegenden Berichten schweizerischer Irrenärzte hervorgeht, dem Irrenhaus anheimfällt. Abgesehen von der großem oder geringem Schädlichkeit solcher Mittel, besteht deren Hauptübel darin,
daß durch deren Gebrauch der richtige Moment versäumt wird, gegen ein bestehendes Leiden vernünftigen ärztlichen Rath einzuholen. Diese Mittel sind in der Regel in der Schandliteratur enthalten, welche in Form kleiner Flugschriften die sexuell

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Geschwächten, die mit oder ohne Verschulden moralisch Bedrängten zur Verzweiflung treiben, um ihnen dann schließlich eine Adresse zum Bezug von Mitteln zu geben, welche sie -- gegen verhältnismäßig enorme Summen -- von ihrem Elend erlösen sollen.

Es gibt sodann Geheimmittel, Spezialitäten etc., welche auf die Heilung bestimmter anstekender Krankheiten abzielen sollen.

Mag die persönliche Freiheil, so oder anders einen Heilungsversuch zu machen, sonst auch noch so weit gehen, so muß dieselbe ob ne Weiteres doch dann aufhören, wenn Jemand Träger eines Kontagiums ist und sonach seinen Nebenmenschen gefährdet. Die Beurtheilung und Behandlung von Pest, Cholera, Poken, Typhus u. s. w.

kann darum aus gesundheitspolizeilichen Gründen nur anerkannten Medizinalpersonen zustehen.

Eine lezte Klasse von sogenannten Geheimmitteln besteht aus unschuldigen Hausmitteln, Toilettenartikeln, homöopathischen Präparaten u. s. w., welche zu Preisen verkauft werden, bei denen der Fabrikant und der Käufer sehr wohl bestehen kann. Das vorgeschlagene Gesez berührt, aile diese Mittel nicht ; es will und kann die Gewerbefreiheit, sie zu fabriziren, zu annonciren und zu verkaufen, gar nicht beeinträchtigen. Was nicht als Gift, Prellerei oder Unsittlichkeit angesehen werden muß, soll frei sein und bleiben.

Was die einzelnen Bestimmungen des Gesezentwurfes betrifft, so nehmen wir zu den nachstehenden Bemerkungen Veranlaßung: Der vorliegende Entwurf ist- auf dem Ausschlußsystem (Repressivsystem) aufgebaut, -während in den meisten kantonalen Gesezgebungen und auch in den bezüglichen Konkordatsverhandlungen das Bewilligungssystem (Präventivsystem) aufgestellt ist. Es wurde das Repressivsystem gewählt, weil dasselbe der Freiheit im Allgemeinen nur soweit, nahe tritt, als im allgemeinen Interesse absolut nöthig ist. Bei diesem System lässt man grundsäzlich gewähren ; es werden Geheimmittel, Spezialitäten etc. fabrizirt, angekündigt und verkauft,, aber es ist eine Kontrole d a , welche über diese Fabrikate wacht, intervenni und dieselben verbiete!,, wenn sie auf solche stößt, welche der öffentlichen Gesundheit, dem Wohlstand oder der Moral Gefahr bringenMan kann billig fragen, woher man das Recht nehme, in diesem Gesezentwurf für das Eigenthum. der Bürger zu sorgen, da doch jeder nur freiwillig solche Mittel kaufe. Eine daherige
Bestimmung gleichwohl aufzunehmen, dazu veranlaßton uns verschiedene Motive: Die Gesezgebung kann das Volk nicht voraussezen, wie es sein sollte, sondern muß es nehmen, wie es ist. Sie kann es nicht schuzlos allen Folgen seiner Unwissenheit preisgeben,

674 und dies speziell da nicht, wo zur Untersuchung einer Sache das Wissen eines Fachkundigen nöthig ist. Wenn der natürliche und gerechtfertigte Trieb, für die Gesundheit zu sorgen einerseits und andererseits die faktisch vorhandene Unwissenheit des Volkes ausgebeutet wird zu ungerechtem, betrügerischem Gewinn, und zwar namentlich auch von Solchen, die der Staat als öffentliche Medizinalpersonen patentirt hat, so darf das Volk um so weniger der Ausbeutung überlassen werden, als der Staat auch sonst schulend auftritt, z. B. gegen Lebensmittelfälschung, betrügerisches Maß und Gewicht, Lotterie etc.

Wenn der Gesezentwurf sodann auf den Boden der Moral übertritt, so dürfte auch dieser Schritt gerechtfertigt erscheinen.

Der Staat hat nämlich, wie über das öffentliche Recht, so auch über die öffentliche Sittlichkeit zu wachen. Er anerkennt diese Pflicht und übt sie in Betreff der Vergehen gegen die öffentliche Sittlichkeit. Die Bundesverfassung kennt den Begriff ,,öffentliche Sittlichkeit" und hat nicht nöthig gefunden, denselben näher zu definiren. Sollte derselbe übrigens, mit Rüksicht auf die Kompetenz, aus dem vorliegenden E n t w u r f gestrichen werden, so würde dies zur Folge haben: entweder, daß nach dieser Seite hin überhaupt keine Aufsieht einträte oder aber, daß die Kantone hierüber durch ein besonderes Konkordat sich verständigen müßten. Da lezteres nicht wahrscheinlich ist, so bleibt, wenn überhaupt etwas geschehen soll, aus praktischen Gründen nichts Anderes übrig, als daß auch diese Kategorie in das eidg. Gesez einbezogen wird. Was schließlich das vorgesehene Tribunal betrifft, so ist die Frage des öffentlich Sittlichen keine spezielle Fachfrage, sondern eine allgemeine menschliche Frage, über welche gebildete Aerzte, als gebildete Menschen, vollkommen kompetent erachtet werden können, zu urtheilen ; gerade ein Tribunal von dieser Komposition dürfte auch mehr als ein anderes Gewähr dafür bieten, daß die Behandlung der Angelegenheit fern bleibe von kurzsichtigem Puritanismus.

Die Notwendigkeit gebietet endlich, den Geheimmitteln etc.

gleich, Drukschriften zu behandeln, welche Heilmittel oder Behandlungsarten in einer Weise ankündigen oder anempfehlen, daß dadurch" wie erörtert, das öffentliche Interesse gefährdet werden kann. Es wird keineswegs etwa die Preßfreiheit durch eine solche
Maßregel beeinträchtigt, sondern diese betrifft lediglieh das Annoncengewerbe, welches unter dem Redaktionsstrich der Tagesblätter beginnt. Da sollte es billigerweise fernerhin nicht mehr geschehen dürfen, daß Zeitungen, welche in ihrem redaktionellen Theil dem Schönen und. Edlen, der Wahrheit und jedem Fortschritt das Wort reden, in ihrem Inseratentheil eine Gesellschaft von Betrügern, Gift-

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mischern und Kupplern beherbergen, deren sich die Redaktoren persönlich schämen würden. Die schweizerische Presse ist rechtschaffen genug, den Ausfall von Lotterieauskündungen nicht zu beklagen; sie wird auch stark genug sein, ohne die Anzeigen von Gift und Prellerei leben zu können.

Was endlich die Vollziehung des beantragten Gesezes betrifft, so soll dieselbe einer Kommission von Fachmännern anheimgegeben werden. Eine Verordnung wird deren Aulgabe naher präzisiren.

Der Weg der Verordnung, im Gegensaz, zu einer gesezlichen Fest Stellung, wird den Vortheil bieten, daß den gemachten Erfahrungen durch Modifikation der bezüglichen Vorschriften jederzeit leicht wird Rechnung getragen werden können.

Gestüzt auf die vorstehenden kurzen Auseinandersezungen empfiehlt der Bundesrath den nachfolgenden Gesezentwurf der Bundesversammlung zur Annahme, und ergreift im Uebrigen den Anlaß, Sie, Tit., seiner vollkommensten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 12. November 1879.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Hammer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schiess.

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(Entwurf)

Bundesgesez betreffend

Ankündigung und Vertrieb von sogen. Geheimmitteln, Patentmedizinen und Spezialitäten.

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der s c h w e i z e r i s c h e n Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 12. November 1879; in Anwendung vom Artikel 31, Litt, e der Bundesverfassung-, besch l i e ß t : Art. 1. Der Vertrieb, einschließlich der Ankündigung von allen zu Heilzwcken bestimmten sogenannten Geheimmittein, Patentmedizinen und Spezialitäten, sowie überhaupt von solchen arzneilichen Erzeugnissen, die in besonderer Form oder Pakung mit oder ohne Angabe ihrer Zusammensezung ausgeboten werden, unterliegt im Gesammtgebiete der Eidgenossenschaft der Ueberwachung durch die Bundesbehörde und die Behörden der Kantone.

Art. 2. Von der Ankündigung und dem Vertriebe sind diejenigen Geheimmittel, Spezialitäten u. s. w. auszuschließen: al welche giftige oder scharf wirk ende Stoffe enthalten und daher bei freiem Gebrauche Gesundheitsschädigungen, beziehungsweise Vergiftungen zu bewirken geeignet sind;

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b) welche durch ihren Verkaufspreis und dessen Verhältniß zum wirklichen Werthe sich lediglich als Mittel zur Ausbeutung des Volkes darstellen; c) deren Auskündung eine Verlezung der öffentlichen Sittlichkeit in sich schließt ; d) welche, auf die Heilung von anstekenden Krankheiten abzielen sollen.

Den Geheimmitteln u. s. w. gleich werden behandelt Drukschriften, in welchen Heilmittel oder Behandlungsarten empfohlen werden, insofern dieselben nach der einen oder andern der unter a bis d aufgeführten Richtungen hin das öffentliche Interesse gefährden, Art. 3. Der Detailverkauf (Handverkauf) aller von der kompetenten Behörde vom Vertriebe nicht ausgeschlossenen, im Artikel l erwähnten medizinisch-pharmazeutischen Spezialitäten bleibt auf die unter der Aufsicht der kantonalen Sanitätsbehörden stehenden Verkaufsstellen, d. h. auf die öffentlichen Apotheken, sowie, nach Maßgabe der kantonalen Vorschriften, auf die ärztlichen und thierärztlichen Privatapotheken beschränkt.

Eine Ausnahme von dieser Bestimmung ist zuläßig für hygienische, diätetische und kosmetische Mitte], welche im Uebrigen durch die kompetente Behörde ebenfalls den Vorschriften dieses Gesezes unterworfen werden können, insoweit dies aus Rüksichten der öffentlichen Gesundheitspflege geboten erscheint.

Art. 4. Zur Vollziehung des Artikels 2 hievor ernennt der Bundesrath eine Kommission von Fachmännern, welche dem eidgenössischen Departement des Innern unterstellt ist, und deren Thätigkeit durch eine Vollziehungsverordnung geregelt wird.

Art. 5. Die vom Departement des Innern reglementsgemäß ausgesprochene und eventuell vom Bundesrath bestätigten Verbote sind für alle Kantone verbindlich.

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Sie werden periodisch vom eidgenössischen Departement den Kantonen amtlich" zur Kenntniß gebracht, welche in der ihnen geeignet scheinenden Weise, immerhin inner der Frist von 14 Tagen, die Verbote öffentlich bekannt machen. Dieselben treten in den einzelnen Kantonen 14 Tage nach deren öffentlicher Bekanntmachung in Kraft.

Die Kantone sorgen dafür, daß die Verbote beobachtet und Widerhandlungen gegen dieselben zur Anzeige und zur Bestrafung gebracht werden, Art. 6, Uebertretungen der in Kraft getretenen Verbote sind von den zuständigen kantonalen Polizei-, beziehungsweise Gerichtsbehörden mit Buße von Fr. 20 bis Fr. 200 zu bestrafen.

Mit der Strafe ist Konfiskation der verbotenen Artikel zu verbinden.

Für Ankündigungen in Zeitungen haften die Verleger derselben.

Die Vorschriften der kantonalen Straf- und Civilgeseze, betreffend Körperverlezungen und Gesundheitsschädigungen, Betrug u. s. w. bleiben vorbehalten. Dagegen treten die kantonalen Polizeivorschriften, soweit sie mit dem gegenwärtigen Geseze in Widerspruch stehen, mit dessen Inkrafttreten außer Wirksamkeit.

Art. 7. Der Bundesrath ist beauftragt, auf Grundlage der Bestimmungen des Bundesgesezes vom 17. Brachmonat 1874, betreffend die Volksabstimmung über Bundesgeseze und Bundesbeschlüsse, die Bekanntmachung dieses Bundesgesezes zu veranstalten und den Beginn der Wirksamkeit, desselben festzusezen.

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Bundesrathsbeschluss in

Sachen des Hrn. J. J. D i e r a u e r in Oberuzwyl (St. Gallen), und Genossen, betreffend Beeinträchtigung der Handelsund Gewerbefreiheit.

(Vom 31. Januar 1879.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t h hat

in Sachen des lim. J. J. D i e r a u e r in O b e r u t z wy l (St. Gallon), und G e n o s s e n . , betreffend Verlegung des Artikels 3l der Bundesverfassung; nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben: I. Unterm 23. November 1878 erließ der Große Rath des Kantons St. Gallen ein ,,Gesez über den Marktverkehr und das Hausiren" (in Kraft getreten den 13. Januar 1879), dessen Art. 4, Ziffer 2, als Hausiren oder Gewerbebetrieb im Umherziehen erklärt : ,,das Aufsuchen von Bestellungen mit Mustern bei anderen .Personen ,,als solchen, welche mit dem betreffenden Artikel Handel treiben, ,,oder denselben in ihrem Gewerbe verwenden"-, und dessen Art. 16 u. A. bestimmt, daß für das Aufsuchen von Waarenbestelhingen laut Art. 4, Ziffer 2, von den im Kanton niedergelassenen Kaufleuten, welche in demselben ihr eigenes Waarenlager oder den eigentlichen Siz ihres Geschäftes haben, eine (monatliche) Patent-

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15.11.1879

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